OLG Düsseldorf
Beschluss
vom 10.07.2024
Verg 2/24
1. Hersteller- und Produktvorgaben sind nur dann durch den Auftragsgegenstand gerechtfertigt, wenn vom Auftraggeber nachvollziehbare objektive und auftragsbezogene Gründe angegeben worden sind und die Bestimmung folglich willkürfrei getroffen worden ist, solche Gründe tatsächlich vorhanden sind und die Bestimmung andere Wirtschaftsteilnehmer nicht diskriminiert.
2. Eine sachliche Rechtfertigung für eine Produktvorgabe kann anzunehmen sein bei zu erwartenden Kompatibilitätsproblemen, die die Funktionalität in nicht hinnehmbarer Weise beeinträchtigen würden und einen unverhältnismäßigen Mehraufwand entstehen ließen (hier bejaht).
3. Es besteht keine Pflicht des öffentlichen Auftraggebers zur Durchführung einer umfassenden Markterkundung.
4. Einer Fachlosvergabe und damit der Prüfung des Vorliegens eines (wirtschaftlichen oder technischen) Rechtfertigungsgrundes für eine Gesamtlosvergabe bedarf es nur, wenn es sich überhaupt um getrennte Märkte handelt.
OLG Düsseldorf, Beschluss vom 10.07.2024 - Verg 2/24
vorhergehend:
VK Rheinland, 05.02.2024 - VK 38/23
Tenor:
Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss der Vergabekammer Rheinland vom 05.02.2024 (VK 38/23 - L) wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt die Antragstellerin einschließlich der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen der Antragsgegnerin.
Gründe:
I.
Die Antragstellerin, ein IT-Unternehmen, welches digitale Lernlösungen wie interaktive Schultafeln oder Lernsoftware für Schulen anbietet, wendet sich gegen die in der seitens der Antragsgegnerin ausgeschriebenen Vergabe enthaltene produktspezifische Ausschreibung der Hard- und Software sowie eine unterlassene Losaufteilung - nämlich eine unterlassene Teillosvergabe getrennt nach Schulen und eine unterlassene Fachlosvergabe getrennt nach Hard- und Software.
Die Antragsgegnerin, eine kommunale Gebietskörperschaft und Schulträgerin von 88 Schulen, schrieb mit Bekanntmachung vom 23.10.2023 im offenen Verfahren eine Rahmenvereinbarung über die Lieferung und Montage von interaktiven Displays für die kommunalen Schulen in ihrem Stadtgebiet aus (Supplement zum Amtsblatt der Europäischen Union ...). Die interaktiven Displays sollen vorhandene Tafeln unterschiedlicher Art und Güte ersetzen. Der in Rede stehende Auftrag soll mit Fördermitteln aus dem Digitalpakt Schule finanziert werden. Die Rahmenvereinbarung umfasste nach der "Allgemeine(n) Vorbemerkungen zur Leistungsbeschreibung" die Lieferung und Montage von interaktiven Displays inklusive Zubehör, Software und Dienstleistungen. Es sollen prinzipiell alle Unterrichtsräume, die bisher über kein interaktives Display verfügen, mit einem interaktiven Display ausgestattet werden (Ziff. I.6 Allgemeine Vorbemerkungen zur Leistungsbeschreibung).
Ausweislich der Pos. Nr. 1 der Leistungsbeschreibung ist Leistungsgegenstand die Lieferung von 1.200 interaktiven Displays 86'' Version T. SBID MX286-V4 mit iQ, - oder Nachfolger". Nach Ziff. I.7 der "Allgemeine(n) Vorbemerkung zur Leistungsbeschreibung" kann die sich aus der Leistungsbeschreibung ergebende Höchstmenge um höchstens 50% überschritten werden.
Nach Ziff. III.1.3 der Bekanntmachung Technische und berufliche Leistungsfähigkeit ist als Eignungskriterium unter anderem gefordert:
"- ...
- Nachweis T. Platin Partnerstatus für den Bereich Bildung (mit dem Angebot mittels Dritterklärung vorzulegen)
- ..."
Hierauf weist auch Ziff. I.16 der "Allgemeine(n) Vorbemerkungen zur Leistungsbeschreibung" hin.
Zudem hat der Bieter nach Ziff. III.1.3 der Bekanntmachung i.V. m. Ziff. I.19 "Allgemeine Vorbemerkung zur Leistungsbeschreibung" Referenzlisten vorzulegen, aus denen sich ergibt, ob und in welchem Umfang in der Vergangenheit bereits interaktive Displays des Herstellers T. in Schulen montiert worden sind, wobei erwartet wird, dass der Bieter vergleichbare Aufträge mit anderen Schulträgern bereits ausgeführt und circa 1.000 (+/- 10%) interaktive Displays jährlich montiert hat.
Nach Pos. 6 des Leistungsverzeichnisses gehört zu dem Leistungsgegenstand die Lieferung von 42 SoftwarepaketenTouchdisplay-Software T. Notebook Plus und T. Learning Suite. Die Software T. Notebook Plus und T. Learning Suite sollte jeweils als Schullizenz für alle Rechner der jeweiligen Schule und auch für alle privaten Rechner der Schülerinnen und Schüler und Lehrkräfte ohne zusätzliche Kosten für regelmäßige Upgrades oder Updates zur Verfügung gestellt werden. Die Software "T. Notebook" ist eine interaktive Lehr- und Lernsoftware, die speziell für den Einsatz mit interaktiven Displays des Herstellers T. entwickelt wurde und genau wie die Softwarelösungen anderer Displayanbieter die Erstellung, Bearbeitung und Darstellung von Lerninhalten ermöglicht.
Nach Pos. 14 des Leistungsverzeichnisses sind Gegenstand der Beschaffung schließlich 100 Schulungen à drei Stunden für jeweils bis zu 13 Personen im Umgang mit dem Touchdisplay, wobei die Schulung durch einen von T. zertifizierten Trainer durchzuführen ist. Die Laufzeit des Vertrags beträgt ausweislich Ziff. II.2.4 der Bekanntmachung zwei Jahre (01.01.2024 - 31.12.2025) mit der Option einer zweimaligen Verlängerung um jeweils ein weiteres Jahr bis maximal 31.12.2027. Sie beginnt mit der Zuschlagserteilung, frühestens jedoch am 01.01.2024 (vgl. Ziff. I.3 Allgemeine Vorbemerkungen zur Leistungsbeschreibung).
Im Jahr 2019 hatte die Antragsgegnerin bereits 666 interaktive Displays einschließlich didaktischer interaktiver Touchdisplay-Software im Rahmen eines europaweiten Vergabeverfahrens beschafft. Dem damaligen Vergabeverfahren, in dem der Hersteller T. den Zuschlag erhalten hatte, hatte eine produktneutrale Ausschreibung zugrunde gelegen (vgl. Rahmenvereinbarung, ASt 7; Technisches Leistungsverzeichnis, ASt 8; Preisblatt, ASt 9). Dabei sah die damalige Technische Leistungsbeschreibung (Anlage ASt 8) unter Ziff. 1.7 für die zu beschaffende didaktische interaktive Touchdisplay-Software folgendes vor:
"- Alle hier geforderten Funktionen und Dienste des Softwareumfangs sind im Preis enthalten und dürfen deshalb keine zusätzlichen Kosten bei der Nutzung der Touchdisplaysoftware erzeugen.
- ...
- Lieferung der Touchdisplay-Software als Schullizenz für alle Rechner der Schule und auch für alle privaten Rechner der Schülerinnen und Schüler und Lehrkräfte ohne zusätzliche Kosten für regelmäßige Upgrades oder Updates.
- ...
- die Software ist unabhängig vom Touchdisplay-Hersteller aus Pos. 1.1 und 1.2 auch mit herstellerfremden interaktiven Tafelsystemen / Touchdisplays kompatibel
- ..."
Im Zeitpunkt der beabsichtigten streitgegenständlichen Vergabeentscheidung waren bereits 670 interaktive Displays der Firma T. an 46 von 88 Schulen der Antragsgegnerin im Einsatz. Diese Displays waren verteilt auf alle 11 Gymnasien, auf die 4 Berufskollegs, auf 4 der 5 Gesamtschulen, auf 3 der 4 Hauptschulen, auf 3 der 7 Förderschulen sowie 3 der 7 Realschulen und auf 18 von 50 Grundschulen und dort bereits installiert. Zudem wurde in allen Schulen, die über die interaktiven Displays des Herstellers T. verfügten, die T. Notebook Software eingesetzt. Auch waren in beiden Standorten des außerschulischen Lernorts "C." interaktive Displays des Herstellers T. einschließlich der dazugehörigen Software T.-Notebook im Einsatz. Weiter verfügten die Techniker des Schulamts über ein entsprechendes interaktives Display. Die Mitarbeiter des Schulamts sind - ebenso wie die IT-Administratoren an den Schulen und die Lehrkräfte - auf die Displays des Herstellers T. geschult.
In einem Fragenkatalog vom 23.05.2023 (Anlage ASt 17, Bl. 124 d. A.) hatte die Antragsgegnerin die Umstände ermittelt, die eine herstellerspezifische Ausschreibung rechtfertigen könnten. Hier führte sie zur bestehenden IT-Infrastruktur unter anderem aus, auf S. 4:
"Ein Mischbetrieb mit Displays anderer Hersteller würde zu Schwierigkeiten bei Gebrauch und Wartung (zwingend erforderliches Zentrales Management für alle Schulen). Das vorhandene MDM herstellerspezifisch von T. und daher nicht mit den Geräten anderer Hersteller kompatibel. Durch eine heterogene Umgebung besteht die Gefahr von Inkompatibilitäten sowie von erhöhten Supportaufwand. Sowohl die eigenen Techniker als auch die Mitarbeiter des externen Schulsupportdienstleisters müssten sich in ein weiteres MDM einarbeiten und beide Systeme betreuen."
und weiter auf S. 5 zum Punkt "Gefährdung des störungsfreien Betriebs":
"Ein Mischbetrieb innerhalb einer Schule mit Klassenraumprinzip ist nicht möglich, da Lehrkräfte sich in die Handhabung unterschiedlicher Displays und der herstellerspezifischen Displaysoftware einarbeiten müssten."
und weiter zum Punkt "Entwertung bereits getätigter Infrastrukturmaßnahmen:
"Die vorhandene MDM-Software ist herstellerspezifisch."
Zum Umstellungsaufwand für die Nutzer führt sie auf S. 8 aus:
"Die Schulung der Anwendung der Displays müsste auf mehreren Systemen für alle ca. 3.870 Lehrkräfte erfolgen. Der Aufwand wäre erheblich (s.o.).
Die Geräte können nicht über eine gemeinsames zentrales MDM verwaltet werden.
Aufspaltung Userkreis: Herstellersoftwarespezifische Unterrichtsinhalte könnten nicht einheitlich durch alle User verwendet werden.
Es entsteht zusätzlicher Mehraufwand für den externen Supportdienstleister und den Schulsupport des Schulamtes aufgrund fehlender IT-Administratoren in den Schulen."
In der "Allgemeine(n) Vorbemerkungen zur Leistungsbeschreibung" heißt es unter Ziff. I.5 wie folgt:
"Bis zur Zuschlagserteilung zum Vergabeverfahren werden in den 88 städtischen C.1 Schulen 670 interaktive Displays des Herstellers T. entweder bereits montiert oder beauftragt sein. Der Bezug dieser interaktiven Displays erfolgte aus einem auf einem produktneutralen Vergabeverfahren beruhenden Rahmenvertrag. Die vorhandenen 670 interaktiven Displays verteilen sich auf alle Schulformen und über die Hälfte der städtischen Schulen sowie zentral geschaffene Schulungsräume. Für eine Homogenität im Unterricht aller 88 städtischen C.1 Schulen, durchgehend von Klasse 1 in der Grundschule bis hin zu den Abschlussjahrgängen der weiterführenden oder berufsbildenden Schulen, ist es erforderlich, dass auch die Unterrichtsräume, die bisher nicht über interaktive Displays verfügen, mit interaktiven Displays des Herstellers T. ausgestattet werden. Hinzu kommen weitere technische Gründe, wie die Einbindung in das bereits vorhandene MobileDeviceManagement-System (S.) sowie Wartung, Pflege und Support der Hard- und Software sowohl durch die Mitarbeitenden des Schulträgers als auch des externen Schulsupportdienstleisters. In allen Schulen, die bereits über interaktive Displays des Herstellers T. verfügen, wird zudem die T. Notebook Software eingesetzt. Ein Effizientes Arbeiten ist den ca. 3.870 Lehrkräften in den 88 städtischen C.1 Schulen nur dann möglich, wenn die einzusetzenden interaktiven Displays von nur einem Hersteller stammen. Diese Forderung nach einer einheitlichen IT-Ausstattung wird auch seitens der Schulen regelmäßig bekräftigt. Aus diesem Grund gibt es bei einigen Positionen der Leistungsbeschreibung herstellerspezifische Vorgaben und es werden keine gleichwertigen Produkte zugelassen."
Bei der MobileDeviceManagement-Software (im Folgenden: MDM-Software) handelt es sich um eine zentrale Verwaltungslösung, über die ein Administrator auf alle Displays in der Systemumgebung zugreifen, diese steuern und einstellen kann. Dadurch können beispielsweise einheitliche Zeitpläne für das Hoch- und Runterfahren, Lautstärkeregelungen und alle anderen denkbaren individuellen oder gruppengesteuerten Einstellungen einschließlich des Aufspielens von Softwareupdates vorgenommen werden.
Mit Bieterfrage (Anlage ASt 11) rügte die Antragstellerin, dass die Verfahrensgestaltung gegen das Gebot der produktneutralen Ausschreibung verstoße, da es an einer sachlichen Rechtfertigung für die von der Antragsgegnerin verfolgte "Ein-Hersteller-Strategie" fehle. Dies wies die Antragsgegnerin mit Schreiben vom 07.11.2023 (Anlage ASt 12) zurück unter Verweis darauf, dass vorliegend eine sachliche Rechtfertigung für die Produktvorgabe gegeben sei, wobei sie die in Ziff. I.5 der "Allgemeine(n) Vorbemerkungen zur Leistungsbeschreibung" enthaltene Begründung wiederholte.
Mit anwaltlichem Rügeschreiben vom 13.11.2023 (Anlage ASt 13) vertiefte die Antragstellerin ihr Rügevorbringen und rügte zudem einen Verstoß gegen das Gebot der Losaufteilung. Mit anwaltlichem Rügeantwortschreiben vom 15.11.2023 (Anlage ASt 14) half die Antragsgegnerin der Rüge nicht ab, sondern erklärte, dass eine Erweiterung des Bestandssystems mit Geräten desselben Herstellers gerechtfertigt sei, und führte hierzu wie folgt aus:
"Es ist einerseits dadurch gerechtfertigt, dass die Verwendung verschiedener Displays und Systeme zu einem deutlich höheren Wartungs-, Schulungs- und Support-Bedarf für die IT-Servicemitarbeiter führen würde, weil verschiedene Systeme gewartet und betrieben werden müssen und zusätzliche Software beschafft werden müsste. Sowohl die Verwaltungsmitarbeitenden des Schulamtes als auch die Techniker der Schul-IT und des externen Schulsupportdienstleisters und zusätzlich die Mitarbeitenden an den C.S-Standorten müssten Fachwissen für verschiedene Produkte und herstellerspezifische Softwareprodukte aufbauen und stets aktuell halten. Dieser Aufwand ist erheblich und nicht gewünscht. Es ist andererseits auch dadurch gerechtfertigt, dass die Nutzer der Displays, zu denen nicht nur Lehrer, sondern auch Schüler gehören, nur an einem Produkt geschult werden müssen. Selbst wenn Lehrer nur vereinzelt an verschiedenen Schulen eingesetzt werden, wechseln jedenfalls die weiteren Nutzer, die Schüler im Laufe ihrer Schulzeit die Schulen regelhaft. Darüber hinaus hat die Stadt zentrale Schulungsräume mit der Technik des T.-Displays geschaffen. Dort können Lehrer, aber auch Schüler geschult werden (C. Riesstraße ...; C. Digital Beuel, ...; C. Lernwerkstatt, ...)."
Bezugnehmend auf das Rügeantwortschreiben der Antragsgegnerin ergänzte die Antragstellerin mit anwaltlichem Schreiben vom 17.11.2023 (Anlage ASt 15) ihre Rüge in Bezug auf eine unterlassene Prüfung einer Fachlosaufteilung getrennt nach Hard- und Software. Die Antragsgegnerin half mit Schreiben vom 20.11.2023 (Anlage ASt 16) auch dieser ergänzenden Rüge der Antragstellerin nicht ab.
Die Antragstellerin hat mit Anwaltsschriftsatz vom 22.11.2023 (Anlage ASt 18) die Einleitung eines Vergabenachprüfungsverfahrens beantragt. Zu dessen Begründung hat sie ihre bereits mit Rügeschreiben vom 13. und 17.11.2023 erhobenen Rügen aufrecht erhalten und vertieft. Es fehlten nach ihrer Ansicht bei dem streitgegenständlichen Vergabeverfahren tatsächlich vorliegende nachvollziehbare objektive und auftragsbezogene Gründe, nach denen die Antragsgegnerin ihren Bedarf an interaktiven Lerndisplays ausschließlich an den explizit genannten und erwünschten Hersteller T. habe ausrichten dürfen. Von einem etablierten Bestandssystem könne nicht ausgegangen werden, da die bisher beschafften Displays (670 Geräte) lediglich 27 Prozent der insgesamt zu beschaffenden Displays (bis zu 1.800 weitere Geräte) ausmachten. Ein Hardware-Mischbetrieb sei üblich und werde regelmäßig ohne Mehraufwände oder Schwierigkeiten vollzogen. Es sei schon nicht feststellbar, dass die Einrichtung von Displays, deren Verwendung durch Lehrer und Schüler oder deren Administration besonderen Aufwand erforderten, wenn Geräte unterschiedlicher Firmen parallel eingesetzt würden. Es sei auch nicht ersichtlich, dass die Geräte an sich - unabhängig vom verwendeten Betriebssystem und der Software - unterschiedlich zu bedienen wären. Die zur Bedienung der Hardware notwendige Kenntnis beschränke sich auf die reine Inbetriebnahme. Es könne auch nicht festgestellt werden, dass der parallele Betrieb von interaktiven Displays verschiedener Hersteller im Hinblick auf die Hardwarekomponenten zu einem spürbaren Mehraufwand für Administration und Support führten. Ein erheblicher, auch finanziell belastender, Ausbildungs-, Fortbildungs- und Umstellungsmehraufwand sei nicht gegeben. Auch eine Einbindung in das vorhandene MDM-System sei nicht erforderlich. Wartung, Pflege und Support der Hard- und Software seien bei den Displays im Wesentlichen gleich. Gegen einen erheblichen Mehraufwand spreche zudem, dass Updates für die Anwendung des Prowise Presenter automatisch aufgespielt würden. Für den technischen Support gebe es bei ihr fachlich versierte Service desks und ihre Supportmitarbeiter könnten sich zur Fehlerbehebung ohne weiteres auf die Geräte aufschalten. Der Prowise Presenter sei ohne Lizenzgebühr einsetzbar. Schulungen der Antragstellerin für die Einweisung der neuen interaktiven Displays seien kostenlos. Vor diesem Hintergrund hätte die Antragsgegnerin vorliegend eine Teillosvergabe (in Bezug auf diejenigen Schulen, die noch nicht mit Displays und Software des Herstellers T. ausgestattet sind) und eine Fachlosvergabe (getrennte Beschaffung von Hard- und Software) durchführen müssen.
Die Antragstellerin hat beantragt,
1. der Antragsgegnerin zu untersagen, im Vergabeverfahren den Zuschlag zu erteilen;
2. der Antragsgegnerin aufzugeben, in dem streitgegenständlichen Vergabeverfahren geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um die dargestellten Rechtsverletzungen der Antragstellerin zu beseitigen;
3. die Vergabeakte beizuziehen und der Antragstellerin unverzüglich Akteneinsicht zu gewähren;
4. die Hinzuziehung der Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin für notwendig zu erklären;
5. der Antragsgegnerin die Kosten des Nachprüfungsverfahrens sowie die Kosten einer zweckentsprechenden Rechtsverfolgung einschließlich der vorprozessualen Anwaltskosten aufzuerlegen.
Die Antragsgegnerin hat beantragt,
1. den Nachprüfungsantrag zurückzuweisen;
2. der Antragstellerin die Kosten des Verfahrens einschließlich der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung erforderlichen Kosten der Antragsgegnerin aufzuerlegen;
3. die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten durch die Antragsgegnerin für notwendig zu erklären.
Die Antragsgegnerin hat die Ansicht vertreten, eine produktspezifische Ausschreibung sei vorliegend sachlich gerechtfertigt. Es liege keine erstmalige Neubeschaffung vor, sondern es handle sich vielmehr um eine Erweiterung der bestehenden informationstechnologischen Infrastruktur. T.-Displays und T. Notebook Software werde bereits an 46 Schulen eingesetzt, an 85% der weiterführenden Schulen und 18 von 50 Grundschulen, die IT des Schulamts und die Schulungsräume seien mit T. Displays und Software ausgestattet, der Schulsupport sei auf diese Displays geschult, ebenso wie 3.000 von 4.100 Lehrkräften, die bereits mit Displays der Firma T. arbeiteten. Ein Mischbetrieb würde Arbeitsabläufe im Schulalltag beeinträchtigen, weil Schüler die Schulen regelhaft wechseln würden - etwa beim Übergang von der Grundschule auf die weiterführende Schule oder aufgrund von Kooperationen und gemeinsamen Leistungskursen verschiedener Schulen. Auch gebe es mit dem C. zentrale Lernräume, die alle Schüler und Lehrkräfte nutzten. Sie müssten sich dabei an ein anderes System mit einem anderen Interface und einer anderen Software gewöhnen, was zu erheblichen Zeitverlust für die eigentlichen Lehrinhalte führen würde. Ein Software-Mischbetrieb würde auch bei den Lehrern zu einem erheblichen Mehraufwand führen, weil sie alle Dateien und Lehrinhalte in zwei unterschiedlichen Formaten erstellen und bearbeiten müssten, was wertvolle Unterrichtszeit kosten würde. Hierzu könne es nicht nur bei einem Mischbetrieb innerhalb einer Schule kommen, sondern auch dann, wenn Lehrkräfte an verschiedenen Schulen tätig seien, wie etwa die in der Stadt zahlreichen Poolkräfte oder Lehrkräfte, die sich mit anderen Lehrkräften Stellen teilen und deshalb an verschiedenen Schulen tätig sind.
Die vorhandene MDM-Software, T. Notebook Software und T. Learning Suite seien herstellerspezifisch und könnten nicht ohne Funktionsbeeinträchtigungen auf der Hardware anderer Hersteller installiert werden. Bei der Verwendung der T. Software auf einer anderen Hardware stünden wichtige Werkzeuge nicht zur Verfügung, insbesondere sei die automatische Stifterkennung sowie Tochpunkterkennung nicht gewährleistet. Die bereits im Einsatz befindliche MDM-Software funktioniere uneingeschränkt nur auf Geräten der Firma T.. Die MDM-Software basiere auf der Grundlage einer MDM-Software eines dritten Herstellers, die spezifisch auf die Displays der Firma T. angepasst worden sei. Sie, die Antragsgegnerin, müsse insgesamt jedwedes Risikopotential für Fehlfunktionen oder Kompatibilitätsprobleme ausschließen dürfen, um im schulischen Umfeld eine gleichförmige Funktion einer Vielzahl von Endgeräten bei der Nutzung durch unterschiedliche Schülergruppen gewährleisten zu können.
Bei einem neuen Produkt eines anderen Herstellers entstehe ein hoher Schulungsaufwand für ihr Lehrpersonal und IT-Betreuungspersonal, weil sie in beiden Softwareformaten dauerhaft geschult werden müssten. Auch würde die Wartung und der Support erschwert. Die zentral ausgeführten Wartungs-, und Servicearbeiten müssten doppelt ausgeführt werden, wenn es verschiedene Hardware und damit verbunden zwei parallele Wartungssysteme (MDM-Software) gäbe.
Schließlich entstünden zusätzliche Lizenzkosten, wenn die bereits vorhandene T. Software auf Geräten anderer Hersteller eigesetzt werden müsste, denn die Kosten für den Erwerb von Lizenzen seien deutlich höher, wenn die Software auf Hardware anderer Hersteller installiert werde, als wenn sie einheitlich mit den Displays erworben werde. Es müsste zudem eine Zustimmung für die Nutzung der Software auf herstellerfremden Geräten bei der Firma T. eingeholt werden, die dem Betrieb ihrer Software auf fremder Hardware allenfalls in Ausnahmefällen zustimme. Eine Pflicht zur Markterkundung bestehe auch bei einer herstellerspezifischen Ausschreibung nicht. Unabhängig davon habe die Antragsgegnerin sich seit Jahren mit den Produkten am Markt auseinandergesetzt, indem sie sich beispielsweise jährlich auf der Bildungsmesse didacta sowie im laufenden Tagesgeschäft über die am Markt verfügbaren digitalen Displays und deren Funktionen informiere. Sie stehe auch im Austausch mit anderen öffentlichen Auftraggebern und habe sich in Vorbereitung der streitgegenständlichen Ausschreibung intensiv mit den digitalen Displays verschiedener Hersteller auseinandergesetzt, woraus sich für sie die fehlende Kompatibilität der Hard- und Software verschiedener Hersteller ergeben habe.
Gründe, die eine Teillos- oder Fachlosvergabe erforderlich machen würden, lägen ebenfalls nicht vor. Eine gemeinsame Ausschreibung von Hard- und Software sei üblich. Insbesondere sei eine getrennte Ausschreibung von Hard- und Software vorliegend aus technischen und wirtschaftlichen Gründen - wie dargestellt - nicht ohne weiteres möglich gewesen. Sie würde zu einem höheren Koordinierungsaufwand führen. Beide Komponenten müssten zu einem einheitlichen System zusammengefasst werden. Dabei könne es an den Schnittstellen zwischen den zu beschaffenden Hard- und Softwarekomponenten zu Fehlern kommen. Es bestehe ein erhöhtes Gewährleistungsrisiko. Auch eine Aufteilung des Auftrags nach Schulen, je nachdem, ob die Schule bereits über interaktive Displays verfüge oder nicht, könne aufgrund der bereits etablierten einheitlichen IT-Infrastruktur ebenfalls nicht erfolgen.
Mit dem angefochtenen Beschluss vom 05.02.2024 - der Beschwerdeführerin am 06.02.2024 zugestellt - hat die Vergabekammer den Nachprüfungsantrag als unbegründet zurückgewiesen. Zur Begründung hat die Vergabekammer ausgeführt, die Antragstellerin habe die Grenzen ihres Leistungsbestimmungsrechts nicht überschritten. Sie habe den Wettbewerb auf die durch sie ausgeschriebenen Leistungen beschränken und vom Grundsatz der Produktneutralität abweichen dürfen. Vorliegend sei die produktscharfe Ausschreibung ausnahmsweise nach § 31 Abs. 6 VgV gerechtfertigt gewesen. Die abzuwendenden Risiken von Fehlfunktionen, Kompatibilitätsproblemen und hohem Umstellungsaufwand bei Verwendung einer anderen Hard- und/oder Software als der ausgeschriebenen, unter Beibehaltung der Basisinfrastruktur, rechtfertige die produktspezifische Ausschreibung. Die Antragsgegnerin habe im Interesse der Systemsicherheit und Funktion der interaktiven Displays das Risikopotential, welches die Verbindung verschiedener und komplexer IT-Systeme mit sich bringe, ausschließen und den zuverlässigen Weg einer "Ein-Hersteller-Strategie" wählen dürfen. Die unterbliebene Bildung von Teillosen verstoße nicht gegen das Gebot der Berücksichtigung mittelständischer Interessen gemäß § 97 Abs. 4 GWB. Vorliegend lägen wirtschaftliche und technische Gründe vor, die es der Antragsgegnerin erlaubten, vom Grundsatz der Losaufteilung abzusehen. Im Falle eines Mischbetriebs seien unzumutbare wirtschaftliche Nachteile für die Antragsgegnerin zu befürchten. Daneben seien die von der Antragsgegnerin geschilderten Funktionalitätsgründe - nämlich Vermeidung von Fehlerquellen, Vermeidung von Kompatibilitätsproblemen und Funktionsbeeinträchtigungen im täglichen Gebrauch sowie Vermeidung eines unnötigen Wartungs- und Schulungsbedarfs - ausreichende technische Gründe im Sinne des § 97 Abs. 4 S. 3 GWB. Die Umsetzung dieser in zulässiger Weise verfolgten "Ein-Hersteller-Strategie" sei mit einer Losbildung nicht vereinbar. Einem Auftraggeber sei es im Zweifelsfall nicht zuzumuten, bei Fehlern innerhalb eines integrierten Systems eigenständige Ursachenforschung zu betreiben, in welchem System der Fehler begründet liege. Das werde jedoch notwendig, wenn die Teile von unterschiedlichen Vertragspartnern geliefert würden, und gelte umso mehr bei der Beschaffung unterschiedlicher Hard- und Software.
Hiergegen hat die Antragstellerin mit Schriftsatz vom 20.02.2024 - eingegangen am selben Tag - sofortige Beschwerde eingelegt. Die Antragstellerin ist der Ansicht, Funktionsumfang und Bedienbarkeit der Displays seien bei allen etablierten Herstellern im Wesentlichen gleich. Die T.-Software funktioniere auch auf der Hardware der Beschwerdeführerin sowie auf derjenigen anderer Hersteller; sie könne dort problemlos und uneingeschränkt installiert und benutzt werden. Der Hersteller T. habe sich im vorausgegangenen Vergabeverfahren gegenüber der Beschwerdegegnerin zur Interoperabilität ihrer Software mit der Hardware anderer Hersteller verpflichtet. Die MDM-Software, T. Learning Suite sowie die T.-Notebook Software seien mit der Software der Antragstellerin kompatibel, insbesondere ließen sich mit der T.-Notebook Software erstellte Dateien ohne Funktionsverlust auf die Displays der Antragstellerin übertragen, ohne dass es einer Umwandlung in ein anderes Format (IWB) bedürfe, da aufgrund der besonderen Interoperabilität zwischen der Hard- und Software beider Hersteller eine vollständige direkte Übertragung ohne Funktionsverlust möglich sei. Auch die MDM-Software (Mobile-Device-Management Software) von T. könne mit den Geräten anderer Hersteller kompatibel sein. Jedenfalls sei eine herstellerübergreifende Nutzung von MDM-Lösungen möglich und üblich. Sollte dies bisher für die von der Antragsgegnerin genutzte MDM-Software nicht der Fall sein, ließe sich in Zusammenarbeit mit dem Hersteller und der Antragstellerin seitens der Antragsgegnerin eine Kompatibilität herstellen. Lizenzkosten dürften nicht als Argument für eine produktspezifische Ausschreibung herangezogen werden. In der Vorausschreibung habe sich T. verpflichtet, die Touchdisplay-Software "als Schullizenz für alle Rechner der Schule auch für alle privaten Rechner der Schülerinnen und Schüler und Lehrkräfte ohne zusätzliche Kosten für regelmäßige Upgrades oder Updates" zu liefern. Mögliche Mehrkosten habe die Antragsgegnerin zum Wettbewerbsschutz zu tragen.
Andererseits funktioniere auch die Software der Beschwerdeführerin, die lizenzfrei zur Verfügung stehe, auf allen herstellerfremden Geräten. T.-Dateien müssten nicht zwingend in einer T.-Software geöffnet werden, sondern könnten auch in einer herstellerfremden Software eines anderen Herstellers geöffnet werden. Der Import und der Export von T.-Dateien in das Softwaresystem der Antragstellerin und aus diesem heraus erfordere keinen besonderen Aufwand für die Lehrkräfte oder IT-Verantwortlichen. Ein Qualitätsverlust trete nicht auf. Das gelte auch für die MDM-Software. Auch die MDM-Lösung der Beschwerdeführerin könne die Geräte von T. erfassen, wenn T. entsprechend mit der Beschwerdeführerin kooperiere.
Ein paralleler Betrieb von interaktiven Displays verschiedener Hersteller im Hinblick auf die Hardwarekomponenten führe zu keinem spürbaren Mehraufwand im Sinne eines erhöhten Umstellungs-, Wartungs-, Schulungs- und Supportbedarfs und bedürfe keiner besonderen Spezialisierung der Mitarbeiter der IT-Service-Abteilungen, wobei zu berücksichtigen sei, dass ein Umstellungsaufwand für sich genommen nicht das Absehen von einer produktneutralen Ausschreibung rechtfertige. Die Bedienung der unterschiedlichen Hardware sei nicht verschieden. Eine herstellerbezogene Leistungsbeschreibung sei jedenfalls unverhältnismäßig. Die beiden Funktionen, die nicht automatisch funktionierten, die automatische Stifterkennung und die automatische Touchfunktion, über die der Finger als "Maus" erkannt werde, könnten mit einem einzigen digitalen Knopfdruck ausgelöst werden.
Die Antragsgegnerin habe gegen das Gebot der Losaufteilung sowohl im Hinblick auf eine Teillosvergabe als auch eine Fachlosvergabe verstoßen. Die losweise Beschaffung im Wege einer Teillosvergabe von Displays verschiedener Hersteller sei sowohl bei reinen Neubeschaffungen als auch bei solchen Beschaffungsvorgängen üblich, bei denen eine Ergänzung bestehender Systeme durch weitere Displays ausgeschrieben werde, dabei werde für Einrichtungen, an denen bereits digitale Displays genutzt würden, die weiteren Geräte produktspezifisch ausgeschrieben, und für Einrichtungen, die noch nicht über einen Grundbestand verfügten, eine produktneutrale Ausschreibung vorgenommen. Auch eine Fachlosvergabe wäre vorliegend geboten gewesen, denn weder wirtschaftliche noch technische Gründe würden angesichts der herstellerübergreifenden Interoperabilität eine Gesamtvergabe fordern.
Schließlich habe die Antragsgegnerin gegen Markterkundungs- und Dokumentationspflichten verstoßen. Die Gründe für eine produktspezifische Verfahrensgestaltung seien weder stichhaltig noch ordnungsgemäß und sorgfältig dokumentiert worden, da dies vorausgesetzt hätte, dass sich die Antragsgegnerin mit den Produkten anderer Hersteller sowie alternativen technischen Lösungen im Rahmen der Markterkundung auseinandersetze. Denn die Frage, ob eine vernünftige Alternative oder Ersatzlösung neben dem produktspezifisch ausgeschriebenen Beschaffungsgegenstand verfügbar sei, könne der öffentliche Auftraggeber in aller Regel nicht ohne eine Markterkundung beantworten. Aber auch darüber hinaus habe die Antragsgegnerin ihre Erwägungen für eine produktspezifische Ausschreibung lückenhaft dokumentiert. Der Vergabevermerk enthalte keine Ausführungen zur Losaufteilung.
Die Antragstellerin beantragt,
1. den Beschluss der Vergabekammer Rheinland vom 06.02.2024, Az. VK 38/23 - L aufzuheben;
2. das streitgegenständliche Verfahren bei fortbestehender Beschaffungsabsicht zurückzuversetzen und nur unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats fortzuführen;
3. der Beschwerdegegnerin die Kosten des Verfahrens einschließlich der Kosten der Beschwerdeführerin zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung aufzuerlegen;
4. die Hinzuziehung der Verfahrensbevollmächtigten der Beschwerdeführerin für notwendig zu erklären.
Für den Fall, dass der Senat die Rechtsauffassung der Vergabekammer bezüglich der Anforderungen an eine Rechtfertigung herstellerbezogener Leistungsbeschreibungen teilen sollte, beantragt die Antragstellerin dem Europäischen Gerichtshof im Wege eines Vorabentscheidungsersuchens nach Art. 267 Abs. 2 AEUV nachfolgende Fragen zur Auslegung vorzulegen:
1. Steht Art. 42 Abs. 2 der Richtlinie 2014/24/EU der Auslegung einer nationalen Vorschrift, wie § 31 Abs. 6 S. 1 HS 2 der deutschen Vergabeverordnung, entgegen, wonach für die Rechtfertigung einer herstellerbezogenen Leistungsbeschreibung Gründe herangezogen werden, die sich auf Produkteigenschaften eines bestimmten Herstellers und nicht auf den herstellerneutral definierten Auftragsgegenstand (im Sinne des Art. 42 Abs. 2 der Richtlinie 2014/24/EU bzw. § 31 Abs. 6 S. 1 HS 2 der deutschen Vergabeverordnung) beziehen?
2. Steht Art. 42 Abs. 2 der Richtlinie 2014/24/EU der Auslegung einer nationalen Vorschrift, wie § 31 Abs. 6 S. 1 HS 2 der deutschen Vergabeverordnung, entgegen, wonach für die Rechtfertigung einer herstellerbezogenen Leistungsbeschreibung nicht geprüft wird, ob die herstellerbezogenen Anforderungen gleichermaßen in Form von herstellerneutral ausgestalteten funktionalen und leistungsbezogenen Anforderungen hätten formuliert werden können?
3. Steht Art. 42 Abs. 2 der Richtlinie 2014/24/EU der Auslegung einer nationalen Vorschrift, wie § 31 Abs. 6 S. 1 HS 2 der deutschen Vergabeverordnung, entgegen, wonach für die Rechtfertigung einer herstellerbezogenen Leistungsbeschreibung ausreichen soll, dass der öffentliche Auftraggeber jedwede Risikopotentiale ausschließen und den sichersten Weg wählen möchte?
Für den Fall, dass der Senat die Rechtsauffassung der Vergabekammer bezüglich der Markterkundungs- und Dokumentationspflichten eines Auftraggebers teilen sollte, beantragt die Antragstellerin, dem Europäischen Gerichtshof im Wege eines Vorabentscheidungsersuchens nach Art. 267 Abs. 2 AEUV nachfolgende Frage vorzulegen:
4. Steht Art. 42 Abs. 2 der Richtlinie 2014/24/EU der Auslegung einer nationalen Vorschrift, wie § 31 Abs. 6 S. 1 HS 2 der deutschen Vergabeverordnung, entgegen, wonach für die Rechtfertigung einer herstellerbezogenen Leistungsbeschreibung nicht erforderlich ist, dass die Notwendigkeit einer herstellerbezogenen Leistungsbeschreibung und das tatsächliche Vorhandensein der dafür angeführten Gründe auf Grundlage einer Markterkundung belegt werden kann?
Die Antragsgegnerin beantragt,
1. die sofortige Beschwerde zurückzuweisen;
2. der Antragstellerin und Beschwerdeführerin die Kosten beider Rechtszüge einschließlich der jeweils zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Gebühren und Auslagen aufzuerlegen.
Die Antragsgegnerin verteidigt unter Wiederholung und Vertiefung ihrer bereits vor der der Vergabekammer vorgetragenen Ansicht die angefochtene Entscheidung der Vergabekammer.
II.
Die nach §§ 171, 172 GWB zulässige sofortige Beschwerde der Antragstellerin hat in der Sache keinen Erfolg.
1. Der Nachprüfungsantrag ist insgesamt zulässig.
a. Die Antragstellerin ist antragsbefugt (§ 160 Abs. 2 GWB). Sie hat, auch wenn sie kein eigenes Angebot abgegeben hat, ein Interesse an dem Auftrag. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichthofs ist ein Unternehmen, das deshalb kein Angebot abgegeben hat, weil es sich durch angeblich diskriminierende Spezifikationen in den Ausschreibungsunterlagen oder im Pflichtenfeld gerade daran gehindert gesehen hat, die ausgeschriebene Gegenleistung zu erbringen, berechtigt einen Nachprüfungsantrag unmittelbar gegen diese Spezifikationen einzuleiten (vgl. EuGH, Urt. v. 12.02.2004 - C-230/02 - Grossmann Air Service, NZBau 2004, 221 Rn 28). Macht der Antragsteller - wie hier die Antragstellerin - geltend, durch den beanstandeten Vergaberechtsverstoß (hier: produktspezifische Ausschreibung, unterlassene Losaufteilung) an der Einreichung eines zuschlagsfähigen Angebots gehindert worden zu sein, muss er im Vergabeverfahren kein Angebot eingereicht haben, ein solches allein wegen des Nachprüfungsverfahrens auch nicht einreichen oder darlegen, welches Angebot er bei einer von seinem Standpunkt her vergaberechtskonformen Ausschreibung abgegeben hätte (st. Rspr., vgl. OLG Frankfurt, Beschl. v. 17.02.2022 - 11 Verg 8/21, NZBau 2022, 367 Rn 34; Senat, Beschl. v. 25.11.2009 - Verg 27/09, BeckRS 2010, 2863). Die Antragstellerin macht geltend, durch eine - unter Verstoß gegen § 31 Abs. 6 S. 1 VgV - vergaberechtswidrig produktspezifische Ausschreibung sowie durch eine - unter Verstoß gegen § 97 Abs.4 S. 2 GWB - unterlassene Teillos- und Fachlosvergabe in ihren Rechten verletzt zu sein, wodurch ihr, die sich unter diesen Voraussetzungen nicht mit Erfolg an dem Vergabeverfahren habe beteiligen können, ein Schaden durch Verringerung ihrer Zuschlagschancen entstanden sei.
b. Der Nachprüfungsantrag ist nicht nach § 160 Abs. 3 Nr. 2 und 3 GWB unzulässig. Die Antragstellerin hat die aus ihrer Sicht unzulässige produktspezifische Ausschreibung sowie die unterlassene Losaufteilung vor Ablauf der Angebotsfirst, welche am 21.11.2023 ablief (Ziff. IV.2.2 der Bekanntmachung) nach 160 Abs. 3 Nr. 2 und 3 GWB mit Rügeschreiben vom 13.11.2023 (Anlage ASt 13) gerügt.
2. Der Nachprüfungsantrag ist aber unbegründet.
Die Antragstellerin ist nicht durch die in der Ausschreibung der Antragsgegnerin enthaltenen produktspezifischen Angaben in ihren subjektiven Rechten verletzt (dazu unter a.). Auch das Absehen von einer Teil- und Fachlosvergabe ist vergaberechtsfehlerfrei erfolgt (dazu unter b.).
a. Die Antragsgegnerin hat nicht gegen das Gebot der produktneutralen Ausschreibung (§ 31 Abs. 1 VgV) und damit gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung der Bieter (§ 97 Abs. 2 GWB) verstoßen, indem sie in der Leistungsbeschreibung für die zu beschaffende Software produktspezifische Vorgaben gemacht hat (dazu unter aa.); dass die Antragsgegnerin darüber hinaus die Hardware produktspezifisch ausgeschrieben hat, verletzt die Antragstellerin nicht in ihren subjektiven Rechten (dazu unter bb.) und ist zudem vergaberechtlich gerechtfertigt (dazu unter cc.).
Die Ausschreibung der Antragsgegnerin ist spezifisch. Sie beinhaltet sowohl für die Software als auch für die Hardware Komponenten mit einer Herstellerangabe zugunsten der Firma T..
aa. Die Produktvorgaben betreffend die Software sind vergaberechtlich nicht zu beanstanden.
(1) Bei der Beschaffungsentscheidung für ein bestimmtes Produkt, eine Herkunft, ein Verfahren oder dergleichen ist der öffentliche Auftraggeber im rechtlichen Ansatz ungebunden. Die Entscheidung wird erfahrungsgemäß von zahlreichen Faktoren beeinflusst, unter anderem von technischen, wirtschaftlichen, gestalterischen oder solchen der sozialen, ökologischen oder ökonomischen Nachhaltigkeit. Die Wahl unterliegt der Bestimmungsfreiheit des Auftraggebers, deren Ausübung dem Vergabeverfahren vorgelagert ist. Sie muss zunächst einmal getroffen werden, um eine Nachfrage zu bewirken. Das Vergaberecht regelt demnach nicht, was der öffentliche Auftraggeber beschafft, sondern nur die Art und Weise der Beschaffung (OLG München, Beschl. v. 28.7.2008 - Verg 10/08; OLG München, Beschl. v. 09.09.2010 - Verg 10/10, Bestuhlung; Senat, Beschl. v. 27.06.2012 - VII Verg 7/12, Fertigspritzen; Senat v. 01.08.2012 - VII Verg 10/12, Warnsystem, juris Rn 41; Senat, Beschl. v. 31.05.2017 - VII Verg 36/16, Drohnen, juris Rn 40 jeweils m.w.N.). Einer besonderen vergaberechtlichen Ermächtigungsgrundlage bedarf die Bestimmung des Auftragsgegenstands durch den Auftraggeber nicht. Sie ergibt sich aus der Vertragsfreiheit. Die danach im jeweiligen Fall vorgenommene Bestimmung des Beschaffungsgegenstands ist von den Vergabenachprüfungsinstanzen im Ausgangspunkt nicht zu kontrollieren (Senat, Beschl. v. 31.05.2017 - VII Verg 36/16, Drohnen, juris Rn 40 m.w.N.).
Nach § 31 Abs. 1 S. 1 VgV hat der öffentliche Auftraggeber aber die Leistungsbeschreibung in einer Weise zu fassen, dass sie allen Unternehmen den gleichen Zugang zum Vergabeverfahren gewährt. In der Leistungsbeschreibung darf nicht auf eine bestimmte Produktion oder Herkunft oder ein besonderes Verfahren, das die Erzeugnisse oder Dienstleistungen eines bestimmten Unternehmens kennzeichnet, verwiesen werden, wenn dadurch bestimmte Unternehmen oder bestimmte Produkte begünstigt oder ausgeschlossen werden. Solche Verweise sind nur zulässig, wenn dieser Verweis durch den Auftragsgegenstand gerechtfertigt ist (§ 31 Abs. 6 S. 1, 2. HS VgV) oder wenn der Auftragsgegenstand andernfalls nicht hinreichend genau und allgemein verständlich beschrieben werden kann (§ 31 Abs. 6 S. 2, 1. HS VgV). § 31 Abs. 6 VgV regelt somit in richtlinienkonformer Umsetzung von Art. 42 Abs. 4 der Vergaberichtlinie 2014/24/EU nach einhelliger Auffassung der Vergabesenate (vgl. nur OLG Brandenburg, Beschl. v. 08.07.2021 - 19 Verg 2/21, NZBau 2022, 53, Rn 22; Senat, Beschl. v. 16.10.2019 - VII Verg 66/18, digitales Alarmierungssystem, juris Rn 52 jeweils m.w.N.) und der Literatur (Trutzel/Meeßen, in: Ziekow/Völlink, Vergaberecht, 5. Aufl., § 31 VgV Rn 49 ff; Seebo, in: MüKo Wettbewerbsrecht, 4. Aufl., § 31 VgV Rn 62 ff. jeweils m.w.N.) zwei Alternativen und zwar in Satz 1 eine durch den Auftragsgegenstand ausnahmsweise gerechtfertigte Vorgabe eines bestimmten Produkts im Sinne einer produktscharfen Ausschreibung und in Satz 2 die Verwendung eines bestimmten Produkts zur Beschreibung der Leistung im Sinne eines Leitfabrikats. Die in § 31 Abs. 6 S. 2, 2. HS VgV vorgeschriebene Verwendung "oder gleichwertig" bezieht sich allein auf die im Satz 2 im ersten Halbsatz genannte beschreibende Verwendung. Nur in Bezug auf diese macht sie auch Sinn. Die von der Antragstellerin angeführten Entscheidungen des Gerichtshofs der Europäischen Union beziehen sich alle auf eine beschreibende Verwendung. Dass es generell keine Möglichkeit zur produktspezifischen Ausschreibung geben soll, kann dem nicht entnommen werden. Das Vergaberecht gestattet in § 14 Abs. 4 Nr. 2 lit. b und c, Abs. 6 VgV sogar in Ausnahmefällen die Verhandlung mit nur einem Bieter. Dass der niedrigere Eingriff einer Produktvorgabe demgegenüber grundsätzlich ausgeschlossen sein soll, widerspräche dem.
Auf den Ausnahmefall des § 31 Abs. 6 S. 2, 1. HS VgV beruft sich die Antragsgegnerin nicht. Herstellerverweise sind nur dann durch den Auftragsgegenstand gerechtfertigt, wenn vom Auftraggeber nachvollziehbare objektive und auftragsbezogene Gründe angegeben worden sind und die Bestimmung folglich willkürfrei getroffen worden ist, solche Gründe tatsächlich vorhanden (festzustellen und notfalls erwiesen) sind und die Bestimmung andere Wirtschaftsteilnehmer nicht diskriminiert (st. Rspr., vgl. OLG Brandenburg, Beschl. v. 08.07.2021 - 19 Verg 2/21, NZBau 2022, 53, Rn 22; OLG München, Beschl. v. 26.03.2020 - Verg 22/19, juris Rn 128; Senat, Beschl. v. 16.10.2019 - VII Verg 66/18, digitales Alarmierungssystem, juris Rn 52; Senat, Beschl. v. 31.05.2017 - VII Verg 36/16, Drohnen, juris Rn 48; Senat, Beschl. v. 13.04.2016 - VII Verg 47/15, Voice over IP, juris Rn 26; Senat, Beschl. v. 22.05.2013 - VII Verg 16/12, Hochschulverwaltungssoftware, juris Rn 40; Senat, Beschl. v. 01.08.2012 - VII Verg 10/12, Warnsystem, juris Rn 40 ff). Dem öffentlichen Auftraggeber steht bei der Einschätzung, ob die Vorgabe eines bestimmten Herstellers gerechtfertigt ist, ein Beurteilungsspielraum zu (OLG Brandenburg, Beschl. v. 08.07.2021 - 19 Verg 2/21, NZBau 2022, 53, Rn 22; Senat, Beschl. v. 16.10.2019 - VII Verg 66/18, digitales Alarmierungssystem, juris Rn 52; Senat, Beschl. v. 06.07.2005 - VII Verg 26/05 - juris Rn 6; Traupel, in: Müller-Wrede, VgV/UVgO Kommentar, 2017, § 31 VgV Rn 69; Prieß/Friton, in Röwekamp/Kus/Marx/Protz/Prieß, VgV Kommentar, 2. Aufl., § 31 Rn. 62). Die Entscheidung muss aber nachvollziehbar begründet und dokumentiert sein; wenngleich eine vorherige Markterkundung nicht erforderlich ist (OLG Brandenburg, Beschl. v. 08.07.2021 - 19 Verg 2/21, NZBau 2022, 53, Rn 22; Senat, Beschl. v. 16.10.2019 - VII Verg 66/18, digitales Alarmierungssystem, juris Rn 52; Senat, Beschl. v. 01.08.2012, Verg 10/12, Warnsystem, juris; ebenso OLG München, Beschl. v. 09.09.2010 - Verg 10/10 und OLG Jena, Beschl. v. 25.06.2014 - 2 Verg 1/14, juris Rn 46; Prieß/Friton, in Röwekamp/Kus/Marx/Protz/Prieß, VgV Kommentar, 2. Aufl., § 31 Rn. 61 f.). Die Darlegungslast für die Notwendigkeit einer herstellerbezogenen Leistungsbeschreibung liegt beim öffentlichen Auftraggeber (Senat, Beschl. v. 16.10.2019 - VII Verg 66/18, digitales Alarmierungssystem, juris Rn 52; Prieß/Friton, in Röwekamp/Kus/Marx/Protz/Prieß, VgV Kommentar, 2. Aufl., § 31 Rn 62). Ausgehend von diesen Grundsätzen hat der Senat eine sachliche Rechtfertigung für eine Produktvorgabe aus technischen Gründen bejaht, wenn im Interesse der Systemsicherheit und Funktion eine wesentliche Verringerung von tatsächlich bestehenden und abzuwendenden Risikopotentialen wie das Risiko von Fehlfunktionen und Kompatibilitätsproblemen bewirkt wird (Senat, Beschl. v. 16.10.2019 - VII Verg 66/18, digitales Alarmierungssystem, juris Rn 52; Senat, Beschl. v. 31.05.2017 - VII Verg 36/16, Drohnen, juris Rn 48; Senat, Beschl. v. 13.04.2016 - VII Verg 47/15, Voice over IP, juris Rn 26; Senat, Beschl. v. 22.05.2013 - VII Verg 16/12, Hochschulverwaltungssoftware, juris Rn 40; Prieß/Friton, in Röwekamp/Kus/Marx/Protz/Prieß, VgV Kommentar, 2. Aufl., § 31 Rn 57 ff.). Insbesondere im sicherheitsrelevanten Bereichen dürfen Auftraggeber den sichersten Weg einschlagen und so jedwedes Risikopotential ausschließen (OLG Celle, Beschl. v. 31.03.2020 - 13 Verg 13/19; ; Prieß/Friton, in Röwekamp/Kus/Marx/Protz/Prieß, VgV Kommentar, 2. Aufl., § 31 Rn 57). Bei sonstigen Kompatibilitätsproblemen, die bei der Beschaffung neuer Systemkomponenten - insbesondere von IT-Komponenten - regelmäßig auftreten können, muss der Auftraggeber demgegenüber aufzeigen, dass durch den Wechsel des Systems oder die produktneutrale Ergänzung ein unverhältnismäßiger Mehraufwand entstünde oder die Funktionalität auf nicht hinnehmbare Weise beeinträchtigt würde (vgl. Senat, Beschl. v. 16.10.2019 - VII Verg 66/18, digitales Alarmierungssystem, juris Rn 55; Prieß/Friton, in Röwekamp/Kus/Marx/Protz/Prieß, VgV Kommentar, 2. Aufl., § 31 Rn 59).
(2) Unter Zugrundelegung dieser Grundsätze, ist es vergaberechtlich nicht zu beanstanden, dass die Antragsgegnerin für die zu beschaffende Software produktspezifische Vorgabe gemacht, und entschieden hat, dass die bereits vorhandene Lernsoftware T. weiterhin genutzt werden soll, damit Lehrer und Schüler an den C.1 Schulen nur eine einheitliche Lernsoftware nutzen. Diese Entscheidung für eine produktspezifische Ausschreibung der Software ist sachlich gerechtfertigt, aufgrund objektiver und auftragsbezogener Gründe nachvollziehbar und diskriminierungsfrei getroffen und dokumentiert. Die Einführung einer zweiten Lernsoftware musste sie nicht in Erwägung ziehen, vielmehr ist die Entscheidung, vergaberechtlich nicht zu beanstanden.
(a) Die Antragsgegnerin hat bereits in dem Fragenkatalog vom 23.05.2023 zur Begründung der produktspezifischen Ausschreibung ausgeführt, dass ein Softwaremischbetrieb nicht möglich sei, da dies zu einem erhöhten Einarbeitungsaufwand in verschiedene herstellerspezifische Softwaresysteme führe. Dies hat sie im Rügeantwortschreiben vom 15.11.2023, durch ihr Vorbringen im Nachprüfungsverfahren sowie im Beschwerdeverfahren weiter ergänzt und vertieft, indem sie die Auswirkungen eines Softwaremischbetriebs auf die Schüler und den dadurch entstehenden Mehraufwand der Lehrer - zweifelsohne objektive und auftragsbezogene Gründe - näher dargelegt hat, denn ein solcher Softwaremischbetrieb würde Arbeitsabläufe im Schulalltag beeinträchtigen, weil Schüler die Schulen regelhaft wechselten - etwa beim Übergang von der Grundschule auf die weiterführende Schule oder aufgrund von Kooperationen und gemeinsamen Leistungskursen verschiedener Schulen. Auch gebe es mit dem C. zentrale Lernräume, die alle Schüler und Lehrkräfte nutzten. Sie müssten sich dabei an ein anderes System mit einem anderen Interface und einer anderen Software gewöhnen, was zu erheblichen Zeitverlust für die eigentlichen Lehrinhalte führen würde. Ein Softwaremischbetrieb würde auch bei den Lehrern zu einem erheblichen Mehraufwand führen, weil sie alle Dateien und Lehrinhalte in zwei unterschiedlichen Formaten erstellen und bearbeiten müssten, was wertvolle Unterrichtszeit kosten würde. Hierzu kann es nicht nur bei einem Mischbetrieb innerhalb einer Schule kommen, sondern auch dann, wenn Lehrkräfte an verschiedenen Schulen tätig sind, wie etwa die in der Stadt zahlreichen Poolkräfte oder Lehrkräfte, die sich mit anderen Lehrkräften Stellen teilen und deshalb an verschiedenen Schulen tätig seien.
(b) Ein Verstoß gegen die Dokumentationspflicht (vgl. Senat, Beschl. v. 16.10.2019 - VII Verg 66/18, digitales Alarmierungssystem, juris Rn 52; Senat, Beschl. v. 01.08.2012, Verg 10/12, Warnsystem, juris; ebenso OLG München, Beschl. v. 09.09.2010 - Verg 10/10 und OLG Jena, Beschl. v. 25.06.2014 - 2 Verg 1/14, juris Rn 46; Prieß/Friton, in Röwekamp/Kus/Marx/Protz/Prieß, VgV Kommentar, 2. Aufl., § 31 Rn. 61 f.) liegt nicht vor. Die Antragsgegnerin hat ihre Entscheidung für die Verwendung der Software T. hinreichend dokumentiert. Der Senat ist nicht gehindert, seiner Entscheidung das schriftsätzliche Vorbringen der Antragsgegnerin im Vergabenachprüfungs- und Beschwerdeverfahren zu Grunde zu legen. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und des Senats können Begründungs- und Dokumentationsmängel durch nachgeschobenen Vortrag im Nachprüfungsverfahren geheilt werden, solange sich keine Anhaltspunkte für Manipulationen finden und nicht zu besorgen ist, dass die Berücksichtigung der nachgeschobenen Dokumentationen nicht ausreichen könnte, um eine wettbewerbskonforme Auftragserteilung zu gewährleisten (BGH, Beschl. v. 08.02.2011 - X ZB 4/10, NZBau 2011, 175 Rn 73 - Abellio Rail; Senat, Beschl. v. 06.09.2023 - VII Verg 11/23; Senat, Beschl. v. 10.02.2021 - VII Verg 22/20, BeckRS 2021, 8801 Rn 47; Senat, Beschl. v. 21.10.2015 - VII Verg 28/14, BeckRS 2015, 18210 Rn 175; OLG Celle, Beschl. v. 12.05.2016 - 13 Verg 10/15, juris, Rn 73). Eine nachträgliche Heilung ist demnach möglich, wenn die Vergabestelle ihre Erwägungen im Laufe des Nachprüfungsverfahrens lediglich ergänzt und präzisiert (Senat, Beschl. v. 06.09.2023 - VII Verg 11/23; Senat, Beschl. v. 10.02.2021 - VII Verg 22/20, BeckRS 2021, 8801 Rn 47; Senat, Beschl. v. 23.03.2011 - VII Verg 63/10, NZBau 2011, 369, 371). Nur dann, wenn eine Vergabeentscheidung im Nachhinein nicht mehr aufgeklärt werden kann und die Begründung nicht nachvollziehbar ist, führt der Dokumentationsmangel dazu, dass das Vergabeverfahren ab dem Zeitpunkt, in dem die Dokumentation unzureichend ist, zu wiederholen oder bei schweren Mängeln aufzuheben ist (Senat, Beschl. v. 10.02.2021 - VII Verg 22/20, BeckRS 2021, 8801 Rn 47). Gemessen daran handelt es sich vorliegend bei dem weiteren Vorbringen im Vergabenachprüfungsverfahren lediglich um eine zulässige Ergänzung und Präzisierung der Begründung der in dem Fragenkatalog bereits niedergelegten produktspezifischen Ausschreibung der Software.
(c) Auf die Frage der Kompatibilität der T.-Software mit der Software der Antragstellerin, auf die Frage der Möglichkeit, T.-Dateien in einer herstellerfremden Software eines anderen Herstellers zu öffnen oder auf die Frage des Aufwands, den der Import und Export von T.-Dateien in das Softwaresystem der Antragstellerin erfordere oder einen möglichen Qualitätsverlust kommt es angesichts der Zulässigkeit der Entscheidung gegen einen Softwaremischbetrieb nicht an.
bb. Soweit die Antragstellerin im Rahmen der streitgegenständlichen Gesamtlosvergabe rügt, es sei vergaberechtsfehlerhaft, dass die Hardware nicht produktneutral ausgeschrieben worden sei, fehlt es an einem feststellbaren kausalen Schaden der Antragstellerin. Die Feststellung einer mindestens nicht ausschließbaren Beeinträchtigung der Auftragschancen des Antragstellers ist neben einer Rechtsverletzung für den Erfolg des Nachprüfungsantrags unerlässlich (Senat, Beschl. v. 15.06.2010 - Verg 10/10, BeckRS 2010, 19462 Rn 16; Senat, Beschl. v. 14.04.2010 - VII-Verg 60/09; Blöcker, in Röwekamp/Kus/Portz/Prieß, GWB-Vergaberecht, 5. Aufl., § 168 Rn 21). Daran fehlt es vorliegend, da die Auftragschancen der Antragstellerin durch die produktspezifische Ausschreibung nicht feststellbar gemindert worden sind, denn sie hätte sich auf die streitgegenständliche Ausschreibung (Gesamtlosvergabe) aufgrund der zulässigen spezifizierten Ausschreibung bei der Software, ohne eine zusätzliche Losaufteilung (Software und Hardware) nicht bewerben können.
cc. Ungeachtet dessen sind vorliegend auch die produktspezifischen Vorgaben in Bezug auf die Hardware unter Zugrundelegung der oben dargestellten Grundsätze (vgl. OLG Brandenburg, Beschl. v. 08.07.2021 - 19 Verg 2/21, NZBau 2022, 53, Rn 22; Senat, Beschl. v. 16.10.2019 - VII Verg 66/18, digitales Alarmierungssystem, juris Rn 52; Senat, Beschl. v. 01.08.2012, Verg 10/12, Warnsystem, juris; ebenso OLG München, Beschl. v. 09.09.2010 - Verg 10/10 und OLG Jena, Beschl. v. 25.06.2014 - 2 Verg 1/14, juris Rn 46; Prieß/Friton, in Röwekamp/Kus/Marx/Protz/Prieß, VgV Kommentar, 2. Aufl., § 31 Rn. 61 f.) vergaberechtlich nicht zu beanstanden.
(a) Die Antragsgegnerin hat entschieden, dass neben den bereits vorhandenen digitalen Displays der Firma T. im Rahmen der Ausstattung der restlichen Unterrichtsräume, die bisher noch nicht über digitale Displays verfügen, ebenfalls digitale Displays des Herstellers T. anzuschaffen sind. Auch diese Entscheidung ist vorliegend seitens der Antragsgegnerin sachlich gerechtfertigt und mit objektiven und auftragsbezogenen Gründen nachvollziehbar und diskriminierungsfrei getroffen worden, indem die Antragsgegnerin auf Kompatibilitätsprobleme verweist, die die Funktionalität in nicht hinnehmbarer Weise beeinträchtigen würden und einen unverhältnismäßigen Mehraufwand entstehen ließen (vgl. Senat, Beschl. v. 16.10.2019 - VII Verg 66/18, digitales Alarmierungssystem, juris Rn 55; Prieß/Friton, in Röwekamp/Kus/Marx/Protz/Prieß, VgV Kommentar, 2. Aufl., § 31 Rn 59), den die Antragsgegnerin durch die getroffene produktspezifische Ausschreibung ausschließen möchte, um im schulischen Umfeld eine gleichförmige Funktion einer Vielzahl von Endgeräten bei der Nutzung durch unterschiedliche Schülergruppen gewährleisten zu können (vgl. so auch OLG Brandenburg, Beschl. v. 08.07.2021 - 19 Verg 2/21, juris Rn 34).
(b) Die von der Antragsgegnerin im Rahmen des Fragenkatalogs vom 23.05.2023, der Vorbemerkung zur Leistungsbeschreibung (Ziff. I.5) dokumentierten und nachfolgend im Vergabenachprüfungsverfahren vor der Vergabekammer und dem Senat weiter spezifizierten Gründe sind nachvollziehbar und auftragsbezogen und genügen auch den weiteren vorgenannten Anforderungen an eine sachlich gerechtfertigte diskriminierungsfrei getroffene Entscheidung. So hat die Antragsgegnerin bereits im Fragenkatalog vom 23.05.2023 (vgl. etwa S. 4) darauf verwiesen, dass durch eine heterogene Umgebung die Gefahr von Inkompatibilitäten bestehe, ein erhöhter Supportaufwand entstehe, die eingesetzte MDM-Software herstellerspezifisch sei und Geräte anderer Hersteller nicht verwaltet werden könnten. Im weiteren Nachprüfungsverfahren vor der Vergabekammer und dem Senat hat sie ihre Erwägungen ergänzt und vertieft, wobei der Senat auch dieses Vorbringen nach den oben dargelegten Grundsätzen zum Nachschieben von Gründen (vgl. BGH, Beschl. v. 08.02.2011 - X ZB 4/10, NZBau 2011, 175 Rn 73 - Abellio Rail; Senat, Beschl. v. 06.09.2023 - VII Verg 11/23; Senat, Beschl. v. 10.02.2021 - VII Verg 22/20, BeckRS 2021, 8801 Rn 47) seiner Entscheidung zugrunde legen kann. Die Antragsgegnerin hat zu den Kompatibilitätsproblemen, die die Funktionalität in nicht hinnehmbarer Weise beeinträchtigen, und zu dem unverhältnismäßigen Mehraufwand - beides zweifelsohne jeweils objektive und auftragsbezogene Gründe - ihre Erwägungen ergänzt und vertieft. Diese Kompatibilitätsprobleme sind auch in der mündlichen Verhandlung umfassend erörtert worden. Unabhängig von der generellen Kompatibilität der T.-Software mit der Hardware anderer Hersteller, zu der sich T. in der vorausgegangenen Ausschreibung an sich verpflichtet hatte, und die zwischen den Beteiligten streitig ist, funktioniert nach den insoweit unstreitigen Ausführungen der Antragsgegnerin bei der Verwendung der T.-Software auf einem herstellerfremden Display in der Regel die automatische Stift- und Toucherkennung sowie die gleichzeitige Nutzbarkeit beider Funktionen nicht, vielmehr müssen diese Funktionen bei jedem Wechsel des Werkzeugs durch ein Anklicken der jeweiligen Funktion aktiviert werden, was in einer Unterrichtssituation unter Umständen nicht praktikabel sei. Zudem entsteht im Bereich des Supports ein Mehraufwand. Die bereits bei der Antragsgegnerin im Einsatz befindliche MDM-Verwaltungssoftware ist spezifisch auf die Displays der Firma T. angepasst worden und kann auf digitale Display anderer Hersteller nicht zugreifen und diese verwalten, so dass mit der Einführung von Displays anderer Hersteller die Wartung und der Support der Displays erschwert wird, weil zentral ausgeführten Wartungs-, und Servicearbeiten - wie etwa das Aufspielen von Updates und die Vornahme zentraler Geräteeinstellungen - doppelt ausgeführt werden müssten, wenn es verschiedene Hardware und damit verbunden zwei parallele Wartungssysteme (MDM-Software) gibt, was auch zu einem erhöhten Schulungsaufwand der IT-Mitarbeiter führt. Selbst wenn eine neue MDM-Software programmiert werden könnte, oder die MDM-Software der Antragstellerin verwendet werden würde, die nach ihrem Vortrag auch T. Geräte erfasst, sind mit dieser neuen Software - worauf die Antragsgegnerin verweist - neue Schnittstellen- und Funktionsrisiken verbunden. Schließlich entstünden zusätzliche Lizenzkosten - jedenfalls an denjenigen Schulen, die bisher noch nicht über eine Schullizenz aus der Vorausschreibung verfügten - , wenn die bereits vorhandene T. Software auf Geräten anderer Hersteller eigesetzt werden müsste, da die Kosten für den Erwerb von Lizenzen deutlich höher sind, wenn die Software auf Hardware anderer Hersteller installiert werden soll, als wenn sie einheitlich mit den Displays erworben werden würde, wobei eine Erteilung der Zustimmung der Firma T. für die Nutzung ihrer Software auf herstellerfremden Geräten keinesfalls sicher ist. Dass die Antragsgegnerin dabei keine Erwägungen dazu angestellt hat, ob die herstellerbezogenen Anforderungen gleichermaßen in Form von herstellerneutral ausgestalteten funktionalen und leistungsbezogenen Anforderungen hätten formuliert werden können, ist unschädlich, da in keiner Weise ersichtlich ist und von der Antragstellerin auch nicht aufgezeigt, dass und wie auf diese Weise die Kompatibilitätsprobleme und der dargestellte unverhältnismäßige Mehraufwand hätten behoben oder vermieden werden können.
Diese dargelegten Kompatibilitätsprobleme sowie der dargestellte Mehraufwand stellen vorliegend mit Blick auf den Umstand, dass im schulischen Umfeld zur Gewährleistung eines reibungslosen Unterrichts eine gleichförmige Funktion einer Vielzahl von Endgeräten bei der Nutzung durch unterschiedliche Schülergruppen zu gewährleisten ist (vgl. auch OLG Brandenburg, Beschl. v. 08.07.2021 - 19 Verg 2/21, juris Rn 34) einen unverhältnismäßigen Mehraufwand dar, wobei auch die Funktionalität für die Gewährleistung eines reibungslosen Unterrichts in nicht hinnehmbarer Weise beeinträchtigt ist. Das gilt insbesondere mit Blick auf die Notwendigkeit für jeden Fall eines Werkzeugwechsels an dem digitalen Display (Wechsel von Stift- zur Touchfunktion) per digitalen Knopfdruck ein Umschalttool betätigen zu müssen, was in der Summe einen erheblichen zusätzlichen zeitlichen Mehraufwand in der Unterrichtssituation begründet, welcher dem Unterricht nicht zur Verfügung steht, sowie mit Blick auf weitere Software-Lizenzkosten und die Notwendigkeit der Beschaffung eines weiteren MDM-Tools (und den damit verbundenen Problemen des parallelen Betriebs zweier Wartungssysteme) oder der Anpassung des bisherigen MDM-Tools, die aufgrund der Notwendigkeit der ungewissen Mitwirkung der Firma T. keinesfalls sicher erlangt werden kann.
(c) Auf den Umstand, ob demgegenüber die Lernsoftware der Beschwerdeführerin, die nach Angaben der Antragstellerin lizenzfrei zur Verfügung steht, auf allen herstellerfremden Geräten, kostenlos zur Verringerung des Mehraufwands installiert werden kann, kommt es vorliegend nicht an, da sich die Antragsgegnerin in vergaberechtlich zulässiger Weise für die einheitliche Verwendung der Software T. entscheiden durfte.
dd. Schließlich hat die Antragsgegnerin auch nicht gegen das Gebot der Markterkundung verstoßen. Einer solchen bedarf es bei der Ermittlung des Beschaffungsbedarfs nach ständiger Rechtsprechung nicht (OLG Brandenburg, Beschl. v. 08.07.2021 - 19 Verg 2/21, NZBau 2022, 53, Rn 22; Senat, Beschl. v. 16.10.2019 - VII Verg 66/18, digitales Alarmierungssystem, juris Rn 52; Senat, Beschl. v. 01.08.2012, Verg 10/12, Warnsystem, juris Rn 46; ebenso OLG München, Beschl. v. 09.09.2010 - Verg 10/10 und OLG Jena, Beschl. v. 25.06.2014 - 2 Verg 1/14, juris Rn 46; Prieß/Friton, in Röwekamp/Kus/Marx/Protz/Prieß, VgV Kommentar, 2. Aufl., § 31 Rn. 61 f.). Soweit die Antragstellerin auf die Entscheidung des OLG Celle (Beschl. v. 22.05.2008 - 13 Verg 1/08) sowie auf die Entscheidung des OLG Jena (Beschl. v. 26.06.2006 - 9 Verg 2/06) verweist, die eine Pflicht zur umfangreichen Markterkundung angenommen haben, haben sowohl das OLG Celle mit Beschluss vom 31.03.2020 (13 Verg 13/19, juris Rn 42) als auch das OLG Jena mit Beschluss vom 25.06.2014 (2 Verg 1/14, juris Rn 46) hieran nicht mehr festgehalten. Selbst wenn man eine Pflicht zur Markterkundung dahingehend unterstellen würde, dass die Antragsgegnerin dazu verpflichtet gewesen wäre zu erkunden, ob es Hersteller digitaler Displays am Markt gebe, bei denen keine Kompatibilitätsprobleme bestehen, die die Funktionalität in nicht hinnehmbarer Weise beeinträchtigen und einen unverhältnismäßigen Mehraufwand entstehen lassen, würden die Geräte der Antragstellerin diese Anforderungen aus den zuvor genannten Gründen nicht erfüllen; eine unterlassene Markterkundung verletzt die Antragstellerin daher mangels Kausalität für ihre Auftragschance jedenfalls nicht in ihren subjektiven Rechten.
b. Soweit die Antragstellerin eine unterlassene Fachlosaufteilung (getrennt nach Hard- und Software) im Sinne von § 97 Abs. 4 S. 2 Alt. 2 GWB (dazu unter aa.) rügt, fehlt es ihr mit Blick auf den Umstand, dass die produktspezifischen Bestimmungen in Bezug auf die Soft- und Hardware vergaberechtlich nicht zu beanstanden sind, bereits an einem kausalen Schaden (dazu unter aa.). Die Antragstellerin ist darüber hinaus nicht dadurch in ihren subjektiven Rechten verletzt, dass die Antragsgegnerin von der Bildung von Teillosen im Sinne von § 97 Abs. 4 S. 2 Alt. 1 GWB abgesehen hat (dazu unter bb.).
aa. Die Antragstellerin ist durch die vorgenommene Gesamtlosvergabe unter Absehen von einer Fachlosvergabe getrennt nach Hard- und Software im Sinne von § 97 Abs. 4 S. 2 Alt. 2 GWB nicht in ihren subjektiven Rechten nach § 97 Abs. 6 GWB verletzt.
(1) Fraglich ist bereits, ob es - was Voraussetzung einer Fachlosvergabe ist - für die Hardware und die Software digitaler Displays überhaupt getrennte Märkte gibt.
(a) Einer Fachlosvergabe und damit der Prüfung des Vorliegens eines Rechtfertigungsgrundes für eine Gesamtlosvergabe (eines wirtschaftlichen oder technischen Grundes) bedarf es nur, wenn es sich überhaupt um getrennte Märkte handelt (Senat, Beschl. v. 23.03.2011 - VII Verg 63/10, juris Rn 24 ff.).
Ob ein Teilausschnitt einer Leistung als Fachlos aufzufassen ist, bestimmt sich zunächst nach der allgemein oder regional üblichen Abgrenzung. Dabei ist auch von Belang, ob sich für spezielle Arbeiten mittlerweile ein eigener Markt herausgebildet hat (vgl. Senat, Beschl. v. 23.03.2011 - VII Verg 63/10, juris Rn 24 ff; Senat, Beschl. v. 11.07.2007 - VII Verg 10/07; Kus, in: Röwekamp/Kus/Portz/Prieß, GWB-Vergaberecht, 5. Aufl., § 97 Rn 197). Der Begriff ist damit nicht statisch. Vielmehr verändert er sich mit den sich wandelnden Marktverhältnissen. Das ist nach Sinn und Zweck des Gebots einer Vergabe nach Fachlosen auch nachvollziehbar. Zum einen dient sie dem Ziel einer fachlich hochstehenden Auftragsdurchführung, das durch eine - bei einer Fachlosvergabe erleichterten - Beteiligung spezialisierter Unternehmen gefördert wird (vgl. Senat, Beschl. v. 11.07.2007 - VII Verg 10/07). Zum anderen erleichtert sie die Beteiligung möglichst vieler Unternehmen an dem Vergabeverfahren, was auch Ziel des § 97 Abs. 4 GWB ist (BGH, Beschl. v. 08.02.2011 - X ZB 4/10 - Abellio Rail, Rn 51; Senat, Beschl. v. 21.07.2010 - VII Verg 19/10, NZBau 2010, 582). Beiden Zwecken wird eine Auslegung am ehesten gerecht, die die aktuellen Marktverhältnisse in den Blick nimmt. Die Feststellung, ob eine bestimmte Tätigkeit Gegenstand eines Fachloses - geworden - ist, kann bei sich im Umbruch befindlichen Marktverhältnissen für den Auftraggeber schwierig sein. Angesichts dessen, dass bereits eine Markterforschung zum Zwecke der Fachlosabgrenzung mit Aufwand verbunden sein kann und eine Ausschreibung für den öffentlichen Auftraggeber noch handhabbar sein muss, ist es nicht unzulässig, wenn er sich bei seiner Entscheidung davon leiten lässt, wie er nach seinen bisherigen Erfahrungen einen möglichst großen Bieterkreis ansprechen kann. Je mehr Unternehmen (noch) Gesamtleistungen aus einer Hand anbieten, desto eher wird es gerechtfertigt sein, von einer Fachlosvergabe abzusehen (Senat, Beschl. v. 23.03.2011 - VII Verg 63/10, juris Rn 24 ff).
(b) Vor diesem Hintergrund scheint bereits viel dafür zu sprechen, dass die Antragsgegnerin vergaberechtsfehlerfrei davon ausgehen durfte, dass es für die Hardware und die Software digitaler Displays bisher keine getrennten Märkte gibt. Die Antragsgegnerin, die sich seit mehreren Jahren mit den am Markt verfügbaren digitalen Displays und deren Funktionen auseinandersetzt, beispielsweise jährlich auf der Bildungsmesse didacta sowie im Austausch mit anderen öffentlichen Auftraggebern, konnte keine EU-weiten Ausschreibungen feststellen, in denen die Software und die Hardware digitaler Displays getrennt ausgeschrieben worden wäre. Auch die Antragstellerin hat im vorliegenden Verfahren keine nach Hard- und Software getrennten öffentliche Auftragsvergaben benennen können. Darüber hinaus bieten nahezu alle Unternehmen die Hardware und die Software als Gesamtleistung an und/oder bewerben in Werbeauftritten den Vorteil, sich in "einer digitalen Welt" zu bewegen.
(2) Jedenfalls fehlt es an einem kausalen Schaden der Antragstellerin, der ihr durch die unterlassene Fachlosvergabe entstanden ist. Die Feststellung einer mindestens nicht ausschließbaren Beeinträchtigung der Auftragschancen des Antragstellers ist neben einer Rechtsverletzung für den Erfolg des Nachprüfungsantrags unerlässlich (Senat, Beschl. v. 15.06.2010 - Verg 10/10, BeckRS 2010, 19462 Rn 16; Senat, Beschl. v. 14.04.2010 - VII-Verg 60/09). Hätte die Antragsgegnerin die Software und die Hardware nach Fachlosen getrennt ausgeschrieben, hätte die Antragstellerin angesichts der in Bezug auf die Hardware vergaberechtlich zulässig erfolgten produktspezifischen Festlegung auf den Hersteller T. (vgl. oben unter II.2.a.bb. der Gründe) kein Angebot abgeben können, so dass es an einem kausalen Schaden fehlt.
bb. Die Antragstellerin ist auch nicht dadurch in ihren subjektiven Rechten verletzt, dass die Antragsgegnerin von der Bildung von Teillosen im Sinne von § 97 Abs. 4 S. 2 Alt. 1 GWB abgesehen hat. Auch bei einer Teillosbildung - getrennt nach Schulen, die bereits über digitale Displays verfügen und solchen, die bisher noch nicht über digitale Displays verfügen - hätte die Antragstellerin keine Chancen auf den Zuschlag, da aus den oben unter II..2.a.aa. genannten Gründen die Antragstellerin für die gesamte ausgeschriebene Software produktspezifische Vorgaben vergaberechtsfehlerfrei machen konnte, so dass sich die Antragstellerin auch auf entsprechende Teillose - getrennt nach Schulen, die bereits über digitale Displays verfügen und solchen, die bisher noch nicht über digitale Displays verfügen - nicht hätte bewerben können.
3. Eines Vorabentscheidungsersuchens nach Art. 267 Abs. 2 AEUV an den Europäischen Gerichtshof bedarf es nicht.
a. Der Senat ist nicht gehalten, dem Europäischen Gerichtshof im Wege eines Vorabentscheidungsersuchens nach Art. 267 Abs. 2 AEUV die Frage vorzulegen, ob Art. 42 Abs. 2 der Richtlinie 2014/24/EU der Auslegung einer nationalen Vorschrift, wie § 31 Abs. 6 S. 1 HS 2 der deutschen Vergabeverordnung, entgegen steht, wonach für die Rechtfertigung einer herstellerbezogenen Leistungsbeschreibung Gründe herangezogen werden, die sich auf Produkteigenschaften eines bestimmten Herstellers und nicht auf den herstellerneutral definierten Auftragsgegenstand (im Sinne des Art. 42 Abs. 2 der Richtlinie 2014/24/EU bzw. § 31 Abs. 6 S. 1 HS 2 der deutschen Vergabeverordnung) beziehen. Einer Vorlage bedarf es deshalb nicht, weil es auf die Frage vorliegend nicht entscheidungserheblich ankommt. Die Rechtfertigung einer herstellerbezogenen Leistungsbeschreibung ergibt sich im Rahmen der streitgegenständlichen Ausschreibung nicht aus Gründen, die sich auf Produkteigenschaften eines bestimmten Herstellers beziehen, sondern aus nachvollziehbaren objektiven und auftragsbezogenen Gründen.
b. Der Senat ist weiter nicht gehalten, dem Europäischen Gerichtshof im Wege eines Vorabentscheidungsersuchens nach Art. 267 Abs. 2 AEUV die Frage vorzulegen, ob Art. 42 Abs. 2 der Richtlinie 2014/24/EU der Auslegung einer nationalen Vorschrift, wie § 31 Abs. 6 S. 1 HS 2 der deutschen Vergabeverordnung, entgegen steht, wonach für die Rechtfertigung einer herstellerbezogenen Leistungsbeschreibung nicht geprüft wird, ob die herstellerbezogenen Anforderungen gleichermaßen in Form von herstellerneutral ausgestalteten funktionalen und leistungsbezogenen Anforderungen hätten formuliert werden können. Einer Vorlage bedarf es deshalb nicht, weil diese Frage geprüft wird und vorliegend auch geprüft wurde und zwar inzident im Rahmen der Prüfung der Notwendigkeit einer herstellerbezogenen Leistungsbeschreibung.
c. Der Senat ist nicht gehalten, dem Europäischen Gerichtshof im Wege eines Vorabentscheidungsersuchens nach Art. 267 Abs. 2 AEUV die Frage vorzulegen, ob Art. 42 Abs. 2 der Richtlinie 2014/24/EU der Auslegung einer nationalen Vorschrift, wie § 31 Abs. 6 S. 1 HS 2 der deutschen Vergabeverordnung, entgegen steht, wonach für die Rechtfertigung einer herstellerbezogenen Leistungsbeschreibung ausreichen soll, dass der öffentliche Auftraggeber jedwede Risikopotentiale ausschließen und den sichersten Weg wählen möchte. Einer Vorlage bedarf es bereits deshalb nicht, weil es auch nach der vorliegenden Entscheidung des Senats, für eine Rechtfertigung einer herstellerbezogenen Leistungsbeschreibung nicht ausreicht, dass der öffentliche Auftraggeber jedwede Risikopotentiale ausschließen und den sichersten Weg wählen will. Auch hat die Antragsgegnerin ihre Entscheidung für eine produktspezifische Ausschreibung nicht allein damit begründet.
d. Der Senat ist schließlich nicht gehalten, dem Europäischen Gerichtshof im Wege eines Vorabentscheidungsersuchens nach Art. 267 Abs. 2 AEUV die Frage vorzulegen, ob Art. 42 Abs. 2 der Richtlinie 2014/24/EU der Auslegung einer nationalen Vorschrift, wie § 31 Abs. 6 S. 1 HS 2 der deutschen Vergabeverordnung, entgegen steht, wonach für die Rechtfertigung einer herstellerbezogenen Leistungsbeschreibung nicht erforderlich ist, dass die Notwendigkeit einer herstellerbezogenen Leistungsbeschreibung und das tatsächliche Vorhandensein der dafür angeführten Gründe auf Grundlage einer Markterkundung belegt werden kann. Einer Vorlage bedarf es deshalb nicht, weil es auf die Frage vorliegend nicht entscheidungserheblich ankommt. Selbst wenn man eine Pflicht zur Markterkundung dahingehend unterstellen würde, hätte die unterlassene Markterkundung die Antragstellerin vorliegend nicht in ihren subjektiven Rechten verletzen (vgl. dazu oben unter Ziff. II.2.b.dd. der Gründe).
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 175 Abs. 2 i.V.m. § 71 GWB. Demnach trägt die Antragstellerin die Kosten ihres unbegründeten Rechtsmittels.
Der Beschwerdewert wird auf bis 470.000,00 EUR festgesetzt. Die Entscheidung über die Festsetzung des Werts für das Beschwerdeverfahren beruht auf § 50 Abs. 2 GKG. Demnach beträgt der Gegenstandswert fünf Prozent des Bruttoauftragswerts des Angebots des Antragstellers (Senat, Beschl. v. 10.02.2021, VII-Verg 22/20, BeckRS 2021, 8801 Rn 56). Liegt - wie hier - ein solches Angebot nicht vor, ist auf den objektiven Wert des Auftrags, dessen Vergabe beabsichtigt ist, abzustellen (Senat, Beschl. v. 18.08.2021 - VII Verg 52/20, BeckRS 2021, 49378 Rn 43; Senat, Beschl. v. 17.05.2016, VII Verg 12/16). Hierfür bietet insbesondere die Schätzung des Auftraggebers einen hinreichenden Anhaltspunkt (Senat, Beschl. v. 17.06.2021 - VII-Verg 1/20 und Beschl. v. 11.05.2011 - VII Verg 1/11 - juris, Rn 44; Fölsch, in: Schneider/Volpert/Fölsch, Gesamtes Kostenrecht, 2. Aufl., § 50 Rn 25).
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OLG Düsseldorf
Beschluss
vom 16.05.2023
1. Über die Notwendigkeit eines Verfahrensbeteiligten, einen Rechtsanwalt zuzuziehen, ist nicht schematisch, sondern auf der Grundlage einer differenzierenden Betrachtung des Einzelfalls zu entscheiden. Bei einer Hinzuziehung durch die Behörde ist die Notwendigkeit nur in besonders gelagerten Einzelfällen anzunehmen.
2. Sofern im Mittelpunkt des Nachprüfungsverfahrens auftragsbezogene Sach- und Rechtsfragen stehen, spricht im Allgemeinen mehr dafür, dass der öffentliche Auftraggeber die erforderlichen Sach- und Rechtskenntnisse in seinem originären Aufgabenkreis ohnehin organisieren muss und daher auch im Nachprüfungsverfahren nicht notwendig eines anwaltlichen Bevollmächtigten bedarf.
3. Umgekehrt kann die Beteiligung eines Rechtsanwalts notwendig sein, wenn sich im Nachprüfungsverfahren darüber hinaus nicht einfach gelagerte Rechtsfragen, insbesondere verfahrensrechtlicher oder solcher Art stellen, die auf einer höheren Rechtsebene als jener der Vergabeordnungen zu entscheiden sind.
OLG Düsseldorf, Beschluss vom 07.08.2023 - Verg 6/23
vorhergehend:
VK Bund, Beschluss vom 23.02.2023 - VK 2-2/23
Tenor:
1. Die sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss der 2. Vergabekammer des Bundes vom 23. Februar 2023 (VK 2-2/23) wird zurückgewiesen.
2. Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen der Antragstellerin zu tragen.
3. Der Wert für das Beschwerdeverfahren wird auf bis 1.500,00 Euro festgesetzt.
Gründe:
I.
Die Antragsgegnerin schrieb mit Bekanntmachung vom 19. August 2022 im offenen Verfahren den Abschluss eines Rahmenvertrages über Reinigungsleistungen im Bundesverwaltungsgericht im Zeitraum 1. April 2023 bis zum 31. März 2027 EU-weit aus (Supplement zum Amtsblatt der Europäischen Union, Bekanntmachungsnummer ...). Der Auftrag war in die Lose Unterhaltsreinigung und Glasreinigung unterteilt. Vorliegend streitgegenständlich war Los 1, Unterhaltsreinigung. Der Preis war nicht das einzige Zuschlagskriterium (Ziffer II.2.5 der Bekanntmachung). Neben dem Preis mit 40 Prozent waren die qualitativen Kriterien Verweildauer je Quadratmeter mit 20 Prozent, unproduktive Stunden mit 10 Prozent und das Umsetzungskonzept mit 30 Prozent zu berücksichtigen.
Neben der Antragstellerin und der Beigeladenen gaben noch weitere Bieter ein Angebot ab. Mit Schreiben vom 4. Januar 2023 informierte die Antragsgegnerin die Antragstellerin nach § 134 GWB, dass ihr Angebot nicht berücksichtigt werden könne, da es nicht das wirtschaftlichste sei, und beabsichtigt sei, den Zuschlag auf das Angebot der Beigeladenen am 17. Januar 2023 zu erteilen. Nach Nachfragen zu ihrer Bewertung rügte die Antragstellerin am 12. Januar 2023 die beabsichtigte Zuschlagserteilung an die Beigeladene, die Wertung ihres Angebots sei fehlerhaft. Mit Antwortschreiben vom 13. Januar 2023 wies die Antragsgegnerin die Rügen zurück und erteilte der Beigeladenen am 16. Januar 2023 um 15:03 Uhr den Zuschlag.
Ebenfalls am 16. Januar 2023 hatte die Antragstellerin den Nachprüfungsantrag eingereicht, der der Antragsgegnerin allerdings erst um 15.22 Uhr übermittelt worden war. Nach Mitteilung von der Zuschlagserteilung hat die Antragstellerin ihr Begehren geändert und Feststellung der Unwirksamkeit des Vertragsschlusses nach § 135 Abs. 1 Nr. 1 GWB beantragt, weil im Vorabinformationsschreiben der früheste Zeitpunkt des Zuschlags mit 17. Januar 2023 angegeben gewesen sei. Zur Bewertung hat sie ausgeführt, dass die Erläuterung der Bewertungsformel in Bezug auf die unproduktiven Stunden widersprüchlich und auch die Wertung ihres Angebots nicht frei von Fehlern sei. So sei eine Bedarfsposition nur mit 30 Prozent berücksichtigt worden. Hinsichtlich der Verweildauer seien alle Räume und nicht nur die als wertungsrelevant definierten in die Wertung eingeflossen.
Dem sind die Antragsgegnerin und die Beigeladene entgegengetreten. Der Antrag sei bereits unzulässig. Der Zuschlag sei wirksam erteilt, die zehntägige Frist nach § 134 GWB sei abgelaufen gewesen. Zudem sei das Angebot der Antragstellerin aufgrund seines hohen Preises ohnehin chancenlos gewesen. Auch sei sie mit ihren Rügen präkludiert, da sie nicht bis zur Angebotsabgabe angebracht worden seien. In der Sache, so die Antragsgegnerin, habe die Bewertung der Bedarfsposition mit 30 Prozent keinen Einfluss auf die Platzierung. Die bei der Verweildauer mitberücksichtigten Flurflächen gehörten untrennbar zu den wertungsrelevanten Treppenhäusern.
Mit Beschluss vom 23. Februar 2023 hat die Vergabekammer unter hälftiger Teilung der Kosten die Unwirksamkeit des Vertragsschlusses mit der Beigeladenen festgestellt und der Antragsgegnerin die Wiederholung der Wertung aufgegeben. Dabei hat sie die Notwendigkeit der Hinzuziehung der Verfahrensbevollmächtigten der Antragsgegnerin - anders als bei der Antragstellerin und der Beigeladenen - verneint. Der erteilte Auftrag sei unwirksam, da die im Informationsschreiben nach § 134 GWB mitgeteilte Wartefrist nicht eingehalten worden sei. Nach Sinn und Zweck der Vorschrift sei die dort mitgeteilte Frist auch dann einzuhalten, wenn sie länger als die gesetzliche Mindestfrist sei. Soweit die Antragstellerin die Wertung ihres Angebots beanstande, sei ihr Nachprüfungsantrag zulässig und begründet. Die Antragsgegnerin habe den Preis nicht gemäß den bekanntgemachten Maßstäben ermittelt und auch bei Bewertung der Verweildauer sowie der unproduktiven Stunden nicht die bekanntgemachten Maßstäbe angewandt. Soweit die Antragstellerin die Grundlagen der Ausschreibung rüge, sei sie damit nach § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 GWB präkludiert. Die von ihr begehrte Rückversetzung in den Zeitpunkt vor Angebotsabgabe sei daher nicht veranlasst Von daher sei es auch billig, den Beteiligten die Kosten zu je 50 Prozent aufzuerlegen. Dabei sei allerdings nur die Hinzuziehung der Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin und der Beigeladenen notwendig gewesen. Die konkrete Anwendung der von ihr vorgegebenen Wertungskriterien gehöre zum originären Aufgabenkreis der Antragsgegnerin und sei daher von ihr selbst zu leisten. Das gelte auch für die Beurteilung der Rügeobliegenheit und Einhaltung der Vorgaben des § 134 GWB.
Hiergegen wendet sich die Antragsgegnerin mit ihrer sofortigen Beschwerde, soweit die Notwendigkeit der Hinzuziehung ihrer Verfahrensbevollmächtigten verneint worden ist. Sie trägt vor, aufgrund der bestehenden Vertretungsregelung sei das Bundesverwaltungsgerichts gezwungen gewesen, entweder aus sich selbst heraus eine Vertretung ihrer Interessen zu versuchen oder sich fachanwaltlich vertreten zu lassen. Beim Bundesverwaltungsgericht seien aber lediglich zwei Mitarbeitende des gehobenen Dienstes im Referat Haushalt und Beschaffungen für Vergabeverfahren zuständig. Auch außerhalb dieses Referats seien im Bundesverwaltungsgericht keine tiefergreifenden vergaberechtlichen Kenntnisse vorhanden. Generell sei das Vergaberecht eine schwierig gelagerte, komplexe Rechtsmaterie, bei der erst die große Erfahrung und hohe Spezialisierung von Fachanwälten eine optimale Rechtsverteidigung garantiere. Auch vorliegend habe es sich um nicht ganz einfach gelagerte verfahrenstechnische und rügetechnische Fragen gehandelt, wie etwa, ob ein wirksamer Vertragsschluss erfolgt und ob die Antragstellerin mit ihren Rügen präkludiert sei. Auch die Frage der Bewertung der unproduktiven Stunden sei rechtlich schwierig gewesen. Nicht umsonst sei die Sitzung für eine Zwischenberatung der Verfahrensbeteiligten unterbrochen worden, in der sich für sie schwierige prozesstechnische Fragen gestellt hätten und Risiken abzuwägen gewesen seien.
Die Antragstellerin beantragt,
1. den Beschluss der Vergabekammer des Bundes vom 23. Februar 2023 (VK 2-2/23) insoweit abzuändern, dass die Hinzuziehung ihres Verfahrensbevollmächtigten für notwendig erachtet wird;
2. der Antragstellerin die gerichtlichen und außergerichtlichen Kosten einschließlich der auf Seiten der Antragsgegnerin zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen im Beschwerdeverfahren aufzuerlegen.
Die Antragstellerin beantragt,
die sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin gegen die Entscheidung der Vergabekammer des Bundes vom 23. Februar 2023 - VK 2-2/23 - zurückzuweisen.
Die Vergabestelle sei der oberste Gerichtshof des Bundes für die Verwaltungsgerichtsbarkeit und verfüge über hochqualifizierte Juristen. Zudem gehöre sie zum Fachbereich des Bundesministeriums der Justiz, das über ein zentrales Vergabemanagement verfüge. Verfahrensgegenständlich seien Fragen der Anwendung des Vergaberechts gewesen, die zum originären Aufgabenkreis der Vergabestelle gehörten. Dass eine selbstgesetzte Frist einzuhalten sei, bedürfe keiner anwaltlichen Beratung. Auch Antragsbefugnis und Rügeobliegenheiten seien vergaberechtlicher Standard. Gleiches gelte für die Auslegung der Vergabeunterlagen und die Bewertung der Angebote.
II.
Die sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin, über die der Senat ohne mündliche Verhandlung entscheiden kann, weil sich die Beschwerde nur gegen eine Nebenentscheidung der Vergabekammer richtet (OLG Brandenburg, Beschluss vom 3. Januar 2019, 19 Verg 5/18, BeckRS 2019, 129 Rn. 11; Senatsbeschluss vom 10. Juli 2013, Verg 40/12, BeckRS 2014, 3553), ist zulässig, aber unbegründet.
1. Die sofortige Beschwerde ist nach § 171 Abs. 1 GWB statthaft. Zu den danach mit der sofortigen Beschwerde anfechtbaren Entscheidungen der Vergabekammer gehören auch Kostenentscheidungen, mit denen die Vergabekammer Gebühren und Auslagen nach § 182 Abs. 2 GWB festgesetzt hat. Diese können losgelöst von dem Schicksal der Hauptsache Gegenstand einer selbständigen sofortigen Beschwerde sein (BGH, Beschluss vom 25. Oktober 2011, X ZB 5/10, NZBau 2012, 186 Rn 9; OLG Brandenburg, Beschluss vom 3. Januar 2019, 19 Verg 5/18, BeckRS 2019, 129 Rn. 10). Dies gilt auch für Entscheidungen über die Notwendigkeit der Hinzuziehung von Verfahrensbevollmächtigten, die nach § 171 Abs. 1 Satz 1 GWB ebenfalls selbstständig anfechtbar sind (Senatsbeschlüsse vom 16. März 2020, VII-Verg 38/18, BeckRS 2020, 29123 Rn. 21, und vom 29. Mai 2019, VII-Verg 55/18).
2. Die sofortige Beschwerde ist jedoch unbegründet. Die Vergabekammer hat die Notwendigkeit einer Hinzuziehung der Verfahrensbevollmächtigten der Antragsgegnerin zu Recht verneint.
a) Gemäß § 182 Abs. 4 Satz 4 GWB i.V.m. § 80 Abs. 2 VwVfG sind auch die Gebühren und Auslagen des Verfahrensbevollmächtigten des Beigeladenen erstattungsfähig, wenn dessen Hinzuziehung im Verfahren vor der Vergabekammer in Anbetracht der dort aufgetretenen Schwierigkeiten im Ergebnis notwendig war. Über die Notwendigkeit eines Verfahrensbeteiligten, einen Rechtsanwalt zuzuziehen, ist nicht schematisch, sondern auf der Grundlage einer differenzierenden Betrachtung des Einzelfalls zu entscheiden (BGH, Beschluss vom 26. September 2006, X ZB 14/06, NZBau 2006, 800 Rn. 61 - Polizeianzüge; Senatsbeschlüsse vom 16. März 2020, VII-Verg 38/18, BeckRS 2020, 29123 Rn. 34 und vom 15. Mai 2018, VII-Verg 58/17; OLG Frankfurt a.M., Beschluss vom 2. November 2017, 11 Verg 8/17, ZfBR 2018, 198, 199). Entscheidend ist, ob der Beteiligte unter den Umständen des Falles auch selbst in der Lage gewesen wäre, aufgrund der bekannten oder erkennbaren Tatsachen den Sachverhalt zu erfassen und hieraus die für eine sinnvolle Rechtswahrung oder -verteidigung nötigen Schlüsse zu ziehen und das danach Gebotene gegenüber der Vergabekammer vorzubringen, wobei neben Gesichtspunkten wie der Einfachheit oder Komplexität des Sachverhalts, der Überschaubarkeit oder Schwierigkeit der zu beurteilenden Rechtsfragen auch rein persönliche Umstände bestimmend sein können (BGH, Beschluss vom 26. September 2006, X ZB 14/06, NZBau 2006, 800 Rn. 61 - Polizeianzüge).
Der Wortlaut des § 80 Abs. 2 VwVfG gilt allgemein, also auch für den Fall der Hinzuziehung durch die Behörde, wobei hier die Notwendigkeit allerdings nur in besonders gelagerten Einzelfällen anzunehmen ist (Kallerhoff/Keller in Stelkens/Bonk/ Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz, 10. Aufl. 2023, § 80 Rn. 85). Auch für den Bereich des Vergaberechts ist der Gesetzgeber davon ausgegangen, dass für den öffentlichen Auftraggeber als Antragsgegner bei der Klärung von rein auftragsbezogenen Sach- und Rechtsfragen oftmals keine Notwendigkeit der anwaltlichen Beratung besteht (BT-Drs. 16/10117, S. 25). Sofern im Mittelpunkt des Nachprüfungsverfahrens auftragsbezogene Sach- und Rechtsfragen stehen, spricht im Allgemeinen mehr dafür, dass der öffentliche Auftraggeber die erforderlichen Sach- und Rechtskenntnisse in seinem originären Aufgabenkreis ohnehin organisieren muss und daher auch im Nachprüfungsverfahren nicht notwendig eines anwaltlichen Bevollmächtigten bedarf (OLG Frankfurt, Beschluss vom 2. November 2017, 11 Verg 8/17, ZfBR 2018, 198, 199). Denn in seinem originären Aufgabenbereich muss er sich die für ein Nachprüfungsverfahren notwendigen Sach- und Rechtskenntnisse grundsätzlich selbst verschaffen; er kann dies nicht auf einen Rechtsanwalt abwälzen (Senatsbeschluss vom 31. Januar 2019, VII-Verg 9/18, BeckRS 2019, 40267 Rn. 20).
Umgekehrt kann die Beteiligung eines Rechtsanwalts notwendig sein, wenn sich im Nachprüfungsverfahren darüber hinaus nicht einfach gelagerte Rechtsfragen, insbesondere verfahrensrechtlicher oder solcher Art stellen, die auf einer höheren Rechtsebene als jener der Vergabeordnungen zu entscheiden sind (Senatsbeschluss vom 31. Januar 2019, VII-Verg 9/18, BeckRS 2019, 40267 Rn. 20; OLG Frankfurt, Beschluss vom 2. November 2017, 11 Verg 8/17, ZfBR 2018, 198, 199). Insoweit kann auch berücksichtigt werden, inwieweit die Vergabestelle über geschultes Personal und Erfahrung mit Vergabeverfahren verfügt (Senatsbeschluss vom 31. Januar 2019, VII-Verg 9/18, BeckRS 2019, 40267 Rn. 21; OLG Frankfurt, Beschluss vom 2. November 2017, 11 Verg 8/17, ZfBR 2018, 198, 199). Jedoch müssen verwaltungsinterne Möglichkeiten der Rechtsberatung genutzt werden (VGH Mannheim, Beschluss vom 27. Juni 2005, 2 S 2844/04, NJZ 2005, 5035, 5037). Auch der Gesichtspunkt der so genannten prozessualen Waffengleichheit kann in die Prüfung einfließen (Senatsbeschluss vom 16. März 2020, VII-Verg 38/18, BeckRS 2020, 29123 Rn. 34; OLG Frankfurt a.M., Beschluss vom 2. November 2017, 11 Verg 8/17, ZfBR 2018, 198, 199; OLG München, Beschluss vom 11. Juni 2008 Verg 6/08, ZfBR 2008, 724, 725).
b) Nach Maßgabe dieser Voraussetzungen war die Hinzuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten durch die Antragsgegnerin nicht notwendig.
Anders als die Antragsgegnerin meint standen im Mittelpunkt des Nachprüfungsverfahrens ausschließlich auftragsbezogene Sach- und Rechtsfragen, deren Beantwortung zum originären Aufgabenbereich der Vergabestelle gehören mit der Folge, dass die notwendigen Sach- und Rechtskenntnisse vorhanden sein oder selbst beschafft werden müssen.
Gegenstand des Nachprüfungsverfahrens waren im Wesentlichen die festgelegten Zuschlagskriterien mit ihren Unterkriterien sowie etwaige diesbezügliche Widersprüchlichkeiten und Abgrenzungsfragen. Daneben ging es um die Wertung der Angebote, die Einhaltung der in der Bieterinformation festgelegten Frist sowie um die Frage der Erkennbarkeit von Vergaberechtsfehlern im Zusammenhang mit einer Rügepräklusion nach § 160 Abs. 3 GWB. Die Formulierung und ggf. die Auslegung der Wertungskriterien sowie die Wertung der Angebote am Maßstab dieser Kriterien gehört zum originären Aufgabenkreis der Antragsgegnerin. Die hierfür erforderlichen Sach- und Rechtskenntnisse musste das Bundesverwaltungsgericht als Vergabestelle selbst organisieren. Es ist allein Sache des öffentlichen Auftraggebers seinen Beschaffungsbedarf zu bestimmen und dementsprechend die Vergabeunterlagen und damit auch die Zuschlagskriterien unter Berücksichtigung der einschlägigen vergaberechtlichen Vorgaben insbesondere des Transparenz- und Bestimmtheitsrundsatzes zu erstellen. Darüber hinaus stellt auch die Angebotswertung anhand der aufgestellten Kriterien eine dem Auftraggeber zugewiesene originäre Aufgabe dar. Keiner vertieften vergaberechtlichen Kenntnisse bedarf ferner das Abfassen der nach § 134 Abs. 1 Satz 1 GWB erforderlichen Bieterinformation und der Erkenntnis, dass eine selbst gesetzte Frist einzuhalten ist. Zudem ist es Sache des öffentlichen Auftraggebers auf Rügen von Bietern und Bewerbern vergaberechtskonform zu reagieren. Die Frage, ob einer Rüge nachzugehen oder die Rüge gemäß § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 GWB verspätet ist, weil der geltend gemachte Vergaberechtsverstoß in den Vergabeunterlagen erkennbar war und nicht bis zur Angebotsabgabe gerügt worden ist, erforderte die Hinzuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten ebenfalls nicht. Dass eine Rügepräklusion in der Regel nur für auf allgemeiner Überzeugung der Vergabepraxis beruhende und ins Auge fallende auftragsbezogene Rechtsverstöße in Betracht kommt (vgl. Dicks in Ziekow/Völlink, Vergaberecht, 4. Aufl. 2020, § 160 Rn. 49), gehört zu den vergaberechtlichen Grundkenntnissen, über die ein öffentlicher Auftraggeber verfügen muss. Überdies stand der Vergabestelle unterstützend das zentrale Vergabemanagement beim Bundesministerium der Justiz zur Verfügung, dessen Unterstützung sie auch in Anspruch genommen hat, wie die Antragstellerin in ihrem Schriftsatz vom 17. April 2023 von der Antragsgegnerin unwidersprochen vorgetragen hat.
Vor diesem Hintergrund vermag weder der Grundsatz der Waffengleichheit noch das Vorbringen der Antragstellerin zur personellen Ausstattung des Referats Haushalt und Beschaffungen bei der Vergabestelle, eine andere Beurteilung zu rechtfertigen.
III.
1. Die Kostenentscheidung beruht auf § 175 Abs. 2 i.V.m. § 71 GWB. Demnach trägt die Antragsgegnerin die Kosten ihres unbegründeten Rechtsmittels, wobei es der Billigkeit entspricht, ihr auch die zur zweckentsprechenden Erledigung der Angelegenheit notwendigen Auslagen der Antragstellerin aufzuerlegen.
2. Die Entscheidung über die Festsetzung des Werts für das Beschwerdeverfahren erfolgt bei Rechtsmitteln, die sich nur gegen die Kostenentscheidung oder die Gebührenfestsetzung der Vergabekammer richten, analog § 3 ZPO nach dem finanziellen Interesse des Rechtsmittelführers an der Abänderung der angefochtenen Entscheidung (Senatsbeschluss vom 2. Mai 2022, VII-Verg 5/22, OLG Koblenz, Beschluss vom 16. Januar 2017, Verg 5/16, BeckRS 2017, 100983).
Für die vorliegend von der Antragsgegnerin begehrte Abänderung der Entscheidung zur Notwendigkeit der Hinzuziehung ihrer Verfahrensbevollmächtigten und Erklärung für notwendig gilt nichts anderes. Ihr Interesse an der Abänderung der Entscheidung der Vergabekammer entspricht der Hälfte gebührenrechtlich angemessenen Vergütungsforderung ihrer Verfahrensbevollmächtigten, die vorliegend mit 1.383,00 Euro zu bemessen ist, womit der Wert in die Gebührenstufe bis 1.500,00 Euro fällt.
Für seine Tätigkeit im vergaberechtlichen Nachprüfungsverfahren vor der Vergabekammer verdient der Rechtsanwalt in Ermangelung eines konkreten Gebührentatbestands eine Geschäftsgebühr nach Teil 2 Abschnitt 3 des Vergütungsverzeichnisses zum Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (BGH, Beschluss vom 23. September 2008, X ZB 19/07, NZBau 2008, 782 Rn. 8), wobei angesichts der Komplexität des Vergabeverfahrens bei Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit mehreren Beteiligten in der Regel eine Geschäftsgebühr 2,0 angemessen ist (Senatsbeschluss vom 12. März 2008, VII-Verg 8/08, BeckRS 2009, 5463, OLG München, Beschluss vom 27. August 2009, Verg 04/09, BeckRS 2009, 27006; Krohn in Burgi/Dreher, Beck`scher Vergaberechtskommentar, 4. Aufl. 2022, GWB § 182 Rn. 68).
Ausgehend von dem von der Antragsgegnerin ausweislich der Vergabeakte ermittelten Jahresbruttowert der von der Antragstellerin angebotenen Leistung und unter Berücksichtigung der Vertragslaufzeit von vier Jahren ergibt sich in entsprechender Anwendung von § 50 Abs. 2 GKG ein Gegenstandswert von bis 65.000,00 Euro, auf dessen Basis das Rechtsanwaltsvergütungsgesetz in der seit dem 1. Januar 2021 geltenden Fassung eine Geschäftsgebühr von 1373,00 Euro bestimmt. Bei Zugrundelegung einer 2,0 Geschäftsgebühr für den Verfahrensbevollmächtigten der Antragsgegnerin und einer Post- und Telekommunikationspauschale in Höhe von 20,00 Euro errechnen sich hieraus notwendige Auslagen in Höhe von 2.766,00 Euro, von denen die Antragstellerin im Erfolgsfalle 50 Prozent zu tragen gehabt hätte.
Kein zuschlagsfähiges Angebot: Verfahrensaufhebung rechtmäßig!
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OLG Naumburg
Beschluss
vom 19.07.2024
6 Verg 1/24
1. Reicht ein Bieter im Rahmen eines Offenen Verfahrens, in dem die Lieferung einer produktscharf und modellbezogen beschriebenen Ware gefordert und die Lieferung des Nachfolgenmodells unter der Bedingung der Vorlage einer zusätzlichen Herstellerbescheinigung über die Kompatibilität eröffnet wurde, innerhalb der Angebotsfrist ein Angebot über die Lieferung des geforderten Produkts ein, so ist eine Verschlechterung seiner Zuschlagschancen im Vergabeverfahren auszuschließen, wenn er selbst nachträglich erklärt, zur Lieferung des angebotenen Produkts nicht in der Lage zu sein. Dem steht nicht entgegen, dass er nach Ablauf der Angebotsfrist erklärt, zur Lieferung des Nachfolgemodells fähig zu sein.*)
2. Allein dadurch, dass der Auftraggeber trotz erteilter Vorabinformation i.S.v. § 134 GWB zugunsten eines Bieters den Zuschlag in dem Vergabeverfahren nicht an diesen Bieter erteilt, verstößt der öffentliche Auftraggeber noch nicht gegen eine bieterschützende vergaberechtliche Regelung.*)
3. Ein anderer schwerwiegender, vom Gewicht den enumerativ in § 63 Abs. 1 Nr. 1 bis Nr. 3 VgV aufgeführten Aufhebungsgründen äquivalenter Grund für eine Aufhebung der Ausschreibung liegt darin, dass zum Zeitpunkt der Aufhebungsentscheidung kein Angebot mehr vorliegt, welches den Ausschreibungsbedingungen entspricht.*)
OLG Naumburg, Beschluss vom 19.07.2024 - 6 Verg 1/24
vorhergehend:
VK Sachsen-Anhalt, 23.01.2024 - 1 VK LSA 19/23
Tenor:
Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss der 1. Vergabekammer des Landes Sachsen-Anhalt vom 23. Januar 2024 wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat die Antragstellerin zu tragen.
Der Geschäftswert des Beschwerdeverfahrens wird auf eine Wertstufe bis zu 19.000 Euro festgesetzt.
Gründe:
A.
Die Antragsgegnerin, eine obere Landesbehörde mit Zuständigkeiten im Bereich des regionalen Straßennetzes, veranlasste am 26.06.2023 die EUweite Ausschreibung eines Lieferauftrags über die Lieferung von 250 Stück Notebooks mit Zubehör bis zum 31.08.2023 im Offenen Verfahren auf der Grundlage der Vergabeverordnung (VgV). Der Gegenstand der Lieferung wurde in der Bekanntmachung der Ausschreibung produktspezifisch mit "A. Gen 3 (...), Modellnummer: C. (ohne Betriebssystem)" angegeben. Weiter hieß es, dass die zu liefernde Hardware aus Kompatibilitätsgründen den angegebenen Spezifikationen entsprechen müsse; ähnliche oder gleichwertige Modelle seien nicht anzubieten (vgl. Abschnitt II.1.4.). Einziges Zuschlagskriterium war der Preis. Das Ende der Angebotsfrist wurde auf den 26.07.2023, 10:00 Uhr, festgesetzt (vgl. IV.2.2.). Als Kommunikationsweg wurde ausschließlich eine elektronische Kommunikation über das Internetportal www. ... de (künftig: Vergabeplattform) unter der o.a. Referenznummer eröffnet. Weder die Angebotsabgabe noch Anfragen waren in Papierform oder per E-Mail zugelassen (vgl. VI.3.). Auf der Vergabeplattform wurden auch die Vergabeunterlagen in elektronischer Form zum Download bereitgestellt.
Auf entsprechende Bieteranfragen informierte die Antragsgegnerin am 17.07.2023 über die Vergabeplattform darüber, dass abweichend von den Vorgaben der Leistungsbeschreibung und entgegen vorausgegangener Auskünfte nun auch das Nachfolgemodell (Gen 4) angeboten werden könne. Im Falle eines Angebots des Nachfolgemodells sei die vollständige Kompatibilität mit der aktuellsten G. OS Version zu gewährleisten. Mit dem Angebot sei eine entsprechende Bestätigung der G. T. GmbH einzureichen. In einer Bieterinformation vom 19.07.2023 wurde bestätigt, dass die Konfiguration der angebotenen Geräte so zu wählen sei, dass die Mindestanforderungen des Modells C. erfüllt würden. Eine entsprechende Bescheinigung durch G. sei dem Angebot "UNBEDINGT BEIZUFÜGEN". Am 24.07.2023 teilte eine Bieterin mit, dass G. sie darüber informiert habe, dass das Nachfolgemodell Gen 4 noch nicht auf Kompatibilität mit der aktuellsten Version von G. OS geprüft worden sei.
Innerhalb der Angebotsfrist gingen insgesamt neun Angebote ein, darunter auch das Angebot der Antragstellerin vom 25.07.2023. Dieses bezog sich auf das von der Antragsgegnerin ursprünglich vorgegebene Modell A. Gen 3 (...), Modellnummer C. . Nach Abschluss der formalen und rechnerischen Prüfung wurden sieben Angebote ausgeschlossen, weil sie jeweils die Lieferung des Nachfolgemodells der Generation 4 beinhalteten und kein Nachweis der Kompatibilität der angebotenen Laptops mit der aktuellen Version von G. OS beigefügt war.
Mit Schreiben vom 07.08.2023 informierte die Antragsgegnerin die Teilnehmer des Vergabeverfahrens u.a. darüber, dass am 18.08.2023 eine Zuschlagserteilung auf das Angebot der Antragstellerin beabsichtigt sei. Tatsächlich wurde im Verfahren kein Zuschlag erteilt.
Am 22.08.2023 teilte die Antragstellerin der Antragsgegnerin mit, dass sie von ihrem Distributor (Großhändler) die Mitteilung bekommen habe, dass Geräte der Gen 3 nicht mehr in der geforderten Stückzahl verfügbar seien. Sodann hieß es in der Mitteilung "daher weichen wir mit ihrer Zustimmung auf das Modell Gen 4 um." Ihrer Nachricht fügte die Antragstellerin ein Produktdatenblatt des neuen Modells bei. Am 24.08.2023 erklärte die Antragstellerin, dass sie von G. die Bestätigung erhalten habe, dass die Notebooks kompatibel seien.
Die Antragsgegnerin bat die Antragstellerin und zwei weitere Bieter am 24.08.2023 um eine Verlängerung der Bindefrist.
Am 15.09.2023 informierte die Antragsgegnerin die Bieter, darunter die Antragstellerin, über die Aufhebung des Vergabeverfahrens. Zur Begründung wurde angeführt, dass der den Vergabeunterlagen zugrundeliegende Lieferauftrag "aufgrund der dynamischen Prozesse am Markt sowie insbesondere hinsichtlich der vorgegebenen erforderlichen Zertifizierung durch G. bis zum ausgeschriebenen Liefertermin nicht im nachgefragten Umfang beschafft werden" könne. Es sei beabsichtigt, ein erneutes Vergabeverfahren mit überarbeiteter Leistungsbeschreibung durchzuführen. Auf nahezu gleichlautende Nachfragen der Antragstellerin vom 16.09.2023 und vom 01.10.2023 führte die Antragsgegnerin im Schreiben vom 02.10.2023 weiter aus, dass zum Ende der Angebotsfrist nur Angebote vorgelegen hätten, welche nicht den Ausschreibungsbedingungen entsprochen hätten, da das geforderte Modell nicht mehr lieferbar gewesen sei. Angebote mit anderen, gleichwertigen Produkten oder Nachfolgemodellen seien nicht zugelassen gewesen. Die nachträgliche Öffnung des Verfahrens für andere Modelle sei nur unter bestimmten Voraussetzungen zulässig. Die weitere Prüfung habe ergeben, dass es zweckmäßiger sei, die Ausschreibung aufzuheben und die neue Ausschreibung so zu gestalten, dass die Dynamik der Produktzyklen der Hardware und die unumgänglichen Anforderungen an die Kompatibilität (Zertifizierung) Berücksichtigung fänden.
Mit Schriftsatz vom 05.10.2023 beanstandete die Antragstellerin, dass die über die Vergabeplattform versandte Mitteilung der Antragsgegnerin vom 15.09.2023 über die Aufhebung der Ausschreibung keine ordnungsgemäße Information i.S.v. §§ 63 Abs. 2 i.V.m. 62 Abs. 1 VgV darstelle, weswegen eine Abhilfe durch Übersendung eines ordnungsgemäßen Informationsschreibens bis zum 10.10.2023 unter Mitteilung der Gründe für die Aufhebung des Vergabeverfahrens verlangt werde. Darüber hinaus rügte sie die Aufhebung der Ausschreibung als "schwerwiegend vergaberechtswidrig" und verlangte, das Verfahren in den Stand vor der Aufhebung zurückzuversetzen, es teilweise zu wiederholen und letztlich den Zuschlag auf ihr Angebot zu erteilen. Sie vertrat die Auffassung, dass die Antragsgegnerin nach Übersendung der Vorabinformation an deren Inhalt bezüglich der Auswahl des wirtschaftlichsten Angebots gebunden sei. Auch sei eine Verlängerung der Bindefrist nach Absendung der Vorabinformation nach § 134 GWB verboten. Die Aufhebung sei unwirksam, weil sie auf sachfremde Erwägungen gestützt worden sei. Der angeführte Aufhebungsgrund nach § 63 Abs. 1 Nr. 1 VgV - kein den Bedingungen entsprechendes Angebot - habe nicht vorgelegen, wie sich aus der Vorabinformation ergebe. Auch eine Aufhebung nach § 63 Abs. 1 Nr. 2 VgV wegen wesentlicher Änderung der Grundlage des Vergabeverfahrens sei nicht gerechtfertigt, hierfür seien die Prozesse am Markt nicht schnelllebig genug.
Die Antragsgegnerin teilte der Antragstellerin mit Schreiben vom 10.10.2023 mit, dass sie den Rügen nicht abhelfe.
Mit Schriftsatz vom 10.10.2023 hat die Antragstellerin die Einleitung eines Nachprüfungsverfahrens bei der Vergabekammer des Landes Sachsen-Anhalt mit dem Ziel beantragt, dass die Antragsgegnerin verpflichtet werden möge, die willkürliche Aufhebung des Vergabeverfahrens aufzuheben, das Angebot der Antragstellerin im Vergabeverfahren zu berücksichtigen und eine erneute Vorabinformation i.S.v. § 134 GWB zu erteilen (Antrag zu 2), hilfsweise die Antragsgegnerin zu verpflichten, das Vergabeverfahren in den Stand vor der Aufhebung zurückzuversetzen und unter Beachtung der Rechtsauffassung der Nachprüfungsinstanz fortzusetzen (Antrag zu 3).
Der Vorsitzende der Vergabekammer hat die nach § 167 Abs. 1 Satz 1 GWB bis zum 14.11.2023 laufende Entscheidungsfrist durch seine Verfügung vom 14.11.2023 zunächst bis zum 19.12.2023 sowie durch Verfügung vom 15.12.2023 bis zum 23.01.2024 verlängert. Die Vergabekammer hat die Antragstellerin mit Schreiben vom 22.11.2023 darauf hingewiesen, dass und aus welchen Gründen sie den Nachprüfungsantrag für unzulässig halte.
Die Vergabekammer hat den Nachprüfungsantrag der Antragstellerin im schriftlichen Verfahren durch Beschluss vom 23.01.2024 als unzulässig verworfen. Sie stützt ihre Entscheidung im Wesentlichen darauf, dass es der Antragstellerin an der nach § 160 Abs. 2 GWB erforderlichen Antragsbefugnis fehle, weil ihr eigenes Angebot einer Zuschlagserteilung nicht zugänglich sei, so dass ausgeschlossen sei, dass sie durch eine etwaig rechtswidrige Aufhebung der Ausschreibung in ihren geschützten Rechten beeinträchtigt sein könne. Weitere Rügen der Antragstellerin im Nachprüfungsantrag, so die Rüge einer vermeintlich unzulässigen Vergabeart, einer vermeintlich unangemessen kurzen Angebotsfrist, einer vermeintlich vergaberechtswidrigen Nichtveröffentlichung einer Änderungsbekanntmachung mit Öffnung für das Nachfolgemodell Gen 4 sowie einer vermeintlich fehlerhaften Information über die Aufhebungsgründe, seien nach § 160 Abs. 3 GWB präkludiert, weil sie vor Einleitung des Nachprüfungsverfahrens nicht gegenüber der Antragsgegnerin erhoben worden seien.
Gegen diese ihr am 25.01.2024 zugestellte Entscheidung richtet sich die mit Schriftsatz vom 06.02.2024 erhobene und am selben Tage per beA beim Oberlandesgericht Naumburg eingegangene sofortige Beschwerde der Antragstellerin.
Die Antragstellerin ist u.a. der Meinung, dass sie antragsbefugt sei. Die Vorabinformation der Antragsgegnerin vom 07.08.2023 belege, dass sie ein zuschlagsfähiges Angebot abgegeben habe. Im Übrigen genüge es für die Zulässigkeit des Nachprüfungsantrags, dass ihr Angebot nicht offensichtlich auszuschließen gewesen sei. Ihre eigene Mitteilung vom 22.08.2023 sei unbeachtlich, weil sie erst vier Tage nach dem avisierten Termin der Zuschlagserteilung bei der Antragsgegnerin eingegangen sei. Zudem sei die Änderung des Angebots von der Zustimmung der Antragsgegnerin abhängig gemacht worden. Die Antragsgegnerin habe versäumt, eine Angebotsaufklärung durchzuführen.
Es folgen Ausführungen zur Begründetheit des Nachprüfungsantrags. So sei eine Aufhebung der Aufhebung der Ausschreibung vorzunehmen, weil es für die Aufhebung an einem sachlichen Grund fehle. Insbesondere sei keiner der Gründe des § 63 Abs. 1 VgV einschlägig. Es sei keine ordnungsgemäße Information über die Aufhebung erfolgt. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Beschwerdeschrift Bezug genommen.
Die Antragstellerin beantragt in der Hauptsache,
1.den Beschluss der 1. Vergabekammer des Landes Sachsen-Anhalt vom 23.01.2024 aufzuheben und die Antragsgegnerin zu verpflichten, das Vergabeverfahren "Lieferung von 250 Stück A. Notebooks mit Zubehör", Vergabenummer Z ... 2023 bei fortbestehender Beschaffungsabsicht unter Beachtung der Rechtsauffassung des Vergabesenats fortzuführen, das Angebot der Antragstellerin in diesem Vergabeverfahren zu berücksichtigen und eine erneute Vorabinformation i.S.d. § 134 GWB zu erteilen,
2.festzustellen, dass die Aufhebung des vorgenannten Vergabeverfahrens durch die Antragsgegnerin willkürlich, unter mehrfachen Verletzungen der Bestimmungen über das Vergaberecht erging und die Antragstellerin deshalb in ihren Rechten verletzt hat.
Zudem hat sie den Antrag gestellt, ihr Einsicht in die Vergabeakte zu gewähren, und diesen Antrag auf Nachfrage des Senats dahin konkretisiert, dass sie Einblick in die Vergabedokumentation und in den Vergabevermerk begehre.
Die Antragsgegnerin beantragt,
die sofortige Beschwerde der Antragstellerin zurückzuweisen.
Sie verteidigt in ihrer Stellungnahme vom 03.06.2024 im Wesentlichen die angefochtene Entscheidung und vertieft u.a. die Ansicht, dass ein Zuschlag auf das geänderte Angebot der Antragstellerin wegen eines Verstoßes gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz und das Nachverhandlungsverbot rechtswidrig gewesen wäre. Es erschließe sich nicht, welcher Schaden aus der Aufhebung der Ausschreibung für die Antragstellerin entstanden sein solle, da sie zur Erfüllung ihres ursprünglichen Angebots nicht in der Lage gewesen sei.
Der Senat hat mit seinem Beschluss vom 04.06.2024 das Akteneinsichtsgesuch der Antragstellerin zurückgewiesen und ausführliche Hinweise zur vorläufigen Bewertung der Sach- und Rechtslage erteilt. Mit Zustimmung beider Beteiligter hat der Senat mit Beschluss vom 20.06.2024 das schriftliche Verfahren nach §§ 175 Abs. 2, 65 Abs. 1 Halbsatz 2 GWB, d.h. die Verhandlung und Entscheidung ohne mündliche Verhandlung, angeordnet und den 10.07.2024 als Schlusstermin bestimmt.
Die Verfahrensbeteiligten haben im schriftlichen Verfahren jeweils ergänzend Stellung genommen, die Antragstellerin mit Schriftsätzen vom 17.06.2024 (und teilweise übereinstimmend vom 18.06.2024) sowie vom 09.07.2024, die Antragsgegnerin mit Schriftsatz vom 28.06.2024.
B.
Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin ist zwar zulässig, sie hat aber in der Sache keinen Erfolg.
Die Vergabekammer ist zu Recht von der Unzulässigkeit des Nachprüfungsantrages der Antragstellerin ausgegangen; die von der Antragstellerin hiergegen erhobenen Einwendungen sind unbegründet.
I. Die Antragstellerin hat für ihren Antrag zu 1, gerichtet auf eine Fortführung des Vergabeverfahrens, keine Antragsbefugnis.
1. Nach § 160 Abs. 2 GWB liegt eine Antragsbefugnis des Antragstellers dann vor, wenn er ein Interesse an dem konkreten, den Gegenstand des zur Nachprüfung gestellten Vergabeverfahrens bildenden öffentlichen Auftrag hat - dieses Interesse hat die Antragstellerin durch ihre Angebotserstellung, ihre Rügen und nicht zuletzt auch durch das Betreiben des Nachprüfungsverfahrens hinreichend erkennen lassen -, er eine Verletzung von Vergabevorschriften geltend macht - auch dies steht hinsichtlich der von der Antragstellerin erhobenen Rügen nicht in Zweifel - und zumindest schlüssig darlegen kann, dass ihm durch die behauptete Rechtsverletzung entweder bereits ein Schaden entstanden ist oder zumindest ein Schaden zu entstehen droht. Der Begriff des Schadens ist unter dem Gesichtspunkt des Primärrechtsschutzes dahin auszulegen, dass durch die beanstandeten Rechtsverletzungen die Aussichten des jeweiligen Antragstellers auf den Zuschlag zumindest verschlechtert sein können. Entscheidend ist dabei die Eignung der geltend gemachten Vergaberechtsverstöße, eine solche Chancenbeeinträchtigung zu begründen. Die Antragstellerin hat zu Recht darauf verwiesen, dass bei der Prüfung der Zulässigkeit des Nachprüfungsantrags keine zu hohen Anforderungen an diese Darlegung gestellt werden dürfen und die Frage der Kausalität eines festgestellten Vergaberechtsverstoßes für die Beeinträchtigung der Zuschlagschance des antragstellenden Bieters u.U. im Rahmen der Prüfung der Begründetheit einer Rüge erneut aufzugreifen ist (vgl. nur BVerfG, Beschluss v. 29.07.2004 - 2 BvR 2248/03, BVerfGK 3, 355).
2. Nach diesen Maßstäben ist es hier auszuschließen, dass die Zuschlagschance der Antragstellerin in dem am 26.06.2023 eingeleiteten Vergabeverfahren durch ein vergaberechtswidriges Verhalten der Antragsgegnerin beeinträchtigt ist.
a) Die Antragsgegnerin hat ein EU-weites Offenes Verfahren i.S.v. § 119 Abs. 3 GWB durchgeführt, auf welches sich die Antragstellerin rügelos eingelassen hat - eine Rüge hätte sie nach § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 GWB bis zum Ablauf der Angebotsfrist am 26.07.2023 erheben müssen, um sie in einem Nachprüfungsverfahren weiterverfolgen zu können. Das Offene Verfahren ist nach § 15 Abs. 5 VgV u.a. dadurch gekennzeichnet, dass die Vergabestelle nach dem Ablauf der Angebotsfrist über den Inhalt des Angebots nicht mehr verhandeln darf, was einschließt, dass der betreffende Bieter keine inhaltlichen Änderungen an seinem Angebot mehr vornehmen darf (vgl. nur Rechten in: Röwekamp/ Kus/ Portz/ Prieß, a.a.O., § 15 Rn. 52 ff. m.w.N.).
b) Innerhalb der hier bis zum 26.07.2023 laufenden Angebotsfrist gab die Antragstellerin ein Angebot ab, welches die Lieferung von 250 Notebooks der von der Antragsgegnerin in der Leistungsbeschreibung produktscharf beschriebenen Modellversion der Generation 3 bis zum 31.08.2023 beinhaltete. Dieses Angebot ist maßgeblich für die weitere Betrachtung der Zuschlagschancen der Antragstellerin im konkreten Vergabeverfahren. Das von ihr im Rahmen der Bieterkommunikation über die Vergabeplattform am 22.08.2023 unterbreitete Angebot von Notebooks der Generation 4 ist insoweit von vornherein unbeachtlich, weil es nach dem Ablauf der Angebotsfrist bei der Antragsgegnerin einging und deswegen schon nach § 57 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 2 VgV nicht zuschlagsfähig war. Für diese Bewertung kommt es auch nicht darauf an, ob die Antragstellerin im Hinblick auf die Bieterinformation vom 17.07.2023 berechtigt gewesen wäre, Notebooks der Generation 4 anzubieten, weil sie von dieser Möglichkeit jedenfalls innerhalb der Angebotsfrist keinen Gebrauch machte.
c) Hinsichtlich ihres Angebots vom 25.07.2023, bezogen auf Notebooks der Generation 3, hat die Antragstellerin am 22.08.2023 selbst eingeräumt, dass sie zu der von ihr angebotenen Lieferleistung in dieser Form jedenfalls ab dem 22.08.2023 nicht mehr in der Lage war. Für diese Feststellung ist es nicht erheblich, ob die Antragstellerin bis zum 22.08.2023 zu einer Lieferung der Notebooks der Generation 3 imstande gewesen wäre, wie sie zwar behauptet, woran aber angesichts des Wortlauts ihrer Mitteilung vom 22.08.2023, welcher eine Kommunikation mit ihrem Großhändler zeitlich vorausgegangen sein muss, und angesichts des Angebotsverhaltens anderer Bieter erhebliche Zweifel bestehen. Insoweit hatten sich die tatsächlichen Verhältnisse im Verlaufe des Vergabeverfahrens objektiv verändert. Dieser nachträglich eingetretene Umstand durfte und musste von der Antragsgegnerin bei ihren zeitlich nachfolgenden Entscheidungen im Vergabeverfahren berücksichtigt werden.
d) Dem steht die von der Antragstellerin am 24.08.2023 erklärte Verlängerung der Bindefrist nicht entgegen, denn diese Erklärung konnte sich aus der nach §§ 133, 157 BGB maßgeblichen objektivierten Sicht der Antragsgegnerin nicht mehr auf das Angebot vom 25.07.2023 beziehen, sondern nur auf das geänderte Angebot vom 22.08.2023, welches von der Antragstellerin an die Stelle des Angebots vom 25.07.2023 gesetzt worden war und aus den vorgenannten Gründen von der Antragsgegnerin nicht bezuschlagt werden durfte.
e) Bereits zum Zeitpunkt der Entscheidung der Antragsgegnerin, das Verfahren aufzuheben - das war hier der Zeitraum nach dem 24.08.2023 und vor dem 15.09.2023 -, lag jedenfalls kein zuschlagsfähiges Angebot der Antragstellerin mehr vor. Das Rechtsschutzziel des vergaberechtlichen Primärrechtsschutzes, die Beeinträchtigungen von Zuschlagschanden für das maßgebliche Angebot des jeweiligen Antragstellers im laufenden Vergabeverfahren zu beseitigen, konnte bei Einleitung des Nachprüfungsverfahrens erst recht nicht mehr erreicht werden, denn eine Chance auf den Zuschlag auf ihr Angebot vom 25.07.2023, an welchem sie selbst nicht festhält, hatte die Antragstellerin zum Zeitpunkt der Einreichung des Nachprüfungsantrages nicht mehr. Eine Zurückversetzung des Vergabeverfahrens in den Stand vor der Aufhebung der Ausschreibung durch die Antragsgegnerin ist untauglich, der Antragstellerin eine bessere Zuschlagschance auf ihr - inzwischen überholtes und aufgegebenes - Angebot vom 25.07.2023 zu verschaffen.
f) Nur vorsorglich ist darauf zu verweisen, dass die das Vergabeverfahren beendende Entscheidung der Antragsgegnerin, die Ausschreibung aufzuheben, jedenfalls wirksam war. Sie erfolgte nicht etwa zum Schein (vgl. Portz in: Röwekamp u.a., a.a.O., § 63 Rn. 21 ff.), sondern war allein deswegen sachlich gerechtfertigt, weil ein zuschlagfähiges Angebot - wie noch aufzuzeigen wird - zu diesem Zeitpunkt nicht mehr vorlag.
II. Der Antrag zu 2, gerichtet auf die Feststellung einer Verletzung der subjektiven Rechte der Antragstellerin im Sinne von § 97 Abs. 6 GWB durch die Antragsgegnerin, ist zwar zulässig, aber unbegründet.
1. Der Feststellungsantrag ist in einem Nachprüfungsverfahren nach §§ 155 ff. GWB zulässig. Zwar dient das vergaberechtliche Nachprüfungsverfahren der Beseitigung von Rechtsverletzungen i.S.v. § 97 Abs. 6 GWB in einem bereits begonnenen und grundsätzlich noch laufenden Vergabeverfahren. Ein Fall der Durchbrechung dieses Grundsatzes nach § 135 GWB liegt hier nicht vor. Es entspricht aber einhelliger Auffassung, dass auch dann, wenn ein öffentlicher Auftraggeber die Ausschreibung für einen öffentlichen Auftrag bereits aufgehoben hat, bevor ein Nachprüfungsantrag anhängig ist - wie im vorliegenden Fall -, ein Bieter noch in zulässiger Weise die Vergabekammer anrufen und jedenfalls geltend machen kann, durch die Nichtbeachtung der die Aufhebung der Ausschreibung betreffenden Vergabevorschrift in seinen subjektiven Rechten nach § 97 Abs. 6 GWB verletzt zu sein (vgl. BGH, Beschluss v. 18.02.2003 - X ZB 43/02 "Jugendstrafanstalt R.", BGHZ 154, 32; vgl. auch Byok in: Byok/ Jaeger, GWB, 4. Aufl. 2018, § 160 Rn. 23 ff.).
2. Der Senat kann offenlassen, ob ein Feststellungsantrag nach der Aufhebung der Ausschreibung auch mit dem - hier streitgegenständlichen - Begehren zulässig ist, die vorherige Nichterteilung eines Zuschlags trotz entsprechender Ankündigung als vergaberechtswidrig geltend zu machen. Insoweit fehlt es jedenfalls an der Verletzung einer vergaberechtlichen Vorschrift.
a) Es ist allgemein anerkannt, dass der öffentliche Auftraggeber allein dadurch, dass er ein Vergabeverfahren eingeleitet hat, keinem Vertragsabschlusszwang unterliegt (vgl. Portz in: Röwekamp/ Kus/ Portz/ Prieß, a.a.O., § 63 Rn. 16 ff.). Der Gesetzgeber hat gerade keine klagbaren Rechte der Bieter auf Abschluss eines Vertrages geschaffen (vgl. Herrmann in: Ziekow/Völlink, VergabeR, 5. Aufl. 2024, § 63 VgV Rn. 25 m.w.N.). Das gilt unabhängig davon, ob der Auftraggeber zwischenzeitlich die Erteilung eines Zuschlags allgemein oder gegenüber einem Bieter in Aussicht gestellt hat. Auch eine Vorabinformation i.S.v. § 134 GWB begründet keinen Anspruch des als Zuschlagsaspiranten bezeichneten Bieters auf den Zuschlag. Sie hat - im Zusammenhang mit der Wartepflicht des öffentlichen Auftraggebers - lediglich die Funktion, den nicht berücksichtigten Bewerbern und Bietern eine Gelegenheit zu verschaffen, die Inanspruchnahme von Primärrechtsschutz zu prüfen und ggf. vor der Schaffung irreversibler Zustände, d.h. vor wirksamer Zuschlagserteilung (vgl. § 168 Abs. 2 Satz 1 GWB), ein Nachprüfungsverfahren einzuleiten. Jeder in einer solchen Vorabinformation genannte Zuschlagsaspirant muss noch damit rechnen, dass der Zuschlag u.U. doch nicht auf sein Angebot erteilt wird, insbesondere im Falle einer erfolgreichen Rüge eines Mitbewerbers oder im Falle einer Änderung der tatsächlichen Verhältnisse im Vergabeverfahren.
b) Nach diesen Maßstäben kommt es nicht darauf an, aus welchen Gründen die Antragsgegnerin vor dem 22.08.2023 keinen Zuschlag auf das Angebot der Antragstellerin vom 25.07. 2023 erteilte. Sie verstieß damit gegen keine bieterschützende Rechtsvorschrift. Maßgeblich ist allein, dass ein Vertrag mit der Antragstellerin bis zum 22.08.2023 noch nicht zustande gekommen und das Vergabeverfahren nicht durch einen Zuschlag beendet worden war, so dass der nachträglich eingetretene Umstand - die Abstandnahme der Antragstellerin von ihrem einzigen fristgerecht eingereichten Angebot vom 25.07.2023 - von der Antragsgegnerin bei weiteren Entscheidungen zu berücksichtigen war.
3. Entgegen deren Auffassung verletzt die Aufhebung der Ausschreibung durch die Antragsgegnerin nach dem 24.08.2023 die Antragstellerin nicht in ihren subjektiven Rechten nach § 97 Abs. 6 GWB.
a) Der Senat hat bereits in seinem Beschluss vom 04.06.2024 darauf hingewiesen, dass hinsichtlich der Aufhebung einer Ausschreibung nach der einhelligen Auffassung in der Rechtsprechung zwischen der Rechtmäßigkeit und der Wirksamkeit der Aufhebung differenziert wird. Dem folgt auch der erkennende Senat in ständiger Rechtsprechung. Die Rechtmäßigkeit der Aufhebung hängt vor allem vom Vorliegen mindestens eines der in § 63 Abs. 1 VgV genannten Aufhebungsgründe sowie von einer fehlerfreien Ermessensausübung ab. Die Antragstellerin verweist in ihrer Stellungnahme zu den gerichtlichen Hinweisen zu Recht darauf, dass dann, wenn die Aufhebung eine Maßnahme zur Korrektur eines eigenen vergaberechtlichen Fehlverhaltens der Vergabestelle ist, bei der Prüfung eines zur Aufhebung berechtigenden Grundes eine umfassende Interessenabwägung vorzunehmen ist (vgl. nur BGH, Beschluss v. 20.03.2014 - X ZB 18/13 "Fahrbahnerneuerung I", VergabeR 2014, 1409, Rz. 25).
b) Zum Zeitpunkt der Aufhebungsentscheidung der Antragsgegnerin waren die Voraussetzungen des von ihr auch in Anspruch genommenen Aufhebungsgrundes des § 63 Abs. 1 Nr. 4 VgV erfüllt. Es liegt ein anderer schwerwiegender, vom Gewicht den enumerativ in Nr. 1 bis Nr. 3 aufgeführten Aufhebungsgründen äquivalenter Grund darin, dass jedenfalls ab dem 24.08.2023 kein Angebot mehr vorlag, welches den Ausschreibungsbedingungen entsprach.
aa) Diejenigen Bieter, welche Notebooks der Generation 4 angeboten hatten, konnten jeweils die zwingend geforderte Kompatibilitätsbescheinigung der der G. T. GmbH nicht vorlegen, weil eine entsprechende Prüfung noch nicht stattgefunden hatte. Sie waren deswegen nach § 57 Abs. 1 Nr. 2 VgV auszuschließen. Eine Nachforderung der fehlenden Bescheinigung hätte gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz im Vergabeverfahren verstoßen, weil feststand, dass keinem Wirtschaftsteilnehmer eine rechtzeitige Beibringung der Bescheinigung möglich war und die Antragsgegnerin deswegen damit rechnen musste, dass andere Wirtschaftsteilnehmer von einer entsprechenden Angebotsabgabe gerade im Hinblick darauf Abstand genommen hatten, dass sie die Notebooks der Generation 3 nicht mehr liefern und für Notebooks der Generation 4 keine Kompatibilitätserklärung beibringen konnten.
bb) Diejenigen Bieter, wie die Antragstellerin, welche Notebooks der Generation 3 angeboten hatten, hatten zwar ursprünglich wertungsfähige Angebote eingereicht, waren nach dem Kenntnisstand der Antragsgegnerin vom 24.08.2023 aber nicht mehr leistungsfähig, weil das Produkt am Markt nicht mehr verfügbar war. Insbesondere hatte die Antragstellerin ausdrücklich erklärt, dass sie zu einer entsprechenden Lieferung nicht mehr in der Lage war. Diese Konstellation ist von derjenigen zu unterscheiden, welche die Antragstellerin in ihrer Stellungnahme vom 17.06.2024 anführt: Ohne entgegenstehende Anhaltspunkte darf die Vergabestelle einem Leistungsversprechen des Bieters - also einer vom Bieter im Rahmen seines Angebotes übernommenen, nach einem Vertragsschluss auch einklagbaren Leistungsverpflichtung - vertrauen, ohne es nachprüfen zu müssen. Begründen aber konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Realisierbarkeit der Leistungsverpflichtung oder schließt der Bieter - wie hier die Antragstellerin - eine Leistungserbringung nachträglich selbst aus, so ist die Vergabestelle (selbstverständlich) gehalten, diese nachträgliche Feststellung bei ihren Entscheidungen im Vergabeverfahren zu berücksichtigen. Eine Wertung des neuen Angebots der Antragstellerin vom 22.08.2023 kam ebenfalls nicht in Betracht, weil sie, wie vorausgeführt, vergaberechtswidrig gewesen wäre.
cc) In dieser Situation war die Vergabe des Auftrags durch Zuschlag auf eines der vorhandenen, innerhalb der Angebotsfrist eingegangenen Angebote in vergaberechtskonformer Weise ausgeschlossen. Das Vergabeverfahren konnte rechtmäßig nur durch Aufhebung beendet werden. Dem steht nicht entgegen, dass vor dem 22.08.2023 eine Zuschlagserteilung auf das Angebot der Antragstellerin u.U. noch möglich und rechtlich zulässig gewesen wäre und - dies zugunsten der Antragstellerin unterstellt - von der Antragsgegnerin lediglich versäumt wurde. Für die vergaberechtliche Beurteilung der Aufhebung der Ausschreibung durch die Antragsgegnerin kommt es auf deren Entscheidungssituation nach dem 24.08.2023 an. Die Ermessensausübung der Antragsgegnerin, das derart gescheiterte Verfahren zu beenden und eine Neuausschreibung vorzunehmen, ist deswegen nicht zu beanstanden.
C.
1. Die Entscheidung über die Kostentragung im Beschwerdeverfahren beruht auf §§ 175 Abs. 2, 78 GWB.
2. Die Festsetzung des Gegenstandswertes des gerichtlichen Beschwerdeverfahrens beruht auf § 50 Abs. 2 GKG. Der Senat legt dabei die geprüfte Angebotssumme des Hauptangebotes der Antragstellerin zugrunde.
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VG Darmstadt
Beschluss
vom 01.04.2025
7 L 2856/24
Das Auswahlverfahren zur Vergabe einer Dienstleistungskonzession bzw. eines Dienstleistungsauftrags, die die Vergabe von Zuwendungen zur Erschließung bislang unterversorgter Gebiete mit schnellen Gigabit-Breitbandinternetanschlüssen zum Gegenstand hat, darf in Anlehnung an die kartellvergaberechtlichen Regelungen gestaltet werden. Der Auftraggeber kann dann die Vorschriften der KonzVgV und der VgV anwenden (Anschluss an OVG Sachsen, Beschluss vom 13.10.2022 - 4 B 241/22, IBRRS 2022, 3257 = VPRRS 2022, 0252). Das gilt insbesondere dann, wenn es sich um ein gefördertes Projekt handelt und die entsprechende Anwendung der Vorschriften von KonzVgV und VgV im Zuwendungsbescheid des Fördermittelgebers gefordert wird.
VG Darmstadt, Beschluss vom 01.04.2025 - 7 L 2856/24
Tenor:
Der Antrag wird abgelehnt.
Die Kosten des Verfahrens hat die Antragstellerinnen zu tragen.
Der Streitwert wird auf 50.000,00 Euro festgesetzt.
Gründe
Der Vorsitzende entscheidet als Berichterstatter im Einverständnis mit den Beteiligten anstelle der Kammer gemäß § 87a Abs. 2 und 3 VwGO.
Der Antrag ist zulässig, insbesondere ist der Antrag nach § 123 Abs. 1 VwGO die statthafte Antragsart.
Es besteht auch ein Rechtschutzbedürfnis der Antragsteller, da zeitnah eine Entscheidung im Vergabeverfahren erfolgen muss. Soweit die Antragsteller die Verhängung eines Zwangsgeldes von 250.000,00 Euro für den Fall der Zuwiderhandlung gegen eine gerichtliche Anordnung beantragt haben, geht das Gericht davon aus, dass sich dieser Teil des Antrags mit der Erklärung der Antragsgegnerin einen Zuschlag nicht vor einer gerichtlichen Entscheidung erteilen zu wollen, erledigt hat. Dafür, dass sich die Antragsgegnerin an diese Zusage als öffentlicher Auftraggeber nicht halten würde, sind keine Anhaltspunkte ersichtlich. Auch deutet das Gericht die Äußerungen der Bevollmächtigten der Antragsteller im Erörterungstermin am 12.03.2025 so, dass die Antragsteller an dem diesbezüglichen Teil ihres Antrags nicht mehr festhalten, zumal ein Rechtsschutzinteresse insoweit nicht mehr besteht.
Der im Übrigen zulässige Antrag ist jedoch nicht begründet
Nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO, der hier allein in Betracht kommt, kann das Gericht auf Antrag auch schon vor Klageerhebung eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert wird. Die tatsächlichen Voraussetzungen des geltend gemachten Anspruchs und der Grund für eine notwendige vorläufige Sicherung sind glaubhaft zu machen (§ 920 Abs. 2 ZPO i. V. m. § 123 Abs. 3 VwGO).
Die Antragsteller haben einen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht.
Mit beiden Verfahrensbeteiligten geht das Gericht zunächst davon aus, dass aufgrund der in § 149 Nr. 8 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) die Vorschrift des § 60 der Vergabeverordnung (VgV) unmittelbar keine Anwendung findet.
Entgegen die Annahme der Antragstellerinnen kann die Vorschrift jedoch entsprechend auf das hiesige Verfahren angewandt werden. Soweit die Antragsteller unter Bezugnahme auf die Entscheidungspraxis der Vergabekammer Südbayern (Beschluss v. 19.10.2023 - 3194.Z3-3_01-23-20, NZBau 2024, 435) die Auffassung vertreten, eine entsprechende Anwendung der Vorschriften des 2. Abschnittes der VgV komme im vorliegenden Fall deshalb nicht in Betracht, weil die Antragsgegnerin sich die Anwendung der aus ihrer Sicht anzuwendenden Vorschriften ausdrücklich in der Bekanntmachung der Ausschreibung hätte vorbehalten müssen, teilt das Gericht diese Rechtsauffassung nicht.
Wie die Antragsgegnerin ist auch das Gericht der Auffassung, dass einer entsprechenden Anwendung aufgrund des Hinweises im Begleitdokument S. 9 Anlage Ast. 4 rechtliche Hindernisse nicht im Wege stehen. Dort heißt es:
"Das Verfahren wird zweistufig mit vorgeschaltetem Teilnahmewettbewerb (vgl. § 12 Abs. 1 Satz 2 VgV) durchgeführt."
§ 12 Abs. 1 Satz 2 VgV hat folgenden Wortlaut:
"Der Konzessionsgeber kann das Verfahren an den Vorschriften der Vergabeordnung zum Ablauf des Verhandlungsverfahrens mit Teilnahmewettbewerb ausrichten."
Damit ist für das Gericht hinreichend klar, dass sich die Antragsgegnerin vorbehalten hat, das gesamte Vergabeverfahren in Anlehnung an die Vorschriften der Vergabeordnung durchzuführen.
Einer expliziten Nennung der jeweils anzuwendenden Einzelnormen aus der VgV bedarf es dabei entgegen den Ausführungen in der singulär gebliebenen Entscheidung der Vergabekammer Südbayern (siehe hierzu auch Anmerkung von Sakkari, jurisPR-VergR 3/2024 Anm. 6) nicht. Denn bereits aus dem Wortlaut des § 12 Abs. 1 Satz 1 VgV ergibt sich hinlänglich, dass sich der Konzessionsgeber (hier die Antragsgegnerin) eine Anwendung der Vorschriften für das Vergabeverfahren vorbehält.
Ergänzend ist das publizierte Begleitdokument S. 15 - Anlage 4 in den Blick zu nehmen, in dem eine Prüfung der Angebote auf allgemeine Vollständigkeit und Plausibilität vorbehalten wird. Weitere entsprechende Hinweise ergeben sich auch aus der Leistungsbeschreibung S. 19 und S. 22.
Der vergaberechtlichen Rechtsprechung der Vergabekammer Südbayern entgegen steht die im hier maßgeblichen Kontext ergangene verwaltungsrechtliche Rechtsprechung, der das Gericht folgt.
In einem in vielerlei Hinsicht mit dem hier zu beurteilenden Fall vergleichbaren Fall hat das Verwaltungsgericht Dresden entschieden, dass die Vergabestelle ein Verfahren, dessen Gegenstand ebenfalls die Breitbandversorgung eines Gebiets mit Glasfaser nach dem Wirtschaftlichkeitslückenmodell gewesen ist, in Anlehnung an die kartellvergaberechtlichen Regelungen gestalten durfte. Aus den Vergabeunterlagen - so das VG Dresden - sei für jedermann offensichtlich gewesen, dass die ausschreibende Stelle entschieden hatte, die Regelungen der KonzVgV und VgV anzuwenden (VG Dresden, Beschluss v. 18.08.2022 - 4 L 433/22 -).
Mit dem Sächsischen OVG, Beschluss v. 13.10.2022 - 4 B 241/22 -, geht das Gericht davon aus, dass die Anlehnung an das Vergaberecht unabhängig davon statthaft und geboten ist, ob es sich vorliegend um eine Dienstleistungskonzession oder einen Dienstleistungsauftrag handelt. Das Vorliegen einer Dienstleistungskonzession verneint hatte die der Beschwerdeentscheidung des Sächsischen OVG zugrundeliegende Entscheidung des VG Dresden (a.a.O.).
Dabei ging das VG Dresden und nachfolgend das OVG Sachsen keineswegs von der Anwendung einzelner Vorschriften der KonzVgV und der VgV aus, sondern dass sich das Vergabeverfahren insgesamt an den Vorgaben von KonzVgV und VgV orientiert (vgl. VG Dresden, a.a.O.; OVG Sachsen, a.a.O.). Begründet wird dies u. a. damit, dass eine entsprechende Anwendung der Vorschriften von KonzVgV und VgV auch durch den an den Antragsgegner in diesem Verfahren gerichteten Zuwendungsbescheid des Bundesministeriums für Verkehr und Digitale Infrastruktur, vertreten durch die ### GmbH (als Projektträger der Bundesförderung Breitband), gefordert werde. Dies ergebe sich aus Ziffer 4.3.1 des Zuwendungsbescheides, der die Einhaltung der Vorgaben der §§ 5 bis 7 der NGA-Rahmenregelung und Ziffer 5.3 der Förderrichtlinie Breitbandausbau verbindlich festschreibe. Ziffer 5.3 der Förderrichtlinie "Breitbandausbau" verpflichte den Antragsgegner zur sinngemäßen Anwendung der nationalen Vergaberichtlinien und zur Beachtung der Grundsätze der Transparenz, der Gleichbehandlung und der Nichtdiskriminierung. Auch der Zuwendungsbescheid (bezüglich der ergänzenden Landesmittel) der im durch das VG Dresden entschiedenen Fall zuständigen Landesdirektion Sachsen greife dies auf und verweise auf den Zuwendungsbescheid der ### GmbH. Der Antragsgegner habe diese Vorgaben in dem von ihm durchgeführten Verfahren umgesetzt und gegenüber den Teilnehmern des Verfahrens in seinen Vergabeunterlagen auf diese Vorgehensweise hingewiesen. Die genannten Regelungen - so das VG Dresden - entsprächen den allgemeinen Vorgaben für ein ordnungsgemäßes Auswahlverfahren. Dabei komme dem Antragsgegner bei der Ausgestaltung dieser Vorgaben, vor allem bei der Bestimmung und Gewichtung der Zuschlagskriterien sowie bei der Auswahlentscheidung selbst ein Beurteilungs- und Bewertungsspielraum zu.
Auch im streitgegenständlichen Auswahlverfahren ist von einer weitgehend identischen, zumindest aber in den grundlegenden Fragen vergleichbaren Sachverhaltsgestaltung auszugehen. Wie in dem Verfahren, das dem VG Dresden zur Entscheidung vorlag, findet sich im hiesigen Verfahren unter in der Ziffer 4.3.1 des Zuwendungsbescheides der ### GmbH vom 27.11.2023 der entsprechende Hinweis. In Ziffer 4.3.2. des Bescheides wird der Zuwendungsempfänger ausdrücklich dazu verpflichtet dafür Sorge zu tragen, dass der ausgewählte Bewerber die Erfüllung der ihm auferlegten Pflichten auch im Zuge seiner etwaig zur Projektumsetzung eingegangenen Rechtsbeziehungen zu Dritten vollumfänglich sicherzustellen hat und die Tätigkeit etwaiger Drittunternehmen dem ausgewählten Bewerber wie eigenes Verhalten zuzurechnen ist. Ziffer 4.3.3 des Zuwendungsbescheides weist schließlich darauf hin, dass Angebote, die den Unterlagen des Auswahlverfahrens nicht entsprechen, aus dem Verfahren ausgeschlossen werden. Ebenso wie die Landesdirektion Sachsen in dem beim VG Dresden entschiedenen Verfahren hat auch die für das Land ### tätige Wirtschafts- und Infrastrukturbank Hessen (WI-Bank) im Bescheid über die Ko-Finanzierung des durch den Bund geförderten Projektes auf die durch den Bescheid des Bundes verfolgten Ziele Bezug genommen. Unter den "Sonstigen Bestimmungen" (Ziffer X.) des Bescheides der WI-Bank vom 11.12.2023 wird in Ziffer 4. festgelegt, dass die vergaberechtlichen Bestimmungen gemäß der Anlage zu diesem Bescheid einzuhalten sind. Dazu zählen u.a. die Allgemeinen Nebenbestimmungen zur Projektförderung (ANBest_P) für Zuwendungen, aber auch die (entsprechende) Anwendung der Vorgaben der VgV.
Aus alledem ergibt sich für das Gericht, dass die Antragsgegnerin zur entsprechenden Anwendung der Vorschriften des Vergaberechts auch aufgrund der Förderbedingungen des Bundes und des Landes nicht nur berechtigt, sondern sogar verpflichtet war, die vergaberechtlichen Vorschritten der KonzVgV und der VgV entsprechend anzuwenden (vgl. VG Dresden, a.a.O.; OVG Sachsen, a.a.O.; sowie Anmerkung Kemper, VPR 2023, S. 43) Dies betrifft nicht nur die Vorschrift des § 60 VgV, sondern insgesamt die Vorschriften des 2. Abschnittes, insbesondere des 7. Unterabschnittes der VgV.
Unter entsprechender Anwendung dieser vergaberechtlichen Vorschriften vermag das Gericht nicht zu erkennen, dass ein Anordnungsanspruch besteht.
Dies gilt unabhängig von der Frage, ob das Angebot der Antragsteller gemessen an den Grundsätzen des § 60 VgV als auskömmlich anzusehen ist. Denn einem Anordnungsanspruch steht bereits entgegen, dass auch eine entsprechende Anwendung des Rechtsgedankens des § 57 Abs. 1 VgV im vorliegenden Fall den Ausschluss er Antragsteller aus dem Verfahren gebietet (vgl. OVG Sachsen, a.a.O.).
Das Sächsische OVG (a.a.O.) hat in seiner Entscheidung zutreffend festgestellt, dass nicht allein entscheidend ist, ob das wirtschaftlichste Angebot ausgewählt werden muss, sondern wie das wirtschaftlichste Angebot zu ermitteln ist und ob auf dem Weg der Ermittlung des wirtschaftlichsten Angebots Angebote unter Rückgriff auf die Vergaberechtlichen Regelungen ausgeschlossen werden dürfen.
Im vorliegenden Fall ist ein Ausschluss vom Verfahren bereits deshalb geboten, weil die Antragsteller mit ihrem zunächst eingereichten Angebot den Grundsätzen der Transparenz und Plausibilität die den Vorschriften sowohl des § 57 VgV, als auch des § 60 VgV wie dem Vergaberecht insgesamt (vgl. BeckOK VergabeR/von Wietersheim VgV, § 57, Rz. 8, 56, 64) zugrunde liegen, zuwidergehandelt haben.
Dass diese Grundsätze auch ausdrücklich in den Ausschreibungsunterlagen genannt sind, ist vorstehend bereits ausgeführt worden (Begleitdokument S. 15 - Anlage 4; Leistungsbeschreibung S. 19 und S. 22).
Nach § 57 Abs. 1 Nr. 4 VgV werden Angebote von der Wertung ausgeschlossen, bei denen Änderungen oder Ergänzungen an den Vergabeunterlagen vorgenommen werden. § 57 Abs. 1 Nr. 5 VgV bestimmt darüber hinaus, dass Angebote ausgeschlossen werden, die nicht die erforderlichen Preisangaben enthalten, es sei denn, es handelt sich um unwesentliche Einzelpositionen, deren Endpreise den Gesamtpreis nicht verändern oder die Wertungsreihenfolge und den Wettbewerb nicht beeinträchtigen. Eine nachträgliche Korrektur bzw. auch eine Ergänzung leistungsbezogener Unterlagen ist nicht statthaft (vgl. auch VG Dresden, a.a.O.).
Damit ein Angebot Berücksichtigung finden kann ist nach der vergaberechtlichen Rechtsprechung jeder in der Leistungsbeschreibung vorgesehene Preis vollständig und mit dem Betrag anzugeben, der für die betreffende Leistung beansprucht wird. Das vergaberechtliche Transparenzgebot ist aber auch Ausdruck des auch im Europarecht verwurzelten Gleichbehandlungsgrundsatzes. Es dient dazu sicherzustellen, dass die Einhaltung desselben überprüft werden kann (BGH, Beschluss v. 18.05.2004 - X ZB 7/04 -, sowie Urteil v. 18.02.2003 - X ZB 43/02 -; Beck-OK VergabeR/von Wietersheim, § 57 Rz. 8). Diesen Grundsätzen entspricht ein Angebot nicht, wenn es auf einer Mischkalkulation beruht (BGH, Beschluss v. 18.05.2004, a.a.O.). In seiner Entscheidung vom 18.05.2004 weist der BGH darüber hinaus darauf hin, dass nicht allein der Gesamtpreis für die Beurteilung eines Angebots auschlaggebend sein könne. Die Frage, ob ein als Grundlage der Wertung der Angebote in einem transparenten und die Bieter gleichbehandelnden Verfahren geeignetes, gesetzlichen Anforderungen genügendes Angebot vorliegt, ist nach dem BGH von der Frage zu trennen, ob ein Angebot einen unangemessen hohen oder niedrigen Gesamtpreis zum Inhalt hat. Das Erfordernis jeweils jeden in der Leistungsbeschreibung vorgesehenen Preis vollständig mit dem Betrag anzugeben, der für die jeweils betreffende Leistung in Ansatz zu bringen ist, dient nicht dem Zweck unangemessen hohe oder niedrige Angebote aus der Wertung auszuscheiden, sondern soll lediglich sicherstellen, dass die Wirtschaftlichkeit des Angebots im Vergleich zu anderen Angeboten auf transparenter und alle Bieter gleichbehandelnden Art und Weise ermittelt wird (vgl. BGH, Beschluss v. 18.04.2004, a.a.O.). Mischkalkulationen, die Kostenpositionen willkürlich auf andere Kostenstellen umlegen sind mit diesen Grundsätzen unvereinbar und führen nach der vergaberechtlichen Rechtsprechung grundsätzlich zum Ausschluss (BGH, Beschluss v. 18.05.2004, a.a.O.).
Im vorliegenden Fall haben die Antragsteller, worauf die Antragsgegnerin in ihrem Schriftsatz vom 13.12.2024 zutreffend hinweist, nicht vollständige bzw. unzutreffende Angaben in ihrem ursprünglichen Angebot gemacht. Die Kosten für den Tiefbau, der hier die relevanteste Kostenposition darstellt, wurden für versiegelte Flächen mit 80,00 Euro /Meter, in der Summe mit 13.452.000,00 Euro, für den unversiegelten Tiefbau mit 50,00 Euro /Meter, in der Summe 7.815.000,00 Euro und sonstige Tiefbaukosten für Planung, Projektleitung und Anträge mit 3,928.544,25 Euro beziffert.
Das Gericht geht mit der Antragsgegnerin nicht davon aus, dass der erst im Rahmen des weiteren Verfahrens geltend gemachte "Sicherheitszuschlag" von 62,34/Meter und einem Gesamtbetrag von 6.813.323,00 Euro in diesen Kostenpositionen bereits berücksichtigt ist.
Dass der "Sicherheitszuschlag" im Formblatt "Wirtschaftlichkeitslückenberechnung (Anlage Ast 8)" auf die Positionen "Sonstige Tiefbaukosten", "Glasfaser", "Leerrohr" und "Kosten Hausanschlüsse" aufgeteilt worden ist, lässt sich zudem mit dem vergaberechtlichen Transparenzgebot nicht vereinbaren. Es handelt sich dabei um eine im vorstehend genannten Sinne unzulässige Mischkalkulation, die die Antragsgegnerin zum Ausschluss der Antragsteller vom weiteren Vergabeverfahren berechtigt.
Die Antragsteller haben ihren "Sicherheitszuschlag" erst im Rahmen der Gespräche über die Preisaufklärung durch Vorlage der sogenannten "Urkalkulation" offengelegt, was, wie sich aus den vorstehenden Ausführungen des Gerichts ergibt, nicht angängig ist (vgl. auch VG Dresden, a.a.O.).
Unabhängig davon ist der Ausschluss der Antragsteller vom weiteren Vergabeverfahren aber auch in entsprechender Anwendung des § 60 VgV gerechtfertigt.
Nach Abs. 1 dieser Vorschrift ist ein öffentlicher Auftraggeber, wie die Antragsgegnerin, berechtigt von einem Bieter, wie den Antragstellern, Aufklärung zu verlangen, wenn die Kosten des Angebots im Verhältnis zu der zu erbringenden Leistung ungewöhnlich niedrig erscheinen. Aus dem Terminus "erscheinen" wird hergeleitet, dass der Auftraggeber sich bei der Frage ob ein Angebot als ungewöhnlich niedrig anzusehen ist, auf einen gewissen Beurteilungsspielraum berufen kann, der einer gerichtlichen Kontrolle nur begrenzt zugänglich ist (Ziekow/Völlink/Steck, Vergaberecht, 5. Auflage 2024, VgV § 60, Rz. 4).
Der Begriff des ungewöhnlich niedrigen Angebots bezieht sich zwar zunächst nur auf den Gesamtpreis des Angebots, jedoch ist der öffentliche Auftraggeber berechtigt und auch verpflichtet, die angebotenen Preise auch für die jeweiligen Einzelpositionen zu überprüfen. Besteht bei nicht unerheblichen Einzelpositionen ein Missverhältnis zwischen Preis und Leistung ist entscheidend ob an anderen Angebotsstellen dafür ein entsprechender Ausgleich geschaffen wird, sodass das Angebot insgesamt kein Missverhältnis zwischen Preis und Leistung aufweist. Die Zulässigkeit eines solchen Ausgleichs wird allerdings durch das Verbot der Mischkalkulation, auf das vorstehend bereits eingegangen wurde, begrenzt (Dieckmann/Scharf/Wagner-Cardenal/Ackermann Jauch, 3. Auflage, § 60 VgV Rz 10). Schließlich ist erneut auf die Entscheidung des VG Dresden hinzuweisen, die klar zum Ausdruck bringt, dass in einem Verfahren wie dem vorliegenden nicht entscheidend sein kann, ob das wirtschaftlichste Angebot ausgewählt wurde, sondern wie das wirtschaftlichste Angebot ermittelt wurde und ob auf dem Weg der Ermittlung des wirtschaftlichsten Angebots unter Rückgriff auf die Vergaberechtlichen Regelungen ein Angebot ausgeschlossen werden darf (VG Dresden, a.a.O.).
Der angebotene Preis erscheint dann im Sinne dieser Vorschrift als besonders niedrig, im Verhältnis zu der zu erbringenden Leistung, wenn sie entweder erheblich unterhalb der eingegangenen Konkurrenzangebote, einer qualifizierten Kostenschätzung oder Erfahrungen des Auftraggebers mit wettbewerblicher Preisbildung aus anderen Ausschreibungen liegen (OLG Düsseldorf, Beschluss v. 18.09.2019 - Verg 10/19; Ziekow/Völlink/Steck, Vergaberecht, 5. Auflage 2024, VgV § 60 Rz. 3).
Wann dies der Fall ist, kann nicht schematisch bestimmt werden, jedoch hat die Rechtsprechung der Vergabekammern und Senate bestimmte Prozentsätze als Aufgreifschwellen entwickelt, bei deren Vorliegen für eine Prüfung durch den Auftraggeber ein hinreichender Anlass besteht oder gar geboten ist (vgl. Ziekow/Völlink/Steck, a.a.O., Rz. 4; Dieckmann/Scharf/Wagner-Cardenal/Ackermann/Jauch, a.a.O., Rz.11 m.w.N.). So geht die vergaberechtliche Rechtsprechung und Literatur davon aus, dass Veranlassung für eine entsprechende Prüfung i.d.R. besteht, wenn der Abstand zum zweitplatzierten Bewerber mehr als 10 % beträgt. Beträgt er mehr als 20 % ist sogar von einer Verpflichtung des öffentlichen Auftraggebers zur Preisaufklärung auszugehen (vgl. Dieckmann/Scharf/Wagner-Cardenal/Ackermann/Jauch, a.a.O., Rz. 11).
Die Voraussetzungen für den Eintritt in eine Preisprüfung nach § 60 Abs. 1 VgV liegen im hier zu entscheidenden Fall vor, wie sich aus den dem Gericht vorliegenden Unterlagen der Antragsgegnerin (Schriftsatz vom 19.03.2025, S. 7 mit der entsprechenden Anlage AG 11) ergibt. Es ist vorliegend daher von einem ungewöhnlich niedrigen Preis im Sinne dieser Vorschrift auszugehen.
Auch die weiteren Voraussetzungen für einen Ausschluss der Antragsteller vom weiteren Vergabeverfahren liegen vor. Nach Feststellung eines ungewöhnlich niedrigen Preises, ist die Antragsgegnerin in das sogenannte "Zwischenverfahren" (vgl. Beck-OK, VergabeR/Queisner, 35. Ed. 1.2.2024, VgV § 60 Rz. 10) eingetreten, um die Frage der Auskömmlichkeit des unterbreiteten Angebots aufzuklären. In diesem Rahmen ist den Antragstellern Gelegenheit zu geben die aufgetretenen Zweifel an der Auskömmlichkeit ihres Angebots auszuräumen. Dabei ist zu beachten, dass die Antragsteller nach der vergaberechtlichen Rechtsprechung und Literatur die volle Beweislast trifft (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss v. 18.09.2019, a.a.O.; OLG München, Beschluss v. 30.11.2020 - Verg 6/20 -; Beck-OK, VergabeR/Queisner a.a.O. Rz. 20).
Im Rahmen seiner Bemühungen um Aufklärung ist der öffentliche Auftraggeber auch um einen möglichst raschen Abschluss des Vergabeverfahrens zu erreichen, nur gehalten einen ihm zumutbaren Prüfungsaufwand zu betreiben. Basis der Aufklärungsbemühungen sind die Angaben des betreffenden Bieters. Ist das Ergebnis der Prüfung, dass die seitens des Bieters gegebenen Erklärungen nicht ausreichend sind, um sein Angebot transparent und plausibel zu machen, ist im nächsten Schritt zu prüfen, ob das Angebot ausgeschlossen werden kann oder sogar ausgeschlossen werden muss (Beck-OK VergabeR/Queisner, a.a.O., Rz. 24 ff.). Bleiben nach einem entsprechenden Aufklärungsversuch berechtigte Zweifel, so gehen diese regelmäßig zu Lasten des Bieters (Beck-OK VergabeR/Queisner, a.a.O., Rz. 26).
Nach § 60 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 VgV kann die Prüfung des öffentlichen Auftragsgebers sich auf Wirtschaftlichkeit des Fertigungsverfahrens einer Lieferleistung oder der Erbringung einer Dienstleistung beziehen. Im vorliegenden Fall geht es um die Errichtung eines Glasfaserbreitbandnetzes und dessen Betrieb durch den Auftragnehmer /Konzessionsnehmer.
Nach der Durchführung des Zwischenverfahrens zur Klärung bestehender Zweifel bestehen diese hinsichtlich der Auskömmlichkeit des Angebots auch weiterhin.
Diese gründen zum einen darin, dass die seitens der Antragsteller und des von ihr beauftragten Beratungsunternehmens ### ins Feld geführten Referenzfälle für eine Preisgestaltung nicht aussagekräftig genug sind, weil sie die besonders schwierigen Bodenverhältnisse in der Region Odenwald/Bergstraße nicht angemessen abbilden.
Das Projektgebiet im ### weist im Untergrund kristalline Gesteine, wie Granit, Granodiorit, Gneise, Diorite auf. Im Buntsandstein-Odenwald, der ebenfalls einen Teil des Projektgebietes ausmacht, findet sich im Untergrund Sandstein, z. T. mit Geröllen und Ton-Schlufstein. Alle genannten Gesteine sind Festgesteine, d.h. fest verbundene, mechanisch widerstandsfähige Gesteine, die auf äußere Einwirkungen wie ein Festkörper reagieren. Aus dieser Charakterisierung der Bodenverhältnisse folgt, dass es sich beim Projektgebiet überwiegend um Flächen der Bodenklassen 6 und 7 handeln dürfte, teilweise um mittelschwer lösbare oder schwer lösbare Böden (Bodenklassen 4,5). Demgegenüber handelt es sich bei den Referenzfällen in dem Gutachten ### teilweise um leichtere Bodenklassen und um Vorhaben, die auch hinsichtlich ihres Umfangs (förderfähige Adressen) vom hiesigen Projekt erheblich abweichen. Auch leidet die Aussagekraft der Referenzfälle teilweise darunter, dass nur eine geringe Zahl an Angeboten vorliegt oder dass es sich nicht um aktuelle Preise handelt. Im Falle des Landeskreises ### weist die Antragsgegnerin zutreffend darauf hin, dass dieses Projekt als Referenzfall deshalb keine große Aussagekraft entfaltet, weil er nicht repräsentativ ist. Es lagen nur drei Angebote vor und es handelte sich um den 6. Call des Bundesförderprogramms mit einer Aufgreifschwelle von 30 Mbit/s. Zu Recht wendet die Antragsgegnerin ein, dass die Angaben auf der Internetseite des Landkreises darauf hindeuten, dass es sich nicht um aktuelle Preise handeln dürfte.
Mit der Antragsgegnerin geht auch das Gericht davon aus, dass gerade auch im Hinblick auf die Preisentwicklung der letzten beiden Jahre, von höheren Tiefbaupreisen auszugehen ist, als dies die Antragsteller tun. Die seitens der Antragsgegnerin in diesem Zusammenhang vorgelegten fachlichen Stellungnahmen der ### und des ### sind für das Gericht im Unterschied zu den Ausführungen der von der Antragstellerseite hinzugezogenen Beratungsfirma ### vollumfänglich nachvollziehbar. Ihre Einschätzungen beruhen auf der Heranziehung von Referenzprojekten, die insbesondere in Bezug auf die Bodenverhältnisse mit dem streitgegenständlichen Projekt eine hohe Vergleichbarkeit aufweisen. Die Vergleichbarkeit der Bodenverhältnisse bringt zwangsläufig eine Vergleichbarkeit des mit den Tiefbaumaßnahmen verbundenen technischen und personellen Aufwands und als Folge dessen auch der durch diese Arbeiten entstehenden Kosten mit sich.
An dieser Stelle ist anzumerken, dass die Untersuchung des Projektgebiets mittels "Google street view" berechtigte Zweifel an einer sachgemäßen Ermittlung der Kalkulationsgrundlagen weckt. Die Antragsgegnerin konnte dem Gericht in nachvollziehbarer Weise darlegen, dass eine solche Methode der "Streckenbegehung" bereits vom Grundansatz völlig unbrauchbar ist, um die maßgeblichen quantitativen und qualitativen Parameter für die Tiefbauarbeiten zu ermitteln, weil auf diese Weise zwar die Geländeoberfläche (versiegelt/unversiegelt) in keiner Weise aber die Bodenverhältnisse unterhalb der Bodendecke, die eine maßgebliche Bedeutung für die Realisierung des Projekts und insbesondere dessen Tiefbaukosten haben werden, zu ermitteln sind.
Mit der Antragsgegnerin geht auch das Gericht davon aus, dass die Antragsteller von einer wesentlich zu geringen Anzahl an Tiefbaumetern ausgehen. Basierend auf den vorstehend charakterisierten Bodenverhältnissen ist ein einseitiger Ausbau in den betroffenen Straßen keine realistische Option, auf die sich die Antragsgegnerin einlassen müsste. Dass dieser Mangel nicht durch das technische Verfahren der "Erdrakete" behoben werden kann, hat die Antragsgegnerin schlüssigen dargelegt.
Berechtigte Zweifel an der Auskömmlichkeit des Angebots der Antragsteller ergeben sich darüber hinaus aus den unterdurchschnittlichen Netzbetriebskosten. Auch das Gericht sieht hier ein Risiko für Kostensteigerungen. Diesbezüglich verweist es auf die Ausführungen der Antragsgegnerin in ihrem Schriftsatz vom 27.12.2024 S. 52, die sich das Gericht zu eigen macht.
Verbleiben somit nach Durchführung des sog. Zwischenverfahrens berechtigte Zweifel an der Auskömmlichkeit des Angebots des Bieters, hat der Auftraggeber nach Maßgabe von § 60 Abs. 3 Satz 1 VgV den Ausschluss des betreffenden Angebots zu prüfen, wie dies im vorliegenden Fall erfolgt ist. Dort heißt es:
"Kann der öffentliche Auftraggeber nach der Prüfung gemäß den Absätzen 1 und 2 die geringe Höhe des angebotenen Preises oder der angebotenen Kosten nicht zufriedenstellend aufklären, darf er den Zuschlag auf dieses Angebot ablehnen."
Nach der vergaberechtlichen Literatur und Rechtsprechung handelt es sich dabei aber um ein rechtlich gebundenes Ermessen. Eine Ablehnung des Zuschlags bzw. ein Ausschluss vom weiteren Verfahren sind grundsätzlich geboten, wenn eine zufriedenstellende Aufklärung nicht erfolgen kann (BGH, Beschluss v. 31.01.2017 - X B 10/16 -; Beck-OK VergabeR/Queisner, § 60 VgV Rz. 25; Dieckmann/Scharf/Wagner-Cardenal, VgV, UVgO, § 60 VgV Rz. 25; Ziekow/Völlink, Vergaberecht, § 60 VgV Rz. 15a). Auf die Grenzen der dem Auftraggeber obliegenden Aufklärungspflicht ist vorstehend bereits hingewiesen worden (siehe hierzu OLG Düsseldorf, a.a.O.).
Das Gericht ist im vorliegenden Fall zu der Überzeugung gelangt, dass die Antragsgegnerin als Auftraggeberin sich in ausreichendem Maße um Aufklärung bemüht hat. Auch im Lichte der grundsätzlich beim Bieter zu verortenden Beweislast und der Notwendigkeit in einem absehbaren Zeitraum zu einer Entscheidung zu gelangen, sind die Preisaufklärungsbemühen der Antragsgegnerin im vorliegenden Fall als ausreichend zu erachten.
Gründe, die im vorliegenden Fall ausnahmsweise eine andere Entscheidung als den Ausschluss der Antragsteller gebieten würden, sind für das Gericht nicht ersichtlich. Diese ergeben sich entgegen der Rechtsansichten der Antragssteller auch nicht aus europarechtlichen Vorgaben. Die Vorschrift des § 60 VgV dient gerade der Umsetzung europarechtlicher Vorgaben, nämlich Art. 69 der Richtlinie 2014/24/EU (Ziekow/Völlink, a.a.O., Rz. 15; Dieckmann/Scharf/Wagner-Cardenal, a.a.O. Rz. 4ff.). Soweit die Antragsteller sich zur Begründung ihres Anspruchs auf Zuschlagerteilung u. a. auf eine Entscheidung des EuGH (EuGH 2. Kammer, Urteil v. 24.10.2013 - Rs. C-214/12 P, Rs. C-215/12 P und Rs. C-223/12 P -, "Burgenland") beziehen, ist die dieser Entscheidung zugrundeliegende Sachlage des Verkaufs einer der öffentlichen Hand gehörenden Bank mit dem hier zugrundeliegenden Sachverhalt in keiner Weise vergleichbar.
Da bereits ein Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht ist, erübrigen sich Ausführungen zu einer, bei Vorliegen eines Anordnungsanspruchs - im Lichte des Art. 19 Abs. 4 GG sicherlich zulässigen - Ausnahme vom Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache im Eilverfahren sowie zum Vorliegen eines Anordnungsgrundes.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung folgt aus §§ 52 Abs. 1,53 Abs. 2 Nr. 1 GKG. Das Gericht orientiert sich dabei an dem Betrag, den die Antragsteller als Zwangsgeld für den Fall der Zuwiderhandlung gegen eine gerichtliche Entscheidung angeregt haben. Dies waren 250.000,00 Euro. Dieser Betrag gibt einen Hinweis auf die wirtschaftliche Bedeutung die das Verfahren für die Antragsteller hat. Der in der Antragsschrift vom 7.11.2024 genannte Auffangwert von 5000,00 Euro bildet das Interesse der Antragsteller am Verfahrensausgang hingegen in keiner Weise angemessen ab.
(...)
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OLG Naumburg
Urteil
vom 17.01.2025
6 U 1/24
1. Zum Schadensersatzanspruch des öffentlichen Auftraggebers gegen einen Bieter nach § 180 Abs. 1 GWB.*)
2. Für die Geltendmachung eines Schadensersatzanspruchs gegen einen Teilnehmer des Vergabeverfahrens kann sich der öffentliche Auftraggeber neben § 180 GWB auch auf die Vorschriften des allgemeinen Zivilrechts, insbesondere auf §§ 280 Abs. 1 und Abs. 3, §§ 282, 241 Abs. 2, § 311 Abs. 2 BGB, stützen.*)
3. In einem durch die Teilnahme an einem Vergabeverfahren begründeten vorvertraglichen Schuldverhältnis zwischen dem öffentlichen Auftraggeber und einem Wirtschaftsteilnehmer obliegen den Parteien wechselseitig die Nebenpflichten nach § 241 Abs. 2 BGB, welche durch die im Verfahren geltenden Vergabevorschriften konkretisiert werden. Ein Bieter, der gegen das Gebot des Geheimwettbewerbs verstößt, indem er sein Angebot in Kenntnis der Kalkulationsgrundlagen des Angebots eines Mitbewerbers erstellt und dabei dessen Preisansätze jeweils systematisch unterschreitet, verstößt auch gegen die Rücksichtnahmepflicht des § 241 Abs. 2 BGB.*)
OLG Naumburg, Urteil vom 17.01.2025 - 6 U 1/24
vorhergehend:
LG Stendal, 17.01.2024 - 23 O 217/19
Tenor:
I. Die Berufung der Beklagten gegen das am 17. Januar 2024 verkündete Grund- und Teilurteil des Einzelrichters der Zivilkammer 3 des Landgerichts Stendal wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass Ziffer 1 des Urteilsausspruchs wie folgt abgeändert wird:
Es wird festgestellt, dass der Rechtsstreit im Feststellungsantrag zu Ziffer 2 in der Hauptsache erledigt ist.
II. Die Kosten des Berufungsverfahrens hat die Beklagte zu tragen.
III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Vollstreckungsschuldner kann die Zwangsvollstreckung durch den Vollstreckungsgläubiger durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe:
A.
Die Klägerin begehrt von der Beklagten Schadensersatz wegen Verletzung vorvertraglicher Nebenpflichten sowie insbesondere wegen der rechtsmissbräuchlichen Inanspruchnahme des vergaberechtlichen Primärrechtsschutzes.
Die Klägerin, ein kommunales Unternehmen, dessen Geschäftsanteile der Landkreis ... hält und welches mit der Abfallentsorgung im Landkreis betraut ist, schrieb mittels Auftragsbekanntmachung im Supplement zum Amtsblatt der Europäischen Union vom xx.xx.2017 (2017/a ...) EU weit im Wege des Offenen Verfahrens die Vergabe von Dienstleistungsaufträgen zur Abfallentsorgung auf der Grundlage der Vergabeverordnung aus. Der mit einer Ausnahme jeweils auf die Sammlung und den Transport verschiedener Abfallfraktionen gerichtete Auftrag war in sechs Fachlose unterteilt, wobei Los 1 den Restabfall, Los 2 den Sperrmüll und die Elektrogeräte, Los 3 den Bioabfall, Los 4 die Fraktion PPK (Papier, Pappe, Kartonagen) und Los 5 gefährliche Abfälle beinhaltete. Das Los 6 umfasste die Übernahme, den Transport und die Verwertung von PPK. Die Laufzeit der Verträge in den Losen 1 bis 5 sollte jeweils drei Jahre betragen (vom 01.01.2018 bis zum 31.12.2020); die Klägerin behielt sich optional jeweils eine zweimalige Vertragsverlängerung jeweils um ein Jahr vor. Im Los 6 war ein Leistungszeitraum vom 01.01.2018 bis zum 31.12.2022 ohne Verlängerungsoption vorgesehen. Einziges Zuschlagskriterium in sämtlichen Losen war jeweils der niedrigste Angebotspreis.
Nach dem Inhalt der Vergabeunterlagen waren zu jedem Los verschiedene Preisangaben in das Angebotsschreiben einzutragen, in den Losen 1 bis 4 und 6 wurden Preisangaben in jeweils fünf Mengenstaffeln gefordert. Wegen der Einzelheiten nimmt der Senat auf die Darstellung im Tatbestand des erstinstanzlichen Urteils (LGU S. 3 f.) Bezug. Das Anbieten von Rabatten wurde zugelassen.
Die ursprünglich am 15.06.2017 enden sollende Angebotsfrist wurde aufgrund einer Rüge auf den 16.08.2017 verlegt. Die Bindefrist für die Angebote wurde auf eine Rüge der hiesigen Beklagten unter Verweis auf notwendige Rüstzeiten vom 16.10.2017 auf den 06.10.2017 verkürzt.
Die Beklagte beteiligte sich jeweils mit einem Hauptangebot an den Ausschreibungen zu den Losen 1 bis 4 und zum Los 6. In den Losen 1, 2 und 4 war sie eine von jeweils vier Bieterinnen, im Los 3 eine von fünf Bieterinnen. In sämtlichen vorgenannten Losen gab auch die R. GmbH (künftig: die Mitbewerberin) jeweils ein Hauptangebot ab. Die Beklagte und die Mitbewerberin waren die einzigen Bieterinnen, welche auch jeweils Rabattangebote unterbreiteten. In den Losen 1, 2, 4 und 6 waren die Hauptangebote der hiesigen Beklagten die preisgünstigsten Angebote.
Die Beklagte bediente sich zur Angebotserstellung der Dienste der P. GmbH in A., dort des Beraters T. W. (künftig: der Berater), der die Beklagte später auch bei der Erarbeitung von vergaberechtlichen Rügen unterstützte.
Im Rahmen der Angebotsaufklärung wies die Klägerin die Beklagte auf Anhaltspunkte für eine Angebotserstellung in Kenntnis von der Angebotskalkulation ihrer Mitbewerberin hin. Hierauf antwortete die Beklagte mit anwaltlichem Schriftsatz vom 08.09.2017, dass sich die Ähnlichkeiten aus den Vorgaben der Ausschreibung ergäben und letztlich die Verhältnisse der jeweiligen Mitbewerber im Entsorgungsgebiet hinlänglich bekannt seien. Sie selbst prüfe derzeit, ob eine Strafanzeige wegen des Ausspähens und Abfangens ihrer Daten oder wegen der Verwertung ihrer Betriebsgeheimnisse durch Dritte erstattet werde. Auf die Ähnlichkeiten im Einzelnen ging sie dabei weder in dieser Stellungnahme noch in einer weiteren, durch nochmalige Vorhalte veranlassten Stellungnahme mit Schriftsatz vom 15.09.2017 ein.
Die Klägerin schloss die Angebote der Beklagten mit Schreiben vom 22.09.2017 nach § 124 Abs. 1 Nrn. 3, 4 und 9b GWB aus und stützte die Entscheidung im Wesentlichen auf erhebliche Ähnlichkeiten in Aufbau und Struktur der Angebote der hiesigen Beklagten zu den Angebotsinhalten der Mitbewerberin.
Die Beklagte rügte am 29.09.2017 ihren Angebotsausschluss in allen fünf Losen, zu denen sie ein Angebot abgegeben hatte, als vergaberechtswidrig. Die Klägerin half den Rügen mit Schreiben vom 04.10.2017 nicht ab und vertiefte darin ihre Ausführungen dazu, dass die Angebote der Beklagten in jedem der fünf Lose jeweils in Kenntnis der Kalkulation des entsprechenden Angebots der Mitbewerberin kalkuliert und gelegt worden seien. Bereits die Kalkulation eines eigenen Angebots in Kenntnis der Kalkulation eines anderen Bieters rechtfertige den Ausschluss des Angebots, unabhängig von einem bewussten Informationsaustausch. Im Übrigen stehe aus ihrer Sicht fest, dass entweder ein (kollusiver) Informationsaustausch mit der Mitbewerberin stattgefunden habe oder aber die hiesige Beklagte die Daten der Mitbewerberin sich selbst beschafft oder sie erhalten und für die eigene Angebotskalkulation verwendet habe.
Am 16.10.2017 reichte die Beklagte einen Nachprüfungsantrag bei der Vergabekammer beim Landesverwaltungsamt Sachsen-Anhalt, betreffend die Vergabeverfahren zu den Losen 1 bis 4 und 6, ein, der zur Einleitung von fünf Nachprüfungsverfahren bei der 1. Vergabekammer unter dem - mit Beschluss vom 02.02.2018 verbundenen - Aktenzeichen 1 VK 33-37/17 führte (künftig: das Nachprüfungsverfahren). Die Vergabekammer übermittelte den Nachprüfungsantrag am 17.10.2017 an die hiesige Klägerin. Auf Hinweis der Vergabekammer vom 23.01.2018, wonach der Nachprüfungsantrag bezüglich des Vergabeverfahrens zu Los 6 mangels Antragsbefugnis bereits unzulässig sei, nahm die hiesige Beklagte den Nachprüfungsantrag hinsichtlich des Loses 6 am 30.01.2018 zurück.
Im Rahmen dieses Nachprüfungsverfahrens berief sich die hiesige Beklagte darauf, dass weder sie noch ihr Berater bei Angebotserstellung Kenntnis von der Kalkulation der Angebote der Mitbewerberin gehabt hätten, und weiter darauf, dass der Klägerin die Feststellungslast für die tatsächlichen Grundlagen der Ausschlussentscheidung obliege. Mit Schriftsatz vom 30.01.2018 erläuterte sie, weswegen sie von einer zielgerichteten Kampagne der hiesigen Klägerin zu einer Verdrängung der Beklagten und zur Sicherung der von ihr angestrebten Zusammenarbeit mit ihrer bisherigen Nachauftragnehmerin, der Mitbewerberin, ausgehe. Nachdem die Vergabekammer der hiesigen Beklagten Akteneinsicht gewährt und sie erneut zur Stellungnahme zu den einzelnen Ähnlichkeiten der Angebotskalkulationen aufgefordert hatte, trug diese erstmalig mit Schriftsatz vom 14.03.2018 vor, dass ihr Berater im Rahmen seines Auftrags u.a. auch Verhandlungen mit der Mitbewerberin über mögliche Nachauftragnehmerleistungen sowie über Behälteranmietungen geführt habe, und dass ihm ein Umschlag mit einem USB-Stick in den Briefkasten geworfen worden sei, auf welchem Daten einer Kostenkalkulation enthalten gewesen seien, die der Berater der Beklagten zugeordnet habe. Zwar sei ihm aufgefallen, dass Personal-, Grundstücks- und Fahrzeugkosten nicht den ihm bekannten betrieblichen Daten der Beklagten entsprochen hätten; insoweit sei er aber davon ausgegangen, dass Mitarbeiter der Beklagten diese für sie unwichtigen Daten ungenau und lediglich als sog. Fülldaten eingesetzt hätten. Er habe deswegen teilweise deren Korrektur vorgenommen. Im Übrigen habe er die Daten stillschweigend übernommen.
Die 1. Vergabekammer wies den Nachprüfungsantrag der hiesigen Beklagten mit ihrem Beschluss vom 27.04.2018 zurück und stützte ihre Entscheidung im Wesentlichen darauf, dass jedenfalls ein Ausschluss der Angebote der dortigen Antragstellerin nach § 124 Abs. 1 Nr. 9c GWB wegen fahrlässiger Übermittlung irreführender Angaben gerechtfertigt sei. Die Vergabekammer stellte u.a. fest, dass es in der konkreten Ausgestaltung der Angebote samt Urkalkulation eine Vielzahl von Parallelen in den Angeboten jeweils der hiesigen Beklagten einerseits und der Mitbewerberin andererseits gebe, darunter eine weitgehend identische formale und inhaltliche Struktur, identische Schreibfehler und Zeilenumbrüche, inhaltliche Zuordnungsfehler und zahlreiche übereinstimmende quantitative Annahmen, z.B. bei den Behälterentleerungszahlen. Die Häufung und der Grad der Übereinstimmungen belegten, dass die Angebotskalkulation der dortigen Antragstellerin derjenigen der Mitbewerberin jeweils folge und lediglich so modifiziert worden sei, dass die Angebotspreise der Mitbewerberin knapp unterboten würden. Die Herkunft der vom Berater der Antragstellerin verwendeten Daten auf dem USB-Stick aus der Sphäre der Mitbewerberin habe sich aufgedrängt. Insoweit habe die dortige Antragstellerin zumindest fahrlässig gehandelt, indem sie auf dieser Grundlage ihre Angebote kalkuliert habe. Für die Rechtmäßigkeit des Ausschlusses ihrer Angebote genüge es, dass die Erwägungen der dortigen Antragsgegnerin (der hiesigen Klägerin) einen Ausschluss rechtfertigten und dieser auch weiterhin durch die Antragsgegnerin angestrebt werde.
Während des Nachprüfungsverfahrens erteilte die Klägerin jeweils am 27.10.2017 in den Losen 1 (Restabfall), 2 (Sperrmüll und Elektrogeräte), 3 (Bioabfall) und 4 (PPK) Interimsaufträge mit einer Laufzeit jeweils bis zum 28.02.2018. Im Los 6 erteilte die Klägerin am 14.12.2017 einen Interimsauftrag mit einer Laufzeit bis zum 31.03.2018 (vgl. Anlagenkonvolut K 31). Jeweils mit Schreiben vom 10.01.2018 verlängerte die Klägerin die Interimsbeauftragungen in den Losen 1 bis 4 bis zum 30.04.2018 (künftig: Übergangslösung 1). Im Los 6 erteilte sie den Zuschlag auf das Angebot des Bestbieters im Hauptverfahren mit einer Leistungszeit ab dem 01.04.2018.
Die hiesige Beklagte legte am 14.05.2018 sofortige Beschwerde gegen den Beschluss der Vergabekammer vom 27.04.2018 ein, welche beim Vergabesenat des Oberlandesgerichts Naumburg unter dem Geschäftszeichen 7 Verg 1/18 geführt wurde. Dabei erhob sie in der Beschwerdeschrift keine Einwendungen gegen den Sachbericht der angefochtenen Entscheidung. Mit Schriftsatz vom 14.08.2018 wiederholte und vertiefte sie in Replik auf die Beschwerdeerwiderung ihre Darstellung zu einer bewussten Diskriminierung durch die hiesige Klägerin. Auf Hinweise des Vergabesenats auf die fehlende Erfolgsaussicht im Beschwerdeverfahren nahm die hiesige Beklagte ihr Rechtsmittel im Termin der mündlichen Verhandlung vom 17.08.2018 zurück.
Die Klägerin führte zur Sicherstellung der Abfallentsorgung bezüglich der Lose 1 bis 4 der ursprünglichen Ausschreibung (Hauptverfahren) ein EU weites Offenes Verfahren mit verkürzten Fristen (2017/b ...) durch (künftig: Übergangslösung 2). Als Laufzeit der Verträge war eine Zeit mindestens bis zum 31.08.2018, maximal bis zum 28.02.2019 - in Abhängigkeit von der Dauer des Fortbestehens eines prozessualen Zuschlagsverbots -, vorgesehen. Die ausgeschriebenen Verträge enthielten jeweils ein Kündigungsrecht der hiesigen Klägerin mit einer Frist von zwei Monaten zum Monatsende für den Fall des Auslaufens des o.a. Zuschlagsverbots. Die Klägerin beschaffte die entsprechenden Dienstleistungen aus den aufgrund dieser Ausschreibung geschlossenen Interimsverträgen jeweils bis zum 31.10.2018, wobei sie nach Rücknahme der sofortigen Beschwerde der hiesigen Beklagten am 17.08.2018 unverzüglich von dem o.a. Kündigungsrecht Gebrauch machte. In den Losen 1, 3 und 4 erteilte sie nachfolgend den Zuschlag auf das Angebot des jeweiligen Bestbieters im Hauptverfahren. Im Los 2 hatte der Bestbieter auf Anfragen der Klägerin vom 28.09.2017 und vom 06.11.2017 sein Einverständnis mit der Verlängerung der Bindefrist insgesamt bis zum 06.06.2018 erklärt. Auf die erneute Anfrage der Klägerin vom 28.05.2018 verweigerte der Bestbieter eine weitere Verlängerung der Bindefrist. Die Klägerin erteilte den Zuschlag in Los 2 am 10.09.2018 auf das Angebot der Zweitplatzierten.
Mit ihrer - sukzessive erweiterten - Klage hat die Klägerin gegen die Beklagte Ansprüche auf Schadensersatz wegen der Einreichung von Angeboten unter Nutzung der Kenntnisse über die Angebotskalkulation der Mitbewerberin, wegen wahrheitswidriger Angaben im Verlaufe des Vergabeverfahrens sowie wegen rechtsmissbräuchlicher Inanspruchnahme des vergaberechtlichen Primärrechtsschutzes geltend gemacht. Als Schadenspositionen hat sie in dem nachträglich am 03.05.2021 durch teilweise Klagerücknahme geringfügig reduzierten Leistungsantrag zu Ziffer 1 zunächst aufgeführt jeweils die tatsächlichen Kosten der ingenieurtechnischen und rechtlichen Beratung im Rahmen der Aufklärung der Auffälligkeiten in den Angeboten der Beklagten im Vergabeverfahren (künftig: Mehraufwand Hauptverfahren), im Rahmen der übergangsweisen Sicherstellung der Abfallentsorgung im Zeitraum ab dem 01.01. bis 28.02.2018 (künftig: Aufwand Übergangslösung 1) sowie im Rahmen der übergangsweisen Sicherstellung der Abfallentsorgung im Zeitraum vom 01.05.2018 bis maximal zum 28.02.2019 (künftig: Aufwand Übergangslösung 2), die Mindererlöse bei der PPK-Verwertung (Los 6) im Zeitraum 01.01. bis 31.03.2018, die Mehrkosten bei der Bioabfallentsorgung (Los 3) im Zeitraum 01.01. bis 31.10.2018 und die Mehrkosten bei der Sperrmüllsammlung (Los 2) im Zeitraum 01.01. bis 30.04.2018.
Mit Klageerweiterung vom 10.08.2021 (GA Bd. II Bl. 141) hat sie den Leistungsantrag zu Ziffer 1 erweitert im Hinblick auf Mehrkosten bei der Entsorgung des Sperrmülls (Los 2) in der Zeit vom 01.05.2018 bis 31.05.2021 und einen Feststellungsantrag zu Ziffer 2 gestellt im Hinblick auf künftige Mehrkosten bei der Entsorgung des Sperrmülls (Los 2).
Mit Klageerweiterung vom 15.11.2021 (GA Bd. III Bl. 1) hat sie den Leistungsantrag zu Ziffer 3 gestellt, welcher sich auf Mehrkosten bei der Sperrmüllsammlung (Los 2) in der Zeit vom 01.06. bis 31.10.2021 bezieht, und den Feststellungsantrag zu Ziffer 2 entsprechend angepasst.
Mit Klageerweiterung vom 17.05.2022 (GA Bd. III Bl. 37) hat die Klägerin den Leistungsantrag zu Ziffer 4 gestellt, welcher sich auf Mehrkosten bei der Sperrmüllentsorgung (Los 2) in der Zeit vom 01.11.2021 bis 30.04.2022 bezieht.
Mit Klageerweiterung vom 23.03.2023 (GA Bd. III Bl. 95) hat die Klägerin den Leistungsantrag zu Ziffer 5 gestellt, welcher sich auf Mehrkosten bei der Sperrmüllentsorgung (Los 2) in der Zeit vom 01.05. bis 31.12.2022 bezieht.
Das Landgericht hat Beweis erhoben u.a. durch die Vernehmung der Zeugen N. M. (verantwortlicher Ingenieur der Beklagten) am 17.05.2022 und T. W. (Berater) - im Wege der Rechtshilfe - am 26.05.2023 über die Umstände der Angebotserstellung durch die Beklagte.
Mit seinem am 17.01.2024 verkündeten Grund- und Teilurteil hat das Landgericht die Klage hinsichtlich der Leistungsanträge zu Ziffern 1, 3, 4 und 5 für dem Grunde nach gerechtfertigt erklärt und auf den Antrag zu Ziffer 2 festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet sei, der Klägerin sämtliche weitere Schäden zu ersetzen, welche ihr dadurch entstanden sind oder entstehen werden, dass die Beklagte gegen den Beschluss der Vergabekammer vom 17.04.2018 sofortige Beschwerde eingelegt hat. Es hat seine Entscheidung im Wesentlichen darauf gestützt, dass ein Anspruch auf Ersatz der Schäden in Gestalt der mit der Verzögerung der Auftragsvergabe verbundenen Mehrkosten und des erhöhten Aufwands im Nachprüfungsverfahren nach §§ 280 Abs. 1, 311 Abs. 2 Nr. 1, 241 Abs. 2 BGB begründet sei. Die Beklagte habe ihre vorvertraglichen Rücksichtnahmepflichten dadurch verletzt, dass sie mit Angeboten an der Ausschreibung teilgenommen habe, die bei Kenntnis aller Umstände ihres Zustandekommens auf Seiten der Klägerin nicht zuschlagsfähig gewesen seien. Denn der für sie tätige Zeuge M. habe die Angebote der Beklagten in Kenntnis der Angebote der Mitbewerberin erstellt und jeweils knapp unterboten. Für die Beweiswürdigung hat sich das Landgericht auf vielfältige Parallelen der Angebote der Beklagten und der Mitbewerberin sowie auf das Verhalten der Beklagten im Rahmen der Preisaufklärung durch die Klägerin berufen. Den aus den Unterlagen gewonnenen Erkenntnissen stünden die Aussagen der beiden Zeugen nicht entgegen, insbesondere deswegen nicht, weil sie keine Erklärung für den weitgehenden Gleichlauf der Preis- und Rabattangaben in den Angeboten der Beklagten in Relation zu den Angeboten der Mitbewerberin böten. Wegen der Einzelheiten wird auf die Entscheidungsgründe Bezug genommen.
Die Beklagte hat gegen das ihr am 25.01.2024 zugestellte Urteil mit einem am 31.01.2024 beim Oberlandesgericht eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und diese Berufung innerhalb der ihr bis zum 25.04.2024 verlängerten Berufungsbegründungsfrist mit einem am selben Tage eingegangenen Schriftsatz begründet. Mit ihrem Rechtsmittel verfolgt sie das Ziel der vollständigen Klageabweisung weiter.
Die Beklagte meint, dass es für den Feststellungsantrag kein Feststellungsinteresse mehr gebe, da die Leistungsanträge zu Ziffern 3 bis 5 den Zeitraum möglicher Mehrkosten bis zum 31.12.2022 abdeckten, so dass angesichts der Maximal-Laufzeit der Verträge die Schadensentwicklung abgeschlossen sei.
Die Beklagte meint weiter, dass die vom Landgericht herangezogene Anspruchsgrundlage nicht einschlägig sei. Die zitierte höchstrichterliche Rechtsprechung beziehe sich auf potenzielle Schadensersatzansprüche des übergangenen Bieters. Maßgeblicher Anknüpfungspunkt für die Haftung sei das wechselseitige Vertrauen der Verhandlungspartner in das jeweils redliche Verhalten des anderen. Dieser Vertrauenstatbestand habe hier nicht vorgelegen. Das Landgericht habe auch zu Unrecht unterstellt, dass die Angebote der Beklagten ausgeschlossen werden mussten, weil es sich bei § 124 Abs. 1 Nr. 9 GWB lediglich um einen fakultativen Ausschlussgrund handele. Im Übrigen schließe § 180 GWB als lex specialis andere Anspruchsgrundlagen aus, ein Missbrauch des Antrags- bzw. Beschwerderechts sei zu keinem Zeitpunkt gegeben gewesen.
Im Hinblick auf die Beweiswürdigung des erstinstanzlichen Gerichts rügt die Beklagte die Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör, weil der in der Klageerwiderung enthaltene Vortrag übergangen worden sei, wonach die Parallelen in den Angeboten der Beklagten und der Mitbewerberin aus den Vorgaben der Ausschreibung und den Beschränkungen des Marktes für die einzusetzende Technik sowie aus dem vergleichbaren Lohnniveau für die Mitarbeiter resultierten (Beweisangebot: Sachverständigengutachten). Es sei nicht erkennbar, auf welche, ggf. eigene Sachkunde sich das Gericht bei seiner Einschätzung einer auffälligen Parallelität berufe. Es sei nicht logisch, dass sich aus dem - inzwischen unstreitigen - Umstand, dass die Angebotskalkulation der Beklagten auf der Grundlage der teilausgefüllten Kalkulationstabelle der Mitbewerberin erstellt worden sei, zugleich ergebe, dass der Beklagten die Angebote der Mitbewerberin bekannt gewesen seien.
Das vom Landgericht angeführte Indiz des Verhaltens der Beklagten im Rahmen der Preisaufklärung sei dadurch zu erklären, dass sich die Beklagte erstmals nach der Akteneinsicht im Nachprüfungsverfahren im Februar 2018 in einem Kenntnisstand befunden habe, der ihr eine Nachforschung ermöglicht habe. Die Bewertung der Aussagen der beiden Zeugen sei spekulativ und fernab des Parteivorbringens erfolgt.
Schließlich meint die Beklagte, dass ihr Vorbringen im Nachprüfungsverfahren nach der ihr gewährten Akteneinsicht den Vorwurf einer fahrlässig irreführenden Information der Klägerin im Vergabeverfahren habe entfallen lassen, so dass die nach dem 14.03.2018 entstandenen Vermögensschäden nicht mehr auf den ursprünglichen Verstoß zurückzuführen seien. Schadenskausal sei ausschließlich die Entscheidung der Klägerin gewesen, die Angebotsbindefrist ohne Not verstreichen zu lassen.
Die Beklagte regt die Aussetzung des Verfahrens bis zur Erledigung des Strafverfahrens gegen N. M. u.a. mit dem Geschäftszeichen ... (Amtsgericht ...) an.
Die Beklagte beantragt,
unter Abänderung des erstinstanzlichen Urteils die Klage insgesamt abzuweisen,
hilfsweise, das erstinstanzliche Urteil aufzuheben und die Rechtssache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht zurückzuverweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt im Wesentlichen das erstinstanzliche Urteil und fasst die vielfachen Auffälligkeiten in der Angebotskalkulation der hiesigen Beklagten nochmals zusammen.
Der Senat hat die Akten des vorangegangenen Nachprüfungsverfahrens (BeiA I 1 VK LSA 33-37/17 der 1. Vergabekammer Sachsen-Anhalt und BeiA II 7 Verg 1/18 OLG Naumburg) beigezogen und zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht. Der Senat hat am 13.12.2024 mündlich zur Sache verhandelt; wegen der Einzelheiten wird auf den Inhalt des Sitzungsprotokolls des Senats vom selben Tage Bezug genommen.
B.
Die Berufung der Beklagten ist zulässig, insbesondere ist sie form- und fristgemäß eingelegt und begründet worden. Sie hat jedoch in der Sache keinen Erfolg.
Das Landgericht hat zu Recht darauf erkannt, dass die Klage bezüglich der Leistungsanträge zu Ziffern 1, 3, 4 und 5 dem Grunde nach gerechtfertigt ist. Soweit das Landgericht dem zu Ziffer 2 gestellten Feststellungsantrag der Klägerin stattgegeben hat, hat die Klägerin im Berufungsrechtszug Erledigung erklärt. Da sich die Beklagte dieser Teilerledigungserklärung nicht angeschlossen hat, ist der Eintritt der Erledigung in der vorgenommenen Weise festzustellen.
I. Das Berufungsverfahren ist zur Entscheidung reif.
1. Der Senat folgt nicht der Anregung der Beklagten, das Berufungsverfahren im Hinblick auf das o.a. Strafverfahren gegen N. M. u.a. beim Amtsgericht ... (Az.: ...) nach § 149 Abs. 1 ZPO auszusetzen.
a) Nach dieser Vorschrift kann das Gericht die Aussetzung des Rechtsstreits anordnen, wenn sich im Laufe eines Rechtsstreits der Verdacht einer Straftat ergibt, deren Ermittlungen auf die Entscheidung von Einfluss sind. Eine entsprechende Anregung einer Prozesspartei - ein formelles Antragsrecht und einen subjektiven Rechtsanspruch gibt es insoweit nicht - hat das Gericht entweder durch separaten Beschluss oder - wie hier - in seiner die Instanz abschließenden Entscheidung zu bescheiden.
b) Der Senat sieht bereits den Tatbestand der Norm als nicht erfüllt an, denn die Vorschrift dient dazu, den Ausgang des Strafverfahrens abwarten zu können, wenn und soweit das Strafverfahren bessere Erkenntnismöglichkeiten bietet und diese nutzbar gemacht werden sollen. Diese Voraussetzung ist hier nicht erfüllt. Denn der im o.a. Strafverfahren angeklagte verantwortliche Ingenieur der Beklagten ist im vorliegenden Zivilprozess nach ordnungsgemäßer Belehrung bereits ausführlich als Zeuge vernommen worden und hat hier Angaben zur Sache gemacht; im Strafverfahren steht ihm ein umfassendes Verweigerungsrecht jeglicher Angaben zur Sache zu. Die ebenfalls der Strafverfolgung unterliegende Prokuristin der Mitbewerberin hat bisher keine weiterführenden Angaben zur Sache gemacht. Gegenüber den im Zivilprozess bereits berücksichtigten Beweismitteln sind keine neuen, insbesondere auch keine überlegenen Beweismittel für den Tatvorwurf bezeichnet oder ersichtlich. Auch die Beklagte hat - auf entsprechenden Vorhalt im Termin - keine Anhaltspunkte für bessere Erkenntnismöglichkeiten im Strafverfahren benennen können, insbesondere auch bezüglich solcher, der Beklagten im hiesigen Rechtsstreit günstigen tatsächlichen Umstände.
c) Selbst wenn der Senat unterstellte, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen vorlägen, hat er eine Ermessensentscheidung zu treffen, bei der alle für und gegen die Aussetzung und damit die Verzögerung der Entscheidung im Rechtsstreit sprechenden Umstände abgewogen werden müssen. Diese Abwägung spräche hier, wäre sie vorzunehmen, gegen eine Aussetzung des Berufungsverfahrens. Auch bei einer unterstellten abstrakten Möglichkeit eines zusätzlichen Erkenntnisgewinns wäre der zu erwartende Erkenntnisgewinn sehr ungewiss. Die Dauer des Strafverfahrens ist nicht prognostizierbar; es ist weder dargelegt noch sonst ersichtlich, dass zeitnah mit einem rechtskräftigen Abschluss des Strafverfahrens zu rechnen wäre. Dem gegenüber ist die Verzögerung der Entscheidung im Schadensersatzprozess bereits jetzt beträchtlich, denn der behauptete Schaden der Klägerin ist in Teilen bereits Anfang des Jahres 2018 - also vor sieben Jahren - entstanden und hat sich bis zum 31.12.2022 über fünf Jahre fortentwickelt. Hieraus ergibt sich neben dem Interesse der Allgemeinheit an einem zügigen Verfahrensfortgang insbesondere ein schwerwiegendes Interesse der Klägerin an einem Verfahrensfortschritt. Daneben ist aber auch aus der - objektivierten - Sicht der Beklagten ein Interesse an einer Zwischenentscheidung - hier in Gestalt eines Grundurteils - vorhanden, denn die Beklagte ist während des gesamten Zeitraums mit dem Risiko erheblicher Schadensersatzzahlungen belastet.
2. Soweit die Beklagte in ihrer Berufungsbegründung geltend macht, dass das Landgericht in verfahrensrechtlich zu beanstandender Weise die Beweisaufnahme nicht vollständig durchgeführt habe, ist - vorgezogen zu einer inhaltlichen Bewertung - festzustellen, dass die von der Beklagten vermisste Einholung eines Gutachtens über die Richtigkeit von deren pauschaler Gegenbehauptung nicht geboten gewesen ist, wonach sich die vom Gericht festgestellten und von der Beklagten nicht mehr in Zweifel gezogenen mannigfachen Parallelen in der Struktur, dem Inhalt und sogar in den taktischen Prämissen der Angebotskalkulationen in den Angeboten der Beklagten und in den Angeboten der Mitbewerberin quasi zwangsläufig aus der Struktur des Marktes ergäben. Die u.a. in der angefochtenen Entscheidung im Abschnitt 6. lit. a) der Entscheidungsgründe aufgeführten Parallelen dienten zwar im Stadium der Angebotsaufklärung im Vergabeverfahren im Herbst 2017 noch als Anhaltspunkte für den Verdacht einer Angebotserstellung durch die Beklagte in Kenntnis zumindest wesentlicher Teile der Angebotskalkulation der Mitbewerberin und lösten damals weitere Aufklärungsmaßnahmen aus.
Inzwischen kommt es darauf nicht mehr entscheidend an. Denn die Beklagte hat inzwischen eingeräumt, dass ihre Angebotskalkulation nicht eigenständig erfolgte und nicht nur zufällig diese Parallelen aufwies, sondern dass sie auf der Grundlage der Daten auf dem USB-Stick erstellt wurde, welchen der Berater in seinem Briefkasten aufgefunden haben will. Es steht inzwischen auch fest, dass die Kalkulationsdaten auf dem USB-Stick aus der Urkalkulation der Angebote der Mitbewerberin im selben Vergabeverfahren stammten (vgl. die unstreitigen - zusammenfassenden - Angaben der Klägerin in ihrer Klageschrift vom 28.06.2019, S. 19). Daraus folgt, dass unabhängig von der Richtigkeit der Gegenbehauptung jedenfalls im streitgegenständlichen Vergabeverfahren die Übereinstimmungen zwischen den Angeboten der Beklagten und der Mitbewerberin nicht zufälliger Natur waren, sondern auf der Verwendung übereinstimmender, von der Mitbewerberin stammender Kalkulationsdaten beruhten. Darüber hinaus ist die Unrichtigkeit der pauschalen Gegenbehauptung der Beklagten offenkundig, ohne dass es einer besonderen Sachkunde des Gerichts oder gar der Hinzuziehung eines Sachverständigen bedarf. Bereits die Ergebnisse der streitgegenständlichen Ausschreibung zeigen einen (teilweise) funktionierenden Wettbewerb im Hinblick auf die Angebotspreise der anderen Bieter. Maßgeblich für diese Bewertung sind aber auch die Umstände, welche eine Identifizierung der Herkunft der Daten auf dem USB-Stick ermöglichten. Diesen Daten war nicht nur zu entnehmen, dass sie mit einem spezifischen, bei der Mitbewerberin eingesetzten Tool und auf der Grundlage von mit einem hausinternen Programm der Mitbewerberin ("... ") erfassten und ausgewerteten Leistungsansätzen erstellt worden waren, sondern auch, dass kalkulationsrelevante betriebliche Daten teilweise sehr spezifisch waren und in Relation zu den betrieblichen Besonderheiten beider Unternehmen auch erheblich variierten, beispielsweise bezüglich der Anschaffungskosten der Fahrzeuge, bezüglich der auf der Grundlage von individuellen Betriebsvereinbarungen gezahlten Stundenlöhne oder bezüglich der von den jeweiligen Betriebsstandorten abhängigen unterschiedlichen Umschlagskosten.
II. Das Landgericht hat zu Recht darauf erkannt, dass die mit den Leistungsanträgen zu Ziffern 1, 3, 4 und 5 geltend gemachten Ansprüche der Klägerin gegen die Beklagte nach §§ 280 Abs. 1 und Abs. 3, 282, 241 Abs. 2, 311 Abs. 2 BGB dem Grunde nach gerechtfertigt sind.
1. Die allgemeinen zivilrechtlichen Vorschriften zum Anspruch auf Schadensersatz aus vorvertraglichen Schuldverhältnissen sind entgegen der Rechtsauffassung der Beklagten auf den vorliegenden Fall anwendbar.
a) Allerdings ist auf den vorliegenden Sachverhalt die Vorschrift des § 180 GWB aus dem 4. Teil des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen anwendbar, denn für das Vergabeverfahren bestand eine EUweite Ausschreibungspflicht nach den §§ 98 ff. GWB - die Klägerin ist öffentliche Auftraggeberin nach § 99 Nr. 2 GWB, der Auftrag betrifft entgeltliche Dienstleistungen i.S.v. § 103 Abs. 1 und Abs. 4 GWB, der Netto-Auftragswert des Gesamtauftrags überschreitet den sog. Schwellenwert i.S.v. § 106 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 1 GWB i.V.m. Art. 4 RL 2014/24/EU und Art. 1 VO (EU) 2015/2170, es liegt keiner der Ausschlussgründe der §§ 107 bis 109 GWB vor. Das steht der Anwendung des allgemeinen Zivilrechts aber nicht entgegen, insbesondere nicht i.S. einer Gesetzeskonkurrenz wegen Spezialität.
b) Der Wortlaut der Vorschrift enthält keine Anhaltspunkte für die Klärung der Streitfrage.
Anders, als beispielsweise die Vorschrift des § 181 GWB, enthält sie insbesondere nicht die Regelung, dass weiterreichende Ansprüche auf Schadensersatz unberührt bleiben. Der Senat stützt seine Auslegung der Norm insbesondere auf die Gesetzesgenese und den mit der Vorschrift verfolgten Zweck. Die Rechtsnorm wurde zugleich mit der im Jahre 1998 geschaffenen, ab dem 01.01.1999 in Kraft getretenen Möglichkeit der Inanspruchnahme von Primärrechtsschutz in Vergabeverfahren mit EUweiter Ausschreibungspflicht erlassen. Mit ihr wurde eine eigene vergaberechtliche Anspruchsnorm für Fälle des Missbrauchs dieses Primärrechtsschutzes geschaffen (vgl. RegE v. 29.01.1998, BT-Drs. 13/9340, S. 22 - damals zu § 134 GWB-E), weil der Gesetzgeber eine spezifische Missbrauchsgefahr und ein übermäßiges Blockieren von Beschaffungsmaßnahmen besorgte (vgl. nur Hattig in: Praxiskomm. VergabeR, 2010, § 125 Rn. 2). Der Gesetzgeber hat selbst bereits verdeutlicht, dass es sich um eine "spezielle Ausprägung" der Rechtsgedanken des § 826 BGB - im Sinne einer Urteilserschleichung - und des § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB - im Sinne eines sog. "Prozessbetrugs" - handeln soll, also um einen spezifischen deliktsrechtlichen Anspruch mit besonders hohen tatbestandlichen Voraussetzungen, der im Zivilrechtsweg geltend zu machen ist (ebenso OLG Naumburg, Beschluss v. 14.03.2014 - 2 Verg 1/14 "Projektsteuerung" - VergabeR 2014, 787). Schon nach der Systematik des Zivilrechts stehen deliktsrechtliche Anspruchsgrundlagen mit unterschiedlichen Tatbestandsvoraussetzungen parallel nebeneinander (vgl. Franßen in: Byok/Jaeger, GWB, 4. Aufl. 2020, § 180 Rn. 10) und verdrängen regelmäßig (vor-) vertragliche Anspruchsgrundlagen nicht. Dies gilt umso mehr, wenn - wie hier - die Anspruchsgrundlagen unterschiedliche Schadenspositionen erfassen. Während § 180 GWB nur spezifische Verhaltensweisen im Nachprüfungsverfahren sanktioniert und für die hieraus resultierenden Schäden eine Ausgleichsmöglichkeit begründet, beziehen sich Ansprüche aus einem vorvertraglichen Schuldverhältnis auch auf Verhaltensweisen im Vergabeverfahren selbst - unabhängig von einer Inanspruchnahme des Primärrechtsschutzes - und können auch auf den Ausgleich von Schäden gerichtet sein, deren Eintritt nicht im Zusammenhang mit einem vergaberechtlichen Nachprüfungsverfahren steht. Darüber hinaus ist darauf zu verweisen, dass die Vorschrift des § 180 Abs. 3 GWB der Norm des § 945 ZPO nachgebildet ist. Für diese zwar in der Prozessordnung normierte, aber ihrer Natur nach ebenfalls deliktsrechtliche Anspruchsgrundlage ist allgemein anerkannt, dass Ansprüche auch nach anderen materiell-rechtlichen Anspruchsgrundlagen begründet sein können (vgl. nur Vollkommer in: Zöller, ZPO, 35. Aufl. 2024, § 945 Rn. 5 m.w.N.). Deswegen mag § 180 GWB die Anwendung der § 826 BGB und § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB als speziellere Norm verdrängen; nach allgemeiner Auffassung kommt aber neben § 180 GWB z.B. auch eine Sanktionierung nach allgemeinen zivilrechtlichen Vorschriften, insbesondere §§ 280 Abs. 1, 311 Abs. 2 und 241 Abs. 2 BGB, in Betracht (vgl. Gnittke/Hattig in: Müller-Wrede, GWB, 2. Aufl. 2023, § 180 Rn. 62; Scharen in: Willenbruch/Wieddekind, KK-VergabeR, 4. Aufl. 2017, § 180 GWB Rn. 16).
c) Während es zur Vorschrift des § 180 GWB keine höchstrichterliche Rechtsprechung gibt, ist zu der ebenfalls spezifischen vergaberechtlichen Anspruchsnorm des § 126 GWB a.F./ § 181 GWB n.F. - Ersatz des Vertrauensschadens des teilnehmenden Unternehmens gegen den öffentlichen Auftraggeber bei Vergaberechtsverstoß - bereits entschieden worden, dass sie die Anwendung anderer Anspruchsgrundlagen nicht ausschließt (vgl. BGH, Urteil v. 01.08.2006 - X ZR 146/03 - VergabeR 2007, 194; BGH, Urteil v. 27.11.2007 - X ZR 18/07 "Hochwasserschutzanlage" - VergabeR 2008, 219). Die in diesen Entscheidungen niedergelegten Erwägungen sind ohne Weiteres auf § 180 GWB übertragbar.
2. Die Beklagte hat nach den zutreffenden Feststellungen des Landgerichts mehrfach gegen vorvertragliche Pflichten i.S.v. § 241 Abs. 2 BGB verstoßen.
a) Die Prozessparteien streiten nicht darüber, dass mit der Teilnahme der Beklagten am Offenen Verfahren der Klägerin ein vorvertragliches Schuldverhältnis i.S.v. § 311 Abs. 2 BGB entstanden ist, in denen den Beteiligten wechselseitig die Nebenpflichten des § 241 Abs. 2 BGB oblagen, also auch der Beklagten als Bieterin die Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen der Klägerin als Vergabestelle und Auftraggeberin.
Unterwerfen sich die Parteien eines vorvertraglichen Schuldverhältnisses besonderen Regelungen, wie hier den Vorschriften der Vergabeverordnung, so werden die wechselseitigen Rücksichtnahme- und Schutzpflichten durch dieses Vergaberegime konkretisiert. Ein vergaberechtswidriges Verhalten entweder des Auftraggebers oder des Bieters ist regelmäßig zugleich ein pflichtwidriges Verhalten i.S.v. § 241 Abs. 2 BGB. Die Klägerin hat zu Recht darauf hingewiesen, dass eine schadensersatzträchtige Pflichtverletzung nach § 241 Abs. 2 BGB nicht voraussetzt, dass der Geschädigte, hier die Klägerin, auf ein pflichtgemäßes Verhalten des Schädigers, hier der Beklagten, vertraut hat (vgl. nur BGH, Urteil v. 09.06.2011 - X ZR 143/10 "Rettungsdienstleistungen II" - BGHZ 190, 89 für Pflichtverletzungen im Vergabeverfahren).
b) Nach diesen Maßstäben stellte es bereits eine Pflichtverletzung i.S.v. § 241 Abs. 2 BGB dar, dass sich die Beklagte am Vergabeverfahren mit Angeboten beteiligte, welche unter Verstoß gegen den Grundsatz des fairen Wettbewerbs und der Gleichbehandlung (§ 97 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 GWB), aus denen das Gebot des Geheimwettbewerbs hergeleitet wird, erstellt wurden.
aa) In § 97 Abs. 1 Satz 1 GWB ist der zentrale Grundsatz des öffentlichen Auftragswesens dahin formuliert, dass der öffentliche Auftraggeber seine Leistungen im Wettbewerb zu beschaffen hat. Die Einhaltung des Wettbewerbsgrundsatzes erfordert insoweit u.a. von den Bietern, dass die Abgabe eines Angebots in Unkenntnis der Konkurrenzangebote erfolgen muss, weil anderenfalls die Ziele des Wettbewerbs nicht erreicht werden können, insbesondere das Ziel, durch die Organisation eines fairen Wettbewerbs einen wirtschaftlichen Anreiz für Wirtschaftsteilnehmer zu schaffen, die vom öffentlichen Auftraggeber benötigten Leistungen in einem von ihm definierten Sinne wirtschaftlich (§ 127 Abs. 1 GWB) anzubieten. Wenn der einzelne Bieter nicht weiß, welche Konditionen der Konkurrent seiner Offerte zugrunde legt, wird er, um seine Aussicht auf den Erhalt des Zuschlags zu steigern, bis an die Rentabilitätsgrenze seiner individuell berechneten Gewinnzone kalkulieren. Kennt ein Bieter hingegen wesentliche Kalkulationsdaten eines Konkurrenzangebotes, muss er nicht mehr potenziell günstigere Angebote unterbreiten, sondern er braucht sein Angebot nur noch an die ihm bekannten Bedingungen der Konkurrenz auszurichten. Durch die Abgabe eines nicht eigenständigen, sondern an den Kalkulationsgrundlagen eines Konkurrenzangebotes orientierten und dessen Ansätze jeweils knapp unterschreitenden Angebotes hat ein solcher Bieter gegenüber den anderen Bietern ungerechtfertigte Vorteile. Wesentliches und unverzichtbares Kennzeichen einer Auftragsvergabe im Wettbewerb ist daher die sowohl durch den öffentlichen Auftraggeber als auch durch die Bieter jeweils bewirkte Gewährleistung eines Geheimwettbewerbs zwischen den an der Ausschreibung beteiligten Bietern (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss v. 16.09.2003 - Verg 52/03 - VergabeR 2003, 690; Thüringer OLG, Beschluss v. 06.07.2004 - 6 Verg 3/04; OLG Naumburg, Beschluss v. 02.08.2012 - 2 Verg 3/12 "Müllheizkraftwerk I" - VergabeR 2013, 123; OLG München, Beschluss v. 14.03.2013 - Verg 32/12 "Vergärungsanlage I" - VergabeR 2013, 917; OLG Düsseldorf, Beschluss v. 04.02.2013 - VII-Verg 31/12 - VergabeR 2014, 188). Diese Rechtsauffassung zur Auslegung letztlich des Unionsrechts hat der Gerichtshof der Europäischen Union auch unter Geltung der aktuellen Richtlinien bestätigt (vgl. EuGH, Urteil v. 15.09.2022 - C 416/21 "Landkreis Aichach-Friedberg" - VergabeR 2023, 30, Rz. 58, 64; nachfolgend BayObLG, Beschluss v. 11.01.2023 - Verg 2/21 "Regionalbuslinienverkehr" - VergabeR 2023, 411). Mit der Abgabe eines nicht eigenständig, sondern unter Verstoß gegen das Gebot des Geheimwettbewerbs erstellten Angebots verletzt der Bieter objektiv seine in § 241 Abs. 2 BGB definierte Rücksichtnahmepflicht gegenüber dem öffentlichen Auftraggeber.
bb) Das Landgericht hat zutreffend festgestellt, dass die Beklagte bei der Erstellung ihrer Angebote objektiv gegen das Gebot des Geheimwettbewerbs verstoßen hat, indem sie ihre Angebotskalkulation an dem Kalkulationsschema und den Daten der Urkalkulation der Mitbewerberin orientierte und die hieraus resultierenden Preise jeweils bewusst unterbot.
(1) Zunächst ist darauf zu verweisen, dass das Berufungsgericht im Zivilprozess einer sog. Tatsachenbindung unterliegt. Hinsichtlich der tatsächlichen Grundlagen der zu treffenden Entscheidung im Rechtsstreit ist der Prüfungsumfang des Berufungsgerichts eingeschränkt. Auch wenn das Berufungsgericht noch Tatsachengericht ist, hat es grundsätzlich gemäß §§ 529 Abs. 1 Nr. 1, 520 Abs. 3 Nr. 3 ZPO als den Kernbestimmungen des Berufungsrechtes von den Tatsachen auszugehen, die das Gericht des ersten Rechtszuges festgestellt hat. Das gilt nur dann und insoweit nicht, soweit konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten. Eine erneute Beweisaufnahme und damit ein Abweichen von den Feststellungen des erstinstanzlichen Gerichts kommen daher nur dann in Betracht, wenn eine gewisse, nicht notwendig überwiegende, aber auch nicht nur theoretische Wahrscheinlichkeit für das Vorliegen unrichtiger oder unvollständiger Feststellungen besteht (vgl. Heßler in: Zöller, ZPO, 35. Aufl. 2024, § 529 Rn. 8 m.w.N.). Dies ist etwa dann der Fall, wenn die beweiswürdigenden Erwägungen einer festen Tatsachengrundlage entbehren, also nur Vermutungen wiedergeben, lückenhaft sind oder gegen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verstoßen oder schließlich bei einer Verkennung der Beweislastverteilung, und wenn dies zu einer unzutreffenden rechtlichen Würdigung geführt hat. An solchen Anhaltspunkten fehlt es hier; vielmehr folgt der Senat uneingeschränkt den erstinstanzlichen Feststellungen.
(2) Das Landgericht hat zutreffend eine Vielzahl von Indizien aufgeführt, welche in ihrer Gesamtheit nur den Schluss zulassen, dass die Beklagte wesentliche Kalkulationsgrundlagen der Angebote der Mitbewerberin kannte, ihrer eigenen Angebotskalkulation zugrunde legte und sie bewusst jeweils knapp unterbot, um ihre Zuschlagschancen zu verbessern. In den Losen 1, 2, 4 und 6 unterbot die Beklagte die Preise in Euro/Mg jeweils um genau 1,00 Euro, zahlreiche weitere anzugebende Einzelpreise in Abhängigkeit von der behandelten Abfallmenge wiesen jeweils annähernd den gleichen Abstand zueinander auf; insoweit nimmt der Senat auf die tabellarische Aufstellung auf Seite 7 ff. der Klageschrift Bezug, welcher die Beklagte inhaltlich nicht entgegengetreten ist. In der von der Klägerin vorgelegten schematischen Darstellung der Kostenverläufe in den Losen 1, 3, 4 und 6 hinsichtlich der jeweils fünf Mengenkorridore ergibt sich ein exakt paralleler Kurvenverlauf. Bei den leerungsabhängigen Preisen unterbot die Beklagte das Angebot der Mitbewerberin für drei Behältergrößen um 0,2 Cent und für zwei Behältergrößen um 0,3 Cent und lediglich für eine Behältergröße um 0,6 Cent. Die Beklagte führte in ihren Angeboten für exakt dieselben Loskombinationen, wie die Mitbewerberin, Rabattangebote auf, welche mit einer einzigen Ausnahme jeweils 0,1 bzw. 0,2% höher lagen als diejenigen der Mitbewerberin. Dabei fehlte bei der Beklagten ausgerechnet diejenige (mögliche) Rabattkombination, welche auch von der Mitbewerberin nicht angeboten wurde. Wegen der Einzelheiten wird auf die tabellarische Darstellung auf S. 11 der Klageschrift Bezug genommen. Im Übrigen macht sich der Senat die erstinstanzlichen Feststellungen bezüglich der jeweils losweisen Betrachtungen (LGU S. 15 f.) zu Eigen.
(3) Angesichts der Vielzahl der Parallelen in den jeweiligen Angeboten der Beklagten und der Mitbewerberin in allen fünf Losen sowie weiterer Umstände - die weitgehend identische formale und inhaltliche Struktur, die weitgehende Identität des Aufbaus der aus einer Standard-Software-Lösung der Mitbewerberin stammenden Kalkulationstabellen einschließlich der Spaltenüberschriften, der Zeilenumbrüche und einzelner Textfelder, identischer Rechtschreib- und inhaltliche Zuordnungsfehler - hat die Beklagte inzwischen eingeräumt, dass sie ihre Angebotskalkulation nach den Kalkulationsdaten auf einem USB-Stick ausgerichtet und diese Daten bewusst unterschritten hat. Es ist inzwischen unstreitig, dass die Daten auf dem USB-Stick die Daten der Kalkulation der Angebote der Mitbewerberin im selben Vergabeverfahren waren.
c) Ein weiterer objektiver Verstoß der Beklagten gegen die nach § 241 Abs. 2 BGB bestehende Verpflichtung zur Rücksichtnahme auf die Rechtsgüter und Interessen der Klägerin liegt darin, dass die Beklagte im Rahmen der Aufklärung ihrer Angebotskalkulation nach der Öffnung der sog. Urkalkulationen der hiesigen Beklagten und der Mitbewerberin ihre Orientierung an den Kalkulationsdaten der Mitbewerberin in Abrede stellte und dadurch weitere Ermittlungen der Klägerin veranlasste, statt das tatsächliche Zustandekommen ihrer Angebotskalkulation umfassend wahrheitsgemäß offenzulegen. Gleiches gilt für die hier missbräuchliche Inanspruchnahme des vergaberechtlichen Primärrechtsschutzes (dazu unter Abschnitt B. III. der Gründe).
3. Die vorgenannten Pflichtverletzungen sind ursächlich im Sinne einer haftungsbegründenden Kausalität für die mit den Leistungsanträgen zu Ziffern 1, 3, 4 und 5 geltend gemachten Schäden.
a) Für Schadenspositionen, welche den erhöhten Prüfungsaufwand der hiesigen Klägerin bereits vor der Inanspruchnahme des Primärrechtsschutzes durch die hiesige Beklagte betreffen und die teilweise Gegenstand des Leistungsantrags zu Ziffer 1 sind, besteht ein ursächlicher Zusammenhang zwischen den objektiv unwahren Angaben der Beklagten zur angeblichen Eigenständigkeit ihrer Angebotskalkulation und den zusätzlichen Aufwendungen der Klägerin für eine ingenieurtechnische und rechtliche Beratung im Umgang mit den Angeboten der Beklagten. Die Ursächlichkeit ist evident.
b) Für die Schadenspositionen, die auf die beiden Übergangslösungen sowie - hinsichtlich der Dienstleistungen des Loses 2 - auf den Ausfall des Angebots des nach dem Ausschluss der Beklagten verbliebenen Bestbieters zurückgeführt werden, genügt es, dass ein ursächlicher Zusammenhang zwischen den unwahren Angaben der hiesigen Beklagten im vergaberechtlichen Nachprüfungsverfahren und dem Inkraftsetzen des prozessualen Zuschlagsverbots durch Übermittlung der Antragsschrift nach §§ 163 Abs. 2, 169 Abs. 1 GWB besteht. Die unwahren Angaben zur Angebotsgenese und insbesondere zur Eigenständigkeit der Angebotskalkulation sowie die gegen die Klägerin erhobenen Vorwürfe einer bewussten Diskriminierung und Verdrängung zugunsten der Mitbewerberin können nicht hinweggedacht werden, weil sie den Kern der von der hiesigen Beklagten im Nachprüfungsverfahren erhobenen Rüge des vergaberechtswidrigen Angebotsausschlusses bildeten. Da die ausgeschriebenen Dienstleistungen zur Erfüllung von Aufgaben der Daseinsvorsorge unverzichtbar waren, mussten sie für die Zeit des prozessualen Zuschlagsverbots im Hauptvergabeverfahren anderweitig - interimsweise - beschafft werden. Damit im Zusammenhang stehende Mehrkosten gegenüber den fiktiven Kosten bei rechtzeitiger Zuschlagserteilung im Hauptverfahren stehen in einem Kausalverhältnis zur vorgenannten Pflichtverletzung der Beklagten.
4. Die Beklagte hat die vorgenannten Pflichtverletzungen nach § 241 Abs. 2 BGB auch schuldhaft begangen. Hierfür genügte ein fahrlässiges Verhalten. Der Senat ist nach den o.a. Maßstäben des § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO auch insoweit an die vom Landgericht getroffenen tatsächlichen Feststellungen gebunden, wonach die Beklagte in Person ihres verantwortlichen Ingenieurs positive Kenntnis davon hatte, dass die Daten auf dem USB-Stick die Kalkulation der Mitbewerberin im Vergabeverfahren enthielten, welche die Beklagte bewusst und systematisch unterbot.
a) Das Landgericht ist in nicht zu beanstandender Weise davon ausgegangen, dass die Beklagte bereits bei Angebotserstellung positive Kenntnis davon hatte, dass die ihrer Angebotskalkulation zugrunde gelegten Daten auf dem USB-Stick von einem anderen Bieter im selben Vergabeverfahren stammten. Dabei ist zu berücksichtigen, dass sich die Beklagte in rechtlicher Hinsicht das Wissen ihres verantwortlichen Ingenieurs und ihres externen Beraters nach §§ 166 Abs. 1, 278 BGB zurechnen lassen muss.
aa) Zwar ist ungeklärt geblieben, auf welchem Wege der betreffende USB-Stick in den Briefkasten des Beraters der Beklagten gelangte und wann ein konkretes Gespräch zwischen dem Berater und dem verantwortlichen Ingenieur der Beklagten über die eigene Angebotskalkulation stattfand. Ob und inwieweit dem Berater der Beklagten zur Zeit der Angebotserstellung positiv bekannt war, dass die Daten von der Mitbewerberin stammten, konnte nicht festgestellt werden. In seiner Person kommt in Betracht, dass er lediglich grob fahrlässig handelte, weil er trotz der massiven Anhaltspunkte für das Vorliegen der Leistungsansätze eines anderen Unternehmens diese seiner Mitwirkung an der Angebotskalkulation der Beklagten zugrunde legte. Für eine mit dem Unternehmen der Beklagten und dessen betrieblichen Strukturen vertraute sowie mit Angebotskalkulationen für die Beklagte befasste fachkundige Person, wie hier für den Berater der Beklagten, war klar erkennbar, dass die Leistungsansätze der Kalkulationsdaten auf dem USB-Stick nicht dem Unternehmen der Beklagten zuzuordnen waren. Demgemäß hat die Beklagte selbst vorgetragen, dass ihrem Berater aufgefallen sei, dass die auf dem USB-Stick gespeicherte Excel-Datei Zahlen enthielt, welche nicht mit den von ihm selbst ermittelten Daten zu den Leistungsansätzen, z.B. zu Fahrzeuggrößen, Grundstückskosten, Personalkosten oder Kosten des Identsystems, passten (vgl. Schriftsatz der Beklagten im Nachprüfungsverfahren vom 14.03.2018, BeiA I Bd. II Bl. 306). Dabei handelte es sich um Kostenansätze, welche nicht nur unbedeutende Nebenpunkte einer Angebotskalkulation betrafen, sondern typischerweise erheblichen Einfluss auf die Preisbildung nehmen. Der Berater hat in seiner Zeugeneinvernahme am 26.05.2023 darüber hinaus auch mehrfach angegeben, dass er die in der Angebotskalkulation für die Beklagte letztlich festgelegten Preise als zu niedrig und zu knapp kalkuliert erachtete, insbesondere die Preise im Los 1 (Restmüll). Seine Aussage, dass er hinsichtlich der Abweichungen der Kostenansätze zwischen den von ihm ermittelten und den auf dem USB-Stick gespeicherten Daten von - versehentlich fehlerhaft eingetragenen - "Füllangaben" ausgegangen sei, ist unter diesen Umständen nicht glaubhaft. Wenn schon die Kostenparameter nicht mit den Betriebsdaten der Beklagten übereinstimmten, konnte die gesamte hierauf aufbauende Angebotskalkulation nicht mehr stimmig sein. Die vermeintlichen "Fülldaten" können in dem Kalkulationsschema nicht durch Übertragung der bereits zuvor an ihn übermittelten Realdaten der Beklagten ersetzt werden, ohne dass dies Einfluss auf die hierauf beruhende gesamte übrige Preiskalkulation hat.
bb) Die Bewertung des Landgerichts, wonach das Verhalten des verantwortlichen Ingenieurs den Schluss zulässt, dass er sich bewusst war, dass es sich bei den Daten auf dem USB-Stick um die Angebotskalkulation der Mitbewerberin im Vergabeverfahren handelte, und dass er bestrebt war, die Preise der Mitbewerberin jeweils knapp zu unterschreiten, dass er also vorsätzlich handelte, ist nicht zu beanstanden. Der Berater hat in seiner zeugenschaftlichen Vernehmung bekräftigt, dass es dem verantwortlichen Ingenieur darum gegangen sei, diesen Auftrag unbedingt zu erhalten. Eine andere als die vom Landgericht angenommene Erklärung dafür, warum die in der Excel-Tabelle vorhandenen Preisangaben jeweils nochmals systematisch reduziert wurden und sich der Angebotspreis damit noch weiter von einem aus Sicht des Beraters angemessenen Preis entfernte, ist nicht ersichtlich. Die Zeugenaussage des verantwortlichen Ingenieurs, wonach die Daten des USB-Sticks unverändert in die Angebotsunterlagen der Beklagten übernommen worden seien, ist nachweislich falsch. Nach den Aussagen beider Zeugen beruhten jedenfalls die Rabattangebote auf den Entscheidungen des verantwortlichen Ingenieurs. Die auffällige vorbeschriebene Parallelität zu den Rabatten für Loskombinationen der Mitbewerberin ist nur nachvollziehbar, wenn der Ingenieur Kenntnis von diesen Daten des Konkurrenzangebotes hatte.
b) Nur ergänzend ist darauf zu verweisen, dass selbst dann, wenn man davon ausginge, dass die Beklagte - insbesondere in Person ihres verantwortlichen Ingenieurs - zum Zeitpunkt der Erstellung ihrer Angebote lediglich fahrlässig nicht erkannte, dass sie ihre Angebotskalkulation an der Angebotskalkulation der Mitbewerberin orientierte und damit gegen das Gebot des Geheimwettbewerbs verstieß, sie im Hinblick auf die Verletzung ihrer vorvertraglichen Rücksichtspflichten spätestens nach der Gewährung der Akteneinsicht im vergaberechtlichen Nachprüfungsverfahren im Februar 2018 vorsätzlich handelte. Denn durch den Vorhalt der diversen Parallelen in den Angebotskalkulationen der Beklagten und der Mitbewerberin wurde für sie evident, dass ihre Preiskalkulation der Preiskalkulation der Mitbewerberin folgte und diese bewusst jeweils knapp unterbot. Es war spätestens zu diesem Zeitpunkt offensichtlich, dass die Daten auf dem USB-Stick, welche der Angebotskalkulation der Beklagten zugrunde lagen, die Kalkulationsdaten der Mitbewerberin waren. Die Beklagte beharrte in Kenntnis des eigenen objektiv pflichtwidrigen Verhaltens gleichwohl darauf, den Ausschluss ihrer Angebote rückgängig zu machen, indem sie diesen Ausschluss weiter als vergaberechtswidrig rügte und der Nachprüfung unterstellte. Dabei war ihr bewusst, dass die Klägerin durch das prozessuale Zuschlagsverbot nach § 169 Abs. 1 GWB in den Losen 1, 2, 3 und 4 die benötigten Dienstleistungen im Hauptverfahren nicht beschaffen konnte und deswegen anderweitige, im Zweifel kostenungünstigere Lösungen zur Sicherstellung der Abfallentsorgung finden musste.
c) Den Feststellungen zum Verschulden der Beklagten stehen die Erkenntnisse der Vergabekammer in ihrem Beschluss vom 27.04.2018 nicht entgegen. Die Feststellungen entfalten keine Bindungswirkung; insbesondere waren das Landgericht und ist der Senat trotz der Feststellung der Vergabekammer, wonach die hiesige Beklagte "zumindest fahrlässig" irreführende Angaben zur Genese ihrer Angebotskalkulation gemacht habe, nicht gehindert, einen vorsätzlichen Verstoß gegen das Gebot des Geheimwettbewerbs festzustellen.
aa) Nach § 179 Abs. 1 GWB ist ein ordentliches Gericht, welches mit einer Schadensersatzforderung wegen eines Verstoßes gegen Vergabevorschriften befasst ist, an eine bestandskräftige Entscheidung der Vergabekammer bzw. eine rechtskräftige Entscheidung des Vergabesenats des Oberlandesgerichts gebunden. Die Bindungswirkung erstreckt sich dabei auf die Feststellung des Vergaberechtsverstoßes. Da das vergaberechtliche Nachprüfungsverfahren, wie sich insbesondere aus §§ 160, 168 GWB ergibt, lediglich die Verletzung subjektiver Rechte der Teilnehmer des Vergabeverfahrens durch den öffentlichen Auftraggeber oder - soweit abweichend - durch die Vergabestelle zum Gegenstand haben kann, kann sich auch die Bindungswirkung nur auf die Feststellung von Vergabeverstößen des Auftraggebers bzw. der Vergabestelle beziehen. Etwaige Feststellungen zu einem Fehlverhalten des Teilnehmers am Vergabeverfahren erwachsen schon nicht in Bestands- oder Rechtskraft.
bb) Darüber hinaus erstreckt sich die Bindungswirkung, selbst wenn sie eintritt, nur auf die Beurteilung der Verletzung des Teilnehmers am Vergabeverfahren (regelmäßig des Antragstellers, u.U. auch eines Beigeladenen) in seinen subjektiven Rechten nach § 97 Abs. 6 GWB und mithin auf die Vergaberechtswidrigkeit, nicht aber auf ein etwaiges Verschulden oder gar den Verschuldensgrad (vgl. nur Hänisch in: Röwekamp/Kus/Portz/Prieß, GWB, 5. Aufl. 2020, § 179 Rn. 7).
5. Entgegen der Auffassung der Beklagten ist ein Mitverschulden der Klägerin nach § 254 Abs. 2 BGB an der Entstehung der von ihr geltend gemachten Schäden nicht festzustellen.
a) Zwar können sowohl ein Ersatzanspruch nach § 180 GWB (vgl. Scharen, a.a.O., § 180 GWB Rn. 13; Gnittke/Hattig, a.a.O., § 180 Rn. 49 f. m.w.N.) als auch derjenige nach § 280 Abs. 1 BGB gemäß § 254 BGB gemindert oder aufgehoben sein. Die Beklagte leitet eine Mitverantwortung der Klägerin i.S.v. § 254 Abs. 2 BGB für deren Mehrkosten durch die Beauftragung des Zweitplatzierten im Los 2 (Sperrmüll und Elektrogeräte) daraus ab, dass die Klägerin nach der Entscheidung der Vergabekammer vom 27.04.2018, welche der Beklagten am 30.04.2018 zugestellt wurde, nicht dafür Sorge getragen habe, unverzüglich nach Ablauf der Frist des § 173 Abs. 1 GWB am 28.05.2018 auf das Angebot der Bestbieterin in Los 2 den Zuschlag zu erteilen. Dem folgt der Senat nicht.
b) Der Vorschrift des § 254 BGB liegt der Gedanke zugrunde, dass der Geschädigte für einen Schaden mitverantwortlich ist, an dessen Entstehung er in zurechenbarer Weise mitgewirkt hat. Der Geschädigte muss die ihm in eigenen Angelegenheiten obliegende Sorgfalt zumindest fahrlässig verletzt haben (vgl. nur Grüneberg in: Grüneberg, BGB, 84. Aufl. 2025, § 254 Rn. 8 m.w.N.). Im Hinblick auf die sog. Schadensminderungspflicht i.S.v. § 254 Abs. 2 BGB besteht der Mitverschuldensvorwurf darin, dass der Geschädigte Maßnahmen unterlässt, die ein verständiger Mensch zur Verminderung des Umfangs des eintretenden Schadens ergreifen würde (vgl. Grüneberg, a.a.O., § 254 Rn. 36 m.w.N.).
c) Die Klägerin hatte zwar rechtlich die Möglichkeit, vor dem Ablauf der Bindefrist des Angebots des Bestbieters in Los 2 am 06.06.2018 einen Zuschlag auf dessen Angebot zu erteilen. Denn das prozessuale Zuschlagsverbot des § 169 Abs. 1 GWB lief zwei Wochen nach dem Ablauf der zweiwöchigen Beschwerdefrist, mithin am 28.05.2018, automatisch aus. Die Beklagte hatte in ihrer Beschwerdeschrift keinen Antrag auf Anordnung der Verlängerung der aufschiebenden Wirkung - also auf Verlängerung des prozessualen Zuschlagsverbots - nach § 171 Abs. 1 Satz 3 GWB gestellt. Das Unterlassen der Zuschlagserteilung ist aber hier nicht als ein sorgfaltswidriges Verhalten der Klägerin zu bewerten. Die Beklagte verfolgte im Beschwerdeverfahren weiter das Ziel, den Ausschluss ihres Angebots rückgängig zu machen. Auch im Los 2 hatte sie das preisgünstigste Angebot im Wettbewerb abgegeben. Aus Sicht der Klägerin bestand mithin das Risiko, sich gegenüber der Beklagten haftbar zu machen, wenn sie den Zuschlag auf das Angebot des Bieters erteilte, der ohne den Ausschluss des Angebots der Beklagten nur Zweitplatzierter war. Dieser Schadensersatzanspruch hätte ggf. das positive Interesse der Beklagten an der Auftragserteilung umfasst. Dieses Risiko musste die Klägerin zu einer potenziellen Schadensminderung nicht eingehen. Jedenfalls verstieß ihr Verhalten angesichts der sich gegenüberstehenden wirtschaftlichen Risiken nicht gegen die in eigenen Angelegenheiten gebotene Sorgfalt.
d) Hilfsweise ist darauf zu verweisen, dass selbst dann, wenn in dem Verhalten der Klägerin eine fahrlässige Pflichtverletzung zu sehen wäre, eine Abwägung zwischen den Verschuldensanteilen beider Parteien zu erfolgen hätte. Für die Haftungsverteilung käme es entscheidend darauf an, ob das Verhalten der Klägerin oder das der Beklagten den Eintritt des Schadens in einem wesentlich höheren Maße wahrscheinlich gemacht hat (vgl. Scharen, a.a.O., § 180 GWB Rn. 13 m.w.N.; Gnittke/Hattig, a.a.O., § 180 Rn. 50). Nach diesen Maßstäben überwiegt das - bei Einlegung der sofortigen Beschwerde vorsätzliche - Verschulden der Beklagten so erheblich gegenüber dem allenfalls als leicht fahrlässig zu bewertenden Verschulden der Klägerin, dass es bei einer vollen Haftung der Beklagten zu verbleiben hätte.
III. Die Klägerin kann ihre mit den Leistungsanträgen zu Ziffern 1, 3, 4 und 5 verfolgten Schadensersatzansprüche daneben auch auf § 180 Abs. 1 und 2 GWB stützen; diese Anspruchsgrundlage vermag jedoch nicht alle von ihr geltend gemachten Schadenspositionen zu rechtfertigen.
1. Nach den vorausgeführten Feststellungen sind die Tatbestandsvoraussetzungen dieser Norm erfüllt.
a) Die in § 180 Abs. 2 GWB enthaltene Aufführung von Regelbeispielen für Missbrauch ist nicht abschließender Natur ("insbesondere"), so dass für die Entscheidung des Senats in erster Linie auf die Generalklausel in Absatz 1 abzustellen ist. Danach sind ein objektiv von Anfang an aussichtsloser Nachprüfungsantrag bzw. ein entsprechendes Rechtsmittel sowie das Hinzutreten besonderer Umstände erforderlich, welche die Würdigung zulassen, dass der Antragsteller sein Recht auf Primärrechtsschutz rechtsmissbräuchlich einsetzt, also mit einer subjektiv verwerflichen Zielrichtung. Das subjektive Merkmal ist erfüllt, wenn ein Teilnehmer am Vergabeverfahren die Antragstellung im Primärrechtsschutz in dem Bewusstsein, dass sein Begehren aufgrund der materiellen Rechtslage und bei richtiger Rechtsanwendung chancenlos ist, in rücksichtslosem Eigeninteresse vornimmt. Insoweit ist darauf zu verweisen, dass die Missbrauchshandlung nicht nur durch die Antragstellung selbst begangen werden kann, sondern auch durch sonstige Verfahrenshandlungen, mit denen der Antragsteller auf das (weitere) Nachprüfungsverfahren Einfluss zu nehmen sucht (vgl. Gnittke/Hattig, a.a.O., § 180 Rn. 23 m.w.N.). Anders als der Mangel der Rechtfertigung von Antrag oder Rechtsmittel muss die Missbräuchlichkeit nicht von Anfang an vorliegen (vgl. Franßen, a.a.O., § 180 Rn. 17 m.w.N.).
b) Der Nachprüfungsantrag der hiesigen Beklagten war von Anfang an objektiv aussichtslos. Die Beklagte war durch den Ausschluss ihrer Angebote, die objektiv jeweils unter Verstoß gegen das Gebot des Geheimwettbewerbs erstellt worden waren, nicht in ihren subjektiven Rechten nach § 97 Abs. 6 GWB verletzt.
Es kann offenbleiben, ob der von der hiesigen Klägerin herangezogene Ausschlussgrund des § 124 Abs. 1 Nr. 4 GWB vorlag. Hierfür wäre erforderlich gewesen, dass die Klägerin über hinreichende Anhaltspunkte dafür verfügte, dass die Beklagte mit der Mitbewerberin eine Vereinbarung getroffen oder Verhaltensweisen aufeinander abgestimmt habe, welche eine Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs bezwecken oder bewirken. Für eine Verständigung der Beklagten mit der Mitbewerberin fehlten wohl ausreichende Anhaltspunkte. Es kann ebenfalls offenbleiben, ob im Hinblick auf das Verhalten der Beklagten im Vergabeverfahren ein Ausschluss der Angebote der Beklagten nach § 124 Abs. 1 Nr. 3 GWB wegen einer nachweislich schweren Verfehlung im Rahmen der beruflichen Tätigkeit gerechtfertigt gewesen wäre. Jedenfalls lagen die tatbestandlichen Voraussetzungen für einen Ausschluss nach § 124 Abs. 1 Nr. 9 lit. c GWB vor, denn nach den erstinstanzlichen Feststellungen übermittelte die Beklagte im Rahmen ihrer Anhörung im Vergabeverfahren zu den Umständen ihrer Angebotskalkulation zumindest fahrlässig irreführende Informationen, die den Anschein erwecken sollten, dass ihre Angebote jeweils eigenständig und ohne Kenntnis der Kalkulationsparameter der Mitbewerberin erstellt worden seien. Sie erhob darüber hinaus den Vorwurf einer bewussten und direkten Diskriminierung durch die Klägerin zugunsten der Mitbewerberin, obwohl sie hierfür keine konkreten Anhaltspunkte hatte. Maßgeblich ist jedoch, dass die Beklagte deswegen keine Zuschlagschance hatte, weil ihre Angebote wegen des o.a. Verstoßes gegen das Gebot des Geheimwettbewerbs ausgeschlossen werden durften und die hierzu von der Klägerin angestellten Ermessenserwägungen den Ausschluss tragen. Insoweit ist darauf zu verweisen, dass die Aufzählung der Ausschlussgründe in den §§ 123, 124 GWB zwar abschließend ist, dass sie aber Maßnahmen des öffentlichen Auftraggebers zur Gewährleistung des Geheimwettbewerbs nicht entgegenstehen (vgl. EuGH, Urteil v. 15.09.2022 - C-416/21 - VergabeR 2023, 30, Rz. 58, 64; nachfolgend BayObLG, Beschluss v. 11.01.2023 - Verg 2/21 "Regionalbuslinienverkehr" - VergabeR 2023, 411, in juris Rz. 84).
c) Die Beklagte handelte bei der Inanspruchnahme des vergaberechtlichen Primärrechtsschutzes auch mit einer subjektiv verwerflichen Zielrichtung. Die Beklagte hatte in Person ihres verantwortlichen Ingenieurs Kenntnis davon, dass ihre eigenen Angebote unter vorsätzlichem Verstoß gegen das Gebot des Geheimwettbewerbs erstellt worden waren. Sie führte das Nachprüfungsverfahren ausschließlich in der Hoffnung durch, dass es der hiesigen Klägerin nicht gelingen werde, den Nachweis dieses vergaberechtswidrigen Verhaltens der hiesigen Beklagten zu führen. Ihr war dabei bewusst, dass durch die Inanspruchnahme des Primärrechtsschutzes eine Verzögerung des Abschlusses des Vergabeverfahrens und damit der Beschaffung der für die Erfüllung der Aufgaben der Daseinsvorsorge notwendigen Dienstleistungen eintrat, welche negative Auswirkungen auf die Vermögenslage der Klägerin haben musste. Unter Berücksichtigung der Beweggründe der Beklagten, welche in der Durchsetzung einer durch unlauteres Verhalten erlangten Wettbewerbsposition im Vergabeverfahren bestanden, der in Kauf genommenen erheblichen Beeinträchtigungen der Abfallbeseitigung im gesamten Landkreis und der hierfür eingesetzten Mittel bis hin zum Vorwurf eines kartellrechtswidrigen Verhaltens der Klägerin wider besseren Wissens ist das Verhalten der Beklagten seinem Gesamtcharakter nach als verwerflich zu bewerten.
d) Die Beklagte handelte unter Zurechnung des Wissens ihres verantwortlichen Ingenieurs vorsätzlich, sodass es keiner Entscheidung darüber bedarf, ob für die Begründung eines Anspruchs nach § 180 GWB stets ein Vorsatz nachzuweisen ist. Zwar kann der Missbrauch i.S.v. § 180 GWB grundsätzlich nur vorsätzlich begangen werden, das Regelbeispiel des § 180 Abs. 2 Nr. 1 GWB zeigt jedoch, dass fallweise auch grob fahrlässiges Verhalten ausreichen kann (vgl. Scharen, a.a.O., § 180 GWB Rn. 11; Franßen, a.a.O., § 180 Rn. 15) und dieses Regelbeispiel - Erwirkung der Aussetzung bzw. weiteren Aussetzung des Vergabeverfahrens (durch das prozessuale Zuschlagsverbot) durch grob fahrlässig vorgetragene falsche Angaben - gerade bei einem festgestellten Ausschlussgrund nach § 124 Abs. 1 Nr. 9 lit. a oder c naheliegt (vgl. Gnittke/Hattig, a.a.O., § 180 Rn. 25).
2. Hinsichtlich der haftungsbegründenden Kausalität, des Schadens und des Nichtvorliegens eines zu berücksichtigenden Mitverschuldens der Klägerin kann auf die Vorausführungen Bezug genommen werden.
IV. Das erstinstanzliche Urteil ist teilweise neu zu fassen, soweit die Klägerin in der Berufungsinstanz bezüglich eines Antrags - des Klageantrags zu Ziffer 2, gerichtet auf Feststellung der Ersatzpflicht der Beklagten für künftige Schäden - die Erledigung der Hauptsache erklärt hat.
1. Da die Beklagte sich dieser Erledigungserklärung nicht angeschlossen und auch insoweit ihren Klageabweisungsantrag aufrechterhalten hat, ist die einseitig gebliebene Erledigungserklärung der Klägerin als eine nach § 264 Nr. 2 ZPO stets zulässige Klageänderung auszulegen (vgl. nur Althammer in: Zöller, ZPO, 35. Aufl. 2024, § 91a Rn. 34 m.w.N.). Das Gericht hat danach darüber zu entscheiden, ob der ursprüngliche Klageantrag zulässig und begründet gewesen und im Verlaufe des Rechtsstreits gegenstandslos geworden ist (vgl. Althammer, a.a.O., § 91a Rn. 43).
2. Der auf Feststellung der Ersatzpflicht für künftige Schäden gerichtete Antrag zu Ziffer 2 ist ursprünglich nach § 256 Abs. 1 ZPO zulässig gewesen. Das Landgericht hat das Feststellungsinteresse zutreffend bejaht, weil die Schadensentwicklung zum Zeitpunkt der Antragstellung noch nicht abgeschlossen war und ein rechtliches Interesse an dem Vorbehalt der Geltendmachung weiterer Schäden unter dem Gesichtspunkt einer drohenden Verjährung bestand. Der Feststellungsantrag ist nach den Vorausführungen ursprünglich auch begründet gewesen.
3. Das Feststellungsinteresse der Klägerin ist entfallen, nachdem einerseits die Schadensentwicklung abgeschlossen war, also zum 31.12.2022, und andererseits die Klägerin sämtliche ihr entstandenen Schäden abschließend zum Gegenstand bestimmter, klageerweiternder Leistungsanträge, zuletzt am 23.03.2023, gemacht hatte.
C.
I. Die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens beruht auf §§ 91 Abs. 1 und 97 Abs. 1 ZPO.
II. Die weiteren Nebenentscheidungen ergeben sich aus §§ 708 Nr. 10, 711 Satz 1 sowie 543, 544 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 ZPO.
III. Die Revision nach § 543 Abs. 2 ZPO war nicht zuzulassen, da die Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung hat noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordern. Insbesondere stellt es - für sich genommen - keinen Zulassungsgrund dar, dass es bisher zur Frage der Anspruchskonkurrenz noch keine höchstrichterliche Entscheidung gibt.
IV. Die Festsetzung des Streitwerts für die Gebührenberechnung (Kostenwert) im Berufungsverfahren ist bereits im Termin der mündlichen Verhandlung erfolgt.
Anschluss an Erledigungserklärung: Keine Antragsumstellung möglic...
Anschluss an Erledigungserklärung: Keine Antragsumstellung möglich!
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VK Westfalen
Beschluss
vom 12.03.2025
VK 1-7/25
1. Hat sich das Nachprüfungsverfahren durch Erteilung des Zuschlags, durch Aufhebung oder durch Einstellung des Vergabeverfahrens oder in sonstiger Weise erledigt, stellt die Vergabekammer auf Antrag eines Beteiligten fest, ob eine Rechtsverletzung vorgelegen hat.
2. Ungeschriebene Zulässigkeitsvoraussetzung für den Fortsetzungsfeststellungsantrag ist das Vorliegen des sog. Feststellungsinteresses. Ein solches Feststellungsinteresse rechtfertigt sich durch jedes Interesse rechtlicher, wirtschaftlicher oder ideeller Art und muss geeignet sein, die Rechtsposition des Antragstellers in einem der genannten Bereiche zu verbessern und eine Beeinträchtigung seiner Rechte auszugleichen oder zu mildern.
3. Durch die Erklärung des Antragsgegners, sich der Erledigungserklärung des Antragstellers anzuschließen, ist das Nachprüfungsverfahren beendet. Eine Umstellung von Anträgen im laufenden Nachprüfungsverfahren ist nicht mehr möglich.
VK Westfalen, Beschluss vom 12.03.2025 - VK 1-7/25
Tenor:
1. Das Vergabeverfahren ist infolge der übereinstimmenden Erledigungserklärungen der Antragstellerin vom 26.02.2025 und des Antragsgegners vom 28.02.2025 beendet.
2. Die Verfahrensgebühr wird auf 250 Euro festgesetzt.
3. Die Hinzuziehung einer Verfahrensbevollmächtigten durch die Antragstellerin war notwendig.
4. Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich der notwendigen Aufwendungen der Antragstellerin zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung und Rechtsverteidigung.
Gründe:
I.
Der Antragsgegner hat in vier Bekanntmachungen die Beseitigung von Ölverunreinigungen auf Verkehrsflächen europaweit ausgeschriebenen. Vorliegend geht es um die Leistungen im Bereich der Straßenmeisterei ... (Veröffentlichungsnummer der Bekanntmachung: ...). Diese sollten - ausweislich der Aufforderung zur Angebotsabgabe - als Rahmenvertrag vergeben werden. Als Vertragslaufzeit hatte der Antragsgegner zwei Jahre vorgesehen mit einer zweimaligen Verlängerungsoption um jeweils ein Jahr. Eine Höchstmenge für die im Rahmen der Vertragslaufzeit abrufbare Leistung gab der Antragsgegner in der Bekanntmachung nicht an. Neben anderen Festlegungen bestimmte der Antragsgegner in den Ausführungsbedingungen unter Ziffer 3.8 zum Verfahren Folgendes:
"[...] Nachweis der einzusetzenden Reinigungsfahrzeuge mit Zertifizierung nach VDI Richtlinien VDI 4089 oder gleichwertig. Anforderungen an die Gleichwertigkeit:
- Vergleichbare und wiederholbare Prüfbedingungen, insbesondere:
- Vorgaben zur Prüfflüssigkeit und -menge
- Vorgabe einer Reinigungsgeschwindigkeit (> 0,5 km/h) für definierten Anwendungsfall
- Mindestgröße der zu reinigenden Fläche von 10 m Länge und 0,5 m Breite
- Prüfoberfläche Asphalt
- Definiertes Reinigungsziel, insbesondere:
- Wiederherstellung einer Griffigkeit von mindestens 85 % bei Überprüfung durch ein im Straßenbau zugelassenes Prüfverfahren der Griffigkeit
- Vollständige Aufnahme der Schmutzflotte inkl. Feststoffe, z.B. Ölbindemittel
- Das Reinigungsergebnis muss mit einer Überfahrt erzielt werden
- Die Zertifizierung darf nicht länger als zwei Jahre zurückliegen, als Stichtag ist hier der Termin für den Ablauf der Angebotsfrist festgesetzt. Auch während der Vertragslauf darf die Zertifizierung nicht länger als zwei Jahre zurückliegen und muss entsprechend immer aktualisiert werden.
- Die Dokumentation der Prüfung muss dem Zertifikat beigefügt werden RAL G-899 wird aufgrund den aufgeführten Bedingungen nicht mehr als gleichwertig anerkannt. [...]"
Die Antragstellerin rügte vor Angebotsfrist neben der Vorgabe der Zertifizierung der Reinigungsfahrzeuge nach den VDI Richtlinien VDI 4089 noch weitere Vorgaben des Antragsgegners, wie das Fehlen von erforderlichen Angaben und die Mengenvorsätze in der Ausschreibung, den Vergabeunterlagen und dem Leistungsverzeichnis. Ihrer Ansicht nach verstieß die Ausschreibung gegen die bieterschützenden Grundsätze des Wettbewerbs, der Transparenz, der Gleichbehandlung und gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Mangels einer Antwort innerhalb der Angebotsfrist erhob die Antragstellerin einen Nachprüfungsantrag und die Kammer leitete entsprechend hierzu ein Nachprüfungsverfahren ein.
Nachdem der Antragsgegner von der Kammer zur Stellungnahme aufgefordert worden war, gab er in seiner Antragserwiderung bekannt, dass er vielen, jedoch nicht allen Rügepunkten der Antragstellerin entsprechen werde und deshalb die Ausschreibung zurückversetze, um die Vergabeunterlagen und die Ausschreibung anzupassen. Er kündigte an, an einigen Vorgaben festhalten zu wollen, z.B. an der Zertifizierung der Reinigungsfahrzeuge nach den VDI Richtlinien VDI 4089 und der Einschätzung, dass die RAL G-899 nicht als gleichwertig anerkannt werde.
Daraufhin erklärte die Antragstellerin den Nachprüfungsantrag am 26.02.2025 für erledigt. Der Antragsgegner schloss sich der Erledigungserklärung der Antragstellerin mit Schriftsatz vom 28.02.2025 an.
Darüber hinaus beantragte er,
festzustellen, dass die Antragstellerin - soweit der Antragsgegner dem Begehren der Antragstellerin nicht abgeholfen hat - durch die vom Antragsgegner durchgeführten Verfahren nicht in ihren Rechten verletzt war.
Anschließend legte die Kammer den Verfahrensbeteiligten die beabsichtigte Kostenentscheidung dar und gab ihnen die Möglichkeit hierzu Stellung zu nehmen. Die Antragstellerin äußerte keine Einwände gegen die beabsichtigte Kostenentscheidung. Der Antragsgegner forderte, der Antragstellerin die Kosten aufzuerlegen, soweit er der Rüge der Antragstellerin abgeholfen habe. Der Antragsgegner habe sich intern unverzüglich mit den zu beteiligenden Fachabteilungen in Verbindung gesetzt, um das Rügeschreiben schnellstmöglich zu beantworten. Als er festgestellt habe, dass eine Beantwortung der Rüge nicht mehr innerhalb der Angebotsfrist möglich gewesen sei, habe er die Frist verlängert. Dennoch habe die Antragstellerin den Nachprüfungsantrag eingereicht.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten verweist die Kammer auf die Vergabe- und Verfahrensakten. Aufgrund des Stands des Vergabeverfahrens - die Angebotsprüfung erfolgte wegen der Zurückversetzung nicht - war die Beiladung eines anderen Bieters nicht erforderlich.
II.
Durch die übereinstimmenden Erledigungserklärungen der Antragstellerin vom 26.02.2025 und des Antragsgegners vom 28.02.2025 ist das Nachprüfungsverfahren beendet und von der Kammer nur noch über die Verfahrenskosten zu entscheiden. Der Antrag des Antragsgegners auf Feststellung erweist sich als unzulässig.
1. Der Antrag des Antragsgegners, festzustellen, dass die Antragstellerin - soweit der Antragsgegner dem Begehren der Antragstellerin nicht abgeholfen hat - durch die vom Antragsgegner durchgeführten Verfahren nicht in ihren Rechten verletzt war, ist unzulässig.
Hat sich das Nachprüfungsverfahren durch Erteilung des Zuschlags, durch Aufhebung oder durch Einstellung des Vergabeverfahrens oder in sonstiger Weise erledigt, stellt die Vergabekammer auf Antrag eines Beteiligten fest, ob eine Rechtsverletzung vorgelegen hat, § 168 Abs. 2 S. 2 GWB. Ein typischer Fall der Erledigung in sonstiger Weise ist die Abhilfe durch den Auftraggeber im laufenden Nachprüfungsverfahren.
Der Antragsteller wird insoweit klaglos gestellt, seine Beschwer entfällt und der Nachprüfungsantrag wird damit gegenstandslos (vgl. Ziekow/Völlink/Steck, 5. Aufl. 2024, GWB § 168 Rn. 34).
Ungeschriebene Zulässigkeitsvoraussetzung für den Fortsetzungsfeststellungsantrag ist das Vorliegen des sog. Feststellungsinteresses. Ein solches Feststellungsinteresse rechtfertigt sich durch jedes Interesse rechtlicher, wirtschaftlicher oder ideeller Art und muss geeignet sein, die Rechtsposition des Antragstellers in einem der genannten Bereiche zu verbessern und eine Beeinträchtigung seiner Rechte auszugleichen oder zu mildern (vgl. OLG Düsseldorf, 25.10.2023, Verg 18/23).
Diese Vorgaben zu Grunde gelegt ist der Antrag des Antragsgegners nicht statthaft. Durch die Erklärung, sich der Erledigungserklärung der Antragstellerin anzuschließen, ist das Nachprüfungsverfahren beendet. Eine Umstellung von Anträgen im laufenden Nachprüfungsverfahren war damit gar nicht mehr möglich. Darüber hinaus liegt ein besonderes Feststellungsinteresse des Antragsgegners nicht vor. Das Vorgehen des Antragsgegners ist nicht geeignet, seine Rechtsposition in rechtlicher, wirtschaftlicher oder ideeller Art zu verbessern. Insbesondere liegt eine Wiederholungsgefahr im Rechtssinne nicht vor.
Der Antragsgegner trägt vor, dass ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse wegen einer konkreten Wiederholungsgefahr in Bezug auf einen - nach Auffassung der Antragstellerin - vor Erledigung begangenen Vergaberechtsverstoß in Betracht zu ziehen sei. Eine solche Wiederholungsgefahr liege jedenfalls dann vor, wenn das Risiko bestehe, dass der Auftraggeber im streitgegenständlichen Vergabeverfahren oder bei der Neuausschreibung desselben Beschaffungsgegenstands bei gleicher Sachlage voraussichtlich dieselbe - aus Sicht der Antragstellerin - rechtswidrige Entscheidung erneut treffe.
Diese Argumentation vermag nicht zu überzeugen. Der Antragsgegner verkennt, dass sich die von ihm zitierte Wiederholungsgefahr auf einen möglichen erneuten Rechtsverstoß des Auftraggebers und auf das diesbezügliche Fortsetzungsfeststellungsinteresse eines Antragstellers bezieht. Dadurch soll sichergestellt werden, dass dem Antragsteller die Früchte des von ihm angestrengten Nachprüfungsverfahrens nicht verloren gehen (vgl. OLG Düsseldorf, 04.05.2009, Verg 68/08). Hier hat sich die Antragstellerin jedoch zur umfassenden Erledigungserklärung entschieden und keine Feststellung begehrt, weshalb der durch die Rechtsprechung intendierte Zweck der Wiederholungsgefahr den vorliegenden Fall schon nicht erfasst.
Auch eine Übertragung der Argumentation auf den vorliegenden Fall erscheint für die Kammer nicht möglich. Indem der Antragsgegner festgestellt wissen will, dass das eigene Vorgehen die Antragstellerin nicht in Ihren Rechten verletzt, verlässt er mit seinem Begehren die Grenze dessen, was gemäß § 168 Abs. 2 S. 2 GWB mit einem Feststellungsantrag im Rahmen eines Nachprüfungsverfahrens zur Überprüfung gestellt werden kann. Zusätzlich hierzu ist der Schutz öffentlicher Auftraggeber vor einem erneuten Nachprüfungsantrag gerade kein Fall der "Wiederholungsgefahr". Aus Sicht des Antragsgegners mag es im Sinne der Prozessökonomie zwar wünschenswert sein, bereits jetzt sein zukünftiges Vorgehen überprüft zu wissen. Eine Möglichkeit hierzu ist bislang aber weder vom Gesetz noch von der Rechtsprechung vorgesehen. Vorliegend hat der Antragsgegner es durch die Zurückversetzung selbst in der Hand, sein angestrebtes Vorgehen zu prüfen und im Rahmen der geänderten Bekanntmachung und Vergabeunterlagen Vergaberechtsverstöße zu vermeiden. Der Antrag des Antragsgegners erweist sich den obigen Ausführungen folgend aus gleich mehreren Gründen als nicht statthaft.
2. Mithin war nur noch über die Verfahrensgebühr und die Kostentragung des durch Erledigungserklärung beendeten Nachprüfungsverfahrens zu entscheiden. Die Kosten für das Verfahren vor der Vergabekammer werden auf 250 Euro festgesetzt. Dem Antragsgegner werden diese Kosten auferlegt.
2.1 Gemäß § 182 Abs. 1 GWB werden für Amtshandlungen der Vergabekammer Kosten (Gebühren und Auslagen) zur Deckung des Verwaltungsaufwandes erhoben. Das Verwaltungskostengesetz vom 23. Juni 1970 (BGBl. I. S. 821) in der am 14. August 2013 geltenden Fassung ist anzuwenden.
Unter Zugrundelegung des geschätzten Auftragswerts ergibt sich zunächst die Mindestverfahrensgebühr von 2.500,- Euro aus der Gebührentabelle der Vergabekammern des Bundes und der Länder. Hat sich der Antrag vor Entscheidung der Vergabekammer durch Rücknahme oder anderweitig erledigt, ist gemäß § 182 Abs. 3 S. 4 GWB die Gebühr um die Hälfte zu ermäßigen. Demzufolge reduziert sich die Gebühr auf einen Betrag in Höhe von 1.250,- Euro.
Darüber hinaus kann gemäß § 182 Abs. 3 S. 6 GWB aus Gründen der Billigkeit von der Erhebung von Gebühren ganz oder teilweise abgesehen werden. Vorliegend erfolgte die Verfahrensbeendigung in einem frühen Stadium. Eine Akteneinsicht und eine Beiladung waren noch nicht erfolgt. Darüber hinaus war der Aufwand durch die Schriftsätze geringer als in vergleichbaren Verfahren. Dem folgend erachtet die Kammer eine Ermäßigung der Verfahrensgebühr auf 250 Euro als angemessen.
Im Falle der Erledigung des Nachprüfungsverfahrens richtet sich die Entscheidung darüber, wer die Kosten zu tragen hat, nach § 182 Abs. 3 S. 4 GWB und § 182 Abs. 4 S. 3 GWB. Mithin entscheidet die Kammer nach billigem Ermessen. Dieses wird grundsätzlich durch die Erfolgsaussichten in der Hauptsache bestimmt. Für bestimmte Konstellationen hat jedoch die Rechtsprechung auch Vorgaben getroffen, was der Billigkeit entspricht. Im Falle der Zurückversetzung des Vergabeverfahrens durch den öffentlichen Auftraggeber, wie hier durch den Antragsgegner, begibt dieser sich in die Rolle der unterlegenen Partei, so dass er auch die Kostenlast trägt (entsprechend OLG München, Beschluss vom 10.04.2019, Verg 8/18). Umstände, die aus Billigkeitsgründen für eine andere Verteilung der Kostenlast sprächen, liegen nicht vor.
Der Nachprüfungsantrag wurde auch nicht, wie der Antragsgegner meint, vorzeitig eingereicht. Dies wird von der Rechtsprechung nur in speziellen Fallgestaltungen angenommen, wenn z.B. ein Zuwarten für die Antragstellerin ohne Rechtsverlust noch möglich gewesen wäre (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 13.09.2018, Verg 35/17). Für die Antragstellerin drohte die "Stillhaltefrist" aus § 134 GWB abzulaufen. Die vom Antragsgegner vorgenommene Verlängerung der Angebotsfrist war nicht geeignet, die Rechtsposition der Antragstellerin zu wahren. Sie musste somit weiterhin ab dem 07.03.2025 mit der Zuschlagserteilung rechnen und, um ihre Bieterrechte zu wahren, den Nachprüfungsantrag davor einreichen.
Der Antragsgegner ist allerdings gemäß § 182 Abs. 1 GWB i.V.m. § 8 Abs. 1 Nr. 2 Verwaltungskostengesetz des Bundes von der Entrichtung der Verfahrensgebühr befreit.
3. Die Aufwendungen der Antragstellerin zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung werden für notwendig erklärt und dem Antragsgegner als unterliegendem Beteiligten gemäß § 182 Abs. 4 GWB auferlegt. Die Hinzuziehung der Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin war als notwendig zu bewerten. Das Vergaberecht ist eine überdurchschnittlich komplexe Materie. Gerade rechtliche Fragestellungen sind für Bieter grundsätzlich selbst nicht zu beantworten. Daneben ist das Nachprüfungsverfahren gerichtsähnlich konzipiert, so dass auch prozessuale Kenntnisse erforderlich sind, um eigene Rechte wirksam wahren zu können. Die Hinzuziehung durch die Antragstellerin war notwendig, um eine zweckentsprechende Rechtsverfolgung zu gewährleisten.
(...)
Unzumutbar kurze Ausführungsfrist ist vergaberechtswidrig!
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VK Thüringen
Beschluss
vom 12.03.2025
5090-250-4003/499
1. Die künstliche Aufspaltung von eines einheitlichen (Interims-)Beschaffungsbedarfs, sei es durch mehrere Interimsaufträge, sei es durch eine Kombination aus Vertragsverlängerungen und (neuen) Interimsaufträgen, verstößt gegen das Umgehungsverbot mit der Folge, dass die Auftragswerte zu addieren sind.
2. Es ist nicht zulässig, wenn der Auftraggeber in der Auftragsbekanntmachung hinsichtlich der vorzulegenden Eignungsunterlagen lediglich auf die Vergabeunterlagen verweist. Eine konkrete Verlinkung auf ein elektronisch ohne Weiteres zugängliches Dokument ist dagegen ausreichend, wenn an dem Auftrag interessierte Unternehmen durch bloßes Anklicken zu dem verlinkten Formblatt gelangen können und auf einen Blick erkennen können, welche Anforderungen an sie gestellt werden.
3. Aus dem Transparenz- und Gleichbehandlungsgrundsatz resultiert grundsätzlich die Verpflichtung, Antworten auf Bieterfragen allen Bietern zur Verfügung zu stellen.
4. Bei der Festlegung des Auftragsbeginns handelt es sich grundsätzlich um eine Vertragsbestimmung und nicht um eine Vorschrift über das Vergabeverfahren, deren Verletzung im Nachprüfungsverfahren zur Überprüfung steht. Etwas anderes gilt dann, wenn sich eine Vertragsbestimmung auf die Auftragschancen eines Bieters auswirkt (hier bejaht für eine dreitägigen Ausführungsfrist).
VK Thüringen, Beschluss vom 12.03.2025 - 5090-250-4003/499
Tenor:
1. Es wird festgestellt, dass sich das Nachprüfungsverfahren erledigt hat.
2. Das Nachprüfungsverfahren wird eingestellt.
3. Der Auftraggeber hat die Kosten des Nachprüfungsverfahrens einschließlich der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen der Antragstellerin zu tragen.
4. Der Auftraggeber ist gem. § 8 Abs. 1 Nr. 3 VwKostG i.V.m. § 182 Abs. 1 Satz 2 GWB persönlich von der Zahlung von Gebühren für Amtshandlungen befreit.
5. Die Hinzuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten seitens der Antragstellerin wird für notwendig erklärt.
6. Die Beigeladene hat ihre Aufwendungen selbst zu tragen.
7. Auslagen der Vergabekammer sind nicht angefallen.
Gründe:
I.
Mit Veröffentlichung am 02.12.2024 im Th. Staatsanzeiger - Öffentlicher Teil (Nr. ...) hat der AG im Rahmen einer öffentlichen Ausschreibung (UVgO; Vergabe-Nr. ...) die Interimsvergabe "Unterhaltsreinigung in verschiedenen Objekten des Landkreises Sch M " vom 02.01.2025 bis 31.01.2025 national ausgeschrieben. Die zu vergebene Dienstleistung war nach Ziffer 5 der Bekanntmachung vom 02.12.2024 in drei Lose aufgeteilt: Los 1 Meiningen-Grabfeld, Los 2 Meiningen und Los 4 Schmalkalden. Streitgegenständlich ist vorliegend das Los 4.
Unter Ziffer 4 der Bekanntmachung war ausgeführt, dass aufgrund eines Nachprüfungsverfahrens in der noch laufenden Hauptvergabe BGV 87/2024 der AG in diesem Verfahren (BGV 121/2024) die Reinigungsleistung für die Lose 1, 2 und 4 übergangsweise für die Zeit von einem Monat ab 02.01.2025 vergibt.
Nach Ziffer 9 der Bekanntmachung wurde hinsichtlich der Vergabeunterlagen auf die elektronische Adresse "www.vergabe-suche.de" verwiesen. Gemäß dem, in den Vergabeunterlagen enthaltenen, Formblatt 631 "Aufforderung zur Abgabe eines Angebots" umfasste die Dienstleistung die Unterhaltsreinigung in verschiedenen Objekten des Landkreises Schmalkalden-Meiningen.
Unter Ziffer 13 der Bekanntmachung wurde zu den Eignungskriterien Folgendes ausgeführt:
"Der Bewerber hat zum Nachweis seiner Eignung folgende Unterlagen mit dem Angebot vorzulegen: siehe Formular 124 Eigenerklärung zur Eignung; Eigenerklärung nach § 8 ThürVgG".
Nach Ziffer 14 der Bekanntmachung war beabsichtigt, den Zuschlag auf das wirtschaftlichste Angebot zu erteilen und es wurde bezüglich der weiteren Zuschlagskriterien auf die Vergabeunterlagen verwiesen.
Gemäß dem, in den Vergabeunterlagen enthaltenen, Formblatt "Erläuterung der Zuschlagskriterien" wurde u.a. Folgendes ausgeführt:
"Der Zuschlag wird gemäß § 127 Abs. 1 GWB und § 58 VgV auf das wirtschaftlichste Angebot erteilt.
Die Gesamtnote je Los setzt sich in dieser Ausschreibung wie folgt zusammen:
1. Preis (50 Prozent der Gesamtnote)
2. Reinigungsstunden (50 Prozent der Gesamtnote)
Nachfolgend wird das Bewertungssystem mit Beispielen erläutert.
I. Zuschlagskriterien Los 1, 2 und 4 Unterhalts- und Grundreinigung:
1. Preis in Euro
2. Reinigungsstunden in Stunden (h)
II. Bewertungssystem:
1. Das niedrigste Preisangebot in Euro erhält die Note 1,00. Diese Note orientiert auf einen niedrigen Preis.
Der Preis setzt sich aus dem Gesamtpreis aller kalkulierten Leistungen inklusive Mehrwertsteuer zusammen. Preise nach Bedarf werden einmalig oder, sofern angegeben, mit der Anzahl der geforderten Durchführungen bewertet. Nachlässe werden nicht bewertet.
2. Das Angebot mit den höchsten Unterhalts- und Grundreinigungsstunden (alle Reinigungsstunden werden berücksichtigt) in h erhält die Note 1,00. Reinigungsstunden nach Bedarf werden einmalig oder, sofern angegeben, mit der Anzahl der geforderten Durchführungen bewertet. Diese Note ist der Gradmesser für die Qualität der Reinigung.
3. Die Noten der anderen Angebote berechnen sich entsprechend den Abweichungen von dem niedrigsten Preis und den höchsten Reinigungsstunden in der Unterhaltsreinigung.
4. Um eine bessere Differenzierung der Noten zu erreichen, wird der Höchstfaktor mit 10 genutzt.
[...]"
Folgende Tabelle war auf Seite 4 des Formblatts "Erläuterung der Zuschlagskriterien" enthalten:
(...)
Die beste Gesamtnote erhält der Bieter 1 mit der Gesamtnote 1,59.
[...]".
Gemäß dem Formblatt 227 "Gewichtung der Zuschlagskriterien" waren sowohl der Preis, wobei minimal 0 bis maximal 10 Punkte erreichbar waren, als auch die Energieeffizienz, wobei minimal 0 bis maximal 10 Punkte erreichbar waren, Zuschlagskriterien. Die Summe der beiden Zuschlagskriterien sollte eine Gewichtung von 100 % ergeben.
Entsprechend der Aufforderung zur Abgabe eines Angebots (Formblatt 631) sollten die Bieter, soweit erforderlich, das Formblatt 125 "Sicherheitsauskunft und Verpflichtungserklärung Teilnehmer" ausgefüllt mit dem Angebot einreichen. Nach Formblatt 631 wurde gefordert, dass sich das Unternehmen in der Geheimschutzbetreuung bei einer Behörde befindet oder über eine zur Auftragsausführung ausreichende Anzahl an Beschäftigten verfügt, die aufgrund Sicherheitsüberprüfung für Tätigkeiten in Sicherheitsbereichen zugelassen sind und/oder zum Umgang mit Verschlusssachen bis zu folgendem Geheimhaltungsgrad (VS-vertraulich, geheim, streng geheim) ermächtigt sind.
Nebenangebote waren nach Ziffer 7 der Bekanntmachung nicht zugelassen. Schlusstermin für den Eingang der Angebote war gemäß Ziffer 10 der Bekanntmachung der 17.12.2024, 10 Uhr.
Im Zuge des Vergabeverfahrens versandte der AG an die Interessenten mehrere Nachschreiben.
Mit erstem Nachschreiben vom 02.12.2024 teilte der AG auf der Plattform "www.staatsanzeiger-eservices.de" den Interessenten mit, dass es sich um eine Interimsvergabe von Reinigungsarbeiten für die Dauer des Nachprüfungsverfahrens vor der Vergabekammer (BGV 87/2024) bzgl. der Lose 1, 2 und 4 bis längstens 31.12.2025 handle.
Mit zweitem Nachschreiben vom 05.12.2024, Bezug nehmend auf eine Bieterfrage der AST, teilte der AG der AST auf obiger Plattform mit, dass aufgrund der neuen Tarifanpassung sowie der Anpassung der Beiträge zu den Krankenkassen und Pflegekassen, die zum Zeitpunkt der Ausschreibung noch nicht bekannt gewesen seien, der AG bitte, die Kalkulation entsprechend für das Jahr 2025 anzupassen.
Mit drittem Nachschreiben vom 12.12.2024, Bezug nehmend auf eine Bieterfrage der AST, teilte der AG der AST auf obiger Plattform mit, dass er das Formblatt 125 gewählt habe, da er in verschiedenen Bereichen des Landratsamtes vertrauliche Vorgänge und Akten aufbewahre. Das Formblatt 125 müsse nicht zum Submissionstermin vorgelegt werden. Gegebenenfalls würde der AG das Formblatt 125 bei Bedarf nachfordern.
Mit Schreiben vom 13.12.2024 rügte die AST die vom AG veröffentlichten Ausschreibungsunterlagen. Das bislang durchgeführte Vergabeverfahren verstoße gegen die bieterschützenden Grundsätze des Wettbewerbs, der Transparenz, der Gleichbehandlung und der Verhältnismäßigkeit gemäß § 97 Abs. 1 und 2 GWB. Die Interimsvergabe habe europaweit ausgeschrieben werden müssen, da der einschlägige Schwellenwert für Liefer- und Dienstleistungsaufträge i.H.v. 221.000 Euro überschritten sei. Die AST trug vor, die national bekanntgemachte Interimsvergabe sei nicht entsprechend den Vorgaben des GWB und der VgV durchgeführt worden. Der AG habe nicht die Vorgaben von § 3 VgV beachtet und er habe deshalb die gegenständlichen Dienstleistungen nur national ausgeschrieben. Bei der Schätzung des Auftragswertes nach § 3 Abs. 1 Satz 1 und 2 und Abs. 11 Nr. 1 VgV sei vom voraussichtlichen Gesamtwert der vorgesehenen Leistung ohne Umsatzsteuer auszugehen. Zudem seien etwaige Optionen oder Vertragsverlängerungen zu berücksichtigen, bzw. bei Aufträgen über Liefer- oder Dienstleistungen, für die kein Gesamtpreis angegeben werde, sei Berechnungsgrundlage für den geschätzten Auftragswert bei zeitlich begrenzten Aufträgen mit einer Laufzeit von bis zu 48 Monaten, der Gesamtwert für die Laufzeit dieser Aufträge. So habe die Vergabekammer Thüringen (Beschl. v. 27.08.2024, 5090-250-4003/469) in einem Fall bemängelt, dass der Auftraggeber bei der Schätzung des Auftragswertes nur das eine Jahr der Interimsvergabe und nicht die Option nach 2.1.4. der europaweiten Auftragsbekanntmachung
"... verlängert sich der Vertrag ungeachtet der oben genannten Kündigungsmöglichkeit, einmalig um ein Jahr bis zum 30.09.2026"
berücksichtigt habe. Vorliegend habe der AG in seinem Nachschreiben vom 02.12.2024 ausgeführt, dass die Interimsvergabe für die Dauer des Nachprüfungsverfahrens vor der Vergabekammer bzgl. der Lose 1, 2 und 4 bis längstens 31.12.2025 laufen solle. Daher habe der AG nach den dargelegten Grundsätzen (Berücksichtigung der Verlängerungen) die gesamte mögliche Vertragslaufzeit (also ein Jahr) bei der Auftragswertschätzung zu berücksichtigen. Bereits in ihrer Rüge vom 12.11.2024, betreffend die Hauptausschreibung, habe die AST dargelegt, dass ein weiterer Mitbieter bei Los 1 den niedrigsten Preis angeboten habe. Bei Los 2 habe die BEI den niedrigsten Preis geboten und bei Los 4 habe die AST den niedrigsten Preis angeboten. Daher sei bei Zusammenrechnung der gegenständlichen Lose und der Zugrundelegung der maximalen Laufzeit von einem Jahr der Schwellenwert deutlich überschritten.
Soweit der AG davon ausgegangen sei, dass die Interimsausschreibung nur für den Monat Januar 2025 erfolge, habe die Vergabekammer Thüringen mit Verfügung vom 10.12.2024 die Entscheidungsfrist in den Nachprüfungsverfahren bis zum 26.02.2025 verlängert. Das heiße, eine Entscheidung werde frühestens im Februar 2025 ergehen. Das bedeute, dass auch bei Zugrundelegung der tatsächlichen Ausführungszeit der Interimsvergabe der Schwellenwert bereits überschritten sei. Nach den oben genannten (niedrigsten) Angebotspreisen für die drei Lose, ergebe sich ein Auftragswert in bestimmter Höhe (der jeweilige Jahresangebotspreis durch 12 dividiert). Daher betrage der Auftragswert für die Monate Januar und Februar 2025 bereits über 300.000,00 Euro für die Lose 1, 2 und 4.
Der AG habe gegen die unionsrechtliche Ausschreibungspflicht verstoßen. Eine unionsrechtswidrige De-facto-Vergabe liege immer dann vor, wenn - wie hier-ein öffentlicher Auftrag oder eine Konzession oberhalb der Schwellenwerte national vergeben werde und damit auch gegen die unionsweite Ausschreibungspflicht verstoßen werde. Der AG habe, obwohl der Schwellenwert überschritten sei, den Auftrag nur national ausgeschrieben. Der AG müsse nicht nur sicherstellen, dass die Ausschreibung überhaupt veröffentlicht werde, sondern vielmehr darauf achten, dass die Ausschreibung im Amtsblatt der EU (also auf TED) bekanntgegeben werde. Die fehlende Bekanntgabe in TED werde gerügt. Welches vergaberechtliche Regelwerk im konkreten Verfahren anzuwenden sei, richte sich unabhängig von Art und Inhalt der Bekanntmachung nach Faktoren wie Auftragsart und Auftragswert. Alle De-facto-Vergaben seien erfasst, gleichgültig, ob eine vorsätzliche oder fahrlässige Missachtung der unionsweiten Ausschreibungspflicht vorliege. Eine rein nationale Ausschreibung könne nicht die gebotene europaweite Bekanntmachung ersetzen. Da eine rechtswidrige De-Facto-Vergabe vorliege, bestehe eine vorherige Rügepflicht vor Einleitung eines Nachprüfungsverfahrens nicht.
Es lägen intransparente und widersprüchliche Zuschlagskriterien vor. Es existiere ein Dokument "Muster_Bewertungsmatrix", wo von einer 50/50-Gewichtung (Preis sowie Reinigungsstunden) gesprochen werde. Gleichzeitig sei aber auch das Formblatt 227 "Gewichtung der Zuschlagskriterien" veröffentlicht worden, was der Bewertungsmatrix widerspreche und wo auch Punkte für Energieeffizienz erreicht werden könnten. Hier würden also "Reinigungsstunden" nicht als Zuschlagskriterium genannt. Zudem würde in der Tabelle im Formblatt 227 "Gewichtung der Zuschlagskriterien" die Gewichtung zwischen den Zuschlagskriterien "Preis" und "Energieeffizienz" nicht angegeben, sondern nur die zu erreichende Gesamtsumme von 100 %. Unter Nummer 5 stehe als Zuschlagskriterium "Energieeffizienz". Bewertet werden solle höchstes Energieeffizienzniveau/Energieeffizienzklasse und niedrigstes Energieeffizienzniveau / Energieeffizienzklasse. Die AST rüge die Kriterien als intransparent und widersprüchlich zu anderen Kriterien. Die vom AG gewählte Medianmethode sei rechtswidrig. In der Aufforderung zur Angebotsabgabe und den beiliegenden Ausschreibungsunterlagen sei festgehalten, dass sich die Wertung der kalkulierten produktiven Jahresreinigungsstunden am Medianwert aller zur Wertung zugelassenen Angebote orientiere. Die "Medianmethode" verstoße gegen § 127 Abs. 4 Satz 1 GWB, da sie keinen wirksamen Wettbewerb der Angebote gewährleiste und damit die Gefahr einer willkürlichen Erteilung des Zuschlags bestehe.
Die Eignungskriterien seien nicht ordnungsgemäß aufgestellt worden. Nach § 122 Abs. 1 GWB würden öffentliche Aufträge nur an fachkundige und leistungsfähige (geeignete) Unternehmen vergeben, die nicht nach den §§ 123, 124 GWB ausgeschlossen seien. Gemäß 122 Abs. 4 Satz 2 GWB seien die Eignungskriterien in der Auftragsbekanntmachung, der Vorinformation oder der Aufforderung zur Interessenbestätigung aufzuführen. Der AG habe keine Eignungskriterien in der nationalen Bekanntmachung angegeben. Des Weiteren habe der AG die Anforderungen im Formblatt 125 "Sicherheitsauskunft und Verpflichtungserklärung Teilnehmer" auch zwingend als Eignungskriterium fordern bzw. bekannt machen müssen. Ferner beziehe sich das Formblatt 125 auf "Verschlusssachen des Geheimhaltungsgrades VS - nur für den Dienstgebrauch (VS-NfD)". Informationen, die mit VS-NfD gekennzeichnet seien, dürften nur von berechtigten Personen eingesehen werden. Daher sei fraglich, ob beim AG überhaupt Dokumente vorlägen, die mit VS-NfD gekennzeichnet seien. Das geforderte Formblatt 125 stehe mit der tatsächlich ausgeschriebenen Leistung in keinem Zusammenhang und stelle damit zu hohe Eignungsanforderungen.
Das Vergabeverfahren sei nicht ordnungsgemäß dokumentiert. Ein Vergabeverfahren sei von Anbeginn an fortlaufend zu dokumentieren, indem die einzelnen Stufen des Verfahrens, die einzelnen Maßnahmen sowie die Begründung der einzelnen Entscheidungen festgehalten würden. Der Bieter könne alle Rechtsverletzungen vortragen, die er aus seiner Sicht der Dinge für wahrscheinlich oder zumindest für möglich halte. Eine ordnungsgemäße Dokumentation habe nicht stattgefunden. Dies folge schon daraus, dass der einschlägige Schwellenwert überschritten sei; der AG aber eine nationale Vergabe durchführe (UVgO-Aufforderung zur Abgabe eines Angebotes). Auch die Zuschlagskriterien seien widersprüchlich. Dies alles lege die Annahme nahe, dass nur eine mangelhafte Dokumentation stattgefunden habe. Deswegen seien die subjektiven Rechte der AST verletzt.
Die Leistungsbeschreibung und die sonstigen Vergabeunterlagen seien intransparent. Die AST habe die Vorgaben an die Leistungsbeschreibung gemäß § 121 Abs. 1 Satz 1 GWB nicht eingehalten. In der Abgabeaufforderung sei nur die Unterhaltsreinigung erwähnt, bepreist werden müsse aber auch die Grundreinigung. In dem Formblatt 227 "Gewichtung der Zuschlagskriterien" habe der AG folgenden Hinweis gegeben:
"Bitte beachten Sie unsere Anlage: Bewertung-Darstellung 50 Prozent".
Ein Schreiben mit diesem Namen existiere aber nicht.
Der AG habe seine Pflicht zur Beantwortung von Bieterfragen verletzt. Der Grundsatz der Gleichbehandlung und des Wettbewerbs erfordere zunächst, dass die zusätzlichen Informationen gegenüber allen Unternehmen in gleicher Weise erteilt würden. Ausnahmen von der Beantwortungspflicht seien nur dann denkbar, wenn die Frage eindeutig keinen Bezug zum Vergabeverfahren habe oder dem Auftraggeber die Informationen weder vorlägen noch von ihm in zumutbarer Weise beschafft werden könnten. Die Vergabeunterlagen des AG seien intransparent und nicht verständlich. Die gestellten Fragen seien daher vom AG zu beantworten.
Die AST fordere daher den AG zur Durchführung einer Neuausschreibung auf Grundlage des GWB und der VgV auf. Darüber hinaus müsse der AG die Zuschlagskriterien überarbeiten.
Die AST reichte mit Angebotsschreiben vom 16.12.2024 ein Angebot für das Los 4 für den Monat Januar 2025 ein.
Mit Schreiben vom 17.12.2024 half der AG der Rüge der AST vom 13.12.2024 nicht ab. Er teilte ihr mit, dass die Ausschreibung der Leistungen für einen Monat erfolgt sei, mit Option einer Verlängerung um einen Monat, sofern die Angebote unter dem Schwellenwert blieben. Gegebenenfalls sei bei Fortdauern des Nachprüfungsverfahrens erneut auszuschreiben. Der Schwellenwert sei nicht überschritten, die Ausschreibung entspreche den anerkannten Regelungen. Nur EU-Ausschreibungen müssten auf TED bekanntgegeben werden. Da es sich um eine öffentliche Ausschreibung handle, erfolge die Bekanntmachung nach UVgO Formular L121.
In Ausschreibungen würden grundsätzlich unterschiedliche Positionen abgefragt. Die Grundreinigung sei ebenfalls Bestandteil und als eine Position in der Ausschreibung zu verstehen. Die Notwendigkeit im Titel der Ausschreibung sei nicht gegeben. Ein Fehler sei hier nicht ersichtlich.
Die Eignungskriterien würden in einem standardisierten Formblatt abgefragt und seien Bestandteil der Ausschreibung. Ein Fehler sei nicht ersichtlich.
Hinsichtlich der Zuschlagskriterien wende der AG die Medianmethode nicht an. Er gehe davon aus, dass die "Medianmethode" falsch interpretiert werde. Eine Punkteverteilung von 50 % auf den Preis und 50 % auf die Leistung habe nichts mit der Medianmethode zu tun. Diese finde bei der vorliegenden Ausschreibung keine Anwendung.
In den Ausschreibungsunterlagen sei klar und eindeutig definiert, welche Zuschlagskriterien und welche Dokumente Gültigkeit hätten. Energieeffizienz sei kein Kriterium. Die Darstellung zur Bewertung liege den Ausschreibungsunterlagen bei.
Das Formblatt 125 sei kein Eignungskriterium, es solle nur bei Bedarf ausgefüllt und angewandt werden, da auch Gebäude im sicherheitstechnischen Bereich bewirtschaftet würden. Das Formblatt 125 sei Bestandteil der Ausschreibungsplattform.
Die nicht ordnungsgemäße Dokumentation des Vergabeverfahrens stelle eine reine Behauptung der AST dar. Die Ausschreibung laufe noch, die Dokumentation erfolge ordnungsgemäß.
Mit Schreiben vom 19.12.2024 rügte die AST ergänzend, sie habe erfahren, dass die BEI am 18.12.2024 im Berufsbildungszentrum Meiningen bereits Geräte und andere Utensilien eingeräumt habe. Die AST gehe daher davon aus, dass der AG der BEI auch im Los 4 bereits den Zuschlag erteilt habe. Der AG habe dies jedoch in einem Telefonat am 18.12.2024 mit den Verfahrensbevollmächtigten nicht bestätigt. Entweder der AG habe im Hauptverfahren das Zuschlagsverbot nach § 169 Abs. 1 GWB missachtet oder er habe bereits in der Interimsvergabe den Zuschlag erteilt. Selbst wenn keine Oberschwellenvergabe vorliege, sei der AG nach § 14 Abs. 1 ThürVgG dazu verpflichtet gewesen, die nicht berücksichtigten Bieter spätestens sieben Kalendertage vor dem Vertragsschluss zu informieren.
Das Nichtabhilfeschreiben vom 17.12.2024 offenbare wiederum eklatante Vergaberechtsfehler. Der einschlägige Schwellenwert für Liefer- und Dienstleistungsaufträge i.H.v. 221.000,00 Euro sei nach § 3 VgV überschritten. Insoweit sei die Darstellung der AST im Nichtabhilfeschreiben fehlerhaft, dass die gegenständliche Ausschreibung für einen Monat erfolgt sei, mit Option einer Verlängerung um einen Monat. Dies sei unzutreffend. Im Nachschreiben vom 02.12.2024 habe der AG ausgeführt, dass die vorliegende Interimsvergabe für die Dauer des Nachprüfungsverfahrens vor der Vergabekammer bzgl. der Lose 1, 2 und 4 bis längstens 31.12.2025 laufen solle. Nach § 3 Abs. 1 VgV sei für die Wertberechnung die gesamte mögliche Vertragslaufzeit, bis 31.12.2025, zu berücksichtigen. Daher sei unzweifelhaft der Schwellenwert überschritten.
Die Zuschlagskriterien seien weiterhin rechtswidrig. Es sei fraglich, welche Bedeutung das Formblatt 227 "Gewichtung der Zuschlagskriterien" habe und ob die anderen Bieter darauf hingewiesen worden seien. Die Ausführungen des AG zur Medianmethode seien abwegig. Die AST habe nicht die Aufteilung bzw. Gewichtung der Zuschlagskriterien angegriffen, sondern die Bewertung des jeweiligen Zuschlagskriteriums. Bei der Medianmethode gehe es darum, dass ggf. ein auskömmliches Angebot mit einer hohen Produktivität nicht den Zuschlag erhalte. Da der AG festgelegt habe (soweit er das Formblatt "Erläuterung der Zuschlagskriterien" zugrunde lege), dass das Angebot mit den höchsten Unterhalts- und Grundreinigungsstunden die Note 1,00 erhalte, mache es für den einzelnen Bieter Sinn mehr Stunden anzubieten (die ggf. gar nicht erbracht würden), um eine bessere Bewertung zu erhalten. Auf diese Weise erhalte der AG aber nicht das auskömmlichste Angebot, sondern ggf. sogar ein Angebot, dass nicht kostendeckend sei (abhängig vom angebotenen Preis). Es gehe nicht, so die Darstellung des AG im Nichtabhilfeschreiben, um eine 50/50-Aufteilung. Es bestehe mithin die Gefahr einer willkürlichen Zuschlagserteilung.
Die Eignungskriterien seien nicht ordnungsgemäß bekannt gemacht worden. Die Abfrage der Eignungskriterien in einem standardisierten Formblatt sei nicht ausreichend. Im Übrigen sei die Verpflichtung zur Bekanntmachung der Eignungskriterien direkt in der Bekanntmachung ein "Klassiker". Der AG habe sich nicht mit den Ausführungen der AST zum Formblatt 125 "Sicherheitsauskunft und Verpflichtungserklärung Teilnehmer" auseinandergesetzt. Zum einem erfülle ein "normales" Reinigungsunternehmen die inhaltlichen Voraussetzungen des Formblatts 125 nicht und zum anderen müssten diese als Eignungskriterien aufgestellt werden, denn ansonsten könnten diese vom AG nicht gefordert werden. Darüber hinaus sei eine Forderung danach unverhältnismäßig, da keine VS-NfD vorlägen und der AG damit den Wettbewerb unnötig einschränke.
35Mit Vorabinformationsschreiben vom 19.12.2024 informierte der AG die AST darüber, dass auf ihr jeweiliges Angebot der Zuschlag nicht erteilt werden könne, weil sie nicht das wirtschaftlichste Angebot abgegeben habe. Es hätten drei Bieter ein Angebot abgegeben. Die Zusage solle nach Ablauf der in § 14 ThürVgV genannten Frist an die BEI erteilt werden.
Die AST hat mit Schreiben vom 23.12.2024 bei der Vergabekammer einen Nachprüfungsantrag gestellt. Sie hat im Einzelnen beantragt:
1. Ein Nachprüfungsverfahren wird gemäß § 160 Abs. 1 GWB gegen die rechtswidrige De-facto-Vergabe "Interimsvergabe Unterhaltsreinigung in verschiedenen Objekten des Landkreises Schmalkalden-Meiningen" betreffend das Los 4 eingeleitet.
2. Dem Antragsgegner wird untersagt, auf das Angebot der Beizuladenden betreffend das Los 4 den Zuschlag zu erteilen.
3. Dem Antragsgegner wird aufgegeben, bei Fortbestehen der Beschaffungsabsicht, Dienstleistungen in dem o.g. Bereich nur nach einem vergaberechtskonformen Vergabeverfahren nach Maßgabe der Rechtsauffassung der Vergabekammer zu vergeben.
4. Hilfsweise (für den Fall, dass der Zuschlag bereits erteilt wurde) wird festgestellt,
a.) dass die Antragstellerin durch das Vergabeverfahren "Interimsvergabe Unterhaltsreinigung in verschiedenen Objekten des Landkreises Schmalkalden-Meiningen" betreffend das Los 4 in ihren Rechten verletzt ist,
b.) dass die geschlossenen Verträge zwischen dem Antragsgegner und der Beizuladenden nach § 135 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 134 Abs. 2 Satz 1 GWB unwirksam sind.
5. Hilfsweise: Die Kammer wirkt unabhängig von den Anträgen auf die Rechtmäßigkeit des Vergabeverfahrens hin (vgl. § 168 Abs. 1 Satz 2 GWB).
6. Die Vergabeakten des Antragsgegners werden hinzugezogen.
7. Der Antragstellerin wird Einsicht in die Vergabeakten des Antragsgegners gewährt.
8. Der Nachprüfungsantrag wird dem Antragsgegner unverzüglich zugestellt.
9. Die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten durch die Antragstellerin wird für notwendig erklärt.
10. Der Antragsgegner hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Die AST hat zur Begründung ihres Nachprüfungsantrages ausgeführt, dass der AG die streitgegenständlichen Leistungen an Dritte vergeben wolle, ohne ein unionsrechtskonformes Ausschreibungsverfahren durchzuführen. Auf die Einhaltung der Bestimmungen über das Vergabeverfahren habe die AST gemäß § 97 Abs. 6 GWB einen Anspruch.
Ergänzend zu den Rügeschreiben vom 13.12.2024 und 19.12.2024 vertiefte die AST im Nachprüfungsantrag ihr Vorbringen.
Der Nachprüfungsantrag sei zulässig. Die angerufene Vergabekammer sei für die Entscheidung über den Antrag gemäß §§ 155, 156 Abs. 1 GWB zuständig, da es sich um öffentliche Dienstleistungsaufträge im Sinne von § 103 Abs. 3 GWB handle und der einschlägige Schwellenwert für Dienstleistungsaufträge i.H.v. 221.000,00 Euro überschritten sei. Auch der AG habe in der Nichtabhilfe vom 17.12.2024 ausgeführt, dass die Ausschreibung der Leistung für einen Monat erfolgt sei, mit Option der Verlängerung um einen Monat. Auch danach wäre, selbst wenn die Option der Verlängerung nur zur Hälfte berücksichtigt werde, der Schwellenwert überschritten. Denn in diesem Fall würde sich ein geschätzter Gesamtauftragswert in bestimmter Höhe ergeben, wobei zu berücksichtigen sei, dass die AST nicht einmal den durchschnittlichen Angebotspreis zugrunde gelegt habe, sondern die niedrigsten Angebotspreise.
Die AST sei gemäß § 160 Abs. 2 Satz 1 GWB antragsbefugt. Sie habe mit ihren Rügeschreiben vom 13.12.2024 und vom 19.12.2024 sowie dem hiesigen Nachprüfungsantrag ihr Interesse am Auftrag zweifellos dargelegt. Ein Schaden der AST sei durch die geltend gemachten Rechtsverletzungen, insbesondere die Nichtbeachtung der Grundsätze von Wettbewerb, Transparenz, Gleichbehandlung und Verhältnismäßigkeit (§ 97 Abs. 1 und 2 GWB) nicht ausgeschlossen.
Bei De-Facto-Vergaben bestehe keine Rügeverpflichtung. Die AST habe vorsorglich die Vergabe rechtzeitig am 13.12.2024 gerügt und damit gemäß § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 und 3 GWB vor Ablauf der Frist zur Angebotsabgabe am 17.12.2024, um 10:00 Uhr, gerügt.
Der Begründungspflicht nach § 161 Abs. 2 GWB sei genüge getan. Bei der Auslegung des § 161 Abs. 2 GWB dürften die Anforderungen an den Bieter nicht überspannt werden. Gemessen an diesen Vorgaben sei das Nachprüfungsbegehren der AST hinreichend begründet und erfülle damit die Sachentscheidungsvoraussetzungen.
Der Nachprüfungsantrag sei auch begründet. Die AST sei durch die unterbliebene gebotene europaweite Ausschreibung in ihren Rechten nach § 97 Abs. 6 GWB verletzt. Eine Zuschlagserteilung an die BEI sei rechtswidrig und sei daher zu untersagen. Es liege eine rechtswidrige De-Facto-Vergabe vor. Trotz der Überschreitung des Schwellenwertes sei der Auftrag nur national ausgeschrieben worden.
Es lägen intransparente und rechtswidrige Zuschlagskriterien vor, auf deren Grundlage kein Zuschlag erfolgen könne. Soweit der AG in der Nichtabhilfe ausgeführt habe, dass in den Ausschreibungsunterlagen klar und eindeutig definiert sei, welche Zuschlagskriterien und welche Dokumente Gültigkeit hätten, sei dies nichtzutreffend. Energieeffizienz sei laut AG kein Kriterium. Dies hätte der AG - vor Ablauf der Angebotsfrist - gegenüber allen Bietern erklären müssen und die Vergabeunterlagen entsprechend ändern müssen. Dies sei nicht erfolgt. Die vom AG gewählte Medianmethode sei rechtswidrig. Die "Medianmethode" verstoße gegen § 127 Abs. 4 Satz 1 GWB, da sie keinen wirksamen Wettbewerb der Angebote gewährleiste und damit die Gefahr einer willkürlichen Erteilung des Zuschlags bestehe. Bei der Medianmethode gehe es darum, dass gegebenenfalls ein auskömmliches Angebot mit einer hohen Produktivität nicht den Zuschlag erhalte. Da der AG hier festgelegt habe, dass das Angebot mit den höchsten Unterhalts- und Grundreinigungsstunden die Note 1,00 erhalte, mache es für den einzelnen Bieter Sinn mehr Stunden anzubieten (die gegebenenfalls gar nicht erbracht würden), um eine bessere Bewertung zu erhalten. Auf diese Weise erhalte der AG aber nicht das auskömmlichste Angebot, sondern gegebenenfalls sogar ein Angebot, dass nicht kostendeckend sei.
Die Eignungskriterien seien nicht ordnungsgemäß bekannt gemacht worden. Der AG habe im Formblatt 125 "Sicherheitsauskunft und Verpflichtungserklärung Teilnehmer" vorausgesetzt, dass sich das Unternehmen entweder in der Geheimschutzbetreuung befinde oder Beschäftigte des Unternehmens eine Sicherheitsprüfung für Tätigkeiten in Sicherheitsbereichen besäßen und/oder zum Umgang mit Verschlusssachen bis zu einem bestimmten Geheimhaltungsgrad ermächtigt seien. Diese Anforderungen seien jedoch nicht als Eignungskriterium aufgestellt worden. Soweit sich der AG in seiner Nichtabhilfe darauf berufe, dass das Formblatt 125 nur bei Bedarf gefordert werde, ändere das nichts daran, dass der Bieter diese Voraussetzungen grundsätzlich erfüllen müsse, um sich an der Vergabe zu beteiligen (denn ansonsten könne der Bieter auch nicht "bei Bedarf" das Formblatt vorlegen). Ferner beziehe sich das Formblatt 125 auf VS-NfD. Informationen, die mit VS-NfD gekennzeichnet seien, dürften nur von berechtigten Personen eingesehen werden. Insofern sei fraglich, ob beim AG überhaupt Dokumente vorlägen, die mit VS-NfD gekennzeichnet seien. Eine Forderung nach dem Formblatt 125 sei unverhältnismäßig, da nach dem Verständnis der AST keine VS-NfD vorlägen.
Die Leistungsbeschreibung und die sonstigen Vergabeunterlagen seien intransparent gemäß § 97 Abs. 1 Satz 1 GWB. Der AG habe die Vorgaben an die Leistungsbeschreibung gemäß § 121 Abs. 1 Satz 1 GWB nicht eingehalten. In der Abgabeaufforderung sei nur die Unterhaltsreinigung erwähnt, bepreist werden müsse aber auch die Grundreinigung. In dem Schreiben "Gewichtung der Zuschlagskriterien" habe der AG folgenden Hinweis gegeben: "Bitte beachten Sie unsere Anlage: Bewertung-Darstellung 50 Prozent". Ein Schreiben mit diesem Namen existiere aber nicht. Zudem widersprächen sich das Dokument "Erläuterung der Zuschlagskriterien" und das Schreiben "Gewichtung der Zuschlagskriterien", da dort unterschiedliche Zuschlagskriterien aufgestellt würden.
Die AST gehe davon aus, dass eine ordnungsgemäße Dokumentation des Vergabeverfahrens nicht stattgefunden habe. Dies folge schon daraus, dass der einschlägige Schwellenwert überschritten sei; der AG aber eine nationale Vergabe durchführe. Die Zuschlagskriterien seien widersprüchlich, die Eignungskriterien seien nicht in der Bekanntmachung genannt und es werde ein Formblatt (Formblatt 125 "Sicherheitsauskunft und Verpflichtungserklärung Teilnehmer") gefordert, dass in keinem Zusammenhang mit der zugrundeliegenden Ausschreibung stehe und auch nicht bei der Hauptvergabe gefordert worden sei. Dies alles lege die Annahme nahe, dass nur eine mangelhafte Dokumentation stattgefunden habe.
Der AG habe seine Pflicht zur Beantwortung von Bieterfragen verletzt. Die Auskunftspflicht diene der Einhaltung eines fairen, mit möglichst großer Beteiligung geführten, Wettbewerbs und der Gleichbehandlung der beteiligten Unternehmen. Hier seien schon nicht alle Fragen der AST gegenüber allen Bietern veröffentlicht worden. Somit liege eine Verletzung des Gleichbehandlungs- und Wettbewerbsgrundsatzes aus § 97 Abs. 1 und 2 GWB vor.
Es liege eine rechtswidrige De-Facto-Vergabe vor, weil keine europaweite Ausschreibung unter Anwendung des 4. Teils des GWB stattgefunden habe. Das Vergabeverfahren sei aufzuheben und in den Stand vor Bekanntmachung zurückzuversetzen.
Die Vergabekammer hat am 23.12.2024 beschlossen, dem AG den Nachprüfungsantrag der AST zu übermitteln, den Nachprüfungsantrag am 02.01.2025 dem AG übersendet und diesen um Vorlage der Vergabeakte bis zum 02.01.2025 und um Stellungnahme zum Nachprüfungsantrag bis zum 07.01.2025 gebeten.
Die AST hat auf Anforderung der Vergabekammer vom 23.12.2024 für das Nachprüfungsverfahren einen Kostenvorschuss in Höhe von 2.500,00 Euro entrichtet.
Der AG hat der Vergabekammer am 06.01.2025, in einem unter dem Az. 5090-250-4003/498 vor der Vergabekammer geführten Parallelverfahren, die Vergabeakte übersendet.
Der AG hat mit Schriftsatz vom 06.01.2025 auf den Nachprüfungsantrag erwidert und beantragt:
1. Der Nachprüfungsantrag wird zurückgewiesen.
2. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich der zweckentsprechenden Rechtsverfolgungskosten des Antragsgegners.
Zur Begründung führte der AG über sein Schreiben vom 17.12.2024 hinaus aus, der von der AST gestellte Nachprüfungsantrag sei nicht statthaft, sei daher unzulässig und daher zurückzuweisen. Die AST sei nicht in ihren Rechten verletzt.
Die AST habe mit Nachprüfungsantrag vom 13.11.2024 das Vergabeverfahren des AG betreffend Gebäudereinigung - BGV87/2024 OJ S 143/2024, 24/07/2024, Unterhaltsreinigung in verschiedenen Objekten des Antragsgegners Lose 1 und 2 - zur Nachprüfung gestellt. Die Vergabekammer habe mit Verfügung vom 14.11.2024, Az. 5090-250-4003/490, die beabsichtigte Zuschlagserteilung der Leistung ab 01.01.2025 an die BEI gemäß § 169 Abs. 1 GWB, bis zur Entscheidung der Vergabekammer und dem Ablauf der Beschwerdefrist, untersagt. Der AG beachte das Zuschlagserteilungsverbot, müsse aber sicherstellen, dass seine öffentlichen Gebäude - insbesondere die Schulgebäude - auch ab 02.01.2025 während des Nachprüfungsverfahrens den gegebenen Hygienevorschriften entsprechend gereinigt würden und habe sich veranlasst gesehen, eine Interimsvergabe für den Monat Januar 2025 vorzunehmen. Dabei habe sich der AG rechtsfehlerfrei von der in § 167 Abs. 1 Satz 1 GWB festgelegten Regelfrist von 5 Wochen ab Eingang des Antrags am 14.11.24 leiten lassen. Eine Interimsvergabe für den Monat Januar 2025 sei daher für ausreichend angesehen worden.
Der Gesamtbetrag der ermittelten Kostenschätzung für die Interimsvergabe der drei Lose 1, 2 und 4 im Monat Januar 2025 beziffere sich auf 184.840,00 Euro und liege damit deutlich unter dem EU-Schwellenwert von 221.000,00 Euro. Die gebotene Interimsvergabe für den Zeitraum 02.01.2025 bis 31.01.2025 sei rechtsfehlerfrei im Vergabeverfahren gemäß UVgO erfolgt. Aus den Vergabeunterlagen gehe der ausgeschriebene Maßnahmenzeitraum 02.01.2025 bis 31.01.2025 unzweideutig hervor. Davon gehe die AST in ihrem Nachprüfungsantrag vom 23.12.2024 folgerichtig aus. Eine von der AST gleichwohl vorgenommene Hochrechnung auf einen Jahresbetrag sei seitens des AG nicht nachvollziehbar und daher obsolet. Der Nachprüfungsantrag sei im Ergebnis wegen des Nichterreichens des EU-Schwellenwertes als unzulässig zurückzuweisen.
Einen Nachprüfungsantrag - ausdrücklich nach § 14 Abs. 2 Satz 1 ThürVgG - habe die AST nicht gestellt. Auf das weitere Vorbringen der AST werde daher nicht weiter eingegangen, hilfsweise werde auf den gesamten Akteninhalt der vorgelegten Vergabeakten und auf das Vorbringen in den Verfahren Az. 5090-250-4003/490 und 5090-250-4003/491 Bezug genommen.
Mit weiterer Veröffentlichung am 06.01.2025 im Th. Staatsanzeiger - Öffentlicher Teil (Nr. 1/2025) schrieb der AG im Rahmen einer öffentlichen Ausschreibung (UVgO; Vergabe-Nr. ...) die Interimsvergabe "Gebäudereinigung in verschiedenen Objekten des Landkreises Schmalkalden-Meiningen" vom 03.02.2025 bis 28.02.2025 national aus. Die zu vergebene Dienstleistung war nach Ziffer 5 der Bekanntmachung vom 06.01.2025 in drei Lose aufgeteilt: Los 1 Meiningen-Grabfeld, Los 2 Meiningen und Los 4 Schmalkalden. Streitgegenständlich ist vorliegend das Los 4.
Nach Ziffer 9 der Bekanntmachung wurde hinsichtlich der Vergabeunterlagen auf die elektronische Adresse "www.vergabe-suche.de" verwiesen. Gemäß dem, in den Vergabeunterlagen enthaltenen, Formblatt 631 "Aufforderung zur Abgabe eines Angebots" umfasste die Dienstleistung die Gebäudereinigung in verschiedenen Objekten des Landkreises Schmalkalden-Meiningen.
Unter Ziffer 13 der Bekanntmachung wurde zu den Eignungskriterien Folgendes ausgeführt:
"Der Bewerber hat zum Nachweis seiner Eignung folgende Unterlagen mit dem Angebot vorzulegen: siehe Formular 124 Eigenerklärung zur Eignung; Eigenerklärung nach § 8 ThürVgG; evtl. gemäß Leistungsverzeichnis geforderte Nachweise, Qualifikationen und Zertifikate".
Nach Ziffer 14 der Bekanntmachung war beabsichtigt, den Zuschlag auf das wirtschaftlichste Angebot zu erteilen und es wurde bezüglich der weiteren Zuschlagskriterien auf das Formblatt "Erläuterung der Zuschlagskriterien" verwiesen. Der Inhalt des Formblatts war identisch zum Inhalt des in der öffentlichen Ausschreibung (Vergabe-Nr. ... ) vom 02.12.2024 verwandten Formblatts "Erläuterung der Zuschlagskriterien".
Das Formblatt 227 "Gewichtung der Zuschlagskriterien" sowie das Formblatt 125 "Sicherheitsauskunft und Verpflichtungserklärung Teilnehmer" waren nicht mehr in den Vergabeunterlagen des AG enthalten.
Nebenangebote waren nach Ziffer 7 der Bekanntmachung nicht zugelassen. Schlusstermin für den Eingang der Angebote war gemäß Ziffer 10 der Bekanntmachung der 14.01.2025, 10 Uhr.
Auf Nachfrage der Vergabekammer vom 08.01.2025 teilte der AG mit Schreiben vom 10.01.2025 mit, der Zuschlag hinsichtlich der Interimsvergabe "Unterhaltsreinigung in verschiedenen Objekten des Landkreises Schmalkalden-Meiningen vom 02.01.2025 bis 31.01.2025" (Vergabe-Nr. ... ) sei am 27.12.2024 an die BEI erteilt worden. Zudem überreichte der AG mit obigem Schreiben eine sogenannte "Kostenschätzung zur Interims-Ausschreibung Reinigungsleistungen für Januar 2025 (Aufstellung nach bestehenden Verträgen)". Aus dieser Kostenschätzung geht hervor, dass der geschätzte Gesamtauftragswert für einen Monat, betreffend die Lose 1, 2 und 4, 155.327,73 Euro netto beträgt.
Die AST rügte erneut mit Schreiben vom 10.01.2025 die vom AG veröffentlichten Ausschreibungsunterlagen sowie das bisher durchgeführte Vergabeverfahren (Vergabe-Nr. BGV001/2025). Das bisher durchgeführte Vergabeverfahren verstoße gegen die bieterschützenden Grundsätze des Wettbewerbs, der Transparenz, der Gleichbehandlung und der Verhältnismäßigkeit gemäß § 97 Abs. 1 und 2 GWB. Die Interimsvergabe habe europaweit ausgeschrieben werden müssen. Die AST rüge vorsorglich, dass die BEI nicht geeignet sei. Die fehlende Eignung ergebe sich anhand der durch die AST festgestellten mangelhaften Reinigungsleistungen. Die BEI habe nicht genügend Personal. In diesem Zusammenhang verweise die AST auf die Rechtsprechung der Vergabekammer Südbayern (Beschl. v. 30.05.2022, 3194.Z3-3_01-21-61, beck-online, Rn. 45), wonach sich eine Überprüfungspflicht des öffentlichen Auftraggebers ergebe, wenn konkrete Tatsachen das Leistungsversprechen eines Bieters als nicht plausibel erscheinen ließen. Konkrete Tatsachen seien vorgetragen. Der AG sei zur Aufklärung und zum Ausschluss der BEI verpflichtet.
Mit Schreiben vom 13.01.2025 machte die AST die Interimsvergabe "Kurzfristige Vergabe von Reinigungsleistungen von 03.02.2025 bis 28.02.2025" bzgl. des Loses 4 des AG im Wege der Antragserweiterung zum Gegenstand des Nachprüfungsverfahrens und beantragte nunmehr ergänzend:
Zu 1. Das anhängige Nachprüfungsverfahren wird wegen der rechtswidrigen De-facto-Vergabe "Kurzfristige Vergabe von Reinigungsleistungen von 03.02.2025 bis 28.02.2025" betreffend Los 4 erweitert.
Zu 4. Hilfsweise (für den Fall, dass der Zuschlag bereits erteilt wurde oder während des Verfahrens erteilt wird) wird festgestellt,
a.) dass die Antragstellerin durch das Vergabeverfahren "Kurzfristige Vergabe von Reinigungsleistungen von 03.02.2025 bis 28.02.2025" betreffend Los 4 in ihren Rechten verletzt ist,
b.) dass die geschlossenen Verträge zwischen dem Antragsgegner und der Beizuladenden nach § 135 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 134 Abs. 2 Satz 1 GWB unwirksam sind.
Zu 8. Die Antragserweiterung wird dem Antragsgegner unverzüglich zugestellt.
Zu 10. Der Antragsgegner hat auch die Kosten der Antragserweiterung zu tragen.
Sodann führte die AST zur Antragserweiterung aus, dass diese zulässig und begründet sei. Der AG habe auch die Interimsvergabe "Kurzfristige Vergabe von Reinigungsleistungen vom 03.02.2025 bis 28.02.2025" europaweit ausschreiben müssen.
Unter Umgehung des Zuschlagsverbots infolge der Nachprüfungsverfahren betreffend die Interimsvergabe erbringe die BEI die Dienstleistung. Der AG habe ein Schreiben an die Hausmeister gefertigt, aus denen sich Leistungsausfälle ergäben. In dem Schreiben stehe, dass der AG derzeit in regem Austausch mit der Firma stehen würde, um schnellstmöglich eine geordnete Reinigung zu erreichen. Zu allen Problemen würde der AG im ständigen Kontakt mit der neuen Reinigungsfirma stehen. Der AG sei um eine Lösung bemüht. Die Recherchen der AST (Stand: 08.01.2025) hätten folgendes Ergebnis erbracht: Im Gebiet Meiningen (Los 1 und 2) gebe es vor allem Probleme mit der Materialbeschaffung. Eine Reinigungskraft der AST solle unbedingt bei der BEI anfangen und sei gebeten worden, den Antragsteller-Arbeitsvertrag einmal mitzubringen, dieser würde dann geprüft werden. Im Gebiet Schmalkalden (Los 4) gebe es vor allem Probleme dabei Personal zu finden.
Der AG habe im Th. Staatsanzeiger - Öffentlicher Teil, 0010014 - die Lose Nummer 1, 2 und 4 für die "kurzfristige Vergabe von Reinigungsleistungen vom 03.02.2025 bis 28.02.2025" ausgeschrieben. In der Bekanntmachung sei unter Nummer 10 folgendes vorgegeben: "Ablauf der Angebotsfrist: 14.01.2025, um 10:00 Uhr; Ablauf der Bindefrist: 31.01.2025". Mit Schriftsatz vom 10.01.2025 habe die AST die Vergabe gerügt und mit E-Mail vom 10.01.2025 noch die zu kurze Ausführungsfrist gerügt. Eine Reaktion des AG sei nicht erfolgt, so dass die Antragserweiterung zur Wahrung der Rechte der AST notwendig sei.
Die Antragserweiterung sei zulässig. Die angerufene Vergabekammer sei für die Entscheidung über den Antrag zuständig. Der einschlägige Schwellenwert sei überschritten, da der Auftragswert der Interimsvergaben zusammen zu addieren sei. Der AG habe zunächst die gegenständliche Leistung interimsweise ab 02.01.2025 bis 31.01.2025 ausgeschrieben und rechtswidrig trotz Nachprüfungsverfahren De-facto an die BEI vergeben. Jetzt wolle er die Reinigungsdienstleistungen vom 03.02.2025 bis 28.02.2025 vergeben. Insoweit gehe aus den Vergabeunterlagen der ausgeschriebene Maßnahmenzeitraum von einem Monat unzweideutig hervor. Gerade die Festlegung auf einen Monat werde gerügt, weil - wie die Notwendigkeit der zweiten Interimsvergabe zeige -, der gewählte Monatszeitraum viel zu kurz sei. Der AG müsse bei der Terminierungspraxis der Vergabekammer von einem längeren Zeitraum ausgehen. Dies sei dem AG spätestens seit der Verfügung der Vergabekammer vom 10.12.2024 betreffend die Hauptvergabe, in der die Entscheidungsfrist in dem Nachprüfungsverfahren bis zum 26.02.2025 verlängert worden sei, sowie aus dem Vortrag der AST bezüglich der Hauptvergabe und der ersten Interimsvergabe, bekannt.
Daher sei die gegenständliche Interimsvergabe letztlich nur eine Verlängerung der ersten Interimsvergabe und es sei zumindest der Auftragswert für die gesamte Leistungszeit (ab dem 01.01.2025) zu Grunde zulegen. Dies folge auch daraus, dass nach § 3 Abs. 2 Satz 1 VgV die Wahl der Methode zur Berechnung des geschätzten Auftragswerts nicht in der Absicht erfolgen dürfe, die Anwendung der Bestimmungen des 4. Teils des GWB oder der VgV zu umgehen. Nach § 3 Abs. 2 Satz 2 VgV dürfe eine Auftragsvergabe nicht so unterteilt werden, dass sie nicht in den Anwendungsbereich der Bestimmungen des GWB oder der VgV falle, es sei denn, es lägen objektive Gründe dafür vor, etwa wenn eine eigenständige Organisationseinheit selbstständig für ihre Auftragsvergabe oder bestimmte Kategorien der Auftragsvergabe zuständig sei. Aus der Rechtsprechung des OLG Frankfurt (Beschl. v. 14.11.2022, 11 Verg 5/22, Rn. 33) folge, dass Interimsaufträge zwar grundsätzlich selbständig neben den Hauptverträgen stünden und in ihrer Zuordnung zum Unterschwellen- bzw. Oberschwellenbereich selbständig zu beurteilen seien. Jedoch seien die Interimsaufträge im Hinblick auf das im Rahmen der Schätzung des Auftragswertes nach § 3 VgV zu beachtende Umgehungsverbot des § 3 Abs. 2 Satz 1, 2 VgV zu addieren, soweit der einheitliche (Interims-) Beschaffungsbedarf in der Absicht, die Anwendung des Kartellvergaberechts zu umgehen, künstlich aufgespalten werde, sei es durch mehrere Interimsaufträge, sei es durch eine Kombination aus Vertragsverlängerungen und (neuen) Interimsaufträgen. Das sei durch die zahlreichen Einzelverträge der Fall, die alle dem gleichen Beschaffungsbedarf dienen würden, nämlich der Sicherstellung der Leistung bis zur Neuvergabe, der sachgerecht und naheliegend durch eine auf diesen Zeitpunkt abstellende Vertragsverlängerung oder einen hierauf abstellenden Interimsvertrag zu decken gewesen wäre. Dies sei auch vorliegend der Fall. Die zugrundeliegenden zwei Interimsvergaben dienten der Sicherstellung der Leistungserbringung aufgrund der anhängigen Nachprüfungsverfahren bei der angerufenen Vergabekammer betreffend die Hauptvergabe. Bereits bei der Ausschreibung der ersten Interimsvergabe sei absehbar gewesen, dass das Nachprüfungsverfahren hinsichtlich der Hauptausschreibung bei der üblichen Verfahrensdauer der angerufenen Vergabekammer mehrere Monate in Anspruch nehme. Mithin sei, unabhängig von der bisherigen Begründung, der einschlägige Schwellenwert überschritten.
Die Antragserweiterung sei aufgrund der Sachnähe zum Nachprüfungsantrag zulässig. Insoweit seien auch Antragsänderungen und -erweiterungen (vgl. §§ 263, 264 ZPO) mit dem Vergaberecht grundsätzlich vereinbar, soweit keine bestands- oder rechtskräftige Entscheidung ergangen sei. Es liege eine Erweiterung nach § 264 Nr. 2 ZPO vor, die ohne weiteres zulässig sei. Auch eine Änderung nach § 263 ZPO sei zulässig, da sachdienlich. Es wäre eine unnötige Förmelei die AST auf einen weiteren Nachprüfungsantrag zu verweisen, insbesondere, weil sie argumentiere, dass die Interimsvergabe vergabewidrig in verschiedene Einzelaufträge aufgeteilt worden sei. Die AST sei für die Antragserweiterung gemäß § 160 Abs. 2 Satz 1 GWB antragsbefugt. Die Rüge sei, obwohl nicht notwendig, unverzüglich erhoben worden.
Die Antragserweiterung sei auch begründet. Der AG habe das Zuschlagsverbot missachtet. Die Ausführung des AG, dass er das Zuschlagserteilungsverbot beachten werde, sei erkennbar unwahr. Die BEI habe bereits am 18.12.2024 im Berufsbildungszentrum Meiningen Geräte und andere Utensilien eingeräumt. Dies sei lange vor Vertragsbeginn. Der AG habe genügend Zeit für ein ordnungsgemäßes Verfahren gehabt, was gerügt worden sei. Auch aus der Mitteilung an die Hausmeister ergebe sich, dass eine "neue" Firma (ohne Vergabeverfahren) beauftragt worden sei.
Soweit der AG sich damit verteidige, dass die AST einen Nachprüfungsantrag - ausdrücklich nach § 14 Abs. 2 Satz 1 ThürVgG - nicht gestellt habe, sei darauf hinzuweisen, dass bei einer oberschwelligen Vergabe (wie vorliegend) das GWB Anwendung finde und nicht das ThürVgG. Mit der Zustellung eines oberschwelligen Nachprüfungsantrages seien einschneidendere Folgen verbunden als mit einer unterschwelligen Beanstandung, nämlich das Zuschlagsverbot während des Nachprüfungsverfahrens, welches nach § 14 Abs. 2 Satz 2 ThürVgG nicht vorgesehen sei. Auch ein aus Sicht des AG unzulässiger Nachprüfungsantrag löse das Zuschlagsverbot aus.
Es lägen intransparente und rechtswidrige Zuschlagskriterien vor, auf deren Grundlage kein Zuschlag erfolgen könne. Auch wenn der AG bei der zugrundeliegenden Interimsvergabe (Februar 2025) nicht mehr das Formblatt "Gewichtung der Zuschlagskriterien" verwende, seien die Zuschlagskriterien entsprechend dem Formblatt "Erläuterungen der Zuschlagskriterien" weiterhin rechtswidrig. Unabhängig davon müsse der AG in dem Nachprüfungsverfahren abhelfen, da der AG das Formblatt "Gewichtung der Zuschlagskriterien" nicht mehr verwende und seine Rechtswidrigkeit mithin erkannt habe.
Die Eignungskriterien seien nicht ordnungsgemäß bekannt gemacht worden. Die AST habe vorsorglich gerügt, dass die BEI nicht geeignet sei. Die fehlende Eignung ergebe sich anhand der durch die AST festgestellten mangelhaften Reinigungsleistungen (vgl. Sachverhalt). Des Weiteren habe die BEI nicht genügend Personal. In diesem Zusammenhang verweise die AST auf die Rechtsprechung der Vergabekammer Südbayern (a.a.O.), wonach sich eine Überprüfungspflicht des öffentlichen Auftraggebers ergebe, wenn konkrete Tatsachen das Leistungsversprechen eines Bieters als nicht plausibel erscheinen ließen. Konkrete Tatsachen seien vorliegend im Sachverhalt vorgetragen worden. Der AG sei also zur Aufklärung und zum Ausschluss der BEI verpflichtet, was er rechtswidrig unterlassen habe. Die Leistungsbeschreibung und die sonstigen Vergabeunterlagen seien intransparent gemäß § 97 Abs. 1 Satz 1 GWB. Das Vergabeverfahren leide auch allgemein an Verfahrensfehlern. Insofern verweise die AST auf den bisherigen Sachvortrag.
Der AG habe seine Pflicht zur Beantwortung von Bieterfragen verletzt. Dies gelte auch für die mit der Rüge vom 10.01.2025 gestellten Fragen.
Die gerügten Vergabeunterlagen hätten zur Folge, dass - je nachdem wie lange der AG zur Auswertung der Angebote benötige - die Ausführungsfrist nur zwei Tage betragen könne, wobei der 1. Februar ein Samstag und der 2. Februar ein Sonntag sei. Das OLG Düsseldorf (Beschl. v. 19.06.2013, Verg 4/13) habe anerkannt, dass eine lediglich drei Tage umfassende Ausführungsfrist unangemessen kurz sei. Ein Wochenende zum Leistungsbeginn sei zu kurz, zumal die AST und auch andere Leistungserbringer für die Vertragsaufnahme umfassende Vorbereitungsmaßnahmen treffen und eine entsprechende Sorgfaltspflicht walten lassen müssten. Die AST habe die mit diesen Vorgaben einhergehende rechtswidrige Bevorzugung des De-Facto-Leistungserbringers, mithin die BEI, gerügt. Es liege eine rechtswidrige De-Facto-Vergabe vor, weil keine europaweite Ausschreibung unter Anwendung des 4. Teils des GWB stattgefunden habe. Das Vergabeverfahren sei aufzuheben und in den Stand vor Bekanntmachung zurückzuversetzen.
Die Vergabekammer hat am 13.01.2025 dem AG die Antragserweiterung übermittelt und diesen um Vorlage der Vergabeakte bzgl. der Interimsvergabe "Kurzfristige Vergabe von Reinigungsleistungen vom 03.02.2025 bis 28.02.2025" (Vergabe-Nr. BGV001/2025) bis zum 16.01.2025 und um Stellungnahme zur Antragserweiterung bis zum 20.01.2025 gebeten.
Der AG hat der Vergabekammer am 16.01.2025 die Vergabeakte übersendet.
Die übersandte Vergabeakte enthielt eine sogenannte "Kostenschätzung zur Interims-Ausschreibung Reinigungsleistungen für Februar 2025 (Aufstellung nach bestehenden Verträgen)". Aus dieser Kostenschätzung geht hervor, dass der geschätzte Gesamtauftragswert für einen Monat, betreffend die Lose 1, 2 und 4, 155.327,73 Euro netto beträgt.
Die AST reichte kein Angebot im Rahmen der Interimsvergabe "Kurzfristige Vergabe von Reinigungsleistungen vom 03.02.2025 bis 28.02.2025" (Vergabe-Nr. BGV001/2025) für das Los 4 ein. Die BEI gab ein Angebot für das Los 4 ab.
Der AG hat mit Schriftsatz vom 17.01.2025 auf die Antragserweiterung erwidert und beantragt:
1. Die Erweiterung des Nachprüfungsantrags vom 13.01.2025 wird zurückgewiesen.
2. Vorsorglich werden die Hilfsanträge zurückgewiesen.
3. Die Antragstellerin trägt auch die weiteren Kosten des Verfahrens einschließlich der zweckentsprechenden Rechtverfolgungskosten des Antragsgegners.
Zur Begründung wiederholte und vertiefte der AG sein bisheriges Vorbringen aus dem Schriftsatz vom 06.01.2025. Der neuerliche Nachprüfungsantrag sei nicht statthaft, unzulässig und daher zurückzuweisen. Die AST sei nicht in ihren Rechten verletzt.
Die AST habe mit E-Mails vom Freitag, den 10.01.2025, um 12:49 Uhr und 16:42 Uhr vermeintliche Vergabefehler gerügt und am Montag, den 13.01.2025, bereits den neuerlichen Nachprüfungsantrag mit Hilfsanträgen gestellt. Die AST rüge vermeintliche zu kurze Ausführungsfristen, lasse aber dem AG überhaupt keine Gelegenheit, auf ihre Rügen einzugehen. Auf eine Bewertung dieses "Zeitfensters" werde verzichtet. Dies könne letztlich dahinstehen, da der AG rechtsfehlerfrei gehandelt habe und auch weiterhin rechtsfehlerfrei handeln werde. Das Ende der Bindefrist habe mit dem Beginn der Ausführungsfrist nichts zu tun. Gerügt werde nicht die Angebotsfrist. Diese sei angemessen gewesen, da die Vergabegrundlagen sich eigentlich seit 08/2024 nicht verändert hätten und im Ergebnis zum dritten Mal - diesmal heruntergebrochen auf den Monat Februar 2025 - bekanntgemacht worden seien.
Die AST habe den Nachprüfungsantrag bzgl. des Loses 4 für die "große Vergabe" für den Zeitraum 01.01.2025 - 22.07.2028 gestellt. Der AG dürfe bis zur Entscheidung der Vergabekammer und dem Ablauf der Beschwerdefrist den Zuschlag für das "große Vergabeverfahren" nicht erteilen. Der AG müsse und dürfe diesen Zeitraum, das Vakuum/die Vakanz, überbrücken können. Er sei hierzu gesetzlich verpflichtet. Die gesetzlichen Pflichten für Reinigung und Einhaltung der Hygienevorschriften insbesondere an den Schulen - der AG sei Schulträger - ergebe sich namentlich aus § 33 Infektionsschutzgesetz (i.V.m. DIN 77400). Die Einholung einer Stellungnahme des Gesundheitsamtes des AG werde angeregt. Die Vergabekammer habe den AG mit Schreiben vom 14.11.2024 über den gestellten Nachprüfungsantrag vom 13.11.2024 informiert. Der AG sei fortan rechts- und ermessensfehlerfrei von der gesetzlichen fünfwöchigen Regelfrist des § 167 Abs. 1 Satz 1 GWB, einer etwaigen zweiwöchigen Verlängerungsfrist nach § 167 Abs. 1 Satz 4 GWB und der zweiwöchigen Notfrist nach § 170 Abs. 1 GWB für die Einlegung der sofortigen Beschwerde und mit einem Abschluss des Nachprüfungsverfahrens einschließlich des Ablaufs der Rechtsmittelfrist am 15.01.2025, ausgegangen. Im Ergebnis habe sich der AG veranlasst gesehen, eine Interimsvergabe für den Monat Januar 2025 auf den Weg zu bringen. Dementsprechend sei ausschließlich für den Monat Januar 2025 am 02.12.2024 die Ausschreibung der Interimsvergabe wegen Nichterreichens des EU-Schwellenwertes im nationalen Verfahren (Vergabe-Nr. BGV 121/2024) erfolgt.
Mit Verfügung vom 10.12.2024 habe die Vergabekammer die Entscheidungsfrist im "großen Vergabeverfahren" bis zum 26.02.2025 verlängert. Der AG habe sich daher veranlasst gesehen, eine weitere - neue - Interimsvergabe für den Monat Februar 2025 (Vergabe-Nr. BGV001/2025) auf den Weg zu bringen. Da bei dieser Interimsvergabe für den Monat Februar 2025 der EU-Schwellenwert wiederum deutlich unterschritten werde, habe der AG ein nationales Vergabeverfahren eingeleitet. Dieses sei für den AG im November 2024 - bei der Einleitung des ersten Interimsverfahrens für den Monat Januar 2025 - nicht absehbar gewesen. Nach Rechtsauffassung des AG könne daher der für das neuerliche Vergabeverfahren zugrundeliegende Auftragswert des Vergabeverfahrens für die Interimsvergabe Januar 2025 nicht aufaddiert werden, sondern müsse getrennt betrachtet werden. Das Bemühen der AST zur rechtswidrigen Erreichung des EU-Schwellenwertes sei nicht zu verkennen. Dies mache die nunmehrige Erweiterung ihres Nachprüfungsantrages vom 13.01.2025 überdeutlich.
Der AG sei nach wie vor der Rechtsauffassung, dass beide Interimsvergaben völlig unabhängig voneinander zu betrachten seien und dass die gewählten nationalen Vergabeverfahren rechtsfehlerfrei seien. Der Vorwurf, der AG unterlaufe das Umgehungsverbot, werde zurückgewiesen. Die Antragserweiterung vom 13.01.2025 sei daher wegen Nichterreichens des EU-Schwellenwertes ebenfalls als unzulässig zurückzuweisen. Die AST habe gemäß § 14 Abs. 2 Satz 4 ThürVgG im unterschwelligen Bereich keinen Anspruch auf Tätigwerden der Vergabekammer.
Hinzu komme, dass die AST kein Angebot für die Interimsvergabe für Februar 2025 abgegeben habe, sodass das Tatbestandsmerkmal "Bieter" gänzlich fehle. Allein aus diesem Grunde sei eine Rechtsverletzung der AST undenkbar. Im Ergebnis bleibe für den AG auch für den Monat Februar 2025 alternativlos eine Interimsvergabe im nationalen Verfahren. Der AG habe dabei insbesondere das höherrangige Bundesrecht des § 33 Infektionsschutzgesetz mit dem landesrechtlichen § 14 Abs. 2 ThürVgG abzuwägen. Nach der Gesetzespyramide habe § 33 Infektionsschutzgesetz eindeutig Vorrang.
Mit Beschluss der Vergabekammer vom 21.01.2025 wurde die BEI zum Verfahren hinzugezogen.
Mit Schreiben vom 21.01.2025 erteilte der AG der BEI den Zuschlag für das Los 4 bzgl. der Interimsvergabe "Kurzfristige Vergabe von Reinigungsleistungen vom 03.02.2025 bis 28.02.2025" (Vergabe-Nr. BGV001/2025).
Mit Schriftsatz vom 24.01.2025 überreichte die AST der Vergabekammer zwei Zeitungsartikel vom 19.01.2025 sowie vom 22.01.2025 und wiederholte ihr Vorbringen, dass die BEI nicht geeignet sei. In den Zeitungsartikeln werde über die derzeit vorherrschende Reinigungssituation an einigen Schulen in Thüringen berichtet, die seit dem 01.01.2025 von der BEI gereinigt würden.
Mit weiterer Veröffentlichung am 27.01.2025 im Th. Staatsanzeiger - Öffentlicher Teil (Nr. 4/2025) schrieb der AG im Rahmen einer öffentlichen Ausschreibung (UVgO; Vergabe-Nr. BGV008/2025) die Interimsvergabe "Gebäudereinigung in verschiedenen Objekten des Landkreises Schmalkalden-Meiningen" vom 03.03.2025 bis 31.03.2025 national aus. Die zu vergebene Dienstleistung war nach Ziffer 5 der Bekanntmachung vom 27.01.2025 in drei Lose aufgeteilt: Los 1 Meiningen-Grabfeld, Los 2 Meiningen und Los 4 Schmalkalden. Streitgegenständlich ist vorliegend das Los 4.
Nach Ziffer 9 der Bekanntmachung wurde hinsichtlich der Vergabeunterlagen auf die elektronische Adresse "www.vergabe-suche.de" verwiesen. Gemäß dem, in den Vergabeunterlagen enthaltenen, Formblatt 631 "Aufforderung zur Abgabe eines Angebots" umfasste die Dienstleistung die Gebäudereinigung in verschiedenen Objekten des Landkreises Schmalkalden-Meiningen.
Unter Ziffer 13 der Bekanntmachung wurde zu den Eignungskriterien Folgendes ausgeführt:
"Der Bewerber hat zum Nachweis seiner Eignung folgende Unterlagen mit dem Angebot vorzulegen: siehe Formular 124 Eigenerklärung zur Eignung; Eigenerklärung nach § 8 ThürVgG; evtl. gemäß Leistungsverzeichnis geforderte Nachweise, Qualifikationen und Zertifikate".
Nach Ziffer 14 der Bekanntmachung war beabsichtigt, den Zuschlag auf das wirtschaftlichste Angebot zu erteilen und es wurde bezüglich der weiteren Zuschlagskriterien auf das Formblatt "Erläuterung der Zuschlagskriterien" verwiesen. Der Inhalt des Formblatts war identisch zum Inhalt des in der öffentlichen Ausschreibung (Vergabe-Nr. ... ) vom 02.12.2024 verwandten Formblatts "Erläuterung der Zuschlagskriterien".
Das Formblatt 227 "Gewichtung der Zuschlagskriterien" sowie das Formblatt 125 "Sicherheitsauskunft und Verpflichtungserklärung Teilnehmer" waren nicht mehr in den Vergabeunterlagen des AG enthalten.
Nebenangebote waren nach Ziffer 7 der Bekanntmachung nicht zugelassen. Schlusstermin für den Eingang der Angebote war gemäß Ziffer 10 der Bekanntmachung der 10.02.2025, 10 Uhr.
Die Vergabekammer hat der AST am 28.01.2025 Einsicht in die Vergabeakten mit den Vergabenummern BGV121/2024 und BGV001/2025 gewährt, soweit keine geheimhaltungsbedürftigen Aktenbestandteile betroffen waren.
Die AST rügte erneut mit Schreiben vom 04.02.2025 die vom AG veröffentlichten Ausschreibungsunterlagen sowie das bisher durchgeführte Vergabeverfahren (Vergabe-Nr. BGV008/2025). Das bisher durchgeführte Vergabeverfahren verstoße gegen die bieterschützenden Grundsätze des Wettbewerbs, der Transparenz, der Gleichbehandlung und der Verhältnismäßigkeit gemäß § 97 Abs. 1 und 2 GWB. Die Interimsvergabe habe europaweit ausgeschrieben werden müssen. Die monatlichen Ausschreibungen (Januar, Februar und März) des AG seien rechtsmissbräuchlich und dienten nur dazu, die BEI zu bevorzugen. Mit der Aufspaltung der Interimsvergabe in einzelne Aufträge umgehe der AG rechtswidrig das Vergaberecht.
Mit Schreiben vom 06.02.2025 machte die AST die Interimsvergabe "Kurzfristige Vergabe von Reinigungsleistungen von 03.03.2025 bis 31.03.2025" bzgl. des Loses 4 des AG im Wege der Antragserweiterung zum Gegenstand des Nachprüfungsverfahrens und beantragte nunmehr ergänzend:
Zu 1. Das anhängige Nachprüfungsverfahren wird wegen der rechtswidrigen De-facto-Vergabe "Kurzfristige Vergabe von Reinigungsleistungen von 03.03.2025 bis 31.03.2025" betreffend das Los 4 erweitert.
Zu 4. Hilfsweise (für den Fall, dass der Zuschlag bereits erteilt wurde oder während des Verfahrens erteilt wird) wird festgestellt,
a.) dass die Antragstellerin durch das Vergabeverfahren "Kurzfristige Vergabe von Reinigungsleistungen von 03.03.2025 bis 31.03.2025" betreffend das Los 4 in ihren Rechten verletzt ist,
b.) dass die geschlossenen Verträge zwischen dem Antragsgegner und der Beigeladenen nach § 135 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 134 Abs. 2 Satz 1 GWB unwirksam sind.
Zu 8. Die Antragserweiterung wird dem Antragsgegner unverzüglich zugestellt.
Zu 10. Der Antragsgegner hat auch die Kosten der Antragserweiterung zu tragen.
Sodann wiederholte und vertiefte die AST ihr Vorbringen aus dem Nachprüfungsantrag vom 23.12.2024 und der Antragserweiterung vom 13.01.2025. Die AST führte aus, dass die zulässige Antragserweiterung begründet sei. Auch diese Vergabe habe europaweit ausgeschrieben werden müssen.
Mit Schreiben vom 04.02.2025 habe die AST auch die Vergabe "März 2025" gerügt. Eine Reaktion sei nicht erfolgt, so dass die Antragserweiterung zur Wahrung der Rechte der AST erforderlich sei, zumal der AG deutlich gemacht habe, dass er weiterhin monatliche Interimsvergaben vornehmen werde. Der Auftragswert der Interimsvergaben Januar, Februar und März 2025 sei nach § 3 Abs. 1 VgV zusammenzurechnen. Die von dem AG gewählten Monatszeiträume seien viel zu kurz bemessen. Die gegenständliche Interimsvergabe sei letztlich nur eine Verlängerung der ersten Interimsvergabe und es sei zumindest der Auftragswert für die gesamte Leistungszeit (also ab dem 01.01.2025) zugrunde zu legen. Auch die aktuelle Vergabe für den März 2025 erfolge zur Sicherstellung der Leistungserbringung aufgrund des anhängigen Nachprüfungsverfahrens bei der hiesigen Vergabekammer betreffend die Hauptvergabe. Dem AG gehe es eindeutig um die Überbrückung des Zeitraums bis zu einer Entscheidung der Vergabekammer hinsichtlich der Hauptvergabe. Ferner sei der AG bei seiner Entscheidung über den zu überbrückenden Zeitraum nicht von realistischen Verhältnissen ausgegangen. Im Nachprüfungsverfahren "Hauptvergabe" sei noch nicht einmal absehbar, wann eine mündliche Verhandlung stattfinden könne. Zudem habe die hiesige Vergabekammer im zugrundeliegenden Verfahren die Entscheidungsfrist zuletzt mit Verfügung vom 21.01.2025 auf den 03.03.2025 verlängert. Das bedeute, dass auch die Interimsvergabe für den März (weil auch schon wieder Januar vorbei sei) nicht ausreichen werde. Realistisch sei eine weitere Interimsvergabe von mindestens drei (besser neun) Monaten. Ein Auftraggeber habe Verzögerungen, die sich aus einem Nachprüfungsverfahren ergäben, grundsätzlich hinzunehmen und in seine Planungen einzukalkulieren. Dies sei vorliegend nicht geschehen. Daher schreibe der AG jetzt monatsweise die Leistungen aus. Soweit der AG vortrage, dass er durch die Vergabekammer mit Schreiben vom 14.11.2024 über den gestellten Nachprüfungsantrag vom 13.11.2024 informiert worden sei und er fortan rechts- und ermessensfehlerfrei von der gesetzlichen fünfwöchigen Regelfrist des § 167 Abs. 1 Satz 1 GWB ausgegangen sei, einer etwaigen zweiwöchigen Verlängerungsfrist nach § 167 Abs. 1 Satz 4 GWB und der zweiwöchigen Notfrist nach § 170 Abs. 1 GWB für die Einlegung der sofortigen Beschwerde, unterschlage der AG, dass die AST ihn bereits mit Rüge vom 13.12.2024 ausdrücklich darauf hingewiesen habe, dass die Entscheidungsfrist im Verfahren betreffend die Hauptvergabe bis zum 27.02.2025 verlängert worden sei. Hier habe dem AG also auffallen müssen, dass seine Kalkulationen nicht zutreffend seien. Er habe wenigstens für die Vergabe ab Februar einen längeren Zeitraum wählen müssen. Mithin seien die Auftragswerte der drei Interimsvergaben zusammenzurechnen. Nach der Kostenschätzung des AG sei der Schwellenwert bereits ab zwei Monaten überschritten. Zudem mache die nun dritte Interimsvergabe in Folge sehr deutlich, dass hier eine vorsätzliche Umgehung des Vergaberechts nach § 3 Abs. 2 Satz 1, 2 VgV vorliege.
Die Antragserweiterung sei aufgrund der Sachnähe zum Nachprüfungsantrag zulässig. Auch sei die AST nach § 160 Abs. 2 GWB antragsbefugt. Maßgeblich sei ihr Interesse an dem ausgeschriebenen Auftrag und den Vertragsfortsetzungen. Die AST habe sich auf die Interimsvergabe "Januar 2025" beworben. Hinsichtlich der Vergaben Februar und März gehe die AST davon aus, dass eigentlich eine zusammenhängende Vergabe vorliege und habe damit auch ihr Interesse an den künstlich aufgespalteten Ausschreibungen bekundet. Die AST könne nicht dazu gezwungen werden, sich an einer diskriminierenden und willkürlichen Ausschreibung, die sie mehrmals gerügt habe, zu beteiligen.
Die Antragserweiterung sei auch begründet. Es liege eine rechtswidrige De-Facto-Vergabe vor. Es lägen intransparente und rechtswidrige Zuschlagskriterien vor, auf deren Grundlage kein Zuschlag erfolgen könne. Die Eignungskriterien seien nicht ordnungsgemäß bekannt gemacht worden. Die Leistungsbeschreibung und die sonstigen Vergabeunterlagen seien gemäß § 97 Abs. 1 Satz 1 GWB intransparent.
Das Vergabeverfahren leide auch allgemein an Verfahrensfehlern. Die Akteneinsicht habe zwar ergeben, dass jeweils eine Kostenschätzung für die Monate Januar und Februar vorliege, wobei aber wegen fehlender Datumsangabe schon gar nicht nachvollzogen werden könne, wann diese erstellt worden sei bzw. ob diese in Übereinstimmung mit § 3 Abs. 3 VgV an dem Tag, an dem die Auftragsbekanntmachung abgesendet oder das Verfahren auf sonstige Weise eingeleitet worden sei, vorgenommen worden sei. Auch die Vergabeempfehlung des AG habe aufgezeigt, dass dieser sich gar nicht mit dem Thema Überschreitung des Schwellenwertes auseinandergesetzt habe. Er habe insbesondere nicht geprüft, für welchen Zeitraum eine Interimsvergabe notwendig sei. Dazu heiße es lediglich unter Ziffer 1 der Vergabeempfehlung, für den Monat Januar betrügen die Kosten entsprechend der Auswertung aller Angebote für die Dienstleistung in Summe 154.680,18 Euro/brutto. Dies deute daraufhin (da die Vergabeempfehlung lediglich auf den Angebotspreisen basiere), dass zuvor gar keine Auftragswertschätzung stattgefunden habe. Die AST habe bereits bei ihrer Rüge vom 10.01.2025 vorgetragen, dass die BEI nicht geeignet sei, da diese schon nicht genügend Personal habe. Aus der Akteneinsicht lasse sich nicht entnehmen, dass der AG diesen Rügepunkt in irgendeiner Weise geprüft bzw. dokumentiert habe. Letztlich fehlten auch die Zuschlagsschreiben in der Vergabeakte. Mithin liege eine ungenügende Dokumentation vor.
Der AG habe auch weiterhin seine Pflicht zur Beantwortung von Bieterfragen verletzt. Die Ausführungsfristen seien gegebenenfalls zu kurz gewählt - je nachdem wie lange der AG zur Auswertung der Angebote benötige. Der AG trage lediglich vor, dass das Ende der Bindefrist mit dem Beginn der Ausführungsfrist nichts zu tun habe. Dies sei von der AST auch gar nicht behauptet worden. Sodann heiße es vom AG, gerügt worden sei nicht die Angebotsfrist. Dies sei zutreffend, für die AST sei nur nicht ersichtlich wie dies mit der zu kurzen Ausführungsfrist (also der Zeit zwischen Zuschlag und Leistungsbeginn) zusammenhänge.
Die Vergabekammer hat am 07.02.2025 dem AG die Antragserweiterung übermittelt und diesen um Vorlage der Vergabeakte bzgl. der Interimsvergabe "Kurzfristige Vergabe von Reinigungsleistungen vom 03.03.2025 bis 31.03.2025" (Vergabe-Nr. BGV008/2025) bis zum 12.02.2025 und um Stellungnahme zur Antragserweiterung bis zum 14.02.2025 gebeten. Die AST reichte kein Angebot im Rahmen der Interimsvergabe "Kurzfristige Vergabe von Reinigungsleistungen vom 03.03.2025 bis 31.03.2025" (Vergabe-Nr. BGV008/2025) für das Los 4 ein. Die BEI gab ein Angebot für das Los 4 ab.
Der AG hat der Vergabekammer am 12.02.2025 die Vergabeakte übersendet. Die übersandte Vergabeakte enthielt eine sogenannte "Kostenschätzung für den Monat März 2025 mit Tariferhöhung (5 %)". Aus dieser Kostenschätzung geht hervor, dass der geschätzte Gesamtauftragswert für einen Monat, betreffend die Lose 1, 2 und 4, 163.096,64 Euro netto beträgt.
Der AG hat mit Schriftsatz vom 14.02.2025 auf die Antragserweiterung erwidert und beantragt:
1. Die Erweiterung des Nachprüfungsantrags vom 06.02.2025 als unzulässig zu verwerfen.
2. Vorsorglich die Hilfsanträge als unzulässig zu verwerfen.
3. Die Antragstellerin trägt auch die weiteren Kosten des Verfahrens einschließlich der zweckentsprechenden Rechtverfolgungskosten des Antragsgegners.
Zur Begründung wiederholte und vertiefte der AG sein bisheriges Vorbringen aus den Schriftsätzen vom 06.01.2025 und vom 17.01.2025. Der neuerliche Nachprüfungsantrag sei nicht statthaft, unzulässig und daher zu verwerfen. Die AST sei nicht in ihren Rechten verletzt und sie habe keine Antragsbefugnis. Die AST habe mit E-Mail vom 04.02.2025 pauschal und wieder nahezu gleichlautend vermeintliche Vergabefehler gerügt und am 06.02.2025 bereits den neuerlichen Nachprüfungsantrag mit Hilfsanträgen gestellt.
Der AG habe rechtsfehlerfrei gehandelt und werde auch weiterhin rechtsfehlerfrei handeln, da die Vergabegrundlagen sich eigentlich seit 07/2024 nicht verändert hätten und im Ergebnis zum vierten Mal - diesmal heruntergebrochen auf den Monat März 2025 - bekannt gemacht worden seien. Der AG gehe davon aus und dürfe auch davon rechtsfehlerfrei ausgehen, dass die Vergabekammer bis zum 26.02.2025 über das "Haupt-Vergabe-Nachprüfungsverfahren" entscheiden werde, sodass nur noch der Monat März 2025 durch eine weitere zulässige Interimsvergabe für den Monat März 2025 "überbrückt" werden müsse. Aus diesem Grunde habe der AG die zur Nachprüfung gestellte Interimsvergabe für den Monat März 2025 als nationales Vergabeverfahren, BGV008/2025, auf den Weg gebracht. Die Notwendigkeit der erneuten Interimsvergabe für den Monat März 2025 sei weder bei der Interimsvergabe für Januar 2025, noch bei der Interimsvergabe für Februar 2025 vorhersehbar gewesen. Nach Rechtsauffassung des AG könne daher der für das neuerliche Vergabeverfahren zugrundeliegende Auftragswert des Vergabeverfahrens für die Interimsvergabe März 2025 nicht aufaddiert werden, sondern müsse getrennt betrachtet werden.
Das Bemühen der AST zur rechtswidrigen Erreichung des EU-Schwellenwertes sei nicht zu verkennen. Dies mache die nunmehrige Erweiterung ihres Nachprüfungsantrags vom 06.02.2025 abermals überdeutlich. Der AG sei nach wie vor der Rechtsauffassung, dass die bisherigen monatlichen Interimsvergaben völlig unabhängig voneinander zu betrachten seien, und dass die gewählten nationalen Vergabeverfahren rechtsfehlerfrei seien. Der Vorwurf, der AG unterlaufe das Umgehungsverbot, werde zurückgewiesen. Der Nachprüfungsantrag vom 06.02.2025 sei daher im Ergebnis wegen Nichterreichens des EU-Schwellenwertes als unzulässig zu verwerfen.
Die AST habe wiederum kein Angebot für die Interimsvergabe für März 2025 abgegeben, sodass das Tatbestandsmerkmal "Bieter" auch diesmal gänzlich fehle. Die AST habe auch diesmal vermeintliche Fehler beim Vergabeverfahren pauschal gerügt, noch vor dem Submissionstermin einen Nachprüfungsantrag gestellt und wiederum kein Angebot abgegeben.
Die Vergabeunterlagen seien seit 07/2024 unverändert, sie hätten diesmal nur auf den Monat März 2025 heruntergebrochen werden müssen.
Die Einlassung, die Leistungsbeschreibung und die sonstigen Vergabeunterlagen seien fehlerhaft, sei nicht ansatzweise nachvollziehbar, zumal die AST im "Haupt-Vergabeverfahren" gerade auf die dann "fehlerhaften Vergabeunterlagen" (von ihr nicht beanstandet) den Zuschlag für das Los 3 - Rhön und Umgebung - erhalten habe.
Die AST müsse an der Abgabe eines Angebots gehindert oder erheblich beeinträchtigt sein. Es müssten gewichtige Vergaberechtsverstöße vorliegen. Bei dieser Sachlage lasse es die Vergabekammer Sachsen (Beschl. v. 22.10.2020, 1/SVK/023-20) im dortigen Fall ausreichen, wenn der Antragsteller nur vorprozessual Rüge erhebe und anschließend einen Nachprüfungsantrag stelle. Im Fall hier lägen aber keine Verfahrensverstöße vor, geschweige denn Gewichtige oder erheblich Beeinträchtigende.
All diese Widersprüche möge die AST aufklären. Der AG könne sich (bis dahin) nicht des subjektiven Eindrucks des Rechtsmissbrauchs der AST aus nicht mehr auszuschließenden sachwidrigen Gründen erwehren. Im Ergebnis bleibe für den AG auch für den Monat März 2025 alternativlos eine Interimsvergabe im nationalen Verfahren.
In dem AG erst am 12.02.2025 zugegangenen Schriftsatz vom 23.01.2025 rüge die AST erneut pauschal die Eignung der BEI. Der AG bekunde nochmals, dass er die Leistungsfähigkeit der BEI selbstverständlich nach den gesetzlichen Vorgaben geprüft habe. Der AG habe keine Zweifel an der Eignung der seit 115 Jahren bestehenden und bundesweit tätigen BEI mit inzwischen 5 Tochtergesellschaften, 8.500 Mitarbeiter/innen und 44 Standorten, vgl. Ausschnitt aus der Homepage der BEI.
Der AG verkenne auch nicht, dass bei der Auftragsvergabe in der vorliegenden Größenordnung eine marktübliche Vorlaufsfrist von 4 bis 6 Wochen nicht von der Hand zu weisen sei, ein Auftragnehmer einer Interimsvergabe durchaus ein gewisses oder gar hohes wirtschaftliches Risiko eingehe.
Mit Schreiben vom 20.02.2025 erteilte der AG der BEI den Zuschlag für das Los 4 bzgl. der Interimsvergabe "Kurzfristige Vergabe von Reinigungsleistungen vom 03.03.2025 bis 31.03.2025" (Vergabe-Nr. BGV008/2025).
Die Vergabekammer hat zuletzt mit Schreiben vom 27.02.2025 die Frist für die Entscheidung in der Sache um 2 Wochen bis zum 17.03.2025 verlängert.
Die Vergabekammer hat der AST am 04.03.2025 ergänzende Einsicht in die Vergabeakten mit den Vergabenummern BGV001/2025 und BGV008/2025 gewährt, soweit keine geheimhaltungsbedürftigen Aktenbestandteile betroffen waren.
Der nunmehr anwaltlich vertretene AG hat mit Schriftsatz vom 04.03.2025 wie folgt Stellung genommen. Aufgrund der Entscheidung der Vergabekammer vom 28.02.2025 in dem Parallelverfahren 5090-250-4003/498 halte der AG an den Interimsvergaben Los 4 für die Monate Januar bis März 2025 nicht fest. Der Vertrag für März 2025 werde nicht weiter vollzogen. Es sei bereits ein Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb für die Reinigungsleistungen vom 10. bis 31. März 2025 eingeleitet worden. Aus Sicht des AG habe sich das Nachprüfungsverfahren damit erledigt. Der AG sei mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden.
Die AST hat mit Schriftsatz vom 04.03.2025, bezugnehmend auf den Schriftsatz des AG vom 04.03.2025, das Verfahren für erledigt erklärt. Zudem hat sie beantragt:
1. Die Kosten des Verfahrens einschließlich der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen der AST werden dem AG auferlegt.
2. Die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten durch die AST wird für notwendig erklärt.
3. Auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung wird verzichtet.
Die AST führte aus, dass die zulässigen Anträge begründet seien. Mit Beschluss der Vergabekammer vom 28.02.2025 (5090-250-4003/498) sei festgestellt worden, dass die AST durch die De-facto-Vergabe des AG in dem Parallelverfahren in ihrem Anspruch aus § 97 Abs. 6 GWB auf Einhaltung der Vergabevorschriften verletzt worden sei. Weiterhin sei festgestellt worden, dass die dort streitgegenständlichen Lose gemäß § 135 Abs. 1 Nr. 2 GWB von Anfang an unwirksam seien. Soweit der AG an seiner Beschaffungsabsicht festhalte, werde er verpflichtet, ein europarechtskonformes Vergabeverfahren unter Beachtung der Rechtsauffassung der Vergabekammer durchzuführen.
Der AG habe die Kosten des Verfahrens nach billigem Ermessen gemäß § 182 Abs. 3 Satz 4, 5 GWB zu tragen, sowie die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der AST nach § 182 Abs. 4 Satz 3 GWB. Grundsätzlich sei die Entscheidung über die Kostentragung in den Fällen einer Verfahrensbeendigung durch Rücknahme oder anderweitige Erledigung unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstands nach billigem Ermessen gemäß § 182 Abs. 3 Satz 4, 5 GWB zu treffen. Dabei komme es bei anderweitiger Erledigung in erster Linie darauf an, welcher Beteiligte im materiellen Sinne unterlegen sei oder obsiegt habe beziehungsweise bei einer Fortführung unterlegen wäre oder obsiegt hätte. Gesichtspunkte der Billigkeit könnten es dabei im Einzelfall gebieten, von der Maßgeblichkeit des voraussichtlichen Verfahrensausgangs abzuweichen und den Auftraggeber ganz oder teilweise mit den Verfahrenskosten zu belasten. Ein Ausnahmefall (Abweichen vom voraussichtlichen Verfahrensausgang) werde von der Rechtsprechung u.a. angenommen, wenn der Auftraggeber der Rüge des Antragstellers nach Einleitung des Nachprüfungsverfahrens doch noch abhelfe.
Dies sei vorliegend der Fall, weil der AG erklärt habe, dass er an den Interimsvergaben zu Los 4 für die Monate Januar bis März 2025 nicht festhalten werde. Der Vertrag für März 2025 werde nicht weiter vollzogen. Es sei bereits ein Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb für die Reinigungsleistungen vom 10. bis 31. März 2025 eingeleitet worden. Infolgedessen seien dem AG die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung im Nachprüfungsverfahren notwendigen Kosten der AST bereits unter dem Gesichtspunkt aufzuerlegen, dass sich der AG durch die Zurückversetzung des Vergabeverfahrens in den Stand vor Bekanntmachung freiwillig in die Rolle des Unterlegenen begeben habe. Gerade die Berücksichtigung einer Fallkonstellation wie der Vorliegenden, in welcher der Antragssteller in einem materiellen Sinne obsiegt habe, weil der Auftraggeber nach Einleitung des Nachprüfungsverfahrens dem Begehren des Antragsstellers abhelfe und das Verfahren durch eine beiderseitige Erledigungserklärung beendet werde, solle § 182 Abs. 4 Satz 3 Hs. 1 GWB ermöglichen.
Dem AG seien zudem die zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der AST nach § 182 Abs. 4 Satz 3 GWB aufzuerlegen. Die Entscheidung, wer die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen anderer Beteiligter zu tragen habe, bestimme sich nach § 182 Abs. 4 Satz 3 GWB ebenfalls nach billigem Ermessen. Die Norm stelle für die Kostenerstattung zwischen den Beteiligten den Gleichlauf der Regelungen für die Vergabekammergebühren und die Kostenerstattung her. Es handle sich um eine Frage des Einzelfalls, die in der Regel nach den gleichen Grundsätzen zu entscheiden sei, wie bei § 182 Abs. 3 Satz 5 GWB. Vorliegend sei nicht ersichtlich, dass insoweit eine andere Billigkeitsentscheidung zu treffen sei wie bezüglich der Verfahrenskosten vor der Vergabekammer. Insoweit werde auf die o.g. Ausführungen verwiesen.
Der AG habe die Kosten des Verfahrens auch aufgrund eines Verschuldens nach § 182 Abs. 3 Satz 3 GWB zu tragen. Nach § 182 Abs. 3 Satz 3 GWB könnten Kosten, die durch "Verschulden" eines Beteiligten entstanden seien, diesem auferlegt werden. Ein Verschulden sei zu bejahen, wenn der Beteiligte unter Außerachtlassung der erforderlichen und ihm zumutbaren Sorgfalt durch sein Verhalten einen anderen Beteiligten oder das Gericht zu Prozesshandlungen oder Entscheidungen veranlasst habe und an sich nicht erforderliche Kosten verursacht habe. Eine Kostenauferlegung in diesem Sinne könne veranlasst sein, wenn der Auftraggeber durch eine fehlerhafte oder zögerliche Beantwortung der Rüge in vorwerfbarer Weise Anlass zur Einleitung des Nachprüfungsverfahrens gegeben habe. Vorliegend habe der AG durch Außerachtlassen der erforderlichen und ihm zumutbaren Sorgfalt die Einleitung des Nachprüfungsverfahrens durch die AST und die damit verbundenen Kosten verursacht. Der AG hätte der AST rechtzeitig mitteilen müssen, dass eine Abhilfe geplant sei. Dies sei vor Einleitung des Nachprüfungsverfahrens unterblieben. Die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten durch die AST sei gemäß § 182 Abs. 4 Satz 4 GWB i.V.m. § 1 Abs. 1 LVwVfG i.V.m. § 80 Abs. 3 Satz 2 VwVfG für notwendig zu erklären. Ein Unternehmen auf Bieterseite dürfe sich regelmäßig eines Verfahrensbevollmächtigten für das Nachprüfungsverfahren bedienen. So liege der Fall hier. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz sei vorliegend nicht ersichtlich.
Die Vergabekammer nimmt ergänzend Bezug auf die ausgetauschten Schriftsätze, die Verfahrensakten der Vergabekammer sowie die Vergabeakten des AG, soweit vorgelegt.
II.
1. Zuständigkeit
Die Vergabekammer ist vorliegend für die Überprüfung des streitgegenständlichen Vergabeverfahrens zuständig. Die sachliche und örtliche Zuständigkeit der Vergabekammer ergibt sich aus §§ 155, 156 Abs. 1, 2. Hs., 158 Abs. 2, 159 Abs. 3 Satz 1 GWB in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Satz 1 ThürVkVO.
Der AG ist öffentlicher Auftraggeber gemäß §§ 98, 99 Nr. 1 GWB.
Der maßgebliche Schwellenwert ist durch den geschätzten Wert der hier in Rede stehenden Aufträge überschritten, vgl. § 106 Abs. 1 Satz 1 GWB.
Nach § 106 GWB gilt der vierte Teil des GWB nur für die Vergabe solcher öffentlicher Aufträge und Konzessionen sowie für die Ausrichtung solcher Wettbewerbe, deren geschätzter Auftrags- oder Vertragswert ohne Umsatzsteuer die jeweils festgelegten Schwellenwerte erreicht oder überschreitet. Maßgeblich für die daraus abzuleitende Frage der Statthaftigkeit eines Nachprüfungsverfahrens (§§ 155 ff. GWB) wegen Erreichens beziehungsweise Überschreitens der Schwellenwerte im Sinne des § 106 GWB i.V.m. § 3 VgV ist allein die objektive Rechtslage (vgl. OLG Koblenz, Beschl. v. 01.09.2021, Verg 1/21; OLG Karlsruhe, Beschl. v. 12.11.2008, 15 Verg 4/08; Dittmann in: Ziekow/Völlink, Vergaberecht, 5. Aufl. 2024, GWB, § 155 Rn. 19).
Der maßgebliche Schwellenwert für die ausgeschriebenen Dienstleistungsaufträge ist über § 106 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 GWB i.V.m. Art. 4 der Richtlinie 2014/24/EU i.V.m. der delegierten Verordnung 2023/2495 der Kommission vom 15.11.2023 festgelegt und beträgt seit dem 01.01.2024 221.000 Euro netto.
Ob der Auftragswert den maßgeblichen Schwellenwert erreicht oder überschreitet, ist von dem öffentlichen Auftraggeber durch eine Schätzung zu ermitteln, vgl. § 3 VgV. Der AG verstößt mit seiner vorgenommenen Schätzung des Auftragswertes gegen die Festlegungen aus § 3 Abs. 1, Abs. 2 VgV.
Bei der Schätzung des Auftragswerts ist vom voraussichtlichen Gesamtwert der vorgesehenen Leistung ohne Umsatzsteuer, mithin dem Nettobetrag, auszugehen, vgl. § 3 Abs. 1 Satz 1 VgV. Etwaige Optionen oder Vertragsverlängerungen sind vom Auftraggeber zu berücksichtigen, vgl. § 3 Abs. 1 Satz 2 VgV. Bei Aufträgen über Liefer- und Dienstleistungen, für die kein Gesamtpreis angegeben wird, ist gemäß § 3 Abs. 11 Nr. 1 VgV Berechnungsgrundlage für den geschätzten Auftragswert bei zeitlich begrenzten Aufträgen mit einer Laufzeit von bis zu 48 Monaten der Gesamtwert für die Laufzeit dieser Aufträge.
Die Kostenschätzung des AG verstößt gegen das Umgehungsverbot aus § 3 Abs. 2 Satz 1 und 2 VgV.
Gemäß § 3 Abs. 2 Satz 1 VgV darf die Wahl der Methode zur Berechnung des geschätzten Auftragswerts nicht in der Absicht erfolgen, die Anwendung der Bestimmungen des Teils 4 des GWB oder der VgV zu umgehen. Dies umfasst im Grundsatz zwei Varianten der manipulativen Schätzung. Zum einen verbietet die Vorschrift die Schätzung in der Absicht, den Auftrag der Anwendung der VgV zu entziehen (Alexander in: Pünder/Schellenberg, Vergaberecht, 3. Aufl. 2019, VgV, § 3 Rn. 27). Zum anderen richtet sich das Umgehungsverbot gegen eine Unterteilung von Aufträgen, wenn diese in der Absicht vorgenommen wird, den Auftrag der Anwendung der VgV zu entziehen (Alexander in: Pünder/Schellenberg, a.a.O.). Die manipulative Aufteilung des Auftrags bezieht sich auf die Fälle, in denen der Auftrag künstlich aufgespalten wird (Alexander in: Pünder/Schellenberg, a.a.O.; Preussler/Hartwecker in: Leinemann/Otting/Kirch/Homann, VgV/UVgO, § 3 Rn. 41). Dies kann dadurch geschehen, indem ein einheitlicher Auftrag ohne objektive Notwendigkeit in verschiedene Aufträge mit Auftragswerten unterhalb der Schwellenwerte aufgeteilt wird (Alexander in: Pünder/Schellenberg, a.a.O.; Preussler/Hartwecker in: Leinemann/Otting/Kirch/Homann, VgV/UVgO, 1. Aufl. 2024, § 3 Rn. 42).
Vorliegend sind die Interimsaufträge für die Zeiträume Januar, Februar und März 2025 im Hinblick auf das im Rahmen der Auftragswertschätzung gemäß § 3 VgV zu beachtende Umgehungsverbot des § 3 Abs. 2 Satz 1 und 2 VgV zu addieren, da nach der notwendigen funktionalen Betrachtungsweise die Aufträge von Januar bis März 2025 dieselbe wirtschaftliche Funktion erfüllen.
Was zu dem Auftrag, dessen Wert zu schätzen ist, gehört, ist anhand einer funktionalen Betrachtungsweise zu ermitteln. Bevor eine Aufteilung in verschiedene Aufträge erfolgen darf, sind organisatorische, inhaltliche, wirtschaftliche und technische Zusammenhänge zu berücksichtigen (OLG Karlsruhe, Beschl. v. 27.06.2018, 15 Verg 7/17; OLG Schleswig, Beschl. v. 28.01.2021, 54 Verg 6/20). Von Bedeutung sind auch räumliche und zeitliche Zusammenhänge. Vorliegend ist der Vertragsgegenstand bei allen drei Aufträgen mit der Erbringung von Reinigungsdienstleistungen "in verschiedenen Objekten des Landkreises Schmalkalden-Meiningen" identisch. Ferner dienen die drei Aufträge der Überbrückung des Zeitraums des am 14.11.2024 bereits eingeleiteten Nachprüfungsverfahrens (Az.: 5090-250-4003/490), die Hauptvergabe betreffend, um eine lückenlose Beschaffung der Reinigungsdienstleistungen zu gewährleisten. Damit weisen diese Leistungen in inhaltlicher und wirtschaftlicher Hinsicht eine innere Kohärenz und eine funktionelle Kontinuität auf. Schließlich hat auch der AG mit Nachschreiben vom 02.12.2024 darauf hingewiesen, dass er von einer "Interimsvergabe von Reinigungsarbeiten für die Dauer des Nachprüfungsverfahrens vor der Vergabekammer (BGV 87/2024) bzgl. der Lose 1, 2 und 4 bis längstens 31.12.2025" ausgehe. Insofern erschließt sich der Vergabekammer auch nicht, dass der AG nunmehr mit Schreiben vom 17.01.2025 vorträgt, dass er im November 2024 davon ausgegangen sei, dass eine Ausschreibung der Interimsvergabe für den Monat Januar 2025 ausreichend sei. Denn dem Nachschreiben vom 02.12.2024 lässt sich entnehmen, dass der AG bereits am 02.12.2024 von einer bis zu einjährigen interimsweisen Vergabe ausgegangen ist. Vieles spricht dafür, dass der AG diese Methode der Unterteilung der Aufträge gewählt hat, um so den Schwellenwert des EU-Vergaberechts zu unterschreiten. Denn bereits die Addition der Monate Januar und Februar 2025 hätte dazu geführt, dass der maßgebliche Schwellenwert in Höhe von 221.000 Euro eindeutig überschritten worden wäre.
Interimsaufträge, die selbständig neben dem Hauptvertrag stehen, sind im Hinblick auf das im Rahmen der Schätzung des Auftragswertes nach § 3 VgV zu beachtende Umgehungsverbot des § 3 Abs. 2 Satz 1, 2 VgV zu addieren, soweit der einheitliche (Interims-) Beschaffungsbedarf in der Absicht, die Anwendung des Kartellvergaberechts zu umgehen, künstlich aufgespalten wird, sei es durch mehrere Interimsaufträge, sei es durch eine Kombination aus Vertragsverlängerungen und (neuen) Interimsaufträgen (vgl. OLG Frankfurt, Beschl. v. 24.11.2022, 11 Verg 5/22, Rn. 33). Das ist vorliegend durch die "monatlichen" Interimsaufträge an die BEI der Fall, die alle dem gleichen Beschaffungsbedarf dienen, nämlich der Sicherstellung der Reinigungsdienstleistung "in verschiedenen Objekten des Landkreises Schmalkalden-Meiningen" bis zur Neuvergabe. Nach Überzeugung der Vergabekammer war vom AG eine Umgehung der vergaberechtlichen Kontrolle auch beabsichtigt, insbesondere, weil keine andere plausible Erklärung für das Nachschreiben des AG vom 02.12.2024 ersichtlich ist. Ebenso sind andere objektive Gründe, die für eine zulässige Unterteilung der Interimsaufträge im Sinne von § 3 Abs. 2 Satz 2 Hs. 2 VgV sprechen würden, den Unterlagen nicht zu entnehmen.
Die Schätzung des Auftragswertes des AG ist mithin nicht nachvollziehbar und nicht plausibel. Demnach ist festzustellen, dass die streitgegenständlichen Interimsaufträge und die von Januar 2025 bis März 2025 beauftragten Reinigungsdienstleistungen einen einheitlichen Dienstleistungsauftrag bilden, der angesichts seines Gesamtwerts den Schwellenwert überschreitet. Eine mit dem Ziel der Vermeidung eines europaweiten Vergabeverfahrens vorgenommene künstliche Aufspaltung des einheitlichen Interimsbeschaffungsbedarfs stellt eine gemäß § 3 Abs. 2 Satz 1 und 2 VgV unzulässige Aufteilung des Gesamtauftrags und damit eine Umgehung vergaberechtlicher Vorschriften dar (vgl. OLG Frankfurt, Beschl. v. 24.11.2022, 11 Verg 5/22, Rn. 33; Preussler/Hartwecker in: Leinemann/Otting/Kirch/Homann, VgV/UVgO, 1. Aufl. 2024, § 3 Rn. 41). Auf eine besondere Umgehungsabsicht des Vergaberechts kommt es im Falle einer Aufteilung eines einheitlichen Beschaffungsbedarfs nicht an (vgl. EuGH, Urt. v. 15.03.2012, Rs. C-574/10, Rn. 49).
Im Ergebnis verstößt die interimsweise Vergabe der Reinigungsdienstleistungen in getrennten Ausschreibungen gegen das Umgehungsverbot aus § 3 Abs. 2 Satz 1 und 2 VgV. Die Auftragswerte der Interimsaufträge Januar, Februar und März 2025 sind zu addieren, sodass der maßgebliche EU-Schwellenwert mit den vorliegenden Ausschreibungen überschritten wird. Das Nachprüfungsverfahren ist wegen des Überschreitens des für die europaweite Vergabe einschlägigen Schwellenwerts nach den §§ 155 ff. GWB statthaft.
2. Feststellung der Erledigung des Verfahrens und seine Einstellung
Der AG hat mit Schriftsatz vom 04.03.2025 ausgeführt, dass er aufgrund der Entscheidung der Vergabekammer vom 28.02.2025 in dem Parallelverfahren 5090-250-4003/498 an den Interimsvergaben zu Los 4 für die Monate Januar bis März 2025 nicht festhalte. Der Vertrag für März 2025 werde nicht weiter vollzogen. Aus Sicht des AG habe sich das Nachprüfungsverfahren damit erledigt. Die AST hat daraufhin mit Schriftsatz vom 04.03.2025 das Nachprüfungsverfahren für erledigt erklärt. Das Nachprüfungsverfahren hat sich mit den übereinstimmenden Erledigungserklärungen des AG und der AST erledigt und wird eingestellt.
Die Feststellung der Erledigung (Ziffer 1. des Tenors der Entscheidung) war daher ebenso wie die Einstellung des Nachprüfungsverfahrens (Ziffer 2. des Tenors der Entscheidung) auszusprechen.
Das von der AST beantragte Nachprüfungsverfahren ist dadurch gegenstandslos geworden. Es hat sich mithin erledigt und der ursprüngliche Prüfungsgegenstand ist nunmehr der Entscheidungskompetenz der Vergabekammer entzogen. Die Vergabekammer kann nach § 168 Abs. 1 Satz 1 GWB nicht mehr über den Nachprüfungsantrag entscheiden, sondern nur noch die Einstellung des Nachprüfungsverfahrens aussprechen und hat weiterhin über die Kosten des Nachprüfungsverfahrens zu entscheiden.
3. Kostenentscheidung
Die Kostenentscheidung beruht auf § 182 GWB.
Der AG hat nach § 182 Abs. 3 Satz 5, Abs. 4 Satz 3 GWB die Kosten des Verfahrens (Gebühren und Auslagen) und die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen der AST zu tragen.
Grundsätzlich ist die Entscheidung über die Kostentragung in den Fällen einer Verfahrensbeendigung aufgrund übereinstimmender Erledigungserklärungen nach billigem Ermessen unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstands zu treffen (OLG München, Beschl. v. 10.04.2019, Verg 8/18; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 13.09.2018, Verg 35/17). Es hält sich in dem der Vergabekammer nach § 182 Abs. 3 Satz 5 GWB eingeräumten billigem Ermessen, wenn sie sich lediglich auf eine summarische Prüfung des voraussichtlichen Verfahrensausgangs beschränkt (Radu in: Müller-Wrede, GWB-Kommentar, 2. Aufl. 2023, § 182 Rn. 85, 86).
Billigem Ermessen entspricht hierbei eine an dem voraussichtlichen Verfahrensausgang ohne Erledigung orientierte Kostenverteilung.
Die Vergabekammer geht bei summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage davon aus, dass der AG - wenn keine Erledigung des Verfahrens eingetreten wäre - in dem Vergabenachprüfungsverfahren unterlegen wäre und es daher billigem Ermessen entspricht, ihm die Kosten des Verfahrens und die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen der AST aufzuerlegen.
Der Nachprüfungsantrag vom 23.12.2024 sowie die Antragserweiterungen vom 13.01.2025 und vom 06.02.2025 wären bei summarischer Prüfung zulässig und begründet gewesen.
a.) Der Nachprüfungsantrag und die beiden Antragserweiterungen wären nach summarischer Prüfung voraussichtlich zulässig.
Die AST war gemäß § 160 Abs. 2 GWB antragsbefugt. In Bezug auf die Interimsvergabe Januar 2025 hatte die AST mit Angebotsabgabe am 16.12.2024, ihren Rügeschreiben vom 13.12.2024 und 19.12.2024 sowie ihrem Nachprüfungsantrag vom 23.12.2024 ihr Interesse am Auftrag bekundet und die Verletzung eigener Rechte geltend gemacht. Die AST hatte zudem dargelegt, dass ihr durch die behauptete Nichtbeachtung von Vergaberecht ein Schaden droht.
In Bezug auf die Interimsvergaben Februar 2025 und März 2025 war die AST antragsbefugt gemäß § 160 Abs. 2 GWB, obwohl sie sich nicht mit einem fristgerechten Angebot an den nationalen Ausschreibungen beteiligt hatte. Wer als Antragstellerin geltend macht, durch rechtsverletzende Bestimmungen in den Vergabeunterlagen an der Einreichung eines chancenreichen Angebots gehindert oder erheblich beeinträchtigt zu sein, muss zur Begründung seines Auftragsinteresses kein Angebot abgeben, sondern kann dieses Interesse durch seine vorprozessuale Rüge gemäß § 160 Abs. 3 GWB und den anschließenden Nachprüfungsantrag dokumentieren (vgl. OLG Düsseldorf, Beschl. v. 11.11.2011 - Verg 92/11; Dicks/Schnabel in: Ziekow/Völlink, Vergaberecht, 5. Aufl. 2024, GWB, § 160 Rn. 12). Durch Rügeschreiben vom 10.01.2025 und vom 04.02.2025 sowie Antragserweiterungen vom 13.01.2025 und vom 06.02.2025 hatte die AST ihr Interesse an den Aufträgen hinreichend dokumentiert. Ebenso hatte die AST dargelegt in ihren Rechten nach § 97 Abs. 6 GWB durch die unterbliebene europaweite Ausschreibung verletzt zu sein. Der Zulässigkeit des Nachprüfungsantrags und dessen Antragserweiterungen stand keine Rügepräklusion nach § 160 Abs. 3 Satz 1 GWB entgegen. Bei einer De-facto-Vergabe bzw. einem Feststellungsantrag gemäß § 135 Abs. 1 Nr. 2 GWB besteht keine Rügeverpflichtung nach § 160 Abs. 3 Satz 2 GWB (stRspr; Braun in: Ziekow/Völlink, 5. Auflage 2024, GWB, § 135 Rn. 108; Gnittke/Hattig in: Müller-Wrede, GWB, 2. Auflage 2023, § 135 Rn. 59). Vorliegend hatte die AST das Verhalten des AG mit Schreiben vom 13.12.2024 und 19.12.2024 hinsichtlich der Interimsvergabe Januar 2025, mit Schreiben vom 10.01.2025 hinsichtlich der Interimsvergabe Februar 2025 und mit Schreiben vom 04.02.2025 hinsichtlich der Interimsvergabe März 2025 vor Ablauf der jeweiligen Frist zur Angebotsabgabe gerügt. Nichtsdestotrotz hätte es dieser Rügen der AST nach dem gesetzlichen Wortlaut des § 160 Abs. 3 Satz 2 GWB nicht bedurft.
Die Antragserweiterungen der AST vom 13.01.2025 und vom 06.02.2025 waren ohne Weiteres zulässig. Antragsänderungen und -erweiterungen (vgl. §§ 263, 264 ZPO) sind mit dem Vergaberecht grundsätzlich vereinbar, soweit keine bestands- oder rechtskräftige Entscheidung ergangen ist (Gabriel/Mertens in: BeckOK Vergaberecht, Gabriel/Mertens/Stein/Wolf, 34. Edition, GWB, § 160 Rn. 29; Dicks/Schnabel in: Ziekow/Völlink, 5. Auflage 2024, GWB, § 160 Rn. 5).
b.) Der Nachprüfungsantrag und die beiden Antragserweiterungen wären nach summarischer Prüfung voraussichtlich auch begründet.
Mit der Entscheidung über die Durchführung einer öffentlichen Ausschreibung nach UVgO hat der AG gegen die unionsweite Ausschreibungspflicht des § 106 Abs. 1, 2 GWB verstoßen und somit die AST in ihren Rechten auf Einhaltung des Vergabeverfahrens aus § 97 Abs. 6 GWB verletzt. Wie bereits unter Ziffer 1. festgestellt, hat der AG hinsichtlich des einheitlichen Interimsbeschaffungsbedarfs für die Monate Januar 2025 bis März 2025 gemäß § 3 Abs. 2 Satz 1 und 2 VgV eine unzulässige Aufteilung des Gesamtauftrags vorgenommen und mithin gegen das Umgehungsverbot des § 3 Abs. 2 VgV verstoßen. Die Auftragswerte der Interimsaufträge Januar, Februar und März 2025 sind entgegen der Auffassung des AG zu addieren, sodass der maßgebliche EU-Schwellenwert mit den vorliegenden Ausschreibungen überschritten wird. Demzufolge hätte der AG die Dienstleistungsaufträge in einem europaweiten Vergabeverfahren gemäß § 97 Abs. 1 GWB i.V.m. §§ 119 ff. GWB ausschreiben müssen.
Es gibt keine Gestattung aufgrund Gesetzes. Der AG hat die Aufträge an die BEI nicht unter Anwendung der Ausnahmevorschrift des § 119 Abs. 2 Satz 2 GWB i.V.m. § 14 Abs. 4 Nr. 3 VgV vergeben. Der AG hat vorliegend dreimal eine öffentliche Ausschreibung nach UVgO durchgeführt. Hätte der AG ein Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb gemäß § 14 Abs. 4 Nr. 3 VgV für notwendig erachtet, dann hätte er dieses entsprechend § 14 Abs. 4 Nr. 3 VgV durchführen und auch ordnungsgemäß nach § 8 VgV dokumentieren müssen.
Die AST hat zunächst allein wegen des Fehlens einer europaweiten Bekanntmachung im Supplement zum Amtsblatt der EU keinen rechtsverletzenden Nachteil erfahren. Ein Nachteil kann vielmehr auch darin liegen, wenn im Rahmen der Durchführung des Vergabeverfahrens Normen zur Anwendung kommen, die sich dem Bieter gegenüber als nachteilig im Vergleich zu den korrekterweise anzuwendenden Normen darstellen (vgl. VK Bund, Beschl. v. 27.05.2014, VK 2-31/14; VK Südbayern, Beschl. v. 05.08.2019, Z3-3-3194-1-14-05/19, Rn. 70). Vorliegend hat die AST hinreichend dargelegt, dass sie auf der Grundlage der anzuwendenden Normen eines europaweiten Vergabeverfahrens eine bessere Zuschlagschance gehabt hätte:
aa.) In den vorliegenden Vergabeverfahren sind die Eignungsanforderungen vom AG nicht wirksam aufgestellt worden. Nach § 122 Abs. 4 Satz 2 GWB sind die Eignungskriterien in der Auftragsbekanntmachung, der Vorinformation oder der Aufforderung zur Interessenbestätigung aufzuführen. An der Einhaltung dieser Erfordernisse mangelte es vorliegend. Denn in den Auftragsbekanntmachungen wurde lediglich unter Ziffer 13 ausgeführt, dass "der Bewerber zum Nachweis seiner Eignung folgende Unterlagen mit dem Angebot vorzulegen hat: siehe Formular 124 Eigenerklärung zur Eignung; Eigenerklärung nach § 8 ThürVgG; evtl. gemäß Leistungsverzeichnis geforderte Nachweise, Qualifikationen und Zertifikate". Nach einhelliger Rechtsprechung ist es unzulässig, wenn der Auftraggeber in der Auftragsbekanntmachung hinsichtlich der vorzulegenden Eignungsunterlagen lediglich auf die Vergabeunterlagen verweist (OLG Düsseldorf, Beschl. v. 23.06.2010 - Verg 18/10; OLG Karlsruhe, Beschl. v. 07.05.2014, 15 Verg 4/13). Eine konkrete Verlinkung auf ein elektronisch ohne Weiteres zugängliches Dokument ist dagegen ausreichend, wenn an dem Auftrag interessierte Unternehmen durch bloßes Anklicken zu dem verlinkten Formblatt gelangen können und auf einen Blick erkennen können, welche Anforderungen an sie gestellt werden (vgl. OLG Dresden, Beschl. v. 15.02.2019, Verg 5/18; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 11.07.2018, Verg 24/18; VK Sachsen, Beschl. v. 30.10.2018, 1/SVK/021-18; VK Nordbayern, Beschl. v. 11.05.2015, 21. VK-3194-10/15). Vorliegend wurden weder die im Formblatt 124 genannten Eignungsanforderungen in den Auftragsbekanntmachungen aufgeführt noch wurde das Formblatt verlinkt. Es wurde lediglich unter Ziffer 9 auf die elektronische Adresse "www.vergabe-suche.de" verwiesen. Es war vorliegend gerade nicht gewährleistet, dass der Bieter über den Link aus dem Bekanntmachungstext ohne weiteres das Formblatt mit den geforderten Eignungskriterien und Nachweisen öffnen konnte. Der Bieter konnte nicht auf einen Blick erkennen, ob er als potentiell geeigneter Wettbewerbsteilnehmer in Betracht kommt. Hierbei handelt es sich um einen Vergaberechtsverstoß.
Die AST ist jedoch deswegen in ihren subjektiven Rechten nach § 97 Abs. 6 GWB verletzt, weil die materielle Eignungsprüfung einer vergaberechtlichen Nachprüfung nicht standhält. Ob der AG den bei der Eignungsprüfung nur eingeschränkt überprüfbaren Beurteilungsspielraum beachtet hat, ist aus der der Vergabekammer vorliegenden Dokumentation des Vergabeverfahrens nicht ersichtlich. Es ist nicht nachvollziehbar, wie der AG zur Bejahung der Eignung der BEI gelangte. Die Vergabevermerke vom 18.12.2024, vom 20.01.2025 und vom 11.02.2025 lassen nicht erkennen, von welchen Erwägungen der AG bei der Eignungsprüfung ausgegangen ist und erlaubt auch keine Prüfung, ob und in welcher Weise er sein Ermessen bei der materiellen Eignungsprüfung ausgeübt hat. Somit fehlt es an einer hinreichenden Dokumentation der Eignungsprüfung des AG.
Das Formblatt 125 "Sicherheitsauskunft und Verpflichtungserklärung Teilnehmer" wurde, in Bezug auf die Interimsvergabe Januar 2025, nicht wirksam entsprechend § 122 Abs. 4 Satz 2 GWB aufgestellt. Vorliegend fehlt es bereits an der Nennung des Eignungskriteriums in der Auftragsbekanntmachung vom 02.12.2024. Muss der potenzielle Bewerber/Bieter erst die gesamten Vergabeunterlagen sichten, um sich die Eignungsanforderungen und die zu erbringenden Nachweise zu erschließen, wird dies weder dem Wortlaut noch dem Sinn und Zweck der § 122 Abs. 4 Satz 2 GWB und § 48 Abs. 1 VgV gerecht (OLG Düsseldorf, Beschl. v. 11.7.2018, Verg 24/18, Rn. 38). Aus Sicht eines potentiellen Bieters sollte laut Buchstabe C) der Angebotsaufforderung das Formblatt 125 genauso wie das Formblatt 124 "Eigenerklärung zur Eignung" mit dem Angebot ausgefüllt eingereicht werden. Demnach war es für einen potentiellen Bieter nicht erkennbar, dass das Formblatt 125 nach Auffassung des AG kein Eignungskriterium darstellen sollte. Diese Unklarheit geht zu Lasten des AG (vgl. Friton in: BeckOK Vergaberecht, Gabriel/Mertens/Stein/Wolf, 34. Edition, GWB, § 122 Rn. 58), wobei das obige Eignungskriterium aufgrund fehlender Nennung in der Auftragsbekanntmachung vom 02.12.2024 bereits nicht wirksam gefordert war.
bb.) Vorliegend verstößt der AG gegen den Transparenzgrundsatz, indem er in Bezug auf die Interimsvergabe Januar 2025 den Vergabeunterlagen das Formblatt 227 "Gewichtung der Zuschlagskriterien" und das Dokument "Erläuterung der Zuschlagskriterien" beigefügt hat. Gemäß § 127 Abs. 4 GWB müssen die Zuschlagskriterien so festgelegt und bestimmt sein, dass die Möglichkeit eines wirksamen Wettbewerbs gewährleistet wird, der Zuschlag nicht willkürlich erteilt werden kann und eine wirksame Überprüfung möglich ist, ob und inwieweit die Angebote die Zuschlagskriterien erfüllen. Demzufolge müssen sämtliche Zuschlagskriterien auch hinreichend klar und deutlich formuliert sein (Steck in: Ziekow/Völlink, 5. Auflage 2024, VgV, § 58 Rn. 35). Missverständlich formulierte oder sonst unklare oder widersprüchliche Kriterien dürfen bei der Wertung der Angebote nicht berücksichtigt werden (Steck in: Ziekow/Völlink, a.a.O.; BGH, Urt. v. 03.06.2004, X ZR 30/03). Vorliegend stehen das Dokument "Erläuterung der Zuschlagskriterien" und das Formblatt 227 "Gewichtung der Zuschlagskriterien" in Widerspruch zueinander, da das Kriterium "Energieeffizienz" sich nicht im Dokument "Erläuterung der Zuschlagskriterien" wiederfindet und insofern für einen fachkundigen Bieter unklar bleibt, inwiefern das Kriterium "Energieeffizienz" aus dem Formblatt 227 bei der Wertung der Angebote Berücksichtigung findet.
Die vom AG, anhand des Formblatts "Erläuterung der Zuschlagskriterien", angewandte Bewertungsmethode ist hingegen nicht als vergaberechtswidrig zu beanstanden. Nach verständiger Würdigung basiert die Bewertungsmethode des AG im vorliegenden Fall nicht auf der sogenannten "Medianmethode". Denn es wird als Maßstab der Bewertung kein Zentral- bzw. Mittelwert gebildet, der sich erst durch die Parameter der Mitangebote ergibt, an dem die einzelnen Angebote bewertet werden (siehe insoweit VK Bund, Beschl. v. 06.11.2023, VK 1-77/23). Der Bieter mit dem niedrigsten Preis und/oder der höchsten Stundenzahl bekommt vorliegend die höchsten Punkte. Hier hat der Bieter innerhalb dieses vom AG vorgegebenen Rahmens zu kalkulieren, wie er dieses Ergebnis für sich erreicht. Dies ist seine ureigene Aufgabe. Nach ständiger Rechtsprechung sind Bieter in ihrer Preiskalkulation grundsätzlich frei (siehe etwa VK Bund, Beschl. v. 22.08.2022, VK 1-73/22 sowie OLG Karlsruhe, Beschl. v. 18.08.2023, 15 Verg 4/23). Eine Beschränkung der Kalkulationsfreiheit der Bieter lässt sich nicht feststellen.
cc.) Die Leistungsbeschreibung des AG ist gemäß §§ 121 GWB, 31 VgV nicht zu beanstanden. Die Leistungsbeschreibung muss für alle Bieter in gleicher Weise zu verstehen sein, d.h. Vorgaben dürfen keinen Spielraum für unterschiedliche Auslegungen zulassen (VK Nordbayern, Beschl. v. 16.09.2020, RMF-SG21-3194-5-34). Es kommt nicht darauf an, wie der einzelne Bieter die Leistungsbeschreibung verstanden hat, sondern wie der durchschnittliche Bieter des angesprochenen Bieterkreises sie verstehen musste oder durfte (Lampert in: Burgi/Dreher/Opitz, Beck'scher Vergaberechtskommentar, Bd. 1, 4. Aufl. 2022, GWB, § 121 Rn. 72; BGH, Urt. v. 15.01.2013, X ZR 155/10, Rn. 9). Bei der Prüfung, welcher Erklärungsgehalt den Vergabeunterlagen im vorliegenden Fall in ihrer Gesamtheit aus der Sicht der Bieter zukam, ist zu berücksichtigen, dass diese Unterlagen ein vom AG vorformuliertes Leistungsverzeichnis im Excel-Format mit der Bezeichnung "LV Landratsamt SM-MGN" enthielten. Aus diesem Leistungsverzeichnis ging bzw. geht hervor, dass sowohl die allgemeinen Leistungen der Unterhaltsreinigung ("LV allgemein") als auch die Leistungen der Grundreinigung ("LV GrundRG"), jeweils anhand von Kalkulationsblättern (Preisblättern), zu bepreisen sind. Der AG hat also in der Leistungsbeschreibung im Sinne von § 121 Abs. 1 Satz 1 GWB bis ins Detail eindeutig und erschöpfend beschrieben, welche Reinigungsleistungen von den Bietern zu erbringen sind. Zwar trifft es, wie von der AST vorgetragen, zu, dass nach der Aufforderung zur Abgabe eines Angebots (Formblatt 631) der Leistungsgegenstand lediglich mit "Unterhaltsreinigung in verschiedenen Objekten des AG" bezeichnet war, jedoch wurde zugleich unter Buchstabe B) der Angebotsabgabeaufforderung auf "Teile der Leistungsbeschreibung: Beschreibung, Pläne, sonstigen Anlagen" verwiesen. Insofern konnte von einem fachkundigen Bieter, wie der AST, erwartet werden, dass sie sich auch mit dem Leistungsverzeichnis "LV Landratsamt SM-MGN" verständig auseinandersetzt. Aus dem Leistungsverzeichnis des AG geht nach verständiger Würdigung eindeutig hervor, dass auch die Grundreinigung (vgl. "LV GrundRG") Bestandteil der Leistungsbeschreibung ist.
dd.) Die Dokumentation der drei Interimsvergabeverfahren verstößt gegen das vergaberechtliche Transparenzgebot des § 97 Abs. 1 GWB. Die Anforderungen an die Dokumentation des Vergabeverfahrens gemäß § 8 VgV wurden nicht eingehalten. Dies betrifft wie dargelegt, die Wahl der Verfahrensart zusammen mit der Schätzung des Auftragswertes sowie die Eignungsprüfung.
Die Dokumentation im Vergabeverfahren und der Vergabevermerk dienen der Einhaltung des Transparenzgebotes des § 97 Abs. 1 GWB (Langenbach in: Burgi/Dreher/Opitz, Beck'scher Vergaberechtskommentar, Bd. 2, 3. Auflage 2019, VgV, § 8 Rn. 18; Fülling in: Müller-Wrede, VgV, 5. Auflage 2017, § 8 Rn. 5). Gemäß § 8 VgV sind die tatsächlichen und rechtlichen Grundlagen darzulegen und die das gesamte Vergabeverfahren tragenden Aspekte detailliert aufzuführen, damit ein mit der Sachlage des Vergabeverfahrens Vertrauter den Ablauf des Vergabeverfahrens ohne Schwierigkeit nachvollziehen kann (ebenda).
ee.) Der AG hat Antworten auf Bieterfragen, im Rahmen der Interimsvergabe Januar 2025, nicht allen anderen Bietern bekannt gemacht und somit gegen den Transparenz- und Gleichbehandlungsgrundsatz gemäß § 97 Abs. 1 und 2 GWB verstoßen.
Aus dem Transparenz- und Gleichbehandlungsgrundsatz resultiert grundsätzlich die Verpflichtung, Antworten auf Bieterfragen allen Bietern zur Verfügung zu stellen (VK Nordbayern, Beschl. v. 11.09.2024, RMF-SG21-3194-9-18; VK Sachsen, Beschl. v. 24.08.2016, 1/SVK/017-16; VK Bund, Beschl. v. 27.01.2017, VK 2-131/16; Völlink in: Ziekow/Völlink, 5. Auflage 2024, VgV, § 20 Rn. 14). Das Absehen von der Übermittlung der Antworten an die anderen Bieter stellt nach der Rechtsprechung die Ausnahme dar, die nur unter bestimmten Umständen angenommen werden kann: Das betrifft etwa generelle, auf allgemeinen Kenntnissen beruhende Auskünfte (OLG Saarbrücken, Beschl. v. 18.05.2016, 1 Verg 1/16). Mitteilungsbedürftig sind insbesondere Bieterfragen, die zu einer Änderung der Vergabeunterlagen führen oder solche Antworten, die Auswirkungen auf die Kalkulation der Angebote haben (vgl. VK Nordbayern, a.a.O.; VK Sachsen, a.a.O.).
In der Vergabeakte bzgl. der Interimsvergabe Januar 2025 sind zwei Bieterfragen der AST enthalten. Die beiden Fragen wurden vom AG zwar beantwortet, jedoch wurde keine der Antworten und auch keine der Fragen gegenüber allen anderen Bietern bekannt gemacht. Die Antworten des AG vom 05.12.2024 und vom 12.12.2024 enthielten zusätzliche Informationen die angebots- und kalkulationsrelevant und daher mitteilungsbedürftig waren. Insbesondere der Wegfall des Formblatts 125 hat zu einer inhaltlichen Änderung der Vergabeunterlagen geführt, daher hätte diese Bieterantwort gegenüber allen anderen Bietern durch den AG bekannt gemacht werden müssen. Die Vorhaltung von Personal, welches eine Sicherheitsüberprüfung durchlaufen hat, stellt eine kalkulationsrelevante Angabe dar, die allen Bietern hätte zur Verfügung gestellt werden müssen, vgl. § 20 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 VgV.
ff.) In Bezug auf die Interimsvergabe Februar 2025 ist eine lediglich drei Tage umfassende Ausführungsfrist zwischen dem Ablauf der Bindefrist am 31.01.2025 und dem Ausführungsbeginn am 03.02.2025 unangemessen kurz, da der AG nach dieser Ausgestaltung des Vergabeverfahrens den Zuschlag noch spätestens am 31.01.2025 erteilen konnte. Ebenso stellt sich die Ausführungsfrist bezüglich der Interimsvergabe März 2025 als nicht angemessen dar, da vom AG keinerlei Zeit zur Vorbereitung der Reinigungsdienstleistungen zwischen dem Ablauf der Bindefrist am 03.03.2025 und dem Ausführungsbeginn am 03.03.2025 vorgesehen war.
Bei der Festlegung des Auftragsbeginns handelt es sich grundsätzlich um eine Vertragsbestimmung und nicht um eine Vorschrift über das Vergabeverfahren, deren Verletzung im Nachprüfungsverfahren zur Überprüfung steht (vgl. OLG Düsseldorf, Beschl. v. 19.06.2013 - Verg 4/13; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 07.03.2012 - Verg 82/11). Das gilt dann aber nicht, wenn sich eine Vertragsbestimmung auf die Auftragschancen eines Bieters auswirkt. Eine nur drei Tage umfassende Ausführungsfrist zwingt den Bieter bei einem logistisch aufwändigen Auftrag, Vorbereitungshandlungen für eine spätere Auftragsausführung in die Angebotsphase vor zu verlagern (vgl. OLG Düsseldorf, a.a.O.).
Die Ausführungsfrist von drei Tagen sowie von null Tagen ist im vorliegenden Fall nicht ausreichend bemessen. Ein Bieter ist grundsätzlich nicht verpflichtet, die sachlichen Mittel für die angebotene Leistung bereits im Zeitpunkt der Zuschlagserteilung vorzuhalten (OLG Düsseldorf, Beschl. v. 19.06.2013, Verg 4/13). Ihm muss vielmehr eine angemessene Frist für die Vorbereitung und den Beginn der Ausführung der mit Zuschlagserteilung vereinbarten Leistungen gewährt werden (ebenda). Die in den Bekanntmachungen vom 06.01.2025 und vom 27.01.2025 vorgesehenen Fristen von drei Tagen sowie von null Tagen werden dem Leistungsprofil der Reinigungsdienstleistungen in einer Vielzahl von Objekten des AG nicht gerecht. Zu Recht weist die AST daraufhin, dass umfangreiche Vorbereitungsmaßnahmen zu treffen und genügend Personal bereitzustellen oder sogar einzustellen ist. Der AG durfte von einem Bieter nicht erwarten, dass dieser im Zeitpunkt der Zuschlagserteilung bereits Reinigungsmaterial beschafft hat und Personal eingestellt worden ist. Demnach wurde die AST durch die unangemessen kurzen Ausführungsfristen in ihren Rechten aus § 97 Abs. 1 und 2 GWB verletzt.
c.) Nach alledem wäre der AG im Nachprüfungsverfahren bei streitiger Entscheidung und summarischer Prüfung voraussichtlich unterlegen und es entspricht daher aus diesem Grund der Billigkeit, dem AG die Kosten des Verfahrens (Gebühren und Auslagen) und die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen der AST aufzuerlegen.
Die Hinzuziehung von anwaltlichen Verfahrensbevollmächtigten durch die AST war gemäß § 182 Abs. 4 Satz 4 GWB i.V.m. § 80 Abs. 1, 2 und 3 Satz 2 VwVfG analog für notwendig zu erklären. Die Entscheidung über die Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Rechtsanwalts als Verfahrensbevollmächtigtem im Nachprüfungsverfahren bedarf einer einzelfallgerechten Betrachtung, abstellend auf den Zeitpunkt der Hinzuziehung (BGH, Beschl. v. 26.09.2006, X ZB 14/06; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 21.12.2022, Verg 37/22). Die Notwendigkeit der Hinzuziehung hängt davon ab, ob der jeweilige Verfahrensbeteiligte nach den Umständen des Falles auch selbst in der Lage gewesen wäre, den Sachverhalt aufgrund der bekannten bzw. erkennbaren Tatsachen zu erfassen, der im Hinblick auf eine Missachtung von Bestimmungen über das Vergabeverfahren von Bedeutung ist, hieraus die für eine sinnvolle Rechtswahrung bzw. -verteidigung nötigen Schlüsse zu ziehen und das danach Gebotene gegenüber der Vergabekammer vorzubringen (BGH, a.a.O.). Vorliegend waren insbesondere Fragestellungen zur Schätzung des Auftragswertes, zu wirksam aufgestellten Eignungsanforderungen und zu den Zuschlagskriterien Gegenstand des Verfahrens. Hierbei handelt es sich um eine auch verfahrensrechtlich nicht einfach zu beurteilende Materie. Der AST als mittelständisches Unternehmen konnte daher nicht zugemutet werden, ihre rechtlichen Interessen im Nachprüfungsverfahren selbst wahrzunehmen.
Die BEI trägt ihre Aufwendungen selbst. Gemäß § 182 Abs. 4 Satz 2 GWB sind die Aufwendungen eines Beigeladenen nur erstattungsfähig, soweit sie die Vergabekammer aus Billigkeit der unterlegenen Partei auferlegt. Bei der Billigkeitsprüfung kommt es darauf an, inwieweit sich der Beigeladene aktiv in das Verfahren eingebracht und dieses durch substantiellen Vortrag gefördert hat. Dies kann der Fall sein, wenn der Beigeladene eigene Anträge stellt oder, wenn er dem Nachprüfungsantrag durch Schriftsätze aktiv und substantiell entgegentritt. In diesem Fall ist ein Kostenerstattungsanspruch im Erfolgsfall auch ohne eigenen Antrag gerechtfertigt (vgl. Krohn in: Burgi/Dreher/Opitz, Beck'scher Vergaberechtskommentar, Bd. 1, 4. Auflage 2022, GWB, § 182 Rn. 49). Die BEI hat keinen Antrag gestellt und sich auch sonst nicht aktiv durch Schriftsätze am Nachprüfungsverfahren beteiligt, so dass es gemäß § 182 Abs. 4 Satz 2 GWB nicht der Billigkeit entspricht, deren Aufwendungen dem AG aufzuerlegen.
Die Vergabekammer erhebt vom AG keine Verwaltungskosten, da dieser als Landkreis gemäß § 8 Abs. 1 Nr. 3 VwKostG i.V.m. § 182 Abs. 1 Satz 2 GWB von der Verpflichtung zur Zahlung von Verwaltungsgebühren persönlich befreit ist und zu erstattende Auslagen der Vergabekammer nicht angefallen sind.
Die AST hat bereits einen Kostenvorschuss in Höhe der Mindestgebühr von 2.500,00 Euro gezahlt. Da die AST im vorliegenden Nachprüfungsverfahren obsiegt hat und sie daher keine Verwaltungskosten zu tragen hat, ist ihr dieser Betrag nach Eintritt der Bestandskraft dieses Beschlusses zurückzuerstatten.
Die AST wird schon jetzt aufgefordert, eine SEPA-fähige Bankverbindung (Angabe von IBAN und BIC) mitzuteilen, auf welche die Überweisung des Betrages erfolgen soll.
Hinweis:
Ein gesondertes Kostenfestsetzungsverfahren findet nicht statt (§ 182 Abs. 4 Satz 5 GWB).
(...)
"Bietungsfaktor" ist vergaberechtswidrig!
"Bietungsfaktor" ist vergaberechtswidrig!
OLG Düsseldorf, Beschluss vom 16.04.2025 - Verg 35/24
Änderung einer Konzession ohne neues Vergabeverfahren?
Änderung einer Konzession ohne neues Vergabeverfahren?
EuGH, Urteil vom 29.04.2025 - Rs. C-452/23
Eignungsnachweis durch mehrere "Teilreferenzen"?
Eignungsnachweis durch mehrere "Teilreferenzen"?
BayObLG, Beschluss vom 09.04.2025 - Verg 1/25
Wer nicht die ausgeschriebene Bauweise anbietet, wird ausgeschlos...
Wer nicht die ausgeschriebene Bauweise anbietet, wird ausgeschlossen!
VK Saarland, Beschluss vom 18.11.2024 - 3 VK 03/2024
Kalkulationsvorgaben können von der HOAI abweichen!
Kalkulationsvorgaben können von der HOAI abweichen!
VK Nordbayern, Beschluss vom 03.02.2025 - RMF-SG21-3194-9-37
Restleistungen nach Kündigung sind (neu) auszuschreiben!
Restleistungen nach Kündigung sind (neu) auszuschreiben!
VK Nordbayern, Beschluss vom 20.02.2025 - RMF-SG21-3194-9-31
Antwort auf Bieterfrage ist allen Bietern mitzuteilen!
Antwort auf Bieterfrage ist allen Bietern mitzuteilen!
VK Sachsen, Beschluss vom 21.01.2025 - 1/SVK/022-24
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Wann ist ein Grundstücksverkauf mit Bauverpflichtung ein Bauauftrag?
VK Niedersachsen, Beschluss vom 30.09.2024 - VgK-22/2024
Wertungsentscheidung ist nicht delegierbar!
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VK Nordbayern, Beschluss vom 28.01.2025 - RMF-SG21-3194-9-39
Lärmschutzwände sind als Fachlos auszuschreiben!
Lärmschutzwände sind als Fachlos auszuschreiben!
VK Niedersachsen, Beschluss vom 29.11.2024 - VgK-29/2024