VK Nordbayern
Beschluss
vom 03.02.2025
RMF-SG21-3194-9-37
1. Wenn sich der öffentliche Auftraggeber eines aus dem Preis und qualitativen Aspekten zusammengesetzten Kriterienkatalogs bedient, bei dem die Angebote hinsichtlich der Qualitätskriterien mittels eines Benotungssystems bewertet werden und die Bewertungsmethode des Preises nur enge Kompensationsmöglichkeiten für qualitative Abzüge erwarten lässt, muss er seine für die Zuschlagserteilung maßgeblichen Erwägungen in allen Schritten so eingehend dokumentieren, dass nachvollziehbar ist, welche konkreten qualitativen Eigenschaften der Angebote mit welchem Gewicht in die Benotung eingegangen sind.
2. Sowohl im Hinblick auf eine Vergleichbarkeit der Angebote als auch eine Zumutbarkeit der Angebotskalkulation ist es vergaberechtlich nicht zu beanstanden, wenn der öffentliche Auftraggeber sich bestimmte HOAI-Honorarparameter (z. B. Honorarzone, getrennte Honorarberechnung wegen Vorliegens mehrerer Objekte oder zeitlicher Trennung der Ausführung) frei anbieten lässt. Das gilt auch dann, wenn damit eine Abweichung von den objektiven Honorarparametern der HOAI verbunden ist.
VK Nordbayern, Beschluss vom 03.02.2025 - RMF-SG21-3194-9-37
Die Vergabekammer Nordbayern bei der Regierung von Mittelfranken erlässt auf die mündliche Verhandlung vom 17.01.2025 durch den Vorsitzenden XXX den hauptamtlichen Beisitzer XXX und die ehrenamtliche Beisitzerin XXX folgenden
Beschluss:
1. Der Antrag wird abgelehnt.
2. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen der Vergabestelle und der Beigeladenen.
3. Es wird festgestellt, dass die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten für die Beigeladene notwendig war.
4. Die Gebühr für dieses Verfahren beträgt,- E. Auslagen sind nicht angefallen.
Sachverhalt:
1. Mit Bekanntmachung vom XXX schrieb die ASt die Objektplanung für Gebäude und Innenräume, Leistungsphasen 1-9 für das Vorhaben Generalsanierung und Erweiterung Gymnasium mit Dreifachturnhalle aus.
2. Mit den Vergabeunterlagen wurde ein Architektenvertrag übergeben.
Nach Ziffer 2.1 dieses Vertrages ist Grundlage des Vertrages die HOAI in der jeweils geltenden Fassung, sofern im Vertrag nichts anderes vereinbart ist. Nach Ziffer 6.1 des Vertrages richtet sich die Ermittlung der Vergütung nach der HOAI, soweit im Vertrag nichts anderes vereinbart ist (das entsprechende Kästchen war nicht angekreuzt).
3. In der Projektbeschreibung wird das Projekt u.A. wie folgt skizziert:
XXX beabsichtigt am Gymnasium im Rahmen einer zielplanerischen Umsetzung eine Generalsanierung, einen Umbau und eine Erweiterung des Gymnasiums sowie eine Generalsanierung, einen Umbau und eine Erweiterung der bestehenden Zweifachturnhalle auf eine Dreifachturnhalle.
Die VSt habe sich dazu entschieden, für den Standort durch Generalsanierungs-, Umbau- und Erweiterungsmaßnahmen eine optimale Lösung zu erreichen. Vorgaben, dass bestimmte Gebäudeteile erhalten werden müssen, bestünden nicht. Auch weitergehende Ersatzneubauten wären möglich, wenn sie sich wirtschaftlicher als eine Generalsanierung oder ein Umbau darstellen würden. Entscheidend sei die Wirtschaftlichkeit und Zukunftsfähigkeit des Gesamtkonzepts, welches im Rahmen der Planungen zu entwickeln sei.
Es werde erwartet, dass im Rahmen der Planungen ein vollumfängliches, wirtschaftliches, nachhaltiges, umweltschonendes und zukunftsfähiges, energetisches Gesamtkonzept erarbeitet wird, welches den Entwicklungen Rechnung trägt und langfristig die Unterhaltskosten erheblich reduziert. Besonders auf den sommerlichen Wärmeschutz müsse hierbei auch Wert gelegt werden.
Planungsaufgabe sei somit eine schrittweise Sanierung mit Umbau- und Erweiterungsmaßnahmen in mehreren Bauabschnitten im Rahmen eines vorab detailliert abzustimmenden zielführenden und wirtschaftlichen Bauabwicklungskonzepts unter Berücksichtigung des laufenden Betriebs und Vermeidung von kostenintensiven Interimsmaßnahmen durch interimistische Nutzung des Bestands.
Es sei von einer Projektlaufzeit von insgesamt ca. 11 Jahren auszugehen.
Für die Bauabwicklung seien mehrere Bauabschnitte und Bauphasen mit einer Gesamtbau zeit von ca. 7 Jahre zu berücksichtigen.
4. Mit den Vergabeunterlagen wurde eine Bewertungsmatrix übergeben, die eine Benotung mit 0 (schlechteste Note) - 5 (beste Note) Punkten vorsah.
Auf die Honorarwertung wurden 150 von 500 Punkten vergeben. Es ist vermerkt, dass mit Sternchen gekennzeichnete Kriterien in die Honorarbewertung mit einfließen. Die Bewertung erfolge über eine Musterhonorarrechnung anhand der anrechenbaren Kosten (abgeleitet aus aktuellen Kostenschätzungen).
5. Den Vergabeunterlagen war ein Honorarformular beigelegt.
Demnach waren Einträge zu folgenden Kriterien vorgesehen:
* Honorarzone
* Honorarsatz
* Ggf. Nachlass in % auf Gesamthonorar
* Leistungsphasen (1-9) und Bewertung
* Abrechnungsmodus für mehrere Objekte § 11 Abs. 1+2 HOA1 (Angabe, ob eine getrennte oder zusammengefasste Honorarermittlung für die Objekte Schule / Turnhalle angeboten wird)
* Umbauzuschlag in % gern. § 36 HOAI (Kalkulationsvorgabe: nur für den Umbauanteil, ermittelt im prozentualen Verhältnis der anrechenbaren Kosten)
* Angaben zur Ermittlung des Umfangs der mitzuverarbeitenden Bausubstanz § 4 Absatz 3 HOAI - Oder alternativ: Angabe, ob berücksichtigt im Umbauzuschlag
* Abrechnungsmodus bzgl. Bauabschnittsbildung 1 zeitlich getrennter Ausführung (Angabe, ob und wie eine Zusammenfassung oder Trennung der anrechenbare Kosten angeboten wird)
* Abrechnungsmodus für die Abbruchplanung (Angabe, ob und wie eine Trennung oder Zusammenfassung der anrechenbaren Kosten mit denen von Neubau/Umbau angeboten wird)
Mögliche besondere Leistungen:
* LPH 2 - Anfertigen von 5 Stk. Präsentationsmodellen/ 3D-Animationen
* LPH 2+3, 5-8 - Planung KGR 600 (lose Ausstattung, Neu+Bestand) - (Angabe, ob und wie eine Trennung oder Zusammenfassung der anrechenbaren Kosten mit den der KG 300/400 angeboten wird)
* LPH 2-8 - Aufstellung, Fortschreibung und Koordination eines detaillierten Bauabwicklungskonzepts inkl. Interimsmaßnahmen und Baustelleneinrichtungsplanung
* LPH 5 - Erstellung von mit allen Fachplanern koordinierten Wandansichten/Raumblätter für 10 noch zu definierende Muster- Räume (M1:25)
* LPH 7 - Mitwirken bei Prüfung von bauwirtschaftlich begründeten Nachtragsangeboten
* LPH 8 - Fotodokumentation
* LPH 9 - Überwachen der Mängelbeseitigung LPH 9
Zeithonorar:
* Auftragnehmer
* Dipl.-Ing.
* Sonstige Mitarbeiter
Weiter wurde vermerkt, dass mit dem Angebotsformular auch eine Musterhonorarberechnung einzureichen sei.
6. Als Frist für den Eingang der Teilnahmeanträge war der XXX festgesetzt.
Bei der Auswertung der Teilnahmeanträge erhielten 20 Bieter die volle Punktzahl. Nachdem zur zweiten Phase des Verfahrens 3-5 Bewerber eingeladen werden sollten, wurden die hierfür vorgesehenen Büros ausgelost. Eines der fünf letztlich gelosten Büros sagte eine Teilnahme ab. Damit nahmen am weiteren Verfahren vier Büros teil.
7. Mit Schreiben vom 19.07.2024 wurde bis zum 14.08.2024 zur Abgabe von Erstangeboten aufgefordert. Als Termin für ein Vorstellungs-/Neuverhandlungsgespräch mit Vertretern XXX wurde der XXX festgesetzt. Weiter wurde festgelegt, dass die Bewertung des Verhandlungsgesprächs gemäß den beigefügten Zuschlagskriterien erfolge, die im Verhandlungsgespräch mittels einer Präsentation darzulegen seien. Die Präsentation sei analog dem Zuschlagskriterienkatalog und den hierin enthaltenen (Unter-)Kriterien aufzubauen und sei bereits mit Angebotsabgabe digital einzureichen. Im Verhandlungsgespräch sei ausschließlich die eingereichte Version zur Präsentation zu verwenden. Weiter wurde festgelegt, dass neben der Präsentation mit den Erstangebotsunterlagen das Erstangebot mit ausgefülltem Honorarformblatt sowie die Musterhonorarberechnung einzureichen sei. Vertragsgrundlage würden die Vertragsmuster sowie die Allgemeinen und Zusätzlichen Vertragsbedingungen nach HAV-KOM bilden. Weiter wurde festgesetzt, dass eine stufenweise Beauftragung erfolge. Die Beauftragung mit weiteren Leistungsstufen stehe dem Auftraggeber frei. Ein Rechtsanspruch auf Übertragung weiterer Leistungen bestehe nicht.
Die vier verbliebenen Büros reichten fristgerecht Angebote ein.
8. Gemäß dem Vergabevermerk sei am 23.08.2024 das Erstangebot (Honorar) ausgewertet worden. Es seien Aufklärungsbedarfe festgestellt worden, die im Rahmen der Verhandlungsgespräche aufgeklärt worden seien.
XXX teilgenommen haben. Gemäß den Akten liegt für jedes Mitglied des Wertungsgremiums ein handschriftlich ausgefüllter Wertungsbogen vor.
Gemäß dem Vergabevermerk wurden den Bewerbern im Anschluss an das Vorstellungsund Verhandlungsgespräch vom 10.09.2024 mit Schreiben vom 11.09.2024 die Möglichkeit gegeben, die Angebotsunterlagen (Präsentation der Zuschlagskriterien und Honorarangebot) auf Grundlage der Erkenntnisse aus dem Verhandlungsverfahren zu finalisieren und bis zum 16.09.2024 einzureichen. Die Bewerber haben alle Unterlagen fristgerecht eingereicht.
Bei den finalen Präsentationsunterlagen sind keine Änderungen gegenüber den für das Verhandlungsgespräch eingereichten Unterlagen ersichtlich.
Auf den von ASt und BGI eingereichten finalen Honorarformularen ist jeweils vermerkt: "Angebot vom 16.09.2024".
Hinsichtlich der Leistungsphasen war in den Honorarangeboten nicht von allen Bietern eine Bewertung mit 100 % angegeben worden, insbesondere wurde teilweise bezüglich der Leistungsphase 1 ein reduzierter Wert angegeben.
Nach der Auswertung der VSt war die BGI Erstplatzierte. Die ASt lag mit ihren erreichten Wertungspunkten auf Rang vier. Dabei basiert die Auswertung der qualitativen Kriterien auf der Bewertung durch die Mitglieder des Bewertungsgremiums. Die Bewertung der Honorarangebote basiert auf einer Honorarberechnung der VSt mit den von der VSt veranschlagten anrechenbaren Kosten (als fix angesetzte Größe) sowie den von den Bietern in den Honorarangeboten jeweils angegebenen Honorarparametern. Dabei hat die VSt für die ASt im Vergleich zur BGI ein günstigeres Honorarangebot errechnet. Der Unterschied bzgl. der Bewertung der qualitativen Kriterien zwischen ASt und BGI geht somit noch über den Abstand der Gesamtwertung hinaus.
In einem Vermerk zu einer möglichen Angebotsaufklärung nach § 60 VgV im Hinblick auf die finalen Angebote wurde folgendes niedergelegt:
Es ergebe sich kein Aufklärungsbedarf des finalen Angebots des günstigsten Bieters. Denn grundsätzlich bemesse sich die in der Rechtsprechung entwickelte Aufgreifschwelle von 20 % nicht anhand der Kostenschätzung, sondern anhand des nächstplatzierten Bieters. Zwar ergebe sich insoweit ein Unterschied von 20,33 %. Allerdings bringe das günstigste Büro nur 97 % der Leistungsphasen zum Ansatz. Dies sei am 12.09.2024 damit erklärt worden, dass ein Teil der Aufgaben (hier LPH 1 und 7) beim Auftraggeber verbleibt. Zum Vergleich der Angebote sei das Honorar auf 100 % hochgerechnet worden. Damit ergebe sich ein Abstand unter 20 % zum nächstplatzierten Bieter, die Aufgreifschwelle sei damit nicht erreicht.
9. Mit Schreiben vom 16.10.2024 wurde die ASt gern. § 134 GWB darüber informiert, dass der Zuschlag an die BGI gehen soll.
10. Mit Schreiben vom 16.10.2024 rügte die ASt mehrere Vergaberechtsverstöße. Insbesondere wurde die vergaberechtsfehlerhafte Auswertung der Honorarkriterien gerügt, der Zuschlag sei auf nicht vergleichbare Angebote geplant.
Weiter wurde gerügt, dass eine Prüfung nach § 60 VgV nicht durchgeführt worden sei, obwohl das Angebot mit dem günstigsten fiktiven Honorar wohl mehr als 20 % über der Kostenschätzung liege.
Weiter wurde gerügt, dass die Bewertung der Qualitätskriterien willkürlich erfolgt sei und wohl nicht richtig dokumentiert worden sei.
Des Weiteren wurde in der Rüge thematisiert, dass ggf. bei einem Mitbewerber rechtswidrig ein Lösungsvorschlag berücksichtigt wurde, was einen Verstoß gegen § 76 Abs. 2 Satz 3 gV darstelle.
11. Mit Schreiben vom 16.10.2024 wurde die Rüge zurückgewiesen.
Eine Nichtvergleichbarkeit der Honorarangebote liege nicht vor. Die Honorarangebote richteten sich nach den anrechenbaren Kosten, in der Projektbeschreibung werde das Projektvolumen angegeben, woraus sich die anrechenbaren Kosten ableiten ließen. Die Objekt-Parameter seien bei jedem Bewerber vergleichbar angesetzt und bewertet worden. Alle sonstigen erwähnten Honorarparameter seien konkret anzubieten auf Grundlage der Ausschreibungsunterlagen.
Einen Verstoß gegen § 60 VgV habe die ASt nicht dargelegt.
Die Bewertung der Qualitätskriterien sei nicht willkürlich erfolgt. Das Angebot der ASt habe im Vergleich mit den anderen Büros, vor allem im Hinblick auf die geforderten Qualitätskriterien insbesondere im. Hinblick auf das Kriterium "Bewertung der konkreten Projektaufgabe", nicht überzeugen können.
Ein Verstoß gegen § 76 Abs. 2 Satz 3 VgV liege nicht vor, da keine Lösungsvorschläge berücksichtigt wurden. Gemäß den Bewertungskriterien seien Lösungsansätze verlangt worden.
12. Mit Schriftsatz vom 23.10.2024 erhob die ASt Nachprüfungsantrag und beantragte,
1. Im Vergabeverfahren - Generalsanierung, Erweiterung Gymnasium mit Dreifachturnhalle; Objektplanung für Gebäude und Innenräume gern. §§ 34 ff HOA1- LPH 1-9, bekannt gemacht im Supplement des EU Amtsblatt Nr.XXX vom XXX) wird ein
Nachprüfungsverfahren eingeleitet.
2. Der Antragsgegner wird verpflichtet, das Vergabeverfahren unter Beachtung der Rechtsauffassung der Vergabekammer in den Stand vor Erstangebotsaufforderung zurückzuversetzen.
3. Dem Antragsgegner werden die Kosten des Vergabenachprüfungsverfahren auferlegt.
4. Es wird festgestellt, dass der Antragsgegner der Antragstellerin die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Kosten zu erstatten hat und dass die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten notwendig war.
5. Der Antragstellerin wird Einsicht in die Vergabeakten gewährt.
6. Der Antragsgegner wird umgehend in Textform über den Nachprüfungsantrag informiert.
Zur Begründung wurde im Wesentlichen folgendes ausgeführt:
In tatsächlicher Hinsicht wurde insbesondere ausgeführt, die BGI habe in einem anderen Vergabeverfahren in einer Ergebnisübersicht nach Zuschlagserhalt einen Lösungsvorschlag öffentlich präsentiert, obwohl kein Lösungsvorschlag gefordert gewesen sei. Ergänzend wurde u.A. noch ausgeführt, dass die ASt in der Vergangenheit bereits mehrfach erfolgreich für die VSt tätig gewesen sei. Die VSt habe der ASt eine hohe qualitative Leistungsfähigkeit attestiert.
In rechtlicher Hinsicht wurde insbesondere folgendes vorgetragen: Die Auswertung der Honorarkriterien sei fehlerhaft erfolgt. Die Vergabestelle berechne für jeden Bieter ein fiktives HOAI-Gesamthonorar. Dies setze jedoch voraus, dass die fiktiven HOAI-Honorare zumindest in ihrem Größenverhältnis zueinander den wirklichen Honoraren entsprechen werden, da nur so die Vergleichbarkeit der Angebote erreicht werde. Die Berechnung des Architektenhonorars nach HOAI sei immer objektbezogen und bestimme sich nach sog. Honorarparametern.
Die meisten dieser Parameter stünden bei normalem Verlauf erst bei Abschluss der Leistungsphase 3 (Entwurfsplanung) fest. Daher werde bei einer Beauftragung ab Leistungsphase 1 gewöhnlich der Honorarsatz vereinbart, der durch einen Abschlag oder Aufschlag auf den Basishonorarsatz angeboten wird. Dann könne man einen Vergleich anstellen, obwohl in dieser Phase noch gar nicht feststehe, was gebaut wird oder wie hoch die übrigen Honorarparameter ausfallen könnten. Es sei zwar üblich, dass die Bieter Honorarübersichten abgeben, in denen anhand weiterer vorläufiger fiktiver Honorarparameter fiktive Honorare verglichen werden. Dies diene jedoch nur der Vermeidung von Missverständnissen. Mache man die in den Übersichten ausgerechneten fiktiven Honorare zum Gegenstand des Vergleichs, funktioniere dies nur, wenn man bestimmte Honorarparameter gleichsetzt. Dagegen habe die VSt nur die anrechenbaren Kosten bei allen Bietern gleichgesetzt, im Übrigen die fiktive Honorarberechnung aus den Honorarformblättern übernommen und die daran errechneten fiktiven Honorare verglichen. Die ASt wies insofern insbesondere auf die Honorarzone als Honorarparameter hin. Diese könne nicht vereinbart werden, sondern werde objektiv bestimmt; der mit den Vergabeunterlagen vorgelegte Planungsvertrag verweise in die HOAI, die gerade dies mit der objektiven Bestimmung der Honorarzone regelt. Da hier noch nicht fest stehe, was gebaut wird, wäre die Vorfestlegung einer Honorarzone die Überbürdung eines nicht vertretbaren kalkulatorischen Risikos auf den Architekten.
Die VSt habe gegen § 60 VgV verstoßen, weil trotz entsprechender Verpflichtung keine Angebotsaufklärung durchgeführt wurde.
Hier betrage die Differenz des vermeintlich niedrigsten Angebotspreises wohl mehr als 20 c1/0 zur Kostenschätzung und zum Angebot der ASt. Dies ergebe sich unter Berücksichtigung der für das Angebot der ASt vergebenen Punkte.
Die Bewertung der Qualitätskriterien sei vergaberechtswidrig erfolgt. Die Bewertung unterscheide sich auffällig stark von Bewertungen in anderen Vergabeverfahren - auch solchen der VSt - zu gleichlautenden Kriterien. Dies passe auch nicht zu den Äußerungen, die die VSt generell zur Arbeit der ASt tätige. Die Bewertungsmatrix mit ihrem Punktesystem setze die Bewertung der Angebote an einem objektiven Maßstab voraus. Die von der VSt im Rügezurückweisungsschreiben angesprochene relative Bewertung der Angebote untereinander sei nicht zuvor kommuniziert worden. Dies sei deswegen relevant, weil ein Vergleich der Angebote untereinander zu einer ungewollten oder jedenfalls nicht transparent mitgeteilten Höhergewichtung der Qualitätskriterien führe. Bei dem Kriterium 4 "Bewertung der konkreten Projektaufgabe und Vorstellung möglicher Lösungsansätze" habe die ASt eine Bewertung miterhalten. Dies lege nahe, dass hier bei einem Mitbewerber entgegen § 76 Abs. 2 Satz 3 VgV - rechtswidrig - ein Lösungsvorschlag berücksichtigt wurde. Ein typischer Lösungsvorschlag sei eine Skizze des geplanten Gebäudes, wenn dessen Umrisse noch gar nicht feststünden. Denn eine solche Skizze könne nur angefertigt werden, wenn bereits wesentliche Planungsleistungen, die hier eigentlich Teil des Auftrages seien, bereits erbracht worden seien.
13. Mit Schreiben vom 25.10.2024 erwiderte die VSt auf den Nachprüfungsantrag und beantragte,
das Nachprüfungsverfahren der ASt abzulehnen und die Kosten des Nachprüfungsverfahrens der ASt aufzuerlegen.
In der Sache wurde insbesondere folgendes ausgeführt:
Die Honorarangebote könnten miteinander verglichen werden.
Zur Preisprüfung nach § 60 VgV wurde angemerkt, dass in diese dann einzutreten sei, wenn das Angebot des bestplatzierten Bieters 20 % unterhalb des zweitplatzierten Bieters liege (vgl. VK Bund, B. v. 15.11.2021, VK 1 - 112/21). Die Preisberechnung der ASt würde nicht den Gegebenheiten entsprechen.
Eine willkürliche Bewertung der Zuschlagskriterien würde nicht vorliegen.
Zum Vorwurf des Verstoßes gegen § 76 Abs. 2 Satz 3 VgV wurde insbesondere vorgetragen, dass in den Verhandlungsgesprächen keine Lösungsvorschläge vorgetragen wurden und eine Berücksichtigung solcher somit nicht stattgefunden habe.
14. Mit Schriftsatz vom 04.11.2024 nahm die ASt erneut Stellung.
Insbesondere wurde noch folgendes ausgeführt:
Es treffe nicht zu, dass die Honorarparameter pauschal anzubieten waren. Zudem wäre das Verlangen nach einem pauschalen Anbieten von HOAI-Honorarzone, Umbauzuschlag, mitverarbeitender Bausubstanz usw. vergaberechtswidrig, da den Bietern damit ein unkalkulierbares Risiko auferlegt würde. Die Bieter würden ein im Wesentlichen pauschaliertes Angebot für eine Planung abgeben, deren Umfang völlig im Belieben der VSt stehen würde.
Die VSt habe wegen unterlassener Preisaufklärung gegen § 60 Abs. 1 VgV verstoßen. Das günstigste Angebot habe das Angebot der ASt um 20,57 % unterschritten. Die Auftragswertschätzung sei um 32,4 % unterschritten worden.
15. Mit Schriftsatz vom 07,11.2024 nahm die VSt erneut Stellung. Insbesondere wurde noch folgendes vorgetragen:
Zu der Rüge der vergaberechtswidrigen Auswertung der Honorarkriterien wurde vorgetragen, dass dies durch die ASt erst nach Mitteilung der Niederlage gerügt worden sei. Es sei der ASt im gesamten Verfahren möglich gewesen, Erst- und Finalangebote ohne Bedenken gegen die Honorarermittlung abzugeben. Das abschließende Honorar werde erst in der Leistungsphase 3 festgeschrieben, wenn die VSt sich für ein in den ersten LPH entwickeltes Projekt entscheiden werde.
16. Der ASt wurde am 08.11.2024 Akteneinsicht erteilt.
17. Mit Schreiben vom 27.11.2024 erfolgte die Beiladung.
18. Mit Schriftsatz vom 28.11.2024 nahm die ASt erneut Stellung.
Ergänzend wurde insbesondere folgendes vorgetragen:
Die VSt habe den Wettbewerb dadurch verzerrt, dass in der jeweiligen Honorarwertung einzelner Bieter verschiedene Projekte und Projektverläufe zugrunde gelegt wurden, obwohl der Projektverlauf noch nicht feststehe. Die VSt habe in der Honorarwertung des ASt vier Bauabschnitte angenommen. Sofern dies nicht bei allen anderen Honorarwertungen der Fall war, liege eine Wettbewerbsverzerrung vor. Die VSt habe in der Honorarwertung der ASt einen gewissen Umbauanteil angenommen und für jeden Bauabschnitt ein separates Honorar berechnet. Sofern dies nicht bei allen anderen Honorarwertungen der Fall war, liege eine Wettbewerbsverzerrung vor. Die VSt habe das Angebot der ASt mit der Honorarzone IV gewertet. Sofern dies nicht bei allen anderen Honorarwertungen der Fall war, liege eine Wettbewerbsverzerrung vor. Die VSt habe das Angebot der ASt mit einem gewissen Umbauzuschlag gewertet. Sofern dies nicht bei allen anderen Honorarwertungen der Fall gewesen sei, liege eine Wettbewerbsverzerrung vor. Die VSt hätte eine Auftragswertschätzung durchführen müssen, nachdem das günstigste Angebot das Angebot der ASt um 20,57 % unterschreite. Weiter wurde darauf hingewiesen, dass die Bewertung des Gremiumsmitglied in den Unterkriterien 3.8 und 4.3 nicht begründet worden sei. Weiter wurde darauf hingewiesen, dass durch das Gremiumsmitglied aus das Kriterium 1.1 nur zwei Punkte vergeben wurden, obwohl insoweit "gut dargestellt" vermerkt wurde.
Die VSt habe bei den anderen Bewerbern nicht geforderte Lösungsvorschläge berücksichtigt. Wenigstens das Wertungsmitglied habe nicht geforderte Lösungsansätze berücksichtigt. In der Begründung zur Bewertung 4.2 "Vorstellen und Aufzeigen möglicher planerisch-konzeptioneller Lösungsansätze für die Projektumsetzung" werde ausdrücklich ein Lösungsvorschlag herangezogen. Die erfolgte schlechte Bewertung der ASt sei nicht verwunderlich, da die ASt keinen echten Lösungsvorschlag abgeben wollte. Auch das Gremiumsmitglied habe nicht geforderte Lösungsvorschläge berücksichtigt. Die Bewertung der ASt bei dem Kriterium 4.2 wurde mit "unkreativ" begründet. Hieraus lasse sich schließen, dass hier in Wahrheit ein Lösungsvorschlag erwartet und bewertet wurde. Denn wenn die höhere Kreativität ausschlaggebend gewesen sei, habe es sich bei den Ausarbeitungen der übrigen Bewerber um Planungsarbeiten gehandelt. Auch das Wertungsmitglied habe nicht geforderte Lösungsvorschläge berücksichtigt, da hier auf Cluster abgestellt wurde, was vom Gremiumsmitglied als Lösungsvorschlag bezeichnet wurde. Insgesamt sei wohl nicht nur die Darstellung gewertet worden, sondern, ob die ausgeschriebene Planungsaufgabe zufriedenstellend gelöst wurde.
19. Mit Schriftsatz vom 04.12.2024 nahm die VSt erneut Stellung.
Insbesondere wurde noch ausgeführt, dass die Bauabschnittsbildung, die Honorarzone und der Umbauanteil etc. entsprechend der Angaben der ASt in der Honorarberechnung berücksichtigt wurden. Weiter wurde ausgeführt, dass Lösungsansätze gefordert waren, die bei anderen Bietern besser vorgetragen gewesen seien als bei der ASt.
20. Mit Schriftsatz vom 04.12.2024 nahm die BGI Stellung.
Insbesondere wurde folgendes ausgeführt:
Die Rüge der behaupteten vergaberechtswidrigen Auswertung der Honorarkriterien sowie der vergaberechtlichen Bewertung der Qualitätskriterien sei präkludiert.
Zur Rüge der unzutreffenden Honorarwertung wurde insbesondere folgendes ausgeführt: Die Honorare seien transparent abgefragt worden. Die HOAI stelle kein zwingendes Preisrecht mehr dar. Hinsichtlich der Bauabschnittsbildung wurde ausgeführt, dass im Formular offen abgefragt worden sei, ob die Bieter bauabschnittsweise abrechnen möchten. Zum Gesichtspunkt des Umbauanteils wurde ausgeführt, dass ein Umbauzuschlag abgefragt worden sei, wobei dieser nur für den Umbauanteil, ermittelt im prozentualen Verhältnis der anrechenbaren Kosten, gelten solle. Zur Honorarzone wurde ausgeführt, dass es zwar zutreffend ist, dass grundsätzlich die Honorarzone nach der HOAI zu ermitteln sei. Auch nach alter Rechtslage habe jedoch gegolten, dass eine unzutreffende Honorarvereinbarung nicht per se unwirksam ist, sondern nur dann, wenn die damaligen Mindest- oder Höchstsätze über- oder unterschritten wurden. Ebenso sei anerkannt gewesen, dass eine Festlegung der Honorarzonen durch die Parteien regelmäßig zu berücksichtigen seien. Nach der neuen Rechtslage sei es jedoch ohnehin so, dass die Honorarzone abweichend von der objektiven Honorarzone vereinbart werden könne. Zum Umbauzuschlag und zur mitverarbeitenden Bausubstanz wurde ausgeführt, dass der Umbauzuschlag individuell anzugeben sei. Da das Honorar frei vereinbart werden könne, sei es auch zulässig, den Mehraufwand durch eine mitzuverarbeitende Bausubstanz beispielsweise in einem höheren Umbauzuschlag zu berücksichtigen.
21. Der BGI wurde am 09.12.2024 Akteneinsicht erteilt.
22. Mit Schriftsatz vom 12.12.2024 nahm die ASt erneut Stellung.
Insbesondere wurde folgendes ausgeführt:
Insbesondere wurde vorgetragen, dass die Rügen der vergaberechtswidrigen Bewertung der Honorarkriterien und der willkürlichen Bewertung der Qualitätskriterien nicht präkludiert seien, da die Vergabeverstöße frühestens mit Versendung des Schreibens nach § 134 GWB bekannt gewesen seien.
In der Sache wurde insbesondere ausgeführt, dass die konkret durchgeführte Bewertung der Honorarkriterien vergaberechtsfehlerhaft sei. Die VSt habe nach einem eigenen, zuvor nicht kommunizierten System willkürlich Aussagen der Bieter in verschiedene fiktive Projekte und Projektabläufe umgedeutet. Der VSt seien zudem Berechnungsfehler wie die rechnerisch nicht mögliche Umrechnung von Umbauzuschlag in mitzuverarbeitende Bausubstanz unterlaufen. Wenn sich die VSt der HOAI bediene, um fiktive Honorare zu berechnen, die sie dann in die Bewertungsformel einsetzt, müsse sie bei der Berechnung der HOAI-Honorare alle Bieter gleichbehandeln. Der Einwand der BGI, wonach es freistand, Bauabschnitte im Honorarblatt anzugeben, laufe ins Leere. Die ASt habe in ihrem Honorarblatt auch keine Bauabschnitte angegeben, dennoch sei ihr Angebot so bewertet worden. Auch soweit im Honorarblatt ein Umbauanteil angegeben werden könne, spiele dies keine Rolle, da dieser frühestens nach Leistungsphase 3 feststehe. Es komme nicht auf den Einwand der BGI an, dass es zivilrechtlich möglich sei, die Honorarzone frei zu vereinbaren. Im Vergaberecht sei dies nur teilweise richtig, da die VSt keine unzumutbaren Risiken auf die Bieter übertragen dürften. Zum anderen sei der angebotsgegenständliche Vertrag nicht so zu verstehen, dass eine Honorarzone endgültig vereinbart wird. Das Berechnungssystem der VSt müsse angepasst werden. Die Berechnung von verschiedenen fiktiven Projekten und Projektabläufen sei zu abstrahieren. Anschließend sei das Berechnungssystem transparent zu kommunizieren. Die Begründung zum Absehen von der Aufklärung nach § 60 Abs. 1 VgV der Vergabestelle sei nicht tragend. Die VSt habe dazu vermerkt, dass ein Bewerber einen Teil der ausgeschriebenen Leistungen nicht mit angeboten habe, sein Angebot daher anders berechnet werde und daher die Aufgreifschwelle nicht erreicht sei. Wäre es tatsächlich so, dass der Bieter nicht alle Leistungen mit angeboten hätte, so wäre das Angebot des betreffenden Bieters gern. § 57 Abs. 1 Nr. 4 VgV auszuschließen gewesen.
23. Mit Schriftsatz vom 20.12,2024 nahm die BGI erneut Stellung.
Die Behauptung, die Honorarangebote seien auf fiktive Projekte und Projektabläufe nachgerechnet worden, könne nicht nachvollzogen werden. Denn es sollte auf ein zumindest in den Grundzügen bekanntes Projekt ein vorgegebenes Honorarformular mit den maßgeblichen HOAI-Parametern abgegeben werden. Dieses bilde die Grundlage der Honorarberechnung, welche tatsächlich nach der Entwurfsplanung und der Kostenberechnung erfolgen werde. Bei Zuschlagserteilung komme der Vertrag mit den angegebenen Parametern zustande, mit Ausnahme der systemimmanent zu diesem Zeitpunkt noch unbekannten tatsächlichen anrechenbaren Kosten. Diese Herangehensweise stelle für den jeweiligen Bieter auch kein unzumutbares Risiko dar. Es handele sich vielmehr um das typische System der HOAI, nach deren Konzeption sich das Honorar nach der Kostenberechnung richtet, Damit sei regelmäßig im Zeitpunkt der Auftragserteilung das tatsächliche Honorar in Euro nicht bekannt, aber die zur Berechnung notwendigen Variablen würden mit dem Vertragsschluss festgelegt. Darüber hinaus sei das Projekt in seinen Grundzügen bekannt. Zwar sage eine fiktive Honorarberechnung nicht direkt etwas über das später tatsächlich zu zahlende Honorar aus. Dies sei aber systemtypisch und anhand einer Musterberechnung könne festgemacht werden, wie weit die Angebote auseinanderliegen und alle Angebote würden sich dann entsprechend parallel verändern, Die BGI habe die Fragen zu Ziffer 4.2 "Vorstellen und Aufzeigen möglicher planerisch-konzeptioneller Lösungsansätze für die Projektumsetzung" und in Ziffer 4.3 Vorstellung eines möglichen Bauabwicklungskonzepts für die angedachten Konzepte beantwortet, aber keine Lösungsvorschläge i.S.d. § 76 Abs. 2 VgV eingereicht. Die BGI habe keine komplexen oder umfangreichen Tätigkeiten dargestellt. Dies wäre im vorliegenden Stadium auch gar nicht möglich gewesen, weil zahlreiche Rahmenbedingungen nicht bekannt sind.
24. Mit Schriftsatz vom 10.01.2025 nahm die ASt erneut Stellung.
Insbesondere wurde ausgeführt, dass es aufgrund der anstehenden Beauftragung inkl. Grundlagenermittlung ohne vorab vertraglich festgelegte Planungs- und Überwachungsziele nicht möglich sei, die Angebote mit der Honorarbewertungsmethode der VSt zu vergleichen.
25. Mit Schriftsatz vom 20.01.2025 nahm die BGI erneut Stellung.
Insbesondere wurde ausgeführt, dass es dem System der Architektenvergütung immanent sei, dass im Auftragszeitpunkt das Projekt allenfalls in Grundzügen bekannt ist. Dies bedeutet, dass regelmäßig in einem frühen Stadium eine Vergütungsvereinbarung getroffen werden muss. Ein Projekt könne sehr gut ausreichend zur Honorarabgabe bekannt sein, aber nicht ausreichend für konkrete Lösungsvorschläge. Die Honorarzone sei seit Entfallen der zwingenden Mindestpreisvorschriften der HOAI ein Parameter, der einer Honorarvereinbarung zugänglich ist. Dies könne auch vor der Planung erfolgen. Die Auftragswertschätzung sei allenfalls ein Indiz, wie die VSt das Projekt sehe, aber weder honorarrechtlich noch vergaberechtlich für die Honorarangebote bindend. Alle Bieter würden die gleiche Leistung anbieten, Planungsleistungen für die ausgeschriebene Leistung der Generalsanierung, des Umbaus und der Erweiterung des Gymnasiums. Die gesamte Argumentation der ASt betreffend die Honorarbewertung sei bis zur Angebotsabgabe nicht gerügt worden und damit präkludiert.
26. In der mündlichen Verhandlung vom 17.01.2025 hatten die Beteiligten Gelegenheit, sich zur Sache zu äußern.
27. Im Übrigen wird hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes auf die Verfahrensakte der Vergabekammer, das Protokoll der mündlichen Verhandlung und die Vergabeakten, soweit sie der Vergabekammer vorgelegt wurden, Bezug genommen.
Begründung:
Der Nachprüfungsantrag ist, soweit er zulässig ist, begründet.
1. Der Nachprüfungsantrag ist überwiegend zulässig.
a) Die Vergabekammer Nordbayern ist für das Nachprüfungsverfahren nach § 1 Abs. 2 und § 2 Abs. 2 S. 2 BayNpV sachlich und örtlich zuständig.
b) Die VSt ist öffentlicher Auftraggeber nach § 99 Nr. 1 GWB.
c) Bei den ausgeschriebenen Planungsleistungen handelt es sich um einen öffentlichen Auftrag im Sinne von § 103 Abs. 2 GWB.
d) Der Auftragswert übersteigt den Schwellenwert nach Art. 4 der Richtlinie 2014/24/EU (§ 106 Abs. 2 Nr. 1 GWB).
e) Die ASt ist antragsbefugt, § 160 Abs. 2 GWB.
f) Die ASt ist mir ihrer Rüge betreffend die Kriterien der Honorarbewertung nicht präkludiert. Es ist nicht von einer Erkennbarkeit möglicher Vergaberechtsverstöße aufgrund der Vergabeunterlagen gern. § 160 Abs. 3 Satz 1- Nr. 3 GWB auszugehen.
Die Frage nach möglichen vergaberechtlichen Vorgaben oder Grenzen bei der Honorarbewertung bei Planungsaufträgen ab der Leistungsphase 1 generell und im Hinblick auf die vorliegende Gestaltung ist komplexer Natur und in der Rechtsprechung noch nicht geklärt. Die Rechtsprechung geht bei komplexen, ungeklärten vergaberechtlichen Fragen nicht von der Erkennbarkeit eines Vergabeverstoßes aus (vgl. OLG Düsseldorf, B. v. 22.01.2014, VIII - Verg 26/13; vgl. VK Südbayern, B. v. 02.04.2019, Z 3 - 3 - 3194 -1 - 43 -11 / 18; B. v. 28.10.2021, Z 3 - 3 - 01 -21 -27).
g) Der Zuschlag wurde noch nicht erteilt, § 168 Abs. 2 Satz 1 GWB.
2. Der Nachprüfungsantrag ist nicht begründet.
a) Nach Auffassung der Vergabekammer erfolgte die Wertung der Qualitätskriterien vergaberechtskonform.
aa) Bei der Prüfung und Bewertung der Angebote ist dem Auftraggeber ein Beurteilungsspielraum eingeräumt. Die Nachprüfungsinstanzen können diese Entscheidung nur daraufhin kontrollieren, ob das vorgeschriebene Verfahren eingehalten, von einem zutreffenden und vollständig ermittelten Sachverhalt ausgegangen wurde, keine sachwidrigen Erwägungen in die Entscheidung eingeflossen sind und allgemeingültige Bewertungsmaßstäbe beachtet wurden. Allerdings ist der Auftraggeber verpflichtet, die Gründe für die Auswahlentscheidung und den Zuschlag zu dokumentieren, § 8 Abs. 1 Satz 2 VgV. Insbesondere dann, wenn sich der Auftraggeber eines aus Preis und qualitativen Aspekten zusammengesetzten Kriterienkatalogs bedient, bei dem die Angebote hinsichtlich der Qualitätskriterien mittels eines Benotungssystems bewertet werden und die Bewertungsmethode des Preises nur enge Kompensationsmöglichkeiten für qualitative Abzüge erwarten lässt, muss der Auftraggeber seine für die Zuschlagserteilung maßgeblichen Erwägungen in allen Schritten so eingehend dokumentieren, dass nachvollziehbar ist, welche konkreten qualitativen Eigenschaften der Angebote mit welchem Gewicht in die Benotung eingegangen sind. Auch wenn dem Auftraggeber bei der Bewertung und Benotung ein Beurteilungsspielraum zustehen muss, sind seine diesbezüglichen Bewertungsentscheidungen insbesondere auch daraufhin überprüfbar, ob die jeweiligen Noten im Vergleich ohne Benachteiligung des einen oder anderen Bieters plausibel vergeben wurden (OLG München, B. v. 26.02.2021, Verg 14/20).
Damit geht es letztlich darum, ob hinsichtlich der Bewertung und ihrer Dokumentation eine Nachprüfung möglich ist. Dabei kann sich eine Nachprüfung bzw. Nachvollziehbarkeit der Bewertung auch aus dem Bewertungsgegenstand (den Präsentationen) sowie den Bewertungskriterien und den Bewertungsmaßstäben ergeben (vgl. OLG München a.a.O.). Denn auch aus einer Gesamtschau kann sich erschließen, was für die Bewertung maßgeblich war und kann sich erschließen, dass keine Benachteiligungen erfolgten. Diesen Grundsätzen steht die von der ASt zitierte Entscheidung der VK Niedersachsen (B. v. 14.05.2024, VgK 6/2024) nicht entgegen. Nach der VK Niedersachsen ist eine stichwortartige Begründung der Punktevergabe, die bezüglich der Unterkriterien, in denen Punktabzüge vorgenommen werden und in denen sich die Bieterkonzepte qualitativ wesentlich unterscheiden, erforderlich. Weiter könne eine vergleichende Gegenüberstellung der jeweiligen Stärken und Schwächen der Bieterkonzepte erforderlich sein. Nach Auffassung der Vergabekammer Nordbayern steht diese Entscheidung nicht in Widerspruch zur zitierten Entscheidung des OLG München. Denn die VK Niedersachsen nimmt zur Herleitung der Entscheidungsgrundsätze ausdrücklich auf die zitierte Entscheidung des OLG München Bezug. Zudem kann sich der von der VK Niedersachsen angesprochene Begründungsaspekt auch aus dem nach dem OLG München hervorgehobenen Aspekt der Gesamtschau ergeben: Nach Auffassung der Vergabekammer Nordbayern kann sich die Gegenüberstellung der jeweiligen Stärken und Schwächen der Bieterkonzepte, mithin die Nachvollziehbarkeit von Unterschieden in der Bewertung auch noch aus einer Gesamtschau ergeben, insbesondere aus einem Vergleich der jeweiligen Konzepte und der jeweiligen Bewertungen und Benotungen. Von einem solchen Fall wird hier ausgegangen (s. dazu sogleich).
Das Erfordernis einer vergaberechtskonformen Dokumentation bedeutet auch, dass festgelegt werden muss, was den Bewertungsgegenstand darstellt (mündliche und/oder schriftliche Präsentation) und dass die Bewertung insoweit konsistent ist (vgl. VK Bund, B. v. 22.11.2019, VK 1-83/19).
bb) Nach diesen Grundsätzen ist die Bewertung der qualitativen Kriterien noch nachvollziehbar und noch ausreichend dokumentiert und es ist nicht von sachwidrigen Erwägungen bei der Bewertung auszugehen.
Gern. dem Schreiben der VSt vom 19.07.2024 und den ergänzenden Ausführungen der VSt hierzu in der mündlichen Verhandlung ist davon auszugehen, dass nur die mündliche Präsentation bewertet wurde. Denn insofern ist ausgeführt, dass das Verhandlungsgespräch bewertet wird, gemäß den Zuschlagskriterien, und dass diese im Verhandlungsgespräch mit einer Präsentation darzulegen sind. Weiter ist ausgeführt, dass die Präsentation analog dem Zuschlagskriterienkatalog aufzubauen ist und bereits mit Angebotsabgabe einzureichen ist. Dies ist stimmig mit dem Vortrag der VSt in der mündlichen Verhandlung, dass die (schriftlichen) Präsentationen beim Vortrag lediglich eingeblendet wurden. Dazu ist auch stimmig, dass von den Mitgliedern des Wertungsgremiums handschriftliche Notizen zu den einzelnen Bewertungskriterien vorliegen. Damit ist plausibel, dass die nochmalige Aufforderung zur Abgabe von Präsentationen mit Schreiben der VSt vom 16.09.2024 unerheblich ist bzw. auf einem Versehen beruht. In letztere Richtung hat sich auch die VSt in der mündlichen Verhandlung geäußert; soweit ersichtlich enthielten die noch eingereichten Präsentationen keine Änderungen gegenüber den Vorversionen.
Der Gegenstand der Bewertung ist vorliegend nach Auffassung der Vergabekammer noch ausreichend dokumentiert. Die vier Qualitätskriterien gliedern sich vorliegend in 15 Unterkriterien auf. Die Kriterien weisen damit einen hohen Detaillierungsgrad auf. Gleichzeitig wird damit auch näher beschrieben, was in den Präsentationen inhaltlich erwartet wird, somit der Pflichtinhalt der Präsentationen näher beschrieben. Beispielsweise wird näher beschrieben, welche Angaben hinsichtlich der Projektorganisation erwartet werden (Ziffer 1.1) und welche Aspekte im Hinblick auf die Darstellung der Arbeitsweisen verlangt werden, etwa Methoden zur Sicherstellung einer nachhaltigen Planung. Bei praktisch allen Unterkriterien haben die Mitglieder des Bewertungsgremiums für die jeweiligen Präsentationen Eintragungen vorgenommen. Durch die damit erfolgte Bezugnahme der Wertung auf die Unterkriterien und die Widergaben in den Bewertungen wird der Vortrag damit ebenfalls inhaltlich beschrieben. Beispielsweise wird im Bewertungsbogen des Gremiumsmitglieds auf die Größe des Büros und die Anzahl der Bauabschnitte eingegangen.
Ergänzend kommen die vorliegenden schriftlichen Präsentationen hinzu. Diese wurden zwar nicht bewertet, aber ausweislich des Einladungsschreibens vom 19.07.2024 zur Illustration des mündlichen Vortrags verwendet, was nach Auffassung der Vergabekammer keinen vergaberechtlichen Bedenken begegnet. Durch die Verwendung der schriftlichen Präsentationen zur Illustration der Präsentation ist jedoch mit diesen nach Auffassung der Vergabekammer auch der Inhalt des mündlichen Vortrags näher dokumentiert. So bauen die Präsentationsunterlagen auf den Bewertungskriterien auf. Die Bewertung der Vorträge baut wiederum auf den Bewertungskriterien auf. Die mündlichen Vorträge orientieren sich somit an den Präsentationsunterlagen. Dies wird auch dadurch gestützt, dass die inhaltlichen Widergaben in den Bewertungen des mündlichen Vortrags sich in den Präsentationsunterlagen wiederfinden. Dies betrifft beispielsweise Ausführungen zur Größe des Büros, zu den Erfahrungen des Projektteams und zu den Referenzen. Damit ist davon auszugehen, dass der mündliche Vortrag in der Struktur den Bewertungskriterien und den Präsentationsunterlagen entspricht, und auch inhaltlich im Wesentlichen den Präsentationsunterlagen entspricht.
Die Bewertung selbst ist nach Auffassung der Vergabekammer noch nachvollziehbar und noch ausreichend dokumentiert.
Für die Vergabekammer ist in einer Gesamtschau die jeweilige Bewertung der ASt und der BGI in der Tendenz und auch im Ausmaß der Benotung nachvollziehbar, insbesondere auch im Vergleich der Bewertungsgegenstände und der Bewertungen zueinander; für die Kammer erlaubt die Bewertung und die Dokumentation auch den Schluss, dass keine sachfremden Erwägungen in die Bewertung eingeflossen sind und dass die ASt bei der Bewertung nicht benachteiligt wurde. Dies ergibt sich aus einer Gesamtschau der Bewertungskriterien, der definierten Bewertungsmaßstäbe und den Bewertungen der Gremiumsmitglieder, ergänzend der Präsentationsunterlagen. Für die Vergabekammer ist nach Prüfung und dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung auch in fachlicher Hinsicht nachvollziehbar, dass die BGI in der Tendenz und in diesem Ausmaß qualitativ besser bewertet wurde als die ASt. Bei der Prüfung der Vergabekammer geht es aufgrund des Bewertungsspielraums der VSt nicht darum, ob der Standpunkt der VSt geteilt wird, sondern ob dieser nachvollziehbar ist. Es geht also nicht um die Frage, ob etwa ein anderer Standpunkt als der der VSt zu Nachhaltigkeitsaspekten, zum baulichen Lösungsansatz oder zur Anzahl der Bauabschnitte angenommen werden kann, sondern ob der bei der Bewertung durch die VSt vorgenommene Standpunkt innerhalb des Rahmens der Bewertungskriterien und Bewertungsmaßstäbe plausibel ist.
Insbesondere kann die Vergabekammer die in Tendenz und Ausmaß etwas bessere Bewertung der VSt im Punkt Projektorganisation nachvollziehen. So ist es in der Gesamtschau, im Vergleich der Präsentationsunterlagen und der Bewertungen nachvollziehbar, dass hinsichtlich der Bewertung etwa auf die Größe der Büros und die Einbindung der Geschäftsführung abgestellt wird. Auch die von der ASt angegriffene Bewertung der Projektorganisation (1.1) mit einer geringeren Punktzahl trotz Betonung positiver Aspekte durch das Mitglied des Bewertungsgremiums ist nach Auffassung der Vergabekammer nachvollziehbar. Denn im Vergleich dazu werden etwa bei der Bewertung des Konzepts der BGI. noch weitere Aspekte positiv gewertet.
Auch die Besserbewertung der BGI im Kriterium 2 (Persönliche Vorstellung und Projekterfahrung der vorgesehenen Projektleiter im Hinblick auf die Projektaufgabe) kann in der Gesamtschau noch nachvollzogen werden. So kann die leicht bessere Bewertung im Unterkriterium 1 (Vorstellung Projektleiter für die Planung) nachvollzogen werden anhand der Bewertungen in Gesamtschau mit den Präsentationsunterlagen. In den Fällen, in denen die BGI besser bewertet wurde, erschließt sich dies aus der Art und Anzahl der Bewertungsbemerkungen, insbesondere auch in Betrachtung von Anzahl und Umfang der jeweils dargestellten Referenzen in den Präsentationsunterlagen. Auch die bessere Bewertung im Unterkriterium 2 (Vorstellung Projektleitung für Objektüberwachung) kann nachvollzogen werden. Auch dies erschließt sich in den Fällen, in denen die BGI besser bewertet wurde, aus der Art und Anzahl der Bewertungsbemerkungen, bei Betrachtung von Anzahl und Umfang der in den Präsentationsunterlagen dargestellten Referenzen und aus den in den Bewertungsbemerkungen widergegebenen Vortragsinhalten.
Auch die (aufgrund der Benotung und der Gewichtung) nur geringfügige Besserbewertung der BGI im Kriterium 3 (Darstellung der Arbeitsweisen und Methoden in Bezug auf die Projektaufgabe) kann nachvollzogen werden.
Die Besserbewertung des Unterkriteriums 1 bei der BGI (Methoden zur Sicherstellung einer wirtschaftlichen Planung) kann anhand von Art und Anzahl der Bewertungsbemerkungen und den Darstellungen in den Präsentationsunterlagen, insbesondere hinsichtlich des Umfangs der Darstellungen und den dargestellten Methoden, nachvollzogen werden.
Die Besserwertung des Unterkriteriums 2 bei der BGI (Methoden zur Sicherstellung einer nachhaltigen Planung) kann angesichts der Bewertungsbemerkungen und insbesondere deren Bezugnahme auf die Präsentation, insbesondere hinsichtlich der Themen Begrünung, Belüftung, Baustoffe und Belüftung nachvollzogen werden.
Die Besserbewertung des Unterkriteriums 3 bei der BGI (Planung und Baustellenorganisation) ist angesichts von Art und Umfang der Bewertungsbemerkungen in Gesamtschau mit den Präsentationsunterlagen und insbesondere dem Umfang der Darstellungen nachvollziehbar.
Die Bewertung des Unterkriteriums 4 (Darstellung der Erfahrungen in förderrechtlichen Belangen) ist nachvollziehbar. Die Bewertung war hier gleich.
Die Besserbewertung des Unterkriteriums 5 bei der BGI (Darstellung der Kostenplanung) ist im Hinblick auf Art und Anzahl der Bewertungsbemerkungen und der Darstellungen in den Präsentationsunterlagen, insbesondere im Hinblick auf die verwendeten Methoden und den Informationsaustausch, nachvollziehbar.
Die Besserbewertung des Unterkriteriums 6 bei der BGI (Methoden zur Termineinhaltung) ist angesichts von Art und Anzahl der Bewertungsbemerkungen und den Darstellungen in den Präsentationsunterlagen, insbesondere den Szenerien zur Lösungsfindung, nachvollziehbar, Die Tatsache, dass das Mitglied der Bewertungskommission» bei der ASt keine Bemerkungen zur Begründung vorgenommen hat, führt nach Auffassung der Vergabekammer nicht zu einer Verletzung der Rechte der ASt. Denn die geringfügige Besserbewertung des Konzepts der BGI erschließt sich hier aus einer Gesamtschau zwischen der Bewertung der BGI und dem Vergleich der Präsentationsunterlagen.
Der merkliche Bewertungsunterschied beim Kriterium 4 (Bewertung der konkreten Projektaufgabe und Vorstellung möglicher Lösungsansätze) ist in der Gesamtschau der Bewertungsbemerkungen und der Präsentationsunterlagen auch im relativen Vergleich nachvollziehbar.
Die Besserbewertung des Unterkriteriums 1 (Bewertung der Projektaufgabe) ist in der Gesamtschau der Bewertungsbemerkungen und der Präsentationsunterlagen, insbesondere im Hinblick auf die in den Bewertungsbemerkungen in Bezug genommene Bestandsaufnahme, nachvollziehbar.
Die Besserbewertung des Unterkriteriums 2 (Lösungsansätze) für die BGI ist, im Vergleich zueinander, in einer Gesamtschau der Bewertungsbemerkungen und der Präsentationsunterlagen nachvollziehbar. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf die Aspekte der Gestaltung der Räume und den Aspekt des Umgangs mit dem Bestandsbau. Dies gilt auch im Hinblick auf die in den Präsentationsunterlagen dargestellten und im Vortrag ausweislich der Bewertungsbemerkungen teilweise akzentuierten Darstellungen der Lösungsansätze und deren Anzahl.
Die Besserbewertung des Unterkriteriums 3 (Bauabwicklungskonzept) ist in der Gesamtschau der Bewertungsbemerkungen und der Präsentationsunterlagen noch nachvollziehbar. Der Ansatz der VSt, eine geringere Anzahl an Bauabschnitten als positiv einzustufen, ist für die Vergabekammer nachvollziehbar; hier geht es nicht um die Frage, ob ein anderer Standpunkt ebenso möglich gewesen wäre, sondern ob die Betrachtung der VSt nachvollziehbar war. Die Nachvollziehbarkeit ist in einer Gesamtschau nicht dadurch tangiert, dass das Mitglied der Bewertungskommission hier für die ASt keine Eintragungen vorgenommen hat.
Die Bewertung des Unterkriteriums 4 (Bewertung Grobkostenschätzung) ist in der Gesamtschau der Bewertungsbemerkungen und der Präsentationsunterlagen nachvollziehbar.
cc) Die Vergabekammer erkennt keine Vergaberechtswidrigkeit im Hinblick auf die Rüge, die VSt habe bei der Konzeptbewertung unzulässigerweise einen relativen Vergleichsmaßstab angewendet.
Die Vergabekammer erkennt nicht, dass mit den in den Zuschlagskriterien genannten Notenstufen ein absoluter Bewertungsmaßstab festgesetzt wurde. Die Notenstufen reichen von 0 (schlechteste Bewertung) bis 5 (Bestnote). Beispielsweise werden bei 5 sehr gute Ausführungen erwartet und bei der Note 4 gute Ausführungen, während bei der Note 1 die Ausführungen als mangelhaft eingestuft werden. Damit wird jedoch nicht ein absoluter Maßstab festgesetzt. Die Beschreibung der Notenstufen mit wertenden Kriterien wie "gut" erlaubt eine Bewertung der Konzepte untereinander. Denn ein derartiges Werturteil kann sich nicht nur in der Bewertung eines Konzepts an sich, sondern auch im Vergleich mit anderen Konzepten ergeben; so kann sich die Güte eines Konzepts, insbesondere bei qualitativen Kriterien, im Vergleich mit anderen Konzepten erschließen.
Die festgelegten Notenstufen stehen damit einem relativen Vergleich der Angebote zueinander nicht entgegen. Auch im Übrigen begegnet der relative Vergleich nach Auffassung der Vergabekammer keinen vergaberechtlichen Bedenken. Nach der Auffassung der Vergabekammer liegt es bei der wertenden Betrachtung von qualitativen Kriterien in der Sache, dass bei der jeweiligen Bewertung jeweils nicht nur das Konzept für sich, sondern auch der Vergleich zu den anderen Konzepten betrachtet wird; denn die Güte eines Konzepts kann sich insbesondere im Vergleich erschließen. Der Einwand der ASt, eine relative Bewertung führe zu einer Höhergewichtung der Qualitätskriterien, greift daher nicht durch. Zudem erscheint es auch bei Anwendung einer relativen Bewertungsmethode nicht zwangsläufig, dass dieselbe Note nicht mehrmals vergeben werden darf, auch nicht wenn bei der Bewertung von geringfügigen Niveauunterschieden ausgegangen wird.
b) Die Vergabekammer erkennt nicht, dass entgegen § 76 Abs. 2 Satz 3 VgV ein Lösungsvorschlag bei der Angebotswertung berücksichtigt wurde. Nach dieser Vorschrift dürfen unaufgefordert eingereichte Ausarbeitungen von Lösungsvorschlägen nicht berücksichtigt werden. Lösungsvorschläge sind Leistungen, die über die eigentliche Angebotserstellung hinausgehen. Es handelt sich dabei um Planungsleistungen im Zusammenhang mit der Angebotserstellung (Beck'scher Vergaberechtskommentar, § 76 VgV, Rn. 41 ff.). Es geht dabei um Lösungsvorschläge für die gestellte Planungsaufgabe in Form von Entwürfen, Plänen, Zeichnungen oder Berechnungen, wie der systematische Vergleich mit § 77 Abs. 2 VgV zeigt.
Nach dem Bewertungskriterium 4, Unterkriterium 3 wird folgendes gewertet und damit gefordert: Vorstellen und Aufzeigen möglicher planerisch-konzeptioneller Lösungsansätze für die Projektumsetzung. Dies bleibt begrifflich hinter der Forderung von Lösungsvorschlägen zurück. Gefordert ist damit das Aufzeigen von Ideen und Ansätzen, die noch nicht das Stadium einer Planung erreichen, sondern sich in groben Konzeptionen erschöpfen. Dies ist auch stimmig zu der hier gegenständlichen Beschaffung, da das "wie" der Umsetzung der Generalsanierung, also etwa der Umfang der Gebäudeteile, die erhalten bleiben, noch offenbleibt. Es kann damit noch nicht von dem Stellen einer Planungsaufgabe gesprochen werden. Das Aufzeigen von Lösungsansätzen bzw. konzeptionellen Überlegungen unterhalb der Schwelle von Lösungsvorschlägen kann jedoch nach Auffassung der Vergabekammer, insbesondere bei Beschaffungen in diesem Stadium, verlangt werden.
Nach Auffassung der Vergabekammer erreichen die von der BGI in den Präsentationsunterlagen dargestellten Lösungsansätze nicht das Stadium von Lösungsvorschlägen; auch nicht im Vergleich zu den entsprechenden, teilweise tiefer gehenden Darstellungen der ASt. Die entsprechenden Skizzen und Konzeptionen erreichen hinsichtlich Feinheit und Tiefgang nicht das Stadium von Lösungsvorschlägen bzw. entsprechenden Entwürfen oder Plänen. Insbesondere kann noch nicht von dem Erbringen einer Planungsleistung gesprochen werden.
Für die Vergabekammer ist nach Prüfung auch nicht ersichtlich, dass anderweitig ein Lösungsvorschlag der BGI in die Bewertung eingeflossen ist.
c) Nach Auffassung der Vergabekammer besteht im Hinblick auf die Rüge der Vergaberechtswidrigkeit des Vorgehens bei der Honorarwertung keine Rechtsverletzung der ASt.
Denn das Honorarangebot der BGI wurde schlechter bewertet als das Angebot der ASt. Der Punktabstand zwischen ASt und BGI basiert somit allein auf der Wertung der qualitativen Kriterien. Selbst bei einer theoretischen Wertung des Honorarangebots der ASt mit voller Punktzahl würde dieser Abstand nicht eingeholt. Auch wenn das Honorarangebot des Bestbieters außer Betracht bliebe, würde dies nichts an der Besserbewertung der BGI gegenüber der ASt insgesamt ändern.
Im Übrigen wäre hinsichtlich der Vorgehensweise der VSt bei der Honorarwertung wohl nicht von einem Vergaberechtsverstoß auszugehen.
Der von § 127 Abs. 3 Satz 1 GWB geforderte Auftragsbezug von Zuschlagskriterien wäre hier hinsichtlich der Honorarbewertungskriterien gegeben. Denn die von den Bietern zu benennenden Parameter werden für den ausgeschriebenen Auftrag und die spätere Honorarberechnung verbindlich. Die Bieter müssen die Parameter im Rahmen eines ausdrücklich als solchen bezeichneten Honorarangebotes abgeben.
Es wäre davon auszugehen, dass die Kriterien zur Honorarbewertung zum Vergleich der Angebote geeignet sind, mithin die Möglichkeit eines wirksamen Wettbewerbs gewährleisten (§ 127 Abs. 4 Satz 1 GWB). Der Bewertung von Honoraren in dieser Phase von Planungsaufträgen ist immanent, dass etwa die Grundlagenermittlung und die Kostenberechnung noch aussteht. Die VSt verfolgt mit ihrer Methode den Ansatz, das Angebot in dieser Planungsphase durch die Abfrage einer Reihe von Honorarparametern zu konkretisieren, um eine bessere Vergleichbarkeit herzustellen. Der Ansatz, so die Angebote auch in diesem Stadium näher zu konkretisieren, erscheint nachvollziehbar; dies im Zusammenhang mit dem Vorgehen, mit den Parametern eine Honorarberechnung anhand derselben Kostengröße, den von der VSt angenommenen anrechenbaren Kosten, vorzunehmen. Dieser Ansatz erscheint auch im Vergleich etwa zu dem Vorgehen, sich in diesem Stadium nur pauschale Zu- oder Abschläge anbieten zu lassen, nachvollziehbar. Es ist nicht ersichtlich, dass die Vergleichbarkeit der Angebote durch unterschiedliches Vorgehen der VSt bei der Durchführung der Honorarberechnung tangiert wäre. Denn soweit ersichtlich orientiert sich die Vorgehensweise der Berechnung an den insoweitigen Angaben der Bieter, etwa hinsichtlich des Abrechnungsmodus zur Bauabschnittsbildung, und ist daher soweit ersichtlich konsistent zur Methodik generell.
Die Möglichkeit, die abgefragten Honorarparameter frei anzugeben, begegnet wohl keinen rechtlichen Bedenken. Nachdem die HOAI 2021 nach § 7 Honorarvereinbarungen zulässt und somit keine zwingenden preisrechtlichen Vorgaben mehr vorsieht, dürfte es auch zulässig sein, Vereinbarungen über einzelne Parameter der HOAI zu treffen; es dürfte mithin auch zulässig sein, sich grundsätzlich an der Systematik der HOAI zu orientieren, jedoch Vereinbarungen über Honorarparameter zu treffen wie etwa hinsichtlich der Honorarzone, die nach alter Rechtslage objektiv bestimmt wurde. Dem dürfte auch nicht entgegenstehen, dass nach dem in den Vergabeunterlagen befindlichen Architektenvertragsmuster grundsätzlich die Vergütung nach der HOAI vorgesehen ist, da die Vereinbarung über die Honorarberechnung im Wege des von den Bietern angeforderten Honorarangebots als speziellere Regelung anzusehen ist.
Für die Zumutbarkeit der Angebotskalkulation bzw. der Möglichkeit einer betriebswirtschaftlich vernünftigen Kalkulation (vgl. OLG Düsseldorf, B. v. 21.04.2021, VII-Verg 1/20) spricht folgendes: Die Bieter waren in der Lage, wertbare Angebote zu kalkulieren (VK Bund, B. v. 28.05.2020, VK 1-34/20). Mögliche Risiken bei der Kalkulation können hier in gewisser Weise kompensiert werden (zu diesem Aspekt Beck`scher Vergaberechtskommentar, § 121 GWB, Rn. 95), beispielsweise durch die Möglichkeit der freien Angabe des Honorarsatzes oder die Möglichkeit des Verzichts auf einen Nachlass. Hinzu kommt, dass der Auftragsgegenstand hier auf Grundlage der Vergabeunterlagen hinreichend konkret ist, somit nicht davon auszugehen ist, dass die spätere Planung als Grundlage für die spätere Honorarberechnung sich unzumutbar von den vorherigen Annahmen der Bieter entfernt.
d) Die Vergabekammer geht nicht von einer Rechtsverletzung hinsichtlich der Rüge der durch die ASt unterlassenen Angebotsaufklärung nach § 60 VgV aus.
Denn bei dem Angebot der BGI handelt es sich nicht um das preislich günstigste Angebot. Des Weiteren würde ein Ausschluss des Bestbieters zwar eine geänderte Honorarbewertung bedeuten, jedoch die Tatsache, dass die BGI gegenüber der ASt insgesamt besser bewertet wird, nicht verändern. Im Übrigen erscheint der Begründungsansatz der VSt zum Unterlassen einer Angebotsaufklärung noch nachvollziehbar. Denn grundsätzlich ist für die Frage des Vorliegens der Aufgreifschwelle das nächstniedrige Angebot der Vergleichspunkt (BayOblG, B. v. 09.04.2021, Verg 3/21). Der Ansatz der VSt, das niedrigste Angebot hochzurechnen (mit dem Ergebnis, dass die Aufgreifschwelle nicht erreicht wird), ist nachvollziehbar. Die VSt sieht die Bewertung der Leistungsphasen, insoweit sie hinter 100 % zurückbleibt, als faktischen Nachlass an, geht aber nicht davon aus, dass damit ein Zurückbleiben des Leistungsversprechens hinter der Ausschreibung verbunden ist.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 182 GWB.
a) Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens, weil sie mit ihren Anträgen unterlegen ist (§ 182 Abs. 3 Satz 1 GWB).
b) Die Kostenerstattungspflicht gegenüber der VSt und der BGI ergibt sich aus § 182 Abs. 4 GWB.
c) Die Hinzuziehung eines Rechtsanwaltes war für die BGI notwendig (§ 182 Abs. 4 GWB i.V.m. Art. 80 Abs. 2 Satz 3 BayVwVfG entspr.).
Es handelt sich um einen in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht nicht einfach gelagerten Fall, so dass es der BGI nicht zuzumuten war, das Verfahren vor der Vergabekammer selbst zu führen. Auch die ASt war gleichermaßen rechtsanwaltlich vertreten.
d) Die Gebühr war nach § 182 Abs. 2 GWB festzusetzen. Im Hinblick auf die Bruttoangebotssumme der ASt und unter Zugrundelegung eines durchschnittlichen personellen und sachlichen Aufwands der Vergabekammer errechnet sich entsprechend der Tabelle des Bundeskartellamtes eine Gebühr in Höhe von Euro.
e) Der von der Antragstellerin geleistete Kostenvorschuss von 2.500,-- Euro wird mit der zu zahlenden Gebühr verrechnet. Die Antragstellerin erhält über den Differenzbetrag eine Kostenrechnung i.H.v. Euro.
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VK Nordbayern
Beschluss
vom 20.02.2025
RMF-SG21-3194-9-31
1. Bei Kündigung eines Altauftrags und neuer Vergabe von noch nicht fertiggestellten oder nur mangelhaft erbrachten Leistungen ist für den maßgeblichen Schwellenwert auf den gekündigten Altauftrag abzustellen.
2. Restleistungen nach Kündigung eines (Alt-)Auftrags sind in einem neuen Vergabeverfahren auszuschreiben, da die Ersetzung des Auftragnehmers eine wesentliche Auftragsänderung darstellt.
3. Eine zügige Weiterführung von Arbeiten nach einer Kündigung sowie eine sparsame und wirtschaftliche Mittelverwendung genügen nicht, um eine Dringlichkeitsvergabe zu rechtfertigen.
VK Nordbayern, Beschluss vom 20.02.2025 - RMF-SG21-3194-9-31
Tenor:
1. Es wird festgestellt, dass die Antragstellerin durch die Beauftragung der Firma R. mit dem Nachtrag über die Restabbrucharbeiten im Bauvorhaben "..." in ihren Rechten verletzt wurde.
2. Die Vergabestelle trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen der Antragstellerin.
3. Die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten durch die Antragstellerin war notwendig.
4. Die Gebühr für dieses Verfahren beträgt x.xxx,- Euro Auslagen sind nicht angefallen. Die Vergabestelle ist von der Zahlung der Gebühr befreit.
Sachverhalt:
Die VSt schrieb mit Auftragsbekanntmachung vom xxxxxx (TED: xxxxxx), Vergabenummer xxxxxx) europaweit Abbrucharbeiten aus. Die Vergabe an die Firma P. erfolgte am xx.xx.xxxx.
Die VSt schrieb zudem europaweit Baumeisterarbeiten aus. Der Vertragsschluss erfolgte am xx.xx.xxxx an die Firma R.. Die Zuschlagsbekanntmachung erfolgte am xx.xx.xxxx (xxxxxx, Veröffentlichungsnummer: xxxxxx).
Mit Schreiben vom 23.05.2024 kündigte die VSt der P., die für die Abbrucharbeiten beauftragt war.
Mit Auskunftsersuchen vom 16.08.2024 baten die Verfahrensbevollmächtigten der ASt die VSt um Bestätigung, dass die Restleistungen als eigenständiges Los ausgeschrieben würden werden. Die ASt habe aus der Lokalpresse erfahren, dass es bei dem Projekt xxxxxx vertragliche Schwierigkeiten mit der für die Abbruchleistungen ursprünglich beauftragen Baufirma gebe und im nächsten Bau- und Werkausschuss eine Vergabe der ausstehenden und nicht mehr erbrachten Leistungen an eine andere Firma im Zuge einer Ersatzvornahme vorgesehen sei.
Mit Schreiben vom 20.08.2024 antwortete die VSt auf das Auskunftsersuchen der ASt und teilte mit, dass keine Ausschreibungspflicht bestehen würde.
Mit Schreiben vom 23.08.2024 rügten die Verfahrensbevollmächtigten der ASt die Vergabe der Restleistungen der Rückbauarbeiten.
Mit Schreiben vom 28.08.2024 half die VSt der Rüge nicht ab.
Gemäß § 3 Abs. 1 VgV sei bei der Schätzung des Auftragswerts vom voraussichtlichen Gesamtwert der vorgesehenen Leistung ohne Umsatzsteuer auszugehen. Schon begrifflich könnten bereits vollendete Leistungen nicht mehr unter "vorgesehene" Leistungen fallen. Für die Kostenschätzung sei auf die Einleitung eines Vergabeverfahrens abzustellen und habe sich am konkreten Beschaffungsbedarf auszurichten. Seien Teile eines Auftrags bereits abschließend abgearbeitet, so bestünde diesbezüglich kein Bedarf mehr. Gegenstand der Auftragswertschätzung seien daher lediglich die ausstehenden Restleistungen.
Eine Auftragsänderung sei gerechtfertigt. Die VSt sehe eine Änderung aufgrund unvorhersehbarer Umstände im Sinne des § 132 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 GWB als gegeben an. § 132 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 GWB finde auf den vorliegenden Sachverhalt keine Anwendung, da der Anwendungsbereich nur für Änderungen während der Vertragslaufzeit eröffnet sei. Darüber hinaus ändere sich der Gesamtcharakter des Vertrags nicht. Die Beauftragung der Restleistungen stelle lediglich eine minimale Erweiterung des Ursprungsauftrags dar.
Am 29.08.2024 wurde eine Auftragsänderung europaweit bekanntgemacht (TED: xxxxxx). Aus der Bekanntmachung geht hervor, dass die Firma R. im Wege von Nachträgen die Abbrucharbeiten mit Nachunternehmer ausführt.
Mit Schriftsatz vom 12.09.2024 stellten die Verfahrensbevollmächtigten der ASt einen Antrag auf Nachprüfung und beantragen:
1. ein Nachprüfungsverfahren gemäß § 160 Abs. 1 GWB über die Vergabe der Abbrucharbeiten im Bauvorhaben "xxxxxx" einzuleiten;
2. die Unwirksamkeit des zwischen der Antragsgegnerin und Beizuladenden geschlossenen Vertrags über Abbrucharbeiten im Bauvorhaben "xxxxxx" festzustellen;
3. der Antragsgegnerin aufzugeben, bei fortbestehender Beschaffungsabsicht ein rechtskonformes Vergabeverfahren einzuleiten, mit der Möglichkeit für die Antragstellerin sich zu beteiligen;
4. die Vergabeakte beizuziehen und der Antragstellerin unverzüglich Akteneinsicht zu gewähren;
5. die Hinzuziehung der Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin für notwendig zu erklären;
6. der Antragsgegnerin die Kosten des Nachprüfungsverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten aufzuerlegen.
Der Nachprüfungsantrag sei zulässig. Die streitgegenständlichen Restleistungen der Abbrucharbeiten seien ein öffentlicher Bauauftrag i.S.d. § 103 Abs. 3 GWB und der Schwellenwert sei überschritten. Der Auftragswert für die noch verbleibenden Abbrucharbeiten würde zwar isoliert betrachtet unterhalb des EU-Schwellenwertes liegen. Die Abbrucharbeiten seien aber mit den Kosten der weiteren Bauleistungen des Bauvorhabens zu addieren, insofern sei der Wert des gesamten Bauvorhabens mit geschätzten xx Millionen Euro maßgeblich, §§ 3 Abs. 6, Abs. 7 VgV. Entgegen der Auffassung der VSt sei die Kostenschätzung für Restarbeiten nach einer Kündigung nicht isoliert vom Altauftrag zu betrachten. Im Rahmen der Ausschreibung von Restarbeiten sei auf den funktionalen Zusammenhang abzustellen, § 3 Abs. 1 VgV. Es sei somit bei der Bestimmung des Auftragswerts von "Restarbeiten" auch der Altauftrag zu berücksichtigen.
Die VSt könne sich für den Verzicht auf eine europaweite Ausschreibung auch nicht auf das sog. 20 % Kontingent des § 3 Abs. 9 VgV berufen. Die VSt sei nicht berechtigt, das streitgegenständliche Los "Abbrucharbeiten" nachträglich dem 20 % Kontingent zuzuordnen. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Schätzung des Auftragswertes und die Zuordnung eines Loses oder mehrere Lose zum 20 % Kontingent sei der Zeitpunkt der Einleitung des ersten Vergabeverfahrens. Es gelte der Grundsatz der Selbstbindung der Verwaltung.
Die ASt sei antragsbefugt, § 160 Abs. 2 GWB. Durch die de facto Vergabe sei sie in ihren Rechten verletzt, sie hätte bei einer europaweiten Ausschreibung ein Angebot eingereicht.
Ihr Interesse am Auftrag sei durch die Rügen und den Nachprüfungsantrag dokumentiert.
Die ASt sei ihrer Rügeobliegenheit gem. § 160 Abs. 3 GWB nachgekommen.
Der Nachprüfungsantrag sei begründet. Die VSt habe von einer Ausschreibung der streitgegenständlichen Abbrucharbeiten unzulässig abgesehen. Es würden keine Ausnahmetatbestände vorliegen, die eine Direktvergabe rechtfertigen könnten. Der geschlossene Vertrag sei unwirksam und neu auszuschreiben.
Der Vertrag sei mangels vorheriger Auftragsbekanntmachung vergaberechtswidrig geschlossen worden und unwirksam, § 135 Abs. 1 Nr. 2 GWB. Das Absehen von einer Bekanntmachung könne nicht auf das sog. 20 % Prozent Kontingent nach § 3 Abs. 9 VgV gestützt werden.
Auch würden die Voraussetzungen für ein Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb nach § 3a Abs. 3 VOB/A nicht vorliegen. Insbesondere könne sich die VSt nicht auf das Vorliegen besonderer Dringlichkeit nach § 3a Abs. 3 Nr. 4 EU VOB/A berufen. Zum einen sei die Dringlichkeit durch die Entziehung des Auftrags selbst durch die VSt verursacht worden. Zum anderen sei nicht ersichtlich, dass selbst verkürzte Fristen (§§ 10a EU, 10b EU, 10c EU VOB/A) nicht hätten eingehalten werden können. Andere Ausnahmetatbestände des § 3a Abs. 3 Nr. 4 EU VOB/A seien nicht ersichtlich.
Die VSt sei gemäß § 132 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 GWB verpflichtet, ein neues Vergabeverfahren durchzuführen, wenn ein neuer Auftragnehmer den bestehenden Auftragnehmer ersetze. Eine Kündigung wie hier stelle ein "Ersetzen" dar. Bei einem Auftragnehmerwechsel nach Kündigung handle es sich um eine wesentliche Auftragsänderung im Sinne des § 132 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 GWB. Der explizit normierte Ausnahmetestbestand des § 132 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 GWB sei nicht erfüllt. Die Erfüllung des § 132 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 GWB habe zur Folge, dass kein Raum für die Ausnahmetatbestände des § 132 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 und Nr. 3 GWB gegeben sei. Der Ausnahmetatbestand des § 132 Abs. 3 GWB sei auch nicht einschlägig.
Mit Schriftsatz vom 19.09.2024 erwiderten die Verfahrensbevollmächtigten der VSt.
Die Abbrucharbeiten seien seit Montag, den 16.09.2024, abgeschlossen, so dass sich die Anträge 1 und 3 des Nachprüfungsantrags erledigt hätten.
Der Nachprüfungsantrag sei unbegründet, das Vorgehen der VSt sei zulässig gewesen.
Gemäß § 30 Abs. 2 KommHV-Doppik i.V.m. der Bekanntmachung zur Vergabe von Aufträgen im kommunalen Bereich (IMBek), Ziffer 1.2.8, sei eine beschränkte Ausschreibung ohne Teilnahmewettbewerb bei der Vergabe von Bauaufträgen aktuell abweichend von § 3a Abs. 2 Nr. 1 VOB/A ohne weitere Einzelbegründung bis zu einer Wertgrenze von 1 Mio. Euro netto je Gewerk zulässig. Diese Wertgrenze sei bei den Restleistungen nicht erreicht. Des Weiteren verwies die VSt auf ihre Rechtsausführungen im Schreiben vom 28.09.2024.
Ergänzend wurde darauf hingewiesen, dass die Beauftragung und zügige Weiterführung der Arbeiten im essentiellen Interesse des kollektiven Gemeinwohls gewesen sei, da zum einen die xxxxxx Nutzung des erforderlichen Neubaugebäudeteils an der xxxxx schneller sichergestellt habe werden müssen und zum anderen die zügige Weiterführung der Arbeiten auch im Hinblick auf eine sparsame und wirtschaftliche Mittelverwendung gemäß dem zwingend zu beachtenden Haushaltsrecht dringend geboten gewesen sei. Im Übrigen sei auch der Gesamtcharakter der Leistung nicht geändert worden.
Mit Schriftsatz vom 26.09.2024 nahmen die Verfahrensbevollmächtigten der ASt Stellung und erklärten die Anträge zu Ziffer 1 und 3 für erledigt.
Die ASt beantragt nunmehr:
1. festzustellen, dass der zwischen der Antragsgegnerin und Beizuladenden geschlossene Vertrag über Abbrucharbeiten im Bauvorhaben "xxxxxx" vergaberechtswidrig geschlossen und die Antragstellerin dadurch in ihren bietereigenen Rechten verletzt worden ist,
2. die Hinzuziehung des Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin für notwendig zu erklären und
3. der Antragsgegnerin die Kosten des Nachprüfungsverfahrens einschließlich der zur zweckentsprechenden notwendigen Aufwendungen aufzuerlegen.
Der Fortsetzungsfeststellungsantrag sei zulässig.
Der Nachprüfungsantrag in seiner ursprünglichen Form sei statthaft gewesen. Das Nachprüfungsverfahren habe sich nach Erhebung des Nachprüfungsantrags "in sonstiger Weise" im Sinne des § 168 Abs. 2 S. 2 GWB erledigt. Die streitgegenständlichen Bauarbeiten seien mittlerweile abgeschlossen, wodurch eine Ausschreibung der Restleistungen nicht mehr möglich sei.
Aus Sicht der ASt bestehe eine Wiederholungsgefahr und damit ein besonderes Feststellungsinteresse. Die VSt habe sich gegenüber der ASt wiederholt vergaberechtswidrig verhalten und einen Auftrag ohne vorherige Ausschreibung durchgeführt.
Die ASt habe in einem anderen Vergabeverfahren bereits einen Antrag auf Erlass einer Einstweiligen Verfügung stellen müssen. Mit Beschluss vom 27.05.2024 habe das Landgericht ..... der VSt untersagt, ohne vorheriges förmliches Vergabeverfahren den Zuschlag auf das Angebot eines Wettbewerbers zu erteilen. In diesem Verfahren habe die ASt die VSt nach Ausspruch der Kündigung auf ihre Pflicht hingewiesen, bei fortbestehender Beschaffungsabsicht, ausstehende Arbeiten in einem gesonderten Vergabeverfahren ausschreiben zu müssen. Auch habe die VSt die Vollendung der noch offenen Leistungen durch ein Drittunternehmen vorab angekündigt. Die VSt habe somit bereits zum zweiten Mal in kürzester Zeit trotz mehrfacher Erinnerung durch die ASt davon abgesehen, Restleistungen nach ausgesprochener Kündigung auszuschreiben. Aus Sicht der ASt bestehe somit die konkrete Gefahr, dass die Antragsgegnerin auch zukünftig noch offene Restleistungen nach einer Kündigung vergibt, ohne diese öffentlich auszuschreiben.
Der Fortsetzungsfeststellungsantrag sei auch begründet.
Der ursprüngliche Nachprüfungsantrag sei begründet gewesen. Die VSt habe vergaberechtswidrig davon abgesehen, die streitgegenständlichen Restarbeiten europaweit auszuschreiben.
Es würden keine Ausnahmetatbestände vorliegen, die eine Direktvergabe rechtfertigen. Dem stehe auch nicht der Einwand der VSt mit der Ausnahme nach § 30 Abs. 2 KommHV-Doppik i.V.m. der Bekanntmachung zur Vergabe von Aufträgen im kommunalen Bereich (IMBek) entgegen. Diese Ausnahme finde nur auf Vergaben von Aufträgen unterhalb des EUSchwellenwertes Anwendung. Mit einem Gesamtvolumen von mehr xx Millionen Euro überschreite das Bauvorhaben den geltenden Schwellenwert. Für die Zwecke der Schwellenwertberechnung seien die Rückbauarbeiten mit den Kosten der weiteren Bauleistungen des Bauvorhabens zu addieren.
Im Übrigen wiederholte die ASt, dass auch der Einwand der besonderen Dringlichkeit nach § 3a Abs. 3 Nr. 4 EU VOB/A nicht greife.
Mit Schriftsatz vom 01.10.2024 erwiderte die VSt.
Hinsichtlich des Vortrags der ASt zur Wiederholungsgefahr ergänzte die VSt, dass gegen die einstweilige Verfügung vom 27.05.2024 Widerspruch eingelegt worden sei. Die VSt habe weder angekündigt noch vorgehabt, die Restleistungen ohne Berücksichtigung des Vergaberechts zu beauftragen. In der mündlichen Verhandlung habe der Vertreter der ASt den Rechtsstreit für erledigt erklärt, nachdem von ihm unstreitig gestellt worden sei, dass die VSt die betroffenen Leistungen ausschreiben werden. Die VSt habe dieser Erledigterklärung nicht zugestimmt. Im Urteil des Landgerichts vom 30.07.2024 sei die Erledigung des Rechtsstreits festgestellt und die Kosten der VSt auferlegt worden. Das Berufungsverfahren laufe derzeit noch. Eine Wiederholungsgefahr lasse sich allein mit dem Beschluss des Landgerichts bzw. mit dem dahinterstehenden Sachverhalt nicht begründen, da in diesem Fall kein Auftrag ohne vorherige Ausschreibung vergeben worden sei bzw. vergeben werden sollte.
Mit Schriftsatz vom 08.10.2024 wiederholten und vertieften die Verfahrensbevollmächtigten der ASt ihre bisherige Rechtsauffassung.
Es drohe eine konkrete Wiederholungsgefahr. Dies werde durch das Verhalten der VSt eindrucksvoll bestätigt. Die VSt versuche das Ausmaß der Rechtsverletzungen zu relativieren. Das Landgericht habe bereits eine Kostenentscheidung zu Lasten der VSt erlassen, nachdem das Verfahren aufgrund der Erledigung beendet worden sei. Diese Entscheidung zeige auf, wer die Verantwortung trage. Auch im vorliegenden Verfahren habe sich die VSt rechtswidrig dazu entschieden, auf eine ordnungsgemäße Ausschreibung der Restleistungen zu verzichten. In beiden Verfahren habe die ASt die VSt wiederholt und eindringlich auf ihre Pflicht zur Ausschreibung hingewiesen. Die VSt habe jedoch sehenden Auges gehandelt und den Vergabeverstoß zumindest billigend in Kauf genommen.
Mit Schriftsatz vom 21.10.2024 wiederholte und vertiefte die VSt ihre bisherige Rechtsauffassung. Eine Wiederholungsgefahr bestehe nicht. Eine vermeintliche Absicht bzw. drohende Gefahr der Direktvergabe, die zu dem Erlass der einstweiligen Verfügung geführt habe, habe zu keinem Zeitpunkt bestanden, weshalb es auch keinen schwerwiegenden Vergabeverstoß gegeben habe.
Die Verfahrensbeteiligten haben am 30.09.2024 und 01.10.2024 ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt.
Im Übrigen wird hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands auf die Verfahrensakte der Vergabekammer und die Vergabeakten, soweit sie der Vergabekammer vorgelegt wurden, Bezug genommen.
Begründung:
Die erkennende Vergabekammer konnte gemäß § 166 Abs. 1 S. 3 GWB ohne mündliche Verhandlung entscheiden, weil die Verfahrensbeteiligten einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung zugestimmt haben.
Eine Beiladung des beauftragten Drittunternehmens war im vorliegenden Fall nicht (mehr) erforderlich, da dessen Interessen durch die Entscheidung der Vergabekammer nicht schwerwiegend berührt werden, vgl. § 162 Satz 1 GWB. Die ASt hat nach Eintritt der Erledigung ihren Antrag auf Feststellung der Unwirksamkeit des Auftrags nach § 135 Abs. 1 Nr. 2 GWB nicht mehr weiterverfolgt.
Der Nachprüfungsantrag in Gestalt des Fortsetzungsfeststellungsantrages nach § 168 Abs.
2 Satz 2 GWB ist zulässig und begründet.
1. Der Fortsetzungsfeststellungsantrag ist zulässig.
a) Der Fortsetzungsfeststellungsantrag ist statthaft, nachdem sich das Nachprüfungsverfahren "in sonstiger Weise" im Sinne von § 168 Abs. 2 Satz 2 GWB erledigt und die ASt ihren ursprünglichen Nachprüfungsantrag entsprechend umgestellt hat.
Aufgrund des zwischenzeitlich erfolgten Abschlusses der streitgegenständlichen Restabbrucharbeiten besteht für die VSt kein Beschaffungsbedarf mehr, wodurch eine Erledigung im Sinne von § 168 Abs. Satz 2 GWB eingetreten ist.
b) Weitere ungeschriebene Zulässigkeitsvoraussetzung für den Feststellungsantrag ist das Vorliegen eines besonderen Feststellungsinteresses. Das notwendige Feststellungsinteresse rechtfertigt sich durch jedes gemäß vernünftigen Erwägungen und nach Lage des Falles anzuerkennende Interesse rechtlicher, wirtschaftlicher oder ideeller Art, wobei die beantragte Feststellung geeignet sein muss, die Rechtsposition des Antragstellers in einem der genannten Bereiche zu verbessern und eine Beeinträchtigung seiner Rechte auszugleichen oder wenigstens zu mildern. Ein solches Feststellungsinteresse kann gegeben sein, wenn der Antrag der Vorbereitung einer Schadensersatzforderung dient, eine hinreichend konkrete, an objektiven Anhaltspunkten festzumachende Wiederholungsgefahr besteht oder die Feststellung zur Rehabilitierung des Bieters erforderlich ist, weil der angegriffenen Entscheidung ein diskriminierender Charakter zukommt. Das Feststellungsinteresse ist mit der Umstellung der ursprünglichen Anträge auf den Feststellungsantrag explizit zu begründen (vgl. OLG Düsseldorf, B.v. 30.06.2021 - Verg 43/20).
Die ASt hat ihr Feststellungsinteresse mit einer drohenden konkreten Wiederholungsgefahr aufgrund des bisherigen Verhaltens der VSt begründet. Die ASt trägt vor, dass sich die VSt gegenüber der ASt wiederholt vergaberechtswidrig verhalten habe und einen Auftrag ohne vorherige Ausschreibung durchgeführt habe. Hierzu verweist die ASt auf ein Verfahren vor dem Landgericht xxxxxx in dem die ASt die VSt nach Ausspruch der Kündigung ebenfalls auf ihre Pflicht hingewiesen habe, bei fortbestehender Beschaffungsabsicht, ausstehende Arbeiten in einem gesonderten Vergabeverfahren ausschreiben zu müssen. Auch dort habe die VSt die Vollendung der noch offenen Leistungen durch ein Drittunternehmen vorab angekündigt. Mit Beschluss vom 27.05.2024 sei der VSt untersagt worden, ohne vorheriges förmliches Vergabeverfahren den Zuschlag auf das Angebot eines Wettbewerbers zu erteilen. Im Urteil des Landgerichts vom 30.07.2024 sei die Erledigung des Rechtsstreits festgestellt worden und die Kosten der VSt auferlegt worden. Die VSt habe somit bereits zum zweiten Mal in kürzester Zeit trotz mehrfacher Erinnerung durch die ASt davon abgesehen, Restleistungen nach ausgesprochener Kündigung auszuschreiben. Aus Sicht der ASt bestehe somit die konkrete Gefahr, dass die VSt auch zukünftig noch offene Restleistungen nach einer Kündigung vergibt, ohne diese öffentlich auszuschreiben.
Eine Wiederholungsgefahr wird als gegeben angesehen, wenn anzunehmen ist, dass der Auftraggeber in gleich gelagerten Fällen die als vergaberechtswidrig beanstandete Handlung erneut vornehmen wird (vgl. VK Südbayern, B. v. 28.02.2023, 3194.Z3-3_01-22-41).
Nach Auffassung der Vergabekammer ist dies vorliegend der Fall. Die VSt hat im streitgegenständlichen Nachprüfungsverfahren das eigene Vorgehen weiter in der Sache als rechtmäßig verteidigt und auch gegen die oben genannte Entscheidung des Landgerichts Beschwerde vor dem Oberlandesgericht eingelegt. Nach dem Vorbringen der VSt liegt es nahe, dass diese auch künftig die Position einnehmen wird, in gleichgelagerten Fallkonstellationen nicht zu europaweiten Ausschreibungen verpflichtet zu sein, so dass die Gefahr einer Wiederholung besteht.
c) Unabhängig von der Frage, ob die Zulässigkeit des Feststellungsantrages auch die Zulässigkeit des ursprünglichen Nachprüfungsantrages voraussetzt (vgl. Nowak in: Pünder/Schellenberg, Vergaberecht, 3. Aufl. 2019, § 168 GWB, Rn. 36 m.w.N.; Summa in: Heiermann/Zeiss/Summa, jurisPK-Vergaberecht, 5. Aufl., § 168 GWB, Rn. 136; a.A. Beck VergabeR/Antweiler, 3. Aufl. 2017, § 168 GWB, Rn. 63 m.w.N), war der ursprüngliche Nachprüfungsantrag zulässig.
aa) Die Vergabekammer Nordbayern ist für das Nachprüfungsverfahren nach § 1 Abs. 2 und § 2 Abs. 2 Satz 2 BayNpV sachlich und örtlich zuständig.
bb) Die VSt ist öffentlicher Auftraggeber nach § 99 Nr. 1 GWB.
cc) Bei den streitgegenständlichen Restleistungen der Abbrucharbeiten handelt es sich um einen öffentlichen Bauauftrag im Sinne von § 103 Abs. 3 GWB.
dd) Der Auftragswert übersteigt den maßgeblichen Schwellenwert nach § 106 Abs. 2 Nr. 1 GWB i.V.m. Art. 4 der Richtlinie 2014/24/EU.
Für die Frage, ob der Schwellenwert erreicht wird, ist auf den voraussichtlichen Gesamtwert der vorgesehenen Leistung ohne Umsatzsteuer abzustellen (§ 1 Abs. 2 Satz 2 EU VOB/A i.V.m. § 3 Abs. 1 VgV). Isoliert betrachtet liegt hier der Auftragswert der ausstehenden Restleistungen unterhalb des geltenden Schwellenwertes. Entgegen der Rechtsauffassung der VSt sind vorliegend Gegenstand der Auftragswertschätzung jedoch nicht lediglich die ausstehenden Restleistungen. Bei Kündigung des Altauftrags und neuer Vergabe der noch nicht fertiggestellten oder nur mangelhaft erbrachten Leistungen ist für den nach § 106 GWB maßgeblichen Schwellenwert auf den gekündigten Altauftrag abzustellen (vgl. OLG Frankfurt, B. v. 07.06.2022, 11 Verg 12/21).
Ungeachtet dessen, dass sich die VSt nicht ausdrücklich auf § 3 Abs. 9 VgV berufen hat, führt die ASt zutreffend aus, dass diese Vorschrift mit der Folge, dass für die Frage einer Schwellenwertüberschreitung allein auf den Auftragswert der Restabbrucharbeiten abzustellen wäre, vorliegend nicht in Betracht kommt. Nach § 3 Abs. 9 VgV kann der öffentliche Auftraggeber bei der Vergabe einzelner Lose zwar von § 3 Abs. 7 Satz 3 VgV abweichen, wenn der geschätzte Nettowert des betreffenden Loses bei Bauleistungen unter 1 Million Euro liegt und die Summe der Nettowerte dieser Lose 20 Prozent des Gesamtwerts aller Lose nicht übersteigt. Der Auftraggeber muss jedoch die Lose, die unter die 20-Prozent-Grenze fallen sollen, bei Einleitung des Vergabeverfahrens festlegen und diese Festlegung dokumentieren. Eine nachträgliche Änderung der Loszuteilung ist durch die Selbstbindung des Auftraggebers nicht mehr möglich (vgl. OLG Düsseldorf, B. v. 11.12.2019 - Verg 53/18).
ee) Die ASt ist antragsbefugt. Antragsbefugt ist nach § 160 Abs. 2 GWB jedes Unternehmen, das ein Interesse an dem öffentlichen Auftrag hat, eine Verletzung in eigenen, bieterschützenden Rechten nach § 97 Abs. 6 GWB geltend macht und einen dadurch entstandenen oder drohenden Schaden darlegt. Ein Interesse am Auftrag im Sinne von § 160 Abs. 2 GWB liegt grundsätzlich immer dann vor, wenn sich der Bieter an der Ausschreibung beteiligt und ein ernst zu nehmendes Angebot abgegeben hat (Möllenkamp in: Kulartz/Kus/Portz/Prieß, GWB Vergaberecht, 4. Aufl. 2016, § 160 GWB Rn. 43). lm vorliegenden Vergabeverfahren hat die ASt zwar kein Angebot abgegeben. Dies hindert aber nicht ihr Interesse am Auftrag. Unternehmen, die keinen Teilnahmeantrag oder kein Angebot abgegeben haben, aber substantiiert rügen, gerade hieran durch vergaberechtswidriges Verhalten der Vergabestelle gehindert worden zu sein, sind insoweit grundsätzlich antragsbefugt (vgl. BayObLG, B.v. 04.02.2003 - Verg 31/02). Für die Zulässigkeit des Nachprüfungsantrags ist insoweit die schlüssige Behauptung der Rechtsverletzung erforderlich, aber regelmäßig auch ausreichend (BGH, B.v. 26.09.2006 - X ZB 14/06). Ob der Rechtsverstoß tatsächlich vorliegt, ist eine Frage der Begründetheit. Die ASt hat vorliegend schlüssig behauptet, dass sie kein Angebot abgeben konnte, weil die VSt keine europaweite Ausschreibung durchgeführt hat. Daraus folgt ferner ein der ASt drohender Schaden wegen fehlender Zuschlagsmöglichkeit.
ff) Es steht auch keine Rügepräklusion nach § 160 Abs. 3 Satz 1 GWB entgegen, da gemäß
§ 160 Abs. 3 Satz 2 GWB bei einem Feststellungsantrag nach § 135 Abs. 1 Nr. 2 GWB keine Rügeobliegenheit besteht.
gg) Die Fristen des § 135 Abs. 2 GWB zur Anbringung des Nachprüfungsantrags - 30 Kalendertage nach der Information der Bieter durch den öffentlichen Auftraggeber über den Abschluss des Vertrags und nicht später als sechs Monate nach Vertragsschluss - sind durch den Nachprüfungsantrag vom 12.09.2024 gewahrt.
hh) Der bereits erteilte Zuschlag steht der Statthaftigkeit des Nachprüfungsverfahrens nicht entgegen im Sinne von § 168 Abs. 2 Satz 1 GWB, da der Nachprüfungsantrag auf Feststellung der Unwirksamkeit des öffentlichen Auftrags gemäß § 135 GWB gerichtet ist (vgl. OLG Düsseldorf, B. v. 12.06.2019 - Verg 54/18).
2. Der Fortsetzungsfeststellungsantrag ist begründet.
Nach § 168 Abs. 2 Satz 2 GWB stellt die Vergabekammer fest, ob eine Rechtsverletzung vorgelegen hat. Mit der Beauftragung eines Drittunternehmens im Wege eines Nachtrags über die Restabbrucharbeiten ohne Durchführung eines europaweiten Vergabeverfahrens hat die VSt die ASt in ihrem Recht aus § 97 Abs. 6 GWB auf Einhaltung der Bestimmungen über das Vergabeverfahren verletzt.
a) Entgegen der Rechtsauffassung der VSt kann sich diese vorliegend nicht auf § 30 Abs. 2 KommHV-Doppik i.V.m. der Bekanntmachung zur Vergabe von Aufträgen im kommunalen Bereich (IMBek) berufen. Gemäß der genannten Bekanntmachung wird dort die Vergabe von Aufträgen geregelt, soweit nicht Bundesrecht vorgeht. Vorliegend findet allerdings für die streitgegenständliche Leistung der 4. Teil des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen Anwendung, mithin vorrangiges Bundesrecht.
b) Im vorliegenden Fall findet die Vorschrift § 132 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 GWB Anwendung, infolgedessen der Anwendungsbereich des § 132 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 GWB nicht eröffnet ist.
Gemäß § 132 Abs. 1 Satz 1 GWB erfordern wesentliche Änderungen eines öffentlichen Auftrags während der Vertragslaufzeit ein neues Vergabeverfahren. Nach § 132 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 GWB liegt eine wesentliche Änderung insbesondere vor, wenn ein neuer Auftragnehmer den Auftragnehmer in anderen als den in § 132 Absatz 2 Satz 1 Nr. 4 GWB vorgesehenen Fällen ersetzt. Entgegen der Rechtsauffassung der VSt handelt es sich trotz der erfolgten Kündigung des Altauftrags um einen Fall der Ersetzung des Auftragnehmers während der Vertragslaufzeit (vgl. BayObLG, B. v. 21.02.2024, Verg 5/12).
Nach der Systematik des § 132 GWB kann in einem solchen Fall der Auftragnehmer ohne Durchführung eines neuen Vergabeverfahrens nur unter den Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 GWB ersetzt werden. Die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 GWB liegen hier jedoch nicht vor.
Damit ist im vorliegenden Fall § 132 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 GWB nicht anwendbar (vgl. BayObLG, B. v. 21.02.2024, Verg 5/12).
Ebenso ist § 132 Abs. 3 GWB nicht einschlägig. Die Beauftragung des Drittunternehmens im Wege von Nachträgen mit Nachunternehmereinsatz stellt eine Änderung des Gesamtcharakters des Auftrags dar (vgl. VK Südbayern, B. v. 28.02.2023, 3194.Z3-3_0122-41).
Die streitgegenständlichen Restabbrucharbeiten hätten daher auch nach der Kündigung des ursprünglichen Auftragnehmers erneut öffentlich ausgeschrieben werden müssen.
c) Im Übrigen kommt - wie die ASt zutreffend ausgeführt hat - insbesondere § 3a Abs. 3 Nr. 4 EU VOB/A nicht in Betracht. Ungeachtet dessen, dass diese Vorschrift lediglich die Wahl der Verfahrensart betrifft, liegen deren Voraussetzungen nicht vor. Eine äußerste Dringlichkeit der Leistung aus zwingenden Gründen infolge von Ereignissen, die die VSt nicht verursacht hat und nicht voraussehen konnte, so dass selbst die Fristen in § 10a EU, § 10b EU, § 10c EU VOB/A nicht eingehalten werden können, ist vorliegend nicht gegeben. Eine zügige Weiterführung der Arbeiten zur schnelleren Sicherstellung der ...... Nutzung des Neubaugebäudeteils an der ...... sowie eine sparsame und wirtschaftliche Mittelverwendung gemäß dem Haushaltsrecht genügen hierfür nicht.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 182 GWB.
a) Die VSt trägt die Verfahrenskosten, weil sie mit ihren Anträgen unterlegen ist, § 182 Abs. 3 Satz 1 GWB.
b) Die Kostenerstattung gegenüber der ASt ergibt sich aus § 182 Abs. 4 Satz 1 GWB.
c) Die Hinzuziehung eines anwaltlichen Bevollmächtigten war für die ASt notwendig (§ 182 Abs. 4 Satz 4 GWB i.V.m. Art. 80 Abs. 2 Satz 3 BayVwVfG). Es handelt sich um einen in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht nicht einfach gelagerten Fall, so dass es der ASt nicht zuzumuten war, das Verfahren vor der Vergabekammer selbst zu führen.
d) Die Gebühr war nach § 182 Abs. 2 und Abs. 3 GWB festzusetzen. Da die ASt kein Angebot abgegeben hat, errechnet sich entsprechend der Tabelle des Bundeskartellamtes nach der hilfsweisen Heranziehung der Bruttonachtragsvereinbarung der VSt und unter Zugrundelegung eines durchschnittlichen personellen und sachlichen Aufwandes der Vergabekammer eine Gebühr in Höhe von x.xxx,-- Euro .
Da ohne mündliche Verhandlung entschieden werden konnte und keine Beiladung erfolgte, wird die Gebühr jeweils um xxx,-- Euro auf x.xxx,-- Euro reduziert.
e) Die VSt ist gemäß § 182 Abs. 1 GWB i.V.m. § 8 Abs. 1 Nr. 3 VwKostG (in der am 14.08.2013 geltenden Fassung) von der Zahlung der Gebühr befreit. Sofern der Kostenvorschuss in Höhe von 2.500,- Euro von der ASt einbezahlt wurde, wird dieser nach Bestandskraft dieses Beschlusses an die ASt zurücküberwiesen.
[...]
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VK Sachsen
Beschluss
vom 21.01.2025
1/SVK/022-24
1. Ein öffentlicher Auftraggeber darf sich grundsätzlich auf die Angaben der Bieter und die von ihnen in ihren Angeboten abgegebenen Leistungsversprechen verlassen. Nur wenn sich Zweifel ergeben, die das Leistungsversprechen eines Bieters als nicht plausibel erscheinen lassen, und Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der Bieter die vom Auftraggeber vorgegebenen Anforderungen möglicherweise nicht erfüllen kann, ist de Auftraggeber verpflichtet, Aufklärung zu verlangen und die ausreichende Leistungsfähigkeit des Bieters durch Einholung weiterer Informationen zu prüfen.*)
2. Der Gleichbehandlungsgrundsatz gebietet es, dass ein Auftraggeber regelmäßig jede Auskunft, die er einem anfragenden Bieter erteilt, auch allen anderen Bietern erteilt. Andernfalls läuft der Auftraggeber Gefahr, gegen das Gebot der Gleichbehandlung und Chancengleichheit aller Bieter zu verstoßen. Ein Auftraggeber darf eine Bieterfrage allenfalls im Einzelfall individuell beantworten, wenn es sich nicht um eine zusätzliche sachdienliche Information handelt.*)
3. Der Umstand, dass ein Bieter selbst eine Bieterfrage gestellt hat und als einziger eine Antwort erhalten hat, lässt eine Rechtsverletzung nicht entfallen. Denn es kann jedenfalls nicht ausgeschlossen werden, dass dieser Bieter durch die Berücksichtigung der ihm erteilten Antwort auf seine Bieterfrage einen Wettbewerbsnachteil erlitten hat, während andere Bieter, denen die Antwort nicht bekannt war, die Vorgabe nicht beachtet haben und dadurch günstiger anbieten konnten bzw. einen Wettbewerbsvorteil erlangen.*)
4. Eine Preisprüfung ist durchzuführen, wenn der Preisabstand zum nächsthöheren Angebot 20% oder mehr beträgt. Dabei ist auf die Differenz des Gesamtpreises und nicht auf einzelne Preispositionen abzustellen.*)
5. Über die Kosten des Eilverfahrens (Antrag auf vorzeitige Zuschlagsgestattung) wird im Hauptsacheverfahren entschieden. Es löst gesonderte Vergabekammergebühren aus, über die getrennt und unabhängig davon zu entscheiden ist, wer die Kosten in der Hauptsache trägt. Dabei ist anerkannt, dass die Kostenlast für das Eilverfahren und den Nachprüfungsantrag in der Hauptsache unterschiedliche Beteiligte treffen kann.*)
6. Für die Kosten des Eilverfahrens nach § 169 Abs. 2 Satz 1 GWB (Antrag auf vorzeitige Zuschlagsgestattung) gelten die gleichen Grundsätze wie für die Kosten des Nachprüfungsverfahrens in der Hauptsache. Die Frage der Verteilung der Kosten des Eilverfahrens richtet sich daher konkret nach den §§ 182 Abs. 3 Satz 1 GWB analog, der bestimmt, dass soweit ein Beteiligter im Verfahren unterliegt, er die Kosten zu tragen hat.*)
VK Sachsen, Beschluss vom 21.01.2025 - 1/SVK/022-24
Tenor:
1. Es wird festgestellt, dass sich das Nachprüfungsverfahren durch die Erteilung des Zuschlags erledigt hat.
2. Es wird festgestellt, dass die selektive Beantwortung einer Bieterfrage gegen den Gleichheitsgrundsatz verstoßen hat und die Antragstellerin dadurch in ihren Rechten verletzt wurde.
3. Es wird festgestellt, dass die unzureichende Prüfung der Leistungsfähigkeit der Beigeladenen durch den Auftraggeber die Antragstellerin in ihren Rechten verletzt hat.
4. Der Auftraggeber und die Beigeladene tragen die Kosten (Gebühren und Auslagen) des Hauptsacheverfahrens (Nachprüfungsverfahren) gesamtschuldnerisch. Die Kosten werden auf x....,xx EUR festgesetzt und sind allein von der Beigeladenen zu tragen. Der Auftraggeber ist von der Zahlung der Gebühren befreit.
5. Der Auftraggeber und die Beigeladene tragen die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen der Antragstellerin im Hauptsacheverfahren (Nachprüfungsverfahren) je zur Hälfte. Im Übrigen tragen die Beteiligten ihre Aufwendungen im Hauptsacheverfahren (Nachprüfungsverfahren) selbst.
6. Die Hinzuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten für die Antragstellerin im Hauptsacheverfahren (Nachprüfungsverfahren) wird für notwendig erklärt.
7. Die Kosten des Eilverfahrens (Antrag auf vorzeitige Zuschlagsgestattung) trägt die Antragstellerin. Die Kosten des Eilverfahrens werden auf x....,xx EUR festgesetzt.
8. Die Antragstellerin trägt die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen des Auftraggebers im Eilverfahrens (Antrag auf vorzeitige Zuschlagsgestattung). Im Übrigen tragen die Beteiligten ihre Aufwendungen im Eilverfahrens (Antrag auf vorzeitige Zuschlagsgestattung) selbst.
9. Die Hinzuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten für den Auftraggeber im Eilverfahrens (Antrag auf vorzeitige Zuschlagsgestattung) wird für notwendig erklärt.
Gründe:
I.
Gegenstand des streitigen Nachprüfungsverfahrens ist die interimsweise Vergabe von Abfallentsorgungsdienstleistungen, konkret die Übernahme und Verwertung von Papierabfällen in der Region X (Los A) und der Region Y (Los B).
Die Antragstellerin ist Bestandsdienstleisterin in den streitigen Regionen. Der Bestandsvertrag endet am 30. September 2024.
Der Auftraggeber hatte eine reguläre Ausschreibung zum Hauptauftrag als offenes Verfahren durchgeführt und beabsichtigt, die Leistungen der Übernahme und Verwertung von Altpapier aus seinem Verbandsgebiet im Leistungszeitraum 1. Oktober 2024 bis zum 31. Dezember 2026 zu vergeben. Die Antragstellerin beteiligte sich dort fristgerecht mit Angeboten für die beiden streitigen Losen. Der Auftraggeber teilte ihr mit Informationsschreiben vom 29. Mai 2024 mit, dass beabsichtigt sei, der Beigeladenen den Zuschlag für die Lose A und B für den Hauptauftrag zu erteilen. Mit Schreiben vom 3. Juni 2024 rügte die Antragstellerin verschiedene Vergaberechtsverstöße. Sie wendete sich insbesondere gegen den ihrer Ansicht nach unzureichenden Inhalt des Informationsschreibens, die Eignung der Beigeladenen, Abweichungen des Angebots der Beigeladenen von den Vergabeunterlagen und eine fehlerhafte Preisaufklärung. Nach Zurückweisung ihrer Rüge stellte sie betreffend die Lose A und B des Hauptauftrages am 6. Juni 2024 einen Antrag auf Einleitung eines Nachprüfungsverfahrens bei der Vergabekammer (1/SVK/017-24). Einer Zuschlagserteilung für den Hauptauftrag (Leistungszeitraum 1. Oktober 2024 bis zum 31. Dezember 2026) in den Losen A (Region X) und Los B (Region Y) steht das Zuschlagsverbot aus
§ 169 Abs. 1 GWB entgegen. Über den Nachprüfungsantrag zum Hauptauftrag wurde bislang nicht entschieden.
Der Auftraggeber leitete am 19. Juni 2024 ein Interimsvergabeverfahren ein. Er beabsichtigt, die interimsweise Vergabe der streitigen Leistungen - Übernahme und Verwertung von Altpapier - in den streitigen Regionallosen A und B für einen Leistungszeitraum vom 1. Oktober 2024 bis längstens 30. Juni 2025 interimsweise zu vergeben. Dazu führte er ein Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb durch, welches den Gegenstand dieses Nachprüfungsverfahrens darstellt.
Im Interimsvergabeverfahren wurden alle Bieter des vorangegangenen offenen Verfahrens um die Abgabe eines Angebots gebeten. Die Antragstellerin beteiligte sich mit einem Angebot für die streitigen Lose A und B. Ihr wurde mit dem Informationsschreiben vom 15. August 2024 mitgeteilt, dass beabsichtigt sei, den Zuschlag auf das Angebot der Beigeladenen (identisch mit der Beigeladenen des Nachprüfungsverfahrens betreffend den Hauptauftrag) zu erteilen.
Einziges Zuschlagskriterium ist der Preis. Hierzu wird ein Vergleichspreis aus den vom Auftraggeber zu zahlenden Entgelten für die Entsorgungsleistungen (Übernahme, Umschlag, Beförderung und Verwertung) und anderseits an den Auftraggeber zu zahlende bzw. auszukehrende mengenabhängige Vergütungen berechnet.
Mit Schreiben vom 19. August 2024 rügte die Antragstellerin, dass das Informationsschreiben unzureichend und fehlerhaft sei. Es enthalte nicht die in § 134 Abs. 1 GWB geforderten Mindestangaben. Es sei nicht mitgeteilt worden, welcher Faktor für die Berechnung des Vergleichspreises ausschlaggebend gewesen sei und ob bei der Berechnung der Wegstrecke (Entfernung Referenzpunkt - Übernahmestelle) nur die einfache (Hinfahrt) oder ausgehend von den Vergabeunterlagen zutreffend die doppelte Wegstrecke (Hin- und Rückfahrt) berücksichtigt wurde.
Zudem sei die mitgeteilte Absicht, den Zuschlag in den Losen A und B auf die Angebote der Beigeladenen zu erteilen, fehlerhaft. Diese sei nach Kenntnis der Antragstellerin nicht leistungsfähig. Ihr Angebot sei nach § 122 Abs. 1 GWB und § 42 Abs. 1 VgV vom Vergabewettbewerb auszuschließen. Möglicherweise enthalte das Angebot zudem Abweichungen von den Vorgaben der Vergabeunterlagen. Die Beigeladene verfüge nach Kenntnis der Antragstellerin nicht über die gemäß der Leistungsbeschreibung erforderliche Übernahmestelle. Diese sei im Angebot zu benennen und müsse sich in einem Umkreis von maximal 30 km von einem jeweils festgelegten Referenzpunkt befinden. In den Vergabeunterlagen seien detaillierte Anforderungen an Beschaffenheit, Ausstattung und Genehmigung der Übernahmestelle enthalten. Nach sicherer Kenntnis der Antragstellerin verfüge die Beigeladene über keine diesen Anforderungen entsprechende Übernahmestelle. Die Beigeladene verfüge weder über eine eigene Betriebsstätte, welche den Vorgaben der Leistungsbeschreibung entspreche, noch könne sie sich insoweit eines Nachunternehmens bedienen. Ausweislich der öffentlichen Zertifizierung der Beigeladenen habe diese keinen eigenen Standort im geforderten Umkreis von 30 km. Sie könne sich auch nicht einer entsprechenden Betriebsstätte eines möglichen Nachunternehmens bedienen. Somit sei die Beigeladene nicht hinreichend leistungsfähig. Man bezweifele und rüge auch, dass das Angebot der Beigeladenen vollständig gewesen sei und alle geforderten Unterlagen enthalten habe.
Des Weiteren rüge man im Hinblick auf die streitigen Lose A und B eine unzureichende Aufklärung des Angebotspreises der Angebote der Beigeladenen. Man vermute, dass die Angebote der Beigeladenen in den streitigen Losen jeweils als die niedrigsten bzw. wirtschaftlichsten Angebote bewertet worden seien. Dies sei nicht vorstellbar, weil die Antragstellerin in beiden Losen dem Auftraggeber außerordentlich vorteilhafte Konditionen angeboten habe. Es sei für die Antragstellerin nicht vorstellbar, dass die Beigeladene noch günstigere Angebotskonditionen angeboten haben könne, es sei denn, dies beruhe auf einer Nichtberücksichtigung der Kosten von allen Anforderungen entsprechenden Übernahmestellen. Man gehe deshalb davon aus, die nach § 60 Abs. 1 VgV vorgesehene Preisaufklärung entweder gar nicht oder aber fehlerhaft durchgeführt worden sei. In diesem Zusammenhang bedürfe es ferner der Klärung, ob in den Angeboten der Beigeladenen die Vorgaben aus den Vergabeunterlagen zur Kalkulation eingehalten worden seien. Sollte dies nicht der Fall sein, wären die Angebote der Beigeladenen auch wegen eines Verstoßes zur Verpflichtung zur vollständigen Angabe von Preisen und wegen Verstoßes gegen das Verbot der Mischkalkulation auszuschließen.
Die Transportaufwendungen seien falsch berechnet worden. Dies schließe man aus der Akteneinsicht zum Hauptauftrag (1/SVK/017-24). Aus den Vergabeunterlagen ergebe sich, dass die tatsächlichen Kosten für Transportaufwendungen zu berücksichtigen seien. Dies bedeute, dass die tatsächlich zurückgelegte Strecke (also Hin- und Rückfahrt zur Übernahmestelle und zurück) zu berücksichtigen sei und nicht, wie sich aus der Wertung zum Hauptauftrag ergebe, nur die Hinfahrt.
Am 22. August 2024 stellte die Antragstellerin bei der Vergabekammer einen Antrag auf Einleitung eines Nachprüfungsverfahrens betreffend das Interimsvergabeverfahren. Sie begehrt, dem Auftraggeber die Zuschlagserteilung in den Losen A und B zu untersagen und ihn zu verpflichten, die Angebotswertung nach Maßgabe der Feststellung der Vergabekammer zu wiederholen.
Der Nachprüfungsantrag sei zulässig, insbesondere sei die Antragstellerin antragsbefugt. Sie habe sich mit Angeboten für die ausgeschriebene Dienstleistung in den zwei streitigen Losen beteiligt, diese sehr wirtschaftlich kalkuliert und laufe nun Gefahr, den Auftrag nicht zu erhalten.
Der Nachprüfungsantrag sei auch begründet.
Das Informationsschreiben erfülle nicht alle Anforderungen des § 134 GWB. Der bloße Verweis auf den berechneten Vergleichspreis sei unzureichend. Die einzelnen Faktoren zur Berechnung des Vergleichspreises seien offen zu legen und darzulegen, welcher davon den Ausschlag für die Wertung gab.
Darüber hinaus sei davon auszugehen, dass die Wertung der Angebote der Beigeladenen und ggf. auch die Angebote der Antragstellerin selbst fehlerhaft gewertet worden seien. Man mache deshalb die im Rügeschreiben vorgebrachten Kritikpunkte ausdrücklich zum Gegenstand des Nachprüfungsantrages.
Dies betreffe im Einzelnen, dass die Beigeladene keine den Anforderungen entsprechende Übernahmestelle angegeben habe. Die Angebote der Beigeladenen seien deshalb auszuschließen. Über Übernahmestellen, die die Anforderungen des Auftraggebers hinsichtlich des vollständigen Vorliegens aller öffentlich-rechtlichen Genehmigungen, ihrer Eignung für die Abfallart Papierabfälle, ihre Lage in einer maximalen Entfernung von 30 km, der geforderten Beschaffenheit und Ausstattung der Übernahmestelle, die auch der geforderten Beschaffenheit von Ausstattung der Übernahmestelle entsprechend den besonderen Anforderungen der Verpackungsrücknahmesysteme erfüllen, verfüge die Beigeladene nicht. Sie sei deshalb mangels technischer Leistungsfähigkeit nicht geeignet. Zudem weichen ihre Angebote von den Vorgaben der Vergabeunterlagen ab.
Die Antragstellerin besitze jedenfalls sichere Kenntnisse über die am Markt verfügbare Anlageninfrastruktur in den streitigen Losen. Danach sei auszuschließen, dass die Beigeladene allein oder unter Heranziehung von Nachunternehmen über die geforderte Übernahmestelle verfüge. Nach Kenntnis der Antragstellerin könne die Beigeladene die Vorgabe zur Gestellung einer Übernahmestelle auch nicht durch Inanspruchnahme eines Nachunternehmens erfüllt haben. Hierfür bedürfe es der Benennung eines entsprechenden Nachunternehmens nebst Eignungsleihe. Dies sei nach Kenntnis der Antragstellerin auszuschließen. Insbesondere sei zu bezweifeln, dass eine durch die Beigeladene benannte Übernahmestelle alle technischen und organisatorischen Vorgaben der Leistungsbeschreibung erfülle.
Sollte die Beigeladene nicht alle geforderten Unterlagen und Erklärungen zu den Übernahmestellen in ihrem Angebot vorgelegt haben, seien ihre Angebote auszuschließen.
Unabhängig von der fehlenden Eignung der Beigeladenen und der weiteren Mängel in deren Angeboten indiziere die Nichtbeantwortung der Rüge durch den Auftraggeber, dass eine ordnungsgemäße Preisprüfung nicht stattgefunden habe. Hierzu sei nochmals darauf hinzuweisen, dass die Antragstellerin ein sehr attraktives Angebot unterbreitet habe, was sich an der Grenze zu den Mindestkosten bewege. Es sei deshalb wirtschaftlich nicht plausibel, dass die Angebote der Beigeladenen günstiger gewesen sein können und gleichzeitig alle Vorgaben der Vergabeunterlagen hinreichend berücksichtigen.
Die Transportaufwendungen seien fehlerhaft berücksichtigt worden. Wegen der Akteneinsicht im Nachprüfungsverfahren zum Hauptauftrag gehe man davon aus, dass auch in diesem Interimsvergabeverfahren die Transportaufwendungen nicht anhand der tatsächlichen Wegstrecke für die Hin- und Rückfahrt, sondern fehlerhaft nur für die Hinfahrt berechnet worden sind.
Zur Nachprüfung durch die Vergabekammer werde auch gestellt, ob die Angebote der Beigeladenen durchweg die erforderlichen Preisangaben enthalten. Dabei würden die Vorgaben der 3. Bieterinformation zum Hauptvergabeverfahren auch im Interimsvergabeverfahren gelten und hätten bei der Angebotsgestaltung berücksichtigt werden müssen. Zudem müssten die Antworten auf die Bieterfragen der Antragstellerin, welche im Hauptvergabeverfahren gestellt worden seien, auch hier eingehalten werden.
Mit Beschluss vom 26. August 2024 wurde die Beigeladene zum Verfahren hinzugezogen.
Der Antragstellerin wurde am 26. August 2024 und der Beigeladenen am 27. August 2024 Akteneinsicht gewährt.
Mit Schriftsatz vom 28. August 2024 nahm der Auftraggeber zum Nachprüfungsantrag Stellung und beantragte, dass der Nachprüfungsantrag zurückgewiesen werde sowie, dass dem Auftraggeber gestattet werde, den Zuschlag nach Ablauf von zwei Wochen seit Bekanntgabe dieser Entscheidung gemäß § 169 Abs. 2 Satz 1 GWB zu erteilen.
Es handele sich bei dem streitigen Vergabeverfahren um eine Interimsvergabe. Das Vergabeverfahren über die Hauptleistungen stehe aktuell bei der Vergabekammer zur Überprüfung unter dem Aktenzeichen 1/SVK/017-24 an. Der im Hauptverfahren zu findende Auftragnehmer solle mit den Leistungen am 1. Oktober 2024 beginnen. Dies werde nicht möglich sein. Zum einen laufe das Vergabenachprüfungsverfahren noch und ein Termin zur mündlichen Verhandlung sei noch nicht bestimmt worden. Zum anderen müsse der Auftraggeber die zweiwöchige Wartefrist nach § 173 Abs. 1 Satz 2 GWB beachten. Schließlich benötige der Auftragnehmer nach Schätzung des Auftraggebers eine Vorlaufzeit von drei Wochen, um mit den Leistungen beginnen zu können.
Vor diesem Hintergrund führe der Auftraggeber derzeit das streitige Interimsvergabeverfahren durch. Es handele sich um ein Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb. Zur Angebotsabgabe seien alle geeigneten Unternehmen, die ein Angebot im Hauptverfahren abgegeben haben, aufgefordert worden. Hierfür soll eine feste Laufzeit von drei Monaten mit zwei Verlängerungsoptionen für den Auftraggeber von jeweils ebenfalls drei Monaten vereinbart werden.
Die Antragstellerin mache mit dem vorliegenden Nachprüfungsantrag im Wesentlichen die gleichen Beanstandungen wie im Hauptverfahren 1/SVK/017-24 geltend. Bereits in jenem Nachprüfungsverfahren habe der Auftraggeber nachgewiesen, dass die Beanstandungen unbegründet seien. Eine Entscheidung der Vergabekammer und des OLG Dresden stehe jedoch noch aus.
Der Auftraggeber müsse als Träger der öffentlichen Daseinsvorsorge wegen seiner gesetzlichen Verpflichtungen nach dem Gesetzgeber das In-Verkehr-Bringen, die Rücknahme und die hochwertige Verwertung von Verpackungen (VerpackG) dafür sorgen, dass die im Verbandsgebiet anfallenden Altpapiermengen auch ab dem 1. Oktober 2024 verwertet werden. Deshalb stelle der Auftraggeber einen Antrag auf Vorabgestattung des Zuschlags.
Hinsichtlich des Nachprüfungsantrags seien die erhobenen Beanstandungen der Antragstellerin unbegründet. Die gerügte Information nach § 134 GWB sei ausreichend. Der Preis sei das einzige Zuschlagskriterium. Die Information, wonach die Antragstellerin nicht das wirtschaftlichste Angebot abgegeben habe, sei vor diesem Hintergrund ausreichend. Das Vergabeverfahren sei geheim zu führen. Dem Auftraggeber sei es versagt, den Bietern Informationen über die Preisbildung anderer Bieter zukommen zu lassen. Die Antragstellerin sei nicht darüber zu informieren, ob sie beispielsweise bei dem zeitabhängigen oder dem mengenabhängigen Vergütungsanteil einen Nachteil gegenüber der Beigeladenen habe.
Bezüglich der Übernahmestellen habe der Auftraggeber die gleichen Anforderungen gestellt wie im Hauptverfahren. Die Eignungsprüfung sei im Interimsvergabeverfahren nochmals separat vorgenommen worden. Die Beigeladene habe im Rahmen der Interimsvergabe die gleiche Übernahmestelle angeboten wie im Hauptverfahren. In diesem habe man im Schriftsatz vom 22. August 2024 bereits vorgetragen, dass die Übernahmestelle der Beigeladenen alle Anforderungen erfüllt. Die von der Antragstellerin im hiesigen Nachprüfungsantrag auf Seite 9 zitierten Spiegelpunkte aus den Vergabeunterlagen erfüllen die von der Beigeladenen benannte Übernahmestelle vollständig. Hierzu verweise man auf den Sachvortrag im Hauptsacheverfahren 1/SVK/017-24. Der Auftraggeber habe sich entgegen der Auffassung der Antragstellerin aktuelle Nachweise der Beigeladenen auch nicht noch einmal vorlegen lassen müssen. Die Vergabestelle sei bereits in Besitz dieser Unterlagen. Dies treffe insbesondere im Hinblick auf die Nachweise zu den Übernahmestellen zu. Die von der Beigeladenen benannten Übernahmestellen seien dem Auftraggeber seit Jahren bekannt. Die Genehmigungen seien öffentlich einsehbar, und die Anlage erfülle alle Anforderungen.
Es habe kein Anlass bestanden, in eine vertiefte Preisprüfung einzutreten. Das Angebot der Beigeladenen sei nicht besonders niedrig. Es gebe keine auffälligen Preisbestandteile, die hätten aufgeklärt werden müssen. Vielmehr würden sich die Preise der Beigeladenen in jeder Hinsicht im erwartbaren Rahmen bewegen.
Hinsichtlich der Preiswertung habe sich im Hauptverfahren gezeigt, dass der Auftraggeber den Vergleichspreis bedauerlicherweise falsch berechnet habe. Dabei handele es sich um nur ganz geringfügige Abweichungen. Die Wertungsreihenfolge werde dadurch nicht verändert. Gleiches gelte auch für die Interimsvergabe. Auch hier habe der Auftraggeber den Vergleichspreis falsch berechnet. Die Neuberechnungen würden keine Änderungen in der Rangfolge ergeben. Die Vergleichspreise variieren um wenige Cent. Hierzu hat der Auftraggeber eine tabellarische Übersicht gefertigt, welche die Abweichungen darstellt. Diese seien als Anlage der Stellungnahme beigefügt.
Dem Antrag auf Vorabgestattung des Zuschlags sei stattzugeben.
Könne das Altpapier ab dem 1. Oktober 2024 nicht mehr verwertet werden, würde der Auftraggeber gegen seine gesetzlichen Verpflichtungen nach dem VerpackG verstoßen und es würden sich zudem erheblich nachteilige finanzielle Folgen für ihn einstellen. Diese Folgen würden im schlimmsten Fall nicht nur die blauen Tonnen betreffen, sondern auch die gelben Säcke und die Entsorgung von Altglas.
Zunächst sei hierbei zu berücksichtigen, dass die ausgeschriebene Verwertung des Altpapiers zu Erlösen für den Auftraggeber führe. Während die Sammlung, der Transport und die Verwertung beispielsweise vom Restabfall und anderen Abfallarten zu finanziellen Belastungen des Auftraggebers führen, sei die Verwertung des Altpapiers eine notwendige Geldquelle. Monatlich erlöse der Auftraggeber aus der Verwertung des Altpapiers für die beiden streitigen Lose ca. 250.000 EUR. Mit diesen Erlösen finanziere der Auftraggeber die Aufwendungen, die für die Sammlung, den Umschlag und den Transport des Altpapiers aufgegeben werden müssen. Ohne die Verwertungserlöse könne er seine Verpflichtungen gegenüber denjenigen Unternehmen, die das Altpapier einsammeln, nicht erfüllen. Die dargestellte drohende Liquiditätslücke habe erhebliche Auswirkungen auf die Aufgabenerfüllung durch den Auftraggeber. Dessen Wirtschaftsplanung erfolge ausschließlich auf Basis des Prinzips der Kostendeckung. Eine Quersubventionierung mit anderen Aufgabenbereichen des Zweckverbandes sei kommunalabgabenrechtlich verboten. Eine nachträgliche Anpassung des Wirtschaftsplanes und der Haushaltssatzung für das Jahr 2024 sei bis zum Jahresende nicht möglich. Gleiches gelte für die Gebühreneinnahmen des Auftraggebers. Die aktuelle Gebührensatzung sei durch die Verbandsversammlung beschlossen und durch die Landesdirektion Sachsen bestätigt worden und gelte bis zum 31. Dezember 2026.
Die Papiertonnen ("blaue Tonnen") würden nicht nur zur Sammlung des im Verbandsgebiet des Auftraggebers anfallenden Altpapiers dienen, sondern auch durch die dualen Systeme in Deutschland genutzt werden. Dies betreffe Verpackungen aus Pappe und Papier der Systembetreiber, die in den blauen Tonnen mit entsorgt würden. Diese Mitbenutzung sei durch das Verpackungsgesetz festgeschrieben und in Abstimmungsvereinbarungen des Auftraggebers mit allen dualen Systemen vertraglich fixiert. Für das Altpapier, welches der Auftraggeber für die dualen Systeme verwertet, habe er monatliche Zahlungen an die dualen Systeme zu erbringen. Der Anteil der Verwertungserlöse belaufe sich auf ca. 125.000 EUR pro Monat für die beiden streitgegenständlichen Lose. Diesen Betrag müsse er monatlich an insgesamt zehn duale Systeme auskehren. Diese finanzielle Verpflichtung bestünde nach den abgeschlossenen Verträgen auch dann, wenn die blauen Tonnen nicht geleert würden, das heißt, wenn der Auftraggeber keine Zahlung vom Verwerter des Papiers erhalte. Eine Stundung sei vertraglich nicht vorgesehen und auf unbestimmte Zeit auch nicht vertretbar. Alternativ zur Zahlung an die dualen Systeme müsste der Auftraggeber 50% der erfassten Papiermengen bereitstellen und an diese herausgeben. Dies sei praktisch undurchführbar. Wenn der Auftraggeber die Verwertungserlöse nicht an die dualen Systeme zahlen könne bzw. die Altpapiermengen nicht an diese herausgeben könne, bestünde letztlich keine andere Möglichkeit, als die Abstimmungsvereinbarung zu kündigen. Im Ergebnis werde dann auch die Entsorgung der gelben Säcke und des Altglases gefährdet. In letzter Konsequenz könnten dann zehn duale Systeme ihre gesetzliche Verpflichtung zur flächendeckenden Verpackungsentsorgung nicht mehr sicherstellen.
Hinsichtlich der Folgen für die Allgemeinheit sei auszuführen, dass die Sammlung, der Umschlag und die Verwertung des kommunalen Altpapiers Teil der öffentlichen Daseinsvorsorge sei und eine kommunale Pflichtaufgabe des Auftraggebers darstelle. Dieser sei gesetzlich verpflichtet, das anfallende Altpapier zu sammeln und zu verwerten. Es stehe nicht im Belieben des Auftraggebers, die Sammlung und Verwertung des Altpapiers ab dem 1. Oktober 2024 auszusetzen. Dieser gesetzlichen Verpflichtung müsse der Auftraggeber auch dann nachkommen, wenn sich zwei Unternehmen darum streiten, wer von ihnen einen kommunalen Auftrag erhalten solle. Diese gesetzliche Verpflichtung habe den Hintergrund, dass negative Folgen für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die Umwelt und den gesellschaftlichen Zusammenhalt als solchen vermieden werden sollen. Würden die blauen Tonnen nicht mehr geleert werden, käme es innerhalb von kürzester Zeit zu Ansammlungen von Papierabfällen im öffentlichen Straßenraum. Dies würde nicht nur das Stadtbild und die Lebensqualität der Bevölkerung beeinträchtigen, sondern vielmehr auch zu erheblichen Gefahren für die öffentliche Sicherheit führen. Das Papier sei leicht entzündlich. Unkontrolliert abgelagertes Altpapier stelle eine erhebliche Brandlast dar und habe bereits zu verheerenden Bränden geführt. Nicht geleerte bzw. überfüllte Papiertonnen verursachen Unfallgefahren. Dadurch würden Gehwege blockiert, Sturzgefahren verursacht und die Mobilität eingeschränkt. Nasses Altpapier sei rutschig und würde zwangsläufig zu Stürzen, insbesondere von älteren Menschen, führen. Schließlich biete unkontrolliert abgelagertes Altpapier einen idealen Nährboden für Schädlinge, wie Ratten, Mäuse und Insekten. Diese Tiere können Krankheiten verbreiten und Menschen und andere Tiere dadurch gefährden. Unkontrolliert abgelagertes, nasses Altpapier löse sich auf und es komme zu Schimmelbildung. Diese würde die Luftqualität verschlechtern und Atemwegserkrankungen wie Asthma oder Allergien verschlimmern können. Werde das Altpapier nass, z. B. durch Regenfälle, verrotte es innerhalb kurzer Zeit. Dabei komme es zur Freisetzung schädlicher Chemikalien und Druckfarben, welche in das Erdreich eindringen und das Grundwasser kontaminieren.
Die nachträgliche Beseitigung unkontrolliert abgelagerten Altpapiers sei in erheblichem Maße kostspieliger und komplexer als die reguläre Abholung. Diese Kosten müssten auf die Bevölkerung umgelegt werden. Nasses Altpapier werde durch keine Papierfabrik mehr angenommen. Ein wertvoller Rohstoff würde verloren gehen. Dann würde der Auftraggeber keine Erlöse aus dem Verkauf des Altpapiers mehr erlösen können und müsste das nasse Altpapier in einer Müllverbrennungsanlage für Kosten von 150 bis 200 EUR/t verbrennen lassen. Über Abfallgebühren würden die Bürger dann dreifach (keine Erlöse, zusätzliche Aufwendungen der Beräumung, Kosten der Verbrennung) belastet werden.
Eine Nichtleerung der blauen Tonne stelle somit nicht nur einen Verstoß gegen geltendes Recht dar, sondern würde auch zu einem Vertrauensverlust in die öffentliche Verwaltung führen. Erbringe die öffentliche Hand nicht mehr grundlegende Leistungen der öffentlichen Daseinsvorsorge, würden diese sich fragen, warum sie sich selbst an die geltenden abfallrechtlichen Normen halten sollen.
Demgegenüber wären die Folgen für die Antragstellerin gering. Die Antragstellerin würde lediglich für einen Zeitraum von maximal neun Monaten den von ihr erwarteten Gewinn verlieren. Es stünden sich ein finanzielles Interesse der Antragstellerin und die gesetzliche Verpflichtung zur Daseinsvorsorge des Auftraggebers gegenüber. Das Gewinninteresse der Antragstellerin müsse hinter die gesetzlichen Verpflichtungen und die Sicherheit der öffentlichen Daseinsvorsorge zurücktreten.
Hierbei sei ein besonderer Umstand zu beachten. Die Antragstellerin sei die bisherige Bestandsdienstleisterin in den streitigen Losen A und B. Sie habe die bestehenden Entsorgungsverträge gekündigt. Das Kalkül der Antragstellerin sei dabei gewesen, die dann notwendige Neuausschreibung des Auftraggebers zu gewinnen und dabei niedrige Verwertungserlöse durchsetzen zu können. Sie sei davon ausgegangen, dass nur sie selbst in der Lage sein würde, die notwendigen Übernahmestationen zu stellen. Dies gehe aus ihrem Vortrag in beiden Nachprüfungsverfahren hervor. Die gesamte Situation wäre nicht eingetreten, wenn die Antragstellerin die bestehenden Entsorgungsverträge nicht gekündigt, sondern fortgeführt hätte. Dies sei im Rahmen der Interessenabwägung mit zu berücksichtigen.
Zu beachten sei schließlich, dass der Auftraggeber die Vorabgestattung nur für die Interimsvergabe begehre und nicht für die Hauptvergabe. Der Anspruch auf Primärrechtsschutz für den Hauptvertrag bleibe bestehen.
Mit Schriftsatz vom 2. September 2024 nahm die Antragstellerin zum Antrag auf Vorabgestattung des Zuschlags sowie zur erhaltenen Akteneinsicht Stellung.
Sie beantragt,
dass der Antrag auf Gestattung des Zuschlags nach Ablauf von zwei Wochen seit Bekanntgabe dieser Entscheidung zurückgewiesen werde.
Bei der Entscheidung über den Vorabgestattungsantrag seien die Erfolgsaussichten des Nachprüfungsantrages zu berücksichtigen.
Der Nachprüfungsantrag sei zulässig und begründet. Das streitgegenständliche Interimsvergabeverfahren leide unter einer Vielzahl unterschiedlicher Vergaberechtsverstöße, weshalb die guten Erfolgsaussichten des Nachprüfungsantrages einer Vorabgestattung des Zuschlags entgegenstehen. Dies begründe sich sowohl hinsichtlich der ursprünglich erhobenen Rügen als auch weiterer, erst anhand des Inhalts der Vergabeakte erkennbarer Vergabefehler.
Die gesetzlichen Anforderungen an das Informationsschreiben nach § 134 GWB seien nicht vollständig erfüllt worden. Als einziges Zuschlagskriterium wurde hier ein Vergleichspreis aus unterschiedlichen Bestandteilen herangezogen. Für die Nachvollziehbarkeit des Wertungsergebnisses komme es entscheidend auf das relative Verhältnis der von den Beteiligten angebotenen Vergleichspreisbestandteile an.
Der Auftraggeber habe eine unzulässige individuelle Beantwortung von Bieterfragen durchgeführt. Dies habe man bereits im Rügeschreiben vom 19. August 2024 geltend gemacht. Mittlerweile habe sich die diesbezügliche Praxis des Auftraggebers als uneinheitlich erwiesen. Sie weiche im Hauptvergabeverfahren (1/SVK/017-24) und dem hier streitigen Interimsvergabeverfahren (1/SVK/022-24) voneinander ab. Dadurch seien beide Vergabeverfahren mit erheblichen Vergaberechtsverstößen belastet. Der Auftraggeber habe gegen seine Verpflichtung zur Transparenz und Gleichbehandlung der Bieter sowie gegen seine Verpflichtung verstoßen, den Bietern eine einheitliche Kalkulationsgrundlage zur Verfügung zu stellen und zu gewährleisten, dass die Angebote miteinander verglichen werden können. Dies deshalb, weil er seine Antworten auf gestellte Bieterfragen nicht allen Bietern gleichmäßig zur Verfügung gestellt habe.
Dies ergebe sich aus folgenden Umständen: Der Auftraggeber habe die Antragstellerin am 5. Juli 2024 zur Angebotsabgabe im Interimsvergabeverfahren aufgefordert. Er habe dabei darauf hingewiesen, dass im Hauptvergabeverfahren zwei allgemeine Bieterinformationen veröffentlicht worden seien und diese zu beachten seien. Mit Nachricht vom 15. Juli 2024 habe er gegenüber der Antragstellerin ausgedrückt, dass alle den Bietern im Hauptvergabeverfahren zur Verfügung gestellten Informationen auch im Interimsvergabeverfahren berücksichtigt und angewandt werden sollen. Daher sei die Antragstellerin davon ausgegangen, dass die Vergabeunterlagen des Interimsvergabeverfahrens gegenüber denen des Hauptvergabeverfahrens gleich verstanden werden sollten (mit Ausnahme der ausdrücklich ersichtlichen Abweichungen). Davon seien sicherlich auch alle anderen Bieter ausgegangen.
Nunmehr ergebe sich jedoch Folgendes:
Im Hauptvergabeverfahren habe der Auftraggeber am 15. Februar 2024 und 16. Februar 2024 zwei Bieterfragen eines unbekannten Bieters erhalten. Diese Fragen seien relativ komplex gewesen. Sie beträfen das Verständnis von § 9 der Vertragsbedingungen und eine dazu vorgelegte Beispielsrechnung zur Ermittlung des Vergütungsbetrags. Die andere Frage vom 16. Februar 2024 habe das Verständnis von § 10 der Vertragsbedingungen und einen Vorschlag des Bieters zur Handhabung der Entgeltabrechnung betroffen. Diese beiden Bieterfragen habe der Auftraggeber lang beantwortet und dabei umfangreiche Erläuterungen zur Entgeltabrechnung, Preisanpassung und Vergütungsabrechnung angestellt. Beide Antworten habe der Auftraggeber nur individuell dem Fragesteller, aber nicht der Antragstellerin, zur Verfügung gestellt.
Im Hauptvergabeverfahren habe die Antragstellerin am 11. März 2024 eine Bieterfrage gestellt, die die Zulässigkeit einer Verrechnung einer etwaigen von einer Papierfabrik gezahlten Vergütung mit dem angebotenen Entgeltbetrag. In seiner Antwort vom 12. März 2024 erläuterte der Antragsgegner die Anforderungen an das Entgeltangebot und sein Verständnis der Entgeltabrechnung. Diese Antwort habe der Auftraggeber nur individuell der Antragstellerin, aber nicht anderen Bietern zur Verfügung gestellt.
Im Interimsvergabeverfahren habe die Antragstellerin am 12. Juli 2024 vier Bieterfragen gestellt. Die Fragen beträfen Erläuterungen zu den Abweichungen der Vergabeunterlagen des Interimsvergabeverfahrens zum Hauptvergabeverfahren, das Verständnis von § 3 Abs. 2 und § 5 Abs. 2 der Vertragsbedingungen und die Eignungsprüfung im Interimsvergabeverfahren. Der Auftraggeber habe die Bieterfragen am 15. Juli 2024 umfangreich beantwortet. Dabei habe er nur die Antwort zur Frage 3 allen Bietern zur Verfügung gestellt und die Antworten zu den Fragen 1, 2 und 4 nur individuell der Antragstellerin übermittelt.
Die Antragstellerin sei dadurch diskriminiert worden, dass ihr im Hauptvergabeverfahren die Antworten auf die Bieterfragen eines unbekannten Bieters vom 16. und 20. Februar 2024 vorenthalten worden. Der unbekannte Bieter verfüge über überlegenes Wissen vom Verständnis der Vertragsbedingungen und hinsichtlich der Entgeltabrechnung. Dieses Wissen habe nur der unbekannte Fragesteller verwerten können. Die Antragstellerin hätte sicher ein anderes Angebot abgegeben, wenn sie diese Information ebenfalls erhalten hätte.
Die Beigeladene hat keine oben genannten Antworten erhalten. Sie habe diese daher auch in ihrer Angebotskalkulation nicht berücksichtigt. Die Informationen hätten jedoch unzweifelhaft Kalkulationsrelevanz. Dies sei für die Antworten des Auftraggebers an den unbekannten Bieter am 16. und 20. Februar 2024 offensichtlich. Das Verständnis der Vertragsbedingungen und die Handhabung der Entgelt- und Vergütungsabrechnung sei für jeden Bieter kalkulationsrelevant. Auch die Antworten des Auftraggebers an die Antragstellerin vom 12. März 2023 seien kalkulationsrelevant. Bei der Beantwortung sei es auch nicht nur um eine bloße Bestätigung gegangen, wonach Mischkalkulationen im vergaberechtlichen Sinne nicht zulässig seien, sondern darüberhinausgehend auf darum, ob ein von einer Papierfabrik vergütetes Entgelt mit dem im Vergabeverfahren angebotenen Entgelt verrechnet werden dürfe. Die verneinende Antwort des Antragsgegners sei für alle Bieter von Bedeutung.
Dasselbe gelte für die Beantwortung der Fragen 1, 2 und 4 der Antragstellerin durch den Auftraggeber am 15. Juli 2024. Insbesondere bei der Frage Nr. 2 sei es um die Vermeidung eines drohenden Missverständnisses im Hinblick auf vorgenommene Änderungen der Vertragsbedingungen im Interimsvergabeverfahren gegenüber dem Hauptvergabeverfahren gegangen. Die Streichung der Vertragsregelung in § 3 Abs. 2 der Vertragsbedingungen hätte je nach Verständnis zu unterschiedlichen Kalkulationen geführt, denn der Umfang der vertraglichen Haftung sei ein wesentlicher Kalkulationsfaktor. In Kenntnis der Antwort des Auftraggebers habe ein Bieter sich nur spekulativ für eine von zwei möglichen Auslegungsvarianten entscheiden können. Eine einheitliche Kalkulationsgrundlage sei so nicht gewährleistet.
Durch die individuelle Beantwortung sei der Vergabewettbewerb verzerrt worden. Auch eine Bestätigung des Inhalts der Vergabeunterlagen habe klarstellenden Charakter und müsse deshalb allen Bietern als Antwort zur Verfügung gestellt werden. Ein für Bieterfragen anerkannter Ausnahmefall, in dem die Antwort nur individuell erfolgt, läge hier nicht vor.
Aus der Akteneinsicht habe sich nunmehr ergeben, dass der Auftraggeber keine Eignungsunterlagen angefordert habe und eine unvollständige Eignungsprüfung durchgeführt habe. Eine schlichte Eignungsunterstellung sei gesetzlich nicht vorgesehen und rechtswidrig. Soweit der Auftraggeber diesbezüglich auf § 50 Abs. 3 Nr. 2 VgV verweise, erlaube diese Vorschrift nur den Verzicht auf die Anforderungen bestimmter Unterlagen, soweit der Bieter im laufenden Vergabeverfahren bereits eine aktuelle einheitliche europäische Eigenerklärung vorgelegt habe und soweit die Vergabestelle im Besitz der betreffenden Unterlagen sei. Die Beigeladene habe keine einheitliche europäische Eigenerklärung vorgelegt, noch sei der Auftraggeber in Besitz von Eignungsnachweisen für dieses Interimsvergabeverfahren. Die anderen vom Auftraggeber im Vergabevermerk auf Seite 7 aufgeführten Gründe seien nicht überprüfbar. Es handele sich um pauschale Lehrformeln. Eine Dokumentation der Eignungsprüfung sei nicht vorhanden.
Darüber hinaus wären andere Unterlagen, welche die Beigeladene dem Auftraggeber im Hauptvergabeverfahren übermittelt habe, mittlerweile fast ein halbes Jahr alt. Sie seien damit nicht mehr aktuell und dürften zur Eignungsprüfung nicht mehr verwendet werden. Dies gelte insbesondere für die Verpflichtungserklärung eines Eignungsverleihers. Der Interimsauftrag habe eine sehr viel kürzere Auftragsdauer. Bei einer wirtschaftlichen Betrachtung läge es nahe, dass der Eignungsverleiher seine Kapazitäten der Beigeladenen nicht "automatisch" zur Verfügung stelle.
Die Akteneinsicht bestätige, dass die Beigeladene keine den Anforderungen entsprechende Übernahmestelle vorhalte. Weder die Antragserwiderung noch die Akteneinsicht würden darauf schließen lassen, dass die von der Beigeladenen benannte Übernahmestelle die erforderliche Kapazität aufweise. Aus der Akteneinsicht gehe nicht hervor, um welche Anlage es sich konkret handele und mit welchen Kapazitäten die Anlage ausgestattet sei. Hierbei sei hauptsächlich zu berücksichtigen, dass es um Papierabfälle aus den Losen A und B gehe. Zudem hätte geprüft werden müssen, dass die Kapazität der Übernahmestelle der Beigeladenen auch wirklich frei sei und diesbezüglich nicht nur auf die insgesamt genehmigte Anlagenkapazität abgestellt werden dürfe.
Die von der Beigeladenen benannten Übernahmestellen verfügten nicht über die erforderlichen Genehmigungen. Weder aus der Antragserwiderung noch der Akteneinsicht lasse sich dies schließen.
Die Beigeladene verfüge nicht über eine hinreichende Ersatzübernahmestelle. Diese müsste die Übernahmestelle in vollem Umfang ersetzen und dürfte ihrerseits nicht unter Kapazitäts- und Genehmigungsdefiziten leiden. Hierzu habe der Auftraggeber nichts vorgetragen. Er habe das Angebot der Beigeladenen offensichtlich nicht hinreichend geprüft.
Eine hinreichende Preisprüfung habe nicht stattgefunden. Die Vergabeakte enthalte keinerlei Erwägungen über die Angemessenheit des von der Beigeladenen angebotenen Vergleichspreises und seiner Bestandteile. Sein Ermessen hinsichtlich der Durchführung einer Preisaufklärung habe der Auftraggeber daher von vornherein nicht gebraucht. Dies belege den Ermessensausfall.
Selbst wenn der Auftraggeber in irgendeiner Form eine Preisaufklärung durchgeführt hätte, hätte er nicht lediglich den Vergleichspreis aufklären dürfen, sondern dessen Preisbestandteile (Entgelt und Vergütung) in die Preisprüfung einbeziehen müssen. Die Verpflichtung zur Preisprüfung werde bereits dann ausgelöst, wenn nur einer der drei Werte (Entgelt, Vergütung und Vergleichspreis) die Aufgreifschwelle berührt hätte.
Der Auftraggeber habe die Transportaufwendungen fehlerhaft ermittelt. Hierzu habe man bereits im Hauptvergabeverfahren entsprechende Rechenfehler des Auftraggebers geltend gemacht und dieser solche auch eingeräumt. Gleiches gelte für das Interimsvergabeverfahren. Dies führe im Ergebnis auch zu einer fehlerhaften Ermittlung des Vergleichspreises.
Eine Vorabgestattung des Zuschlages komme hier nicht in Betracht. Der diesbezügliche Antrag des Auftraggebers sei ebenfalls unbegründet. Das Rechtsschutzinteresse der Antragstellerin überwiege deutlich gegenläufigen Interessen des Auftraggebers. Beim hierfür anzuwendenden Beurteilungsmaßstab sei darauf hinzuweisen, dass in aller Regel eine Vorabgestattung zu versagen sei, denn das Zuschlagsverbot habe grundsätzlich Vorrang, während die Interessen des Auftraggebers und der Allgemeinheit keinen grundsätzlichen Vorrang gegenüber dem Rechtsschutzinteresse der Antragstellerin genießen. Die Vorabgestattung sei nur in dringenden Ausnahmefällen möglich, wenn für die Aufhebung des Zuschlagsverbots streitende Interessen das Interesse der Antragstellerin an effektivem Rechtsschutz erheblich und deutlich überwiegen. Die Erfolgsaussichten des Nachprüfungsantrages seien nach Maßgabe des § 169 Abs. 2 Satz 5 GWB in die Interessenabwägung einzustellen.
Da der Nachprüfungsantrag hohe Erfolgsaussichten habe, komme eine vorzeitige Zuschlagserteilung nicht in Betracht. Hierzu sei nochmals auszuführen, dass das VorabInformationsschreiben vom 15. August 2024 nicht die gesetzlichen Mindestanforderungen erfüllt. Der Auftraggeber habe das Vergabeverfahren intransparent und diskriminierend geführt, indem er die überwiegende Zahl der Bieterfragen willkürlich nur individuell beantwortet habe, obwohl der Inhalt seiner Antworten kalkulationsrelevant sei. Er habe dadurch die Antragstellerin diskriminiert und dafür gesorgt, dass jeder Bieter von einer unterschiedlichen Kalkulationsgrundlage ausgegangen sei. Die Angebote seien einer vergleichenden Wertung nicht mehr zugänglich. Der Auftraggeber habe keine ordnungsgemäße Eignungsprüfung durchgeführt und unterstellt hier die Eignung der Beigeladenen ohne genauere Prüfung. Die Beigeladene verfüge über keine den Vorgaben der Leistungsbeschreibung entsprechende Übernahmestelle und auch über keine geeignete Ersatzübernahmestelle. Der Auftraggeber habe auch den Vergleichspreis fehlerhaft berechnet. Soweit der Auftraggeber vortrage, dass dem Antrag auf Vorabgestattung stattzugeben sei, weil die nachteiligen Folgen einer Verzögerung der Vergabe das Interesse der Antragstellerin an einem wirksamen Vergaberechtsschutz überwiegen, sei dem nicht zu folgen. Diesbezüglich stelle der Auftraggeber seinen Vortrag hinsichtlich der möglicherweise geschädigten öffentlichen Interessen vornehmlich auf eine angebliche Verletzung eigener Verpflichtungen nach dem Verpackungsgesetz. Dies sei nicht nachvollziehbar. Die diesbezüglichen Ausführungen seien nicht substantiiert dargelegt worden. Welche konkreten nachteiligen Folgen eine verzögerte Zuschlagserteilung habe, mache er nicht geltend. Entsprechende vertragliche Regelungen, wonach der Auftraggeber Erlöse erziele und auf diese verzichten müsste, wenn die Altpapierverwertung unterbrochen werde, lege er nicht offen. Die Erlösausfälle seien jedenfalls begrenzt.
Hinsichtlich der Folgen für die Allgemeinheit belege der Auftraggeber seine dargestellten Szenarien nicht. Er vernachlässige auch völlig, dass es bei der Vergabe der streitigen Leistung an einen ungeeigneten Auftragnehmer durchaus zu einem längeren Ausfall der Leistungen kommen könne. Das hiesige Nachprüfungsverfahren betreffend die Interimsvergabe werde bis zum 26. September 2024 andauern. Bis dahin sei die Verwertung des Altpapiers gesichert. Danach schließe sich ein maximaler Übergangszeitraum von maximal vier Wochen an. Das Zuschlagsverbot würde demnach, sollte die Antragstellerin unterliegen, noch im Oktober entfallen. Würde die Antragstellerin Erfolg haben, wäre die Fortdauer des Zuschlagsverbotes notwendig und angemessen.
Unhaltbare Zustände würden innerhalb eines Zeitraumes von vier Wochen nicht eintreten. Der Auftraggeber habe nicht dargelegt, dass er über "Pufferkapazitäten" zur Lagerung der Altpapiersammelmenge verfüge. Durch entsprechende Maßnahmen der Öffentlichkeitsarbeit könne sichergestellt werden, dass die blauen Tonnen nicht zum Abholtermin an den Straßenrand gestellt würden. Unlösbare Probleme würden dadurch nicht entstehen. Eine Beeinträchtigung für einen derart kurzen Zeitraum könne jedenfalls nicht eine Verkürzung des Primärrechtsschutzes rechtfertigen.
Zu Einnahmeausfällen des Auftraggebers würde es nicht kommen. Das Altpapier würde mit Verzögerung in den sich anschließenden späteren Zeitpunkt abgeholt werden und könnte dann der Verwertung zugeführt werden. Eine drohende Kostenmehrbelastung des Auftraggebers würde ohnehin keine Vorabgestattung des Zuschlags rechtfertigen.
Eine über mehrere Monate sich hinziehende Verzögerung der Verwertung des Altpapiers sei unrealistisch. Das Beschwerdegericht könnte bei einem Rechtsmittel ohne weiteres die Möglichkeit ergreifen, den Antrag auf Verlängerung der aufschiebenden Wirkung der Beschwerde abzulehnen.
Schließlich sei darauf hinzuweisen, dass durch die vorzeitige Auftragserteilung an ein ungeeignetes und nicht leistungsfähiges Unternehmen wesentlich schwerwiegendere negative Beeinträchtigungen des Wohls der Allgemeinheit eintreten. Dies sei hier mit Blick auf die Beigeladene ein realistisches Szenario.
Im Hinblick auf die Interessen der Antragstellerin sei zu berücksichtigen, dass durch eine vorzeitige Zuschlagsgestattung hier verfassungsrechtlich und vergabegesetzlich verbürgtes Recht auf effektiven Primärrechtsschutz vereitelt werden würde. Ihr Angebot liegt in der Wertung auf Rang 2. Sie habe ein gewichtiges Interesse am Erhalt des Auftrags.
Zusätzlich sei zu berücksichtigen, dass die Zeit zwischen der Rüge am 19. August 2024 und dem beabsichtigten Auftragsbeginn zur Korrektur der gerügten Vergaberechtsverstöße ausgereicht hätte. Der Auftraggeber hätte allen Rügen der Antragstellerin abhelfen können.
Der Auftraggeber trage die alleinige Verantwortung für eine etwaige Verzögerung des Auftragsbeginns. Die angesprochene Kündigung des Bestandsvertrages durch die Antragstellerin sei bereits am 15. Juni 2022 ausgesprochen worden. Dennoch habe der Auftraggeber das Hauptvergabeverfahren über den Anschlussauftrag erst am 13. Februar 2024 bekannt gemacht. Damit entfalle sein Schutzbedürfnis. Die Antragstellerin habe allgemeine Zuschlagsaussichten. Ihr Angebot läge auf Rang 2 und das Angebot der Beigeladenen sei nicht zuschlagsfähig.
Man beantrage ergänzende Akteneinsicht. Die zur Verfügung gestellten Akten seien in hohem Umfang geschwärzt. Dies gelte insbesondere für die Korrespondenz zwischen Auftraggeber und der Beigeladenen sowie das mit der Beigeladenen geführte Verhandlungsgespräch.
Vom Auftraggeber wurde am 4. September 2024 mitgeteilt, dass die individuell beantworteten Bieterfragen keinerlei Kalkulationsrelevanz hätten. Es sei auszuschließen, dass die Antragstellerin in Kenntnis der Antworten ein anderes Angebot abgegeben hätte.
Hinsichtlich der Frage eines unbekannten Bieters zum Rechenweg bezüglich der monatlichen Anpassung der mengenabhängigen Vergütung habe man diesem lediglich bestätigt, dass sein Rechenweg zutreffend sei. Gleiches gelte für die Frage nach den Stichtagen der Entgeltabrechnung. Zu diesen seien klare Vorgaben in den Vergabeunterlagen enthalten, welche man bestätigt habe. Es habe keine Änderung der Vertragsunterlagen oder der Kalkulationsgrundlage gegeben. Bezüglich der Frage zur Abrechnung sei die Antwort, dass dafür die im Angebot abgefragten Preispositionen maßgeblich seien, eine Selbstverständlichkeit. Schließlich habe die Beschreibung der Gründe, warum man die Vergabeunterlagen geändert habe, nichts mit der inhaltlichen Klarheit der Vergabeunterlagen zu tun.
Unabhängig davon sei darauf hinzuweisen, dass die Bieterfragen zum Hauptauftrag teils von einem unbekannten Bieter stammen, der sich gar nicht am Interimsvergabeverfahren beteiligt habe und die anderen Fragen von der Antragstellerin selbst stammen würden. Welchen Nachteil und subjektive Rechtsverletzung die Antragstellerin durch die teils nur individuelle Beantwortung der Fragen erlitten haben soll, sei nicht ersichtlich.
Die Beigeladene sei geeignet.
Eine Ersatzübernahmestelle sei im Angebot weder zu benennen noch im Vertragszeitraum vorzuhalten. Hierzu seien die Vorgaben in den Vergabeunterlagen eindeutig. Nur bei (einer späteren) Abweichungen vom Regelbetrieb sehe die Leistungsbeschreibung eine Verpflichtung zur Benennung einer Ersatzübernahmestelle vor. Auch die Antragstellerin habe in ihrem Angebot keine Ersatzübernahmestelle benannt.
Die Berechnung der Transportaufwendungen sei in den Vergabeunterlagen klar vorgegeben gewesen. Man habe sogar eine Beispielsrechnung beigefügt.
Die Beigeladene nahm nicht zum Eilantrag auf Gestattung der vorzeitigen Zuschlagserteilung Stellung.
Die Vergabekammer entschied mit Beschluss vom 9. September 2024, dass es dem Auftraggeber gestattet wird, den Zuschlag zu erteilen (1/SVK/022-24G).
Von der Beigeladenen wurde mit Schriftsatz vom 12. September 2024 mitgeteilt, dass sich ihre Übernahmestelle im vorgeschriebenen Umkreis von 30 km befinde, die genehmigte Kapazität und Betriebszeiten ausreichend seien und die Genehmigung inhaltlich sich auf die einschlägige Abfallart Papier und Pappe beziehe. Man beantrage deshalb, dass der Nachprüfungsantrag zurückgewiesen werde und die Antragstellerin die Kosten zu tragen habe sowie festgestellt werde, dass die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts durch die Beigeladene notwendig war.
Mit Schriftsatz vom 18. Oktober 2024 trug die Antragstellerin vor, dass das Vergabeverfahren zum Interimsauftrag unter mehreren Vergaberechtsverstößen leiden.
Der Auftraggeber habe in unzulässiger Weise Bieterfragen nur individuell beantwortet. Dies sei vom Sachverhalt her nunmehr unstreitig. Im Hauptvergabeverfahren (1/SVK/017-24) betreffe dies zwei Bieterfragen eines unbekannten Bieters und eine Bieterfrage der Antragstellerin. Im hier streitigen Interimsvergabeverfahren seien drei Bieterfragen der Antragstellerin nur individuell ihr gegenüber beantwortet worden.
Dabei müsse berücksichtigt werden, dass der Auftraggeber die gleichen Bewerbungsbedingungen zur Grundlage des Haupt- und Interimsvergabeverfahrens gemacht habe. Im Interimsvergabeverfahren (1/SVK/022-24) habe er auf die Unterlagen des offenen Verfahrens zum Hauptauftrag (1/SVK/017-24) und insbesondere die beiden Bieterinformationen verwiesen. Das durch die ungleichmäßige Beantwortung von Bieterfragen verursachte uneinheitliche Verständnis der Bieter von den Bewerbungsbedingungen habe sich somit jeweils im Haupt- und Interimsvergabeverfahren gleichmäßig ausgewirkt.
An die Beantwortung von Bieterfragen lege die Rechtsprechung inklusive der erkennenden Kammer einen strengen Maßstab an. Demnach müssten Bieterfragen und Antworten allen Bietern zeitgleich in demselben Umfang bekannt gemacht werden. Dies gelte immer dann, wenn dadurch zusätzliche sachdienliche Auskünfte gegeben werden. Dieser Begriff sei weit auszulegen. Sachdienlich seien demnach Auskünfte schon dann, wenn sie objektiv mit der Sache zu tun haben und Missverständnisse ausräumen oder Verständnisfragen zu den Vergabeunterlagen beantworten und ihre Relevanz für die Angebotserstellung nicht gänzlich auszuschließen sei. Die Einschätzung, ob eine zusätzlich erteilte Auskunft relevant sei oder nicht, obliege dem Bieter. Nur Fragen, deren Beantwortung sich in bloßen Wiederholungen von ohnehin bekannten und zweifelsfrei transparenten Vorgaben erschöpfe, dürfen die Schwelle zur Auskunft oder zur Zusatzinformation nicht überschreiten.
Vorliegend hätten alle Antworten objektiv mit der Sache - nämlich mit den Bedingungen, unter denen die Bieter im Haupt- und Interimsvergabeverfahren Angebote abgeben konnten - zu tun. Alle Antworten seien geeignet gewesen, drohende Missverständnisse auszuräumen. Auch lediglich bestätigende Antworten seien geeignet, zu einem einheitlich gesicherten Verständnis der Vergabeunterlagen beizutragen. Denn die Bestätigung des Inhalts der Vergabeunterlagen habe klarstellenden Charakter. Die Relevanz für die Angebotserstellung sei hier nicht gänzlich auszuschließen.
Die Information des Auftraggebers an den unbekannten Bieter im Hauptvergabeverfahren (1/SVK/017-24) bezüglich der Bieterfragen vom 16. Februar 2024 und 20. Februar 2024 hätten das Verständnis der Vertragsbedingungen und die Handhabung der Entgelt- und Vergütungsabrechnung erleichtert. Sie sei geeignet gewesen, Missverständnisse zu beseitigen oder ihnen vorzubeugen. Die Antragstellerin hätte die Bestätigung der Beispielsrechnung samt Klarstellung zum Verständnis von § 9 der Vertragsbedingungen auch in ihrer eigenen Angebotskalkulation berücksichtigt, wenn sie diese Informationen gekannt hätte. Gleiches gelte für die umfangreiche Klarstellung vom 20. Februar 2024 zu § 10 der Vertragsbedingungen. Hätte der unbekannte Bieter sich weiter am Vergabeverfahren beteiligt, hätte er im Haupt- und im Interimsvergabeverfahren über überlegenes Wissen hinsichtlich des Verständnisses der Vertragsbedingungen sowie der Entgeltabrechnung, Preisanpassung und Vergütungsabrechnung verfügt. An der Vergaberechtswidrigkeit ändere sich nichts, nur, weil der unbekannte Bieter sich gegen eine Beteiligung an den beiden streitigen Losen entschieden habe. Zwar hätten die verbliebenen Bieter keine Benachteiligung durch einen Wissensnachteil unmittelbar gegenüber dem unbekannten Bieter erfahren. Gleichwohl würden die individuell übermittelten Informationen verbindliche Vorgaben für das Vergabeverfahren machen, welche der Auftraggeber bei der Angebotsprüfung und - Wertung auch weiterhin angewandt habe. Die dem unbekannten Bieter mitgeteilten Informationen galten daher auch für das Angebot der Antragstellerin, ohne dass diese davon wissen konnte. Dadurch sei nicht nur das Wettbewerbsverhältnis der Antragstellerin zum unbekannten Bieter betroffen, sondern auch zur Beigeladenen. Durch das Vorhalten der Information sei es der Antragstellerin verwehrt, diese Information bei ihrer Kalkulation zu berücksichtigen. Es sei weder auszuschließen, dass die Antragstellerin ein anderes Angebot abgegeben hätte, wenn sie diese Information ebenfalls erhalten hätte, noch, dass die Beigeladene in diesem Fall ein anderes Angebot abgegeben hätte. Insbesondere sei nicht auszuschließen, dass die Beigeladene in beiden Vergabeverfahren schärfer kalkuliert habe, weil sie in Unkenntnis der verbindlichen Antworten des Auftraggebers auf die Bieterfragen des unbekannten Bieters vom 16. und 20. Februar 2024 anbieten habe können.
Das Gleiche gelte für die Beantwortung der Frage der Antragstellerin im Hauptvergabeverfahren vom 12. März 2024. Die Kalkulationsrelevanz dieser Bieterinformation ergebe sich daraus, dass im Bereich der Altpapierverwertung, in dem Verrechnungen zwischen unterschiedlichen Kosten- und Erlöspositionen naheliegen, die Neigung der Marktteilnehmer erfahrungsgemäß hoch ist, solche Verrechnungen auch bei der Angebotslegung im öffentlichen Vergabeverfahren vorzunehmen. Nicht allen Bietern sei der hierfür geltende rechtliche Rahmen bekannt. Dies wisse auch der Auftraggeber. In der Antwort auf die Bieterfrage der Antragstellerin vom 12. März 2024 habe er eine Verrechnung ausdrücklich ausgeschlossen. Dies sei für die Kalkulation der Bieter unmittelbar von Bedeutung und wichtig. Dabei gehe es auch nicht um Auf- bzw. Abpreisungen bestimmter Preis- oder Kostenpositionen, sondern darum, ob ein von einer Papierfabrik (das heißt einem Dritten) dem Bieter vergütetes Entgelt mit dem im Vergabeverfahren angebotenen Entgelt verrechnet werden dürfe. Die verneinende Antwort des Auftraggebers hierauf sei marktrelevant gewesen und habe unzweifelhaft Bedeutung für alle Bieter gehabt.
Die Beigeladene habe von der Antwort keine Kenntnis gehabt. Es sei daher nicht auszuschließen, dass die durch die Bieterfrage vorgegebene Zuordnung von Kostenzu Leistungspositionen ihrem Angebot nicht zugrunde gelegt habe und Transportkosten mit einem von Dritten vergüteten Entgelt saldiert habe. Dadurch habe sie niedriger kalkulieren können. Hätte sie die Antwort zur Kenntnis genommen, wäre ihre Kalkulation anders ausgefallen und das Angebot der Antragstellerin hätte in der Preiswertung vorne gelegen.
Gleiches gelte schließlich für die Beantwortung der Fragen Nr. 1, 2 und 4 der Antragstellerin im hier streitigen Interimsvergabeverfahren(1/SVK/022-24). Insbesondere bei Frage 2 sei es um die Vermeidung eines naheliegenden Missverständnisses im Hinblick auf eine durch den Auftraggeber vorgenommene Veränderung der Vertragsbedingungen im Interimsvergabeverfahren gegenüber dem Hauptvergabeverfahren gegangen. In § 3 Abs. 2 der Vertragsbedingungen sei eine Passage gestrichen worden, wonach der Auftragnehmer die erforderlichen technischen Einrichtungen in eigener Verantwortung zu stellen habe. Diese Änderung hätte leicht so verstanden werden können, dass der Auftragnehmer nicht mehr selbst in der vertraglichen Verantwortung gegenüber dem Auftraggeber verbleiben solle. Ein solches Verständnis läge vorwiegend deshalb nahe, weil nicht ohne Grund Veränderungen an den Vergabeunterlagen vorgenommen werden. Wäre dieses Verständnis zutreffend gewesen, hätte sich die vertragliche Haftung des Bieters verringert und dies als wesentlicher Kalkulationsfaktor Auswirkungen auf die Angebotshöhe gehabt. Je nachdem, welches Verständnis der Vergabeunterlagen zutraf, hätten die Bieter ihre Kalkulation danach unterschiedlich ausrichten müssen. In der Antwort habe der Auftraggeber mitgeteilt, warum er die Vertragsregelung geändert habe und das gewollte Anwendungsverständnis klargestellt, indem er gegenüber der Antragstellerin individuell eine abweichende Auslegung der Regelung verneint habe. Dies sei kalkulationsrelevant gewesen. In Unkenntnis der Antwort hätte ein Bieter sich nur spekulativ für die eine oder andere Auslegungsvariante entscheiden können. Damit sei es vom Zufall abhängig, ob alle Bieter einheitlich von demselben Verständnis der Vergabeunterlagen ausgehen würden. Die Beigeladene habe die Information bei ihrer Angebotskalkulation nicht berücksichtigt. Es sei nicht auszuschließen, dass sie deswegen günstiger kalkuliert und hierdurch einen Vorteil im Vergabewettbewerb erlangt habe.
Zusammenfassend lasse sich feststellen, dass ein Ausnahmefall, in dem die individuelle Beantwortung von Bieterfragen ausnahmsweise zulässig gewesen wäre, hier nicht vorliegt.
Die Beigeladene habe in ihrem Angebot für beide streitigen Lose die Übernahmestelle des Nachunternehmens N unter der Anschrift ... angeboten. Diese Übernahmestelle erfülle in mehrfacher Hinsicht nicht die Anforderungen der Leistungsbeschreibung. Man halte insoweit an der Rüge der fehlenden Wertungsfähigkeit des Angebotes der Beigeladenen unter dem Gesichtspunkt einer mangelnden technischen Leistungsfähigkeit sowie einer unzulässigen Änderung der Vergabeunterlagen fest. Zunächst sei hierzu auszuführen, dass die Übernahmestelle der Beigeladenen nicht über die in der Leistungsbeschreibung geforderten genehmigten Öffnungszeiten für die Anlieferung bzw. Abholung des gesammelten Abfalls verfüge. In der Leistungsbeschreibung seien diesbezüglich konkrete Vorgaben zu den Öffnungszeiten vorgegeben gewesen. Aus der Akteneinsicht habe sich nicht ergeben, dass der Auftraggeber dies überhaupt geprüft hätte. Allein das Unterlassen dieser Prüfung sei schon vergaberechtswidrig. Soweit hierzu vom Auftraggeber zu den genehmigten Öffnungszeiten vorgetragen werde, sei dies nicht relevant, denn diese würden nichts über die tatsächliche vollständige Öffnung der Übernahmestelle für die Anlieferung und die Abholung mittels LKW-Verkehr aussagen. Die von der Beigeladenen benannte Übernahmestelle habe einen Internetauftritt, aus dem sich ergebe, dass die Übernahmestelle von Montag bis Freitag nur in der Zeit von 7:00 bis 16:00 Uhr geöffnet sei, und samstags geschlossen habe. Vor diesem Hintergrund sei davon auszugehen, dass die Genehmigung der Übernahmestelle eine Anlieferung und Abholung im durch die Leistungsbeschreibung vorgegebenen Umfang nicht umfasse. Darüber hinaus sei zu berücksichtigen, dass die Übernahmestelle zu den in der Leistungsbeschreibung genannten Zeiten auch tatsächlich geöffnet sei.
Die Übernahmestelle der Beigeladenen verfüge zudem nicht über die in der Leistungsbeschreibung geforderte Möglichkeit zur trocknen Lagerung des Altpapiermengenanteils, der für die dualen Systeme bereitzustellen sei. Hierzu werde in Ziffer 9 d der Leistungsbeschreibung verlangt, dass die Papierabfälle trocken zu lagern seien.
Hintergrund hierfür sei, dass der Auftraggeber verantwortlich dafür sei, den Altpapiermengenanteil des dualen Systems trocken zu lagern. Dies setze voraus, dass der Transport, das Abkippen, die Lagerung und die Wiederverladung an der Übernahmestelle unter trockenen Bedingungen stattfinden müsse. Dies sei nur mit einer entsprechend dimensionierten Lagerhalle und/oder Überdachung möglich. Die eingesetzte Halle müsste eine ausreichend genehmigte und tatsächlich vorhandene Lagerkapazität aufweisen. Dabei müsse man nicht nur von den prognostizierten Mengen ausgehen, sondern von der möglichen Höchstmenge, die den Systembetreibern bereitzustellen sei.
Bei der Übernahmestelle N der Beigeladenen seien diese Voraussetzungen nicht gegeben. Papierabfälle könnten dort nicht unter trockenen Bedingungen umgeschlagen und gelagert werden. Die dort ursprünglich vorhandene Lagerhalle sei bei einem mehrtägigen Großbrand, der am 24. Juli 2022 begann, vollständig untergegangen. Durch den Großbrand sei die Lagerhalle vernichtet worden. Sie sei auch nicht wiederaufgebaut worden. Dies würden aktuell verfügbare Luftaufnahmen der Betriebsstätte zeigen. Aus diesen Bildern sei ersichtlich, dass dort auch sonst kein Raum vorhanden sei, der trockene Bedingungen für Umschlag und Lagerung der für die dualen Systeme bereitzustellenden Mengenanteile des Altpapiers gewährleisten würde. Aus den beigefügten aktuellen Bildern vom 16. Oktober 2024 sei ersichtlich, dass sämtliche Papierabfälle in dieser Betriebsstätte im Freien umgeschlagen werden. Die Übernahmestelle der Firma N sei somit eindeutig nicht geeignet, die Vorgaben der Leistungsbeschreibung zu erfüllen. Dies gelte nach dem Großbrand der Anlage im Juli 2022. Kurzfristig können trockene Umschlag- und Lagerflächen dort nicht geschaffen werden. Durch Planen oder andere provisorische Maßnahmen sei ein trockener Umschlag des Altpapiers nicht zu gewährleisten. Abgesehen davon, sei die immissionsschutzrechtliche Zulässigkeit derart baulich und organisatorisch vom Genehmigungstatbestand abweichender Betriebsweisen zu bezweifeln.
Es sei unverständlich, dass der Auftraggeber sich damit nicht auseinandergesetzt habe. Der Großbrand in der Anlage des Nachunternehmens der Beigeladenen werde ihm nicht verborgen geblieben sein können. Aus der Akteneinsicht ergebe sich nicht, dass er sich mit diesem Sachverhalt irgendwie auseinandergesetzt habe. Der Brand in der Übernahmestelle der Firma N habe weiträumige Aufmerksamkeit erregt. Es sei deshalb kaum vorstellbar, dass der Auftraggeber im Rahmen der Angebotsprüfung keine Zweifel an dem Leistungsversprechen der Beigeladenen hätte haben müssen. Spätestens jetzt drängten sich diese Zweifel auf.
Die Übernahmestelle der Beigeladenen verfüge über unzureichend genehmigte Kapazitäten. Es sei wahrscheinlich, dass die von der Beigeladenen benannte Übernahmestelle derzeit über keine ausreichende Genehmigung zum Abfallumschlag verfüge. Der Auftraggeber könne sich diesbezüglich auch nicht auf eine angebliche frühere Genehmigung der Übernahmestelle berufen, denn die heutige Genehmigungslage müsse von der Genehmigungslage vor dem Großbrand unterschieden werden. Durch diesen sei die Genehmigungslage mindestens in zweierlei Hinsicht beeinträchtigt. Zum einen komme in Betracht, dass das Vorhandensein und der Betrieb einer überdachten Anlage bzw. einer Lagerhalle von vornherein Voraussetzung für die Erteilung der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung der Übernahmestelle in dem bewilligten Umfang gewesen seien. Durch die von einer Halle bewirkten "Einhausung" würden Staub- und Lärmemissionen begrenzt. Ohne die Halle wäre die Genehmigungsvoraussetzung weggefallen und der Fortbestand der Genehmigung stünde im Zweifel. Zum anderen komme in Betracht, dass die Genehmigung zwar weiter Bestand habe, die Übernahmestelle aber infolge ihres technischen Zustandes keinen genehmigungskonformen Betrieb mit der für die Erfüllung der Leistungsbeschreibung erforderlichen Anlagenkapazität mehr erlaube.
Zu diesem ganzen Thema habe weder der Auftraggeber noch die Beigeladene irgendetwas vorgetragen. Der Auftraggeber habe dies nicht zum Umfang der Prüfung der Angebote gemacht. Dies sei vollständig unbeachtet geblieben. Dies seien schwerwiegende Verstöße gegen vergaberechtliche Prüfungs- und Aufklärungspflichten des Auftraggebers.
Die Beigeladene verfüge auch nicht über eine Ersatzübernahmestelle. Aus der Leistungsbeschreibung sei ersichtlich, dass im Bedarfsfall unverzüglich eine Ersatzübernahmestelle zu benennen sei. Die Leistungsbeschreibung werde Vertragsbestandteil und besitze diesbezüglich erhebliche Kalkulationsrelevanz für die Bieter.
Hinsichtlich der Ermittlung der Transportaufwendungen bleibe die Antragstellerin bei ihrer Auffassung, wonach der Auftraggeber diese fehlerhaft ermittelt habe. Dies ergebe sich insbesondere aus dem Adverb "zuerst" im Formblatt "Zuschlagskriterien", in dem die entsprechende Berechnung beschrieben worden sei.
Zudem sei im Interimsvergabeverfahren die Eignungsprüfung fehlerhaft durchgeführt worden. Der Auftraggeber habe auf die Vorlage des Formblattes VgV-II-7 (Verpflichtungserklärung anderer Unternehmen) verzichtet. Ohne diese sei eine hinreichende Prognose der Eignung aber nicht möglich.
Vom Auftraggeber wurde am 22. Oktober 2024 mitgeteilt, dass alle Bieterfragen in zulässiger Art und Weise beantwortet worden seien. Keine der Antworten auf die Bieterfragen sei kalkulationsrelevant gewesen oder enthielt wichtige Informationen bzw. zusätzliche Auskünfte. Selbst wenn man hiervon ausginge, sei darüber hinaus nicht ersichtlich, welcher Nachteil der Antragstellerin aus der Beantwortung der Bieterfragen im Hauptvergabeverfahren und im Interimsvergabeverfahren entstanden sein soll.
Die Übernahmestelle, welche die Beigeladene in ihrem Angebot benannt habe, entspräche den Anforderungen der Vergabeunterlagen. Vornehmlich die tatsächlichen Öffnungszeiten, die bestehenden öffentlich-rechtlichen Genehmigungen sowie die tatsächliche Kapazität der Übernahmestelle seien hinreichend im Blick auf die Anforderungen der Vergabeunterlagen.
Bezüglich der Öffnungszeiten sei darauf hinzuweisen, dass man zwischen den genehmigten Betriebszeiten, zu denen eine Anlieferung der kommunalen Mengen an Papierabfällen möglich ist und den Öffnungszeiten für den Publikumsverkehr unterscheiden müsse. Die von der Antragstellerin herangezogenen Öffnungszeiten aus einem Internetauftritt der Firma N (Übernahmestelle) bezögen sich nicht auf die Anlieferung von Papierabfällen, sondern die Annahme von Abfällen für Gewerbebetriebe und den Wertstoffankauf.
Der Auftraggeber habe die Transportaufwendungen zutreffend berechnet.
Die Beigeladene nahm mit Schriftsatz vom 22. Oktober 2024 Stellung. Ihre Übernahmestelle sei technisch leistungsfähig, denn sie verfüge über genehmigte Betriebszeiten von 6:00 bis 22:00 Uhr. Die Beigeladene führe den Interimsauftrag derzeit nach den in der Leistungsbeschreibung geforderten Zeiten durch. Auch im Rahmen des Hauptauftrages werde die Beigeladene sicherstellen, dass die Papierabfälle in den geforderten Zeiten angeliefert und abgeholt werden können. Dem würden auch die veröffentlichten Öffnungszeiten auf der Homepage der Firma N nicht widersprechen. Diese beträfen Öffnungszeiten zur Annahme von Abfällen vor allem für Gewerbebetriebe, welche sofort verwogen und in bar vergütet würden. Die Anlieferung des streitgegenständlichen Altpapiers erfolge hingegen durch ein vom Auftraggeber beauftragtes Unternehmen. Entgelte und Erlöse seien nicht sofort in bar auszuzahlen. Die auf der Homepage veröffentlichten Öffnungszeiten beträfen deshalb nicht die Anlieferung und Abholung des streitigen Altpapiers.
Zutreffend sei, dass die Leistungsbeschreibung eine trockene Lagerung der Papierabfälle vorschreibe. Dies beträfe jedoch nur diejenigen Mengenanteile, die dem dualen System zur Verfügung zu stellen seien. Aus der Leistungsbeschreibung ergebe sich weiter, dass im Jahr 2024 allen dualen Systeme an der gemeinsamen Verwertung teilnehmen. Erst ab 2025 sei dem Auftraggeber signalisiert worden, dass einige duale Systeme beabsichtigen würden, das Recht auf Herausgabe ihres Anteils des Altpapiers in Anspruch zu nehmen. Dies bedeute, dass bis zum Ende des Jahres 2024 den dualen Systemen keine Mengen zur Verfügung zu stellen seien. Aktuell besteht demnach keine Verpflichtung, das Altpapier trocken zu lagern. Gleichwohl sei es auch im Interesse der Beigeladenen, das Altpapier trocken zu lagern, weil die Vergütung der Papierfabrik dann höher sei. Derzeit werde deshalb das Altpapier durch eine provisorische Abdeckung mittels Planen trocken gelagert. Bis zum 1. Januar 2025 werde eine Überdachung errichtet. Hierfür läge ein entsprechendes Angebot vor.
Die Übernahmestelle der Beigeladenen verfüge über eine genehmigte Kapazität, welche sehr weit über die hier in beiden Losen anfallende Gesamtmenge hinausgehe. Nach dem Brand im Jahre 2022 fand im Oktober 2023 durch die zuständige Behörde eine Routinekontrolle der Übernahmestelle statt. Diese sei ohne Beanstandung beendet worden. Dies bedeute, dass keine Verstöße gegen materielle oder organisatorische Anforderungen festgestellt worden seien und von der Anlage keine Umweltbeeinträchtigungen ausgehen würden. Der Betrieb der Übernahmestelle sei demnach auch nach dem Brand im Rahmen des genehmigten Betriebs erfolgt.
Mit Schriftsatz vom 24. Oktober 2024 teilte die Antragstellerin mit, dass der nunmehr verfolgte Feststellungsantrag zulässig und begründet sei.
Durch die Erteilung des Zuschlags im Interimsvergabeverfahren an die Beigeladene sei eine Erledigung eingetreten. Die Antragstellerin behalte sich vor, Schadensersatzansprüche gegen den Auftraggeber geltend zu machen. Sie hätte bei ordnungsgemäßer Durchführung des Vergabeverfahrens den Zuschlag in beiden streitigen Losen des Interimsvergabeverfahrens erhalten müssen. Ein solcher Schadensersatzanspruch sei jedenfalls nicht auszuschließen.
Hinsichtlich der beiden letzten Schriftsätze des Auftraggebers und der Beigeladenen sei auszuführen, dass die genehmigten Öffnungszeiten nichts über die tatsächlichen Öffnungszeiten aussagen würden. Es sei bemerkenswert, dass der Auftraggeber es offensichtlich in Abstimmung mit der Beigeladenen dieser überlasse, zu der ausschreibungskonformen Ausstattung und Verfügbarkeit der Übernahmestelle vorzutragen. Der Auftraggeber habe die Eignung zur Auftragserfüllung im Rahmen der Angebotswertung zu prüfen. Er hätte entsprechende Feststellungen in der Vergabeakte dokumentieren müssen. Dies sei hinsichtlich der Öffnungszeiten nicht der Fall.
Bezüglich der trockenen Lagerung trage der Auftraggeber gar nichts mehr vor. Der Auftraggeber habe diesbezüglich seine Prüfpflichten verletzt. Die Verpflichtung zur trockenen Lagerung bestehe seit Vertragsbeginn und nicht erst ab 1. Januar 2025. Es werde bestritten, dass die Übernahmestelle der Beigeladenen über ein entsprechendes Angebot zur Errichtung einer provisorischen Bedachung verfüge und Akteneinsicht in die entsprechende Anlage aus dem Schriftsatz der Beigeladenen vom 22. Oktober 2024 beantragt. Bauarbeiten zur Errichtung eines Daches würden an der Übernahmestelle nicht stattfinden. Der gesamte diesbezügliche Vortrag der Beigeladenen werde bestritten. Es handele sich um unbelegte Schutzbehauptungen. Genehmigungsrechtlich bzw. -planerisch und bautechnisch sei es unmöglich, in einem derart kurzen Zeitraum eine neue Halle bzw. Überdachung zu errichten.
Soweit auf eine Routinekontrolle verwiesen werde, komme es auf diese nicht an. Der Inhalt des Überwachungsberichtes treffe keine Aussage darüber, in welchem Umfang die Übernahmestelle infolge ihres aktuellen technischen Zustandes (nach Brand) einen genehmigungskonformen Betrieb mit der für die Erfüllung der Leistungsbeschreibung erforderlichen Anlagenkapazität erlaube. Weder der Auftraggeber noch die Beigeladene würden sich zu der Frage, ob ein Betrieb der Übernahmestelle im Einklang mit der Leistungsbeschreibung heute unter den dort herrschenden technischen Bedingungen überhaupt zulässigerweise möglich, ist, äußern.
Die beiden Nachprüfungsverfahren 1/SVK/017-24 (Hauptauftrag) und 1/SVK/022-24 (Interimsauftrag) wurden zur gemeinsamen mündlichen Verhandlung verbunden und danach wieder getrennt.
In der mündlichen Verhandlung am 25. Oktober 2024 wurde der Sach- und Streitstand mit den Beteiligten erörtert.
Die Antragstellerin beantragte in der Sache:
Festzustellen, dass der Antragsgegner im Vergabeverfahren "Übernahme und Verwertung von Papierabfällen" (Interimsvergabe) hinsichtlich der Vergabe von Los A (PPK-Region X) und Los B (PPK Region Y) gegen Vergabevorschriften verstoßen hat und die Antragstellerin hierdurch in ihren Rechten verletzt ist.
Daneben beantragte sie die Akteneinsicht in die Anlage Bg1 und Bg2 des Schriftsatzes der Beigeladenen vom 22. Oktober 2024.
Der Auftraggeber beantragt,
dass die Anträge der Antragstellerin abgewiesen werden.
Die Beigeladene stellte in der mündlichen Verhandlung keine Anträge.
Nach der mündlichen Verhandlung teilte der Auftraggeber am 1. November 2024 mit, dass das Vergabeverfahren betreffend den Hauptauftrag (1/SVK/017-24) aufgehoben wurde und der streitige Auftrag zeitnah erneut ausgeschrieben werde.
Die Beigeladene nahm am 4. November 2024 erneut Stellung. Aktuell und für den Hauptauftrag vorgesehen sei, dass das Altpapier auf einer Lagerfläche der Übernahmestelle der Firma N umgeschlagen werde. Es handele sich dabei um eine dreiseitig geschlossene Lagerfläche, für die aktuell zunächst eine provisorische Überdachung errichtet worden sei. Entsprechende Fotos mit provisorischer Abdeckung der Lagerfläche füge man diesem Schriftsatz bei. Für eine feste Überdachung habe sich das Nachunternehmen N ein Angebot eingeholt. Das Nachunternehmen werde eine feste Überdachung errichten lassen, sobald der Interimsauftrag über den 31. Dezember 2024 verlängert bzw. der Hauptauftrag erteilt worden sei.
Man habe die Erörterung der Sach- und Rechtslage im Termin zur mündlichen Verhandlung vor der Vergabekammer am 25. Oktober 2024 zum Anlass genommen, sich den genehmigungsrechtlichen Umschlag des Altpapiers von der zuständigen Immissionsschutz- und Abfallbehörde bestätigen zu lassen. Ein Mitarbeiter der Firma N habe sich an die Immissionsschutz- und Abfallbehörde der Stadt gewandt. Aus der Antwort dieser Behörde ergebe sich, dass das Altpapier genehmigungskonform umgeschlagen und trocken gelagert werde.
Von der Antragstellerin wurde am 6. November 2024 mitgeteilt, dass hinsichtlich des Vortrags der Beigeladenen zur temporären Überdachung anzumerken sei, dass diese ausweislich des beigefügten Fotos keinen wirksamen Nässeschutz darstelle. Es handele sich um eine Art "Sonnensegel", welches an 5 schiefen Gerüststangen aufgehangen sei und überschirme nur einen kleinen Teil der Lagerfläche für das Papier. Eine trockene Lagerung der Papierabfälle sei nicht gewährleistet. Die Ankündigung der Beigeladenen zur Errichtung einer festen Überdachung habe unter der Bedingung gestanden, dass ihr der Hauptauftrag erteilt werde oder der Interimsvertrag verlängert werde. Diese Ankündigung sei nunmehr hinfällig, weil der Hauptauftrag wegen Aufhebung nicht mehr erteilt werden könne und der Interimsvertrag mit der Beigeladenen nicht mehr zulässigerweise verlängert werden dürfe.
Soweit die Beigeladene auf eine angebliche Bestätigung der trockenen Lagerung durch die Genehmigungsbehörden verwiesen habe, seien die entsprechenden Angaben gegenüber der Antragstellerin geschwärzt. Auch in der Sache könnten sie nichts belegen, da das Papier auf der Übernahmestelle der Beigeladenen ausweislich der vorgelegten Bilder nicht trocken gelagert werde.
Unabhängig von alldem sei nach dem Schriftsatz des Auftraggebers vom 1. November 2024 festzustellen, dass sich der Auftraggeber weder vor der mündlichen Verhandlung noch danach mit der Übernahmestelle der Beigeladenen auseinandergesetzt habe. Auf Fragen der Vergabekammer in der mündlichen Verhandlung konnten die Vertreter des Auftraggebers keine Auskunft geben. In der Vergabeakte sei nichts dazu dokumentiert.
Auch der Auftraggeber nahm am 15. November 2024 erneut Stellung. Soweit sich die Antragstellerin in ihrem letzten Schriftsatz zu der ihres Erachtens unzureichenden provisorischen Überdachung bei Übernahmestelle der Beigeladenen äußere, möchte man darauf nicht näher eingehen. Die provisorische Abdeckung sei weder für das Vergabeverfahren noch für das Nachprüfungsverfahren relevant. Die entsprechende Anforderung an die Übernahmestelle, dass die Papierabfälle trocken zu lagern seien, finde sich ausschließlich an einer Stelle in den Vergabeunterlagen. Dieser Abschnitt betreffe die Bereitstellung von Mengenanteilen an duale Systeme. Nur wenn Mengenanteile an die dualen Systeme zur Verfügung gestellt werden müssten, sei diese Vorgabe einschlägig. In den Vergabeunterlagen sei weiter ausgeführt worden, dass frühestens zum 1. Januar 2025 die Bereitstellung von Mengenanteilen an duale Systeme relevant werden könnte. Die Beigeladene habe erklärt, dass eine feste Überdachung bis zum 1. Januar 2025 errichtet werden solle. Darauf dürfe der Auftraggeber grundsätzlich vertrauen. Anhaltspunkte dafür, dass der Umschlag auf der Übernahmestelle der Beigeladenen nicht in genehmigungskonformer Weise möglich sein solle, gäbe es nicht. Die Genehmigung habe nach der Aussage der Beigeladenen auch nach dem Brand im Juni 2022 Bestand. Der Auftraggeber sei nicht dazu angehalten, öffentlich einsehbare Genehmigungen und die Aussagen der Beigeladenen in Zweifel zu ziehen.
Mit sehr großem Erstaunen habe der Auftraggeber nunmehr zur Kenntnis genommen, dass es in der Nacht vom 9. August 2023 auf den 10. August 2023 zu einem Großbrand in der Übernahmestelle der Antragstellerin für Los 4 gekommen sei. Dies gehe aus dem als Anlage beigefügten Presseartikel hervor. Dabei sei beispielsweise die Sortieranlage für Leichtverpackungen vollständig zerstört worden. Die Halle sei durch den Brand einsturzgefährdet. Es seien mehrere Explosionen hörbar gewesen. Die Antragstellerin habe den Großbrand im Vergabeverfahren als auch im Nachprüfungsverfahren nicht erwähnt. Darüber sei der Auftraggeber sehr verwundert, weil die Antragstellerin den Brand auf dem Gelände der Übernahmestelle der Beigeladenen nunmehr wiederholt und intensiv zum Anlass genommen habe, der Beigeladenen die Eignung abzusprechen. Vor diesem Hintergrund hätte der Auftraggeber im Verfahren zur Vergabe des Hauptauftrages erneut in die Eignungsprüfung über das Angebot der Antragstellerin eintreten müssen, wenn es nicht zur Aufhebung des Vergabeverfahrens gekommen wäre. Möglicherweise sei das Angebot der Antragstellerin auszuschließen.
Im Hinblick auf die Kosten des Nachprüfungsverfahrens für das Interimsvergabeverfahren (1/SVK/022-24) sei auszuführen, dass die Antragstellerin die Kosten zu tragen habe. Ein Vergaberechtsverstoß des Auftraggebers läge hier nicht vor. Rein vorsorglich weise man darauf hin, dass die Beigeladene an den Kosten des Verfahrens zu beteiligen sei. Sie habe ausführlich Stellung genommen und den Auftraggeber so unterstützt. Auch wenn sie keinen Antrag gestellt habe, sei in einem solchen Fall an der Kostentragung zu beteiligen. Der Auftraggeber sei ohne anwaltliche Unterstützung nicht in der Lage, das Nachprüfungsverfahren durchzuführen.
Am 19. November 2024 nahm die Antragstellerin erneut Stellung.
Zum Erfordernis der trockenen Lagerung sei umfassend vorgetragen worden. Eine Beschränkung dieser Anforderungen auf einen bestimmten Zeitraum sei nicht ersichtlich. Es sei unstreitig, dass die Übernahmestelle jedenfalls ab dem 1. Januar 2025 die trockene Lagerung der Papierabfälle gewährleisten müsse. Die Übernahmestelle der Beigeladenen gewährleiste dies nicht. Das hierzu errichtete aktuelle Provisorium sei dazu vollkommen ungeeignet. Eine feste Überdachung in ausreichender Größe könne bis zum 31. Dezember 2024 nicht mehr errichtet werden. Die hierfür erforderlichen Arbeiten hätten noch nicht begonnen und seien wahrscheinlich noch nicht einmal immissions- und denkmalschutzrechtlich genehmigt. Unter keinen Umständen dürfe der Auftraggeber darauf vertrauen, dass die Beigeladene unter diesen Umständen schon leistungsbeschreibungskonform leisten werde. Soweit der Auftraggeber auf ein Vertrauen in die Leistungsfähigkeit der Beigeladenen verweise, sei darauf hinzuweisen, dass der Auftraggeber in der mündlichen Verhandlung selbst eingeräumt habe, den unzureichenden technischen Zustand der Übernahmestelle, die fehlende Überdachung und die fehlende Gewährleistung einer trockenen Lagerung überhaupt nicht geprüft und thematisiert habe. Dies, obwohl die Antragstellerin mit ihrer Rüge und dem Nachprüfungsantrag hierfür hinreichend konkrete Anhaltspunkte genannt habe. Ein Verzicht auf jegliche Prüfung trotz entgegenstehender Anhaltspunkte sei nicht mehr rechtmäßig. Weder vor der mündlichen Verhandlung noch danach habe sich der Auftraggeber überhaupt irgendwie mit der Übernahmestelle und dem Betrieb der Beigeladenen auseinandergesetzt. In der Vergabeakte sei zu diesem ganzen Thema nichts dokumentiert.
Überraschend sei, dass der Auftraggeber jetzt einen Brand in der Übernahmestelle der Antragstellerin für Los 4 thematisiere, denn es wäre seine Sache gewesen, dies und den Zustand der Übernahmestelle der Beigeladenen im Vergabeverfahren zu berücksichtigen und zu prüfen. Es sei nicht Sache der Antragstellerin, hierzu vorzutragen. Nur vorsorglich werde ausgeführt, dass bei dem Brand die Sortieranlage für Leichtverpackungen abgebrannt sei. Nicht hingegen die Lagerhalle für Papierabfälle. Auf die Leistungsfähigkeit der Antragstellerin für den hier streitigen Auftrag habe der Brand keine Auswirkungen. Die Übernahmestelle sei für Papierabfälle nur für ein paar Tage eingeschränkt erreichbar gewesen. Auf die vorangegangene Auftragsausführung habe dies aber keine Auswirkungen gehabt, da das Papier nahtlos an die von der Antragstellerin vorgehaltene Ersatzübernahmestelle umgeleitet worden sei. Dabei entstandene Mehrkosten habe die Antragstellerin dem Auftraggeber kurzfristig erstattet. Auf die Genehmigungssituation der Übergabestelle habe der Brand keine Auswirkungen. Dies sei dem Auftraggeber alles selbst genau bekannt.
Hinsichtlich der Kostentragung sei auszuführen, dass sowohl das Haupt- als auch das Interimsvergabeverfahren rechtswidrig gewesen seien und die Antragstellerin in ihren Rechten verletzt hätten. Dies ergebe sich aus dem Sach- und Streitstand beider Nachprüfungsverfahren. Die ungleichmäßige Beantwortung von Bieterfragen und die rechtswidrige Auswahl der Beigeladenen für den Zuschlag seien Vergaberechtsverstöße, welche in beiden Vergabeverfahren gleichermaßen festzustellen seien und sich zu Lasten der Antragstellerin ausgewirkt hätten. Beide Nachprüfungsanträge seien somit ursprünglich zulässig und begründet gewesen. Diese hätten sich nunmehr erledigt. Einerseits durch die Aufhebung des Hauptvergabeverfahrens, andererseits durch die Zuschlagserteilung im Interimsvergabeverfahren. Infolgedessen habe die Antragstellerin ihre Anträge auf zulässige Fortsetzungsfeststellungsanträge umgestellt. Beide Feststellungsanträge seien zulässig und begründet. Da der Auftraggeber unterliege, trage er die Kostenlast ggf. gemeinsam mit der Beigeladenen. Raum für eine Be rücksichtigung eines angeblichen Teilunterliegens gäbe es nicht. In beiden Verfahren habe die Antragstellerin die Feststellung beantragt, dass der Auftraggeber gegen Vergabevorschriften verstoßen habe und die Antragstellerin hierdurch in ihren Rechten verletzt sei. Auf ein bestimmtes primäres Rechtsschutzziel seien diese Anträge nicht gerichtet. Dies gelte auch für die ursprünglichen Anträge.
Auf die ausgetauschten Schriftsätze, die Verfahrensakte der Vergabekammer sowie auf die vorgelegte Vergabeakte wird ergänzend Bezug genommen. Es wird des Weiteren vollumfänglich auf den Gestattungsbeschluss vom 12. September 2024 (1/SVK/022-24G) zum Interimsauftrag sowie auf die Ausführungen im Beschluss vom 19. Dezember 2024 (1/SVK/017-24) zum Hauptauftrag verwiesen.
Die Frist zur Entscheidung wurde gemäß § 167 Abs. 1 Satz 2 GWB verlängert.
II.
Der Nachprüfungsantrag ist zulässig (A.) und begründet (B.).
A. Der Nachprüfungsantrag ist zulässig.
1. Die 1. Vergabekammer des Freistaates Sachsen ist gemäß § 2 der Verordnung der Sächsischen Staatsregierung über Einrichtung, Organisation Vergabekammern des Freistaates Sachsen (SächsVgKVO) für den Antrag zuständig.
2. Die Gesamtauftragssumme überschreitet den maßgeblichen Schwellenwert, § 106 Abs. 1 GWB i. V. m. Artikel 4 a) der RL 2014/24/EU i. V. m. Artikel 1 Absatz 1 c) der delegierten Verordnung (EU) 2023/2495.
Bei der ausgeschriebenen Leistung handelt es sich um einen öffentlichen Dienstleistungsauftrag im Sinne des § 103 Abs. 1 und 4 GWB (vgl. zur Einordnung als Dienstleistungsvertrag BGH, Beschluss vom 1. Februar 2005 - X ZB 27/04; OLG Celle, Beschluss vom 5. Februar 2004 - 13 Verg 26/13). Der Auftraggeber bezweckt insoweit die gesetzeskonforme Verwertung des gesammelten Altpapiers und damit die Erfüllung einer ihm als zuständigem öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträger obliegenden Verpflichtung durch die Beauftragung eines Dienstleisters zu erfüllen.
Der maßgebliche Schwellenwert für öffentliche Dienstleistungsaufträge beträgt gemäß § 106 Abs. 1 GWB i. V. m. Artikel 4 c) der RL 2014/24/EU i. V. m. Artikel 1 Abs. 1 c) der delegierten Verordnung (EU) 2023/2495 221.000 EUR und wurde vorliegend überschritten.
Bei der Schätzung des Auftragswerts ist vom voraussichtlichen Gesamtwert der vorgesehenen Leistung ohne Umsatzsteuer auszugehen, § 3 Abs. 1 VgV. Dabei ist nicht nur auf das Entgelt - als Geldmittel - des Auftraggebers an die Auftragnehmer abzustellen, sondern jeder vermögenswerte Vorteil, den der Auftraggeber dem Auftragnehmer als Gegenleistung für die Ausführung des Auftrags gewährt. Darunter fallen z. B. Erlöse aus der Verwertung des Verkaufs von Altpapier. Denn nach § 3 Abs. 1 Nr. 3 VgV sind ausdrücklich auch von dem öffentlichen Auftraggeber vorgesehene Prämien oder Zahlungen an Bieter zu berücksichtigen. Es sind somit umfassend alle geldwerten Zuwendungen zu berücksichtigen, d. h. in die Wertschätzung einzubeziehen (OLG Koblenz, Beschluss vom 1. September 2021 - Verg 1/21). Deshalb werden sogar andere Formen der Leistungserbringung durch den Auftraggeber unter den Begriff der "Zahlungen" subsumiert, wenn es sich um einen geldwerten Vorteil handelt (vgl. Lausen in jurisPK, VgV § 3 Rn. 31). Ein solcher liegt zum Beispiel auch gerade dann vor, wenn ein Unternehmen im Rahmen eines Vertrags über die Entsorgung von Alttextilien berechtigt ist, die Textilien selbst zu verwerten (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 10. Dezember 2014 - Verg 24/14). Dementsprechend ist bei der Verwertung von Altpapier der Wert des (vom Auftraggeber an die Bieter) überlassenen Altpapiers selbst in der Auftragswertschätzung zu berücksichtigen. Daneben sind die geschätzten Dienstleistungskosten (hier Entgelt, Handlingkosten) mit in die Schätzung einzubeziehen.
Auf der anderen Seite sind Rückzahlungen des Auftragnehmers an den Auftraggeber ebenfalls zu berücksichtigen. Erst der sich nach den Abzügen ergebende Wert ist für die Bestimmung des Auftragswerts und für die Erreichung des einschlägigen Schwellenwerts maßgeblich (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 10. Dezember 2014 - Verg 24/14; Greb in: Ziekow/Völlink, § 3 VgV Rn. 7 m. w. N.).
Der Interimsauftrag hatte eine feste Laufzeit von drei Monaten sowie einen Optionszeitraum von weiteren sechs Monaten, der bei der Bestimmung des Auftragswerts nach § 3 Abs. 1 Satz 2 VgV mit zu berücksichtigen ist. Aus der Vergabeakte und den abgegebenen Angeboten ist ersichtlich, dass das Entgelt (Handlingkosten) für die streitigen Lose 1 und 4 bezogen auf die Gesamtlaufzeit des streitigen Auftrags allein über dem Schwellenwert von 221.000 EUR liegt.
Daneben ist der Wert des zur Verwertung überlassenen Altpapiers abzüglich der Rückzahlungen (Vergütung der Bieter an den Auftraggeber) zu berücksichtigen. Hierbei setzt die Vergabekammer das Delta zwischen Wert Altpapier und Vergütung mit mindestens 0 an. Denn es ist aus wirtschaftlicher Sicht naheliegend, dass die Bieter zumindest über die Gesamtlaufzeit des Vertrages mehr Geld von der Papierfabrik erhalten, als sie über die Vergütung dem Auftraggeber wieder zurückzahlen. Wegen des schwankenden Altpapierpreises und der mangelnden Entscheidungserheblichkeit dieses Aspektes kann nach Auffassung der Vergabekammer eine nähere Betrachtung dahinstehen. Es ist jedenfalls auszuschließen, dass das Delta zwischen den Erlösen der Bieter und der Vergütung nennenswert negativ ist, sprich die Bieter dem Auftraggeber mehr Vergütung zahlen, als sie selbst von der Papierfabrik für das Altpapier erhalten. Daher geht die Summe aus dem Wert des Altpapiers abzüglich der Vergütung mit 0 in den zu berücksichtigenden Auftragswert ein und es verbleiben die Entgelte (Handlingkosten), welche den maßgeblichen Schwellenwert übersteigen.
3. Der Fortsetzungsfeststellungsantrag der Antragstellerin ist statthaft, § 168 Abs. 2 Satz 2 GWB
Hat sich das Nachprüfungsverfahren durch Erteilung des Zuschlags des Vergabeverfahrens erledigt, stellt die Vergabekammer auf Antrag eines Beteiligten fest, ob eine Rechtsverletzung vorgelegen hat, § 168 Abs. 2 Satz 2 GWB.
Diese Vorschrift soll den Beteiligten die Möglichkeit geben, im Falle einer Erledigung die im Nachprüfungsverfahren bereits erarbeiteten Ergebnisse zu erhalten und eine nochmalige gerichtliche Prüfung derselben Sach- und Rechtsfragen in einem späteren Schadensersatzprozess zu vermeiden. Die Umstellung des Nachprüfungsantrags auf einen Feststellungsantrag verhindert, dass dem Antragsteller nach Erledigung die Früchte des eingeleiteten Nachprüfungsverfahrens verloren gehen.
Voraussetzung für den nunmehr von der Antragstellerin gestellten Fortsetzungsfeststellungsantrag ist, dass dieser statthaft ist.
Vorliegend hat die Antragstellerin ein Nachprüfungsverfahren angestrengt und sich gegen die beabsichtigte Zuschlagserteilung des streitigen Interimsauftrags an die Beigeladene gewendet. Nach Einleitung dieses Nachprüfungsverfahrens hat der Auftraggeber einen Antrag nach § 169 Abs. 2 GWB auf Gestattung der vorzeitigen Zuschlagserteilung gestellt. Durch den Beschluss der Vergabekammer vom 9. September 2024 wurde dem Auftraggeber dies gestattet. Nach Ablauf der Rechtsmittelfrist wurde der Zuschlag auf die Angebote der Beigeladenen erteilt. Dadurch hat sich das Nachprüfungsverfahren nach § 168 Abs. 2 Satz 2 GWB erledigt.
Nunmehr begehrt die Antragstellerin allein die Feststellung, dass der Auftraggeber im streitigen Vergabeverfahren gegen Vergabevorschriften verstoßen hat. Ein solcher Fortsetzungsfeststellungsantrag ist in dieser Situation nach § 168 Abs. 2 Satz 2 GWB statthaft.
4. Die Antragstellerin hat ein Feststellungsinteresse, § 168 Abs. 2 Satz 2 GWB.
Der Fortsetzungsfeststellungsantrag nach § 168 Abs. 2 Satz 2 GWB setzt nach allgemeiner Auffassung als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal ein Feststellungsinteresse voraus (z. B. OLG München, Beschluss vom 19. Juli 2012 - Verg 8/12; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 19. Juni 2013 - Verg 55/12; OLG Frankfurt, Beschluss vom 6. März 2013 - 11 Verg 7/12; Fett in MüKo, § 168 GWB Rn. 65 m. w. N.). Dies ergibt sich bereits aus den allgemeinen prozessualen Grundsätzen, nach denen die Inanspruchnahme eines Gerichts bzw. der Vergabekammer nicht zulässig ist, wenn kein berechtigtes Interesse vorliegt.
Ein solches Feststellungsinteresse rechtfertigt sich durch jedes nach vernünftigen Erwägungen und nach Lage des Falls anzuerkennenden Interesses rechtlicher, wirtschaftlicher oder auch ideeller Art, wobei die beantragte Feststellung geeignet sein muss, die Rechtsposition der Antragstellerin in einem der genannten Bereiche zu verbessern und eine Beeinträchtigung ihrer Rechte auszugleichen oder wenigstens zu mildern (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 7. August 2019 - Verg 9/19). Ein solches Feststellungsinteresse ist bspw. gegeben, wenn die Feststellung zur Vorbereitung eines Schadensersatzanspruchs dient. Dabei genügt für die Zulässigkeit des Feststellungsantrags die nicht auszuschließende Möglichkeit eines Schadensersatzanspruches des Bieters gegen den Auftraggeber (OLG München, Beschluss vom 19. Juli 2012 - Verg 8/12).
Vorliegend hat die Antragstellerin diesbezüglich im Schriftsatz vom 24. Oktober 2024 vorgetragen, dass ein Schadensersatzanspruch besteht und sie sich die Geltendmachung eines solchen vorbehält. Dies ist ausreichend, um ein hinreichendes Feststellungsinteresse zu begründen. Da die Anforderungen an ein hinreichendes Feststellungsinteresse gering sind (vgl. Antweiler in: Burgi/Dreher/Opitz, § 168 GWB Rn. 66) und ein Schadensersatzanspruch der Antragstellerin hier jedenfalls nicht ausgeschlossen werden kann.
5. Der ursprüngliche Nachprüfungsantrag war statthaft und zulässig.
Es kann dahinstehen, ob es für die Zulässigkeit der beantragten Feststellung erforderlich ist, dass der ursprüngliche Nachprüfungsantrag zulässig war (Fett in MüKo, § 168 GWB Rn. 67 m. w. N.) oder es ausreicht, dass der ursprüngliche Nachprüfungsantrag statthaft war (Steck in: Ziekow/Völlink, § 168 GWB Rn. 37-38). Denn der ursprünglich gestellte Nachprüfungsantrag war sowohl statthaft als auch zulässig.
a) Statthaftigkeit ursprünglicher Nachprüfungsantrag
Zum Zeitpunkt der Antragstellung hatte die Antragstellerin noch die Möglichkeit, den streitigen Auftrag zu erhalten, da der Zuschlag noch nicht erteilt war. Die Vergabekammer hat den Nachprüfungsantrag auch nicht als offensichtlich unzulässig oder unbegründet angesehen und deswegen auf eine Übermittlung nach § 163 Abs. 2 GWB verzichtet. Die Zuständigkeit der Vergabekammer war wegen Überschreiten der Schwellenwerte gegeben (siehe hierzu oben unter Ziffer II A. 2.). Daher handelte es sich um einen ursprünglich statthaften Nachprüfungsantrag.
b) Antragsbefugnis
Die Antragstellerin war für den ursprünglichen Nachprüfungsantrag antragsbefugt.
Nach § 160 Abs. 2 Satz 1 GWB ist der Nachprüfungsantrag zulässig, wenn ein Unternehmen ein Interesse am Auftrag hat und eine Verletzung in seinen Rechten nach § 97 Abs. 6 GWB geltend macht.
Diesem Erfordernis ist genügt, wenn mit dem Nachprüfungsantrag eine Verletzung vergaberechtlicher Vorschriften schlüssig vorgetragen wird. Darüber hinaus ist es gemäß § 160 Abs. 2 Satz 1 GWB erforderlich, dass mit dem Nachprüfungsantrag auch dargelegt wird, dass dem Unternehmen durch die behauptete Verletzung der Vergabevorschriften ein Schaden entstanden ist oder zu entstehen droht.
Diesen Anforderungen genügte der Vortrag der Antragstellerin. Sie legte im ursprünglichen Nachprüfungsantrag und in der vorherigen Rüge dar, dass der Zuschlag nicht auf das Angebot der Beigeladenen erteilt werden dürfe und sie selbst aussichtsreiche Angebote für die streitigen Lose des Interimsauftrags abgegeben und somit Chancen auf den Zuschlag habe. Dadurch hat die Antragstellerin ursprünglich schlüssig vorgetragen, dass sie in ihren Rechten verletzt ist und ihr durch die ehemals beabsichtigte - aus ihrer Sicht vergaberechtswidrige - Erteilung des Zuschlags auf die Angebote der Beigeladenen ein Schaden zu entstehen drohe, da sie so keine Chance hatte, den streitigen Auftrag zu erhalten.
c) Keine Rüge ins Blaue hinein
Die Antragstellerin hat ihre Rügeobliegenheit sowohl in zeitlicher als auch inhaltlicher Hinsicht erfüllt. Sie hat keine Rügen ins Blaue hinein erhoben.
An den Inhalt von Rügen sind im Allgemeinen keine allzu hohen Anforderungen zu stellen. Der rügende Bieter muss aber - wenn sich der Vergaberechtsverstoß nicht vollständig seiner Einsichtsmöglichkeit entzieht - zumindest Anknüpfungstatsachen oder Indizien vortragen, die einen hinreichenden Verdacht auf einen bestimmten Vergaberechtsverstoß begründen (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 29. März 2021 - Verg 9/21; OLG Brandenburg, Beschluss vom 16. Februar 2012 - Verg W 1/12). Eine Rüge "ins Blaue hinein" liegt dann nicht vor, wenn der Bieter unter Hinweis auf seine Branchen- und Marktkenntnis und unter Bezugnahme auf konkrete Umstände das Wertungsergebnis anzweifelt (VK Sachsen, Beschluss vom 28. März 2022 - 1/SVK/041-22).
Vorliegend hat die Antragstellerin in ihrer Rüge vom 19. August 2024 unter Bezugnahme auf ihre Marktkenntnisse und die öffentlich zugängliche Zertifizierung der Beigeladenen geltend gemacht, dass diese nicht über eine den Anforderungen der Vergabeunterlagen entsprechende Übernahmestelle verfügt. Damit hat sie (noch) hinreichende Indizien für die von ihr diesbezüglich vermuteten Vergaberechtsverstöße genannt, welche die Vergabekammer als ausreichend ansieht, um den Vortrag nicht als reine Vermutung "ins Blaue hinein" anzusehen.
Soweit die Antragstellerin eine unzureichende Preisprüfung nach § 60 Abs. 2 VgV, Vergaberechtsverstöße im Zusammenhang mit den Bieterfragen, eine fehlerhafte Ermittlung der Transportaufwendungen sowie weitere Verstöße hinsichtlich der Angebotswertung rügt, bedurften diese geltend gemachten Vergaberechtsverstöße jeweils keiner weitergehenden Untersetzung. Die Antragstellerin hat in ihrer Rüge diesbezüglich genügend Anknüpfungstatsachen vorgetragen. Hierzu ist darauf hinzuweisen, dass sich die Wertung des Auftraggebers - zum Zeitpunkt der Rüge - des eigenen Angebots und des Angebots der Beigeladenen im Regelfall - wie auch hier - vollständig der Einsichtsmöglichkeit eines Antragstellers entzieht. Je weniger der Auftraggeber an tatsächlichen Gründen für eine abschlägige Wertung des Angebots in der Bieterinformation preisgibt, desto geringer sind dann die Anforderungen an die Darlegung einer Rechtsverletzung (Dicks in: Ziekow/Völlink, § 160 GWB, Rn. 12). Die Antragstellerin hatte hinsichtlich der Wertung der Angebote, einer eventuellen Preisprüfung sowie des Umgangs mit Bieterfragen einen sehr beschränkten Informationsstand. Dementsprechend ist ihr Vortrag in der Rüge ausreichend.
d) weitere Zulässigkeitsvoraussetzungen
Der ursprüngliche Nachprüfungsantrag wurde innerhalb der Frist des § 160 Abs. 3 Nr. 4 GWB eingereicht und entsprach im Übrigen den Anforderungen des § 161 GWB.
B. Der Nachprüfungsantrag ist begründet.
1. Leistungsfähigkeit Beigeladene
Der Auftraggeber hat die Leistungsfähigkeit der Beigeladenen nicht hinreichend geprüft.
Die Vergabekammer hält an ihrer Auffassung zur Prüfung der Leistungsfähigkeit aus dem Beschluss zum Hauptauftrag (VK Sachsen, Beschluss vom 19. Dezember 2024 - 1/SVK/017-24) auch in diesem Nachprüfungsverfahren zur Vergabe des Interimsauftrags fest. Der summarischen Einschätzung der Vergabekammer aus dem Beschluss zur vorzeitigen Zuschlagsgestattung vom 9. September 2024, wonach der Nachprüfungsantrag wenig Aussicht auf Erfolg habe, insbesondere hinsichtlich der Thematik Bieterfragen Prüfung der Leistungsfähigkeit der Beigeladenen keine Rechtsverletzung vorliegt, folgt die Vergabekammer hingegen nicht mehr. Dies maßgeblich deshalb, weil der Vergabekammer zum Zeitpunkt des Erlasses des Gestattungsbeschlusses nicht bekannt war, dass es einen Großbrand auf dem Gelände der Übernahmestelle der Beigeladenen gab und in dessen Folge große Teile der Betriebshalle vernichtet wurden. Auch wenn die Rüge der Antragstellerin zur fehlenden Leistungsfähigkeit der Beigeladenen erst nach der Zuschlagserteilung (Interimsauftrag) in den Nachprüfungsverfahren weiter konkretisiert wurde (Großbrand auf der Übernahmestelle Beigeladene) wurde, ergaben sich auch ohne diese Hinweise durch die Antragstellerin bereits aus den im Beschluss zum Hauptauftrag (1/SVK/017-24) genannten Gründen, Anhaltspunkte und Zweifel an der Leistungsfähigkeit der Beigeladenen, denen der Auftraggeber von sich aus hätte nachgehen müssen.
Hierzu im Einzelnen:
Der streitige Sachverhalt bezüglich der Leistungsfähigkeit der Beigeladenen unterscheidet sich zwischen dem Haupt- und Interimsvergabeverfahren nur insoweit, als der hier streitige Interimsauftrag eine wesentlich kürzere Laufzeit besitzt. Die Anforderungen an die Übernahmestelle aus der Leistungsbeschreibung sind identisch mit denen des vorangegangenen Vergabeverfahrens zum Hauptauftrag. Lediglich die Vertragslaufzeit bzw. Durchführungszeitraum ändert sich. Für den Interimsauftrag war vorgesehen, dass der Leistungszeitraum am 1. Oktober 2024 beginnt und am 31. Dezember 2024 endet. Danach konnte der Interimsauftrag zweimal um jeweils weitere drei Monate einseitig vom Auftraggeber verlängert werden.
Zur Leistungsfähigkeit macht die Antragstellerin zusammengefasst geltend, dass die Beigeladene über keine Übernahmestelle verfügt, welche den Anforderungen der Leistungsbeschreibung gerecht werde, die über hinreichende Genehmigungen verfüge und alle erforderlichen Anforderungen erfüllt. Nachdem die Vergabekammer dem Auftraggeber mit Beschluss vom 9. September 2024 gestattet hat, den Zuschlag auf die Angebote der Beigeladenen zu erteilen und diese daraufhin später ihre Tätigkeit aufnahm, konkretisierte die Antragstellerin ihr Vorbringen. Sie trägt vor, dass die vom Nachunternehmen der Beigeladenen verwendete Übernahmestelle in Folge eines Großbrands nicht den Anforderungen der Vergabeunterlagen entspricht, nicht (mehr) über erforderliche Genehmigungen verfüge und insbesondere eine aus Sicht der Antragstellerin bestehende Verpflichtung zur trockenen Lagerung des Altpapiers von der Beigeladenen nicht mehr erfüllt werden könne. Der Auftraggeber sei nach dem Dafürhalten der Antragstellerin verpflichtet gewesen, die Leistungsfähigkeit der Beigeladenen wegen konkreter Zweifel zu prüfen, habe dies aber nicht getan. Der Auftraggeber verteidigt sich im Wesentlichen damit, dass an der Leistungsfähigkeit der Beigeladenen keine Zweifel bestehen würden. Diese habe eine hinreichend leistungsfähige und genehmigte Übernahmestelle, die dem Auftraggeber seit Jahren bestens bekannt sei. Hinsichtlich der später eingetretenen Diskussion wegen der Auswirkungen des Großbrandes verwies sie im Wesentlichen auf die Ausführungen der Beigeladenen. Von dieser wurde geltend gemacht, dass die Übernahmestelle alle Anforderungen der Vergabeunterlagen erfüllt, sie über eine hinreichend genehmigte Kapazität verfüge und der Brand auf dem Gelände der Übernahmestelle daran nichts geändert habe.
Ein Auftraggeber darf den Angaben eines Bieters und den Leistungsversprechen, die sie in ihren Angeboten gemacht haben, grundsätzlich vertrauen. Nur dann, wenn sich Zweifel ergeben, die das Leistungsversprechen eines Bieters als nicht plausibel erscheinen lassen und Anhaltspunkte dafür vorhanden sind, dass der Bieter die auftraggeberseitig gesetzten Vorgaben möglicherweise nicht einhalten kann, ist der Auftraggeber verpflichtet, eine Aufklärung herbeizuführen und die hinreichende Leistungsfähigkeit des Bieters durch Einholung ergänzender Informationen zu prüfen (OLG Karlsruhe, Beschluss vom 29. Mai 2020 - 15 Verg 2/20 -; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 15. Januar 2020 - Verg 20/19 -, OLG Celle, Beschluss vom 13. Dezember 2007 - 13 Verg 10/07 -; VK Bund, Beschluss vom 27. November 2019 - VK 2-84/19 -; VK Sachsen - 1/SVK/041-21 -, BayObLG, Beschluss vom 29. Mai 2024 - Verg 15/23 - und OLG Düsseldorf, Beschluss vom 12. Juni 2024 - Verg 36/23).
Nach Auffassung der Vergabekammer hätten sich dem Auftraggeber bereits bei der Prüfung der Angebote für den Interimsauftrag wegen des Großbrandes auf dessen Übernahmestelle von sich aus Zweifel an der Leistungsfähigkeit des Nachunternehmens der Beigeladenen aufdrängen müssen. Weder der Inhalt der Vergabeakte noch der Vortrag im Nachprüfungsverfahren belegen, dass diesbezüglich eine Prüfung stattgefunden hat. Deshalb hat der Auftraggeber gegen seine Pflicht zur hinreichenden Prüfung der Leistungsfähigkeit der Angebote der Beigeladenen verstoßen.
Hinsichtlich der Übernahmestelle sind in den Vergabeunterlagen verschiedene Anforderungen enthalten. Es handelt sich bei diesen in der Leistungsbeschreibung aufgeführten Anforderungen um Bedingungen der Leistungsausführung und nicht um Eignungskriterien. Vorgegeben war u. a.:
"Der Auftragnehmer hat die Papierabfälle an einer für diese Abfallart geeigneten Übernahmestelle zu übernehmen. Die Übernahmestelle muss allen öffentlichrechtlichen Vorschriften, insbesondere den abfall- und immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsanforderungen, genügen."
Die Anlieferung der Papierabfälle muss von Montag bis Freitag in der Zeit von 07:00 Uhr bis 18:00 Uhr erfolgen können. An Samstagen muss in der Zeit von 7:00 Uhr bis 16:00 Uhr die Anlieferung im Zusammenhang mit Vor- bzw. Nachberäumungen, die in der Regel vor oder nach Feiertagen möglich sind, gewährleistet werden. Im Einzelfall können Vereinbarungen über eine angemessene Verlängerung der Öffnungszeiten getroffen werden."
Seite 5 der Leistungsbeschreibung
Hinsichtlich der Bereitstellung von Mengenanteilen an Duale Systeme hieß es:
Im Jahr 2024 beteiligen sich noch alle Dualen Systeme an der gemeinsamen Verwertung. In Abstimmungsgesprächen für den Zeitraum ab 2025 wurde dem Auftraggeber signalisiert, dass einige Duale Systeme beabsichtigen, das Recht auf die Herausgabe in Anspruch zu nehmen. Die jeweiligen Mengenanteile werden im Kapitel 7 tabellarisch dargestellt.
Seite 1-2 der Leistungsbeschreibung
Der Auftraggeber hat im Kapitel 7 der Leistungsbeschreibung eine Prognose erstellt, welche Mengen Altpapier insgesamt anfallen und wie sie sich voraussichtlich auf die gemeinsame Verwertung einerseits und die Herausgabe an die Dualen Systeme mengenmäßig verteilt:
[Abbildung nicht dargestellt]
Seite 4 der Leistungsbeschreibung
Schließlich gab es in den Vergabeunterlagen Vorgaben wie im Falle der Herausgabe an Duale Systeme mit dem Altpapier umgegangen werden soll:
Für den Fall, dass Mitbenutzer des Sammelsystems (Duale Systeme) vom Auftraggeber die Herausgabe von Mengenanteilen der im Vertragsgebiet gesammelten Papierabfälle verlangen, muss der Auftragnehmer nach Aufforderung durch den Auftraggeber diese Mengenanteile denjenigen Dualen Systemen, die eine Herausgabe gefordert haben, bereitstellen.
Seite 7 der Leistungsbeschreibung
Im gleichen Abschnitt heißt es dann weiter unten:
"Darüber hinaus sind folgende Anforderungen zu beachten: - Die Papierabfälle sind trocken zu lagern."
Seite 7 der Leistungsbeschreibung
Hinreichende und konkrete Zweifel an der Leistungsfähigkeit der Übernahmestelle der Beigeladenen in Bezug auf die gerade genannten Anforderungen der Vergabeunterlagen ergeben sich daraus, dass es auf dem Gelände der Übernahmestelle im Sommer 2022 einen tagelangen Großbrand gegeben hat, welcher die zuvor vorhandene riesige Lagerhalle komplett zerstörte. In den unzähligen reichweitenstarken Pressberichten hieß es dazu unter anderem:
+++Großbrand in Sachsen+++Explosionen im Gebäude+++:
Flammen zerstören Recycling-Lagerhalle ... - Die Flammen und dicken Rauchschwaden waren am Freitagabend kilometerweit in und um ... zu sehen. ... im Industriegelände war gegen 21.30 Uhr aus noch ungeklärter Ursache ein Feuer in einem alten Fabrikgebäude ausgebrochen.
Durch den Großbrand im ... Industriegelände wurde die Recycling-Lagerhalle der Firma "N" komplett zerstört. Auch der in dem historischen Gebäude untergebrachte Kult-Technoclub "S" steht vor dem Aus. Als die Feuerwehr mit einem Großaufgebot von insgesamt mehr als 100 Kameraden am Brandort eintraf, drang zunächst starker Rauch aus dem Dach der Halle, in der unter anderem auch die Firma "N" Recyclingmüll lagert. Nach kurzer Zeit hatte sich das Feuer zu einem Großbrand entwickelt, es kam immer wieder zu Explosionen im Inneren des Gebäudes, die den Löscheinsatz der Feuerwehr enorm erschwerten.
Quelle
Die Bevölkerung wurde in Folge des Großbrandes in einer amtlichen Mitteilung vor einem Aufenthalt im Freien in 2 km Umgebung des betroffenen Industriegeländes gewarnt und von weiteren Notrufen abgehalten (Überlastung Notrufzentrale). Benachbarte Straßen und Bahngleise wurden zeitweise gesperrt. Nach den Presseberichten brannte das Feuer Tage und es fanden in Folge des Brandes Notabrissmaßnahmen statt, um ein weiteres Ausbreiten des Großbrandes zu verhindern.
Es finden sich zu diesem Ereignis unzählige Presseartikel, Berichte im Radio und TV. Der Oberbürgermeister ... äußerte sich zu dem Vorfall.
Das Nachunternehmen der Beigeladenen (Betreiber der Übernahmestelle) äußerte sich zu dem Großbrand auf der eigenen Homepage:
"...am Freitagabend, den 24.06.2022 gab es im Industriegebiet ... einen Großbrand. Der N Betriebsstandort ... ist stark betroffen. Glücklicherweise gab es nach aktuellem Kenntnisstand keine Verletzten."
Quelle
Der medienwirksame Großbrand auf dem Gelände der Übernahmestelle der Beigeladenen hat nach Auffassung der Vergabekammer bereits Anlass genug gegeben, dass der Auftraggeber im Rahmen der Prüfung der Angebote der Beigeladenen für den Interimsauftrag - schon ohne die Rüge der Antragstellerin - Zweifel an der Leistungsfähigkeit der Beigeladenen hätte haben müssen. Denn dieser beruft sich im Nachprüfungsverfahren gerade darauf, dass ihm die betroffene Übernahmestelle der Beigeladenen seit Jahren bekannt sei und er deren Kapazitäten, Öffnungszeiten, technische Merkmale usw. kenne. Es ist deshalb nicht nachvollziehbar, dass ein Abfallzweckverband den medienwirksamen Großbrand bei einer von ihm in der Vergangenheit genutzten Übernahmestelle nicht gekannt haben will und daraus keine Zweifel an der Leistungsfähigkeit entstanden sind.
Konkret ergeben sich die Zweifel an der Leistungsfähigkeit der Beigeladenen daraus, dass in der Leistungsbeschreibung vorgegeben war, dass die Übernahmestelle allen öffentlichrechtlichen Vorschriften, insbesondere den abfall- und immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsanforderungen, genügen muss und der Auftraggeber prognostizierte Jahresmengen des anfallenden Altpapiers veröffentlicht hat. Zur Begründung der Leistungsfähigkeit der Beigeladenen verwies der Auftraggeber im Nachprüfungsverfahren auf eine immissionsschutzrechtliche Genehmigung des Nachunternehmens der Beigeladenen vom 8. März 2007. Diese bestätige nach Auffassung des Auftraggebers eine hinreichende Kapazität der Übernahmestelle. Diese Genehmigung "umfasst die in einer Halle betriebene Anlage zum Sortieren von" u. a. Papier und gibt eine entsprechende Durchsatzleistung pro Jahr an. Eine Halle ist auf dem Gelände der Übernahmestelle der Beigeladenen nicht mehr vorhanden. Das Gebäude der ursprünglichen Halle gleicht einer Ruine. Das Dach fehlt vollständig. Welchen weiteren Aussagegehalt die Genehmigung hat und ob bzw. wie derzeit die abfall- und immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsanforderungen durch die Ablagerung des Papiers im Freien erfüllt werden, kann für die Vergabekammer dahinstehen. Denn der Auftraggeber hat sich weder im Vergabeverfahren noch im Nachprüfungsverfahren irgendwie weiter mit der Genehmigung, den Auswirkungen des Brandes auf die Leistungsfähigkeit der Beigeladenen und der Frage, ob die derzeitige Form der Leistungserbringung (ohne Nutzung einer Halle, stattdessen Ablagerung des Papiers im Freien) von der zur Begründung der Leistungsfähigkeit herangezogenen Genehmigung umfasst ist, auseinandergesetzt. Im Wesentlichen verwies er im Nachprüfungsverfahren lediglich auf die Ausführungen der Beigeladenen. Eine hinreichende Prüfung der Leistungsfähigkeit unter Einbezug vorhandener Zweifel stellt dies jedenfalls nicht dar. Schon gar nicht hat der Auftraggeber selbst ergänzende zusätzliche Informationen eingeholt und diese mit zum Gegenstand der Prüfung der Leistungsfähigkeit der Beigeladenen gemacht.
Des Weiteren ergeben sich konkrete Zweifel an der Leistungsfähigkeit der Beigeladenen daraus, dass in den Vergabeunterlagen für den Fall, dass die dualen Systeme die Herausgabe ihres Mengenanteils verlangen, dieser trocken gelagert werden muss. Hierzu ist in den Vergabeunterlagen weiter festgehalten, dass einige Dualen Systeme beabsichtigen, ab 2025 ihren Anteil herauszufordern und es wurden hierzu konkrete Angaben zu den prognostizierten Mengen des dann trocken zu lagernden Papiers gemacht. In Folge des Brandes wurde die auf dem Gelände der Übernahmestelle der Beigeladenen befindliche Halle zerstört. Die Beigeladene lagert das Papier derzeit in einem Teilbereich des Außengeländes, welcher mit einer planenartigen Konstruktion teilweise vor Regen geschützt ist. Eine trockene Lagerung des gesamten Papiers ist so nicht möglich. Auch wenn zum Zeitpunkt der Prüfung der Angebote für den Interimsauftrag (und der ursprünglich beabsichtigten Zuschlagserteilung am (26. August 2024) die laut den Vergabeunterlagen signalisierte und beabsichtigte Herausgabe von Mengen an die dualen Systeme und damit die Verpflichtung zur trockenen Lagerung dieses Mengenanteils (ab 2025) noch nicht unmittelbar bevorstand, hätte sich nach Auffassung der Vergabekammer zumindest eine Nachfrage des Auftraggebers bei der Beigeladenen, wie diese angesichts der zerstörten Halle das Papier in Zukunft trocken lagern will, aufgedrängt. In der Vergabeakte wurde dies jedoch, wie der Brand an sich, überhaupt nicht thematisiert.
Der Interimsauftrag hat zwar nur einen festen Leistungszeitraum vom 1. Oktober 2024 bis zum 31. Dezember 2024, doch daran anschließend einen weiteren optionalen Zeitraum bis zum 30. Juni 2025. Die Verpflichtung zur trockenen Lagerung für das Altpapier der Dualen Systeme, dessen Herausgabe ab 2025 "signalisiert und beabsichtigt" sei, greift demnach erst im Optionszeitraum. Es ist diesbezüglich nach Auffassung der Vergabekammer aber nicht angebracht, diese "signalisierte und beabsichtigte" Anforderung bei der Vergabe des Interimsauftrags und der Prüfung der Leistungsfähigkeit der Beigeladenen außen vor zu lassen. Denn der Auftraggeber konnte zum damaligen Zeitpunkt nicht davon ausgehen, dass er nur den festen Zeitraum der Interimsbeauftragung (1. Oktober 2024 bis zum 31. Dezember 2024) ausschöpfen wird. Diesem war die Belastung der Vergabekammer mit einer Vielzahl von Nachprüfungsverfahren und der dadurch zu erwartenden längeren Verfahrensdauer laut dem Vergabevermerk vom 5. August 2024 bekannt. Genauso bekannt sein dürfte dem Auftraggeber, dass die Antragstellerin zur Wahrung ihrer Rechte (soweit sie im Nachprüfungsverfahren betreffend den Hauptauftrag (1/SVK/017-24) verloren hätte) auch regelmäßig in der Beschwerdeinstanz durchzusetzen versucht. Sodass eine rechtskräftige Entscheidung über den Hauptauftrag vor Ende 2024 nicht zu erwarten gewesen ist.
Soweit im laufenden Nachprüfungsverfahren zuletzt von der Beigeladenen vorgetragen wurde, dass man die Errichtung einer festen Überdachung plane, falls man längerfristig beauftragt werde, entfällt hierdurch nicht eine gebotene Prüfung der Leistungsfähigkeit durch den Auftraggeber.
Die von der Beigeladenen eingeholte Stellungnahme des Umweltamts der Stadt ... ist nach Auffassung der Vergabekammer ebenfalls nicht geeignet, alle Zweifel an der Leistungsfähigkeit der Beigeladenen zur genehmigungskonformen Leistungserbringung zu beseitigen.
Abgesehen davon sind durch die Rügen der Antragstellerin zwar noch nicht konkret auf den Brand bezogene, doch jedenfalls zumindest weitere Anhaltspunkte dafür entstanden, dass die Beigeladene die auftraggeberseitig gesetzten Vorgaben zur Übernahmestelle möglicherweise nicht einhalten kann. Denn diese hatte in ihren Rügen bereits vorgetragen, dass die Beigeladene über keine Übernahmestelle verfüge, die den Anforderungen der Leistungsbeschreibung insbesondere im Hinblick auf Kapazitäten und Genehmigungen, entspricht.
Die gebotene Aufklärung und Prüfung der Leistungsfähigkeit der Beigeladenen durch Einholung weiterer Informationen hat nicht stattgefunden. In der Vergabeakte ist hierzu nichts vermerkt. In den Schriftsätzen des Nachprüfungsverfahrens hat der Auftraggeber zu der Thematik Leistungsfähigkeit nach Brand in der Übernahmestelle im Wesentlichen auf die Ausführungen der Beigeladenen verwiesen. Dies stellt keine eigene hinreichende Prüfung dar.
Es handelt sich bei den im Nachprüfungsverfahren vorgebrachten Erwägungen auch nicht um ein Nachschieben von Gründen, da insoweit einerseits nichts vorhanden ist, an das angeknüpft werden könnte und andererseits die hierzu im Nachprüfungsverfahren vom Auftraggeber getätigten Aussagen nicht ausreichend sind, um eine hinreichende Prüfung der Leistungsfähigkeit zu ersetzen.
Unabhängig davon wäre ein Nachschieben von Gründen betreffend die Prüfung der Leistungsfähigkeit der Beigeladenen hier auch aus anderen Gründen ausgeschlossen. Denn Dokumentationsmängel sind zwar grundlegend heilbar, wenn bereits im Vergabevermerk enthaltene Begründungen ergänzt oder erläutert werden, wenn die Entscheidung des öffentlichen Auftraggebers inhaltlich richtig ist und eine Verzögerung des Vergabeverfahrens durch Wiederholung von Verfahrensschritten unangemessen wäre (vgl. VK Sachsen, Beschluss vom 22. März 2021 - 1/SVK/46-20). Eine Heilung ist aber wiederum dann ausgeschlossen, wenn - wie hier - nichts vorhanden ist, an das angeknüpft werden könnte und zu besorgen ist, dass die Berücksichtigung der nachgeschobenen Dokumentation lediglich im Nachprüfungsverfahren nicht ausreichen könnte, um eine wettbewerbskonforme Auftragserteilung zu gewährleisten (BGH, Beschluss vom 8. Februar 2011 - X ZB 4/10). Da die Nachholung nicht dokumentierter oder nicht vorab angestellter Erwägungen einer Wertung die Gefahr birgt, dass der öffentliche Auftraggeber nur eine am Ausgang des Nachprüfungsverfahrens orientierte Bewertung der Tatsachen vornimmt und dies nicht eine ergebnisoffene Bewertung der Tatsachen durch den öffentlichen Auftraggeber sicherstellt (OLG München, Beschluss vom 9. März 2018 - Verg 10/17).
Der Auftraggeber war angesichts der bestehenden Zweifel an der Leistungsfähigkeit der Beigeladenen gehalten, eine Aufklärung herbeizuführen, und zwar insbesondere zu den beiden oben genannten Punkten.
Auf den Vortrag der Antragstellerin zu den Öffnungszeiten der Übernahmestelle der Beigeladenen kommt es damit nicht mehr entscheidend an.
2. Bieterfragen
Der Auftraggeber hat gegen das Gebot der Transparenz und Gleichbehandlung verstoßen, weil er Bieterfragen nur selektiv beantwortet hat.
Der Grundsatz der Gleichbehandlung erfordert, dass ein öffentlicher Auftraggeber regelmäßig jede Auskunft, die er einem anfragenden Bieter gibt, auch allen anderen Bietern erteilt. Andernfalls besteht die Gefahr, dass der Auftraggeber gegen das Gebot der Gleichbehandlung und Chancengleichheit aller Bieter verstößt. Denn der Gleichbehandlungsgrundsatz erhebt einen umfassenden und unmittelbaren Geltungsanspruch. Im Hinblick auf die Gewährleistung fairer Wettbewerbsbedingungen bei der Abgabe der Angebote sind die Bieter gleichmäßig über nachträgliche Ergänzungen oder Erläuterungen zu den Vergabeunterlagen zu informieren. Das bedeutet, dass wettbewerbsrelevante Fragen eines Bieters nicht ausschließlich individuell gegenüber diesem beantwortet werden dürfen, sondern die Antworten und, soweit es zwecks Nachvollziehbarkeit ihres Inhalts und ihrer Relevanz erforderlich ist, auch die gestellten Fragen allen Bietern mitzuteilen sind (VK Bund, Beschluss vom 27. Januar 2017 - VK 2-131/16).
Die unterlassene Weiterleitung von Bieterfragen und -antworten begründet einen schwerwiegenden Verfahrensfehler (VK Bund, Beschluss vom 10. März 2020 - VK 2 - 9/20). Werden nur einem Unternehmen wettbewerbs- und preisrelevante Informationen zur Verfügung gestellt, kann diese Ungleichbehandlung die Vergleichbarkeit der Angebote aufheben und zur Rückversetzung oder im Ausnahmefall zur Aufhebung des Vergabeverfahrens führen. Dabei reicht es aus, wenn nicht ausgeschlossen werden kann, dass die unterbliebene Bieteröffentlichkeit auf die Angebotserstellung Auswirkungen hatte (BayObLG, Beschluss vom 1. August 2024 - Verg 19/23).
Ein Auftraggeber kann allenfalls im Einzelfall eine Bieterfrage individuell beantworten, wenn es sich nicht um eine zusätzliche sachdienliche Auskunft handelt. Der Begriff der zusätzlichen Auskunft ist dabei weit auszulegen. Sachdienlich sind Auskünfte, wenn sie objektiv mit der Sache zu tun haben und Missverständnisse ausräumen oder Verständnisfragen zu den Vergabeunterlagen beantworten (VK Thüringen, Beschluss vom 25. April 2019 - 250-4002-11352/2019-N-006-EF). Ein Ausnahmefall kann vorliegen, wenn offensichtlich ein individuelles Missverständnis des Bieters betroffen ist und die allseitige Beantwortung der Frage Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisse verletzen oder die Identität des Bieters preisgeben würde (VK Sachsen, Beschluss vom 24. August 2016 - 1/SVK/017-16 m. w. N.).
Die weite Auslegung des Begriffs der sachdienlichen zusätzlichen Auskunft ist geboten, weil die Bieter einen Anspruch haben, sich selbst eine Meinung über die Relevanz von zusätzlich erteilten Auskünften zu bilden und selbst einzuschätzen, inwieweit sie diesen Bedeutung für die eigene Angebotserstellung beimessen. Anderes gilt allenfalls für solche Fragen, deren Beantwortung sich in bloßen Wiederholungen von ohnehin bekannten und zweifelsfrei transparenten Vorgaben erschöpfen und die damit die Schwelle zur Auskunft oder Zusatzinformation nicht überschreiten, sondern die lediglich einem rein subjektiven, redundanten Informationsbedürfnis des Fragestellers entspringen. Nur in solchen Fällen kann es vorstellbar sein, dass eine bloße Wiederholung nicht allen Bietern zur Verfügung gestellt werden muss (VK Bund, Beschluss vom 28. Januar 2017 - VK 2 - 129/16). Die Weiterleitung der Antwort darf deshalb nicht von einer qualitativen Überprüfung des Frageinhaltes abhängig gemacht werden (Franzius in: Pünder/Schellenberg, § 12a VOB/A Rn. 13). Es reicht daher für einen Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz aus, dass nicht ausgeschlossen werden kann, dass die unterbliebene Bieteröffentlichkeit auf die Angebotserstellung Auswirkungen haben könnte (VK Bund, Beschluss vom 27. Januar 2017 - VK 2 -131/16; Völlink in: Ziekow/Völlink, § 12a VOB/A, Rn. 15 und § 20 VgV Rn. 15).
Im Ergebnis müssen alle interessierten Unternehmen die gleichen Informationen erhalten, damit sie die gleichen Erfolgschancen haben (VK Bund, Beschluss vom 10. März 2020 - VK 2-5/20).
Gemessen an diesem strengen Maßstab liegt hier eine Verletzung der Pflicht zur umfassenden Beantwortung von Bieterfragen gegenüber allen Bietern vor.
Vorliegend hat die Antragstellerin am 12. Juli 2024 vier Bieterfragen gestellt. Eine Antwort (zur dritten Bieterfrage) wurde allgemein beantwortet, die anderen nur individuell gegenüber der Antragstellerin.
Die Antragstellerin fragte u. a. in ihrer zweiten Bieterfrage vom 12. Juli 2024:
Wir haben festgestellt, dass in § 3 Abs. 2 der Vertragsbedingungen gegenüber der im Offenen Verfahren verwendeten Fassung die Verpflichtung des Auftragnehmers entfallen ist, die erforderlichen technischen Einrichtungen "in eigener Verantwortung" zu stellen. Ist unser Verständnis richtig, dass der Auftragnehmer auch unter der Neufassung der Vertragsbedingung jederzeit in der vertraglichen Verantwortung gegenüber dem AG für die von ihm in die Leistungserbringung eingebundenen technischen Einrichtungen verbleibt? Anderenfalls: Wie ist die Neuregelung zu verstehen?
Die Antwort an die Antragstellerin lautete:
Es ist richtig, dass der Auftraggeber die Wortgruppe "in eigener Verantwortung" gestrichen hat. Denn hierbei handelt es sich um eine Selbstverständlichkeit. Da wir aber bemerkt haben, dass die Wortgruppe zu Missverständnissen führen kann, haben wir sie gestrichen. Ihr Verständnis ist richtig, dass der Auftragnehmer auch unter der Neufassung der Vertragsbedingung jederzeit in der vertraglichen Verantwortung gegenüber den Auftraggeber für die von ihm in die Leistungserbringung eingebundenen technischen Einrichtungen verbleibt.
Die Antwort des Auftraggebers stellt eine zusätzliche sachdienliche Auskunft dar, welche objektiv mit der Sache zu tun hat und mögliche Missverständnisse zur Änderung der Vergabeunterlagen ausräumt bzw. schlicht eine Verständnisfrage zu den Vergabeunterlagen beantwortet. Sie war deshalb allgemein und nicht nur individuell zu beantworten.
In der Antwort stellt der Auftraggeber klar, dass die entsprechende Passage trotz Änderungen am Wortlaut genau so zu verstehen sei wie früher mit der entsprechenden Passage. Damit schließt er eine andere - eventuell auch sehr fernliegende - Auslegungsvariante (nämlich, dass wegen der Streichung der Wortgruppe nunmehr die Bieter nicht mehr selbst für die technischen Einrichtungen verantwortlich sind) definitiv aus. Er stellt somit eindeutig klar, wie die Vergabeunterlagen diesbezüglich zu verstehen sind. Das Argument der Antragstellerin, wonach gerade wegen der Streichung der Wortgruppe "in eigener Verantwortung" nunmehr ein anderes Verständnis möglich wäre, ist nicht ganz von der Hand zu weisen. Der Auftraggeber schreibt in der Antwort selbst, dass es bezüglich § 3 Abs. 2 der Vertragsbedingungen früher zu Missverständnissen bei Bietern gekommen ist, so dass (Neu-)Regelungen an dieser Stelle ebenfalls Fragen aufwerfen können. Die Antwort überschreitet somit die Schwelle zur Auskunft oder Zusatzinformation.
Dass es sich offensichtlich nur um ein individuelles Missverständnis der Antragstellerin handelt und die allgemeine Beantwortung der Frage Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisse der Antragstellerin verletzt oder deren Identität offenlegt, ist nicht ersichtlich. Auch kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Antwort kalkulationsrelevant ist.
Der Umstand, dass die Antragstellerin die Frage selbst gestellt hat und eine Antwort erhalten hat, lässt eine Rechtsverletzung nicht entfallen (vgl. zu dieser Konstellation VK Nordbayern, Beschluss vom 11. September 2024 - RMF-SG21-3194-9-18; VK Thüringen, Beschluss vom 25. April 2019 - 250-4002-11352/2019-N-006-EF). Denn es kann jedenfalls nicht ausgeschlossen werden, dass die Antragstellerin durch Beachtung der erhaltenen Information einen Wettbewerbsnachteil erlangt hat. Dies begründet sich darin, dass die anderen Bieter, die klarstellende Antwort des Auftraggebers nicht kannten und so eventuell günstiger angeboten haben als die Antragstellerin, die sich an die eindeutige Vorgabe gehalten hat. Aus den Angaben der Bieter in den Angeboten lässt sich dies jedenfalls nicht vollständig ausschließen.
Angesichts des oben beschrieben strengen Maßstabes hält die Vergabekammer an ihrer summarischen Einschätzung aus dem Gestattungsbeschluss (1/SVK/022-24) zu dieser Bieterfrage deshalb nicht mehr fest.
Die beiden weiteren Bieterfragen vom 12. Juli 2024 stellen nach Auffassung der Vergabekammer jedoch keine Fragen dar, bei denen wettbewerbs- und preisrelevante Informationen zur Verfügung gestellt wurden. Es ist bei diesen nicht ersichtlich, wie diese und die jeweilige Antwort des Auftraggebers Auswirkungen auf die Angebotserstellung der Bieter hätte haben können. Durch die nur individuelle Beantwortung dieser beiden Bieterfragen liegt demnach kein Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz vor.
In der ersten weiteren Bieterfrage vom 12. Juli 2024 wollte die Antragstellerin wissen:
Wir verstehen die Aufforderung zur Angebotsabgabe so, dass das Vergabeverfahren lediglich die Interimsvergabe der im Offenen Verfahren ausgeschriebenen, derzeit aber nicht bezuschlagbaren Leistungen in den Losen A und B beabsichtigt. Dennoch haben wir festgestellt, dass die Vergabeunterlagen nicht vollständig jenen im Offenen Verfahren entsprechen, sondern einige Änderungen an der Verfahrensbeschreibung (Bewerbungsbedingungen) und den Vertragsbedingungen enthalten. Was sind die Gründe für diese Änderungen?
In der Antwort führt der Auftraggeber aus:
Ihr Verständnis ist richtig. Die Interimsvergabe betrifft diejenigen Leistungen, die wir im offenen Verfahren aktuell nicht vergeben können, weil eine Zuschlagsperre durch das Nachprüfungsverfahren besteht. Gleichwohl handelt es sich bei dem offenen Verfahren einerseits und dem Verhandlungsverfahren andererseits um getrennte Vergabeverfahren. Die Interimsvergabe im Verhandlungsverfahren ist nicht Teil des offenen Verfahrens. Selbstverständlich haben wir im Wesentlichen die gleichen Bedingungen, Vertragsinhalte usw. ausgeschrieben wie im offenen Verfahren, auch verweisen wir in der Aufforderung zur Abgabe eines Angebots vom 05.07.2024 auf das offene Verfahren und insbesondere die beiden Bieterinformationen. Die Interimsvergabe ist gleichwohl kein Bestandteil des offenen Verfahrens. Daher steht es dem Auftraggeber frei, Änderungen gegenüber dem offenen Verfahren vorzusehen. Insbesondere haben wir uns bei der Gestaltung der Vergabeunterlagen von den Erfahrungen leiten lassen, die wir im offenen Verfahren gemacht haben.
Maßgeblich ist hier, dass sich die Frage nicht auf Einzelheiten der Vergabeunterlagen selbst richtet, sondern nach den Gründen für die Änderung von einzelnen Passagen der Vergabeunterlage. Trotz des insoweit äußerst engen Maßstabes für eine individuelle Beantwortung von Bieterfragen, erkennt die Vergabekammer hier keinerlei mögliche Kalkulationsrelevanz der Frage und der Antwort. Es wird in der Antwort keine Erläuterung zu den Vergabeunterlagen gegeben, sondern die Gründe dargelegt, warum Änderungen möglich waren. Es ist nicht ersichtlich, dass diese Frage und die darauf folgende Antwort Bedeutung für die Angebotserstellung haben können. Sie erschöpft sich im Wesentlichen darin, dass ausgeführt wird, dass die Interimsvergabe diejenigen Leistungen betrifft, die im Vergabeverfahren zum Hauptauftrag derzeit nicht vergeben werden können und es sich um getrennte Vergabeverfahren handelt. Hierzu wurden im Übrigen schon in der Aufforderung zur Abgabe der Angebote gleichlautende Angaben gemacht. Dementsprechend ist eine Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes durch die nur individuelle Beantwortung dieser Bieterfrage nicht gegeben.
Die andere weitere nur individuell beantwortete vierte Frage vom 12. Juli 2024 lautete:
Bitte bestätigen Sie unser Verständnis, dass der Auftraggeber die Eignung der Bieter nicht vorab außerhalb des Vergabeverfahrens geprüft und bejaht hat, sondern dass er diese anhand der nach Maßgabe der Vergabeunterlagen erstellten Angebote, insbesondere anhand der in den Angeboten enthaltenen eignungsrelevanten Erklärungen und Nachweise, prüfen wird.
Diesbezüglich wurde geantwortet:
Ihr Verständnis ist richtig.
§ 17 VgV enthält keine Regelungen, wie der Auftraggeber die Eignungsprüfung in einem Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb durchzuführen hat. In § 17 Abs. 5 VgV heißt es nur, dass vom öffentlichen Auftraggeber ausgewählte Unternehmen zur Abgabe von Erstangeboten aufzufordern sind. Aus dieser Formulierung wird üblicherweise geschlossen, dass der Auftraggeber im Vorfeld der Angebotsaufforderung eine Eignungsprüfung vorzunehmen hat. Nur Unternehmen, die aus Sicht des Auftraggebers geeignet sind, wird der Auftraggeber überhaupt zur Angebotsabgabe auffordern. Hier haben wir nun die Situation, dass Sie die Eignung der ... GmbH bestreiten. Aus Gründen der Gleichbehandlung sehen wir uns allerdings als verpflichtet an, auch die ... GmbH an der Interimsvergabe zu beteiligen. Wir wollten uns nun nicht Vorwürfen aus Ihrem Hause aussetzen, wir hätten die ... GmbH fehlerhaft zur Angebotsabgabe aufgefordert, weil die ... GmbH gerade nicht über die notwendige Eignung verfüge. Daher haben wir gewissermaßen die gleichen Eignungsvoraussetzungen noch einmal aufgestellt, weil die ... GmbH entgegen Ihren Ausführungen im Nachprüfungsverfahren (die die ausschließlich ins Blaue hinein gebracht wurden) über die von uns verlangte Eignung verfügt. Unsere Gestaltung des Vergabeverfahrens verfolgt also den Zweck, weiteren Streitigkeiten mit Ihrem Hause von vornherein den Boden zu entziehen.
Bezüglich dieser Frage und Antwort ist eine Relevanz für die Angebotserstellung ebenfalls nicht ersichtlich. Es geht offenkundig nicht um den Inhalt der Vergabeunterlagen, sondern um die Motive, warum der Auftraggeber im Interimsvergabeverfahren eine Eignungsprüfung vornehmen möchte und das Verständnis des Auftraggebers von § 17 VgV. Konkrete Angaben zum Inhalt der Vergabeunterlagen werden hingegen nicht gemacht. Wie durch diese Antwort Vorteile oder Nachteile, welche in einer Ungleichbehandlung der Bieter resultieren könnten, entstehen sollen, ist nicht erkennbar. Es handelt sich nicht um wettbewerbs- und preisrelevante Informationen, die irgendeinen Einfluss auf die Angebotserstellung haben können. Es ist aus den Vergabeunterlagen auch eindeutig erkennbar, dass der Auftraggeber für das Interimsvergabeverfahren Eignungsnachweise angefordert hat, so dass jede Antwort auf diese Frage keine weiterführenden Informationen für die weiteren Bieter enthält. Entsprechend hat der Auftraggeber zulässig individuell gegenüber der Antragstellerin auf diese Frage geantwortet und dabei auch Bezug auf vorherige Auseinandersetzung mit der Antragstellerin genommen, welche aus Gründen der Geheimhaltung ohnehin gegenüber den anderen Bietern nicht hätte bekannt gemacht werden dürfen.
Soweit von der Antragstellerin im Zusammenhang mit den Bieterfragen geltend gemacht wurde, dass sich die Verletzung des Grundsatzes der Gleichbehandlung aus dem Vergabeverfahren zum Hauptauftrag im Vergabeverfahren zum Interimsauftrag fortsetzt, weil die beiden Vergabeverfahren miteinander verknüpft seien und im Interimsvergabeverfahren auf die beiden zum Hauptauftrag veröffentlichten allgemeinen Bieterinformationen verwiesen wurde, kann hierzu eine Entscheidung dahinstehen. Die Vergabekammer hält dies aus den im Gestattungsbeschluss vom 9. September 2024 (1/SVK/022-24G) genannten Gründen, wonach es sich um zwei getrennte und eigenständige Vergabeverfahren handelt, weiter für zweifelhaft.
3. Preisprüfung
Eine Verpflichtung des Auftraggebers zur Preisprüfung bestand nicht.
Hinsichtlich des Preisabstands sind in der Rechtsprechung Aufgreifschwellen anerkannt, bei deren Erreichen eine Verpflichtung des Auftraggebers angenommen wird, in eine nähere Prüfung der Preisbildung des fraglichen Angebots einzutreten. Die Vergabekammer Sachsen geht diesbezüglich in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass eine Preisprüfung dann stattzufinden hat, wenn ein Preisabstand von 20% oder mehr zum nächsthöheren Angebot besteht und dabei auf die Differenz des Gesamtpreises abzustellen ist und nicht auf einzelne Preispositionen (VK Sachsen, Beschluss vom 30. März 2023 - 1/SVK/002-23 m. w. N.).
Diese Aufgreifschwelle wurde hier weder erreicht noch überschritten, sondern im Gegenteil deutlich unterschritten. Es sprechen auch keine weiteren besonderen Umstände des Einzelfalls dafür, dass die Antragsgegnerin zu einer Preisprüfung verpflichtet gewesen wäre.
Soweit die Antragstellerin hierzu geltend macht, dass die Aufgreifschwelle nicht nur auf den gebildeten Gesamtpreis anzuwenden wäre, sondern auch auf dessen einzelne Bestandteile (Entgelt und Vergütung), ist dies nach bereits oben Dargestelltem nicht der Fall. Darüber hinaus wäre auch bei einer einzelnen Betrachtung des Entgelts und der Vergütung die Aufgreifschwelle vorliegend nicht erreicht.
4. Angebotswertung - Ermittlung Vergleichspreis
Die Vergabekammer hat die Ermittlung des Vergleichspreises nachgehalten. Zutreffend hatte die Antragstellerin diesbezüglich auf einen Rechenfehler des Auftraggebers hingewiesen.
Aus diesem Rechenfehler ergeben sich aber keine Konsequenzen für die Rangfolge der Angebote. Der Fehler tritt bei den Angeboten der Antragstellerin und der Beigeladenen gleichermaßen auf und begründet Abweichungen vom ursprünglichen Ergebnis der Ermittlung des Vergleichspreises um Cent-Beträge.
Eine Rechtsverletzung der Antragstellerin, die ihr einen Schaden verursacht, ist darin nicht zu erkennen.
5. Angebotswertung - Ermittlung Transportkosten
Hinsichtlich der Transportkosten macht die Antragstellerin geltend, dass der Auftraggeber diese falsch einfach (Hinweg zur Übernahmestelle) und nicht zutreffend doppelt (Hin- und Rückweg zur Übernahmestelle) berechnet hätte. Hierzu stützt sich die Antragstellerin auf den Wortlaut der Leistungsbeschreibung, wonach die "Kosten für Transportaufwendungen" zu berücksichtigen seien und dies bedeute, dass zwingend die Kosten für die Hin- und Rückfahrt berücksichtigt werden müssten.
Nach Auffassung der Vergabekammer ist die Herleitung der Transportkosten mathematisch exakt in der Leistungsbeschreibung (Formblatt Zuschlagskriterien V-II-13) vorgegeben. Dort wird ausdrücklich ausgeführt:
[Abbildung nicht dargestellt]
Daraus ergibt sich nach Auffassung der Vergabekammer eindeutig, dass die Kosten der Transportaufwendungen aus dem Produkt der einfachen Entfernung (Lx) und den spezifischen Transportkosten zu ermitteln ist. Die abgebildete Rechenformel in der ausschließlich auf "Lx" (was weiter oben als einfache Entfernung definiert wurde) lässt keine andere Schlussfolgerung zu.
Dies wird dann durch die dem Formblatt abgebildete Beispielsrechnung:
[Abbildung nicht dargestellt]
nochmals verdeutlicht. An keiner Stelle findet sich ein Rechenschritt in dem für die die Entfernung ein anderer Wert als die "einfache Entfernung" verwendet wird oder ein weiterer Rechenschritt, in der nochmals der Faktor 2 für die Entfernung hinzugerechnet wird.
Dementsprechend liegt bei der Ermittlung der Transportkosten kein Vergaberechtsfehler vor.
6. Ersatzübernahmestellen
Der Auftraggeber war nach Auffassung der Vergabekammer nicht verpflichtet, das Vorhandensein einer Ersatzübernahmestelle der Beigeladenen zu prüfen.
Es ist unzutreffend, dass die Beigeladene über eine Ersatzübernahmestelle verfügen müsse und diese bereits mit dem Angebot hätte benennen müssen. Der Auftraggeber war auch nicht verpflichtet, zu prüfen, ob diese Ersatzübernahmestelle wiederum alle Vorgaben der Vergabeunterlagen hinsichtlich Genehmigungen und Ausstattung entspricht. An keiner Stelle der Angebotsunterlagen musste eine entsprechende Ersatzübernahmestelle benannt werden oder für diese irgendwelche Unterlagen vorgelegt werden. Aus der Leistungsbeschreibung ergibt sich lediglich, dass
"In Fällen, in denen an der Übernahmestelle aufgrund von betrieblichen Störungen keine Übernahme möglich ist, ist dem Auftraggeber ersatzweise unverzüglich eine andere Übernahmestelle zu benennen.
Leistungsbeschreibung, Seite 5
Dies ist eine Bedingung für möglicherweise auftretende Störungsfälle im Rahmen der späteren Auftragsdurchführung und Vertragsabwicklung. Es ist abwegig, wenn die Antragstellerin meint, dass der Auftraggeber verpflichtet wäre, diesbezüglich näheres zu einer Ersatzübernahmestelle zu prüfen und Nachweise zu fordern, obwohl der Auftraggeber dies in den Vergabeunterlagen nicht gefordert hat.
7. Eignung Beigeladene
Eine Entscheidung der Vergabekammer zur Eignungsprüfung der Beigeladenen durch den Auftraggeber und der in diesem Zusammenhang von der Antragstellerin maßgeblich aufgeworfenen Frage, ob eine solche ohne Vorlage einer Verpflichtungserklärung speziell für das Interimsvergabeverfahren mit einer positiven Eignungsprognose zum Abschluss gebracht werden kann, kann mangels Entscheidungserheblichkeit für den Ausgang dieses Nachprüfungsverfahrens dahinstehen.
III.
1. Der Auftraggeber und die Beigeladene haben die Kosten des Hauptsacheverfahrens (Nachprüfungsverfahren) gesamtschuldnerisch zu tragen, § 182 Abs. 3 Satz 1 und 2 GWB.
Der Auftraggeber und die Beigeladene haben als Unterliegende die Kosten (Gebühren und Auslagen) des Hauptsacheverfahrens (Nachprüfungsverfahren) gemäß § 182 Abs. 3 Satz 1 und 2 GWB als Gesamtschuldner zu tragen.
Die Beigeladene ist als Unterliegende anzusehen, da sie sich aktiv am Verfahren beteiligt hat.
§ 182 Abs. 3 Satz 1 GWB gilt für alle Beteiligten, d. h. auch ein unterlegener Beilgeladener ist an den Kosten zu beteiligen. Ein Beigeladener ist allerdings nur dann als "unterlegen" anzusehen, wenn er sich - regelmäßig auf Seiten des Auftraggebers - selbst aktiv am Nachprüfungsverfahren beteiligt und/oder eigene Anträge gestellt hat und damit erfolglos geblieben ist (vgl. zum ganzen Krohn in: Burgi/Dreher/Opitz, § 182 GWB Rn. 33 m. w. N.; Hafkesbrink in: Gabriel/Mertens/Stein/Wolf, § 182 GWB Rn. 70 f. m. w. N.; OLG Celle, Beschluss vom 24. September 2014 - 13 Verg 9/14, OLG Rostock, Beschluss vom 21. Juli 2017- 17 Verg 2/17). Dabei kommt es auf die Zielsetzung und den Grad an, mit dem der Beigeladene das Verfahren gefördert hat. Tritt der Beigeladene dem Nachprüfungsantrag mit eigenem substantiellem Vortrag oder eigenen Anträgen aktiv entgegen, ist er bei einem Obsiegen des Antragstellers neben dem Auftraggeber regelmäßig ebenfalls als unterlegen anzusehen. Eine aktive Beteiligung kann demnach auch ohne eigene Antragstellung gegeben sein.
Die Beigeladene hat zunächst im Schriftsatz vom 12. September 2024 Anträge gestellt bzw. diese angekündigt und sich dann im weiteren Verlauf mit mehreren substanziellen Schriftsätzen aktiv am Nachprüfungsverfahren beteiligt und unter anderem um eine antragsgemäße Entscheidung gebeten (Schriftsatz vom 22. Oktober 2024). Sie nahm zudem aktiv an der mündlichen Verhandlung teil, stellte in dieser jedoch keinen Antrag. Mit ihren schriftsätzlichen Äußerungen hat die Beigeladene versucht, auf das Verfahren Einfluss zu nehmen. Auch ohne förmliche Antragstellung ist deshalb eindeutig zu erkennen, welches Rechtsschutzziel (Abweisung des Nachprüfungsantrags) sie verfolgte.
Im Rahmen der mündlichen Verhandlung hatte die Vergabekammer darauf hingewiesen, dass sie hinsichtlich der Thematik Bieterfragen und Leistungsfähigkeit der Beigeladenen erhebliche Risiken im Vorgehen des Auftraggebers sieht. Es wäre nicht sachgerecht der Beigeladenen, die bis zum Schluss aktiv an der Seite des Auftraggebers gegen die Antragstellerin gekämpft hat, die Möglichkeit zu geben, das damit verbundene Kostenrisiko - in Kenntnis des mutmaßlichen Verfahrensausgangs - durch bloßen Verzicht auf einen förmlichen Antrag in letzter Sekunde (in der mündlichen Verhandlung) noch abzuschütteln (Krohn in: Burgi/Dreher/Opitz, § 182 GWB Rn. 50, vgl. hierzu auch OLG Rostock, Beschluss vom 21. Juli 2017 - 17 Verg 2/17 m. w. N.).
Ein Teilunterliegen ist vorliegend nicht gegeben. Die Kosten des Hauptsacheverfahrens sind nicht zu quotieren. Zutreffend ist, dass die Pflicht zur Kostentragung nur besteht "soweit" der Beteiligte unterliegt, § 182 Abs. Satz 1 GWB. In der vorliegenden prozessualen Situation ist aber kein Teilunterliegen der Antragstellerin gegeben. Weder nach schematischer Betrachtung der gestellten Anträge noch nach einer materiellen Betrachtung kommt ein Teilunterliegen in Betracht. Mit ihrem zulässigen und begründeten Feststellungsantrag, wonach festzustellen sei, dass der Auftraggeber im streitigen Vergabeverfahren gegen Vergabevorschriften verstoßen hat und die Antragstellerin hierdurch in ihren Rechten verletzt wurde, hat sie Erfolg. Genau dies stellt die Vergabekammer hier fest. In materieller Hinsicht konnte sie in diesem Nachprüfungsverfahren nach der Zuschlagserteilung nichts weiter erreichen. Durch diese tritt eine Erledigung ein, § 168 Abs. 2 GWB. Sie obsiegt daher in materieller Hinsicht zu 100%.
Die Kosten des Hauptsacheverfahrens (Nachprüfungsverfahren) tragen demnach der Auftraggeber und die Beigeladene gesamtschuldnerisch.
2. Die Verfahrensgebühr für das Hauptsacheverfahren (Nachprüfungsverfahren) wird auf x.... EUR festgesetzt und ist allein von der Beigeladenen zu tragen, § 182 Abs. 3 Satz 2 GWB. Der Auftraggeber ist von der Zahlung der Gebühr befreit, § 182 Abs. 1 Satz 2 GWB i. V. m. § 8 Abs. 1 Nr. 3 des Verwaltungskostengesetzes (Bund).
Die Gebühr beträgt mindestens 2.500 EUR und soll den Betrag von 50.000 EUR nicht überschreiten (§ 182 Abs. 2 Satz 1 und 2 GWB). Die Höhe der Gebühr bestimmt sich nach dem personellen und sachlichen Aufwand der erkennenden Vergabekammer unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Bedeutung des Gegenstandes des Nachprüfungsverfahrens (§ 182 Abs. 2 GWB). Der Gesetzgeber hat mit dieser an § 80 Abs. 2 GWB orientierten Regelung klargestellt, dass - wie im Kartellverwaltungsverfahren - vorrangig auf die wirtschaftliche Bedeutung des Verfahrens abzustellen ist. Die Vergabekammern des Bundes haben eine Gebührenstaffel erarbeitet, die die erkennende Vergabekammer im Interesse einer bundeseinheitlichen Handhabung in der Regel übernimmt. Zur Bestimmung des wirtschaftlichen Interesses wird in der Regel auf den Angebotswert des Angebotes der Antragstellerin abgestellt.
Vorliegend ergibt sich die Besonderheit, dass die Angebotspreise negativ sind. Dies resultiert daraus, dass den Bietern das Altpapier zur Verwertung überlassen wird und diese dadurch Verwertungseinnahmen generieren. Diese reichen sie (teilweise) an den Auftraggeber weiter. Der Wert dieser Vergütung übersteigt die angegebenen Entgelte für die zu erbringenden Dienstleistungen. Es ist für die Vergabekammer nicht erkennbar, ob die Bieter bei der Angabe der an den Auftraggeber zu zahlenden Erlöse eigene Gewinne einkalkuliert haben bzw. wie hoch diese sind. Es wird deshalb für das wirtschaftliche Interesse allein auf die positiv kalkulierten Entgelte für die zu erbringenden Dienstleistungen abgestellt (vgl. OLG Koblenz, Beschluss vom 23. Mai 2018 - Verg 2/18). Ausgehend davon ergibt sich hier unter Berücksichtigung der Laufzeit des Vertrags von drei Monaten und des Optionszeitraums von weiteren sechs Monaten, dessen Inanspruchnahme einseitig durch den Auftraggeber bestimmt werden kann (und deshalb nur zu 50% berücksichtigt wird, vgl. (BGH, Beschluss vom 18. März 2014 - X ZB 12/13) ein Auftragswert, für den die Gebührentabelle der Vergabekammern des Bundes eine Gebühr in Höhe von x.... EUR vorsieht.
Dieser Betrag kann entsprechend § 182 Abs. 2 Satz 1, 2. Hs. GWB ermäßigt werden, ggf. bis auf ein Zehntel. Als Gründe einer Ermäßigung sind dabei nur solche Gesichtspunkte zu berücksichtigen, die im Zusammenhang mit der wirtschaftlichen Bedeutung sowie dem erforderlichen Verwaltungsaufwand stehen. Gründe, die dies rechtfertigen, sind hier nicht gegeben.
Auslagen, die nicht mit der Gebühr abgegolten wären, sind nicht angefallen.
Der Auftraggeber ist als Zweckverband von der Zahlung der Gebühr nach § 182 Abs. 1 Satz 2 GWB i. V. m. § 8 Abs. 1 Nr. 3 des Verwaltungskostengesetzes (Bund) vom 23. Juni 1970 (BGBl. I S. 821) in der am 14. August 2013 geltenden Fassung befreit. Zwar sieht die genannte Norm eine Befreiung ausdrücklich nur für die Gemeinden und Gemeindeverbände, sofern die Amtshandlungen nicht ihre wirtschaftlichen Unternehmen betreffen, vor. Doch sind auf Zweckverbände nach § 47 Abs. 2 Satz 1 SächsKomZG und § 5 Abs. 3 Satz 1 SächsKomZG die für Gemeinden geltenden Vorschriften entsprechend anzuwenden, weshalb Zweckverbände (auch wenn es keine Gemeindeverbände sind) von der Zahlung der Gebühr befreit sind.
Der Auftraggeber haftet zusammen mit der Beigeladenen gesamtschuldnerisch, für die von der Vergabekammer festgesetzte Verfahrensgebühr (insgesamt), § 182 Abs. 3 Satz 2 GWB. Diese gesamtschuldnerische Haftung mehrerer Kostenschuldner wurde zwingend vom Gesetzgeber in § 182 Abs. 3 Satz 2 GWB angeordnet. Deren Anordnung steht nicht im Ermessen der Vergabekammer. Dies hat gemäß § 421 BGB zur Folge, dass die Vergabekammer als Kostengläubigerin die Zahlung von jedem Schuldner ganz fordern kann. Dies hätte vorliegend die Konsequenz, dass allein die Beigeladene zur Erstattung des gesamten Betrags in Höhe von x.... EUR heranzuziehen wäre, da der Auftraggeber als Zweckverband eine persönliche Gebührenfreiheit nach § 8 Abs. 1 Nr. 3 des Verwaltungskostengesetzes (Bund) vom 23. Juni 1970 (BGBl. I S. 821) in der am 14. August 2013 geltenden Fassung genießt. Ein Beteiligter darf jedoch nicht zur Erstattung eines Gebührenanteils herangezogen werden, welcher auf einen zwar gesamtschuldnerisch mithaftenden, von der persönlichen Gebührenzahlungspflicht jedoch befreiten Kostenschuldner entfällt (Thüringer Oberlandesgericht, Beschluss vom 4. April 2003 - 6 Verg 4/03). Die Beigeladene, welche mit dem Auftraggeber gesamtschuldnerisch die Verfahrenskosten trägt, profitiert insoweit von der Gebührenbefreiung des Auftraggebers, als auch sie nach allgemeinen Regeln des Kostenrechts (vgl. Oestreich/Winter/Hellstab, GKG, § 2, Rd. 23 m. w. N.) nicht zur Erstattung des auf den Auftraggeber (intern) entfallenden Gebührenanteils herangezogen werden kann. Dieses Ergebnis beruht auf allgemeinen Ausgleichsregeln zur Gesamtschuld, wie sie im Bereich des materiellen Rechts überwiegend (vgl. etwa Heinemeyer in: MüKo, § 426 BGB Rn. 3 ff. m. w. N.) und im Bereich des Kostenrechts ganz herrschend vertreten werden (Hartmann, Kostengesetze, 34. Aufl. 2004, § 2 GKG Rn. 22; OLG Oldenburg, Beschluss vom 2. Februar 1993 - 5 U 76/89 m. w. N.).
Die Verfahrensgebühr ist deshalb vorab um den anteiligen Betrag zu kürzen, der dem internen Haftungsanteil des Inhabers des Haftungsprivilegs in der Gesamtschuld entspräche (OLG Dresden, Beschluss vom 25. Januar 2005 - WVerg 014/04). Vorliegend hat dies zur Folge, dass die Verfahrensgebühr von 2.725 EUR weiter um den auf den Auftraggeber entfallenden Haftungsanteil zu kürzen ist. Dieser entspräche hier 50%. Folglich ist die Verfahrensgebühr abschließend auf x.... EUR festzusetzen. Diesen Betrag hat dann allein die Beigeladene zu tragen.
Die Beigeladene hat daher den Betrag von x.... EUR binnen zwei Wochen nach Bestandskraft dieser Entscheidung einzuzahlen.
3. Der Auftraggeber und die Beigeladene haben die notwendigen Aufwendungen der Antragstellerin im Hauptsacheverfahren (Nachprüfungsverfahren) je zur Hälfte zu tragen, § 182 Abs. 4 Satz 1 GWB.
Gemäß 182 Abs. 4 Satz 1 GWB hat ein Beteiligter die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder -verteidigung notwendigen Aufwendungen seines Gegners zu tragen, soweit er im Verfahren unterliegt.
Vorliegend sind der Auftraggeber und die Beigeladene im Hauptsacheverfahren (Nachprüfungsverfahren) die Unterliegenden. Daher haben sie die zur Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen der Antragstellerin nach § 182 Abs. 4 Satz 1 GWB als Teilschuldner jeweils zur Hälfte zu tragen.
4. Die Hinzuziehung eines Rechtsanwaltes durch die Antragstellerin im Hauptsacheverfahren (Nachprüfungsverfahren) war gemäß § 182 Abs. 4 Satz 4 GWB i. V. m. i. V. m. § 1 SächsVwVfZG und § 80 Abs. 2 VwVfG notwendig.
Ob die Zuziehung eines Bevollmächtigten erforderlich war und die hieraus entstandenen Kosten damit zu den notwendigen Aufwendungen der Antragstellerin i. S. d. § 80 Abs. 1 Satz 3 VwVfG gehören, ist nach dem individuellen Streitstoff des einzelnen Nachprüfungsverfahrens zu beurteilen (OLG Dresden, Beschluss vom 22. Februar 2010 - WVerg 1/10).
Vorliegend wurde der Nachprüfungsantrag mit vielfältigsten Argumenten und rechtlichen Schlussfolgerungen begründet. Die in diesem Zusammenhang zu beantwortenden Rechtsfragen des Nachprüfungsverfahrens sind sehr schwierig und komplex. Der Sachverhalt war umfangreich.
Zudem handelt es sich bei dem Vergaberecht allgemein aufgrund vielfältiger europarechtlicher Überlagerung um ein wenig übersichtliches und zudem stetigen Veränderungen unterworfenes überdurchschnittlich kompliziertes Rechtsgebiet, das wegen des gerichtsähnlich ausgestalteten Verfahrens bei der Vergabekammer bereits prozessrechtliche Kenntnisse verlangt, einem hohen Zeitdruck unterliegt und für das in vielen Bereichen gesicherte Rechtsprechungsergebnisse noch nicht vorhanden sind. Deshalb ist die Beauftragung eines Rechtsanwaltes durch einen Bieter in vergaberechtlichen Streitigkeiten schon grundsätzlich als notwendig anzusehen (Krohn in: Burgi/Dreher, GWB, § 182 Rn. 45).
Im Ergebnis ist daher festzustellen, dass die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts durch die Antragstellerin notwendig war.
5. Die Antragstellerin hat die Kosten des Eilverfahrens (Antrag auf vorzeitige Zuschlagsgestattung) zu tragen, § 182 Abs. 3 GWB analog.
Der Auftraggeber hatte mit Schriftsatz vom 28. August 2024 beantragt, dass ihm gestattet wird, den Zuschlag vorzeitig zu erteilen. Diesem Antrag hat die Vergabekammer mit rechtskräftigem Beschluss vom 9. September 2024 (1/SVK/022-24) stattgegeben und ausgeführt, dass die Entscheidung über die Kosten des Eilverfahrens (Antrag auf vorzeitige Zuschlagsgestattung) dem Beschluss in der Hauptsache (Nachprüfungsverfahren) vorbehalten bleibt.
Über die Kosten des Eilverfahrens (Antrag auf vorzeitige Zuschlagsgestattung) wird im Hauptsacheverfahren entschieden, weil das Eilverfahren als eigenständiges Zwischenverfahren Teil des Hauptsacheverfahrens ist. Es löst gesonderte Vergabekammergebühren aus (OLG München, Beschluss vom 28. Februar 2011 - Verg 23/10; OLG Dresden, Beschluss vom 15. Mai 2014 - Verg 2/14 -, nicht veröffentlicht, VK Sachsen Beschluss vom 12. Februar 2004 - 1/SVK/164-03G; VK Schleswig-Holstein, Beschluss vom 12. Juli 2005 - VK-SH 18/05) über die getrennt und unabhängig zu entscheiden ist, wer die Kosten der Hauptsache trägt. Es ist dabei anerkannt, dass die Kostenlast für das Eilverfahren und den Nachprüfungsantrag in der Hauptsache unterschiedliche Beteiligte treffen kann (Krohn in: Burgi/Dreher/Opitz, § 182 GWB Rn. 37).
Dabei gelten für die Kosten des Eilverfahrens nach § 169 Abs. 2 Satz 1 GWB die gleichen Grundsätze wie für die Kosten des Nachprüfungsverfahrens in der Hauptsache. Die Frage der Kostenverteilung des Eilverfahrens (Antrag auf vorzeitige Zuschlagsgestattung) richtet sich deshalb konkret nach den §§ 182 Abs. 3 Satz 1 GWB analog, der ausführt, dass soweit ein Beteiligter im Verfahren unterliegt, er die Kosten zu tragen hat (OLG München, Beschluss vom 28. Februar 2011 - Verg 23/10).
Die Antragstellerin unterliegt im Eilverfahren (Antrag auf vorzeitige Zuschlagsgestattung) und hat deshalb die Kosten (Gebühren und Auslagen) dieses Eilverfahrens gemäß § 182 Abs. 3 Satz 1 GWB analog zu tragen.
Soweit hierzu von der Antragstellerin vorgetragen wird, dass der Auftraggeber abweichend davon die Kosten des Eilverfahrens wegen Verschuldens im Sinne des § 182 Abs. 3 Satz 3 GWB analog zu tragen habe, weil dieser durch objektive Vergaberechtsverstöße Anlass zum Nachprüfungsantrag gegeben habe und es ohne diesen Nachprüfungsantrag nicht zum Eilantrag auf vorzeitige Gestattung der Zuschlagserteilung durch den Auftraggeber selbst gekommen wäre, folgt dem die Vergabekammer nicht. Zutreffend ist, dass § 182 Abs. 3 S. 3 GWB es der Vergabekammer abweichend vom Grundsatz der Kostentragung aufgrund Unterliegens gem. § 182 Abs. 3 S. 1 GWB ermöglicht, die durch das "Verschulden eines Beteiligten" entstandenen Kosten auch diesem aufzuerlegen. Die Regelung lässt es zu, bei der Kostenverteilung unabhängig vom Verfahrensausgang zu berücksichtigen, ob ein Beteiligter, der formal obsiegt hat, in vorwerfbarer Weise zur Einleitung des Nachprüfungsverfahrens bzw. zur Auslösung von Kosten beigetragen hat. In diesem Fall können die Kosten abweichend vom strikten Unterliegensprinzip aufgeteilt werden (BTDrucks. 16/10117 vom 13. August 2008, S. 25).
§ 182 Abs. 3 Satz 3 GWB erlaubt es auch, bei der Kostenentscheidung etwaige grundlose Mehrkosten aufgrund eines Antrags auf vorläufige Maßnahmen nach § 169 Abs. 3 GWB zu (durch Quotelung) berücksichtigen. So können einem Antragsteller, der erfolglos vorläufige Maßnahmen nach § 169 Abs. 3 GWB beantragt hat, die damit verbundenen Mehrkosten auch dann auferlegt werden, wenn dem Nachprüfungsantrag stattgegeben wird. Bei einem Antrag auf sofortige Zuschlagsgestattung nach § 169 Abs. 2 Satz 1 GWB - wie hier - stellt sich die Frage richtigerweise nicht, weil über diese Kosten ohnehin gesondert zu entscheiden ist (Krohn in: Burgi/Dreher/Opitz, § 182 GWB Rn. 37).
Es kann somit nach Auffassung der Vergabekammer höchstens relevant sein, ob im Eilverfahren (Antrag auf vorzeitige Zuschlagsgestattung) selbst Verschuldensaspekte festzustellen sind. Für dieses sieht die Vergabekammer kein schuldhaftes bzw. vorwerfbares Verhalten des Auftraggebers. Dieser hatte wegen Eilbedürftigkeit zunächst ein Interimsvergabeverfahren eingeleitet, weil eine rechtskräftige Entscheidung über den Hauptauftrag (1/SVK/017-24) absehbar nicht mehr rechtzeitig erfolgen würde. Nachdem bezüglich der Interimsvergabe erneut ein Nachprüfungsverfahren eingeleitet wurde, hatte er aus den im Gestattungsbeschluss vom 9. September 2024 (1/SVK/022-24G) genannten Gründen den Eilantrag auf vorzeitige Gestattung der Zuschlagserteilung gestellt, um Leistungen der Daseinsvorsorge unterbrechungsfrei zu gewährleisten. Die Vergabekammer erkennt hierin kein vorwerfbares Verhalten. Diese Möglichkeit eines Antrags nach § 169 Abs. 2 GWB ist im Gesetz für solche Situationen vorgesehen und dessen Ingebrauchnahme musste von der Antragstellerin hier auch erwartet werden.
Unabhängig davon wäre bereits zweifelhaft, ob allein die (später) festgestellten objektiven Vergaberechtsverstöße im Interimsvergabeverfahren überhaupt als "Verschulden" im Sinne des § 182 Abs. 3 Satz 3 GWB anzusehen sind, die eine Umkehr der grundsätzlichen Kostenverteilungsregel des § 182 Abs. 3 Satz 1 zur Folge haben könnten.
Deshalb trägt die Antragstellerin als in diesem Zwischenverfahren Unterliegende die Kosten des Eilverfahrens.
6. Die Verfahrensgebühr für das Eilverfahren (Antrag auf vorzeitige Zuschlagsgestattung) wird auf x.... EUR festgesetzt und ist von der Antragstellerin zu tragen, § 182 Abs. 3 Satz 1 GWB analog.
Die Vergabekammer setzt bei der Gebührenbemessung für einen Eilantrag auf Gestattung der vorzeitigen Zuschlagsgestattung in stetiger Spruchpraxis die Hälfte der für das Hauptsacheverfahren (Nachprüfungsantrag) zu entrichtenden Gebühr an (vgl. VK Sachsen, Beschluss vom 14. November 2022 - 1/SVK/018-22; sowie weiter u. a. VK Berlin, Beschluss vom 15. April 2011 - VK-B2-12/11, VK Schleswig-Holstein, Beschluss vom 9. Dezember 2011 - VK-SH 22/119.12.2011), weil insoweit ein erheblicher Mehraufwand entstanden ist.
Unter Berücksichtigung der oben gemachten Ausführungen zur Höhe der Gebühren im Hauptsacheverfahren (Nachprüfungsverfahren) ergibt sich demnach eine Gebühr in Höhe von x.... EUR für das Eilverfahren (Antrag auf vorzeitige Zuschlagsgestattung).
Diesen hat die Antragstellerin als Unterliegende zu tragen.
Die Antragstellerin hat daher den Betrag in Höhe von x.... EUR binnen zweier Wochen nach Bestandskraft dieser Entscheidung einzuzahlen.
7. Die Antragstellerin hat die notwendigen Aufwendungen des Auftraggebers im Eilverfahren (Antrag auf vorzeitige Zuschlagsgestattung) zu tragen, § 182 Abs. 4 Satz 1 GWB analog.
Gemäß 182 Abs. 4 Satz 1 GWB hat ein Beteiligter die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder -verteidigung notwendigen Aufwendungen seines Gegners zu tragen, soweit er im Verfahren unterliegt.
Vorliegend ist die Antragstellerin im Eilverfahren (Antrag auf vorzeitige Zuschlagsgestattung) die Unterliegende. Daher hat sie die zur Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen des Auftraggebers für das Eilverfahren nach § 182 Abs. 4 Satz 1 GWB analog zu tragen.
Im Rahmen der Entscheidung über die Verpflichtung, wer die erforderlichen Aufwendungen nach § 182 Abs. 4 GWB zu erstatten hat, besteht per se kein Raum, entsprechend der Regelung des § 182 Abs. 3 Satz 3 GWB Verschuldensaspekte zu berücksichtigen, sofern kein Fall der Antragsrücknahme oder sonstigen Erledigungen gem. § 182 Abs. 4 Satz 3 GWB vorliegt (OLG Frankfurt a. M. Beschluss vom 16. April 2018 - 11 Verg 1/18) und sowieso nach Billigkeit über diese Frage zu entscheiden wäre. Deshalb ist es vorliegend ausgeschlossen, anzuordnen, dass die Aufwendungen der Antragstellerin im Eilverfahren vom Auftraggeber zu tragen sind.
Es bestünde allenfalls die Möglichkeit, Aufwendungen des Auftraggebers gemäß § 182 Abs. 4 Satz 4 GWB i. V. m. § 80 Abs. 1 Satz 4 VwVfG ganz oder teilweise von der Erstattungspflicht auszunehmen. Dazu müsste die Aufwendungen eines Erstattungsberechtigten durch dessen eigenes Verschulden entstanden sein. Da die Vergabekammer bereits im Rahmen der Entscheidung über Kosten des Eilverfahrens kein Verschulden des Auftraggebers feststellen konnte, besteht hierfür kein Raum.
Deshalb richtet sich die Frage, wer die Aufwendungen des Auftraggebers im Eilverfahren zu tragen hat, nach dem allgemeinen Grundsatz des § 182 Abs. 4 Satz 1 GWB analog. Danach hat die Antragstellerin als Unterliegende die Aufwendungen des Antragsgegners zu tragen.
8. Die Hinzuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten durch den Auftraggeber im Eilverfahren (Antrag auf vorzeitige Zuschlagsgestattung) war gemäß § 182 Abs. 4 GWB analog i. V. m. § 80 Abs. 1 Satz 3 VwVfG und § 1 SächsVwVfG notwendig.
Ob die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten erforderlich war und die hieraus entstandenen Kosten damit zu den notwendigen Aufwendungen des Auftraggebers i.S.d.
§ 80 Abs. 1 Satz 3 VwVfG gehören, ist nach dem individuellen Streitstoff des einzelnen Nachprüfungsverfahrens zu entscheiden (OLG Dresden, Beschluss vom 22. Februar 2010 - WVerg 1/10).
Es kommt mithin darauf an, ob der Auftraggeber nach den Umständen des Einzelfalles auch selbst, ohne Beistand eines Anwalts, in der Lage gewesen wäre, den streitgegenständlichen Sachverhalt zu erfassen, hieraus die notwendigen rechtlichen Schlüsse zu ziehen und sich dementsprechend im Verfahren vor der Vergabekammer zu verteidigen (vgl. BGH, Beschluss vom 26. September 2006 - X ZB 14/06, OLG Brandenburg, Beschluss vom 14. Oktober 2020 - Verg 36/19) bzw. dort seine Interessen geltend zu machen. Aspekte, die in diesem Zusammenhang relevant sein können, sind die Einfachheit oder Komplexität des Sachverhalts, die Schwierigkeit der Rechtsfragen, aber auch persönliche Umstände, wie z. B. die sachliche und personelle Ausstattung des Auftraggebers (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 17. Juni 2020 - Verg 43/18).
Nach Auffassung der Vergabekammer sind diese Entscheidungsmaßstäbe für das Hauptsacheverfahren (Nachprüfungsverfahren) entsprechend für die Frage der Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten im Eilverfahren (Antrag auf vorzeitige Zuschlagsgestattung) anzuwenden.
Vorliegend wurde der Eilantrag auf Gestattung der vorzeitigen Zuschlagserteilung mit unterschiedlichsten Argumenten begründet. Dabei wurden die unterschiedlichen Interessen und die Folgen einer Untersagung bzw. Gestattung aufgezeigt sowie die Eilbedürftigkeit dargestellt. Daneben hat der Auftraggeber auch umfassend zu den Erfolgsaussichten in der Hauptsache Stellung genommen, die bei der Entscheidung über den Eilantrag Berücksichtigung fanden.
Die in diesem Zusammenhang aufgeworfenen Rechtsfragen des Eilverfahrens sind sehr schwierig und komplex. Der Sachverhalt war umfangreich.
Es handelt sich deshalb nicht um schlichte auftragsbezogene Sach- und Rechtsfragen, für die der Auftraggeber die erforderlichen Sach- und Rechtskenntnisse in seinem originären Aufgabenkreis ohnehin organisieren muss und daher auch im Nachprüfungsverfahren nicht notwendig eines anwaltlichen Bevollmächtigten bedarf (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 28. Januar 2011 - Verg 60/10), sondern um darüberhinausgehende schwierige vergaberechtliche Fragestellungen bei denen auch prozessuale Kenntnisse erforderlich sind.
Darüber hinaus ist die personelle Ausstattung des Auftraggebers zu berücksichtigen. Zwar unterhält dieser eine Rechtsabteilung. Doch verfügt diese nicht über Mitarbeiter mit speziellen vergaberechtlichen Kenntnissen, die über die Abwicklung von Standardverfahren hinausgehen.
Zudem handelt es sich bei dem Vergaberecht generell aufgrund vielfältiger europarechtlicher Überlagerung um ein wenig übersichtliches und zudem stetigen Veränderungen unterworfenes, überdurchschnittlich kompliziertes Rechtsgebiet, dass wegen des gerichtsähnlich ausgestalteten Verfahrens bei der Vergabekammer bereits prozessrechtliche Kenntnisse verlangt, einem hohe, Zeitdruck unterliegt und für das in vielen Bereichen gesicherte Rechtsprechungsergebnisse noch nicht vorhanden sind.
Die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten durch den Auftraggeber im Eilverfahren (Antrag auf vorzeitige Zuschlagsgestattung) ist demnach als notwendig anzusehen.
9. Die Aufwendungen der Beigeladenen im Eilverfahren (Antrag auf vorzeitige Zuschlagsgestattung) sind ihr nicht zu erstatten, § 182 Abs. 4 Satz 2 GWB analog.
Die Aufwendungen der Beigeladenen sind gemäß § 182 Abs. 4 Satz 2 GWB analog nur erstattungsfähig, soweit sie die Vergabekammer aus Billigkeit der unterliegenden Partei auferlegt.
Im Eilverfahren (Antrag auf vorzeitige Zuschlagsgestattung) unterliegt die Antragstellerin.
Einen Kostenerstattungsanspruch steht der Beigeladenen aber nur dann zu, wenn sie das Verfahren selbst aktiv gefördert hat (vgl. schon oben III. 1. Sowie Losch in: Ziekow/Völlink, GWB, § 182 Rn. 37 m. w. N.). Das ist eine Frage des Einzelfalls (Krohn in: Burgi/Dreher, GWB, § 182 Rn. 49). Es ist zu prüfen, ob die Beigeladene das Verfahren durch Stellung eines Antrags oder durch seinen Vortrag in einer solchen Weise gefördert und beeinflusst hat, dass es sachgerecht erscheint, ihr einen Kostenerstattungsanspruch zuzugestehen.
Ausgehend davon erachtet es die Vergabekammer hier nicht als billig, der Beigeladenen einen Kostenerstattungsanspruch zuzugestehen. Die Beigeladene hat sich an dem Eilverfahren nicht aktiv beteiligt. In diesem hat sie weder Anträge gestellt noch zur Sache vorgetragen. Ihr steht deshalb kein Kostenerstattungsanspruch zu.
IV.
Gegen die Entscheidungen der 1. Vergabekammer des Freistaates Sachsen ist gemäß § 171 Abs. 1 GWB die sofortige Beschwerde zulässig.
Sie ist binnen einer Notfrist von zwei Wochen, die mit der Zustellung der Entscheidung beginnt (§ 172 Abs. 1 GWB), schriftlich beim Beschwerdegericht einzulegen. Beschwerdegericht für die 1. Vergabekammer des Freistaates ist das Oberlandesgericht Dresden, Vergabesenat, Schlossplatz 1, 0... Dresden.
Die sofortige Beschwerde kann beim Oberlandesgericht Dresden auch elektronisch erhoben werden (vgl. Verordnung des Sächsischen Staatsministeriums der Justiz und für Europa über den elektronischen Rechtsverkehr, die elektronische Aktenführung, die elektronischen Register und das maschinelle Grundbuch in Sachsen (Sächsische E-Justizverordnung - SächsEJustizVO) vom 6. Juli 2010 (SächsGVBl. S. 190) in der jeweils geltenden Fassung).
Die Beschwerde muss zugleich mit ihrer Einlegung begründet werden (§ 172 Abs. 2 GWB). Die Beschwerdebegründung muss enthalten: die Erklärung, inwieweit die Entscheidung der Kammer angefochten wird und eine abweichende Entscheidung beantragt wird sowie die Angabe der Tatsachen und Beweismittel, auf die sich die Beschwerde stützt.
Die Beschwerdeschrift muss durch einen zugelassenen Rechtsanwalt unterzeichnet sein.
Dies gilt nicht für Beschwerden von juristischen Personen des öffentlichen Rechts (§ 175 Abs. 1 GWB). Mit der Einlegung der Beschwerde sind die anderen Beteiligten des Verfahrens vom Beschwerdeführer durch Übermittlung einer Ausfertigung der Beschwerdeschrift zu unterrichten (§ 172 Abs. 4 GWB). Die sofortige Beschwerde hat aufschiebende Wirkung gegenüber der Entscheidung der Vergabekammer. Die aufschiebende Wirkung entfällt zwei Wochen nach Ablauf der Beschwerdefrist (§ 173 Abs. 1 GWB).
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VK Niedersachsen
Beschluss
vom 30.09.2024
VgK-22/2024
1. Grundsätzlich ist das Vergaberecht auf einen reinen Veräußerungsvorgang wie den Verkauf eines kommunalen Grundstücks nicht anwendbar ist, weil keine Beschaffung der öffentlichen Hand vorliegt.
2. Ein Bauauftrag kann aber bei einer dem öffentlichen Auftraggeber unmittelbar wirtschaftlich zugutekommende Bauleistung durch Dritte vorliegen. Ein unmittelbares wirtschaftliches Interesse des öffentlichen Auftraggebers liegt vor, wenn er sich finanziell an der Erstellung des Bauwerks beteiligt; ein nur mittelbares fiskalisches Eigeninteresse der Gemeinde genügt nicht.
3. Das Vorliegen eines Bauauftrags erfordert ferner die Eingehung einer einklagbaren Bau- oder Realisierungsverpflichtung.
VK Niedersachsen, Beschluss vom 30.09.2024 - VgK-22/2024
Tenor:
1. Der Nachprüfungsantrag wird zurückgewiesen.
2. Die Kosten werden auf ... Euro festgesetzt.
3. Die Kosten des Verfahrens hat die Antragstellerin zu tragen.
Begründung:
I.
Die Antragsgegnerin ist Eigentümerin eines im Grundbuch des ..., Blatt ..., eingetragenen Grundstücks mit einer Größe von ca. 180.000,00 m². Auf dem Grundstück befinden sich derzeit diverse Sportanlagen, eine Schule und eine Schützenhalle.
Auf einer Teilfläche (ca. 8.000 m²) dieses Grundstücks, auf dem sich momentan noch die Schützenhalle befindet, soll die Ansiedlung eines Verbrauchermarktes als Vollsortimenter mit einer Verkaufsfläche von über 1.200 m² ermöglicht werden. Dazu hat die Antragsgegnerin die Änderung des Flächennutzungsplans und des bestehenden Bebauungsplans, welche für die Fläche Festsetzungen als Gemeinde-, Schul- und Sportzentrum enthält, auf den Weg gebracht. Eine endgültige Entscheidung über die Änderung des Flächennutzungsplans und die geplante Änderung des Bebauungsplans liegt noch nicht vor.
Die Antragsgegnerin beabsichtigt, unter der aufschiebenden Bedingung der entsprechenden Beschlüsse zur Aufstellung des Flächennutzungsplans und des Bebauungsplans, die Teilfläche an einen Investor zu veräußern. Es soll ein Grundstückskaufvertrag abgeschlossen werden.
Hierzu hat die Antraggegnerin in einem einstweiligen Verfügungsverfahren vor dem Landgericht ... (...) erklärt, dass sie einen ursprünglich für den ....2024 beabsichtigten Notartermin zur Beurkundung des Grundstückkaufvertrages aufgehoben hat und zunächst die Entscheidung sowohl des Landgerichts als auch der Vergabekammer abwarten will.
Laut Entwurf des Grundstückskaufvertrages bemisst sich der Kaufpreis nach dem Bodenrichtwert, der durch den zuständigen ... festgestellt worden ist.
Der Grundstückskäufer verpflichtet sich laut dem Vertragsentwurf, innerhalb einer bestimmten Frist entsprechend den Festsetzungen eines noch aufzustellenden Bebauungsplanes einen Verbrauchermarkt als Vollsortimenter mit einer bestimmten Mindestverkaufsfläche sowie den erforderlichen Parkplätzen zu bauen und fertig zu stellen.
Nur für den Fall, dass das nicht erfolgt, steht der Antragsgegnerin ein Wiederkaufsrecht zu. Im Übrigen enthält der gesamte Grundstückskaufvertragsentwurf nur die Verpflichtung, die Festsetzungen des Bebauungsplans bei Umsetzung des Projektes zu berücksichtigen.
Mit dem Gutachten über den Verkehrswert des Grundstücks des ... vom ....2024 ist ein Verkehrswert für das Grundstück von ... Euro/m² und damit bei der Größe von 8.094 m² einen Bodenwert von ... Euro ermittelt worden.
Die Antragsgegnerin hat mit dem Käufer des Grundstücks laut Entwurf des Grundstückskaufvertrages diesen Bodenrichtwert abzüglich der Kosten für den Abriss einer vorhandenen Schützenhalle vereinbart.
In der Projektierungsvereinbarung vom ....2022 hat die Antragsgegnerin mit dem Investor die Planung eines Bauvorhabens mit bestimmtem Nutzen innerhalb eines festgelegten Bereiches auf Kosten und durch den Projektierer vereinbart. Zudem wurde ein Exklusivitätsrecht zur Planung des festgelegten Bereiches und damit verbundene Verschwiegenheitsverpflichtungen festgelegt. Andere Verpflichtungen, insbesondere Bauverpflichtungen des Projektierers, sieht die Projektierungsvereinbarung nicht vor.
Die Unternehmensgruppe der Antragstellerin betreibt im Gemeindegebiet der Antragsgegnerin Verbrauchermärkte. Mit Schreiben vom 15.01.2024 hat die Antragstellerin der Antragsgegnerin mitgeteilt, dass sie zur Kenntnis genommen habe, dass die Antragsgegnerin einen großflächigen Verbrauchermarkt im Gemeindezentrum entwickeln möchte und dass aus ihrer Sicht auf dem vorgenannten Grundstück die Ansiedlung eines zusätzlichen Verbrauchermarktes nicht mit den Zielen des Landesraumordnungsprogramms vereinbar sei, da weder das Kongruenzgebot noch das Beeinträchtigungsverbot bei diesen Überlegungen berücksichtigt werde. Sie sehe hier ihre beiden bestehenden Märkte in der Gemeinde als stark gefährdet an. Ihrer Meinung nach sei allenfalls eine Verlagerung eines bestehenden Anbieters innerhalb der Gemeinde unter raumordnerischen Gesichtspunkten vertretbar, weshalb sie in diesem Zusammenhang ihr "Interesse an einem Erwerb der für den großflächigen Verbrauchermarkt vorgesehenen Fläche bekundet." Sie gehe zudem davon aus, dass über eine Vergabe in Rahmen einer öffentlichen Ausschreibung entschieden werde. Weiteren Inhalt enthielt dieses Schreiben nicht.
Die Antragsgegnerin teilte der Antragstellerin daraufhin mit, dass der Grundstücksverkauf der Gemeinde an einen privaten Investor nicht in den Anwendungsbereich des Vergaberechts falle und hat hierzu entsprechend ausgeführt.
Die Antragstellerin ist der Ansicht, dass sie mit Schreiben vom 15.01.2024 gegenüber der Antragsgegnerin Interesse am Erwerb des Grundstückes bekundet habe. Sie sei davon ausgegangen, dass über den Verkauf im Rahmen einer öffentlichen Ausschreibung entschieden werde und habe die Antragsgegnerin um rechtzeitige Übermittlung der Ausschreibungsunterlagen gebeten.
Nach ihrer Meinung sei mit der kaufvertraglichen Vereinbarung des Grundstücksverkaufs ein Bauauftrag im Sinne von § 103 Abs. 3 GWB verbunden, so dass mangels Ausschreibung des Grundstückverkauf ein Verstoß gegen das Vergaberecht vorliegt.
Selbst wenn kein Beschaffungsbezug im Sinne des Kartellvergaberechts gegeben sei, unterfalle das vorliegende Grundstücksgeschäft dem europäischen Primärrecht und damit müsse sich die Antragsgegnerin bei der Auswahl der Käufer von den europäischen Grundfreiheiten leiten lassen und dürfe das Grundstück dementsprechend nur nach Durchführung eines transparenten Auswahlverfahrens veräußern.
Weiterhin sei das von der Antragstellerin eingeholte Marktwertgutachten inhaltlich unschlüssig und stelle daher keine taugliche Marktpreisermittlung dar, sofern dort auf der Grundlage eines entsprechenden Bodenwertes ein Verkehrswert von angeblich ... Euro angenommen wird.
Die Antragstellerin sei mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auch gewillt, der Antragsgegnerin ein über den in Rede stehenden Kaufpreis liegendes Kaufpreisangebot zu unterbreiten. Sofern ein solches Angebot vorliegend angekündigt wird, läge in dem Verkauf des Grundstücks durch die Antragsgegnerin nach dem Wertgutachten ermittelten Kaufpreis auch eine staatliche Beihilfegewährung in Höhe der Differenz vor.
Ihr stehe aus den vorgenannten Gründen auch ein Recht auf Akteneinsicht und Offenlegung entsprechender Verwaltungsvorgänge zu, welche sie in den Schriftsätzen vom 22.03.2024, 11.07.2024 und 30.07.2024 gegenüber der Antragsgegnerin auch bereits einforderte.
Die Antragstellerin beantragt,
1. die Antragsgegnerin zu verpflichten, vor dem geplanten Verkauf des Grundstücks/der Grundstücke und der Beauftragung damit ggf. im Zusammenhang stehender Bauleistungen ein den Anforderungen des Vierten Teils des GWB und/oder den Vorgaben des EU-Beihilfenrechts entsprechendes Vergabeverfahren durchzuführen;
2. für den Fall, dass ein entsprechender Grundstückskaufvertrag und weitere damit im Zusammenhang stehende Verträge bereits abgeschlossen bzw. beurkundet worden sind, festzustellen, dass der Auftrag/Vertrag von Anfang an unwirksam gewesen ist;
3. der Antragstellerin Einsicht in die (Vergabe-) Akte der Antragsgegnerin zu gewähren, insbesondere
- Einsicht in die Aufstellungsvorgänge zum Bebauungsplan Nr. ..., .... Änderung, einschließlich etwaiger in diesem Zusammenhang bereits erstellter Verträge oder Vertragsentwürfe (v.a. städtebauliche Verträge aller Art) zu gewährleisten;
- die Grundstücke zu benennen, die den Kaufgegenstand bilden werden oder bilden;
- den Verkaufspreis für die insofern zum Verkauf beabsichtigten Grundstücke mitzuteilen,
- Auskunft über den Sachstand etwaiger Beschlussfassung zum Verkauf des Grundstückes sowie über den Stand des Verkaufes allgemein zu erteilen;
- Einsicht in einen etwaigen Kaufvertragsentwurf/Kaufvertrag zu gewähren;
- Einsicht in weitere damit im Zusammenhang stehende Vertragsentwürfe oder bereits abgeschlossene Verträge wie z.B. Projektierungsvereinbarungen zu gewähren, sowie
- Einsicht in sämtliche Verwaltungsvorgänge im Zusammenhang mit dem Verkauf bzw. geplanten Verkauf des Grundstücks einschließlich etwaig eingeholter Verkehrswertgutachten zu gewähren;
4. die Hinzuziehung der Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin für notwendig zu erklären;
5.der Antragsgegnerin die Kosten des Verfahrens einschließlich der Kosten der zweckentsprechenden Rechtsverfolgung der Antragstellerin aufzuerlegen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag auf Akteneinsicht als unzulässig, jedenfalls unbegründet zurückzuweisen.
Der Nachprüfungsantrag sei bereits unzulässig, da der EU-Schwellenwert nicht überschritten sei.
Weiterhin sei die Antragstellerin auch nicht antragsbefugt, da sie selbst bekundet habe, kein Interesse an der Umsetzung des Projektes zur Errichtung eines Verbrauchermarktes zu haben. Allein die vorgeschobene Interessenbekundung, das Grundstück erwerben zu wollen, um das Projekt zu verhindern, reiche als Antragsbefugnis nicht aus und sei letztlich rechtsmissbräuchlich. Mit dem Schreiben der Antragstellerin vom 15.01.2023 sei nicht der Eindruck vermittelt worden, dass diese tatsächlich Interesse am Erwerb des Grundstückes und der Errichtung eines Verbrauchermarktes habe.
Der potentielle Käufer übernehme zudem keine Bauverpflichtung.
Er werde hier lediglich verpflichtet, die Vorgaben des Bebauungsplans nach dem städtebaulichen Konzept der Antragsgegnerin innerhalb einer bestimmten Frist umzusetzen. Nur für den Fall, dass das nicht erfolgt, stehe der Antragsgegnerin ein Wiederkaufsrecht zu. Damit werde die Umsetzung des städtebaulichen Konzeptes in einem entsprechenden Zeitfenster sichergestellt.
Im Übrigen enthalte der gesamte Grundstückskaufvertrag nur die Verpflichtung, die Festsetzungen des Bebauungsplans bei Umsetzung des Projektes zu berücksichtigen.
Es sei auch offensichtlich, dass die Antragsgegnerin, bis auf die Zahlung des Kaufpreises, keine wirtschaftlichen Vorteile erlangt. Da sich der Kaufpreis an dem Marktwert auf
Grundlage des Gutachtens des ... orientiere, liege auch offensichtlich kein Verstoß gegen das EU-Beihilferecht vor.
Die Projektierungsvereinbarung beziehe sich nicht nur auf das streitgegenständliche Grundstück, sondern auf weitere Bereiche zur Aufwertung des Zentrums der Gemeinde. Auf Grundlage eines entsprechenden Gremienbeschlusses habe die Gemeinde die Projektierungsvereinbarung mit dem Projektierer abgeschlossen, um Entwürfe für eine Umsetzung des städtebaulichen Konzeptes im Zentrum der Gemeinde zu erhalten und auf dieser Grundlage weitere städtebauliche Maßnahmen einzuleiten.
Aus dieser Projektierungsvereinbarung ergebe sich weder die Verpflichtung der Antragsgegnerin zur Veräußerung eines Grundstücks an einen bestimmten Investor noch die Verpflichtung zur Umsetzung der Entwürfe des Projektierers.
Soweit die Antragstellerin schließlich behauptet, sie sei bereit, ein höheres Kaufpreisangebot abzugeben, liege ein solches Angebot nicht vor. Der Grundstückskaufvertrag beinhalte zudem nicht nur die Übereignung des Grundstücks und die Zahlung des Kaufpreises, sondern auch die Verpflichtung, innerhalb eines bestimmten Zeitraumes die Festsetzungen des Bebauungsplans umzusetzen. Da die Antragstellerin bekundet hat, dass sie dies ablehnt, käme sie als Vertragspartnerin für die Antragsgegnerin ohnehin nicht in Betracht.
Wegen des übrigen Sachverhalts wird auf die Schriftsätze der Beteiligten und die von der Antragsgegnerin übersandten Unterlagen Bezug genommen.
II.
Der Nachprüfungsantrag ist unzulässig. Der Rechtsweg zu den Vergabekammern gemäß §§ 155 ff. GWB ist nicht eröffnet, weil es sich bei dem von der Antragstellerin beanstandeten Grundstückskaufvertrag nicht um einen Bauauftrag im Sinne des § 103 Abs. 3 Satz 2 GWB handelt. Die von der Antragsgegnerin beabsichtigte Grundstücksveräußerung unterfällt nicht den Vorschriften nach dem 4. Teil des GWB.
Gemäß § 103 Abs. 1 GWB ist ein öffentlicher Auftrag ein entgeltlicher Vertrag zwischen einem öffentlichen Auftraggeber und Unternehmer über die Beschaffung von Leistungen, die Lieferung von Waren, die Ausführung von Bauleistungen oder die Erbringung von Dienstleistungen.
Im Grundsatz gilt, dass das GWB-Vergaberecht auf einen reinen Veräußerungsvorgang wie den Verkauf eines kommunalen Grundstücks nicht anwendbar ist, weil keine Beschaffung der öffentlichen Hand vorliegt. Vergaberecht ist erst dann zu beachten, wenn in der Grundstücksveräußerung quasi eine inkludierte Beschaffung von Leistungen durch die Kommune liegt (Schneider, "Veräußerung von kommunalen Grundstücken - (K)ein Fall für das Vergaberecht?", www.vergabeblog.de).
Deshalb liegt nach § 103 Abs. 3 Satz 2 GWB ein Bauauftrag auch bei einer dem Auftraggeber unmittelbar wirtschaftlich zugutekommende Bauleistung durch Dritte gemäß den vom Auftraggeber genannten Erfordernissen vor. Der Gesetzgeber hat mit dieser Konkretisierung der Rechtsprechung des EuGH Rechnung getragen (Hüttinger in: Beck'scher Vergaberechtskommentar, Bd. 1, 4. Aufl., § 103 GWB, Rn. 192).
Nach der Entscheidung des EuGH in der Rechtssache "H. M. GmbH" (vgl. EuGH, Urteil vom 25.03.2010 - C-451/08, ergangen auf die Vorlage des OLG Düsseldorf, Beschluss vom 02.10.2008 - Verg 25/08), ist von einem unmittelbaren wirtschaftlichen Interesse eines öffentlichen Auftraggebers an einer Bauleistung dann auszugehen, wenn der öffentliche Auftraggeber
- Eigentümer der Bauleistung oder des zu errichtenden Bauwerks werden soll,
- über einen Rechtstitel verfügen soll, der die Verfügbarkeit der Bauwerke, die Gegenstand des Auftrags sind, im Hinblick auf die öffentliche Zweckbestimmung sicherstellt,
- wirtschaftliche Vorteile aus der zukünftigen Nutzung oder Veräußerung des Bauwerks ziehen kann,
- an der Erstellung des Bauwerks finanziell beteiligt ist (etwa in Form eines Baukostenzuschusses) oder
- Risiken im Fall eines wirtschaftlichen Fehlschlags des Bauwerks trägt.
Nach dieser Rechtsprechung des EuGH kann ein unmittelbares wirtschaftliches Interesse des öffentlichen Auftraggebers u.a. auch vorliegen, wenn sich der öffentliche Auftraggeber finanziell an der Erstellung des Bauwerks beteiligt.
Dies wird auch in den Fällen angenommen, in denen der öffentliche Auftraggeber bei der Veräußerung des Grundstücks einen Kaufpreisnachlass gewährt oder das betroffene Grundstück unter Marktwert veräußert wird, denn eine Reduzierung des dem Marktwert entsprechenden Kaufpreises stellt faktisch einen Zuschuss zur baulichen Realisierung einer Maßnahme dar und muss damit im Ergebnis als finanzielle Beteiligung an der Realisierung des Bauwerkes betrachtet werden (Ganske in: Reidt/Stickler/Glahs, Vergaberecht Kommentar, 4. Aufl. 2018, § 103, Rn. 124).
Eine finanzielle Beteiligung der Antragsgegnerin an einem Bauvorhaben des voraussichtlichen Grundstückerwerbers oder eine auch nur teilweise Übernahme des wirtschaftlichen Risikos an der Realisierung des vom Erwerber avisierten Vollsortimenter-Verbrauchermarkts liegt hier jedoch nicht vor.
Der Erwerber erhält nach der vorliegenden Aktenlage das streitbefangene Grundstück nicht etwa zu einem zu niedrigen Kaufpreis, der für eine Subventionierung und damit ggf. für ein wirtschaftliches Interesse der Antragsgegnerin an einer künftigen Bauleistung sprechen könnte (vgl. Otting, Anm. zu EuGH, Urteil vom 25.03.2010 - Rs. C-451/08, IBR 2010, 284). Der im Grundstücksvertragsentwurf genannte Kaufpreis orientiert sich am Marktwert. Dieser ist mit dem Gutachten über den Verkehrswert vom ....2024, welches der ... erstellt hat, ermittelt worden. Ein vor Abschluss des Kaufvertrags eingeholtes Wertgutachten ist ein geeignetes Mittel, den Marktwert eines Grundstückes zu ermitteln und nachzuweisen (vgl. Schneider, a.a.O., S. 3).
Ein nur mittelbares fiskalisches Eigeninteresse der Gemeinde, etwa an der Ansiedlung eines Gewerbebetriebs im Hinblick auf die Erzielung des reinen Grundstückskaufpreises, Gewerbesteuereinnahmen oder eine "Umwegrendite" (Schaffung gut bezahlter Arbeitsplätze etc.), begründet kein unmittelbares wirtschaftliches Eigeninteresse (VK Baden-Württemberg, Beschluss vom 12.01.2011 - 1 VK7 60/10).
Damit fehlt es im vorliegenden Fall schon an dem Merkmal des unmittelbaren wirtschaftlichen Interesses des öffentlichen Auftraggebers.
Der Käufer übernimmt zudem nach dem Entwurf des Grundstückskaufvertrages auch keine einklagbare Bauverpflichtung.
Allein die Tatsache, dass mit dem Verkauf von Grundstücken bestimmte städtebauliche Pläne oder Maßnahmen verfolgt werden, begründet noch keinen öffentlichen Auftrag (vgl. Willenbruch in: Willenbruch/Wieddekind/Hübner, Vergaberecht, 5. Aufl., § 103 GWB, Rn. 40). Dies gilt auch dann, wenn der Erwerber in einem Durchführungsvertrag (vorhabenbezogener Bebauungsplan) oder in einem sonstigen städtebaulichen Vertrag zur Bebauung verpflichtet wird. Das städtebauliche Interesse, dass die neu ausgewiesenen Flächen tatsächlich bebaut werden und keine Leerstände entstehen (Stichwort: unzulässige Vorratsplanung), begründet keine Beschaffung (Bulla, "Die Ausschreibungspflicht von Grundstücksgeschäften der öffentlichen Hand", VergabeR 2019, Seite 457 ff., 459).
Das Vorliegen eines Bauauftrages gemäß § 103 Abs. 3 GWB erfordert auch immer die Eingehung einer einklagbaren Bau- oder Realisierungsverpflichtung. Der Auftragnehmer muss also direkt oder indirekt die Verpflichtung zur Erbringung der Bauleistung, welche Gegenstand des Auftrages ist, übernehmen (EuGH 25.03.2010 - C-451/08). Daran fehlt es im vorliegenden Fall.
Eine "indirekte" Verpflichtung kann zwar genügen. Nicht ausreichend ist aber die Vereinbarung eines Rückkauf- oder Widerrufsrechts, wenn ein verkauftes Grundstück nicht bebaut wird; denn dies führt nur zu einem Bauanreiz, nicht zu einer Bauverpflichtung (v. Engelhardt/Kaeble in: Müller-Wrede, GWB, § 103, Rn. 119).
Der Grundstückskäufer verpflichtet sich laut dem der Vergabekammer von der Antragsgegnerin übersandten Vertragsentwurf, innerhalb einer bestimmten Frist entsprechend den Festsetzungen eines noch aufzustellenden Bebauungsplanes einen Verbrauchermarkt als Vollsortimenter mit einer bestimmten Mindestverkaufsfläche sowie den erforderlichen Parkplätzen zu bauen und fertigzustellen. Damit wird er hier lediglich verpflichtet, die Vorgaben des Bebauungsplanes nach dem städtebaulichen Konzept innerhalb einer bestimmten Frist umzusetzen. Zur Sicherstellung der Umsetzung des städtebaulichen Konzeptes im festgelegten Zeitraum legt der Entwurf fest, dass der Antragsgegnerin andernfalls ein Wiederkaufsrecht - also eine entsprechende Option - zusteht. Einklagbare Baupflichten i.S. der Rechtsprechung des EuGH sieht der Vertragsentwurf nicht vor.
Eine Grundstücksveräußerung, die in Verbindung mit der Realisierung rein privatnütziger Vorhaben (wie eben einem Einkaufszentrum, Hotel o. A.) erfolgt, kommt allenfalls mittelbar dem öffentlichen Auftraggeber, etwa zur Verfolgung eines allgemeinen städtebaulichen Ziels, zugute (Düsterdiek in: Ingenstau Korbion, VOB, 21. Aufl, § 23 VOB/A, Rn. 12). Die Anwendung des Vergaberechts scheidet daher mangels eines unmittelbaren wirtschaftlichen Eigeninteresses der öffentlichen Hand in derartigen Fällen aus (Otting, VergabeR 2013, Seite 343).
Ein Rechtsschutz in einem vergaberechtlichen Nachprüfungsverfahren kann in diesen Fällen nicht erfolgen (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 27.10.2010 - Verg 25/08, zitiert nach ibr-online).
Da mit der von der Antragstellerin beanstandeten Grundstücksveräußerung kein öffentlicher Auftrag im Sinne des § 103 GWB einhergeht, war der Nachprüfungsantrag vorliegend als unzulässig zurückzuweisen.
Da der Nachprüfungsantrag unzulässig ist, konnte die Vergabekammer vorliegend gemäß § 166 Abs. 1 Satz 3 GWB im schriftlichen Verfahren nach Lage der Akten entscheiden.
III. Kosten
Die Kostenentscheidung folgt aus § 182 GWB. Die von der Vergabekammer festzusetzende regelmäßige Mindestgebühr beträgt 2.500 Euro, die Höchstgebühr 50.000 Euro und die Höchstgebühr in Ausnahmefällen 100.000 Euro.
Die Gebührenermittlung erfolgt anhand einer Gebührentabelle des Bundeskartellamtes in der zzt. gültigen Fassung aus Dezember 2009. Hiernach wird der Mindestgebühr von 2.500 Euro (§ 182 Abs. 2 GWB) eine Ausschreibungssumme von bis zu 80.000 Euro zugeordnet und dem regelmäßigen Höchstwert von 50.000 Euro (§ 182 Abs. 2 GWB) eine Ausschreibungssumme von 70 Mio. Euro (höchste Summe der Nachprüfungsfälle 1996-1998) gegenübergestellt. Dazwischen wird interpoliert.
Es wird eine Gebühr in Höhe von ... Euro festgesetzt. In Ermangelung einer Angebotssumme oder eines Auftragsgegenstandes ist die Vergabekammer für die Kostenfestsetzung von der gesetzlichen Mindestgebühr in Höhe von 2.500 Euro als Basisgebühr ausgegangen.
Diese Basisgebühr schließt einen durchschnittlichen sachlichen und personellen Aufwand ein. Vorliegend ist die Herabsetzung der ermittelten Basisgebühr aus Billigkeitsgründen gemäß § 182 Abs. 2 S. 2, 2. HS GWB geboten, da insgesamt ein eher unterdurchschnittlicher personeller und sachlicher Aufwand für eine Entscheidung notwendig war. Die Vergabekammer konnte über den vorliegenden Nachprüfungsantrag gemäß § 166 Abs. 1 Satz 3 GWB im schriftlichen Verfahren nach Lage der Akten entscheiden. Dadurch ist der Aufwand für die Vorbereitung und Durchführung einer mündlichen Verhandlung entfallen. Die ermittelte Basisgebühr wird daher gemäß § 182 Abs. 2 S. 1, 2. HS GWB entsprechend dem Antrag der Antragstellerin auf 5/6 = ... Euro ermäßigt.
Die in Ziffer 3 des Tenors verfügte Kostentragungspflicht folgt aus § 182 Abs. 3 Satz 1 GWB. Danach hat ein Beteiligter, soweit er im Nachprüfungsverfahren unterliegt, die Kosten zu tragen. Hier war zu berücksichtigen, dass der Nachprüfungsantrag keinen Erfolg hatte.
Die Antragsgegnerin hat keinen Antrag auf Erstattung ihrer zur Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen gestellt (§ 182 Abs. 4 Satz 1 GWB) und sich in der Antragserwiderung auch nicht zur Notwendigkeit der Hinzuziehung ihres Verfahrensbevollmächtigten geäußert.
Die Antragstellerin wird aufgefordert, innerhalb einer Frist von einem Monat nach Rechtskraft dieses Beschlusses die Gebühr in Höhe von ... Euro unter Angabe des Kassenzeichens ... auf folgendes Konto zu überweisen:
...
Wertungsentscheidung ist nicht delegierbar!
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VK Nordbayern
Beschluss
vom 28.01.2025
RMF-SG21-3194-9-39
1. Eine Amtsermittlung durch die Vergabekammer ist - unabhängig von einer Begrenzung durch die Rügeobliegenheit - zulässig, wenn ein so schwerwiegender Fehler vorliegt, dass eine tragfähige Zuschlagsentscheidung bei einer Fortsetzung des Verfahrens praktisch nicht möglich ist, etwa weil nur willkürliche oder sachfremde Zuschlagskriterien verbleiben oder das vorgegebene Wertungssystem so unbrauchbar ist, dass es jede beliebige Zuschlagsentscheidung ermöglicht (hier bejaht).
2. Sehen die Vergabeunterlagen vor, dass eine "Fachkommission aus Bauherr, Nutzer und Planer" die Prüfung und Wertung vornimmt, ist diese Zusammensetzung vergaberechtswidrig, da die Wertungsentscheidung nicht vom Auftraggeber auf Dritte delegiert werden kann.
VK Nordbayern, Beschluss vom 28.01.2025 - RMF-SG21-3194-9-39
Tenor:
1. Es wird festgestellt, dass der von der Vergabestelle mit der Beigeladenen am 22.10.2024 geschlossene Vertrag über die zu erbringende Lieferleistung "Reihenbestuhlung" von Anfang an unwirksam ist.
2. Es wird festgestellt, dass die Antragstellerin durch den der Beigeladenen von der Vergabestelle erteilten Zuschlag in ihren Rechten verletzt ist. Bei fortbestehender Vergabeabsicht wird die Vergabestelle verpflichtet, das Vergabeverfahren in den Stand vor Auftragsbekanntmachung zurückzusetzen und das Vergabeverfahren unter Beachtung der Rechtsauffassung der Vergabekammer fortzusetzen.
3. Die Vergabestelle und die Beigeladene tragen die Kosten des Verfahrens einschließlich der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen der Antragstellerin je zur Hälfte.
4. Die Gebühr für dieses Verfahren beträgt x.xxx,- Euro. Auslagen sind nicht angefallen. Die Vergabestelle ist von der Zahlung der Gebühr befreit.
Sachverhalt:
1. Die VSt schrieb mit Auftragsbekanntmachung vom xxxxxx (TED: xxxx) europaweit die Lieferung von Stühlen für eine Reihenbestuhlung aus.
2. Die Zuschlagskriterien sind der Angebotspreis zu 50 Prozent und die Bewertungskriterien zu 50 Prozent. Es gibt 142 Wertungspunkte. 100 Wertungspunkte für den niedrigsten Wertungspreis (50 Prozent = 50 Punkte) und 42 Wertungspunkte für die Gestaltung / Konstruktion (50 Prozent = 21 Punkte):
[Abbildung nicht dargestellt]
Laut Leistungsbeschreibung ist für die Angebotsprüfung ein Stuhl zur Bemusterung bereitzustellen.
3. Die ASt, die BGl und drei weitere Bieter reichten jeweils Angebote ein.
Laut Vergabeunterlagen werden die Angebote durch eine Fachkommission aus Bauherr, Nutzer und Planer gewertet:
"Prüfung und Wertung der Ausstattung:
Die Ausstattung wird durch eine Fachkommision aus Bauherr, Nutzer und Planer anhand der Wertungskriterien überprüft. Hinsichtlich der Bewertung akzeptiert jeder Bieter mit Abgabe seines Angebot die Beurteilungs- und Entscheidungskompetenz der Fachkommission und die daraus resultierende Gesamtpunktvergabe."
Der Vergabevermerk datiert vom 28.08.2024 und wurde vom externen Dienstleister B..... erstellt. Der Vergabevermerk enthält den Vergabevorschlag, dass der Auftrag an die BGl erteilt werden soll. Zur Begründung wurde auf die Bewertungsmatrix verwiesen.
Die (von der Vergabekammer geschwärzte) Bewertungsmatrix (ohne Bieter 4 u. 5) sieht wie folgt aus:
[Abbildung nicht dargestellt]
Die Bewertungsmatrix selbst enthält weder ein Datum noch Informationen zur Fachkommission oder sonstige Vermerke zur Wertung.
Am 12.11.2024 und erneut am 28.11.2024 forderte daher die Vergabekammer die VSt auf alle Vergabevermerke, insbesondere zur Wertung, zu übersenden. Am 04.12.2024 übersandte die VSt eine pdf-Datei "Vergabevorschlag", in der u.a. die oben genannte Bewertungsmatrix und der Vergabevermerk enthalten sind und teilte mit, dass keine weiteren Unterlagen zur Wertung vorliegen würden.
4. Der Vergabeakte ist zu entnehmen, dass B. mit E-Mail vom 28.08.2024,
10:43 Uhr, mitteilte, dass formal alle Dokumente der BGl vorliegen würden. Es seien noch die Produktdatenblätter digitale Sitzplatznummerierung und manuelle Reihennummerierung sowie das GS-Zertifikat nachzufordern.
B. übersandte am 28.08.2024, 18:51 Uhr, eine weitere E-Mail mit Betreff Vergabeempfehlung an den Projektsteuerer D., mit der Bitte um Plausibilisierung und Weiterleitung an den Bauherrn für den Bauausschuss am 17.09.2024. Als Anlagen waren der Vergabevermerk vom 28.08.2024 und die undatierte Bewertungsmatrix beigefügt. Laut E-Mail werde die BGl noch einen Stuhl nach ... liefern zur Bemusterung der Stapelung und Verkettung durch den Nutzer. Dieser sollte bis Anfang nächster Woche eintreffen. Eine Bewertung der ASt in allen Kriterien mit 0 würde an der Reihenfolge nichts ändern.
B. übermittelte am 28.08.2024, 19:11 Uhr, in einer weiteren inhaltsgleichen E-Mail das Ergebnis der Bewertungsmatrix an die VSt.
Am 02.09.2024 forderte die VSt bei der BGl noch einen weiteren Stuhl für eine Bemusterung der Verkettung und der Stapelung nach. Am gleichen Tag antwortete die BGl der VSt, dass bereits mit B. besprochen worden sei, dass ein zweites Muster kurzfristig hergestellt werden könne. Um dieses exakt und analog zum bereits gefertigten Sondermuster anfertigen zu können, würde die BGl das bereits gelieferte Muster abholen und zusammen mit dem neuen (zweiten) Muster bis spätestens Ende dieser Woche wieder zurück nach ..... liefern.
5. Mit Auftragsschreiben vom 22.10.2024 erteilte die VSt den Zuschlag auf das Angebot der BGl.
6. Mit Bieterinformationsschreiben nach § 134 GWB vom 24.10.2024 teilte die VSt der ASt erstmals mit, dass beabsichtigt sei, den Zuschlag auf das Angebot der BGl am 05.11.2024 zu erteilen. Der Zuschlag auf das Angebot der ASt könne nicht erteilt werden, weil ein niedrigeres Hauptangebot vorliege.
7. Mit Schreiben vom 29.10.2024 rügte die ASt den Beschluss der VSt. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass die BGl ein ungewöhnlich niedriges Angebot abgegeben habe und auch wegen unzulässiger Nachbemusterung auszuschließen sei. Zudem wurde um Klärung gebeten, ob bei der BGl die geforderten GS-Zertifikate vorliegen würden. Andernfalls würde dies ebenfalls einen Ausschlussgrund darstellen.
8. Am 04.11.2024 teilte die VSt mit, dass kein ungewöhnlich niedriges Angebot vorliege und dass die GS-Zeichen Zertifizierung schon vor der Submission bestanden habe.
Bei der BGl sei erst nach Vollendung der Bewertung ein zweiter Musterstuhl angefordert worden. Der zusätzlich abgefragte Musterstuhl habe keine Einflussnahme auf die Zuschlagsentscheidung gehabt, da dieser außerhalb des Bewertungszeitraums im Anschluss an die Bewertung durch ein Fachgremium zur Verfügung gestellt worden sei. Am 26.08.2024 habe der Bemusterungstermin im Fachgremium stattgefunden und die Anfrage für die Bereitstellung sei am 02.09.2024 erfolgt. Die Vergabeempfehlung seitens des Innenarchitekten sei mit Grundlage der Bewertungsmatrix am 28.08.2024 an den Projektsteuerer erfolgt.
Ein zweiter Stuhl sei bei den anderen Bietern nicht nachgefordert worden, da durch diese bereits mehrere Muster bereitgestellt worden seien. Diese seien durch die Bieter zur Verfügung gestellt worden, welches einen Wettbewerbsvorteil darstelle. Im Sinne des Gleichbehandlungsgesetztes sei ein zweiter Musterstuhl von der BGl nachgefordert worden.
9. Mit Schriftsatz vom 04.11.2024 stellte die ASt einen Antrag auf Nachprüfung und
beantragt:
1. die Antragsgegnerin zu verpflichten, den beabsichtigten Zuschlag auf das Angebot der Mitbewerberin ..... zu unterlassen
2. der Vergabestelle aufzugeben, das Vergabeverfahren aufzuheben und gegebenenfalls neu durchzuführen
3. dem Antragsgegner die Kosten des Verfahrens, einschließlich der Kosten der zweckentsprechenden Rechtsverfolgung der Antragstellerin aufzuerlegen
4. den Antragsgegner gem. § 169 Abs. 1 GWB - aufgrund der Dringlichkeit unverzüglich - über den Nachprüfungsantrag zu informieren.
Die BGl habe nach Fristablauf weitere Muster eingereicht. Die nachträgliche Einreichung weiterer Muster stelle eine unzulässige Änderung des Angebots dar. Die BGl sei von der Wertung auszuschließen.
10. Mit einem neuen Bieterinformationsschreiben nach § 134 GWB vom 07.11.2024 teilte der Verfahrensbevollmächtigte der VSt der ASt mit, dass beabsichtigt sei, den Zuschlag an die BGl am 18.11.2024 zu erteilen. Die BGl habe in den Kriterien Preis, Sitzkomfort, generelle Verarbeitung und Optik ein besseres Ergebnis als die ASt erzielen können. Die ASt habe in den Kriterien mechanische Funktion, sichtbare Metallteile, Stoff und Maße ein besseres Ergebnis als die BGl erzielen können. Die BGl hätte insgesamt eine höhere Gesamtpunktzahl als die ASt in der Wertung erreicht.
11. Mit Schriftsatz vom 11.11.2024 erwiderten die Verfahrensbevollmächtigten der VSt und
beantragen:
1. Der Nachprüfungsantrag wird zurückgewiesen.
2. Der Antragstellerin werden die Kosten des Verfahrens einschließlich der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Gebühren und Auslagen der Antragsgegnerin auferlegt.
3. Die Hinzuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten durch die Antragsgegnerin war erforderlich.
Der Nachprüfungsantrag sei unbegründet. Die Anforderung eines zweiten Stuhls bei der BGl sei nach Abschluss des Wertungsvorgangs erfolgt und habe keinerlei Relevanz auf den Wertungsprozess gehabt.
Die Angebotswertung sei am 26.08.2024 erfolgt. Dieses Ergebnis sei von dem externen Dienstleister, der zur Angebotsprüfung eingeschaltet worden sei, als Vergabeempfehlung am 28.08.2024 an die VSt übermittelt worden. Der Zuschlag solle auf das Angebot der BGl erteilt werden. Der Entscheidungsprozess sei damit abgeschlossen gewesen.
Da die Nutzerin, die Betreiberin der ....., die Stühle im Hinblick auf Verkettung und Stapelmöglichkeit habe ausprobieren wollen, sei die BGl am 02.09.2024 gebeten worden, einen zweiten Stuhl zur Verfügung zu stellen.
Nach Zustellung des Nachprüfungsantrages sei offenbar geworden, dass die Vorabinformation vom 24.10.2024 nicht wie in § 134 GWB gefordert, alle Gründe für die Nichtberücksichtigung der anderen Angebote enthalten habe. Daher sei am 07.11.2024 die Vorabinformation wiederholt worden. Zudem sei festgestellt worden, dass die Zuschlagserteilung versehentlich bereits vor Versendung der Vorabinformation erfolgt sei.
12. Mit Schriftsatz vom 18.11.2024 wiederholte und ergänzte die ASt ihre bisherige Rechtsauffassung.
Das Vergabeverfahren leide an schwerwiegenden Verfahrensmängeln. Die ursprüngliche Vorabinformation gemäß § 134 GWB sei unvollständig gewesen, wodurch die Rechte der Bieter erheblich beeinträchtigt worden seien. Zudem sei der Zuschlag vor Ablauf der Wartefrist erfolgt. Auch habe nach Auffassung der ASt der zweite Musterstuhl die Angebotswertung beeinflusst. Zudem begründe eine frühere Zusammenarbeit des externen Dienstleisters B. mit der BGl den Anschein eines Interessenkonflikts. Auch bestünden Zweifel am Vorliegen eines gültigen GS Zeichens der BGl. Eine faire und transparente Vergabe sei nur durch eine Neuausschreibung zu gewährleisten. Dies müsse unter Ausschluss von B. erfolgen.
13. Mit Schriftsatz vom 22.11.2024 wiederholten die Verfahrensbevollmächtigten der VSt ihre Rechtsauffassung. Der zweite Stuhl habe keinen Einfluss auf die bereits abgeschlossene Angebotsauswertung gehabt. Das Angebot der BGl erfülle alle Anforderungen. Der VSt sei keine Geschäftsbeziehung zwischen dem externen Dienstleister und der BGl bekannt.
14. Mit Schriftsatz vom 28.11.2024 wiederholte und vertiefte die ASt ihre bisherige Rechtsauffassung.
15. Am 02.12.2024 wurde die Fa. ..... zum Verfahren beigeladen. Am 04.12.2024 wurde der BGl Akteneinsicht gewährt.
16. Mit Schriftsatz vom 06.12.2024 nahmen die Verfahrensbevollmächtigten der BGl Stellung.
Der Nachprüfungsantrag sei bereits unzulässig, da der ASt die Antragsbefugnis fehle. Der ASt könne kein Schaden entstanden sein, denn das Angebot der ASt belege nach der Wertung nicht den zweiten Rang. Zudem seien die Rügen unsubstantiiert. Die ASt spekuliere ins Blaue hinein, dass das Angebot der BGl die Ausschreibungsanforderungen nicht erfülle und dass die BGl vermeintliche Geschäftsbeziehungen zur Firma B. unterhalte.
Der Nachprüfungsantrag sei auch unbegründet. Die Vorführung eines zweiten Stuhls sei zulässig gewesen. Die BGl habe durch die Vorführung des zweiten Stuhls lediglich die Eigenschaften der angebotenen Stühle hinsichtlich Stapelbarkeit und Verkettung verdeutlicht. Die anderen Bieter hätten im Rahmen der Bemusterung bereits mehrere Muster bereitgestellt gehabt. Dadurch, dass der BGl eine Bemusterung unter Verwendung von mehr als einem Stuhl ermöglicht worden sei, sei eine Gleichbehandlung der Angebote erfolgt. Die Vorführung des zweiten Stuhls sei jedenfalls nach Abschluss der Angebotswertung erfolgt und habe somit keinen Einfluss gehabt. Aus den Vergabeunterlagen gehe hervor, dass sich die Reihenfolge der Angebote selbst dann nicht geändert hätte, wenn das Angebot der BGl in allen Kriterien mit "0" bewertet worden wäre.
Im Übrigen erfülle das Angebot der BGl die Anforderungen und es bestehe keine Geschäftsbeziehung der BGl zur Firma B.. Das seitens der ASt genannte Projekt sei 2011 durchgeführt worden. Die BGl habe in dem Projekt Stühle geliefert, während die Firma B. das Projekt auf Seiten des Auftraggebers begleitet habe.
17. Die Verfahrensbeteiligten haben am 12.12.2024, 13.12.2024 und 16.12.2024 ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt.
18. Die Fünf-Wochen-Frist des § 167 Abs. 1 Satz 1 GWB wurde wegen tatsächlicher und rechtlicher Schwierigkeiten rechtzeitig verlängert.
19. Im Übrigen wird hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands auf die Verfahrensakte der Vergabekammer und die Vergabeakten, soweit sie der Vergabekammer vorgelegt wurden, Bezug genommen.
Begründung
Die erkennende Vergabekammer konnte gemäß § 166 Abs. 1 Satz 3 GWB nach Lage der Akten entscheiden, weil die Verfahrensbeteiligten einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung zugestimmt haben.
Gemäß § 168 Abs. 1 Satz 2 GWB ist die Vergabekammer nicht an die Anträge gebunden und kann auch unabhängig davon auf die Rechtmäßigkeit des Vergabeverfahrens einwirken. Der Nachprüfungsantrag der nicht anwaltlich vertretenen ASt wird anhand ihrer schriftsätzlichen Ausführungen laiengünstig dahingehend ausgelegt, dass die ASt die Feststellung der Unwirksamkeit des bereits geschlossenen öffentlichen Auftrags und die Zurückversetzung des Vergabeverfahrens in den Stand vor Auftragsbekanntmachung begehrt.
Der Nachprüfungsantrag ist zulässig und begründet.
1. Der Nachprüfungsantrag ist zulässig.
a) Die Vergabekammer Nordbayern ist für das Nachprüfungsverfahren nach § 1 Abs. 2 und § 2 Abs. 2 Satz 2 BayNpV sachlich und örtlich zuständig.
b) Die VSt ist öffentlicher Auftraggeber nach § 99 Nr. 1 GWB.
c) Bei dem ausgeschriebenen Lieferauftrag handelt es sich um einen öffentlichen Auftrag im Sinne von § 103 Abs. 2 GWB.
d) Der maßgebliche Schwellenwert nach § 106 Abs. 2 Nr. 1 GWB ist überschritten.
e) Die ASt ist antragsbefugt im Sinne des § 160 Abs. 2 GWB, denn sie hat ihr Interesse an dem öffentlichen Auftrag mit der Abgabe eines Angebotes nachgewiesen und eine Verletzung in ihren Rechten nach § 97 Abs. 6 GWB durch Nichtbeachtung von Vergabevorschriften geltend gemacht. Die ASt hat auch dargelegt, dass ihr ein Schaden zu entstehen droht. Aus Gründen des effektiven Rechtsschutzes kann die Antragsbefugnis nur einem Antragsteller abgesprochen werden, bei dem eine Rechtsbeeinträchtigung offensichtlich nicht gegeben ist. Für die Zulässigkeit des Nachprüfungsantrags ist insoweit die schlüssige Behauptung der Rechtsverletzung erforderlich, aber regelmäßig auch ausreichend (vgl. BGH, B. v. 18.05.2004 - X ZB 7/04). Ob der Rechtsverstoß tatsächlich vorliegt, ist eine Frage der Begründetheit. Die ASt trägt neben dem Verstoß gegen § 134 GWB insbesondere schwerwiegende Verfahrensmängel vor und beanstandet die Angebotswertung. Sie belegt laut Wertungsergebnis der VSt zwar lediglich den dritten Rang. Entgegen der Rechtsauffassung der BGl sind vorliegend jedoch durchaus Umstände ersichtlich, aus denen sich eine Verschlechterung der Zuschlagschancen für die ASt ergeben. Nach Auffassung der Vergabekammer erfolgte der Wertungsvorgang durch die VSt vergaberechtswidrig (siehe unten Ziffer 2.). Die Vergabeverstöße wirken sich damit auf die Rangfolge der Angebote aus und es ist nicht ausgeschlossen, dass das Angebot der ASt auf eine aussichtsreiche Rangstelle vorrückt. Im Rahmen der Zulässigkeit sind an die Antragsbefugnis keine allzu hohen Anforderungen geknüpft.
f) Die ASt hat nicht gegen Rügeobliegenheiten nach § 160 Abs. 3 GWB verstoßen.
aa) Bezüglich der Zuschlagserteilung an die BGl am 22.10.2024 unter Verstoß gegen die Wartepflicht traf die ASt keine Rügepflicht. Der Zweck der Rüge, auf ein vergaberechtskonformes Vergabeverfahren hinzuwirken, konnte nach Zuschlagserteilung nicht mehr erreicht werden. Mit dem Zuschlag wurde das Vergabeverfahren vorläufig beendet (vgl. OLG Düsseldorf, B. v. 12.06.2019 - VII-Verg 54/18).
Bezüglich der Fehlerhaftigkeit des Informationsschreibens vom 24.10.2024, in dem nicht ausreichend über die Gründe der vorgesehenen Nichtberücksichtigung des Angebots der ASt informiert wurde, ist ein Verstoß der ASt gegen die Rügeobliegenheit aus § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GWB nicht festzustellen. Die Rügeobliegenheit wird nur ausgelöst, wenn der Antragsteller eine feststellbare und im Streitfall vom öffentlichen Auftraggeber nachzuweisende positive Kenntnis von den einen Vergaberechtsverstoß begründenden tatsächlichen Umständen hat. Darüber hinaus muss er aufgrund laienhafter, vernünftiger Bewertung zugleich die positive Vorstellung von einem Verstoß gegen Vergabevorschriften gewonnen haben (vgl. OLG Düsseldorf, B. v. 12.06.2019 - VII-Verg 54/18). Nach den vorgenannten Maßstäben kann weder eine positive Kenntnis der ASt von dem Fehler des Informationsschreibens noch ein mutwilliges Sich-der-Erkenntnis-Verschließen festgestellt werden. Auch der Umstand, dass sich die ASt spätestens im Zuge ihrer Rüge mit dem Informationsschreiben befasste, reicht nicht aus um zu belegen, dass die ASt den Fehler tatsächlich bemerkt hat. Wäre das der Fall, hätte es nahe gelegen, dass die ASt auch dies gegen die von ihr beanstandete Auftragserteilung an die BGl angeführt hätte.
Im Übrigen hat die ASt die Entscheidung der VSt, den Zuschlag auf das Angebot der BGl am 05.11.2024 zu erteilen, innerhalb von zehn Kalendertagen nach Erhalt des Informationsschreibens gerügt, § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GWB.
bb) Soweit die BGl vorbringt, dass die Rügen hinsichtlich der seitens der ASt bezweifelten Ausschreibungskonformität des Angebots der BGl sowie bezüglich eines vermeintlichen Interessenskonfliktes nach § 6 VgV nicht hinreichend substantiiert seien, so gehen diese Ausführungen vorliegend fehl. Die genannten Vorwürfe wurden von der ASt erst nach Einreichung des Nachprüfungsantrags erhoben.
Die ASt hat insoweit auch nicht gegen eine Rügepflicht verstoßen. Denn Umstände, aus denen sich derartige Verstöße gegen das Vergaberecht ergeben könnten, sind ihr erst im Nachprüfungsverfahren bekannt geworden. Erst dann hat die ASt von weiteren Details über das Angebot der BGl und den Gründen der VSt für die Nachforderungen bei der BGl sowie der Zusammenarbeit der VSt mit dem externen Dienstleister B. erfahren.
Nach Stellung des Nachprüfungsantrags müssen neu erkannte Verstöße gegen das Vergaberecht nicht mehr gerügt werden. Die Rügeobliegenheit des § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GWB bezieht sich ausdrücklich nur auf vor Einreichung des Nachprüfungsantrags erkannte Verstöße. Zudem kann danach der Zweck der Rügeobliegenheit, ein Nachprüfungsverfahren zu vermeiden, nicht mehr erreicht werden (vgl. OLG Schleswig-Holstein, B. v. 27.10.2022 - 54 Verg 7/22).
g) Die Fristen des § 135 Abs. 2 GWB zur Anbringung des Nachprüfungsantrags - 30 Kalendertage nach der Information der Bieter durch den öffentlichen Auftraggeber über den Abschluss des Vertrags und nicht später als sechs Monate nach Vertragsschluss - sind durch den Nachprüfungsantrag vom 04.11.2024 gewahrt.
h) Der bereits erteilte Zuschlag vom 22.10.2024 steht der Statthaftigkeit des Nachprüfungsverfahrens nicht entgegen im Sinne von § 168 Abs. 2 Satz 1 GWB, da der Nachprüfungsantrag auf Feststellung der Unwirksamkeit des öffentlichen Auftrags gemäß § 135 GWB gerichtet ist (vgl. OLG Düsseldorf, B. v. 12.06.2019 - VII-Verg 54/18).
2. Der Nachprüfungsantrag ist begründet.
Die ASt ist durch den Zuschlag auf das Angebot der BGl in ihren Rechten nach § 97 Abs. 6 GWB verletzt. Der an die BGl erteilte Zuschlag ist von Anfang unwirksam, § 135 Abs. 1 Nr. 1 GWB.
Gemäß § 135 Abs. 1 Nr. 1 GWB ist ein öffentlicher Auftrag von Anfang an unwirksam, wenn der öffentliche Auftraggeber gegen die aus § 134 GWB folgende Informations- und Wartepflicht verstoßen hat und dieser Verstoß in einem Nachprüfungsverfahren festgestellt worden ist.
Die VSt hat gegen § 134 GWB verstoßen (siehe a) und hat darüber hinaus im Vergabeverfahren weitere Vergabeverstöße begangen (siehe b).
a) Der Zuschlag auf das Angebot der BGl verstößt gegen § 134 GWB, da die VSt sowohl die Informationspflicht als auch die Wartepflicht nicht eingehalten hat.
Zum einen entspricht das Informationsschreiben vom 24.10.2024 nicht den inhaltlichen Anforderungen des § 134 GWB. Der im Schreiben angegebene Grund für die vorgesehene Nichtberücksichtigung des Angebots der ASt - es liege ein niedrigeres Hauptangebot vor - war fehlerhaft. Die VSt hätte stattdessen Angaben zur Wertung mitteilen müssen.
Zum anderen hat die VSt die Wartepflicht nicht eingehalten, denn die Zuschlagserteilung erfolgte bereits vor Versendung der Vorabinformation.
b) Die Zuschlagserteilung unter Verstoß gegen die Informations- und Wartepflicht verletzt die ASt darüber hinaus in ihren Rechten und beeinträchtigt ihre Zuschlagschancen.
Das Vergabeverfahren leidet an derart schwerwiegenden Verfahrensmängeln, dass das Vergabeverfahren in den Stand vor Auftragsbekanntmachung zurückversetzt werden muss (siehe aa). Überdies beanstandete die ASt zu Recht die durchgeführte Angebotswertung als vergaberechtswidrig (siehe bb). Im Übrigen ist über die weiteren Beanstandungen seitens der ASt nicht mehr zu entscheiden (siehe cc).
aa) Die Vergabekammer ist der Auffassung, dass nicht nur die beanstandete Angebotswertung, sondern bereits deren Grundlage, nämlich die Wertungsmatrix und deren Wertungskriterien, sowie die Zusammensetzung der Fachkommission fehlerhaft sind.
Dies hat die ASt zwar weder ausdrücklich gerügt noch im Nachprüfungsantrag geltend gemacht, allerdings ist die Vergabekammer der Ansicht, dass dieser Umstand von Amts wegen zu berücksichtigen ist. Die Vergabekammer erforscht den Sachverhalt von Amts wegen, § 163 Abs. 1 GWB, wobei die Nachprüfungsinstanzen zu einer umfassenden Rechtmäßigkeitskontrolle nicht verpflichtet sind.
Es ist umstritten, wie weitgehend der Amtsermittlungsgrundsatz des § 163 Abs. 1 GWB durch die Rügeobliegenheit begrenzt wird. Im Allgemeinen wird die Auffassung vertreten, dass Vergaberechtsfehler dann nicht von Amts wegen berücksichtigt werden dürfen, wenn eine entsprechende Rüge nach § 160 Abs. 3 GWB präkludiert wäre oder ist, da eine Rügepräklusion ihren Sinn verlöre, wenn der Mangel dennoch von Amts wegen eingeführt werden könnte (vgl. OLG Düsseldorf B. v. 23.06.2010 - Verg 18/10; OLG Schleswig B. v. 15.04.2011 - Verg 10/10). Im vorliegenden Fall ist schon fraglich, ob die von Amts wegen zu berücksichtigenden Verstöße (Wertungsmatrix und deren Wertungskriterien sowie die
Zusammensetzung der Fachkommission) für die ASt überhaupt erkennbar im Sinne des § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 und Nr. 3 GWB waren. Die Erkennbarkeit muss sich dabei sowohl auf die den Verstoß begründenden Tatsachen als auch auf deren rechtliche Beurteilung beziehen. Der Verstoß muss so offensichtlich sein, dass er einem durchschnittlich erfahrenen Bieter bei der Vorbereitung seines Angebotes auffallen muss. So können von einem durchschnittlich fachkundigen Bieter vertiefte Rechtskenntnisse, die es erlauben, die Vergaberechtskonformität eines Bewertungssystems zu beurteilen, nicht erwartet werden (vgl. OLG Düsseldorf, B. v. 28.09.2022 - VII-Verg 2/22). Es bedarf hier jedoch keiner Entscheidung, ob eine Rügepräklusion hinsichtlich der von Amts wegen zu berücksichtigenden Fehler eingetreten ist. Denn eine Ausnahme von diesem Grundsatz wird in ganz besonders gelagerten Fällen für gerechtfertigt gehalten, nämlich dann, wenn ein so schwerwiegender Fehler vorliegt, dass eine tragfähige Zuschlagsentscheidung bei einer Fortsetzung des Verfahrens praktisch nicht möglich ist, etwa weil nur willkürliche oder sachfremde Zuschlagskriterien verbleiben oder das vorgegebene Wertungssystem so unbrauchbar ist, dass es jede beliebige Zuschlagsentscheidung ermöglicht (vgl. OLG München, B. v. 10.08.2017 - Verg 3/17). Diese Voraussetzungen sind hier gegeben. Im vorliegend Fall machen die Vergaberechtsfehler die Fortsetzung des Vergabeverfahrens unmöglich, weil eine vergaberechtskonforme Wertung der vorliegenden Angebote und ein entsprechender Zuschlag auf der Grundlage der vorliegenden Ausschreibung nicht möglich ist (vgl. OLG Celle, B. v. 02.02.2021 - 13 Verg 8/20).
i. Die Formel zur Ermittlung des wirtschaftlichsten Angebots ist in sich widersprüchlich und für die Angebotsbewertung ungeeignet.
Laut Vergabeunterlagen sind Zuschlagskriterien der Angebotspreis zu 50 % und die Bewertungskriterien zu 50 %. Laut Formel werden 142 Wertungspunkte vergeben. Maximal 100 Wertungspunkte für den niedrigsten Wertungspreis (50 % = 50 Punkte) und maximal 42 Wertungspunkte für die Gestaltung/Konstruktion (50 % = 21 Punkte).
Eine zu erreichende maximale Punktzahl von 50 Punkten für den Angebotspreis und 21 Punkten für die Bewertungskriterien entspricht allerdings nicht der Vorgabe, dass die Zuschlagskriterien jeweils mit 50 % gewertet werden sollen.
ii. Die Wertungsmatrix zur Bewertung der Musterstühle ist vergaberechtswidrig.
Demnach wird ein Musterstuhl mit 3 Punkten gewertet, wenn die Anforderungen bestmöglich erfüllt sind, mit 2 Punkten, wenn die Anforderungen überdurchschnittlich erfüllt sind, mit
1 Punkt, wenn die Mindestanforderungen erfüllt sind und mit 0 Punkten, wenn die Anforderungen nicht erfüllt sind.
Die Beschreibung bei der Kriteriengruppe "Stoff" lautet: "Der angebotene Stoff entspricht der Ausschreibung in Material, Strapazierfähigkeit und Design".
Die Beschreibung bei der Kriteriengruppe "Optik" lautet: "Der Stuhl entspricht dem ausgeschriebenen Design in Form, Proportion und Größe".
Die Beschreibung bei der Kriteriengruppe "Maße" lautet: "Sind die Maße des Stuhls eingehalten? (...)".
Die Auslegung der Vergabeunterlagen erfolgt nach dem maßgeblichen objektiven Empfängerhorizont eines fachkundigen Bieters (vgl. BayObLG, B. v. 13.06.2022 - Verg 6/22). Aus Sicht eines verständigen und fachkundigen Bieters sind die Vergabeunterlagen dahingehend zu verstehen, dass der Begriff "Anforderungen" als "Mindestanforderungen" zu verstehen ist. Dies ergibt sich für die Vergabekammer aus einer Gesamtschau der Wertungsmatrix und der Beschreibung der Kriterien.
Eine Punkteabstufung hinsichtlich des Erfüllens von Mindestanforderungen ist allerdings nicht zulässig. Ein Angebot das die Mindestanforderungen nicht erfüllt, ist zwingend auszuschließen. Eine Bewertung lediglich mit 0 Punkten genügt nicht.
iii. Die Vergabeunterlagen leiden ferner daran, dass die Angebotswertung durch eine Fachkommission erfolgt, deren Zusammensetzung unzulässig ist.
Laut Vergabeunterlagen wird die Ausstattung durch eine Fachkommission aus "Bauherr, Nutzer und Planer" geprüft und gewertet.
Eine derartige Zusammensetzung ist vergaberechtswidrig. Es ist zwar grundsätzlich zulässig, dass der Auftraggeber externen Sachverstand bei der Angebotsbewertung hinzuzieht, die Wertungsentscheidung muss jedoch vom Auftraggeber selbst getragen werden. Die Wertungsentscheidung kann nicht vom Auftraggeber auf Dritte delegiert werden, weil es sich um eine eigenverantwortlich zu treffende Entscheidung des Auftraggebers handelt (vgl. VK Bund, B. v. 07.12.2022 - VK 1 - 95/22). Im vorliegenden Fall handelt es sich nicht lediglich um eine Vorbereitung der Angebotsauswertung durch einen externen Dienstleister, dessen Ergebnis sich der Auftraggeber zu eigen machen kann. Vielmehr sollen Externe gemeinsam mit der VSt die Wertungsentscheidung treffen.
bb) Im Übrigen kommt es auf etwaige weitere Fehler der Angebotsprüfung bzw. -wertung nicht mehr an, da wie ausgeführt die Vorgaben des Vergabeverfahrens keine geeignete Basis darstellen für einen korrekten Vergabewettbewerb.
Die Vergabekammer weist die VSt in diesem Zusammenhang dennoch auf weitere festgestellte Vergabeverstöße hin.
i. Die Berechnung der Preispunkte und damit auch der Gesamtpunktzahl erfolgte fehlerhaft.
Laut Vergabeunterlagen werden maximal 100 Wertungspunkte für den niedrigsten Angebotspreis vergeben. Die Gewichtung beträgt 50 %, sodass ein Bieter maximal 50 Preispunkte erhalten kann.
Die Vorgehensweise der VSt bei der Angebotswertung entspricht jedoch nicht den genannten Vorgaben. Die Angebotswertung ergibt, dass die erreichten Preispunkte - anders als die Wertungspunkte für die Gestaltung/Konstruktion - nicht mit 50 % sondern zu 100 % gewertet worden sind. So erhielt ein Bieter 100 Preispunkte für den niedrigsten Angebotspreis, obwohl nur maximal 50 Preispunkte vergeben werden durften. Entsprechend wirkte sich dies auch auf die vergebene Gesamtpunkzahl aus. So erhielt ein Bieter 115 Gesamtpunkte, obwohl nur maximal 71 Gesamtpunkte (50 Preispunkte und 21
Wertungspunkte für Gestaltung/Konstruktion) erreichbar waren.
ii. Laut Leistungsbeschreibung ist für die Angebotsprüfung ein Stuhl zur Bemusterung bereitzustellen. Das Kriterium "Mechanische Funktion: Verkettung und Stapelbarkeit" wurde laut Angaben der VSt anhand eines Musterstuhls geprüft und gewertet.
Für die Vergabekammer ist insoweit nicht nachvollziehbar, wie die Fachkommission in der Lage gewesen sein soll, die Verkettung und Stapelbarkeit mithilfe nur eines Musterstuhls zu prüfen und zu bewerten. Die Vergabedokumentation enthält hierzu keine Informationen.
iii. Die Vergabekammer beanstandet auch die ungenügende Vergabedokumentation zur Angebotswertung.
Die Wertungsmatrix enthält kein Datum und es ist nicht erkennbar, welche Personen Teil der Fachkommission waren. Weitere Unterlagen zur Wertung gibt es laut VSt nicht.
Die Vergabekammer ist dadurch nicht in der Lage zu überprüfen, ob die seitens der ASt beanstandete Nachforderung eines zweiten Musterstuhls bei der BGl auf die Angebotswertung Einfluss genommen hat oder nicht. Die schriftsätzlichen Ausführungen der VSt waren vorliegend nicht geeignet, die Dokumentationsmängel auszugleichen.
cc) Nachdem das Vergabeverfahren an den unter Ziffer 2. b) aa) festgestellten grundlegenden Fehlern leidet, die eine vergaberechtskonforme Zuschlagserteilung ausschließen, ist es nicht mehr erforderlich, dass die Vergabekammer über weiteren seitens der ASt behaupteten Vergabeverstöße entscheidet.
Die Vergabekammer merkt allerdings an, dass nach Aktenlage entgegen der Auffassung der ASt ein vermeintlicher Interessenskonflikt nach § 6 VgV im Zusammenhang mit dem externen Dienstleister B. nicht erkannt werden kann.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 182 GWB.
a) Die VSt und die BGl tragen die Kosten des Verfahrens je zur Hälfte, weil sie jeweils mit ihren Anträgen unterlegen sind (§ 182 Abs. 3 Satz 1 GWB).
Die Kostenerstattungspflicht gegenüber der ASt ergibt sich aus § 182 Abs. 4 Satz 1 GWB.
Es entspricht der Billigkeit die BGl an den Kosten des Verfahrens und die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen der ASt zu beteiligen, da sie sich mit anwaltlicher Hilfe schriftsätzlich aktiv im Verfahren vor der Vergabekammer mit umfangreichen Ausführungen wesentlich beteiligt hat (vgl. OLG München, B.v. 08.03.2016, Verg 1/16). Durch ihre Mitwirkung versuchte die BGl den Verfahrensausgang zu ihren Gunsten zu beeinflussen. Die BGl hat in ihrem 9-seitigen Schriftsatz vom 06.12.2024 vertieft ausgeführt, dass der Nachprüfungsantrag sowohl unzulässig als auch unbegründet sei. Durch diese aktive Mitwirkung am Verfahren hat sie sich einem Kostenrisiko ausgesetzt. Im Fall des Obsiegens hätte sie auch ihre Aufwendungen erstattet bekommen. Einer aktiven Beteiligung des Beigeladenen am Vergabenachprüfungsverfahren in Form einer eigenen Antragstellung bedarf es für eine Pflicht zur Kostentragung hingegen nicht (vgl. OLG Rostock, B.v. 21.07.2017, 17 Verg 2/17).
b) Die Gebühr war nach § 182 Abs. 2 und Abs. 3 GWB festzusetzen. Unter Berücksichtigung der Bruttoangebotssumme der ASt und unter Zugrundelegung eines durchschnittlichen personellen sachlichen Aufwands der Vergabekammer errechnet sich entsprechend der Tabelle des Bundeskartellamts eine Gebühr in Höhe von xxxx,- Euro.
Da ohne mündliche Verhandlung entschieden werden konnte, wird die Gebühr um xxx,- Euro auf xxxx,- Euro reduziert.
c) Die VSt ist gemäß § 182 Abs. 1 GWB i.V.m. § 8 Abs. 1 Nr. 3 VwKostG (in der am 14.08.2013 geltenden Fassung) von der Zahlung der Gebühr befreit.
Sofern der Kostenvorschuss in Höhe von 2.500,- Euro von der ASt einbezahlt wurde, wird dieser nach Bestandskraft dieses Beschlusses an die ASt zurücküberwiesen.
[Rechtsmittelbelehrung]
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VK Niedersachsen
Beschluss
vom 29.11.2024
VgK-29/2024
1. Die Errichtung von Lärmschutzwänden stellt bei Straßen- und Brückenbauarbeiten ein marktübliches, abgrenzbares Gewerk und somit ein Fachlos dar.
2. Das gesetzliche Regel- und Ausnahmeverhältnis zwischen Los- und Gesamtvergabe bedeutet nicht, dass eine Gesamtvergabe überhaupt nur bei Vorliegen eines objektiv zwingenden Grundes erfolgen darf. Erforderlich ist jedoch, dass nach einer umfassenden Abwägung der widerstreitenden Belange die für eine zusammenfassende Vergabe sprechenden technischen und/oder wirtschaftlichen Gründe überwiegen.
3. Ein Abwägungs- und Dokumentationsmangel ist anzunehmen, wenn weder Vergabevermerk noch die Dokumentation im Übrigen erkennen lassen, dass eine Abwägung mit den für eine Fachlosbildung sprechenden Gründen stattgefunden hat (sog. Abwägungsausfall).
4. Eine nachträgliche Heilung von Dokumentationsmängeln ist nur dann möglich, wenn die Vergabestelle ihre Erwägungen im Laufe des Nachprüfungsverfahrens lediglich ergänzt und präzisiert.
5. Die besonderen technischen Anforderungen bei der Errichtung von Lärmschutzwänden bei einem Brückenbauwerk rechtfertigen regelmäßig keine Gesamtvergabe.
VK Niedersachsen, Beschluss vom 29.11.2024 - VgK-29/2024
Tenor:
1. Es wird festgestellt, dass die Antragstellerin in ihren Rechten verletzt ist. Der Antragsgegner wird verpflichtet, das Vergabeverfahren in den Stand vor Bekanntmachung zurückzuversetzen und bei fortbestehender Beschaffungsabsicht die im Zuge der Herstellung des verfahrensgegenständlichen Bauwerks zu errichtenden Lärmschutzwände aus der bestehenden Generalunternehmerausschreibung herauszulösen und gesondert als Fachlos auszuschreiben.
2. Die Kosten werden auf ... Euro festgesetzt.
3. Die Kosten des Verfahrens hat der Antragsgegner zu tragen. Der Antragsgegner ist jedoch von der Entrichtung der Kosten befreit.
4. Der Antragsgegner hat der Antragstellerin die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen zu erstatten. Die Hinzuziehung der Verfahrensbevollmächtigten war für die Antragstellerin notwendig.
Gründe:
I.
Der Antragsgegner hat mit EU-Bekanntmachung vom ....2024 den Neubau einer Brücke ... im Zuge der Verlegung der Bundesstraße ... von ... bis ... im offenen Verfahren ausgeschrieben.
Nach Ziffer 5.1.10 der Bekanntmachung ist der Preis das einzige Zuschlagkriterium.
Eine Losteilung ist nach Ziffer 4 der Aufforderung zur Angebotsabgabe nicht vorgesehen.
Gemäß Ziffer C) sind Angaben zu Unteraufträgen/Nachunternehmerleistungen, Bietergemeinschaften und/oder eine Eignungsleihe jeweils mittels der zur Verfügung gestellten Standardvordrucke aus dem Handbuch für die Vergabe und Ausführung von Bauleistungen im Straßen- und Brückenbau (HVA B-StB) mit dem Angebot einzureichen.
Nach Ziffer 1.1.3.8 der Leistungsbeschreibung (Seite 14) gilt:
[...]
Die Verankerung der Lärmschutzwände ist bereits im Zuge der Herstellung der Kappen nach RiZ-ING LS 1 Blatt 1 bis 4 mit Betonankern und Gewindehülsen herzustellen. [...] Die Lärmschutzanlagen auf dem Bauwerk (einschließlich Gesimse) sind Gegenstand dieser Ausschreibung, für den weiteren Streckenverlauf werden die Lärmschutzwände gesondert vergeben.
[...]
Die Teilleistung "Lärmschutzwand" wird im Leistungsverzeichnis unter den Positionsnummern 00.15.0006 bis 00.15.0011 beschrieben (Seite 149 ff). Für das Herstellen der Lärmschutzwand gilt: "Lärmschutzwand nach Unterlagen des AG. Gründung bzw. Tragkonstruktion wird gesondert vergütet." Die Aufstellung des Standsicherheitsnachweises und die Herstellung der Ausführungszeichnungen für das Bauwerk einschließlich der Brückenausstattungen ist Teil der zu vergebenden Leistung und durch den Auftragnehmer zu erbringen (siehe Pos. 00.02.0003 und 00.02.0004; Seite 92/93).
Nach den Entwurfszeichnungen der Ausschreibungsunterlagen wird die Konstruktion der Lärmschutzwand jeweils in den Schnitten (Dateien: ... und ...) und in der Regel-Ansicht der Brückenpfeiler (Datei: ...) nur nachrichtlich dargestellt:
[Detailzeichnung nicht dargestellt]
Gemäß Ziffer C und D der Aufforderung zur Angebotsabgabe könnten Teile der Leistung durch Nachunternehmen ausgeführt werden (Unteraufträge), der Auftraggeber kann sich auch der erforderlichen wirtschaftlichen, finanziellen, technischen und beruflichen Leistungsfähigkeit anderer Unternehmen bedienen (Eignungsleihe). Gemäß Ziffer 6 der Teilnahmebedingungen sind die dafür vorgesehenen Teilleistungen/Kapazitäten in den Angeboten zu benennen.
Die Antragstellerin ist ein mittelständisches, auf die Errichtung von Schutzwänden spezialisiertes Bauunternehmen. Mit Schreiben vom 04.10.2024 rügte die Antragstellerin die vorgesehene Vergabe, weil die Lärmschutzwände nicht als eigenständiges Fachlos ausgeschrieben worden sind. Durch die Anfrage mehrerer Generalunternehmer sei der Antragstellerin bekannt, dass eine Vergabe aller Fachlose an nur einen Generalunternehmer beabsichtigt sei. Das Anbieten einzelner Fachlose, zum Beispiel des Fachloses Lärmschutzwände, sei nicht vorgesehen. Nach § 4 Absatz 3 Satz 1 VOB/A sind Bauleistungen nach Fachgebieten getrennt zu vergeben. Technische oder wirtschaftliche Gründe, die eine Ausnahme von der Regelvergabe erlauben, seien bei diesem Bauvorhaben nicht erkennbar.
Mit Schreiben vom 10.10.2024 teilte der Antragsgegner mit, dass er der Rüge nicht abhilft. Auf die Fachlosvergabe könne verzichtet werden, wenn zwingende wirtschaftliche und technische Gründe dies erfordern. Die vorgesehene Lärmschutzwand (LSW) hänge sowohl technisch als auch wirtschaftlich so eng mit dem Brückenbau zusammen, dass eine losweise Vergabe nicht möglich sei. Das Bauwerk sei eine in sich geschlossene Einheit. Daher müssten zur Qualitätssicherung und auch für die Gewährleistungsansprüche z.B. die LSW und die Schutzplankenkonstruktionen (SPK) mit den jeweiligen dafür erforderlichen Verankerungskörben in den Brückenkappen zwingend in einer Ausschreibung erfolgen. Gleiches gelte auch für die statische Berechnung. Gegen die Teillosvergabe spreche zudem, dass wichtige konstruktive Arbeitsschritte nicht eigenständig vergeben werden könnten. Bei der LSW seien die Verankerungskörbe mit in die Betonkappen und mit der Bewehrung zu montieren. Zudem könne die Verkehrssicherheit während der Bauausführung der Gesamtbaumaßnahme (Baustellenverkehre über das Bauwerk und damit Entlastung in der Ortsdurchfahrt ...) nur gewährleistet werden, wenn das Bauwerk vollständig errichtet und in Funktion genommen werde. Eine Fachlosvergabe der Lärmschutzwand werde in den Streckenbereichen außerhalb der Bauwerke durchgeführt. Dort könne die notwendige Gründung ohne Eingriff in ein konstruktives Vorgewerk mit ausgeschrieben werden.
Daraufhin reichte die Antragstellerin am 21.10.2024 einen Nachprüfungsantrag ein. Der Nachprüfungsantrag sei sowohl zulässig als auch begründet. Die unterbliebene Bildung eines Fachloses für Arbeiten an den Lärmschutzwänden verletze die Antragstellerin in ihren Rechten. Die besagten Arbeiten seien separat als Fachlos auszubilden und auszuschreiben. Bei Arbeiten an Lärmschutzwänden, deren Planung, Konstruktion und Einbau, handele es sich um ein seit Jahrzehnten anerkanntes Fachlos, für die ein eigener Markt existiere. Die benötigten Bauleistungen könnten auch in Gestalt eines Fachloses erbracht werden. Zudem sei die Aufteilung von Aufträgen in Fach- und Teillose als gesetzlicher Regelfall festgeschrieben, von dem nur im Ausnahmefall abgewichen werden dürfe. Im Interesse des Wettbewerbs seien bei der Vergabe mittelständische Interessen durch Fach- und Teillose angemessen zu berücksichtigen. Technische Gründe für eine zusammengefasste Vergabe seien nicht gegeben und wirtschaftliche würden nicht geltend gemacht.
Die Arbeit an Lärmschutzwänden könnten von den Decken- und Erdbauarbeiten des Straßenbaus und von den Brückenbauarbeiten fachlich strikt getrennt werden. Die mit diesen Leistungsteilen angesprochenen Wettbewerbsunternehmen würden auch regelmäßig keine Fachlosarbeiten auf dem Gebiet der Planung und Errichtung von Lärmschutzwänden erbringen und sich des Einsatzes von fachkundigen Nachunternehmen bedienen müssen. Auf die Planung und den Bau komplexer Lärmschutzsysteme spezialisierte Unternehmen, wie die Antragstellerin, seien auch dazu in der Lage und darauf eingerichtet, dies stets im Verbund und in enger Zusammenarbeit mit den Bauarbeiten der baulichen Hauptgewerke zu tun.
Dass das Bauwerk eine "geschlossene Einheit" sei, stelle eine Binsenwahrheit dar und hätte zur Folge, dass für nahezu jedes Bauvorhaben Verträge über Bauleistungen nie in Lose aufzuteilen wären. Das wiederum würde zum genauen Gegenteil der gesetzlichen Vorgaben führen. Dass getrennt vergeben und erfolgreich gebaut werden könne, würden die beispielhaft genannten Vorhaben belegen. Ferner seien die "Qualitätssicherung und Gewährleistung" keine anerkannten Gründe für eine Gesamtvergabe. Es handele sich dabei um allgemeine Gesichtspunkte einer jeden ordnungsgemäßen Bauausführung.
Es mache auch keinen Unterschied, ob der spätere Aufbau der Lärmschutzwand von einem Nachunternehmer des Brückenbauers oder einem Fachlosunternehmer ausgeführt werde. Denn die Herstellung der Verankerung, also das Einarbeiten der späteren Aufnahmen für die Pfosten der LSW in der Brücke, erfolge immer durch den Hauptunternehmer Brückenbau. Zudem sei es üblich, dass der Hauptunternehmer mit dem Fachlosunternehmer die Verankerung und Ausbildung der Lärmschutzwand gemeinsam plane. Bei der Planung und Bemessung der Verankerungen gebe es keine großen Spielräume; denn diese seien streng nach gültigen Normen und Vorschriften auszuführen.
Auch das Argument der Verkehrssicherheit erschließe sich nicht. Soweit damit gemeint sein könnte, dass ggf. mehrere Verkehrssicherungen aufzubauen wären, sei diese Annahme jedenfalls falsch. Bei all den beispielhaften Projekten seien das Bauwerk selbst (Brücke) sowie die Lärmschutzwand im Schutze einer einzigen einheitlichen Verkehrssicherung - einem weiteren Fachlos, an dem es hier fehle - errichtet worden. Ein Auf- und Abbau derselben, weil das Gewerk wechsele, finde nie statt.
Mit Schreiben vom 15.11.2024 trägt die Antragstellerin ergänzend und vertiefend vor, dass die angedeuteten Zulässigkeitszweifel unbegründet seien. Sie habe erst am 30.09.2024 über eine Preisanfrage von dem Vergabeverfahren erfahren.
Die Wiedergabe allgemeiner rechtlicher Obersätze würden nicht den konkreten Fall- und Auftragsbezug ersetzen, den der Auftraggeber bei seiner Entscheidung für eine Gesamtvergabe schulde. Nach obergerichtlicher Rechtsprechung komme es darauf an, dass nach einer vollständigen Zusammenstellung des Tatsachenmaterials eine Abwägung sämtlicher für und gegen eine Losaufteilung sprechenden Gesichtspunkte vorzunehmen ist, als deren Ergebnis die Gründe für eine Gesamtvergabe eindeutig überwiegen müssen ("erfordern").
Daran fehle es hier fast vollständig. Der Vergabevermerk befasse sich mit keinem Wort mit den Interessen und Belangen der Fachlosanbieter. Bei jedem Bauwerk würden einzelne Bereiche ineinandergreifen und Gewährleistungsansprüche zu berücksichtigen sein. Um Verkehrssicherung und Schutzplankenkonstruktionen (SPK) würde es im vorliegenden Fall nicht gehen. Der Antragsgegner habe keine technischen Gründe dokumentiert, die belastbar für eine Gesamtvergabe sprechen könnten. Zudem seien keine Punkte in die Abwägung eingestellt worden, die für eine Losaufteilung und damit gegen die Gesamtvergabe sprechen könnten. Es würden nur einseitig vermeintliche Vorteile einer Gesamtvergabe aufgelistet. Dabei würden die Ausführungen in der Antragserwiderung nicht über den Inhalt des Vergabevermerks hinausgehen.
Es entspreche der Baupraxis, dass der Brückenbauunternehmer nach Maßgabe einer auftraggeberseitig beigestellten oder von ihm selbst gefertigten Planung die Verankerungskörbe für die Lärmschutzwände einbaue.
Bei den Leistungspositionen zum Lärmschutz handele sich um sogenannte Standardleistungstexte (STL-Nr. 21127/16253011193), die dem Standardleistungskatalog des Bundes für den Straßen und Brückenbau entnommen seien und sich in nichts von der Vergabe von Lärmschutzwänden als Fachlos unterscheiden würden. Nach der Leistungsbeschreibung und der vorgenannten Preisanfrage sei davon auszugehen, dass der Antragsgegner in den Vergabeunterlagen selbst alles Erforderliche angeordnet habe, um eine ordnungsgemäße Verankerung der LSW auf dem Brückenbauwerk sicherzustellen. Dabei sei es Aufgabe des Brückenbauers, die baulichen Voraussetzungen für die spätere Errichtung der Lärmschutzwand, die sogenannten Ankerkörbe, zu schaffen und diese Verankerungen für die spätere LSW baulich im Brückenbauwerk nach Maßgabe der dafür geltenden technischen Regelwerke vorzubereiten. Technisch sei dies am besten anhand der Richtzeichnung (RZ) "LS1" der Bundesanstalt für Straßenwesen, auf die sich auch die Antragserwiderung beziehe, zu erläutern. Wobei die Bemessung der Ankerkörbe jeweils nach den Vorgaben der genannten Richtzeichnung erfolge. Die Ankerkörbe würden in der Regel durch die beauftragte Brückenbaufirma bestellt oder nach deren Bemessungsgrundlagen beschafft. Vor dem Einbau würde immer eine Bewährungsabnahme durch den Auftraggeber erfolgen.
Soweit technische Gründe für die Gesamtvergabe angeführt werden, sei diesen entgegen zu halten, dass
- eine Lärmschutzwand immer integraler Ausstattungsbestandteil einer Brücke sei,
- die Ausführung immer in Abhängigkeit vom jeweiligen Bauwerk zu planen sei,
- die Verankerung der Pfosten immer durch den Brückenbauer nach den maßgeblichen technischen Normen eingebaut werde.
Es mache im Ergebnis keinen Unterschied, ob die Lärmschutzwand später von einem Nachunternehmer des Brückenbauers oder einem Fachlosunternehmer ausgeführt werde, so dass eine Gesamtvergabe nicht erforderlich sei. Vorliegend handele es sich gerade um eine Brückenbaumaßnahme ohne jede bauliche Besonderheit.
Bei den benannten Referenzen teilweise umfangreicher Brückenbaumaßnahmen sei es um den Bau von Lärmschutzwänden auf Ingenieurbauwerken gegangen, bei denen die Ankerkörbe von einem anderen Auftragnehmer eingebaut worden seien bzw. werden. Sämtliche vom Antragsgegner geschilderten Problemstellungen seien bislang nicht aufgetreten. Es bleibe der Eindruck, dass es dem Antragsgegner im Ergebnis vor allem um die Entledigung der Bauaufsicht und/oder den mit dem Einsatz mehrerer Fachlosunternehmen verbundenen Koordinierungsaufwand gehe.
Die Antragstellerin beantragt, dem Antragsgegner aufzugeben,
1. bei fortbestehender Beschaffungsabsicht die im Zuge der Herstellung des Bauwerks "Brücke ..." zu errichtenden Lärmschutzwände nach Ziffer 1.1.3.8. der Baubeschreibung aus der bestehenden Generalunternehmerausschreibung nach EU-Bekanntmachung Nr. ... vom ....2024 herauszulösen und gesondert als Fachlos auszuschreiben;
2. hilfsweise sonstige geeignete Maßnahmen anzuordnen, um eine Rechtsverletzung auf Seiten der Antragstellerin zu verhindern;
3. dem Antragsgegner die Kosten des Nachprüfungsverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der notwendigen Rechtsverfolgung der Antragstellerin aufzuerlegen
4. und auszusprechen, dass für die Antragstellerin die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im Nachprüfungsverfahren erforderlich ist.
Zudem wird um Einsicht in die beizuziehenden Vergabeakten ersucht.
Der Antragsgegner beantragt,
1. den Nachprüfungsantrag als unbegründet zurückzuweisen;
2. die Kosten der Antragstellerin aufzuerlegen.
Der Antrag sei zulässig, aber unbegründet. Die Vergabestelle habe nicht in unzulässiger Weise gegen das Gebot der Fachlosvergabe verstoßen.
Dass öffentliche Aufträge grundsätzlich in Teil- und Fachlose aufzuteilen seien, gelte nicht ausnahmslos. Öffentliche Auftragnehmer dürften von dem Gebot der losweisen Vergabe abweichen, wenn technische oder wirtschaftliche Gründe dies erfordern. Technische Gründe seien dabei solche, die eine Integration aller Leistungsschritte in einer Hand zur Erreichung des vom Auftraggeber angestrebten Qualitätsniveaus notwendig machen würden, wenn sonst das Risiko bestehe, dass Teilleistungen nicht zusammenpassen und in ihrer Gesamtheit nicht geeignet seien, die angestrebte Qualität zu erreichen. Dies sei der Fall, wenn für ein Bauwerk spezifische Bauteile oder eine besondere Abstimmung der Errichtungsschritte aufeinander erforderlich seien, die bereits während des Erstellungsprozesses besondere Maßnahmen aus einer Hand erfordern würden. Vorliegend handele es sich bei dem zu vergebenen Auftrag um die Herstellung eines Brückenbauwerkes inklusive einer Lärmschutzwand mit Handlauf. Die Erstellung der Ausführungsplanung sei Inhalt dieses Auftrages und müsse durch den Auftragnehmer Brückenbau aufgestellt werden. Dafür seien alle Angaben, also auch die zur Lärmschutzwand, erforderlich. Dies insbesondere deshalb, da es sich bei dem aufzubringenden Gewicht durch die Lärmschutzwand um statisch relevante Gewichte handele. Ohne Angaben zu den Lasten könnten keine Ausführungspläne erstellt werden. Zudem müssten die Lasten der Lärmschutzwand in die Planung der Pfosten und Verankerungen einfließen.
Hinzu komme, dass im Bereich der Lärmschutzwände unterschiedliche Möglichkeiten der Detailausbildung möglich seien. Dabei könne es verschiedene Durchmesser der Gewindestangen geben, und es seien für die meisten Lastenbereiche mehrere Verankerungen geeignet. Hiervon abhängig seien wiederum die Fußplatten der Lärmschutzwandpfosten in ihrer Dicke und Breite. Da die Ausführungsplanung vor Baubeginn erstellt und statisch geprüft werden müsste, sei es falsch, dass ein Auftragnehmer Brückenbau die Verankerung und Ausbildung der Lärmschutzwand mit einem Auftragnehmer Lärmschutzwand gemeinsam plane.
Es würde sich vorliegend um ein spezifisches Bauteil handeln, für das bereits während der Planung eine besondere Abstimmung notwendig sei, so dass hinreichend technische Gründe für den Verzicht auf die Fachlosvergabe bestanden hätten. Zudem seien die von der Antragstellerin genannten Bauvorhaben und eingeführten Entscheidungen mit dem hiesigen Fall nicht vergleichbar, da es sich bei den dort zugrunde liegenden Sachverhalten um Bauvorhaben im Streckenbau, nicht aber um Ingenieurbauwerke gehandelt habe.
Mit Schriftsatz vom 19.11.2024 trägt der Antragsgegner ergänzend und vertiefend vor, dass durchaus erklärt werde, welche technischen Gründe des Ausnahmetatbestandes des § 97 Abs. 4 Satz 3 GWB vorliegen würden. Sollte keine hinreichende Abwägung erfolgt sein, könne dies im laufenden Nachprüfungsverfahren nachgeholt werden, da es sich um einen heilbaren Dokumentationsmangel handele. Denn grundsätzlich seien die erforderlichen Angaben ordnungsgemäß dokumentiert worden und eine Begründung für den Verzicht auf die Fachlosvergabe ausreichend niedergelegt worden. Daher werde den Ausführungen, dass schon ein Dokumentationsmangel den Nachprüfungsantrag begründe, widersprochen.
Es handele sich zwar bei der Leistung für die Herstellung von Lärmschutzwänden um ein eigenständiges Gewerk, das bei der Bildung von Fachlosen zu berücksichtigen sei. Jedoch könne dieses Gewerk bei der Gesamtmaßnahme nicht in Gänze unbeachtet bleiben. Den Interessen der Mittelstandsförderung stehen hier die bereits dargestellten technischen und wirtschaftlichen Gründe entgegen. Gleichwohl finde das Gewerk im Bereich des Streckenbaus ausreichend Berücksichtigung, so dass die Losaufteilung in der Gesamtmaßnahme Berücksichtigung finde.
Die Beigeladene stellt keine eigenen Anträge.
Sie hat in der mündlichen Verhandlung erklärt, dass es keine pauschale oder etwa eine einzige Lösung gibt, Ingenieurbauwerke unter Berücksichtigung einer Lärmschutzwand herzustellen. Sie geht davon aus, dass es einfach sinnvoll ist, bei der Entscheidung über die Gesamtvergabe oder Losvergabe die Dimension des jeweiligen Bauwerks zu berücksichtigen, insbesondere ob die Lärmschutzwand selbst ein gewisses bedeutendes Volumen einnimmt oder ob sie als nachrangig einzustufen ist. Sie selbst habe Erfahrungen damit, dass sowohl Gesamtvergaben für Brücken in diesem Fall ausgeschrieben werden als auch, dass eine losweise Unterteilung der jeweiligen Baumaßnahmen vorgenommen wird. Sie bestätigt aber die Auffassung des Antragsgegners, dass die Schnittstellenproblematik bei Ingenieurbauwerken gegenüber dem Bau einer freien Strecke maßgeblich sein kann. Diese Aspekte müsse ein öffentlicher Auftraggeber bei der Abwägung berücksichtigen.
Die Beigeladene hat erklärt, dass sie im Zuschlagsfalle auch nach ihrem Angebot die konkrete Errichtung der Lärmschutzwand durch einen Nachunternehmer, ein Fachunternehmen, ausführen lässt.
Die Vergabekammer hat mit Verfügung des Vorsitzenden vom 19.11.2024 gemäß § 167 Abs. 1 Satz 2 GWB die Frist für die abschließende Entscheidung der Vergabekammer in diesem Nachprüfungsverfahren über die gesetzliche 5-Wochen-Frist hinaus bis zum 04.12.2024 verlängert.
Wegen des übrigen Sachverhalts wird auf die Schriftsätze der Beteiligten, die Vergabeakte sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 20.11.2024 Bezug genommen.
II.
Der Nachprüfungsantrag ist zulässig und begründet. Die Antragstellerin ist durch die Entscheidung des Antragsgegners, die im Zuge der Herstellung des verfahrensgegenständlichen Bauwerks zu errichtenden Lärmschutzwände nicht gesondert als Fachlos auszuschreiben, sondern zusammen mit dem Brückenbauwerk im Wege einer Generalunternehmerausschreibung zu beauftragen, in ihren Rechten verletzt. Der Antragsgegner hat in der Vergabeakte zwar Aspekte und Gründe aufgeführt, die seiner Auffassung nach für eine Gesamtvergabe sprechen. Er hat jedoch versäumt, auch die Gründe für die nach § 97 Abs. 4 S. 2 GWB ausdrücklich vorrangige Möglichkeit der Fachlosvergabe zu berücksichtigen und eine Abwägungsentscheidung zu treffen. Die Entscheidung für die Gesamtvergabe genügt daher bereits weder den Anforderungen des § 97 Abs. 4 S. 2 und 3 GWB noch den Anforderungen an die Dokumentation einer solchen Abweichung vom gesetzlichen Regel-Ausnahme-Prinzip gemäß § 20 EU VOB/A i.V.m. § 8 Abs. 2 Nr. 11 VgV (im Folgenden 2 a). Unabhängig davon hat der Antragsgegner sowohl im Vergabevermerk wie auch schriftsätzlich und mündlich im Zuge des Nachprüfungsverfahrens zwar technische Gründe für seine Entscheidung aufgeführt. Diese genügen jedoch nicht den Anforderungen an die Darlegung der Erforderlichkeit einer Gesamtvergabe gemäß § 97 Abs. 4 S. 3 GWB (im Folgenden 2 b).
1. Der Nachprüfungsantrag ist zulässig.
Bei dem Antragsgegner handelt es sich um das ... und damit um einen öffentlichen Auftraggeber i.S.d. § 99 Nr. 1 GWB. Der streitbefangene Auftrag übersteigt auch den für die Zuständigkeit der Vergabekammer maßgeblichen Schwellenwert gemäß § 106 Abs. 1 GWB. Danach gilt der 4. Teil des GWB nur für solche Aufträge, deren geschätzter Auftrags- oder Vertragswert ohne Umsatzsteuer die jeweiligen Schwellenwerte erreicht oder überschreitet, die nach den EU-Richtlinien festgelegt sind. Bei den ausgeschriebenen Leistungen handelt es sich um einen Bauauftrag i.S. des § 1 EU VOB/A, für den gemäß § 106 Abs. 2 Nr. 1 GWB i.V.m. Art. 4 der Richtlinie 2014/24/EU in der seit 01.01.2024 und damit zum Zeitpunkt der Bekanntmachung des streitgegenständlichen Vergabeverfahrens geltenden Fassung ein Schwellenwert von 5.538.000 Euro gilt. Die geschätzten Kosten für die verfahrensgegenständliche Gesamtmaßnahme überschreiten diesen Schwellenwert deutlich. Ausweislich Nr. 2.1.3 der europaweiten Bekanntmachung beträgt der geschätzte Wert insgesamt ... Euro. Der geschätzte Wert des unterlassenen streitbefangenen Fachloses "Lärmschutzwände" beträgt nach den vom Antragsgegner unwidersprochenen Angaben der Antragstellerin ... bis ... Euro netto und überschreitet damit den gemäß § 3 Abs. 9 VgV für Bauleistungen geltenden Teilschwellenwert von 1 Mio. Euro deutlich.
Die Antragstellerin ist auch gemäß § 160 Abs. 2 GWB antragsbefugt. Sie ein hat ein Interesse am Auftrag dargelegt und die Verletzung von Rechten durch die Nichtbeachtung von Vergabevorschriften geltend gemacht, indem sie beanstandet, dass der Antragsgegner entschieden hat, die im Zuge der Herstellung des verfahrensgegenständlichen Bauwerks zu errichtenden Lärmschutzwände nicht gesondert als Fachlos auszuschreiben, sondern zusammen mit dem Brückenbauwerk im Wege einer Generalunternehmerausschreibung zu beauftragen, obwohl eine Gesamtvergabe vorliegend nicht erforderlich sei. Dies verstoße gegen § 97 Abs. 4 S. 2 und 3 GWB. Dadurch werde sie gehindert, sich mit einem aussichtsreichen Angebot für ein zu bildendes Fachlos "Lärmschutzwände" an der Ausschreibung zu beteiligen. Sieht sich ein Bieterunternehmen wie vorliegend durch die Gestaltung der Ausschreibung an einer Teilnahme am Vergabeverfahren gehindert, genügt eine Interessenbekundung und die substanziierte Darlegung, an der Angebotseinreichung gerade durch ein vergaberechtswidriges Verhalten des Antragsgegners gehindert worden zu sein (vgl. OLG Düsseldorf, Beschlüsse vom 14.01.2009, VII-Verg 59/08, NZBau 2009, 398, und vom 30.09.2022, VII-Verg 40/21, NZBau 2023, 804 Rn. 23; OLG Frankfurt, Beschluss vom 17.02.2022, 367 Rn. 34; Dicks/Schnabel in Ziekow/Völlink, Vergaberecht, 5. Aufl. 2024, § 160, Rn. 12).
Voraussetzung für die Antragsbefugnis nach § 160 Abs. 2 GWB ist, dass das antragstellende Unternehmen einen durch die behauptete Rechtsverletzung entstandenen oder drohenden Schaden darlegt. Das bedeutet, dass der Antragsteller diejenigen Umstände aufzeigen muss, aus denen sich schlüssig die Möglichkeit eines solchen Schadens ergibt (vgl. Beck VergabeR/Hom/Hofmann, 4. Aufl. 2022, GWB, § 160, Rn. 23, Boesen, Vergaberecht, § 107 GWB, Rn. 52). Nach herrschender Meinung und Rechtsprechung sind an diese Voraussetzungen keine allzu hohen Anforderungen zu stellen. Es genügt für die Zulässigkeit eines Nachprüfungsantrags, wenn der Bieter schlüssig einen durch die behauptete Rechtsverletzung drohenden oder eingetretenen Schaden behauptet, also darlegt, dass durch den behaupteten Vergaberechtsverstoß seine Chancen auf den Zuschlag zumindest verschlechtert sein können (BVerfG, Urteil vom 29.07.2004 - 2 BvR 2248/04; Pünder/Schellenberg, Vergaberecht, GWB, § 160, Rn. 43; vgl. Beck VergabeR/Horn/Hofmann, 4. Aufl. 2022, GWB § 160, Rn. 34; Schäfer in: Röwekamp/Kus/Portz/Prieß, GWB-Vergaberecht, 5. Aufl., § 160, Rn. 30 ff.). Ob tatsächlich der vom Bieter behauptete Schaden droht, ist eine Frage der Begründetheit (vgl. BGH, Beschluss vom 29.06.2006 - X ZB 14/06, zitiert nach VERIS). Die Antragstellerin hat eine mögliche Beeinträchtigung ihrer Chancen auf den Zuschlag und damit einen möglichen Schaden schlüssig dargelegt.
Die Antragstellerin hat auch ihrer Pflicht genügt, den geltend gemachten, aus der Bekanntmachung vom ....2024 und den Vergabeunterlagen erkennbaren Verstoß gegen die grundsätzliche Verpflichtung zur Fachlosbildung gegen die Vergaberechtsvorschriften gemäß § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 und 3 GWB bis zum Ablauf der Frist zur Angebotsabgabe gegenüber der Auftraggeberin zu rügen. Die Frist für den Eingang der Angebote hatte der Antragsgegner gemäß Nr. 5.1.12. der Bekanntmachung auf den ....2024 festgelegt. Mit Schreiben vom 04.10.2024 rügte die Antragstellerin die unterbliebene Fachlosausschreibung. Auch eine Präklusion gemäß § 160 Abs. 3. Satz 1 Nr. 1 GWB liegt entgegen der Vermutung des Antragsgegners nicht vor. Die Antragstellerin hat belegt, dass sie durch eine Preisanfrage 30.09.2024 (Anlage KK 6 der Antragstellerin) Kenntnis davon erhalten hat, dass für die Baumaßnahme ... kein Fachlos für die Lärmschutzwände gebildet wurde. Die Rüge vom 04.10.2024 erfolgte somit auch innerhalb der Frist von 10 Kalendertagen ab positiver Kenntniserlangung vom geltend gemachten Vergaberechtsverstoß.
Der Nachprüfungsantrag ist daher zulässig.
2. Der Nachprüfungsantrag ist auch begründet. Die Antragstellerin ist durch die Entscheidung des Antragsgegners, die im Zuge der Herstellung des verfahrensgegenständlichen Bauwerks zu errichtenden Lärmschutzwände nicht gesondert als Fachlos auszuschreiben, sondern zusammen mit dem Brückenbauwerk im Wege einer Generalunternehmerausschreibung zu beauftragen, in ihren Rechten verletzt:
a. Der Antragsgegner hat in der Vergabeakte zwar Aspekte und Gründe aufgeführt, die seiner Auffassung nach für eine Gesamtvergabe sprechen. Er hat jedoch versäumt, auch die Gründe für die nach § 97 Abs. 4 S. 2 GWB ausdrücklich vorrangige Möglichkeit der Fachlosvergabe zu berücksichtigen und eine Abwägungsentscheidung zu treffen. Die Entscheidung für die Gesamtvergabe genügt daher bereits deshalb weder den Anforderungen des § 97 Abs. 4 S. 2 und 3 GWB noch den Anforderungen an die Dokumentation einer solchen Abweichung vom gesetzlichen Regel-Ausnahme-Prinzip gemäß § 20 EU VOB/A i.V.m. § 8 Abs. 2 Nr. 11 VgV.
Gemäß § 97 Abs. 4 GWB sind mittelständische Interessen bei der Vergabe öffentlicher Aufträge vornehmlich zu berücksichtigen. Leistungen sind in der Menge aufgeteilt (Teillose) und getrennt nach Art und Fachgebiet (Fachlose) zu vergeben. Mehrere Teil- oder Fachlose dürfen danach (nur dann) zusammen vergeben werden, wenn wirtschaftliche oder technische Gründe dies erfordern. § 97 Abs. 4 GWB enthält keinen bloß allgemein gehaltenen Programmsatz, sondern ein konkretes Gebot an den Auftraggeber mit einem korrespondierenden, subjektiven Bieterrecht auf Beachtung der Losvergabe (vgl. Kus in: Röwekamp/Kus/Portz/Prieß, GWB-Vergaberecht, § 97 GWB, 5. Aufl., Rn. 171). Der Begriff der Fachlose und Teillose kommt originär aus dem Bereich der Bauvergaben und nicht aus dem Dienstleistungsbereich. Lose sind Gewerke bzw. Bauleistungen verschiedener Handwerks- und Gewerbezweige. § 5 EU Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 bis 3 VOB/A wiederholt insoweit die identische, mittelstandsfördernde Regelung des § 97 Ab. 3 GWB. Welche Leistungen zu einem Fachlos gehören, bestimmt sich nach den gewerberechtlichen Vorschriften und der allgemein oder regional üblichen Abgrenzung (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 11.07.2000, Verg 10/07). Dabei ist stets auch zu untersuchen, ob sich für spezielle Arbeiten ein eigener Markt herausgebildet hat (vgl. Kus, a.a.O., § 97 GWB, Rn. 197). Allein die tatsächlich-technische Möglichkeit, dass mehrere Abschnitte einer Leistung auch von verschiedenen Personen oder Unternehmen erbracht werden können, begründet noch nicht das Vorliegen eines Fachloses (vgl. OLG Koblenz, Beschluss vom 16.09.2013 - 1 Verg 5/13, zitiert nach VERIS). Unter einem Fachlos versteht man eine Teilleistung, die marktüblich von einem Unternehmen ausgeführt wird, das zu einem bestimmten Handwerks- oder Gewerbezweig gehört. Die Abgrenzung bestimmt sich zunächst nach den gewerberechtlichen Vorschriften unter Berücksichtigung der allgemein oder regional üblichen Arbeitsteilung. Dies schließt ein, dass es auch innerhalb einer Branche eine weitere fachliche Aufgliederung geben kann. Die Losvergabe ist allerdings kein Selbstzweck, sondern soll möglichst vielen Unternehmen die Teilnahme an einem Vergabeverfahren ermöglichen. Von wesentlicher Bedeutung ist deshalb, ob ein Anbietermarkt mit Fachunternehmen existiert, die sich auf eine bestimmte Tätigkeit spezialisiert haben und ohne eine Losvergabe keinen Zugang zu öffentlichen Aufträgen hätten. Die bloße Existenz derartiger spezialisierter Fachunternehmen allein genügt jedoch nicht. Es muss vielmehr eine hinreichend große Anzahl von Fachunternehmen geben, damit jeder öffentliche Auftraggeber, der Lose bildet, diese auch jederzeit im Wettbewerb vergeben kann (vgl. OLG Koblenz, Beschluss vom 16.09.2013 - 1 Verg 5/13; OLG München, Beschluss vom 09.04.2015 - Verg 1/15).
Vorliegend ist unstreitig, dass sich für die Errichtung von Lärmschutzwänden ein eigener Markt gebildet hat und sich außer der Antragstellerin auch weitere Unternehmen darauf spezialisiert haben, so dass in der Regel eine entsprechende Fachlosvergabe möglich ist, schon weil sie bei Straßenbauarbeiten ein abgrenzbares Gewerk bilden (dazu auch OLG Düsseldorf, Beschluss vom 11.07.2007 - Verg 10/07 - und Beschluss vom 25.11.2009 - Verg 27/09-; OLG München, Beschluss vom 09.04.2015 - Verg 1/15).
Ausweislich der Begründung des Gesetzentwurfs für die seinerzeitige GWB-Novellierung 2009 bezweckte die Bundesregierung mit der Neufassung der Mittelstandsklausel eine Stärkung des Mittelstandsschutzes (vgl. BT-Drucksache 16/10117 vom 13.08.2008, zu Nr. 2 (§ 97) a; vgl. Kus in: Röwekamp/Kus/Portz/Prieß, GWB-Vergaberecht, 5. Aufl., § 97 GWB, Rn. 128). In der bis zum 23.04.2009 geltenden Fassung war im seinerzeitigen § 97 Abs. 3 GWB lediglich geregelt, dass mittelständische Interessen vornehmlich durch Teilung der Aufträge in Sach- und Teillose angemessen zu berücksichtigen sind. Ausweislich der Begründung der Bundesregierung beklagten trotz dieser Regelung in der Altfassung mittelständische Unternehmen die vielfach wenig mittelstandsgerechte Ausgestaltung der Auftragsvergabe. Die Bündelung von Nachfragemacht und die Zusammenfassung teilbarer Leistungen seien zunehmende Praxis. Die Mittelstandsklausel sollte daher lt. Begründung des Gesetzesentwurfs vom 13.08.2008 in ihrer Wirkung verstärkt werden. Dies sollte dadurch verwirklicht werden, dass eine Losvergabe grundsätzlich stattzufinden hat. Nur in begründeten Ausnahmefällen könne davon abgewichen werden, wenn wirtschaftliche oder technische Gründe dies erfordern. Sofern öffentliche Auftraggeber nach dieser Vorschrift verfahren, haben sie aktenkundig zu begründen, dass die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt sind (vgl. BT-Drucksache 16/10117 vom 13.08.2008, zu Nr. 2 (§ 97) a).
Dieses klare Regel-/Ausnahmeverhältnis bedeutet allerdings entgegen einer teilweise in der Literatur vertretenen Auffassung (Antweiler in: Burgi/Dreher/Opitz, Beck'scher Vergaberechtskommentar, 4. Aufl. 2022, § 97 Abs. 4 GWB, Rn. 51; Ziekow in: Ziekow/Völlink, Vergaberecht, 5. Aufl. 2024, § 97 GWB, Rn. 95) nicht, dass eine Gesamtvergabe überhaupt nur bei Vorliegen eines objektiv zwingenden Grundes erfolgen darf. § 97 Abs. 4 GWB ist im Kontext der primären Ziele des Vergaberechts auszulegen, zu denen insbesondere auch die Wirtschaftlichkeit der Beschaffung gehört (vgl. OLG Rostock, Beschluss vom 18.07.2024 - 17 Verg 1/24, zitiert nach ibr-online). Dabei sind auch die weiteren Grundsätze des Vergaberechts (Wettbewerb, Transparenz, Gleichbehandlung und Verhältnismäßigkeit) sowie die vom Gesetzgeber in § 97 Abs. 3 GWB normierten strategischen Ziele (Qualität, Innovation, soziale und umweltbezogene Aspekte) im Blick zu behalten.
Allerdings ergibt sich aus der klaren Wertung des Gesetzgebers, dass es nicht ausreicht, wenn der Auftraggeber anerkennenswerte Gründe für die Gesamtvergabe vorbringen kann; auch vermag die Entlastung des Auftraggebers von typischerweise mit einer losweisen Vergabe verbundenen Koordinierungsaufgaben oder sonstigem organisatorischem Mehraufwand für sich allein ein Absehen von einer Losvergabe nicht zu rechtfertigen.
Erforderlich ist vielmehr, dass sich der Auftraggeber im Einzelnen mit dem grundsätzlichen Gebot der Fachlosvergabe einerseits und den im konkreten Fall dagegen sprechenden Gründen auseinandersetzt und sodann eine umfassende Abwägung der widerstreitenden Belange trifft, als deren Ergebnis die für eine zusammenfassende Vergabe sprechenden technischen und/oder wirtschaftlichen Gründe überwiegen müssen (OLG Frankfurt, Beschluss vom 14.05.2018 - 11 Verg 4/18; OLG München, Beschluss vom 25.03.2019 - Verg 10/18; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 21.08.2024 - VII - Verg 7/24, Beschluss vom 13.03.2020 - Verg 10/20, Beschluss vom 25.05.2022 - Verg 33/21; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 29.04.2022 - 15 Verg 2/22).
Bei der Prognose der Vor- und Nachteile der Losvergabe, deren Gewichtung und der Abwägung steht dem Auftraggeber ein Beurteilungsspielraum zu (vgl. jeweils zur Fachlosaufteilung OLG Frankfurt, Beschluss vom 14.05.2018 - 11 Verg 4/18; OLG München, Beschluss vom 25.03.2019 - Verg 10/18; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 13.03.2020 - Verg 10/20, Beschluss vom 25.05.2022 - Verg 33/21; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 29.04.2022 - 15 Verg 2/22). Die Entscheidung des Auftraggebers über die Gesamtvergabe ist deshalb von den Vergabenachprüfungsinstanzen nur darauf zu überprüfen, ob sie auf vollständiger und zutreffender Sachverhaltsermittlung und nicht auf einer Fehlbeurteilung, namentlich auf Willkür, beruht (OLG Rostock, a.a.O.).
Unter technischen und wirtschaftlichen Gründen im Sinne des § 97 Abs. 4 S. 3 GWB sind solche zu verstehen, die eine Integration aller Leistungsschritte in einer Hand zur Erreichung des vom Auftraggeber angestrebten Qualitätsniveaus notwendig machen.
Vorliegend hat der Antragsgegner die Gesamtvergabe und damit das Absehen von der Fachlosbildung ausweislich der Dokumentation in der Vergabeakte und dem Schreiben vom 10.10.2024 zur Zurückweisung der Rüge der Antragstellerin nicht mit wirtschaftlichen, sondern mit technischen Aspekten und Erwägungen begründet. Technische Gründe i.S.d. § 97 Abs. 4 Satz 3 GWB sind alle Aspekte, die zu einem vom Auftraggeber vorgegebenen Leistungsprofil in einem unauflöslichen Zusammenhang stehen. Dies kann auch bei komplexen, miteinander verflochtenen Dienstleistungen der Fall sein oder wenn die Aufteilung in Fachlose unverhältnismäßige Kostennachteile mit sich bringen oder zu einer starken Verzögerung des Vorhabens führen würde (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 25.05.2022 - VII Verg 33/21).
Im Vergabevermerk des Antragsgegners heißt unter 1.11 zur Begründung für das Abweichen von der Fachlosvergabe:
"Das Bauwerk als solches ist in sich eine geschlossene Einheit, bei der die einzelnen Bereiche ineinandergreifen. Deshalb müssen zur Qualitätssicherung und auch für die Gewährleistungsansprüche z.B. die LSW und die SPK, mit den jeweiligen dafür erforderlichen Verankerungskörbe in den Brückenkappen, zwingend in einer Ausschreibung erfolgen. Gleiches gilt auch für die statische Berechnung dazu. Gegen die Teillosvergabe (Anm. der Vergabekammer: Gemeint ist offenbar die Fachlosvergabe.) spricht auch, dass diese nicht vollständig und somit eigenständig vergeben werden können, da wichtige konstruktive Arbeitsschritte immer ineinandergreifen. Bei der LSW sind gemäß RiZ-Ing LS 1 (Blatt 1 bis 4) die Verankerungskörbe mit in die Betonkappen und damit der Bewehrung zu montieren. Diese Leistung muss vom AN Brücken - Betonbau erfolgen. Die Verankerung ist dabei maßgeblich für die vertraglich geschuldete Gesamtleistung der LSW und ist deshalb in einem Vertrag auszuführen. Bei der SPK sind ebenfalls die Verankerungen in der Bewehrung der Brückenkappe zu berücksichtigen. Des Weiteren kann die Verkehrssicherheit während der Bauausführung der Gesamtbaumaßnahme (Baustellenverkehre über das Bauwerk und damit Entlastung in der Ortsdurchfahrt ...) nur gewährleistet werden, wenn das Bauwerk vollständig errichtet und in Funktion genommen wird.
Eine Fachlosvergabe der Lärmschutzwand wird in den Streckenbereichen außerhalb der Bauwerke durchgeführt. Die dort notwendige Gründung kann ohne Eingriff in ein konstruktives Vorgewerk bei der Lärmschutzwand mit ausgeschrieben werden."
Weder der Vergabevermerk noch die Dokumentation im Übrigen lassen irgendeine Berücksichtigung oder gar Abwägung dieser technischen Belange mit Aspekten und Gründen erkennen, die für eine Fachlosbildung sprechen. Der öffentliche Auftraggeber hat eine umfassende Abwägung der widerstreitenden Belange vorzunehmen, als deren Ergebnis die für eine zusammenfassende Vergabe sprechenden Gründen nicht nur anerkennenswert sein, sondern überwiegen müssen (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 21.08.2024 - VII - Verg 7/24 - und Beschluss vom 13.03.2020, Verg 10/20, juris, Rn. 27 m. w. Nachw.; OLG Frankfurt, Beschluss vom 14.05.2018, 11 Verg 4/18, juris, Rn. 72).
Eine Heilung des aufgezeigten Abwägungs- und Dokumentationsmangels scheidet im vorliegenden Fall aus. Eine nachträgliche Heilung ist nur dann möglich, wenn die Vergabestelle ihre Erwägungen im Laufe des Nachprüfungsverfahrens lediglich ergänzt und präzisiert (OLG Celle, Beschluss vom 13.01.2011 - 13 Verg 15/10, BeckRS 2011, 2421, Rn. 35, beck-online OLG Düsseldorf, Beschlüsse vom 10.02.2021, VII - Verg 22/20, BeckRS 2021, 8801 Rn. 47, und vom 23.03.2011, VII - Verg 63/10, NZBau 2011, 369, 371). Denn nach dieser Rechtsprechung können zwar Gründe bzw. Ermessenerwägungen auch im Vergabenachprüfungsverfahren nachgeschoben werden, wobei der Dokumentationspflicht genügt ist, wenn dies in anwaltlichen Schriftsätzen erfolgt. Die Nachholung der Dokumentationspflicht im Nachprüfungsverfahren ist aber nur zulässig, soweit die ergänzenden Erwägungen oder Erläuterungen sich auf Begründungen beziehen, die im Kern bereits im Vergabevermerk angelegt sind (vgl. Beck VergabeR/Dörr, 4. Aufl. 2022, GWB § 97 Abs. 1, Rn. 50). Darin fehlt es im vorliegenden Fall aber, da die Dokumentation in der Vergabeakte überhaupt keine Ausführungen zu der erforderlichen Abwägung enthält.
Unabhängig davon hat der Antragsgegner im Zuge des Nachprüfungsverfahrens weder schriftsätzlich noch in der mündlichen Verhandlung diese Abwägung "nachgeholt", sondern ausschließlich die Argumente vertieft, die aus seiner Sicht für eine Gesamtvergabe sprechen.
Bereits dieser Abwägungsausfall macht es erforderlich, den Antragsgegner zu verpflichten, das Vergabeverfahren in den Stand vor Auftragsbekanntmachung zurückzuversetzen, um gemäß § 168 Abs. 1 GWB die Verletzung der Rechte der Antragstellerin zu beseitigen und eine Schädigung der betroffenen Interessen zu verhindern.
b. Darüber hinaus sind die vom Antragsgegner sowohl im Vergabevermerk wie auch schriftsätzlich und mündlich im Zuge des Nachprüfungsverfahrens angeführten technischen Gründe pro Gesamtvergabe zwar nachvollziehbar. Sie überwiegen jedoch nicht das Interesse der Antragstellerin an einer Fachlosausschreibung und vermögen nach Auffassung der Vergabekammer eine Abweichung vom gesetzlichen Regel-Ausnahme-Prinzip gemäß § 97 Abs. 4 S. 2 und 3 GWB nicht zu begründen. Die vorgetragenen Aspekte genügen nicht den Anforderungen an die Darlegung der Erforderlichkeit einer Gesamtvergabe gemäß § 97 Abs. 4 S. 3 GWB.
Der Antragsgegner hat die Gesamtvergabe im Vergabevermerk damit begründet, dass das Bauwerk als solches eine in sich geschlossene Einheit sei, bei der die einzelnen Bereiche ineinandergreifen. Deshalb müssten zur Qualitätssicherung und auch für die Gewährleistungsansprüche z.B. die LSW und die SPK, mit den jeweiligen dafür erforderlichen Verankerungskörben in den Brückenkappen, zwingend in einer Ausschreibung erfolgen. Gleiches gelte auch für die statische Berechnung dazu. Gegen die Fachlosvergabe spreche auch, dass diese nicht vollständig und somit eigenständig vergeben werden könnten, da wichtige konstruktive Arbeitsschritte immer ineinandergreifen. Der Antragsgegner weist darauf hin, dass bei der LSW gemäß RiZ-Ing LS 1 (Blatt 1 bis 4) die Verankerungskörbe mit in die Betonkappen und damit der Bewehrung zu montieren sind, was zwischen den Verfahrensbeteiligten unstreitig ist. Diese Leistung muss vom Auftragnehmer des Brücken-Betonbau erfolgen.
In der mündlichen Verhandlung hat der Antragsgegner seine Beweggründe für die Gesamtvergabe vertieft und erläuternd darauf hingewiesen, dass die streitbefangene Vergabe für das Ingenieurbauwerk nicht etwa mit der Errichtung einer Lärmschutzwand entlang einer Strecke zu vergleichen sei, wo für die Ausschreibung der Lärmschutzwand regelmäßig eine Fachlosvergabe gewählt wird. Bei der Strecke sei es so, dass das Straßenbauwerk komplett abgeschlossen ist, wenn die Errichtung der Lärmschutzwand erfolgt. Die Errichtung der Lärmschutzwand sei dort ein eigenständiges Bauwerk inklusive der notwendigen Gründungs-/Verankerungsarbeiten. Demgegenüber sei bei der hier streitbefangenen Vergabe zu berücksichtigen, dass die Lärmschutzwand integraler Bestandteil des Gesamtbauwerks sei. Hier sei es nötig, im Rahmen der Ausführungsplanung eben gleichfalls nicht nur die Betonbauarbeiten, sondern auch die Errichtung der Lärmschutzwand zu berücksichtigen. Deshalb sei es aus seiner Sicht erforderlich - insbesondere unter Berücksichtigung der Verankerung - hier von Anfang an sicherzustellen, dass die Berücksichtigung der Lärmschutzwand Hand in Hand im Rahmen der Ausführungsplanung berücksichtigt werde. Insbesondere sei bei dem vorliegenden Brückenbauwerk eine Gründung unter Verwendung von Ankerkörben erforderlich, was auf der Strecke regelmäßig nicht der Fall sei.
Die Vergabekammer bewertet die Darlegungen des Antragsgegners als überzeugend, soweit er dargelegt hat, dass unterschiedliche Anforderungen an die Errichtung einer Lärmschutzwand an einem Brückenbauwerk im Vergleich zu einer Lärmschutzwand entlang einem normalen Straßenbauwerk auf einer Strecke bestehen. Das Brückenbauunternehmen als führendes Gewerk muss nicht nur die Verankerungskörbe für die Lärmschutzwand mit in die Betonkappen und damit der Bewehrung montieren. Es muss auch im Übrigen die möglichen statischen Belastungen des Brückenbauwerks, die insbesondere durch den Winddruck auf die Lärmschutzwände entstehen, bei der Statik und der Bauausführung berücksichtigen.
Aus diesen Technischen Anforderungen folgt jedoch nicht, dass diese eine Gesamtvergabe von Brückenbauwerk und Lärmschutzwand i.S.d. § 97 Abs. 4 Satz 3 GWB erfordern. Die Beteiligten des Nachprüfungsverfahrens wie auch der fachkundige ehrenamtliche Beisitzer der Vergabekammer, seinerseits selbst als Brückenbauingenieur im Hauptamt mit der Ausschreibung und Koordinierung vergleichbarer Baumaßnahmen befasst, haben übereinstimmend erklärt, dass die Berücksichtigung der Verankerung und der besonderen statischen Anforderungen für die Errichtung von Lärmschutzwänden zum einen durch den Antragsgegner selbst mit seinen vorgegebenen Planungen, zum anderen in der Ausführungsplanung des Brücken-Betonbauunternehmens genau vorgegeben und gewährleistet wird.
An diese Ausführungsplanung des führenden Gewerks Brückenbau ist im Falle einer Fachlosbildung das Unternehmen, das die Lärmschutzwand errichtet, nachvollziehbar gebunden.
Das gilt jedoch ebenso, wenn das Fachunternehmen mit Errichtung der Lärmschutzwand vom Brückenbauunternehmen als Nachunternehmer beauftragt wird.
Die Antragstellerin hat in der mündlichen Verhandlung aus einem anderen Projekt, wo sie als Subunternehmerin der Beigeladenen fungiert, beispielhaft eine Richtzeichnung LS 1 vorgelegt, aus der ersichtlich ist, was dort ursprünglich Teil des Grundentwurfs ist und was im Rahmen der Ausführungsplanung vom Hauptunternehmer der Antragstellerin als Errichter der Lärmschutzwand vorgegeben wurde. Die Beigeladene, die ausweislich der Dokumentation in der Vergabeakte das wirtschaftlichste Angebot im vorliegenden Vergabeverfahren abgegeben hat, hat auf Nachfrage der Vergabekammer in der mündlichen Verhandlung erklärt, dass sie im Zuschlagsfalle nach ihrem Angebot auch im vorliegenden Fall die konkrete Errichtung der Lärmschutzwand durch einen Nachunternehmer, ein Fachunternehmen, ausführen lässt.
Ein bei der Abwägung Fachlos- oder Gesamtvergabe berücksichtigungsfähiger bauvorhabenspezifischer Synergieeffekt (OLG Rostock, a.a.O.) läge somit nur dann vor, wenn dessen Eintritt bei Einsatz eines Nachunternehmers sichergestellt wäre, bei gesonderter Beauftragung als Fachlos demgegenüber nicht. Nachteile und Risiken der Fachlosvergabe, die bei Einsatz eines Nachunternehmers in gleicher Weise bestehen, heben sich insoweit im Rahmen der Abwägung auf und können deshalb keine Berücksichtigung finden. Vorliegend verbleiben allein die möglichen Vorteile einer Verlagerung des Koordinierungsaufwands vom Auftraggeber auf den Generalunternehmer als typische Folge des Absehens von der Losvergabe. Diese sind bei der Abwägung jedoch nicht berücksichtigungsfähig. Denn der Gesetzgeber hat mit dem Regel-Ausnahme-Prinzip des § 97 Abs. 4 GWB ausdrücklich einen erhöhten Koordinierungsaufwand des öffentlichen Auftraggebers durch den Primat der Losbildung zugunsten der Berücksichtigung mittelständischer Interessen bewusst in Kauf genommen (vgl. OLG Koblenz, Beschluss vom 04.04.2012 - 1 Verg 2/11 = NZBau 2012, S. 598 ff., 599; Antweiler in Beck'scher Vergaberechtskommentar, Bd. 2, 4. Aufl., § 97 Abs. 4 GWB, Rn. 52; Frenz in: Willenbruch/Wieddekind, Vergaberecht, 5. Aufl., § 97 GWB, Rn. 112, m.w.N.).
Schließlich führt auch eine Gesamtschau des Bauvorhabens "Verlegung der Bundesstraße ..." oder gar aller Bauvorhaben des Antragsgegners zu keiner abweichenden Bewertung. Der Antragsgegner hat zwar darauf hingewiesen, dass er im Zuge der Gesamtbaumaßnahme durchaus Teil- und Fachlose vergibt. Das allein rechtfertigt indes nicht, hinsichtlich der Lärmschutzwandarbeiten ohne weitere Gründe von der Fachlosvergabe abzusehen.
Die streitbefangene Errichtung der Lärmschutzwände stellt sich vielmehr auch im Zusammenhang mit dem verfahrensgegenständlichen Brückenbau als Bauleistung dar, die typischerweise für eine Fachlosbildung geeignet ist.
Der Nachprüfungsantrag der Antragstellerin ist daher in vollem Umfang begründet.
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 182 GWB in der seit dem 18.04.2016 geltenden Fassung (Art. 1 des Gesetzes zur Modernisierung des Vergaberechts (Vergaberechtsmodernisierungsgesetz - VergRModG) vom 17.02.2016 (BGBl. I, S. 203), in Kraft getreten gemäß dessen Art. 3 am 18.04.2016).
Die von der Vergabekammer festzusetzende regelmäßige Mindestgebühr beträgt 2.500 Euro, die Höchstgebühr 50.000 Euro und die Höchstgebühr in Ausnahmefällen 100.000 Euro.
Die Gebührenermittlung erfolgt anhand einer Gebührentabelle des Bundeskartellamtes in der zzt. gültigen Fassung aus Dezember 2009. Hiernach wird der Mindestgebühr von 2.500 Euro (§ 182 Abs. 2 GWB) eine Ausschreibungssumme von bis zu 80.000 Euro zugeordnet und dem regelmäßigen Höchstwert von 50.000 Euro (§ 182 Abs. 2 GWB) eine Ausschreibungssumme von 70 Mio. Euro (höchste Summe der Nachprüfungsfälle 1996-1998) gegenübergestellt. Dazwischen wird interpoliert.
Der zugrunde zu legende Auftragswert wird auf ... Euro (brutto) festgesetzt. Dieser Betrag berücksichtigt in Ermangelung eines Angebotes der Antragstellerin ihren mit Antrags-schriftsatz mitgeteilten, von ihr auf ... bis ... Euro (netto) geschätzten Wert (Mittelwert zzgl. 19 % Mehrwertsteuer) des unterbliebenen Fachloses und damit ihrem Interesse am Auftrag.
Bei einer Gesamtsumme von ... Euro ergibt sich eine Gebühr in Höhe von ... Euro. Diese Gebühr schließt einen durchschnittlichen sachlichen und personellen Aufwand ein.
Die in Ziffer 3 des Tenors verfügte Kostentragungspflicht folgt aus § 182 Abs. 3 Satz 1 GWB. Danach hat ein Beteiligter, soweit er im Nachprüfungsverfahren unterliegt, die Kosten zu tragen. Hier war zu berücksichtigen, dass der Nachprüfungsantrag der Antragstellerin in der Hauptsache Erfolg hatte.
Der Antragsgegner ist jedoch von der Pflicht zur Entrichtung der auf ihn entfallenden Kosten gemäß § 182 Abs. 1 Satz 2 GWB i.V.m. § 8 Abs. 1 Nr. 3 BVerwKostG befreit (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 13.07.2005, Az.: 13 Verg 9/05; OLG Dresden, Beschluss vom 25.01.2005, Az.: WVerg 0014/04). Zwar ist das BVerwKostG mit Wirkung vom 15.08.2013 aufgehoben worden, jedoch ist es aufgrund der starren Verweisung aus § 182 Abs. 1 Satz 2 GWB auf das BVerwKostG in der Fassung vom 14.08.2013 hier weiter anzuwenden. Inhaltlich entspricht die dortige Regelung § 8 BGebG.
Die Beigeladene hat vorliegend keinen Antrag zur Hauptsache gestellt. Sie war daher nicht anteilig an den Kosten zu beteiligen.
Kosten der Antragstellerin:
Gemäß Ziffer 4 des Tenors hat der Antragsgegner der Antragstellerin die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung entstandenen notwendigen Aufwendungen gemäß § 182 Abs. 4 GWB zu erstatten. Gemäß § 182 Abs. 4 GWB i.V.m. § 80 Abs. 2 VwVfG in entsprechender Anwendung war auf den Antrag der Antragstellerin gemäß Ziffer 4 des Tenors auszusprechen, dass die Zuziehung eines Rechtsanwalts im Nachprüfungsverfahren für die Antragstellerin notwendig war. Ungeachtet der Tatsache, dass das GWB für das Nachprüfungsverfahren 1. Instanz vor der Vergabekammer keine rechtsanwaltliche Vertretung vorschreibt, bedurfte die Antragstellerin gleichwohl wegen der Komplexität des Vergaberechts und des das Nachprüfungsverfahren regelnden Verfahrensrechts einerseits sowie auch der Komplexität des konkreten streitbefangenen Vergabeverfahrens rechtsanwaltlicher Beratung und Begleitung.
Angesichts der Tatsache, dass der Antragsgegner im Nachprüfungsverfahren in der Hauptsache unterlegen ist, hat er die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung erforderlichen Kosten der Antragstellerin zu tragen.
(VK Niedersachsen Beschl. v. 29.11.2024 - VgK-29/2024, BeckRS 2024, 43957 Rn. 83, beck-online)
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VK Niedersachsen
Beschluss
vom 28.11.2024
VgK-25/2024
1. Insbesondere bei abstrakten Wertungskriterien ist die Wertungsentscheidung eingehend und nachvollziehbar zu dokumentieren (hier verneint).
2. Die Wertungsentscheidung ist vom Auftraggeber selbst zu treffen. Der Einsatz sachkundiger Personen (z. B. Nutzer) kann im Einzelfall geboten sein.
VK Niedersachsen, Beschluss vom 28.11.2024 - VgK-25/2024
Tenor:
1. Es wird festgestellt, dass der Antragsteller in seinen Rechten verletzt ist. Das Vergabeverfahren wird in den Stand nach Ablauf der Frist zur Angebotsabgabe und vor Beginn der Wertung zurückversetzt. Die Antragsgegnerin wird bei fortbestehender Vergabeabsicht verpflichtet, die Wertung erneut durchzuführen und die aus der Begründung ersichtliche Rechtsauffassung der Vergabekammer zu beachten.
2. Die Kosten (Gebühren und Auslagen der Vergabekammer) werden auf ... Euro festgesetzt.
3. Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Sie ist jedoch von der Entrichtung der Kosten persönlich befreit.
4. Die Antragsgegnerin hat dem Antragsteller die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung entstandenen notwendigen Aufwendungen zu erstatten. Die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts war für den Antragsteller erforderlich.
Begründung:
I.
Die Antragsgegnerin hat mit EU-Bekanntmachung vom ....2024 den Betrieb einer städtischen Unterkunft in 3 Losen im offenen Verfahren ausgeschrieben.
Streitgegenständlich ist Los 1, der "Betrieb der Unterkunft und soziale Betreuung der dort untergebrachten Personen. Die Unterkunft wird mit ... Garantietagesplätzen und ... belegungsabhängigen Plätzen ausgeschrieben. Die Wochenarbeitszeit der sozialen Arbeit beträgt ... Wochenstunden".
Nach Ziffer 5.1.3 der Bekanntmachung beginnt die Laufzeit der Leistungserbringung am 02.12.2024 und endet am 01.12.2028. Es besteht eine einseitige Verlängerungsoption für die Auftraggeberin über jeweils ein Kalenderjahr (Ziffer 5.1.1), dies ist maximal zweimal möglich (Ziffer 5.1.4).
Nach der Bekanntmachung sind die Zuschlagkriterien der Preis und die Qualität. Die Qualität wird durch das Konzept über die soziale Betreuung bestimmt. Die Konzeptbewertung erfolgt anhand der Bewertungsmatrix in der Leistungsbeschreibung.
Gemäß der Aufforderung der Angebotsabgabe wird das wirtschaftlichste Angebot für Los 1 wie folgt ermittelt:
- Preis mit einer Gewichtung von 35 %
- Konzept mit einer Gewichtung von 65 %
Für die Wertung der Angebote gilt nach Ziffer 3) Kriterien der Zuschlagerteilung (Los 1) der Leistungsbeschreibung (Seite 12 und 13):
Bei der Bewertung der Angebote werden sowohl der Angebotspreis als auch das inhaltliche Konzept zur sozialen Betreuung berücksichtigt.
Dabei werden die Angebotspreise in Punkte von 0 bis 35 umgerechnet. Das preisgünstigste Angebot erhält 35 Punkte. Die übrigen Angebotspreise werden entsprechend ihrer prozentualen Abweichung vom günstigsten Angebot bewertet. So führt beispielsweise eine Abweichung um 10 % zu einer Bewertung mit 31,5 Punkten (= 35 Punkte - 35 Punkte * 10 %). Angebote mit einer Abweichung von über 100 % werden mit 0 Punkten bewertet. Die Punkte für den Preis gehen zu 35 % in die Gesamtpunktsumme ein. Das inhaltliche Konzept zur sozialen Betreuung wird ebenfalls mit 35 Punkten, aufgeteilt auf fünf Bereiche mit unterschiedlicher maximaler Punktzahl, bewertet. Eine detaillierte Bewertungsmatrix ist nachfolgend beigefügt. Die Punkte für das inhaltliche Konzept zur sozialen Betreuung gehen zu 65 % in die Gesamtpunktsumme für Los 1 ein. Den Zuschlag von Los 1 erhält der/die Bieter/-in mit der größten Gesamtpunktsumme aus Preis und inhaltlichem Konzept.
Das inhaltliche Konzept hat dabei folgende Bereiche zu berücksichtigen:
1. Beratung (maximal 8 erreichbare Punkte)
2. Betreuung (maximal 7 erreichbare Punkte)
3. Konfliktmanagement (maximal 6 erreichbare Punkte)
4. Vernetzung (maximal 7 erreichbare Punkte)
5. Qualität (maximal 7 erreichbare Punkte)
Die detaillierte Darstellung der Wertungskriterien ist der Leistungsbeschreibung auf den Seiten 13-17 zu entnehmen.
Nach Ziffer 5) "Besichtigung und Bieterfragen" der Leistungsbeschreibung (Seite 3) gilt:
Bei Unklarheiten oder Unstimmigkeiten in den Vergabeunterlagen oder Unvollständigkeit dieser ist die Auftraggeberin mittels einer Bieterfrage unverzüglich hierauf hinzuweisen. Bieterfragen sind über das e-Vergabe Portal ... zu stellen.
Mit dem Informationsschreiben nach § 134 GWB teilte die Antragsgegnerin am ....2024 mit, dass auf das Angebot des Antragstellers der Zuschlag nicht erteilt werden kann, weil dieser nicht das wirtschaftlichste Angebot abgegeben hat. Zur Erläuterung wird ausgeführt:
Wie den Verdingungsunterlagen zu entnehmen war, floss das eingereichte Konzept zur sozialen Betreuung zu 65 % in die Bewertung ein; der Preis mit 35 %. Ihre sich daraus ergebende Gesamtpunktzahl mit ... war niedriger als die des Unternehmens ..., welche ... bezifferte.
Der Zuschlag soll am ....2024 erteilt werden.
Daraufhin rügte der Antragsteller am 26.09.2024, dass
1. die Frist zwischen Absendung des Schreibens und angekündigten Zuschlagsdatum nicht den Vorgaben des § 134 Abs. 2 GWB entspricht;
2. die Mitteilung der Gründe der Nichtberücksichtigung ebenfalls nicht den Vorgaben des § 134 GWB entspricht;
3. die Bezeichnung des für den Zuschlag vorgesehenen Unternehmens unzureichend ist.
Zudem weist der Antragsteller darauf hin, dass soweit inzwischen der Zuschlag erteilt worden sein sollte, dieser wegen § 135 Abs. 1 Nr. 1 GWB von Anfang an unwirksam ist.
Mit Datum vom ....2024 stellt die Antragsgegnerin ein neues Informationsschreiben zu. Die beabsichtigte Zuschlagerteilung soll demnach am ....2024 erfolgen. Das für den Zuschlag vorgesehene Unternehmen wird jetzt mit dem Zusatz ... benannt. Alle weiteren Erläuterungen sind identisch zum ersten Informationsschreiben vom ....2024.
Zudem teilt die Antragsgegnerin mit Schreiben vom 30.09.2024 mit, dass
1. der Rüge hinsichtlich der unzutreffenden Fristberechnung abgeholfen werde;
2. eine differenzierte Darlegung der erzielten Punkte für seinen Angebotspreis und sein Konzept nicht möglich sei; weil über die Punkteberechnung durch einfachen Dreisatz der Angebotspreis des Bestbieters nachvollzogen werden könne. Dieser falle jedoch unter das Betriebs- und Geschäftsgeheimnis;
3. die Rechtsform des obsiegenden Bieters ergänzt werde.
Daraufhin rügte der Antragsteller mit Schreiben vom 02.10.2024, dass
1. die zwischen Absendung des Schreibens und angekündigten Zuschlagsdatum festgesetzte Frist erneut nicht den Vorgaben des § 134 Abs. 2 GWB entspreche;
2. die Mitteilung der Gründe der Nichtberücksichtigung nach wie vor nicht den Anforderungen des § 134 GWB genüge:
3. die Festlegung und Gestaltung der Zuschlagskriterien vergaberechtswidrig sei.
Als Reaktion auf die Rüge teilte die Antragsgegnerin mit Schreiben vom 04.10.2024 mit, dass die Frist nach dem Informationsschreiben ausreichend gewesen sei, sich inhaltlich mit dem Ablehnungsschreiben zu befassen. Es seien 5 Arbeitstage verblieben, um einen Nachprüfungsantrag innerhalb der üblichen Geschäftszeiten einzureichen. Zudem sei der Anwalt des Antragstellers bereits involviert und mit der Materie vorbefasst. Der Gesetzgeber habe bei Vorabinformation per Fax oder auf elektronischem Weg eine Frist von 10 Kalendertagen für angemessen und ausreichend angesehen, ohne dass es auf den Zugang bei dem betroffenen Bieter ankäme und damit auch in Kauf genommen, dass je nach Lage der Wochenenden regelmäßig nur 6 bis maximal 8 Arbeitstage zur Verfügung stünden.
Zu der gerügten unzureichenden Mitteilung der Gründe für die Nichtberücksichtigung trug die Antragsgegnerin die Ausführungen vom 30.09.2024 erneut vor und hilft dieser Rüge nicht ab. Nach Erhalt des Ablehnungsschreibens habe der Antragsteller gemäß § 62 Abs. 2 Nr. 3 VgV die Möglichkeit, Informationen über die Merkmale und Vorteile des erfolgreichen Angebots einzuholen. In einem solchen "Feedback" würden ihm soweit wie möglich detailliertere Informationen zur Wertung ihres Angebots mitgeteilt.
Auch die Rüge zur Gestaltung der Zuschlagkriterien wird zurückgewiesen. Die Antragsgegnerin würde die Bewertungsmatrix seit Anfang 2023 nutzen. Der Antragsteller habe schon an anderen Verfahren teilgenommen, würde die Wertungsmatrix daher kennen und habe bisher Ablehnungen ebenso akzeptiert wie Zuschläge, ohne die Bewertungsmatrix zu bemängeln. Zudem habe er keine Bieterfragen zur Bewertungsmatrix gestellt und sei daher seiner Mitwirkungspflicht nicht nachgekommen.
Daraufhin reichte der Antragsteller am 07.10.2024 einen Nachprüfungsantrag ein.
Der Nachprüfungsantrag sei sowohl zulässig als auch begründet. Die Darlegung der Gründe für die Nichtberücksichtigung des Angebots des Antragstellers sei rechtswidrig und verletze den Antragsteller in seinen subjektiven Rechten.
Der Antragsteller sei so nicht ansatzweise in der Lage, die Angebotswertung der Antragsgegnerin nachvollziehen zu können, und ihm werde ein substantiierter Vortrag gegen die Auswertung praktisch unmöglich gemacht. Die Vorabinformation dürfe sich nicht in einer formelhaften Begründung erschöpfen, sondern die Bieter müssten in die Lage versetzt werden, zu entscheiden und abschätzen zu können, ob ein Nachprüfungsantrag Aussicht auf Erfolg habe.
Obwohl die qualitativen Zuschlagskriterien jeweils einer subjektiven Ermessensentscheidung bedürfen, versetze die Mitteilung nach § 134 GWB den Antragsteller nicht im Ansatz in die Lage, die Wertung seines Angebots nachvollziehen zu können, geschweige denn, die maßgeblichen Grundlagen der vergleichenden Bewertung der Angebote nachvollziehen zu können. Denn er erhalte demnach weder Informationen über die preisliche Position seines Angebots noch über die insgesamt fünf qualitativen Wertungskriterien, die einer subjektiven Beurteilung der Auftraggeberin bedürfen.
Der Antragsteller weist darauf hin, dass er nicht die Offenlegung der Punkte gefordert habe, sondern eine Darstellung nachvollziehbarer Gründe für die Nichtberücksichtigung. Ferner sei eine Rückrechnung bereits durch die Bekanntgabe der Gesamtpunktzahl ermöglicht worden. Allerdings könne der Antragsteller hier nicht auf die insgesamt 13 Preispositionen zurückrechnen, sondern allenfalls auf den Gesamtpreis. Zudem werde bestritten, dass Angebotspreise des Bestbieters grundsätzlich Geschäftsgeheimnisse seien, würde doch das Formblatt für die notwendige EU-Bekanntmachung über vergebene Aufträge gerade eine solche Angabe fordern.
Die Gründe für die Nichtberücksichtigung dürften nicht von der Gestaltung der Zuschlagskriterien abhängig sein. So könnte die Verpflichtung zur Bekanntgabe der Gründe der Nichtberücksichtigung grundsätzlich unterlaufen und damit den Sinn und Zweck des § 134 GWB aushebeln und dem Sinn und Zweck des § 134 GWB zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes widersprechen.
Ein Verweis der Antragsgegnerin auf eine Darlegung nach Zuschlagserteilung gemäß § 62 VgV entfalte keine dem § 134 GWB vergleichbare Wirkung, insbesondere keine Nichtigkeitsfolge im Fall von Verstößen. Zudem bleibe dabei unklar, welche weiteren Informationen die Antragsgegnerin im Rahmen des § 62 VgV erteilen könne, die im Rahmen des Schreibens nach § 134 GWB Gegenstand von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen sein sollen.
Zudem sei die Bewertung der "Kriterien für die Zuschlagserteilung (Los 1)" intransparent und verletze den Antragsteller in seinen subjektiven Rechten, da eine objektive und nachvollziehbare vergleichende Bewertung der Angebote nicht möglich sei. Die Intransparenz werde exemplarisch an Kriterium 1 "Beratung" anhand folgender Aspekte zur Bewertung nach 7 oder nach 8 Punkten deutlich:
- Gestrichene Aspekte: Wie viele Punkte erhält ein Bieter, der die in der 7-Punkte-Kategorie verbleibenden Aspekte gebracht hat? Falls bspw. der fünfte Aspekt ("Weiterleitung") nicht erfüllt ist, fällt ein Bieter auf "drei Punkte" zurück (dort hatte er zuletzt alles vollständig) oder zieht der Auftraggeber Punkte ab (falls ja, wann und in welcher Höhe)?
- Fett hinterlegt: Welche/wie viele Teilbereiche welchen Konzepts müssen über besonders gute Ansätze verfügen, um eine 7-Punkte-Bewertung zu erreichen? Was sind "besonders gute Ansätze"?
- Kursiv gestellt: Was ist der Unterschied zwischen besonders "guten Ansätzen" (7 Punkte) und "eigenen Ideen" (8 Punkte)?
Unklar sei, ob es sich bei den jeweiligen den Punkten zugeordneten Aspekten um Mindestanforderungen handele, bei deren bloßem Vorhandensein die jeweiligen Maximalpunkte erreicht werden.
Mit Schriftsatz vom 30.10.2024 trägt der Antragsteller neu und ergänzend vor, dass er seinen hilfsweise gestellten Antrag auf einen unwirksam erteilten Zuschlag nicht aufrechterhalte. Zudem verfolge er seine Rüge hinsichtlich einer nicht vergaberechtskonformen Fristsetzung nach § 134 GWB nicht weiter.
Die von der Antragsgegnerin dokumentierte Auswertung sei nicht mit dem Vorbringen der Antragsgegnerin insb. dem Abhilfeschreiben sowie der Antragserwiderung in Einklang zu bringen. Die verwendete Methode dürfe keine Veränderung der Zuschlagskriterien oder ihrer Gewichtung bewirken. Dem werde die dokumentierte Auswertung der Antragsgegnerin nach den Ergebnissen der Akteneinsicht nicht gerecht. Die Checklisten seien nur "abgehakt" und die Ergebnisse der zwei Bewerterinnen dann jeweils addiert und ohne weiteren Abgleich auf Schlüssigkeit gemittelt worden.
Zudem sei die Auswertung intransparent und widerspreche den Grundsätzen, die der BGH im Rahmen seiner sog. Schulnotenrechtsprechung aufgestellt habe. Ferner sei die dokumentierte Bewertung unplausibel und in sich nicht stimmig. Die Begründungen zu den jeweiligen Ergebnissen der Einzelbewerterinnen würden keine Hinweise auf die Ausübung von Ermessen enthalten. Die Checklisten der Bewerterinnen seien von dem Antragsteller nicht eindeutig zuzuordnen. Bewerterin 1 habe sich lediglich mit dem jeweiligen Aspekt befasst, in den das Konzept ihres Erachtens nach einzuordnen sei. Die Prüfung eines Ausgleichs etwaig fehlender Angaben, seien offenbar nicht in Betracht gezogen worden, denn die Bewerterin habe über sämtliche Leistungsbereiche hinweg lediglich eine einzige Kategorie geprüft und mit Anmerkungen versehen. Beide Bewerterinnen würden in der Begründung nicht auf sämtliche gefundene Aspekte und insbesondere nicht auf die vermeintlich fehlenden Aspekte eingehen. Die Bewerterinnen hätten ihre Ergebnisse demnach nicht miteinander abgeglichen. Objektive Aspekte, die keiner Ermessenserwägung zugänglich gewesen seien, seien einmal als fehlend und einmal als vorhanden vermerkt. Aus der Bewertung lasse sich weder eine durchgehende Systematik noch regelmäßig der Ansatz einer Begründung entnehmen, warum die Bewerterinnen jeweils objektiv im Konzept des Antragstellers enthaltene Aspekte nicht positiv berücksichtigt haben.
Die Antragsgegnerin habe das Angebot des Antragstellers um mindestens 5 Punkte zu niedrig bewertet. Die nicht berücksichtigten oder jedenfalls nicht transparent dargelegten Aspekte würden ... (Wertungs-)Punkte ausmachen. Demnach liege der Antragsteller auf Platz 1 der Gesamtwertung und wäre für den Zuschlag vorzusehen.
Im Konzeptbereich 1 "Beratung" würde von Bewerterin 1 der Punkt "Der Teilbereich des Konzeptes verfügt über besonders gute Ansätze." nicht abgehakt, aber in der Begründung als erfüllt angegeben: Zudem werde angegeben: "Eigene Ideen werden gut dargestellt.". Bei Bewerterin 1 fehle es an Anhaltspunkten, warum sie "6 und 7 Punkte" nicht bewertet habe. Nach Bewerterin 1 würden angeblich die Aspekte
- die Beratungsarbeit wird mit Einbezug der Bewohner*innen evaluiert und das Beratungsangebot daraufhin weiterentwickelt,
- Probleme und Grenzen innerhalb der sozialen Beratung sowie Lösungsansätze werden dargestellt,
fehlen. Gleichwohl würden die Evaluation auf Seite 7 und die Beratungsarbeit auf Seite 4 ff. des Konzeptes dargestellt.
Im Konzeptbereich 2 "Betreuung" sei gemäß Bewerterin 2 der Aspekt "Es wird dargestellt, welche Angebote von den Sozialarbeiter*innen der Unterkunft und welche Angebote von Externen durchgeführt werden." nicht auffindbar. Tatsächlich werde dieser auf Seite 8 dargestellt. Dieser nicht entdeckte Aspekt führe zwingend zu der Bewertung bei Bewerterin 1 mit mindestens 5 Punkten, da dann dort sämtliche Aspekte abgebildet seien.
Zum Konzeptbereich 3 "Konfliktmanagement" fehle es bei beiden Bewerterinnen an Hinweisen auf die Ausübung von Ermessen. Bei Bewerterin 1 fehle es konkret an Hinweisen, warum jedenfalls 5 und 6 Punkte nicht erreicht sein sollen. Bei Bewerterin 2 fehle es nach der Checkliste, an dem Wertungsbereich "Der Teilbereich des Konzeptes verfügt über besonders gute Ansätze." Dem widersprechend werde in der Begründung ausgeführt, dass es viele gute Ansätze gebe.
Zum Konzeptbereich 4 "Vernetzung" gebe es bei Bewerterin 1 keine Hinweise warum jedenfalls 5 und 6 Punkte nicht erreicht sein sollten. Bei Bewerterin 2 gebe es keine Anhaltspunkte, warum der Teilbereich des Konzeptes nicht über besonders gute Ansätze verfüge. Tatsächlich werde auf Seite 12 die konkrete Zusammenarbeit mit den Kooperationspartner/-innen unter Berücksichtigung des sozialräumlichen Umfelds und der Zielgruppe mit einer exemplarischen Darstellung beschrieben.
Bei den Wertungen zum Konzeptbereich 5 "Qualität" gebe es keine Hinweise auf Ermessen.
Zudem sei die Dokumentation fehlerhaft und intransparent, weil die Antragsgegnerin nach dem Leistungsverzeichnis feststellt: "Die inhaltlichen Konzepte wurden in vier Leistungsbereiche unterteilt und von vier verschiedenen Mitarbeiterinnen beurteilt.", wohingegen es sich um fünf Konzepte handele, die von zwei Mitarbeitern bewertet worden seien.
Zudem sei die Prüfung der Angemessenheit der Preise auf einer völlig unzureichenden Grundlage durchgeführt worden. Grundlage einer Prüfung sei allerdings eine ordnungsgemäße Kostenschätzung. Die Antragsgegnerin habe dazu ausgeführt:
Zur Kostenschätzung wurde eine andere Flüchtlingsunterkunft herangezogen. Die Unterkünfte unterscheiden sich jedoch in der Größe und in der Beschaffenheit, so dass der Personaleinsatz nicht identisch ist. Zudem konnten unterschiedliche gebäudeabhängige Kosten, wie z.B. Instandhaltung, nicht abgebildet werden. Eine zutreffende Kostenschätzung, die alle Variablen von vornherein miteinbezieht, war nur schwer möglich.
Diesen Anforderungen werde eine Kostenschätzung nicht gerecht, deren Grundlage wie dokumentiert nicht vergleichbar mit den verfahrensgegenständlichen Leistungen ist. Die Formulierung zur Preisprüfung sei im Übrigen bei sämtlichen streitgegenständlichen Vergabeverfahren identisch, so dass von einer Leerformel ohne jedweden Inhalt und dahinterliegender Prüfung auszugehen sei.
Mit nachgelassenem Schriftsatz vom 20.11.2024 trägt der Antragsteller vor, dass die Antragsgegnerin es versäumt habe, bei den Konzeptwertungen in unklaren und aus ihrer Sicht nicht nachvollziehbaren Sachverhalten aufzuklären. Eine Wertungsentscheidung könne sich nicht zulasten des Bieters auf einen ungeklärten Sachverhalt stützen. Zudem habe die Antragsgegnerin einen Ermessensausfall gestanden, indem nach ihren Ausführungen in der Verhandlung am 13.11.2024 lediglich die Spitzennoten mit Ermessen auszufüllen gewesen seien. Die Antragsgegnerin sei der Anforderung, dass auch die Ausübung von "Ermessen" Regeln folgen müsse, nicht nachgekommen. Ferner werden zu den einzelnen Wertungsbereichen die Konzeptbereiche benannt, die als besonders guter Ansatz einzuordnen wären.
Der Antragsteller beantragt nunmehr,
1.der Antragsgegnerin die Erteilung des Zuschlags auf das Angebot der Beigeladenen in dem vorbezeichneten Vergabeverfahren zu untersagen;
2.die geeigneten Maßnahmen zu treffen, um die Rechtsverletzung des Antragstellers zu beseitigen und eine Schädigung seiner betroffenen Interessen zu verhindern,
3.die Hinzuziehung der Verfahrensbevollmächtigten des Antragstellers gemäß § 182 Abs. 4 GWB i.V.m. § 80 Abs. 3 Satz 2 VwVfG für notwendig zu erklären, sowie
4.der Antragsgegnerin die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen;
5.die Antragsgegnerin zu verpflichten, die für die Rechtsverfolgung des Antragstellers notwendigen Kosten zu ersetzen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
alle Anträge zurückzuweisen.
Mit Schriftsatz vom 14.10.2024 führt die Antragsgegnerin aus, dass die in § 134 Abs. 2 GWB normierte Frist nach Ablauf von 10 Kalendertagen enden würde. Wochenenden und Feiertage würden die gesetzte Frist daher grundsätzlich nicht verlängern. Dem Antragsteller seien insgesamt fünf volle Werktage zur Überprüfung und Einlegung eines Nachprüfungsantrages geblieben, denn bei dem 04.10.2024 handele es sich um einen regulären Werktag, "Brückentage" seien keine "halben Feiertage" oder etwas in der Art. Da der Antragsteller rechtzeitig vor Erteilung des Zuschlags einen Nachprüfungsantrag habe stellen können, könne es im Ergebnis dahinstehen, ob die hier zur Verfügung stehenden vollen fünf Werktage im Ergebnis ausreichend waren.
An die Darlegung der Gründe für die Nichtberücksichtigung dürften keine überspannten Anforderungen gestellt werden. Dem Antragsteller sei die Gesamtpunktzahl des erfolgreichen Bieters und seine eigene Gesamtpunktzahl mitgeteilt worden. Daraus könne er ersehen, dass er den Zuschlag relativ knapp verpasst habe. Er habe aber weder einen Anspruch auf den konkreten Angebotspreis des obsiegenden Bieters, noch einen Anspruch auf eine differenzierte vergleichende Darstellung der einzelnen "Qualitätskriterien" ("einschließlich der Unterkriterien"). Sollte eine ergänzende und umfassende Information erfolgen, könne das anhängige Nachprüfungsverfahren nicht mehr erfolgreich auf eine (ursprünglich) unzureichende Information gestützt werden und müsste nicht in den Stand vor Versand der Schreiben nach GWB zurückversetzt werden.
Mit dem Vortrag, die Bewertung der Qualitätskriterien sei vergaberechtlich intransparent, sei der Antragsteller präkludiert, da er diesen vermeintlichen Verstoß nicht bis zum Ablauf der Angebotsfrist gerügt habe. Die gerügten Umstände seien für den Antragsteller ohne Weiteres auch bereits nach Einsichtnahme in die Vergabeunterlagen erkennbar gewesen. Maßstab sei, ob ein durchschnittlicher Bieter, der sich nicht zum ersten Mal an einer Ausschreibung beteilige, sondern schon über eine gewisse Erfahrung in Vergabeverfahren verfüge, bei Anwendung der üblichen Sorgfalt und unter Zugrundelegung der üblichen Kenntnisse den behaupteten Rechtsverstoß identifizieren könne und müsse. Das sei hier der Fall, denn die Bewertungsmatrix werde von der Antragsgegnerin in dieser Form seit Anfang 2023 angewandt. Seitdem habe der Antragsteller bereits mehrfach als Bieter an Vergabeverfahren teilgenommen, ohne dass er diese Bewertungsmatrix gerügt habe. Zudem sei der Antragsteller eine der größten ... und zugleich ein großes Unternehmen der .... Umfangreiche Erfahrung in Vergabeverfahren sei daher zu unterstellen. Er habe im Rahmen der Angebotsphase vor dem Submissionstermin keine Bieterfragen zu der gerügten Bewertungsmatrix gestellt und sei so seinen Mitwirkungspflichten nicht nachgekommen. Gleichwohl habe er ein Angebot eingereicht. Bei den aufgeworfenen Fragen handele es sich um reine Verständnisfragen, die jeder Bieter bei Anwendung der üblichen Sorgfalt und unter Zugrundelegung der üblichen Kenntnisse bereits vor Ablauf der Angebotsfrist in Form einer Bieterfrage hätte klären können und müssen. Die Argumentation, er habe diese Punkte erst aufgrund der Hinzuziehung eines Prozessbevollmächtigten als vergaberechtswidrige Gestaltung erkennen können, sei nicht nachvollziehbar.
Sollte der Rechtsauffassung hinsichtlich der Präklusion nicht gefolgt werden können, weist die Antragsgegnerin darauf hin, dass die Zuschlagskriterien so festgelegt und bestimmt seien, dass der Zuschlag nicht willkürlich erteilt werden könne und eine wirksame Überprüfung möglich sei. Die Bewertungsmatrix mache bei sorgfältiger Lektüre konkret deutlich, welche Inhalte in welchem Umfang für jeden (Teil-)Aspekt von den Bietern erwartet würden. Je mehr Aspekte erbracht, bzw. mit Inhalten gefüllt würden, desto mehr Punkte seien erreichbar.
Bei systematischer Abarbeitung aller in der Matrix angeführten Aspekte, könne von den Bietern regelmäßig bereits die dritthöchste Punktzahl (in dem Beispiel: 6 Punkte) erzielt werden. Die zweithöchste Punktzahl könne in einem Teilbereich erreicht werden, wenn darüber hinaus von einem Bieter noch "besonders gute Ansätze" in das Konzept eingebracht worden seien. "Besonders gute Ansätze" seien solche, die in ihrer Ausgestaltung über das hinausgehen, was ohnehin durchschnittlich bzw. regelmäßig angeboten werde oder solche Konzeptideen, die besonders gut auf die hier betroffene Zielgruppe zugeschnitten seien. Um diese Beurteilung ein Stück weit zu "objektivieren", würden die Konzepte der Bieter von mindestens zwei Personen - in der Regel aber sogar von vier Personen - bewertet. Willkürliche Entscheidungen seien insoweit nicht möglich, da der Beurteilungsspielraum durch die konkreten inhaltlichen Vorgaben in der Bewertungsmatrix hinreichend überprüfbar sei.
Wenn einzelne Aspekte nicht erbracht wurden, werde dennoch weiterbewertet und ein "Ausgleich" sei möglich. Sei der im Beispiel benannte Aspekt nicht erbracht worden, so fällt der Bieter nicht zwangsläufig auf 3 Punkte zurück. Vielmehr würden alle weitergehenden erbrachten Punkte gleichwohl bei der Wertung berücksichtigt und in der Matrix entsprechend eingeordnet. Werde z.B. im Konzept ein Aspekt in der Wertungskategorie 4 (Punkte) nicht dargestellt, könne dies über einen Aspekt in einer höheren Kategorie ausgeglichen werden, so dass weiterhin das Erreichen von 4 Punkten möglich sei. Ein solcher Ausgleich könne darüber hinaus auch durch "besonders gute Ansätze" in anderen Aspekten oder durch das Einbringen "eigener Ideen" erfolgen. "Eigene Ideen" seien solche Ideen bzw. Aspekte, die ein Bieter zusätzlich einbringt, die also über die anderen in der Matrix ausdrücklich geforderten Aspekte hinausgehen würden.
Mit Schriftsatz vom 16.10.2024 an die Vergabekammer, teilt die Antragsgegnerin das Ergebnis der Konzeptwertung für den Antragsteller mit. Das von dem Antragsteller eingereichte Angebot habe qualitativ besser abgeschnitten als das Angebot der Beigeladenen, preislich sei der Antragsteller aber teurer als deren Angebot, so dass die Beigeladene im Ergebnis das wirtschaftlichste Angebot abgegeben habe und den Zuschlag erhalten solle. Ein anhängiges Nachprüfungsverfahren hindere den Auftraggeber nicht daran, Versäumtes nachzuholen und das Ergebnis in das laufende Verfahren einzuführen. Daher seien durch diese ergänzenden Informationen das ursprünglich mangelbehaftete Informationsschreiben geheilt und der Schutzzweck des § 134 GWB erfüllt.
Mit Schriftsätzen vom 30.10. und 08.11.2024 trägt die Antragsgegnerin neu und ergänzend vor, dass durch die gewährte Akteneinsicht kein Rechtsschutzbedürfnis des Antragstellers an dem begehrten Informationsschreiben mehr bestehe.
Die Antragsgegnerin habe ihre Wertungsentscheidung nachvollziehbar dokumentiert. Dabei sei das Konzept des Antragstellers sogar am besten bewertet worden, preislich sei es jedoch deutlich unterlegen. Die Bewertungen der ersten Bewerterin und der zweiten Bewerterin würden aufgrund des Ermessensspielraums zum Teil voneinander abweichen. Die individuelle Wertungsentscheidung der Antragsgegnerin sei überwiegend fehlerfrei. Soweit aufgrund von berechtigten Einwänden die qualitative Bewertung nachgebessert worden sei, führe dies zu keinem anderen Ergebnis.
Die Wertung des Konzeptbereichs "Beratung" sei für Bewerterin 1 fehlerhaft, insofern für das Betreuungskonzept das Kriterium "Probleme und Grenzen innerhalb der sozialen Beratung sowie Lösungsansätze werden dargestellt" objektiv erfüllt worden sei. Dafür seien 6 Punkte zu vergeben. Bewerterin 2 habe "eigene Ideen" in dem Konzept entdeckt, so dass ein weiterer Punkt erteilt wurde und somit insgesamt 7 Punkte vergeben worden seien.
Bei der Wertung des Konzeptbereiches "Betreuung" hätten beide Werterinnen die Ausführungen zu den Angeboten der Sozialarbeiterinnen und den Angeboten von Externen als zu oberflächlich angesehen. So sei die Durchführung von Sprechstunden originäre Aufgabe der Sozialarbeit und die Ausführungen zu den Angeboten durch Erzieher innen und Sozialarbeiterinnen seien nicht hinreichend konkret. Die vergebene Punktzahl sei somit vertretbar.
Im Wertungsbereich "Konfliktmanagement" habe Bewerterin 1 im Konzept weder Maßnahmen für ein friedliches und interkulturelles Zusammenleben entdeckt, noch verfüge das Konzept über "besonders gute Ansätze". Zudem könne ein Bewerter im Rahmen der Begründung keine Ermessensausführungen dazu machen, wenn Ansätze nicht im Konzept vorhanden seien.
Hinsichtlich des Konzeptbereiches "Vernetzung" habe Bewerterin 1 die Aspekte "Öffentlichkeitsarbeit unter Einbezug der Bewohnenden" und "Pressearbeit des Betreibers und die Unterkunft selbst" versehentlich übersehen. Bewerterin 2 hätten "besonders guten Ansätze" oder "eigene Ideen" gefehlt, so dass nicht mehr als 5 Punkte zu erreichen gewesen seien. Die exemplarisch genannte konkrete Kooperation habe nicht verifiziert werden können. Insgesamt wäre hier mit 5 + 5 statt mit 4 + 5 Punkten zu werten.
Für den Konzeptbereich "Qualität" hätten die Bewerterinnen im Konzept des Antragstellers keinen Ansatz gefunden, welcher die Vergabe von 6 Punkten oder 7 Punkten rechtfertigen würde.
Selbst wenn der Antragsteller für den Teilbereich "Beratung" insgesamt 13 Punkte und für den Teilbereich "Vernetzung" 10 Punkte erhalten würde, wäre er immer noch nicht Erstplatzierte.
Tatsächlich seien fünf Teilbereiche der inhaltlichen Konzepte von zwei verschiedenen Mitarbeitern bewertet worden. Bei dem Widerspruch zu deren Vortrag habe es sich um eine Unaufmerksamkeit bzw. einen Fehler auf Seiten der Antragsgegnerin gehandelt. Aufgrund personeller Engpässe im zuständigen Fachbereich hätten nur jeweils 2 Bewertende die Bewertungen durchführen können.
Vorliegend habe der Preisunterschied des günstigsten Bieters zum zweitgünstigsten Bieter mehr als 20 % ausgemacht und es sei eine Überprüfung der Auskömmlichkeit vorgenommen worden. Anhand der Überprüfung der Urkalkulation sowie einem ergänzenden Aufklärungsgespräch sei die Antragsgegnerin zu dem Ergebnis gekommen, dass auskömmliche Preise vorliegen würden.
Die Beigeladene hat sich schriftsätzlich nicht geäußert.
Wegen des übrigen Sachverhalts wird auf die Schriftsätze der Beteiligten, die Vergabeakte und das Protokoll über die mündliche Verhandlung vom 13.11.2024 Bezug genommen.
II.
Der teilweise zulässige Nachprüfungsantrag ist begründet, auch wenn nicht alle Argumente überzeugen.
Gemäß dem gesetzlichen Leitbild in § 160 Abs. 3 GWB kann der Antragsteller mit seiner nach der Wertung erhobenen Rüge nur Inhalte der Wertung angreifen, nicht aber Inhalte der Vergabeunterlagen (vgl. nachfolgend zu 1).
Die Antragsgegnerin hat gegen das Transparenzgebot aus § 97 Abs. 1 GWB verstoßen, indem sie mindestens die Angebote des Antragstellers und der Beigeladenen in einer Weise wertete, die es nicht zulässt, die Erwägungen nachzuvollziehen. An der Wertung des Betriebskonzeptes sollten Personen mit konkreter Sachkunde des maßgeblichen Betriebs beteiligt sein, die "in der Lage leben" (vgl. nachfolgend zu 2a). Der Antragsteller ist nicht durch ein Unterkostenangebot der Beigeladenen in seinen Rechten verletzt (vgl. nachfolgend zu 2b).
1. Der Nachprüfungsantrag ist nur teilweise zulässig. Die Antragsgegnerin ist als Gebietskörperschaft öffentliche Auftraggeberin gemäß § 99 Nr. 1 GWB. Der streitbefangene Auftrag übersteigt den für die Zuständigkeit der Vergabekammer maßgeblichen Schwellenwert gemäß § 106 Abs. 1 GWB. Der 4. Teil des GWB gilt nur für Aufträge, deren geschätzter Auftrags- oder Vertragswert ohne Umsatzsteuer die Schwellenwerte erreicht oder überschreitet, welche aufgrund der EU-Richtlinien festgelegt sind. Bei den ausgeschriebenen Leistungen handelt es sich um einen Dienstleistungsauftrag i.S.d. § 103 Abs. 4 GWB, für den gemäß § 106 Abs. 2 Nr. 1 GWB i.V.m. der Richtlinie 2014/25/EU in der ab dem 01.01.2024 und damit zur Zeit der Auftragsbekanntmachung des Vergabeverfahrens geltenden Fassung ein Schwellenwert von 221.000 Euro gilt. Dieser wird laut Auftragssumme des Vermerks "Vergabevorschlag" und "Vermerk Kostenschätzung" sowie ausweislich der eingegangenen Angebote für die feste und optionale Gesamtdauer deutlich überschritten.
Der Antragsteller ist gemäß § 160 Abs. 2 GWB antragsbefugt, da er ein Interesse am Auftrag hat und die Verletzung von Rechten durch die Nichtbeachtung von Vergabevorschriften geltend macht, indem er die unter I. genannten Beanstandungen erhebt. Voraussetzung für die Antragsbefugnis nach § 160 Abs. 2 GWB ist, dass das antragstellende Unternehmen einen durch die behauptete Rechtsverletzung entstandenen oder drohenden Schaden darlegt. Das bedeutet, dass der Antragsteller diejenigen Umstände aufzeigen muss, aus denen sich schlüssig die Möglichkeit eines solchen Schadens ergibt (vgl. Beck VergabeR/Horn/Hofmann, 4. Aufl. 2022, GWB § 160, Rn. 23). Nach herrschender Meinung in Literatur und Rechtsprechung sind an diese Voraussetzungen keine allzu hohen Anforderungen zu stellen. Es genügt für die Zulässigkeit eines Nachprüfungsantrags, wenn der Bieter schlüssig einen durch die behauptete Rechtsverletzung drohenden oder eingetretenen Schaden behauptet, also darlegt, dass durch den behaupteten Vergaberechtsverstoß seine Chancen auf den Zuschlag zumindest verschlechtert sein können (BVerfG, Urteil vom 29.07.2004 - 2 BvR 2248/04; Pünder/Schellenberg, Vergaberecht, GWB § 160, Rn. 43; vgl. Beck VergabeR/Horn/Hofmann, 4. Aufl. 2022, GWB § 160, Rn. 34; Schäfer in: Röwekamp/Kus/Portz/Prieß, GWB-Vergaberecht, 5. Aufl., § 160, Rn. 30 ff.). Ob tatsächlich der vom Bieter behauptete Schaden droht, ist regelmäßig eine Frage der Begründetheit (vgl. BGH, Beschluss vom 29.06.2006 - X ZB 14/06, zitiert nach VERIS).
Soweit der Antragsteller sich noch im Nachprüfungsantrag gegen die ursprüngliche, zu kurze Frist zwischen Bieterinformation und beabsichtigter Zuschlagserteilung wendet, hat die Antragsgegnerin dem bereits vor Erhebung des Nachprüfungsantrages durch die nicht nur verlängerte, sondern komplett neu in Gang gesetzte und dabei auch ausreichend bemessene Frist nach § 134 GWB bieterfreundlich abgeholfen. Eine mögliche Beschwer bestand daher zu keinem Zeitpunkt des Nachprüfungsverfahrens. Die Argumentation, bei der Wartefrist müssten innerhalb der Wartefrist liegende Feiertage hinzugerechnet werden, ist vom Gesetzeswortlaut nicht gedeckt, weil der Gesetzgeber ausdrücklich den Begriff der Kalendertage verwendet. Ob das OLG Düsseldorf (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 05.10.2016 - Verg 24/16; OLG Düsseldorf, NZBau 2015, 178) seine sehr weitgehenden Entscheidungen zum vor 2016 geltenden Vergaberecht, eine über mehrere Feiertage gelegte Frist habe nicht wirksam begonnen, so noch einmal treffen würde, ist offen. Andere OLG haben diese Auffassung nicht übernommen (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 07.07.2022, 13 Verg 4/22).
Selbst wenn man auf die Werktage oder die Arbeitstage (Montag bis Freitag ohne Feiertage) abstellen würde, könnte das im vorliegenden Fall keine Antragsbefugnis begründen, weil der Antragsteller durch die über das Notwendige hinausgehende Abhilfe der Antragsgegnerin bei der zu kurz bemessenen Wartefrist privilegiert worden ist. Sie hatte zwischen dem Zugang der ersten Bieterinformation und dem final beabsichtigten Vertragsschluss insgesamt 10 Arbeitstage und 14 Werktage Zeit, um die Erfolgsaussichten einer Rüge und eines Nachprüfungsantrags zu prüfen und diese vorzubereiten. Beides ist ihm gelungen. Somit bleibt keine mögliche Beschwer durch eine zu kurze Wartefrist.
Soweit der Antragsteller sich gegen den Inhalt der Bieterinformation nach § 134 GWB wendet, ist die Antragsbefugnis spätestens nach Erhebung des Nachprüfungsantrages und erteilter Akteneinsicht entfallen. Zwar war die Bieterinformation unzureichend, weil der Antragsteller nicht informiert wurde, ob sein Angebot wegen des Preises oder wegen der Qualität weniger überzeugt habe. § 134 Abs. 1 Satz 1 GWB fordert eine Information über die vorgesehenen Gründe der Nichtberücksichtigung seines Angebots. Das umfasst auch eine Darstellung, in welchen Bereichen (und warum) der Bieter nicht die Höchstpunktzahl erreicht hat (OLG Celle, Beschluss vom 07.07.2022, 13 Verg 4/22). Auch eine Information über den belegten Rang in der Wertungsreihenfolge wäre wünschenswert gewesen.
Durch die inhaltlich unzureichende Bieterinformation ist eine mögliche Beschwer zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung nicht mehr erkennbar. Das Argument kann daher keine Maßnahme nach § 168 GWB rechtfertigen. Ein Nachprüfungsantrag kann zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung nicht mehr auf die angeblich ursprünglich unzureichende Information gestützt werden (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 16.10.2019, Verg 6/19; OLG Celle, Beschluss vom 12.05.2016, 13 Verg 10/15; Gnittke/Hattig in: Müller-Wrede, GWB-Kommentar, § 135, Rn. 61). Dazu bedarf es eines weiteren über § 134 GWB hinausgehenden Verstoßes. Eine Anordnung der Vergabekammer zur Wiederholung der Bieterinformation mit inzwischen bekanntem Inhalt aber neu anlaufenden Fristen wäre eine überflüssige Förmelei und verstieße gegen das Beschleunigungsgebot aus § 163 Abs. 1 Satz 4 GWB.
Der Einwand eines unzureichenden Informationsschreibens nach § 134 GWB erledigt sich regelmäßig durch die fristgerechte Einreichung des Nachprüfungsantrags, spätestens mit Antragserwiderung oder Akteneinsicht. Zweck der Regelung ist die Gewährleistung eines effektiven Primärrechtsschutzes für Bieter gegen eine sie benachteiligende Vergabeentscheidung (vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 14.08.2019, 15 Verg 10/19; OLG München, Beschluss vom 12.05.2011 - Verg 26/10 = NZBau 2011, S. 630 ff., 634). Ein Antragsteller macht mit Einreichung des Nachprüfungsantrags umfassend die Verletzung seiner subjektiven Rechte geltend. Was ihm weder aufgrund der Bieterinformation bekannt war noch aufgrund der Vergabeunterlagen erkennbar war, ist von der Rügepräklusion nicht betroffen, kann er daher nach Akteneinsicht vortragen. Der Zweck des § 134 GWB ist daher regelmäßig mit einem fristgerechten Nachprüfungsantrag vor Zuschlagserteilung erschöpft.
Ein ausschließlich aufgrund einer angeblich unzureichenden Bieterinformation erhobener Nachprüfungsantrag wäre spätestens nach einer inhaltlich aussagekräftigen Antragserwiderung oder einer Akteneinsicht in die Wertung des eigenen Angebots für erledigt zu erklären, um eine Kostenentscheidung zu Lasten des Antragstellers zu verhindern.
Der Nachprüfungsantrag ist unzulässig, soweit sich der Antragsteller gegen die angeblich vergaberechtswidrige Festlegung und Gestaltung der Zuschlagskriterien wendet. Der Antragsteller hat seine Rügeobliegenheit gemäß § 160 Abs. 3 Nr. GWB nicht erfüllt. Nach dieser Vorschrift ist ein Nachprüfungsantrag unzulässig, soweit Verstöße gegen Vergabevorschriften, die erst in den Vergabeunterlagen erkennbar sind, nicht spätestens bis zum Ablauf der Frist zur Angebotsabgabe gegenüber dem Auftraggeber gerügt werden. Diese Vorschrift setzt den Grundsatz von Treu und Glauben um. Die potenziellen künftigen Vertragspartner sollen auch bereits im vorvertraglichen Verhältnis konstruktiv zusammenarbeiten, Konflikte baldmöglichst und niedrigschwellig lösen, insbesondere Rügen nicht zurückhalten (Schäfer/Wiese in: Röwekamp/Kus/Portz/Prieß, GWB Vergaberecht, § 61, Rn. 79). Auf ungerügte Fehler kann ein Bieter sich dann aber nachträglich nicht mehr berufen (Hofmann in Müller-Wrede, GWB Vergaberecht, 2. Auflage 2022, § 160, Rn. 43). Die unterlassene Rüge versperrt den Weg zu den Nachprüfungsinstanzen.
Die angeblich vergaberechtswidrige Festlegung und Gestaltung der Zuschlagskriterien war für den vergaberechtlich sehr erfahrenen Antragsteller gerade wegen der wiederholten Verwendung dieser Kriterien in Vergaben, an denen er beteiligt war, objektiv erkennbar (umfassend zur Erkennbarkeit zuletzt VK Niedersachsen, Beschluss vom 14.11.2023, VgK-3112024 "digitalisierter Posteingang"). Die Antragsgegnerin hat die Struktur und Größe des Antragstellers in der Antragserwiderung zutreffend beschrieben. Der Antragsteller ist zwar ein örtlicher ..., er kann aber auch kurzfristig auf die Hilfe seines ... mit umfassender vergaberechtlicher Expertise zurückgreifen. Daher waren angebliche Schwächen der Vergabeunterlagen für ihn erkennbar, er ist mit diesem Vortrag in diesem Nachprüfungsverfahren ausgeschlossen. Folglich kann er gemäß dem gesetzlichen Leitbild in § 160 Abs. 3 GWB mit einer nach der Wertung erhobenen Rüge nur Inhalte der Wertung angreifen.
Der Antragsteller hat die Frist des § 160 Abs. 3 Nr. 1 GWB von 10 Tagen nach Erhalt der Bieterinformation vom ....2024 eingehalten. Der Nachprüfungsantrag ging am 07.10.2024 und damit am 10. Tag nach Erhalt des Schreibens nach § 134 GWB bei der Vergabekammer ein.
Der Antragsteller hat die Frist des § 160 Abs. 3 Nr. 4 GWB von 15 Tagen nach Nichtabhilfe der Rüge mit ihrem Nachprüfungsantrag eingehalten. Der Nachprüfungsantrag ist damit überwiegend zulässig.
2. Der Nachprüfungsantrag ist begründet, auch wenn nicht alle Argumente des Antragstellers überzeugen.
a. Die Antragsgegnerin hat gegen das Transparenzgebot aus § 97 Abs. 1 GWB verstoßen, indem sie mindestens die Angebote des Antragstellers und der Beigeladenen in einer Weise wertete, die es nicht zulässt, die Erwägungen nachzuvollziehen. Das Transparenzgebot bedeutet, dass der öffentliche Auftraggeber die Wertung so durchführen muss, dass sie dem jeweiligen Bieter oder einer Nachprüfungsinstanz nachträglich in einer nachvollziehbaren Weise erläutert werden kann. Diese Verpflichtung steht in einem Spannungsverhältnis zu dem bei jeder Beurteilung vorhandenen umfangreichen Beurteilungsspielraum des öffentlichen Auftraggebers.
Bei der Wertung der Angebote anhand der Zuschlagskriterien steht dem öffentlichen Auftraggeber ein weiter Beurteilungsspielraum zu, der von den Nachprüfungsinstanzen nur eingeschränkt überprüfbar ist. Die Vergabekammer ist keinesfalls die Fachaufsicht des jeweiligen Auftraggebers, die ihre eigenen Erwägungen oder Wertungen an die Stelle des Auftraggebers setzen darf. Die Vergabekammer hat vielmehr den umfangreichen Beurteilungsspielraum des Auftraggebers zu respektieren (vgl. u.a. VK Westfalen, Beschluss vom 28.11.2017, VK 1 - 27/17, m. w. N). Die Überprüfung durch die Nachprüfungsinstanzen beschränkt sich darauf, ob der Auftraggeber das vorgeschriebene Verfahren eingehalten hat, von einem zutreffenden und vollständig ermittelten Sachverhalt ausgegangen ist, keine willkürlichen oder sonstigen nicht nachvollziehbaren Erwägungen eingeflossen sind und einzelne Wertungsgesichtspunkte objektiv nicht fehlgewichtet wurden.
Im vorliegenden Fall wendet sich der Antragsteller gegen drei Wertungsschritte, nämlich die vorgegebenen Wertungskriterien, das Wertungsverfahren und die Wertungsdokumentation.
i. Die Kritik an den Wertungskriterien ist unbegründet. Der Antragsteller behauptet, die Wertungskriterien seien nachträglich verändert worden und unterfielen daher nicht der Präklusion gemäß Ziffer II.1. Die Antragsgegnerin hat hier ein detailliertes qualitatives Wertungskonzept entwickelt, das, von Ausnahmen abgesehen, stufenweise höhere Anforderungen an die Darstellung im Konzept mit höheren Punkten honoriert. Das Konzept wurde auf Seite 13-17 der Leistungsbeschreibung allen Bietern vorab sehr transparent vorgestellt, ebenso die Verteilung der Punkte. Es enthält Optimierungspotential, wie zum Beispiel die von einer sonst durchgehend positiven Wertungszuordnung abweichende Formulierung "Die Zielgruppe wurde nicht berücksichtigt oder verfehlt." in der Kategorie Beratung, Prüfniveau 2 Punkte. Das haben aber alle Bieter hinzunehmen.
Die von der Antragsgegnerin entwickelten Wertungspunkte lassen sich in zwei Kategorien einteilen. Zum einen handelt es sich um sachlich nachprüfbare Anforderungen wie zum Beispiel: "Die Weiterleitung an externe Fachberatungsstellen wird dargestellt." Ob dieses Kriterium erfüllt ist, lässt sich anhand des Wortlautes detailliert aus dem jeweiligen Konzept ableiten und klar mit "Ja" oder "Nein" beantworten. In der mündlichen Verhandlung konnte klargestellt werden, dass die Antragsgegnerin Differenzierungen in durchschnittliche, bessere oder herausragende Erfüllung bewusst nicht vorgesehen hat.
Es ist aus den detaillierten Vorgaben ab Seite 13 der Leistungsbeschreibung ableitbar, dass nicht nur die abstrakte Behauptung in Wiederholung der Anforderung genügen soll, sondern eine ergänzende sachverhaltsbezogene Darstellung gefordert wird. Der Beurteilungsspielraum der Bewerterinnen reduziert sich daher auf die Einschätzung, ob die Darstellung schon hinreichend konkret genug ist, um die sachverhaltsbezogene Erfüllung zu bejahen. Die Bewertung kann sich auf die Benennung der Stelle im Konzept beschränken, an der diese Darstellung zu finden ist, möglicherweise ergänzt durch eine kurze Erläuterung, warum die Stelle des Konzeptes inhaltlich ausreicht, um den Punkt zu vergeben. Jenseits dessen sind diese Kriterien für eine Nachprüfungsinstanz in vollem Umfang prüfbar.
Andere Kriterien wie zum Beispiel "verfügt über besonders gute Ansätze" oder "eigene Ideen" enthalten bereits in der Formulierung Wertungen. Es liegt daher innerhalb des individuellen Entscheidungsspielraums der jeweiligen Bewerterin, ob sie den jeweiligen geschilderten Ansatz für so gut oder so singulär hält, dass er eine höhere Punktezahl erhalten soll. Der Beurteilungsspielraum ermöglicht es, dass die jeweils für die Wertungen aller Kriterien einer Unterkunft eingesetzten zwei Bewerter zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen und dennoch beide Bewertungen nicht objektiv falsch sind. Solange beide Bewertungen mit ihrer Abweichung in einem vertretbaren Rahmen liegen, die Intention der Bewertung aus der Begründung erkennbar wird, wird die Vergabekammer diese Bewertungen nicht aufheben.
Es handelt sich bei den beiden oben beschriebenen Kriterien um abstrakte Wertungskriterien. Die Vorgabe abstrakter Wertungskriterien ist vom BGH (BGH, Beschluss vom 04.04.2017, X ZB 3/17) in der sogenannten Schulnotenentscheidung als zulässig bestätigt worden. Der BGH hat dies mit der Forderung verknüpft, dass die Anwendung der abstrakten Kriterien durch eine konkrete Dokumentation für Nachprüfungsinstanzen nachvollziehbar wird.
Die Behauptung des Antragstellers, die Antragsgegnerin habe diese Kriterien nachträglich geändert, erfolgt ins Blaue hinein und damit unsubstantiiert. Sie trifft darüber hinaus auch nicht zu. Die Absprachen, gelegentlich derer der Antragsteller die Auffassung vertritt, es seien Wertungskriterien verändert worden, betreffen ausschließlich das Bewertungsverfahren, also die Frage, wie die Bewerterinnen mit den vorgegebenen und unveränderten Kriterien aus der Leistungsbeschreibung umgehen sollten, um eine gleichmäßige Bewertung zu erzielen. Der Antragsteller kann sich daher nicht argumentativ der durch seine Passivität eingetretenen Präklusion entwinden.
ii. Über das Verfahren der Bewertung trifft weder die Leistungsbeschreibung noch ein anderes Dokument der Vergabeunterlagen eine Aussage. Die von der Antragsgegnerin dargestellte Möglichkeit, einem Bieter, der eine bestimmte Kategorie nicht vollständig erfüllt hat, wegen einer anderen Bewertung aus einer höheren Stufe dennoch die volle Punktzahl zu geben, ist nicht in den Vergabeunterlagen vorgegeben. Es gab nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung eine Absprache der Bewerter, zumindest in den drei bei der Vergabekammer anhängigen Vergabeverfahren so zu verfahren. Eine solche Absprache verändert nicht die Vergabeunterlagen. Sie ist zulässig, denn sie dient dem Interesse der Bieter. Die Antragsgegnerin kann deren Inhalte damit vollständig und unabhängig von der vorgegebenen Bewertungskaskade gewichten. Überdies erhöht der gleiche Prüfmodus die Vergleichbarkeit der Wertungen. Diese Absprache ist daher ausdrücklich als positiv im Sinne der Transparenz zu werten.
Da die Vergabeunterlagen keine Vorgaben zum Wertungsverfahren enthalten, da der EuGH (EuGH, Urteil vom 14.07.2016, C - 6/15 Rn. 26) die nachträgliche Entwicklung sogar von Zuschlagskriterien zugelassen hat, sieht die Vergabekammer keine Einwände, dass die Antragsgegnerin solche einheitlich anzuwendenden Vorgaben auf einer Stufe unterhalb der ersten Wertungsebene einfügt, damit die Bewertung aller Angebote einheitlich erfolgt. Die Vorgabe muss aber auch von allen Bewerterinnen umgesetzt werden.
Die Antragsgegnerin hat in der mündlichen Verhandlung vorgetragen, dass die Bewerterinnen ihre individuellen Produktbewertungen nicht nachträglich miteinander abgeglichen und abgestimmt haben. Das ist zulässig. Für dieses Verfahren spricht auch, dass die Antragsgegnerin aus den beiden Bewertungen jeweils den Mittelwert gebildet hat.
Der Antragsteller kann nicht mit seinem Argument durchdringen, die Bewerterinnen hätten fehlerhaft ihr Ermessen nicht ausgeübt, weil sie nicht im Detail begründet hätten, warum das jeweilige Angebot die höherwertigen Prüfungsniveaus in den Kategorien verfehlt habe.
Das Bewertungsprofil ist ausweislich der Kriterien in der Prüfliste aufsteigend aufgebaut. Die Bewerterinnen sollen jeweils begründen, warum der jeweilige Bieter 2, 3 oder mehr Punkte erhält. Dementsprechend ist die Antragsgegnerin nur verpflichtet, die vergebenen Punkte zu begründen. Soweit der Antragsteller für eine bestimmte Kategorie mehr Punkte erhalten möchte, obliegt es ihm, konkret darzulegen, in welchem Umfang er einen Anspruch auf eine höhere Bewertung hat. Dazu muss er auf die konkreten Inhalte seines Konzeptes verweisen.
Anders wäre dies bei einem absteigend aufgebauten System. Die Bewerterinnen müssten dann erläutern, warum nicht die beste oder zweitbeste Bewertung möglich ist, sie im Konzept beispielsweise nicht sehen, dass der Bieter eigene Ideen vorbringt.
Der Antragsteller trägt zur Bewertung immer wieder vor, es würden Ermessenserwägungen fehlen oder es sei nicht dargelegt, warum ein bestimmtes Kriterium nicht erfüllt sei. Hier geht der Antragsteller erkennbar von einem absteigenden Bewertungssystem aus, missversteht damit den von der Antragsgegnerin vorgegebenen Prüfungsmodus. Entsprechend sind die Anforderungen an die Begründung geringer. Es ist einfacher darzulegen, was erfüllt ist, als zu erläutern, warum eine vorhandene textliche Darlegung den Kriterien nicht genügt. Vollends unmöglich ist der von dem Antragsteller der Antragsgegnerin immer wieder abverlangte Vortrag negativer Tatsachen.
Im nachgelassenen Schriftsatz vom 20.11.2024 geht der Antragsteller auf den Schriftsatz der Antragsgegnerin vom 08.11.2024 ein. Angesichts der Dokumentationsdefizite ist es nicht mehr entscheidungserheblich, ob alle Argumente zutreffen. Die Antragsgegnerin wird bei der neuen Wertung prüfen müssen, ob die aufgeführten Inhalte ausreichend sachverhaltlich angesprochen werden. Wie in der mündlichen Verhandlung erörtert genügt die abstrakte Nennung noch nicht. Wie tief die sachverhaltsbezogene Darstellung bei einer Begrenzung auf insgesamt 15 Seiten gehen muss, soll die Antragsgegnerin vor allem angebotsübergreifend nach einheitlichen Maßstäben entscheiden. Dabei kann eine besonders gute Darstellung in einem anderen Konzept die Ansprüche des Auftraggebers erhöhen.
Der Antragsteller irrt über die Funktion des Nachprüfungsverfahrens, das nicht eine bestimmte Bewertung erstreitet, sondern allenfalls wegen Wertungsfehlern zur Zurückversetzung führen kann. Er hat schriftsätzlich vorgetragen, ihm stünde in bestimmten Kriterien ein Punkt mehr zu als bisher vergeben. Nachdem die Antragsgegnerin dem zustimmte, erhöhte er in der mündlichen Verhandlung die Forderung um einen weiteren Punkt.
iii. Wie oben ausgeführt bedarf es zur Herstellung der Transparenz bei abstrakten Wertungskriterien einer vertieften Dokumentation nach § 8 VgV. Der BGH führt in der oben zitierten Schulnoten Entscheidung hierzu aus:
"... muss der Auftraggeber seine für die Zuschlagserteilung maßgeblichen Erwägungen in allen Schritten so eingehend dokumentieren, dass nachvollziehbar ist, welche konkreten qualitativen Eigenschaften der Angebote mit welchem Gewicht in die Benotung eingegangen sind. Wird die Auswahlentscheidung zur Vergabenachprüfung gestellt, untersuchen die Nachprüfungsinstanzen auf Rüge gerade auch die Benotung des Angebots des Antragstellers als solche und in Relation zu den übrigen Angeboten, insbesondere demjenigen des Zuschlagsprätendenten. Auch wenn dem öffentlichen Auftraggeber bei der Bewertung und Benotung ein Beurteilungsspielraum zustehen muss, sind seine diesbezüglichen Bewertungsentscheidungen in diesem Rahmen insbesondere auch daraufhin überprüfbar, ob die jeweiligen Noten im Vergleich ohne Benachteiligung des einen oder anderen Bieters plausibel vergeben wurden."
Die Begründungen der Bewerterinnen zu Erläuterung ihrer Punkte genügen nicht den obigen Anforderungen des BGH.
Es ist zwar fehlerhaft, aber unschädlich, dass die Bewerterin 1 in der Prüfliste ihre Kreuze nicht bereits bei dem niedrigsten Prüfniveau 1 oder 2 begonnen hat, sondern erst bei dem ihr relevant erscheinenden Prüfniveau. Fehlerhaft ist es, weil die Antragsgegnerin von dem eigentlich stringenten Aufbau, die Prüflisten der vorherigen Prüfniveaus zu wiederholen, bei der Beratung und bei der Vernetzung abgewichen ist. In der Kategorie Beratung wird das Prüfmerkmal "Inhalte und Schwerpunkte werden beschrieben" nicht nur wiederholt, sondern auf den verschiedenen Prüfniveaus verändert und ausgebaut. In der Kategorie Vernetzung wird das Prüfmerkmal die "die konkrete Zusammenarbeit mit den Kooperationspartnerinnen wird beschrieben" ebenfalls in verschiedenen Prüfungsniveaus ausgebaut.
Unschädlich ist der Fehler, weil in den von der Bewerterin 1 geprüften Prüfniveaus jeweils eine Fassung dieser Prüfliste enthalten ist, die alle vorherigen einschließt. Die Bewertung erscheint fehlerhaft, weil Bewerterin 1 davon ausgeht, die Beratungsarbeit werde nicht evaluiert. Auch das ist unschädlich, weil die Bewerterin dennoch in der Beratung 5 Punkte vergeben hat. Bewerterin 1 ist allerdings von dem nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung von allen Bewertern abgesprochenen System, auch dann, wenn ein Prüfniveau nicht vollständig abgeschlossen werden kann, auch höherwertigere Prüfniveaus zu untersuchen, abgewichen. In der Prüfliste hat sie in keinem einzigen Fall nach einem unvollendet gebliebenen Prüfniveau höherwertigere Prüfniveaus teilweise angekreuzt.
Die Begründung der Bewerterin 1 ist recht kurz und erlaubt es dem Leser nicht, Rückschlüsse zu ziehen, welche Passage des Konzeptes sie davon überzeugt hat, dass sie innerhalb des Prüfniveaus einer Kategorie einen Prüfinhalt als erfüllt angesehen hat.
Das OLG Düsseldorf (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 27.04.2022, Verg 47/21) weist darauf hin, dass die individuelle Wertungsentscheidung naturgemäß immer eine subjektive Note habe, da sie auf dem Hintergrund und auf der Erfahrung der betreffenden Persönlichkeit beruhe (OLG München, Beschluss vom 25.09.2014, Verg 9/14). Die Dokumentation sei "einerseits eingehend zu dokumentieren, andererseits dürften an die Nachvollziehbarkeit der Bewertungsbegründung keine allzu hohen Anforderungen gestellt werden".
Hier entfaltet die Begründung der Bewertung in der schriftsätzlichen Erläuterung weder verborgene fachliche Inhalte noch ist sie vollständig, sondern sie bleibt unvollständig.
Bei der Bewerterin 2 hat die Antragsgegnerin im Konfliktmanagement eine Fehlbewertung eingeräumt, die nicht schädlich ist, weil der Antragsteller einen Punkt mehr erhalten hat, als ihm eigentlich zustünde. Die Bewerterin 2 hat die Prüfliste gemäß den Vorgaben und gemäß den vorherigen Absprachen ausgefüllt. Die kurze Darstellung der Begründung ist etwas aussagekräftiger als die der Bewerterin 1.
Die Bewertung des Angebots der Beigeladenen weist die gleichen strukturellen Schwächen auf wie die Bewertung des Angebots des Antragstellers. Es besteht daher keine Gewähr für eine Wertung der Angebote nach gleichen Regeln mit vergleichbaren Ergebnissen.
Die Antragsgegnerin wird bei der neuen Wertung prüfen, ob die aufgeführten Inhalte vorliegen und wie sie zu werten sind.
Beide Bewerterinnen haben sicherlich mit Engagement gewertet. Sie waren aber der ihnen übertragenen Aufgabe der Dokumentation nicht gewachsen, ob sie nicht ausreichend für diese Arbeit geschult waren, mag dahingestellt bleiben.
Der Antragsteller hat in der mündlichen Verhandlung gefordert, dass eine solche Bewertung von sachkundigem Personal idealerweise mit der Qualifikation als Sozialarbeiter durchgeführt wird. Dieser Wunsch ist in der Intention nachvollziehbar, aber in der Ausformulierung fernliegend. Das Vergaberecht darf den Bürokratieaufwand nicht exponentiell vermehren. Es darf nicht dazu führen, dass eine über Jahrzehnte wahrgenommene Aufgabe plötzlich unlösbar wird, weil das dafür angeblich erforderliche Personal nicht zur Verfügung steht.
Die Vergabekammer hatte sich in der Vergangenheit wiederholt mit der Kritik unterlegener Bieter an der Sachkenntnis der vergebenen Personen auf der Seite des öffentlichen Auftraggebers auseinanderzusetzen. Sie hat beispielsweise die Forderung abgelehnt, ein Auftraggeber dürfe seine technisch anspruchsvolle Entscheidung nur unter Hinzuziehung eines externen Sachverständigen treffen (VK Niedersachsen, Beschluss vom 22.08.2022, VgK-15/2022). Der Antragsteller argumentiert nun in die gleiche Richtung, kann damit ebenfalls nicht gehört werden. Die Vergabeentscheidung ist vom Auftraggeber grundsätzlich selbst zu treffen. Ob er sachkundige Hilfe heranzieht, steht ausschließlich in seinem Ermessen.
Der Antragsteller fühlt sich allerdings im Ergebnis zu Recht durch die dokumentierten Bewertungen unzureichend wahrgenommen. Seine Forderung nach Sachkunde der Bewerterinnen ist dem Grunde nach berechtigt. In der oben zitierten Entscheidung der Vergabekammer aus dem Jahr 2022 gab es Anlass, die Fachkenntnis des Auftraggebers hervorzuheben. Die Forderung nach einer bestimmten beruflichen Qualifikation grenzt dies aber zu sehr ein. Der beruflichen Qualifikation steht die durch Berufserfahrung gewordene Qualifikation jedenfalls in der Rolle als Auftraggeber gleich.
Bewährt und praktisch umsetzbar ist eine Zusammenarbeit zwischen dem jeweiligen Nutzer und der Vergabestelle. Nutzer ist hier der Fachbereich, der für den Betrieb der Unterkunft zuständig ist. Dort weiß man am besten, was gefordert wird, weil man dort die größte Nähe zum Bedarf hat. Der an der Vergabeentscheidung beteiligte Nutzer sollte die konkrete Unterkunft oder zumindest gleichwertige Einrichtungen und deren tägliche Arbeit kennen. Er sollte über die typischerweise auftretenden Schwierigkeiten informiert sein. Bei der Polizei gibt es dafür den Begriff: "in der Lage leben." Daran fehlt es hier erkennbar bei den Bewerterinnen.
Die Vergabestelle kann die Anforderungen des Nutzers vergaberechtskonform umsetzen. Dazu gehört auch die Schulung und Vor- und Nachbereitung des Nutzers für die von ihm bei der Vergabeentscheidung wahrzunehmenden Teilaufgaben. Oft wird vereinbart, dass der Nutzer die Wertung durchführt.
Die Auswertung der Bewertungsbögen und der Begründungen zu den Wertungen ergibt, dass die Bewerterinnen der Antragsgegnerin die in den Prüflisten vorgegebenen Hilfestellungen nicht ausreichend genau umgesetzt haben, um die Auswertung des Konzeptes inhaltlich zu begründen.
Die Bewerterinnen haben sowohl das Angebot des Antragstellers als auch das Angebot der Beigeladenen in bestimmten Kategorien, die eigentlich mit klar ja oder nein zu beantworten sein müssen unterschiedlich bewertet. D.h., dass die eine oder die andere Sachbearbeiterin entweder Inhalte der Konzepte übersehen hat oder Inhalte in Formulierungen der Konzepte hineininterpretiert hat, die nicht mit der erforderlichen Klarheit dort vorhanden waren. Ein Abgleich der Bewerterinnen miteinander ist aufgrund der nach internen Absprachen nicht durchzuführenden Abstimmung unterblieben.
Scheinbar ist aber auch eine Qualitätssicherung unter der Fragestellung: Ist das nachprüfungssicher? durch die Vergabestelle unterblieben. Daher sind die Bewertungen für die externe Vergabekammer nicht hinreichend nachvollziehbar, auch nicht unter Berücksichtigung der jeweils von den Bewerterinnen gelieferten textlichen Begründungen.
Der Antragsteller hat in der mündlichen Verhandlung geltend gemacht, dass auch weitere Formulierungen Ermessen enthalten, daher in der Dokumentation für die Punktevergabe gesondert zu begründen seien. Hier nennt er beispielsweise die Formulierungen "praxisnah beschrieben" oder "richtig erfasst". Nach Einschätzung der Vergabekammer überzieht der Antragsteller damit seine Anforderungen an die Dokumentation, in dem er Begriffe des Alltags, über deren Bedeutung ein breiter gesellschaftlicher Konsens besteht, künstlich problematisiert.
Die Dokumentation hier in Form der Datei "Bewertung soziale Betreuung_Bietername. Bewertername" hat die Aufgabe, in einer auch für unterlegenden Bieter und für Nachprüfungsinstanzen transparenten Art und Weise zu begründen, warum die jeweilige Bewerterin Punkte vergeben hat. In Einzelfällen kann die Bewerterin ihr Ermessen auch durch eine Erläuterung ausdrücken, warum eine im Konzept enthaltene Passage zu einem Kriterium nicht zum Punkt führt.
Unerheblich ist der Einwand der Antragsgegnerin, dass der Antragsteller auch bei Gewährung der von ihm schriftsätzlich vorgetragenen höheren Bepunktung in der Bewertungsrangfolge nicht den Zuschlag erhielte. Bei den festgestellten Bewertungsfehlern handelt es sich um strukturelle Fehler, welche die Wertungen aller Bieter betreffen. Es ist daher für die Herstellung eines einheitlichen Prüfungsmaßstabs erforderlich, dass alle Wertungen wiederholt werden. Das Ergebnis der wiederholten Prüfung ist offen. Dabei ist es sowohl möglich, dass sich die Bieterreihenfolge nicht verändert, als auch das andere Bieter darunter auch der Antragsteller auf Platz 1 kommen können.
b. Der Antragsteller ist nicht durch ein Unterkostenangebot der Beigeladenen in seinen Rechten verletzt. Die Regelung des § 60 VgV ist drittschützend, so dass sich der Antragsteller darauf berufen kann. Erscheint ein Angebotspreis aufgrund des signifikanten Abstands zum nächstgünstigen Gebot oder ähnlicher Anhaltspunkte, wie etwa der augenfälligen Abweichung von preislichen Erfahrungswerten aus anderen Beschaffungsvorgängen, ungewöhnlich niedrig, können die Mitbewerber verlangen, dass die Vergabestelle in die vorgesehene nähere Prüfung der Preisbildung eintritt. Die Antragsgegnerin hat eine Prüfung der Preisbildung nach § 60 VgV durchgeführt, weil das Angebot der Beigeladenen den Preis des zweitniedrigsten Bieters um mehr als 20 % unterschreitet. Die Rechtsprechung hat eine pauschale Aufgreifschwelle von 20 % stets abgelehnt, stattdessen auf eine Einzelfallabwägung abgestellt (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 05.06.2023 - Verg 34/23 - und Beschluss vom 12.06.2024 - Verg 36/23). Gleichwohl hat sich in der Praxis ein sehr häufiger Rückgriff auf eine Preisabweichung ab etwa 20 % als Indiz für die Notwendigkeit einer Preisprüfung herausgearbeitet (VK Bund, Beschluss vom 03.07.2024 - VK 2-47/24).
Die Antragsgegnerin hat das Angebot der Beigeladenen wegen einer Abweichung von mehr als 20 % zu dem Angebot der Antragstellerin für aufklärungsbedürftig gehalten und ist dem nachgegangen. Sie ist daher ihrer Pflicht, das Angebot aufzugreifen und zu überprüfen, nachgekommen, weshalb offenbleiben kann, ab welchem Preisabstand im Einzelnen der Auftraggeber dazu gezwungen ist (OLG Celle, Beschluss vom 13.03.2017; 13 Verg 5/17).
Die Antragsgegnerin hat hier einzelne Positionen, insbesondere Personalkosten der Beigeladenen aufgeklärt, dabei sowohl die Arbeitnehmerbruttokosten als auch die Arbeitgeberbruttokosten ermittelt und diese Zahlen auf die Tagespreise umgelegt. Sie kam zu dem Ergebnis, dass es möglich sei, mit diesen Preisen die Leistungen zu erbringen, ohne dass die Gefahr besteht, dass der Auftragnehmer sich der mit dem Auftrag übernommenen Pflichten möglichst unaufwendig entledigt oder in Insolvenz gerät (vgl. BGH, Beschluss vom 31.01.2017, X ZB 10/16, Rn. 26). Dies zugrunde gelegt, ist die von der Antragsgegnerin getroffene Prognoseentscheidung, die Beigeladene werde über die vorgesehene Vertragslaufzeit in der Lage sein, den Auftrag so, wie angeboten, zu erfüllen, nicht zu beanstanden, sondern vielmehr vertretbar ergangen. Das genügt nach der vorgenannten Rechtsprechung des OLG Celle.
c. Der Antragsteller kann seinen Antrag nicht mit dem Argument begründen, die Kostenschätzung der Antragsgegnerin sei fehlerhaft. Die Kostenschätzung eines öffentlichen Auftraggebers hat nicht primär die Aufgabe, vorab den Marktpreis abzubilden. Deshalb wird sie auch oft nicht in der Bekanntmachung erwähnt. Eine fehlerhafte Schätzung wird nur vergaberelevant, wenn der Auftraggeber darauf eine Aufhebung der Vergabe wegen Unwirtschaftlichkeit stützt, oder wenn sie ohne sachlichen Grund einen Wert unterhalb der Schwellenwerte das § 106 GWB festlegt, so dass der öffentliche Auftraggeber von einer eigentlich gebotenen europaweiten Bekanntmachung absieht und den Auftrag national vergeben möchte. Beides liegt hier nicht vor.
Der Marktwert entsteht nicht durch die Kostenschätzung, wird auch nicht vom Auftraggeber entwickelt, sondern er entsteht durch die eingegangenen Angebote in Abhängigkeit von den Vorgaben der Vergabeunterlagen. Auf diesen Marktwert hat der von der Antragsgegnerin für die Erstellung des Schätzwertes herangezogene Quervergleich mit anderen Unterkünften keine Auswirkungen. Er ist daher irrelevant.
Der inhaltlich offen formulierte Nachprüfungsantrag ist daher wegen der Ausführungen zu 2a begründet.
3. Gemäß § 168 GWB trifft die Vergabekammer die geeigneten Maßnahmen, um eine Rechtsverletzung zu beseitigen und eine Schädigung der betroffenen Interessen zu verhindern. Sie ist dabei an die Anträge nicht gebunden und kann auch unabhängig davon auf die Rechtmäßigkeit des Vergabeverfahrens einwirken. Das ist der Grund, weshalb der Antrag auch dann vollständig begründet ist, wenn nicht alle Argumente des Antragstellers überzeugen.
Hier liegt ein Grund vor, mit Maßnahmen auf die Rechtmäßigkeit des Verfahrens einzuwirken. Die Zurückversetzung bis zum Zeitpunkt unmittelbar vor Beginn der Wertung ist das mildeste der in Erwägung zu ziehenden Mittel, da hier nur die Wertung der Angebote fehlerhaft erfolgte. Die Wertung kann bei der Wertung abstrakter Kriterien nicht von ihrer Dokumentation getrennt werden, weil nach der Rechtsprechung des BGH beides zusammengehört.
Für das weitere Verfahren weist die Vergabekammer ergänzend darauf hin, dass die Antragsgegnerin in den Vergabeunterlagen keine Festlegung getroffen hat, aus welchem Kreis sich das Bewertungsteam zusammensetzen soll. Daher ist sie in der Entscheidung frei, ob sie die bisher eingesetzten Bewerterinnen eine erneute Bewertung durchführen lässt, oder die Teams innerhalb der Verfahren untereinander tauscht oder neu zusammengestellt.
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 182 GWB.
Die in Ziffer 2 des Tenors festgesetzte Gebühr ergibt sich aus einer Interpolation des Auftragswertes innerhalb des Gebührenrahmens nach § 182 Abs. 2 GWB. Die von der Vergabekammer festzusetzende regelmäßige Mindestgebühr beträgt 2.500 Euro, die Höchstgebühr 50.000 Euro und die Höchstgebühr in Ausnahmefällen 100.000 Euro.
Die Gebührenermittlung erfolgt anhand einer Gebührentabelle des Bundeskartellamtes in der zzt. gültigen Fassung vom Dezember 2009. Hiernach wird der Mindestgebühr von 2.500 Euro (§ 128 Abs. 2 GWB) eine Ausschreibungssumme von bis zu 80.000 Euro zugeordnet und dem regelmäßigen Höchstwert von 50.000 Euro (§ 182 Abs. 2 GWB) eine Ausschreibungssumme von 70 Mio. Euro (höchste Summe der Nachprüfungsfälle 1996-1998) gegenübergestellt. Dazwischen wird interpoliert.
Der zugrunde zu legende Auftragswert ist nach dem Interesse des Antragstellers am Auftrag zu bewerten. Der Antragsteller hat zunächst ein Angebot für 4 Jahre abgegeben. Hinzu kommt sein Interesse an der Auftragsverlängerung von maximal 2 Jahren. Nach der Rechtsprechung des BGH wird die Verlängerungsoption wegen der Unsicherheit, ob sie vom Auftraggeber ausgeführt wird mit 50 % des Wertes berechnet. Daraus ergibt sich ein Gesamtwert für den Antragsteller in Höhe von ... Euro brutto. Dieser Betrag entspricht dem Interesse des Antragstellers am Auftrag.
Bei einer Ausschreibungssumme von ... Euro brutto ergibt sich eine Gebühr in Höhe von ... Euro. Diese Gebühr schließt einen durchschnittlichen sachlichen und personellen Aufwand ein. Gutachterkosten oder Kosten durch Zeugenvernehmungen in der mündlichen Verhandlung sind nicht angefallen.
Die in Ziffer 3 des Tenors verfügte Kostenlast folgt aus § 182 Abs. 3 Satz 1 GWB. Danach hat ein Beteiligter, soweit er im Nachprüfungsverfahren unterliegt, die Kosten zu tragen. Der Begriff der Kosten umfasst die Gebühren und die Auslagen der Vergabekammer. Für die Ermittlung des Unterliegens ist nicht auf einen etwaigen Antrag abzustellen. Gemäß § 168 Abs. 1 Satz 2 GWB ist die Vergabekammer an Anträge nicht gebunden und kann auch unabhängig davon auf die Rechtmäßigkeit des Vergabeverfahrens einwirken. Da die Antragsgegnerin im Nachprüfungsverfahren unterlegen ist, hat sie die Kosten zu tragen.
Die Antragsgegnerin ist jedoch von der Pflicht zur Entrichtung ihres Kostenanteils gemäß § 182 Abs. 1 Satz 2 GWB i.V.m. § 8 Abs. 1 Nr. 3 BVerwKostG befreit (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 13.07.2005, Az.: 13 Verg 9/05; OLG Dresden, Beschluss vom 25.01.2005, Az.: WVerg 0014/04). Zwar wurde das BVerwKostG mit Wirkung vom 15.08.2013 aufgehoben, jedoch ist es aufgrund der starren Verweisung aus § 182 Abs. 1 Satz 2 GWB auf das BVerwKostG in der Fassung vom 14.08.2013 hier weiter anzuwenden. Inhaltlich entspricht die dortige Regelung § 8 BGebG.
Gemäß Ziffer 4 des Tenors hat die Antragsgegnerin dem Antragsteller die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung entstandenen notwendigen Aufwendungen gemäß § 182 Abs. 4 GWB zu erstatten. Hier gilt zunächst das oben zu Ziffer 3. Ausgeführte.
Gemäß § 182 Abs. 4 Satz 4 GWB i.V.m. § 80 Abs. 2 VwVfG in entsprechender Anwendung war antragsgemäß auszusprechen, dass die Zuziehung eines Rechtsanwalts durch den Antragsteller im Nachprüfungsverfahren notwendig war. Obwohl das GWB für das Nachprüfungsverfahren 1. Instanz vor der Vergabekammer keine rechtsanwaltliche Vertretung vorschreibt, ist wegen der Komplexität des Vergaberechts, des Verfahrensrechts im Nachprüfungsverfahren sowie der Komplexität des konkreten streitbefangenen Vergabeverfahrens rechtsanwaltliche Beratung und Begleitung für den Antragsteller erforderlich.
Etwaige Aufwendungen der Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig. Nach § 182 Abs. 4 Satz 2 GWB sind Aufwendungen des Beigeladenen nur erstattungsfähig, wenn die Vergabekammer sie aus Billigkeitsgründen der unterlegenen Partei auferlegt. Dabei setzt die Erstattungsfähigkeit voraus, dass der Beigeladene sich mit demselben Rechtsschutzziel wie der obsiegende Verfahrensbeteiligte aktiv am Nachprüfungsverfahren beteiligt hat (OLG Brandenburg, Beschluss vom 09.02.2010 - Verg W 10/09; OLG Celle, Beschluss vom 29.06.2010, 13 Verg 4/10, zit. nach ibr-online). Hier hat die Beigeladene darauf verzichtet Sachanträge zu stellen. Es gibt daher keinen Grund, die Beigeladene in die Kostenentscheidung mit einzubeziehen.
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VK Thüringen
Beschluss
vom 21.03.2025
5090-250-4003/490
1. Hebt der öffentliche Auftraggeber das Vergabeverfahren auf, erledigt sich das Nachprüfungsverfahren.
2. Die Entscheidung über die Kostentragung in den Fällen einer Verfahrensbeendigung aufgrund übereinstimmender Erledigungserklärungen ist unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstands nach billigem Ermessen zu treffen.
3. Wurde ein Nachprüfungsantrag deswegen zurückgenommen, weil der Bieter aufgrund einer Abhilfe durch den öffentlichen Auftraggeber sein materielles Ziel erreicht hat, entspricht eine Kostentragung des Auftraggebers der Billigkeit. Für den Fall einer übereinstimmenden Erledigungserklärung gilt das gleiche.
VK Thüringen, Beschluss vom 21.03.2025 - 5090-250-4003/490
Tenor:
1. Es wird festgestellt, dass sich das Nachprüfungsverfahren erledigt hat.
2. Das Nachprüfungsverfahren wird eingestellt.
3. Der Auftraggeber hat die Kosten des Nachprüfungsverfahrens einschließlich der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen der Antragstellerin zu tragen.
Der Auftraggeber ist gem. § 8 Abs. 1 Nr. 3 VwKostG i.V.m. § 182 Abs. 1 Satz 2 GWB persönlich von der Zahlung von Gebühren für Amtshandlungen befreit.
4. Die Hinzuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten seitens der Antragstellerin wird für notwendig erklärt.
5. Auslagen der Vergabekammer sind nicht angefallen.
Gründe:
I.
Der AG hat im Supplement zum Amtsblatt der EU vom 24.07.2024 (Tag der Absendung der Bekanntmachung) näher bezeichnete zu erbringende Reinigungsdienstleistungen in verschiedenen Objekten des Landkreises Sch M , aufgeteilt in 5 Lose, im Rahmen eines offenen Verfahrens europaweit ausgeschrieben. Streitgegenständlich sind vorliegend die Lose 1 und 2.
Unter Ziffer 5 der europaweiten Auftragsbekanntmachung war u.a. Folgendes ausgeführt:
"5.1.3. Geschätzte Dauer
Datum des Beginns: 01/01/2025
Enddatum der Laufzeit: 22/07/2028.
[...]
5.1.9. Eignungskriterien
Kriterium:
Art: Sonstiges."
Nach Ziffer 5.1.11. der Bekanntmachung wurde hinsichtlich der Vergabeunterlagen auf die Internetadresse "https://www.staatsanzeiger-eservices.de/[...]" verwiesen.
Nach Ziffer 5.1.12. der Bekanntmachung war Schlusstermin für den Eingang der Angebote der 29.08.2024, 10 Uhr.
Gemäß dem, in den Vergabeunterlagen enthaltenen Formblatt 631 EU "VgV - Aufforderung zur Abgabe eines Angebots" und auch in dem, mit dem Nachschreiben des AG an die Interessenten vom 30.07.2024, abgeänderten Formblatt 631 EU "VgV - Aufforderung zur Abgabe eines Angebots" war unter Ziffer 6 "Angebotswertung - Kriterien für die Wertung der Haupt- und ggf. Nebenangebote" Folgendes ausgeführt:
"Mehrere Zuschlagskriterien gemäß Formblatt Zuschlagskriterien. [...]"
In den Vergabeunterlagen war ein Formblatt "Bewertung Los 1-5" mit der Überschrift "Erläuterung der Zuschlagskriterien Lose 1-5" enthalten. Darin wurde u.a. Folgendes ausgeführt:
"Der Zuschlag wird gemäß § 127 Abs. 1 GWB und § 58 VgV auf das wirtschaftlichste Angebot erteilt:
Die Gesamtnote je Los setzt sich in dieser Ausschreibung wie folgt zusammen:
1. Preis (50 Prozent der Gesamtnote)
2. Reinigungsstunden (50 Prozent der Gesamtnote)
Nachfolgend wird das Bewertungssystem mit Beispielen erläutert.
I. Zuschlagskriterien:
1. Preis in Euro
2. Reinigungsstunden in Stunden (h)
II. Bewertungssystem:
1. Das Angebot mit der niedrigsten Wertungssumme in Euro erhält die Preisnote 1,00.
Die Preisnote orientiert auf eine niedrige Wertungssumme.
Die Wertungssumme setzt sich aus dem Gesamtpreis aller kalkulierten Leistungen inklusive der Mehrwertsteuer zusammen. Preise nach Bedarf werden einmalig oder, sofern angegeben, mit der Anzahl der geforderten Durchführungen bewertet. Nachlässe werden nicht bewertet.
2. Das Angebot mit den höchsten Wertungsstunden in h erhält die Reinigungsstundennote 1,00.
Die Wertungsstunden setzten sich aus allen Glasreinigungsstunden inklusive der Reinigungsstunden nach Bedarf zusammen. Die Glasreinigungsstunden nach Bedarf werden einmalig oder, sofern angegeben, mit der Anzahl der geforderten Durchführungen bewertet.
Die Reinigungsstundennote ist der Gradmesser für die Qualität der Reinigung.
3. Die Noten der anderen Angebote berechnen sich entsprechend den Abweichungen von der niedrigsten Wertungssumme und den höchsten Wertungsstunden.
4. Um eine bessere Differenzierung der Noten zu erreichen, wird der Höchstfaktor mit 10 genutzt.
[...]"
Die AST reichte mit Angebotsschreiben vom 26.08.2024 ein Angebot für die Lose 1 und 2 ein.
Mit Vorabinformationsschreiben vom 04.11.2024 teilte der AG der AST, jeweils inhaltsgleich zu Los 1 und zu Los 2, mit, dass auf ihr Angebot zu Los 1 und zu Los 2 der Zuschlag nicht erteilt werden könne, weil sie nicht das wirtschaftlichste Angebot abgegeben habe. Es liege ein Angebot mit niedrigerem Preis vor. Der Zuschlag solle an die Zuschlagsaspirantin erteilt werden. Diese Mitteilung sei abschließend.
Mit Schreiben vom 12.11.2024, jeweils inhaltsgleich zu Los 1 und zu Los 2, rügte die anwaltlich vertretene AST, dass die Absagemitteilung, die Verfahrensdurchführung und die Angebotswertung gegen die Bestimmung über das Vergabeverfahren verstoßen würden. Die AST habe einen Anspruch gemäß § 97 Abs. 1, 2 und 6 GWB auf Einhaltung der Grundsätze des Wettbewerbs, der Transparenz, der Gleichbehandlung und der Verhältnismäßigkeit. Die Absagemitteilung erfülle nicht die Anforderungen des § 134 GWB an ein transparentes Informationsschreiben. Zugleich werde ausdrücklich ein Antrag nach § 62 Abs. 2 Nr. 3 VgV auf Mitteilung der Merkmale und Vorteile des erfolgreichen Angebots gestellt.
Zur Begründung führte die AST aus, die Bekanntmachung enthalte weder die Angabe der verschiedenen Lose noch seien Eignungskriterien bekanntgemacht worden.
Die Absagemitteilung sei rechtswidrig und verletze die AST in ihren Rechten. Aber auch darüber hinaus werde insgesamt eine fehlerhafte und intransparente Auswahlentscheidung gerügt.
Es sei keine ordnungsgemäße Vorabinformation nach § 134 GWB erfolgt. In den Absagemitteilungen fehle es bereits an der Angabe des frühesten Zeitpunktes des Vertragsschlusses, wodurch ein ergangener (oder noch ergehender) Zuschlag nach § 134 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 135 Abs. 1 Nr. 1 GWB unwirksam sei. Fehle in einem Absageschreiben sowohl der Name des erfolgreichen Bieters als auch der früheste Zeitpunkt des Zuschlags, habe dies gemäß § 135 Abs. 1 Nr. 1 GWB die Unwirksamkeit des Zuschlags zur Folge. Ein Zuschlag auf ein Angebot verstoße gegen § 134 Abs. 2 Satz 1 GWB, wenn der Auftraggeber die Wartepflicht nicht eingehalten habe.
Der AG habe zudem über die möglichen Fristen nicht belehrt. Da keine Belehrung erfolgt sei, habe die Frist auch nicht gemäß § 134 BGB zu laufen begonnen. Ein (möglicher) wirksamer Zuschlag liege nicht vor, weil ein Vertrag erst 15 Kalendertage bzw. 10 Kalendertage (Information auf elektronischem Weg oder per Fax) nach Absendung der Information geschlossen werden dürfe. Die Frist beginne gemäß § 134 Abs. 2 Satz 3 GWB am Tag nach der Absendung der Information durch den Auftraggeber; auf den Tag des Zugangs beim betroffenen Bieter oder Bewerber komme es nicht an. Die Absagemitteilungen seien der AST am 04.11.2024 zugegangen.
Sollte also bereits ein Zuschlag erteilt worden sein, dann sei dieser nach § 134 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 135 Abs. 1 Nr. 1 GWB unwirksam. Auch eine bevorstehende Zuschlagserteilung könne nicht wirksam erfolgen, da der früheste Zeitpunkt des Vertragsschlusses gemäß § 134 Abs. 1 Satz 1 GWB nicht genannt worden sei. Nach dem Gesetzeswortlaut des § 134 Abs. 1 Satz 1 GWB seien Gründe (Plural!) und nicht nur ein Grund für die Nichtberücksichtigung anzugeben. Die Vorabinformation dürfe sich nicht in einer formelhaften Begründung erschöpfen, sondern müsse den unterlegenen Bieter in die Lage versetzen, seine Position im Vergabeverfahren zu erkennen und die Sinnhaftigkeit eines Nachprüfungsverfahrens zu prüfen. Diese Vorgaben seien im konkreten Verfahren verletzt worden.
Zwar habe der AG in seinen Absagemitteilungen über den Namen des Unternehmens, dessen Angebot angenommen werden solle, informiert. Er habe aber als Begründung nur angegeben, dass ein Angebot mit niedrigerem Preis vorliege. Jedoch habe der AG zwei Zuschlagskriterien bekannt gemacht (Preis und Reinigungsstunden). Der AG habe also ausführlicher erläutern müssen bzw. beide Zuschlagskriterien berücksichtigen müssen. Vorsorglich weise die AST darauf hin, dass der AG, soweit er erst im Nachprüfungsverfahren die angeforderte Information gebe und dann eine Erledigung erklärt werde, dennoch die Kosten des Verfahrens zu tragen habe.
Nach Einschätzung der AST habe die vermeintliche Bestbieterin ein nicht ordnungsgemäß kalkuliertes und zu niedriges Angebot abgegeben, auf das der Zuschlag nicht erteilt werden dürfe. Denn die AST habe bereits knapp kalkuliert und nach den Absagemitteilungen solle die vermeintliche Bestbieterin in Bezug auf Los 1 und 2 jeweils ein Angebot mit niedrigerem Preis abgegeben haben.
Nach den Informationen der AST vom Kreis- und Finanzausschuss vom 24.10.2024 habe die Zuschlagsaspirantin zu Los 1 einen Preis von 622.933,27 Euro bei 23.727,52 Wertungsstunden angeboten. Daher lasse sich zunächst feststellen, dass dies nicht (wie in der Absagemitteilung des AG angegeben) das Angebot mit dem niedrigsten Preis sei, sondern das sei das Angebot der AST mit einem angebotenen Preis in Höhe von 538.486,60 Euro. Bei Los 2 habe die Zuschlagsaspirantin einen Preis von 547.633,81 Euro bei 21.089,06 Wertungsstunden angeboten. Zudem gehe die AST bei beiden Losen davon aus, dass die Zahl der angegebenen Wertungsstunden der Zuschlagsaspirantin absichtlich zu hoch angegeben worden sei, damit bei diesem Zuschlagskriterium die Reinigungsnote 1 erreicht werde. Zudem habe die Zuschlagsaspirantin bei Los 1 damit einen Stundenpreis in Höhe von 26,25 Euro angeboten. Hier bestünden extreme Zweifel daran, dass dies auskömmlich nach § 60 VgV sei. Die anderen Bieter hätten mindestens 29,26 Euro angeboten (die AST 29,33 Euro/Stunde und ein weiterer Bieter 31,74 Euro/Stunde). Bei Los 2 habe die Zuschlagsaspirantin einen Stundenpreis in Höhe von 25,97 Euro angeboten. Auch hier bestünden extreme Zweifel an der Auskömmlichkeit nach § 60 VgV. Die anderen Bieter hätten mindestens 28,01 Euro/Stunde angeboten (die AST 28,82 Euro/Stunde und ein weiterer Bieter 31,15 Euro/Stunde).
Erscheine ein Angebotspreis aufgrund des signifikanten Abstands zum nächstgünstigen Gebot oder ähnlicher Anhaltspunkte, wie etwa der augenfälligen Abweichung von preislichen Erfahrungswerten aus anderen Beschaffungsvorgängen, ungewöhnlich niedrig, könnten die Mitbewerber verlangen, dass die Vergabestelle in die vorgesehene nähere Prüfung der Preisbildung eintrete. Es genüge insoweit, dass die Unangemessenheit des Preises indizierende Umstände dargelegt würden. Regelmäßig werde es sich dabei, wie auch hier, um die Höhe des beanstandeten Preises und den Abstand zum eigenen bzw. zum nächstgünstigen Angebot handeln (vgl. BGH, Beschl. v. 31.01.2017, X ZB 10/16).
Durch die Rechtsprechung (vgl. VK Berlin, Beschl. v. 13.07.2021, VK-B2-12/21) würden zunehmend höhere Anforderungen an die Preisprüfung gestellt. Die AST rüge, dass der AG diese Anforderungen nicht umgesetzt habe und gehe davon aus, dass bei einer ordnungsgemäßen Preisprüfung das Angebot der Zuschlagsaspirantin habe ausgeschlossen werden müssen.
Die AST habe konkrete Zahlen dargelegt, wonach das Angebot der Zuschlagsaspirantin (insbesondere bei Beachtung von arbeitsrechtlichen Verpflichtungen, Einhaltung von Mindestlohnvorgaben bzw. Tarifregeln) nicht auskömmlich sein könne. Sie gehe daher davon aus, dass die Zuschlagsaspirantin nach § 60 VgV ein Unterpreisangebot abgegeben habe. Die Zuschlagsaspirantin müsse deswegen ausgeschlossen werden. Der Zuschlag dürfe nicht auf das Angebot der Zuschlagsaspirantin erteilt werden.
Zudem rüge die AST, dass eine fehlerhafte Auswahlentscheidung durchgeführt worden sei. Vorsorglich rüge sie sowohl eine fehlerhafte Eignungsprüfung des Angebots der Zuschlagsaspirantin als auch einen fehlerhaften Wertungsvorgang dieses Angebotes. Die Zuschlagsaspirantin habe nicht die erforderliche Fachkunde, Leistungsfähigkeit und Zuverlässigkeit, um den jeweiligen Auftrag durchführen zu können. Dies ergebe sich auch aus der fehlerhaften Kalkulation der Reinigungsstunden.
Die AST habe ein wirtschaftliches Angebot abgegeben, welches nach den bekannt gemachten Zuschlagskriterien den Zuschlag habe erhalten müssen.
Die fehlerhafte Anwendung der Zuschlagskriterien werde auch in diesem Zusammenhang bemängelt. Zudem werde das Zuschlagskriterium Medianmethode gerügt. In der Aufforderung zur Angebotsabgabe und den beiliegenden Ausschreibungsunterlagen sei festgehalten, dass die Wertung der kalkulierten produktiven Jahresreinigungsstunden sich am Medianwert über alle zur Wertung zugelassenen Angebote orientiere. Die "Medianmethode" verstoße gegen § 127 Abs. 4 Satz 1 GWB, da sie keinen wirksamen Wettbewerb der Angebote gewährleiste und damit die Gefahr einer willkürlichen Erteilung des Zuschlags bestehe (vgl. VK Bund, Beschl. v. 06.11.2023, VK 1-77/23).
Die AST sei nicht gemäß § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 GWB präkludiert, soweit sie die Konzeption der Ausschreibung im Hinblick auf die Bewertung des Zuschlagskriteriums "produktiver Arbeitseinsatz" anhand eines Medianwerts (siehe Ausschreibungsunterlagen; Teil A_B Nr. VII a 2) nicht bis zum Ablauf der Frist zur Angebotsabgabe als vergaberechtswidrig gerügt habe, denn der Vergabeverstoß sei für die AST nicht erkennbar gewesen im Sinne der vorgenannten Norm. Unabhängig von einer Erkennbarkeit der tatsächlichen Umstände des geltend gemachten Vergabeverstoßes, sei jedenfalls eine Erkennbarkeit in rechtlicher Hinsicht für die AST nicht gegeben gewesen. Eine Bewertung des produktiven Arbeitseinsatzes nach der Medianmethode sei in der vergaberechtlichen Rechtsprechung erst durch den o.g. Beschluss der VK Bund thematisiert worden und der AST vorher nicht bekannt gewesen.
Es werde hilfsweise bereits jetzt darauf hingewiesen, dass die vorliegend zuständige Vergabekammer davon ausgehe, dass ein schwerwiegender Mangel vorliege, wenn die Eignungskriterien - wie vorliegend - nicht wirksam aufgestellt worden seien und dies auch von Amts wegen nach §§ 163, 168 Abs. 1 Satz 2 GWB aufgreifen werde. Nach § 122 Abs. 1 GWB würden öffentliche Aufträge nur an fachkundige und leistungsfähige (geeignete) Unternehmen vergeben, die nicht nach den §§ 123, 124 GWB ausgeschlossen seien. Gemäß 122 Abs. 4 Satz 2 GWB seien die Eignungskriterien in der Auftragsbekanntmachung, der Vorinformation oder der Aufforderung zur Interessenbestätigung aufzuführen. Der AG habe keine Eignungskriterien in der EU-Bekanntmachung (Ziffer 5.1.9.) angegeben.
Das Vergabeverfahren leide auch allgemein an Verfahrensfehlern. Ein Vergabeverfahren sei von Anbeginn an fortlaufend zu dokumentieren, indem die einzelnen Stufen des Verfahrens, die einzelnen Maßnahmen sowie die Begründung der einzelnen Entscheidungen festgehalten würden. Der Bieter könne alle Rechtsverletzungen vortragen, die er aus seiner Sicht der Dinge für wahrscheinlich oder zumindest für möglich halte. Eine ordnungsgemäße Dokumentation habe nicht stattgefunden; dies folge schon daraus, dass eine europaweite Ausschreibung vorliege; der AG aber Vergabeunterlagen basierend auf einer Unterschwellenvergabe verwendet habe (UVgO - Aufforderung zur Abgabe eines Angebotes).
Der AG habe - obwohl der Schwellenwert überschritten sei - nicht das offene Verfahren konsequent angewandt. Er habe keine Eignungskriterien bekannt gemacht und zudem kein ordnungsgemäßes Informationsschreiben nach § 134 GWB verfasst. Zudem habe er nicht die Wartefrist nach § 135 Abs. 2 Satz 1 GWB eingehalten. Dies alles lege die Annahme nahe, dass auch nur eine mangelhafte Dokumentation stattgefunden habe.
Die großen Abweichungen hätten auffallen und aufgeklärt werden müssen. Eine ordnungsgemäße Leistungserbringung sei nicht gewährleistet. Maßgeblich sei die Prognose, ob der Bieter in der Lage sei, seine Leistungen auftragsgerecht zu erbringen; diese sei auf der Grundlage seines Angebotes und der von ihm erteilten Auskünfte nach sorgfältiger Prüfung durch den Auftraggeber zu treffen (vgl. VK Hessen, Beschl. v. 22.07.2020, VK-33/2019, Rn. 92-94). Der AG habe den für seine Prognose zugebilligten Beurteilungsspielraum verletzt. Er habe den zu Grunde liegenden Sachverhalt nicht vollständig und zutreffend ermittelt sowie gegen allgemeine Bewertungsgrundsätze verstoßen und schließlich auch sachwidrige Erwägungen angestellt. Die subjektiven Rechte der AST seien deswegen verletzt, weil eine ordnungsgemäße Dokumentation diese Fehler vermieden hätte.
Die AST fordere daher den AG zur unverzüglichen Abhilfe auf. Aufgrund der fehlenden Angabe des frühesten Zeitpunktes des Zuschlags in den Absagemitteilungen sei ein ergangener (oder noch ergehender) Zuschlag nach § 134 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 135 Abs. 1 Nr. 1 GWB unwirksam. Darüber hinaus sei die Angebotswertung neu durchzuführen. Im Übrigen sei den Anträgen der AST nach § 62 Abs. 2 Nr. 3 VgV umgehend nachzukommen.
Die AST hat mit Schreiben vom 13.11.2024 bei der Vergabekammer einen Nachprüfungsantrag gestellt. Sie hat im Einzelnen beantragt:
1.Ein Nachprüfungsverfahren wird gemäß § 160 Abs. 1 GWB gegen das rechtswidrige Vergabeverfahren "Deutschland - Gebäudereinigung - BGV87/2024 - OJ S 143/2024 24/07/2024, Unterhaltsreinigung in verschiedenen Objekten des Landkreises Sch M " betreffend die Lose 1 und 2 eingeleitet.
2.Dem Antragsgegner wird untersagt, auf das Angebot der Beizuladenden betreffend die Lose 1 und 2 den Zuschlag zu erteilen.
3.Dem Antragsgegner wird aufgegeben, das Vergabeverfahren zurückzuversetzen und die Angebotswertung unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung der Vergabekammer zu wiederholen.
4.Hilfsweise (für den Fall, dass der Zuschlag bereits erteilt wurde) wird festgestellt,
a.) dass die Antragstellerin durch das Vergabeverfahren "Deutschland - Gebäudereinigung BGV87/2024 - OJ S 143/2024 24/07/2024, Unterhaltsreinigung in verschiedenen Objekten des Landkreises Sch M " betreffend die Lose 1 und 2 in ihren Rechten verletzt ist,
b.) dass die geschlossenen Verträge zwischen dem Antragsgegner und der Beizuladenden nach § 135 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 134 Abs. 2 Satz 1 GWB unwirksam sind.
5.Hilfsweise: Die Kammer wirkt unabhängig von den Anträgen auf die Rechtmäßigkeit des Vergabeverfahrens hin (vgl. § 168 Abs. 1 Satz 2 GWB).
6.Die Vergabeakten des Antragsgegners werden hinzugezogen.
7.Der Antragstellerin wird Einsicht in die Vergabeakten des Antragsgegners gewährt.
8.Der Nachprüfungsantrag wird dem Antragsgegner unverzüglich zugestellt.
9.Die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten durch die Antragstellerin wird für notwendig erklärt.
10.Der Antragsgegner hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Zur Begründung führte die AST aus, das Verfahren sei intransparent und diskriminierend gestaltet und die Angebotswertung des AG entspreche nicht den vergaberechtlichen Vorgaben. Ferner erfülle die Absagemitteilung nicht die Anforderungen des § 134 GWB an ein transparentes Informationsschreiben. Ein wirksamer Zuschlag habe daher nicht erfolgen können und auch die Dokumentation sei nicht ordnungsgemäß durchgeführt worden.
Ergänzend zu dem Rügeschreiben vom 12.11.2024 vertiefte die AST im Nachprüfungsantrag ihr Vorbringen.
Der Nachprüfungsantrag sei zulässig und auch begründet. Die AST gehe davon aus, dass eine fehlerhafte Auswahlentscheidung gemäß § 97 Abs. 1, 2, 6 GWB vorliege, da sowohl eine fehlerhafte Eignungsprüfung des Angebots der Zuschlagsaspirantin als auch ein fehlerhafter Wertungsvorgang vorliege. Die fehlerhafte Anwendung der Zuschlagskriterien werde auch in diesem Zusammenhang bemängelt, wobei es insbesondere um die Medianmethode gehe. In der Aufforderung zur Angebotsabgabe und den beiliegenden Ausschreibungsunterlagen sei festgehalten, dass sich bei den Reinigungsstunden die Noten der anderen Angebote entsprechend den Abweichungen von der niedrigsten Wertungssumme und den höchsten Wertungsstunden berechnen. Damit orientiere sich die Wertung der kalkulierten Reinigungsstunden am Medianwert über alle zur Wertung zugelassenen Angebote.
Die AST sei nicht gemäß § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 GWB präkludiert, soweit sie die Konzeption der Ausschreibung im Hinblick auf die Bewertung des Zuschlagskriteriums "Reinigungsstunden" anhand eines Medianwerts nicht bis zum Ablauf der Frist zur Angebotsabgabe als vergaberechtswidrig gerügt habe, denn der Vergabeverstoß sei für sie nicht erkennbar, im Sinne der vorgenannten Norm, gewesen.
Es liege ein schwerwiegender Mangel vor, wenn die Eignungskriterien - wie hier - nicht wirksam aufgestellt worden seien. Die Bekanntmachung enthalte weder die Angabe der verschiedenen Lose noch seien Eignungskriterien benannt worden. Daher sei die fehlende ordnungsgemäße Bekanntmachung der Eignungskriterien von Amts wegen aufzugreifen und der AG zu verpflichten, das Vergabeverfahren in den Stand vor Bekanntmachung zurückzuversetzen.
Das Vergabeverfahren leide auch allgemein an Verfahrensfehlern.
Die großen Abweichungen bei den angebotenen Reinigungsstunden hätten auffallen und aufgeklärt werden müssen. Eine ordnungsgemäße Leistungserbringung sei nicht gewährleistet.
Das vom AG bisher durchgeführte Vergabeverfahren sei rechtswidrig und verstoße gegen die bieterschützenden Grundsätze des Wettbewerbs, der Transparenz und der Gleichbehandlung. Auf die Einhaltung der Bestimmungen über das Vergabeverfahren habe die AST gemäß § 97 Abs. 1, 2, 6 GWB einen Anspruch.
Die Vergabekammer hat am 14.11.2024 beschlossen, dem AG den Nachprüfungsantrag der AST zu übermitteln, den Nachprüfungsantrag am selben Tag dem AG übersendet und diesen um Vorlage der Vergabeakte bis zum 19.11.2024 und um Stellungnahme zum Nachprüfungsantrag bis zum 21.11.2024 gebeten.
Die AST hat auf Anforderung der Vergabekammer vom 15.11.2024 für das Nachprüfungsverfahren einen Kostenvorschuss in Höhe von 2.500,00 Euro entrichtet.
Der AG hat der Vergabekammer am 18.11.2024 die Vergabeakte übersendet.
Der AG hat mit Schriftsatz vom 20.11.2024 auf den Nachprüfungsantrag erwidert und beantragt:
1.Der Nachprüfungsantrag wird zurückgewiesen.
2.Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich der zweckentsprechenden Rechtsverfolgungskosten des Antragsgegners.
Der AG hat zur Begründung ausgeführt, dass der Nachprüfungsantrag unbegründet und daher zurückzuweisen sei. Die AST sei nicht in ihren Rechten verletzt.
Der AG habe die Zuschlagsaspirantin als präferierte Bieterin rechtsfehlerfrei ausgewählt. Diese erfülle die mit der Ausschreibung gemachten Vorgaben. Sämtliche geforderten Angaben und Nachweise seien mit dem Angebot gemacht bzw. vorgelegt worden. Die Zuschlagsaspirantin habe die Eignung und die geforderten Nachweise insbesondere bzgl. der Referenzen erbracht.
Der AG gehe kursorisch nur auf einzelne Punkte der AST ein. Es sei keine ausreichende Frist zur Beantwortung und Stellungnahme auf die vorliegenden Rügen gegeben worden. Die Rügen seien am 12.11.2024 per E-Mail um 11:19 Uhr eingegangen. Bereits am 13.11.2024 sei der Nachprüfungsantrag bei der Vergabekammer gestellt worden.
Entgegen der Aussage der AST sei in der Bekanntmachung auf die Aufteilung in 5 Lose hingewiesen worden. Dies sei in der Auftragsbekanntmachung deutlich erkennbar. Die Eignungskriterien seien als "Sonstiges" in der Vergabeplattform hinterlegt und im Vergabeverfahren in der Dokumentenverwaltung mittels Formblatt 124 "Eigenerklärung" abgefragt worden. Die AST habe dieses Dokument sogar selbst ausgefüllt und mit dem Angebot eingereicht. Einen Verfahrensfehler könne der AG hier nicht erkennen.
Das Formblatt 631 sei versehentlich aus den Vergabeunterlagen der UVgO mitversandt worden. Das selbige Formblatt 631 der VgV beinhalte die gleichen Angaben. Durch dieses Formblatt sei die Vergabeart nicht geändert worden. Ein entscheidungserheblicher Verfahrensfehler sei nicht zu erkennen.
Der AG weise darauf hin, dass die AST nicht in der öffentlichen Sitzung des Kreis- und Finanzausschusses am 24.10.2024 anwesend gewesen sei. Eine Mitschrift der Zahlen durch die AST werde daher ausgeschlossen. Insgesamt seien keine Bürger in der besagten Sitzung gewesen, auch die Presse sei nicht vertreten gewesen.
Im Absageschreiben liege ein Versehen bzw. eine fehlerhafte Wortwahl vor und es müsse korrigiert werden. In der Mitteilung zum geplanten Zuschlag sei vermerkt, dass die Vergabe an den wirtschaftlichsten Bieter erfolgen solle. Hier sei im Absageschreiben "niedrigerem Preis" durch "wirtschaftlichstes Angebot" zu ersetzen. Die AST sei sehr vergabekompetent und wisse daher, dass das wirtschaftlich günstigste Angebot den Zuschlag erhalte. Es müsse nicht der billigste Bieter sein.
Die Auswahlentscheidung sei korrekt entsprechend den in den Ausschreibungsunterlagen aufgeführten Auswahlkriterien durchgeführt worden. Eine übersichtliche Darstellung und Erklärung sei aus der Vergabeempfehlung sowie der anhängenden Übersicht mit den Prüfungsergebnissen ersichtlich.
Das Absageschreiben sei der AST am 04.11.2024 zugestellt worden. Entsprechend den Vorgaben des § 134 GWB entspreche dies der Vorabinformation. Die Auswahlentscheidung sei umfangreich in den Ausschreibungsunterlagen dargestellt und im Kreis- und Finanzausschuss erklärt worden. Der Zuschlag sei bislang nicht erfolgt. Zudem sei - entgegen dem Vortrag der AST - im Absageschreiben der wirtschaftlichste Bieter, auf den der Zuschlag erteilt werden sollte, namentlich benannt worden. Ein Verfahrensfehler sei hier nicht ersichtlich.
Die Gründe für die Entscheidung der Nichtberücksichtigung seien eindeutig benannt worden und entsprächen den Ausschreibungsunterlagen. Bei der Vergabeempfehlung seien entgegen dem Vortrag der AST beide Zuschlagskriterien berücksichtigt worden. Dies sei in der Auswertung der Angebote ersichtlich.
Der Vortrag der AST, es sei ein nicht ordnungsgemäß kalkuliertes und zu niedriges Angebot abgegeben worden, sei rein spekulativ. Zur Auskömmlichkeit und den Lohnkosten sei ein Bietergespräch geführt worden und dieser Umstand nachgefragt worden. Die Auskömmlichkeit sei bestätigt worden, die Prüfung der Angebote habe keine Beanstandungen hinsichtlich der Lohngestaltung ergeben. Ein zu niedrig kalkulierter Preis sei nicht erkennbar, zumal der Zuschlag nicht auf das preislich günstigste, sondern auf das wirtschaftlichste Angebot erteilt werde. Die weiteren Aussagen der AST könnten nicht bestätigt werden, die Preise seien nicht ungewöhnlich niedrig, sie entsprächen den marktüblichen Preisen, eine Preisaufklärung sei durchgeführt worden.
Die beabsichtigte Vergabeentscheidung sei daher nicht zu beanstanden. Als unterliegende Beteiligte habe die AST die Kosten des Verfahrens einschließlich der zur entsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Kosten des AG gemäß § 182 Abs. 3 und 4 GWB zu tragen.
Mit Schriftsatz vom 23.01.2025 überreichte die AST der Vergabekammer zwei Zeitungsartikel vom 19.01.2025 sowie vom 22.01.2025 und wiederholte ihr Vorbringen, dass die Zuschlagsaspirantin nicht geeignet sei. In den Zeitungsartikeln werde über die derzeit vorherrschende Reinigungssituation an einigen Schulen in Thüringen berichtet, die seit dem 01.01.2025 von der Zuschlagsaspirantin gereinigt würden.
Die Vergabekammer hat zuletzt mit Schreiben vom 20.02.2025 die Frist für die Entscheidung in der Sache um 5 Wochen bis zum 02.04.2025 verlängert.
Der nunmehr anwaltlich vertretene AG hat mit Schriftsatz vom 10.03.2025 Stellung genommen: Nach seiner Auswertung der Vergabeentscheidung der Vergabekammer Freistaat Thüringen vom 28.02.2025, 5090-250-4003/498, zu den interimsweise vergebenen Reinigungsdienstleistungen für die Monate Januar bis März 2025 und zu dem hier anhängigen Nachprüfungsverfahren, habe der AG, mit Schreiben vom 07.03.2025, die Ausschreibung der Reinigungsdienstleistungen BGV87/2024 hinsichtlich der Lose 1, 2 und 4 aufgehoben. Es werde in Kürze eine erneute europaweite Ausschreibung erfolgen. Damit habe sich das Vergabenachprüfungsverfahren erledigt.
Die AST hat mit Schriftsatz vom 10.03.2025, bezugnehmend auf die Mitteilung des AG vom 07.03.2025, das Verfahren für erledigt erklärt. Zudem hat sie beantragt:
1.Die Kosten des Verfahrens einschließlich der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen der Antragstellerin werden dem Antragsgegner auferlegt.
2.Die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten durch die Antragstellerin wird für notwendig erklärt.
3.Auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung wird verzichtet.
Die AST führte aus, dass die zulässigen Anträge begründet seien. Mit Beschluss der Vergabekammer vom 28.02.2025, 5090-250-4003/498, sei festgestellt worden, dass die AST durch die De-facto-Vergabe des AG in dem Parallelverfahren in ihrem Anspruch aus § 97 Abs. 6 GWB auf Einhaltung der Vergabevorschriften verletzt worden sei. Weiterhin sei festgestellt worden, dass die dort streitgegenständlichen Lose gemäß § 135 Abs. 1 Nr. 2 GWB von Anfang an unwirksam seien. Soweit der AG an seiner Beschaffungsabsicht festhalte, werde er verpflichtet, ein europarechtskonformes Vergabeverfahren unter Beachtung der Rechtsauffassung der Vergabekammer durchzuführen.
Der AG habe die Kosten des Verfahrens nach billigem Ermessen gemäß § 182 Abs. 3 Satz 4, 5 GWB zu tragen sowie die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der AST nach § 182 Abs. 4 Satz 3 GWB. Grundsätzlich sei die Entscheidung über die Kostentragung in den Fällen einer Verfahrensbeendigung durch Rücknahme oder anderweitige Erledigung unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstands nach billigem Ermessen gemäß § 182 Abs. 3 Satz 4, 5 GWB zu treffen. Dabei komme es bei anderweitiger Erledigung in erster Linie darauf an, welcher Beteiligte im materiellen Sinne unterlegen sei oder obsiegt habe, beziehungsweise bei einer Fortführung unterlegen wäre oder obsiegt hätte. Gesichtspunkte der Billigkeit könnten es dabei im Einzelfall gebieten, von der Maßgeblichkeit des voraussichtlichen Verfahrensausgangs abzuweichen und den Auftraggeber ganz oder teilweise mit den Verfahrenskosten zu belasten. Ein Ausnahmefall (Abweichen vom voraussichtlichen Verfahrensausgang) werde von der Rechtsprechung u.a. angenommen, wenn der Auftraggeber der Rüge des Antragstellers nach Einleitung des Nachprüfungsverfahrens doch noch abhelfe.
Dies sei vorliegend der Fall, weil der AG erklärt habe, dass er an der streitgegenständlichen Vergabe nicht festhalten werde. Die Ausschreibung werde aufgehoben und es werde in Kürze eine erneute europaweite Ausschreibung erfolgen. Infolgedessen seien dem AG die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung im Nachprüfungsverfahren notwendigen Kosten der AST bereits unter dem Gesichtspunkt aufzuerlegen, dass sich der AG durch die Zurückversetzung des Vergabeverfahrens in den Stand vor Bekanntmachung freiwillig in die Rolle des Unterlegenen begeben habe. Gerade die Berücksichtigung einer Fallkonstellation wie der Vorliegenden, in welcher der Antragssteller in einem materiellen Sinne obsiegt habe, weil der Auftraggeber nach Einleitung des Nachprüfungsverfahrens dem Begehren des Antragsstellers abhelfe und das Verfahren durch eine beiderseitige Erledigungserklärung beendet werde, solle § 182 Abs. 4 Satz 3 Hs. 1 GWB ermöglichen.
D. AG seien zudem die zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der AST nach § 182 Abs. 4 Satz 3 GWB aufzuerlegen. Die Entscheidung, wer die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen anderer Beteiligter zu tragen habe, bestimme sich nach § 182 Abs. 4 Satz 3 GWB ebenfalls nach billigem Ermessen. Die Norm stelle für die Kostenerstattung zwischen den Beteiligten den Gleichlauf der Regelungen für die Vergabekammergebühren und die Kostenerstattung her. Es handle sich um eine Frage des Einzelfalls, die in der Regel nach den gleichen Grundsätzen zu entscheiden sei, wie bei § 182 Abs. 3 Satz 5 GWB. Vorliegend sei nicht ersichtlich, dass insoweit eine andere Billigkeitsentscheidung zu treffen sei, wie bezüglich der Verfahrenskosten vor der Vergabekammer. Insoweit werde auf die o.g. Ausführungen verwiesen.
Der AG habe die Kosten des Verfahrens auch aufgrund eines Verschuldens nach § 182 Abs. 3 Satz 3 GWB zu tragen. Nach § 182 Abs. 3 Satz 3 GWB könnten Kosten, die durch "Verschulden" eines Beteiligten entstanden seien, diesem auferlegt werden. Ein Verschulden sei zu bejahen, wenn der Beteiligte unter Außerachtlassung der erforderlichen und ihm zumutbaren Sorgfalt durch sein Verhalten einen anderen Beteiligten oder das Gericht zu Prozesshandlungen oder Entscheidungen veranlasst habe und an sich nicht erforderliche Kosten verursacht habe. Eine Kostenauferlegung in diesem Sinne könne veranlasst sein, wenn der Auftraggeber durch eine fehlerhafte oder zögerliche Beantwortung der Rüge in vorwerfbarer Weise Anlass zur Einleitung des Nachprüfungsverfahrens gegeben habe. Vorliegend habe der AG, durch Außerachtlassen der erforderlichen und ihm zumutbaren Sorgfalt, die Einleitung des Nachprüfungsverfahrens durch die AST und die damit verbundenen Kosten verursacht. Der AG hätte der AST rechtzeitig mitteilen müssen, dass eine Abhilfe geplant sei. Dies sei vor Einleitung des Nachprüfungsverfahrens unterblieben.
Die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten durch die AST sei für notwendig zu erklären.
Die Vergabekammer nimmt ergänzend Bezug auf die ausgetauschten Schriftsätze, die Vergabeakten des AG, soweit vorgelegt, sowie die Verfahrensakten der Vergabekammer, auch aus dem ebenfalls vor der Vergabekammer geführten Verfahren 5090-250-4003/498.
II.
1. Zuständigkeit
Die Vergabekammer ist vorliegend für die Überprüfung des streitgegenständlichen Vergabeverfahrens zuständig. Die sachliche und örtliche Zuständigkeit der Vergabekammer ergibt sich aus §§ 155, 156 Abs. 1, 2. Hs., 158 Abs. 2, 159 Abs. 3 Satz 1 GWB in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Satz 1 ThürVkVO.
Der AG ist öffentlicher Auftraggeber gemäß §§ 98, 99 Nr. 1 GWB.
Der maßgebliche Schwellenwert für die ausgeschriebenen Dienstleistungsaufträge ist über § 106 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 GWB i.V.m. Art. 4 der Richtlinie 2014/24/EU i.V.m. der delegierten Verordnung 2023/2495 der Kommission vom 15.11.2023 festgelegt und beträgt seit dem 01.01.2024 221.000 Euro netto. Dieser ist im Hinblick auf die Gesamtauftragswertschätzung des AG bezüglich aller Lose deutlich überschritten.
2. Feststellung der Erledigung des Verfahrens und seine Einstellung
Der AG hat mit Schriftsatz vom 10.03.2025 ausgeführt, dass er, nach Auswertung der Vergabeentscheidung der Vergabekammer vom 28.02.2025, 5090-250-4003/498, zu den Interimsvergaben für die Monate Januar bis März 2025, die Ausschreibung der Reinigungsdienstleistungen BGV87/2024 hinsichtlich der Lose 1, 2 und 4 aufgehoben habe. Damit habe sich das Vergabenachprüfungsverfahren erledigt. Die AST hat mit Schreiben vom selben Tag, bezugnehmend auf die Mitteilung des AG vom 07.03.2025, das Verfahren für erledigt erklärt. Das Nachprüfungsverfahren hat sich mit den übereinstimmenden Erledigungserklärungen des AG und der AST erledigt und wird eingestellt.
Die Feststellung der Erledigung (Ziffer 1. des Tenors der Entscheidung) war daher ebenso wie die Einstellung des Nachprüfungsverfahrens (Ziffer 2. des Tenors der Entscheidung) auszusprechen.
Das von der AST beantragte Nachprüfungsverfahren ist dadurch gegenstandslos geworden. Es hat sich mithin erledigt und der ursprüngliche Prüfungsgegenstand ist nunmehr der Entscheidungskompetenz der Vergabekammer entzogen. Die Vergabekammer kann nach § 168 Abs. 1 Satz 1 GWB nicht mehr über den Nachprüfungsantrag entscheiden, sondern nur noch die Einstellung des Nachprüfungsverfahrens aussprechen und hat weiterhin über die Kosten des Nachprüfungsverfahrens zu entscheiden.
3. Kostenentscheidung
Die Kostenentscheidung beruht auf § 182 GWB.
Der AG hat nach § 182 Abs. 3 Satz 5 GWB die Kosten des Verfahrens (Gebühren und Auslagen) zu tragen.
Grundsätzlich ist die Entscheidung über die Kostentragung in den Fällen einer Verfahrensbeendigung aufgrund übereinstimmender Erledigungserklärungen unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstands nach billigem Ermessen zu treffen (OLG München, Beschl. v. 02.05.2019, Verg 5/19 sowie Beschl. v. 10.04.2019, Verg 8/18). Gesichtspunkte der Billigkeit können es dabei im Einzelfall gebieten, von der Maßgeblichkeit des voraussichtlichen Verfahrensausgangs abzuweichen und den Antragsgegner ganz oder teilweise mit den Verfahrenskosten zu belasten (OLG München, Beschl. v. 02.05.2019, Verg 5/19; OLG Koblenz, Beschl. v. 02.07.2024, Verg 1/24).
Es entspricht der ständigen Rechtsprechung, dass demjenigen, der sich während des Nachprüfungsverfahrens freiwillig in die Rolle des Unterlegenen begibt, die Kosten des Verfahrens auferlegt werden (vgl. OLG München, Beschl. v. 02.05.2019, Verg 5/19; OLG Koblenz, Beschl. v. 02.07.2024, Verg 1/24; VK Rheinland-Pfalz, Beschl. v. 22.02.2024, VK2-1/22, Rn. 22).
Wurde ein Nachprüfungsantrag deswegen zurückgenommen, weil der Antragsteller aufgrund einer Abhilfe durch den Auftraggeber sein materielles Ziel erreicht hat, kann insoweit eine Kostentragung des Auftraggebers der Billigkeit entsprechen (OLG Celle, Beschl. v. 19.11.2020, 13 Verg 2/20; VK Rheinland-Pfalz, Beschl. v. 22.02.2024, VK2-1/22, Rn. 22). Für den Fall einer übereinstimmenden Erledigungserklärung gilt das gleiche. Auch insoweit ist zu berücksichtigen, ob für die Erledigung eine einseitige Entscheidung des Auftraggebers ursächlich ist (VK Rheinland-Pfalz, a.a.O.).
Der AG hat sich in die Rolle des Unterlegenen begeben. Der AG hat nach Einleitung des Nachprüfungsverfahrens dem Begehren der AST abgeholfen, indem er das Vergabeverfahren "Gebäudereinigung BGV87/2024" mit Schreiben vom 07.03.2025 aufgehoben hat und beabsichtigt dieses erneut europaweit auszuschreiben. Der Aufhebung vorausgegangen war die Entscheidung der Vergabekammer in dem parallelen Verfahren vom 28.02.2025, 5090-250-4003/498, in welcher der AG unterlag. Demzufolge sind dem AG vorliegend, unter dem Gesichtspunkt der Billigkeit, die Kosten des Nachprüfungsverfahrens aufzuerlegen, da er sich durch die erfolgte Abhilfeentscheidung vom 07.03.2025 und die darauf gestützte Erledigungserklärung freiwillig in die Rolle des Unterlegenen begeben hat. Demnach entspricht es der Billigkeit, dem AG die Kosten des Verfahrens (Gebühren und Auslagen) gemäß § 182 Abs. 3 Satz 5 GWB aufzuerlegen.
Aus den gleichen Erwägungen heraus sind dem AG auch die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen der AST gemäß § 182 Abs. 4 Satz 3 GWB aufzuerlegen.
Die Hinzuziehung von anwaltlichen Verfahrensbevollmächtigten durch die AST war gemäß § 182 Abs. 4 Satz 4 GWB i.V.m. § 80 Abs. 1, 2 und 3 Satz 2 VwVfG analog für notwendig zu erklären. Die Entscheidung über die Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Rechtsanwalts als Verfahrensbevollmächtigtem im Nachprüfungsverfahren bedarf einer einzelfallgerechten Betrachtung, abstellend auf den Zeitpunkt der Hinzuziehung (BGH, Beschl. v. 26.09.2006, X ZB 14/06; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 21.12.2022, Verg 37/22). Die Notwendigkeit der Hinzuziehung hängt davon ab, ob der jeweilige Verfahrensbeteiligte nach den Umständen des Falles auch selbst in der Lage gewesen wäre, den Sachverhalt aufgrund der bekannten bzw. erkennbaren Tatsachen zu erfassen, der im Hinblick auf eine Missachtung von Bestimmungen über das Vergabeverfahren von Bedeutung ist, hieraus die für eine sinnvolle Rechtswahrung bzw. -verteidigung nötigen Schlüsse zu ziehen und das danach Gebotene gegenüber der Vergabekammer vorzubringen (BGH, a.a.O.). Vorliegend waren insbesondere Fragestellungen zu den inhaltlichen Anforderungen der Vorabinformation nach § 134 GWB, zur Rügepräklusion, zur Preisprüfung, zu wirksam aufgestellten Eignungsanforderungen und zu den Zuschlagskriterien Gegenstand des Verfahrens. Hierbei handelt es sich um eine auch verfahrensrechtlich nicht einfach zu beurteilende Materie, sodass eine gezielte juristische Vertretung durch vergaberechtlich spezialisierte Rechtsanwälte erforderlich war.
Die Vergabekammer erhebt vom AG keine Gebühren, da dieser als Landkreis gemäß § 8 Abs. 1 Nr. 3 VwKostG i.V.m. § 182 Abs. 1 Satz 2 GWB von der Verpflichtung zur Zahlung von Verwaltungsgebühren persönlich befreit ist und zu erstattende Auslagen der Vergabekammer nicht angefallen sind.
Die AST hat bereits einen Kostenvorschuss in Höhe der Mindestgebühr von 2.500,00 Euro gezahlt. Da die AST im vorliegenden Nachprüfungsverfahren obsiegt hat und sie daher keine Verwaltungskosten zu tragen hat, ist ihr dieser Betrag nach Eintritt der Bestandskraft dieses Beschlusses zurückzuerstatten.
Die AST wird schon jetzt aufgefordert, eine SEPA-fähige Bankverbindung (Angabe von IBAN und BIC) mitzuteilen, auf welche die Überweisung des Betrages erfolgen soll.
Hinweis:
Ein gesondertes Kostenfestsetzungsverfahren findet nicht statt (§ 182 Abs. 4 Satz 5 GWB).
4. Die Vergabeakten des AG des vor der Vergabekammer unter dem Aktenzeichen 5090-250-4003/498 geführten Verfahrens und mit Beschluss der Vergabekammer Freistaat Thüringen vom 28.02.2025, 5090-250-4003/498, entschiedenen Vergabeverfahrens zu den Interimsvergaben für die Monate Januar bis März 2025, wurden neben den Verfahrensakten der Vergabekammer vorliegend gemäß § 163 Abs. 2 Satz 3 GWB beigezogen.
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OLG Düsseldorf
Beschluss
vom 18.09.2024
Verg 16/24
1. Nach dem Wegfall des Verbots zur Überbürdung ungewöhnlicher Wagnisse können Vertragsklauseln nur noch unter dem Gesichtspunkt der Unzumutbarkeit einer für den Bieter kaufmännisch vernünftigen Kalkulation in einem Vergabenachprüfungsverfahren beanstandet werden.
2. Der öffentliche Auftraggeber soll ein Vergabeverfahren erst dann ausschreiben, wenn alle Vergabeunterlagen fertig gestellt sind und wenn innerhalb der angegebenen Fristen mit der Ausführung begonnen werden kann (sog. Vergabereife). Dazu gehört auch auch, dass die Vergabestelle im Zeitpunkt der Ausschreibung in der Lage sein muss, das Vorhaben durch entsprechend verfügbare Haushaltsmittel zu finanzieren.
3. Der öffentliche Auftraggeber setzt die Rahmenvereinbarung zu vergabefremden Zwecken ein, wenn eine Beauftragung über die vereinbarte Mindestabnahmemenge hinaus infolge ungesicherter Finanzierung völlig ungewiss und eine Information der Bieter hierüber unterblieben ist.
4. Eine Bieterfrage ist als Rüge zu qualifizieren, wenn aus ihr hinreichend deutlich wird, welches konkrete Tun oder Unterlassen der Vergabestelle für rechtswidrig erachtet wird und es muss klar sein, dass es sich um eine Beanstandung handelt und nicht lediglich um Bieterfrage.
OLG Düsseldorf, Beschluss vom 18.09.2024 - Verg 16/24
vorhergehend:
VK Bund, Beschluss vom 08.05.2024 - VK 2-35/24
BKartA, 08.05.2024 - VK 2
Tenor
1. Auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin wird die Entscheidung der 2. Vergabekammer des Bundes vom 8. Mai 2024 (VK 2-35/24) teilweise aufgehoben und der Antragsgegnerin die Zuschlagserteilung auf die Ausschreibung "Rahmenvereinbarung über die Lieferung von bis zu sechs Kontroll- und Streifenbooten sowie sieben Tochterbooten" (Bekanntmachungsnummer 609542-2023) untersagt. Ihr wird aufgegeben, bei fortbestehender Beschaffungsabsicht das Vergabeverfahren in den Stand vor Auftragsbekanntmachung zurückzuversetzen.
Im Übrigen wird die sofortige Beschwerde zurückgewiesen.
2. Die Gerichtskosten des Beschwerdeverfahrens und die Kosten des Verfahrens vor der Vergabekammer fallen der Antragstellerin einerseits und der Antragsgegnerin sowie der Beigeladenen anderseits je zur Hälfte zur Last, ihre notwendigen Auslagen tragen die Verfahrensbeteiligten selbst.
3. Der Wert für das Beschwerdeverfahren wird auf bis 2.950.000,00 Euro festgesetzt.
Gründe
I.
Die Antragsgegnerin schrieb mit Bekanntmachung vom 10. Oktober 2023 im offenen Verfahren eine Rahmenvereinbarung über die Lieferung von bis zu sechs Kontroll- und Streifenbooten sowie sieben Tochterbooten mit einer Mindestabnahmemenge von zwei Kontroll- und Streifenboote inklusive Tochterbooten aus. Die geschätzte Gesamtbedarfsmenge gab sie mit sechs Kontroll- und Streifenbooten sowie sieben Tochterbooten an (Supplement zum Amtsblatt der Europäischen Union, Bekanntmachungsnummer 2023/S 195 609542, geändert durch Bekanntmachung vom 2. November 2023, Bekanntmachungsnummer 2023/ S 211 666118 und vom 29. November 2023, Bekanntmachungsnummer 2023/S 230 725030). Diese sechs Kontroll- und Streifenboote nebst Tochterbooten sollen die derzeit im Einsatz befindlichen sechs Kontroll- und Streifenboote ersetzen, die veraltet sind. Die Laufzeit war mit 48 Monaten angegeben (Ziffer 11.2.7. der Bekanntmachung). Einziges Zuschlagskriterium war der Preis (Ziffer 11.2.5. der Bekanntmachung). Auf die Rügeobliegenheiten nach § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 bis Nr. 3 GWB sowie auf "die Möglichkeit", innerhalb von 15 Tagen nach Eingang der Mitteilung, der Rüge nicht abhelfen zu wollen, nach § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 GWB einen Antrag auf Nachprüfung bei der Vergabekammer zu stellen, wurde hingewiesen (Ziffer IV.4.3. der Bekanntmachung). Die verlängerte Angebotsfrist endete am 20. Dezember 2023 (Ziffer 5.1.12. der Änderungsbekanntmachung vom 29. November 2023).
Die Liefermenge war in § 2 des Entwurfs der Rahmenvereinbarung geregelt. Nach Absatz 1 betrug die Höchstmenge sechs Kontroll- und Streifenboote sowie sieben Tochterboote. Nach Absatz 2 verpflichtete sich die Auftragsgegnerin zu einer Mindestabnahme von zwei Kontroll- und Streifenboote und zwei Tochterbooten. Einen über die Mindestabnahmemenge hinausgehenden Abrufanspruch hatte der Auftragnehmer nach Absatz 3 nicht. Nach § 7 war die Festbestellmenge innerhalb von 18 Monaten, die optionale Menge innerhalb von zwölf Monaten nach Bestellung zu liefern, sofern nicht mehr als zwei Boote gleichzeitig beauftragt werden. Nach § 8 waren die angebotenen Preise für zwei Jahre gültige Festpreise. Danach kann der Auftragnehmer eine Preisanpassung entsprechend dem Index Sonstige Fahrzeuge im Güterverzeichnis GP09-30 des Statistischen Bundesamtes beantragen. Die Preisanpassung ist in § 8 Abs. 9 wie folgt geregelt:
"... Die Erhöhung wird einen Monat nach Ankündigung wirksam, sofern der Auftraggeber der verlangten Preiserhöhung nicht widerspricht. In diesem Fall hat jede Partei das Recht, den Vertrag mit einer Frist von 2 Monaten zu kündigen."
Am 6. Dezember 2023 stellte die Antragstellerin drei Bieterfragen. In Frage 65 führte sie aus, die Festlegung der Preise in § 8 der Rahmenvereinbarung als Festpreise begründe für den Bieter ein unzumutbares Kalkulationswagnis. Die Preisentwicklung lasse sich kaum vorhersehen, für ein seriöses Angebot müssten daher erhebliche Risikozuschläge einkalkuliert werden, zumal keine Laufzeit bestimmt sei. Die Regelung zur Preisanpassung hätten als Bezugspunkt einen intransparenten Index. Es sollten Preisgleitklauseln oder eine Preisanpassung in Anlehnung an § 3 Nr. 3 VOL/B aufgenommen werden. Auf diese Frage antwortete die Antragsgegnerin, dass § 8 nicht angepasst werde, die Vereinbarung werde die nach § 21 Abs. 6 VgV maximale Laufzeit von vier Jahren haben. Mit Frage 66 wollte die Antragstellerin wissen, ob die in § 8 vorgesehene Zahlung nach Baufortschritt mit einem 35 Prozent Anteil der Schlussrechnung in 30 Prozent Anteil nach Probefahrt und fünf Prozent nach Abarbeitung der Restpunkte aufgesplittete werden könne, was die Antragsgegnerin verneinte. In Frage 67 regte die Antragstellerin eine Verlängerung der in § 7 vorgesehenen Lieferfristen auf 20 Monate für das erste und zusätzliche sechs Monate für das zweite Schiff der Festbestellmenge an, da die Maschinenanlage umfangreiche neue Konstruktionen erfordere. Auch die Lieferung der ersten beiden optionalen Schiffe gleichzeitig in zwölf Monaten nach einem völlig unbestimmten Zeitpunkt der Beauftragung sei nicht realistisch. Viele Komponenten hätten Lieferzeiten von einem Jahr, so dass Schiff Nummer 3 nach 18 Monaten und jedes weitere mit einem Versatz von sechs Monaten geliefert werden könne. Auch diese Frage beantwortete die Antragsgegnerin dahingehend, dass einer Anpassung der Lieferfristen nicht zugestimmt werde.
Die Antragstellerin gab fristgemäß ein ordnungsgemäß verschlossenes Angebot ab, in dem sich auch ein auf den 20. Dezember 2023 datiertes Begleitschreiben befand. In diesem führte sie aus, ihre Preisbindung bestehe nur bis April 2024, da sie der im Rahmenvertrag geforderten zweijährigen Bindung für vier weitere Boote aus wirtschaftlichen Gründen nicht zustimmen könne. Das wirtschaftliche Risiko einer erst nach zwei bis vier Jahren eingehenden Bestellung von vier weiteren Booten könne sie nicht tragen. Eine Preisbindung über zwei Jahre sei auch marktunüblich. Sie biete daher eine Preisstaffel basierend auf einer Inflation von 6,23 Prozent pro Jahr an. Auch die Liefertermine seien nicht realisierbar. Sie biete die Lieferung des ersten Bootes innerhalb von 23 Monaten, des zweiten fünf Monate später, des dritten nach 18 Monaten und jedes weitere mit einem Versatz von vier Monaten an.
Mit Schreiben vom 12. März 2024 informierte die Antragsgegnerin die Antragstellerin gemäß § 134 GWB, dass beabsichtigt sei, den Zuschlag der Beigeladenen zu erteilen. Ihr Angebot werde nach § 57 Abs. 1 Nr. 4 VgV von der Wertung ausgeschlossen, da sie von den Vorgaben der Festpreisbindung und der Lieferfristen abgewichen sei. Mit Anwaltsschreiben vom 19. März 2024 rügte die Antragstellerin die Festpreise sowohl für die Festbestellmenge als auch für die optionale Menge als vergaberechtswidriges ungewöhnliches Wagnis, zumal nicht einmal die Vertragslaufzeit bestimmt sei. Die Preisanpassungsregelung nehme auf einen Index für Schiffe und Wasserfahrzeuge Bezug, die mit den ausgeschriebenen nicht vergleichbar seien. Zudem bestehe kein Anspruch auf Preisanpassung, da der Auftraggeber nicht nur das Recht zum Widerspruch habe, sondern sich auch vom Vertrag lösen könne. Ein weiteres ungewöhnliches Wagnis begründeten die Lieferfristen, insbesondere in Bezug auf die optionalen Boote, für die Kapazitäten freigehalten werden müssten, obwohl der Abruf der Leistung ungewiss sei. Auch die Zahlungsmeilensteine benachteiligten die Bieter unzumutbar, insbesondere, dass die Schlusszahlung erst nach Abarbeitung der Restpunkte erfolge. Im Übrigen sei die Zuschlagsprätendentin auszuschließen, da sich aus deren Bieterfrage Nummer 61 ergebe, dass sie die Forderung nach einem Tiefgang von maximal 1,3 Metern nicht erfülle, und aus Frage 68, dass sie keine ausreichende Kühlung gewährleisten könne. Zudem erfülle seine Referenzleistung dreier Boote der Darss-Klasse für den Zoll die Referenzanforderungen nicht; diese Boote wiesen massive Qualitätsprobleme auf. Auch müsse die Zuschlagsprätendentin die Risiken der Kostensteigerung einfach ausgeblendet haben. Diese Rüge wurde von der Antragsgegnerin am 27. März 2024 zurückgewiesen. Mit der Rüge eines ungewöhnlichen Wagnisses sei die Antragstellerin bereits präkludiert. Dass der Zuschlagsdestinatär die Anforderung der Leistungsbeschreibung einhalte, habe sie von einem unabhängigen Ingenieurbüro prüfen lassen. Auch habe die Beigeladene mehr als die geforderten zwei Referenzen vorgelegt. Anhaltspunkte für eine fehlende Kostendeckung bestünden nicht.
Mit Anwaltsschriftsatz vom 5. April 2024 hat die Antragstellerin die Einleitung eines Nachprüfungsverfahrens beantragt, zu dessen Begründung sie zu den vorstehenden Rügen wiederholt und vertieft hat. Bezüglich Preise und Lieferfristen habe sie eine Rüge im Übrigen bereits mit ihrem Angebotsschreiben vom 20. Dezember 2023 erhoben. Die vermeintliche Bestbieterin sei wegen unzureichender Referenzen auszuschließen. Die Darss-Boote wiesen massive Qualitätsprobleme auf und müssten aufwändig saniert werden. Zudem habe die vermeintliche Bestbieterin gar nicht die erforderlichen Kapazitäten. Es handele sich um eine eher kleine Werft, deren Auftragsliste jetzt schon 18 Boote umfasse.
Die Antragstellerin hat beantragt,
1. das Vergabeverfahren aufzuheben;
2. ihr Akteneinsicht zu gewähren;
3. die Hinzuziehung ihres Verfahrensbevollmächtigten für notwendig zu erklären;
4. der Antragsgegnerin die Kosten des Verfahrens einschließlich der Kosten ihrer zweckentsprechenden Rechtsverfolgung aufzuerlegen.
Die Antragsgegnerin und die mit Beschluss vom 10. April 2024 hinzugezogene Beigeladene haben beantragt,
1. den Nachprüfungsantrag zurückzuweisen;
2. der Antragstellerin die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen. Die Beigeladene hat zusätzlich beantragt,
3. die Hinzuziehung ihres Verfahrensbevollmächtigten für notwendig zu erklären.
Die Antragsgegnerin hat vorgetragen, es fehle schon an der Antragsbefugnis. Zum einen liege kein zuschlagsfähiges Angebot der Antragstellerin vor, zum anderen erstrebe die Antragstellerin auch gar nicht den Zuschlag, sondern die Aufhebung des Verfahrens, worauf ein Bieter ohnehin keinen Anspruch habe. Mit ihrer Rüge eines unzumutbaren Wagnisses sei die Antragstellerin zudem nach § 160 Abs. 3 Nr. 1 und Nr. 3 GWB präkludiert. Dass sie insoweit Kenntnis gehabt habe, zeigten ihre Bieterfragen 65, 66 und 67. Wolle man diese als Rügen ansehen, sei der Nachprüfungsantrag nach § 160 Abs. 3 Nr. 4 GWB verfristet. Das Begleitschreiben vom 20. Dezember 2023 erläutere das Angebot und sei nicht als Rüge zu verstehen gewesen. Zudem werde ein Angebot gemäß § 55 VgV erst nach Ablauf der Angebotsfrist geöffnet, so dass mit einer Kenntnisnahme und damit mit einem Zugang erst nach Fristablauf zu rechnen war. Es sei allerdings auch kein unzumutbares Wagnis gegeben. Der Bieter könne die Risiken eines Festpreises durch Sicherheitszuschläge kompensieren. Dass die Laufzeit vier Jahre betrage, habe sich bereits aus der Bekanntmachung ergeben. Nach zwei Jahren sei zudem eine Preisanpassung möglich. Der Index erfasse neben Schiffen, Booten und Yachten auch Schienen- und Luftfahrzeuge und trage daher der Preisentwicklung für Metalle, Maschinen-, Elektro- und Elektronikbauteilen sowie Löhnen Rechnung. Im Falle eines Widerspruchs des Auftraggebers gegen eine Preisanpassung könne sich der Bieter vom Vertrag lösen. Unsicherheiten bei den Lieferfristen seien Rahmenvereinbarung immanent, die Zahlungsmeilensteine seien verhältnismäßig. Bedenken in Bezug auf die Zuschlagsdestinatärin bestünden nicht. Ihr Angebot sei in technischer Hinsicht überprüft worden. Die Beigeladene habe auch die geforderten Referenzen vorgelegt. Qualitätsmängel der Darss-Boote müsse sie mit Nichtwissen bestreiten. Der Umsatz lasse Zweifel an ihrer Kapazität nicht aufkommen, es handele sich gerade nicht um eine eher kleine Werft.
Die Beigeladene hat ergänzend vorgetragen, die Lieferzeiten für Komponenten wie Motoren oder Elektronik lägen bei sechs Monaten. Ihre Eignung habe sie durch ihre Referenzen nachgewiesen; auch die erforderlichen Kapazitäten seien gegeben.
Die Vergabekammer hat den Nachprüfungsantrag der Antragstellerin mit Beschluss vom 8. Mai 2024 zurückgewiesen. Der Antrag sei bereits unzulässig, soweit er sich gegen die Bedingungen der Vergabe wende. Zwar sei die Antragstellerin trotz des Ausschlusses ihres Angebots antragsbefugt, da sie grundlegende Fehler des Vergabeverfahrens geltend mache, bei deren Bestehen das Vergabeverfahren neu beginnen müsste. Diese Fehler habe die Antragstellerin auch vor Ablauf der Angebotsfrist gerügt. Ihre Bieterfragen 65 bis 67 könnten - auch wenn grundsätzlich zwischen Bieterfragen und Rügen zu differenzieren sei - als Rügen verstanden werden, da die Antragstellerin nicht nur auf die Probleme hingewiesen, sondern ganz konkret Abänderung verlangt habe. Allerdings habe es die Antragstellerin versäumt, nach § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 GWB innerhalb vom 15 Kalendertagen nach Ablehnung der begehrten Änderungen einen Nachprüfungsantrag zu stellen, weshalb der vorliegende Antrag verfristet sei.
Sehe man die Bieterfragen hingegen nicht als Rügen an, sei die Antragstellerin mit diesen Beanstandungen nach § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 GWB präkludiert, da ihre Fragen zeigten, dass sie die Problematik in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht erkannt habe. Im Übrigen gehöre es zum allgemeinen Bieterwissen, dass ein Vergaberechtsverstoß vorliege, wenn anhand der Vergabeunterlagen eine kaufmännische vernünftige Kalkulation nicht möglich ist. Das Begleitschreiben zum Angebot sei keine ordnungsgemäße Rüge vor Ablauf der Angebotsfrist, da das Angebot bestimmungsgemäß nach § 55 Abs. 1 VgV erst nach Fristablauf geöffnet werde. Soweit sich die Antragstellerin gegen die Eignung der Beigeladenen wende und deren Leistungsfähigkeit bezweifele, sei ihr Antrag zwar zulässig, aber unbegründet. Die Beigeladene habe mehrere Referenzen benannt; die für den Zoll hergestellten Darss-Boote seien nicht darunter, deren Qualitätsprobleme seien bestritten. Auch habe die Antragsgegnerin das Angebot der Beigeladenen auf Einhaltung der Leistungsanforderung gutachterlich prüfen lassen. Der Vorwurf fehlender Kapazitäten sei nicht nachvollziehbar.
Gegen diese Entscheidung hat die Antragstellerin fristgerecht sofortige Beschwerde eingelegt. Ihr Nachprüfungsantrag sei nicht nach § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 GWB verfristet. Die Antworten der Antragsgegnerin auf ihre Bieterfragen, die die Vergabekammer als Rügen gewertet habe, genügten den Anforderungen an eine fristauslösende Nichtabhilfemitteilung nicht. Ein solcher müsse unmissverständlich zu entnehmen sein, dass der Auftraggeber keinesfalls beabsichtige, der Rüge abzuhelfen; es bedürfe einer klaren Aussage. Zudem habe es an der erforderlichen Information über die Rechtsbehelfsfrist nach § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 GWB gefehlt. In der Bekanntmachung werde lediglich auf "die Möglichkeit" hingewiesen, innerhalb von 15 Kalendertagen einen Nachprüfungsantrag zu stellen. Erforderlich gewesen sei hingegen eine unmissverständliche Formulierung wie "ist ... zu stellen" oder "muss ... gestellt werden". Doch selbst wenn insoweit eine Verfristung bejaht werden sollte, fehle es jedenfalls an einer fristauslösenden Kenntnis vom Nichtbestehen eines Anspruchs auf Preisanpassung. Die Regelung in § 8 Abs. 9 des Rahmenvertrags sei höchst widersprüchlich und für einen juristischen Laien nicht einzuschätzen. So bleibe unklar, weshalb der Auftraggeber ein Kündigungsrecht haben solle, wenn er der Erhöhung nicht widerspreche. Fraglich sei auch, ob die Regelung überhaupt auslegungsfähig und nicht insgesamt unwirksam sei, mit der Wirkung, dass dann überhaupt keine Preisanpassung wirksam vereinbart wäre. In der Sache begründe die Vorgabe von Festpreisen ein unzumutbares Kalkulationswagnis, da jedenfalls die Kosten der optionalen Boote, deren Bestellung lediglich innerhalb der nicht festgelegten Vertragslaufzeit erfolgen könne, aufgrund der hohen Dynamik der Preisentwicklung nicht kalkulierbar seien. Der für Preisanpassungen herangezogene Index sei mangels Vergleichbarkeit der dort aufgeführten Schiffe untauglich und hinke der Entwicklung zwangsläufig hinterher. Zudem sei der Anspruch wegen des im insgesamt unklaren § 8 Abs. 9 des Vertragsentwurfs des Rahmenvertragsentwurfs geregelten Widerspruchsrechts nicht durchsetzbar.
Nach dem Wortlaut bestehe in diesem Fall nicht einmal ein Kündigungsrecht des Auftragnehmers. Die Preisanpassung stehe folglich im Belieben der Antragsgegnerin. Faktisch handele es sich nur um eine Möglichkeit ein Angebot auf Abschluss einer Vertragsänderung abzugeben. Aber auch ein Sonderkündigungsrecht des Auftragnehmers für den Fall des Widerspruchs gleiche die Risiken nicht aus, weil bis dahin die Leistungsbereitschaft aufrecht zu erhalten sei. Auch die Liefertermine begründeten ein unzumutbares Kalkulationswagnis, da feste Lieferfristen bestimmt seien und in Abhängigkeit von der Bestellung alle sechs Boote parallel hergestellt werden müssten. Ein Großteil der Einzelkomponenten habe erhebliche Lieferzeiten, wobei die Preise der Zulieferer zugleich nur für kurze Zeiten gültig seien. Gerade vor dem Hintergrund der sehr unterschiedlichen Kostenstrukturen, insbesondere der Lohnkosten, in den unterschiedlichen EU-Staaten, wirke sich dies gravierend aus. Letztendlich sei auch ein abschließender Zahlungsmeilenstein von 30 Prozent unangemessen. Auch habe sie mit ihrem am 6. Mai 2024 übersandten Schriftsatz einen weiteren Vergabefehler eingeführt, den die Vergabekammer zu Unrecht nicht berücksichtigt habe. So habe die Antragsgegnerin in der mündlichen Verhandlung am 2. Mai 2024 eingeräumt, die optionale Ausschreibung der Boote drei bis sechs sei allein deshalb erfolgt, weil deren Finanzierung haushälterisch nicht gesichert sei. Vor diesem Hintergrund sei die Ausschreibung einer Rahmenvereinbarung missbräuchlich, weil insoweit keine Ausschreibungsreife gegeben gewesen sei.
Die Antragstellerin beantragt,
1. den Beschluss der 2. Vergabekammer des Bundes VK 2-35/24 vom 8. Mai 2024 aufzuheben;
2. das Vergabeverfahren aufzuheben;
3. die Hinzuziehung ihres Verfahrensbevollmächtigten im Verfahren vor der Vergabekammer für notwendig zu erklären;
4. der Antragsgegnerin die Kosten des Verfahrens vor der Vergabekammer einschließlich der Kosten ihrer zweckentsprechenden Rechtsverfolgung sowie die Kosten des Beschwerdeverfahrens aufzuerlegen.
Die Antragsgegnerin und die Beigeladene beantragen,
die sofortige Beschwerde zurückzuweisen.
Die Antragsgegnerin trägt vor, der Antragstellerin fehle bereits die Antragsbefugnis. Ein Bieter habe keinen Anspruch auf Aufhebung des Vergabeverfahrens, dies zu entscheiden sei allein Sache des Auftraggebers. Zudem habe kein bezuschlagungsfähiges Angebot der Antragstellerin vorgelegen. Der Nachprüfungsantrag sei auch nach § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 GWB verfristet. Deutlicher als ihr Nein auf die Bieterfragen 65 bis 67 könne eine Antwort nicht sein. Eine bestimmte Form sei für die Nichtabhilfemitteilung nicht vorgesehen. Die Rechtsbehelfsbelehrung sei korrekt gewesen. Sie habe die Bieter richtigerweise informiert, dass bei Nichtabhilfe die Möglichkeit zur Stellung eines Antrags auf Nachprüfung binnen 15 Tagen bestehe. Ein "Muss" wäre hier verfehlt gewesen, denn der Bieter müsse keine kostenträchtigen Rechtsmittel einlegen. Die Beanstandung eines unzumutbaren Wagnisses sei auch in der Sache unbegründet. Die Ausschreibung eines Festpreises für zwei Jahre mit anschließender Möglichkeit der Preisanpassung trage den Interessen der Bieter und des Auftraggebers Rechnung. Dabei sei die Anbindung an den Index für Sonstige Fahrzeuge, der auch Schiffe und Yachten erfasse, sachgerecht für Standardprodukte wie vorliegend ausgeschriebenen Boote. Die Lieferbedingungen seien nicht unzumutbar. Die Frist von 18 Monaten für die ersten beiden Boote berücksichtige den Konstruktionsaufwand. Die folgende Frist von zwölf Monaten sei begrenzt auf den gleichzeitigen Bau von maximal zwei Booten. Soweit die Antragstellerin nachterminlich eine missbräuchliche Wahl der Rahmenvereinbarung beanstandet habe, sei dies zu Recht nach § 296 Abs. 2 ZPO unberücksichtigt geblieben. Im Übrigen begründe die fehlende Finanzierung der optionalen Boote keine missbräuchliche Wahl der Rahmenvereinbarung. Die finanzielle Vergabereife für die Festbestellmenge sei gegeben gewesen.
Die Beigeladene trägt ergänzend vor, eine Antragsbefugnis der Antragstellerin sei auch deswegen nicht gegeben, weil es sich bei den angeblichen Rechtsverstößen in den §§ 7 und 8 der Rahmenvereinbarung um zivilrechtliche Fragen und nicht um die Geltendmachung einer Verletzung bieterschützender Vergabevorschriften im Sinne von § 97 Abs. 6 GWB handele. Jedenfalls aber sei die Antragstellerin mit diesen Beanstandungen nach § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 GWB präkludiert, weil sie diese nicht bis zur Angebotsabgabe gerügt habe. Die Bieterfragen seien keine Rügen, zeigten aber die Erkennbarkeit der Beanstandungen.
Der Senat hat im Rahmen der mündlichen Verhandlung die Mitarbeiter Reinhardt und Simon der Antragsgegnerin befragt. Diese haben übereinstimmend erklärt, es sei lediglich die Finanzierung der Festbestellmenge gesichert, die Gelder für die optionalen Boote müssten noch eingeworben werden. In der anschließenden Erörterung der Sach- und Rechtslage mit den Parteien hat der Senat Bedenken im Hinblick auf die Ausschreibung der Rahmenvereinbarung geäußert.
Mit nachterminlichen Schriftsätzen vom 21. August 2024 haben die Antragsgegnerin und Beigeladene hierzu ergänzend vorgetragen. Die Antragsgegnerin hat ausgeführt, ihrer Auffassung nach genüge bei der Ausschreibung einer Rahmenvereinbarung für die Vergabereife eine Sicherung der Finanzierung der Mindestbestellmenge; insoweit hat sie "die Zulassung der Revision zum Bundesgerichtshof" angeregt. Eine Sicherung der Finanzierung für die optional abrufbare Menge weit vor dem Einzelabruf sei haushaltsrechtlich unzulässig. Nach § 6 BHO seien bei der Aufstellung des Haushaltsplans nur die Ausgaben und Verpflichtungsermächtigungen zu berücksichtigen, die zur Erfüllung der Aufgaben des Bundes notwendig seien. Dabei seien Verpflichtungsermächtigungen nach dem Erlass des Bundesfinanzministeriums vom 7. Februar 2024, II A2-H 1200123110033:0011 nur zulässig, wenn die Verpflichtungen rechtsverbindlich eingegangen würden. Diese entstünden jedoch erst mit dem Einzelabruf. Das Verlangen nach einer Mittelbindung über die etwaige Festbestellmenge hinaus nehme der Rahmenvereinbarung die bezweckte Flexibilität und könne auch den zum Missbrauch dieses Instruments ergangenen Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union nicht entnommen werden.
Die Beigeladene hat ergänzend vorgetragen, dass die Finanzierung des gesamten Auftragsvolumens einer Rahmenvereinbarung gesichert sein müsse, sei weder gesetzlich vorgesehen noch ergebe es sich aus den Anforderungen der Rechtsprechung. Vergabereife erfordere nur eine Sicherung des Leistungsbeginns, weshalb die finanzielle Absicherung der Festbestellmenge ausreiche. Die Rahmenvereinbarung sei auch noch nicht der öffentliche Auftrag, dies sei erst der Einzelabruf, weshalb auch nur die Finanzierung des konkret anstehend Abrufs gesichert sein müsse. Für den Bieter ändere die Finanzierung des gesamten Volumens auch nichts, da er für optionale Bestellmenge auch dann das Verwendungsrisiko trage. Hierauf müssten sich alle Bieter einstellen, weshalb auch keine Behinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs gegeben sei. Würde gleich eine Finanzierung des gesamten Auftragsvolumens verlangt, begründe dies eine unzumutbare Einschränkung der Antragsgegnerin, die mit erheblichen Mehrkosten wiederholt ausschreiben müsste und so keine einheitliche Flotte beschaffen könne. Die Forderung nach einer gesicherten Finanzierung für das gesamte Auftragsvolumen lasse sich auch nicht aus der Vergaberichtlinie 2014124/EU herleiten, jedenfalls aber bedürfe es insoweit einer Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union.
II.
Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin ist zulässig, in der Sache hat sie den aus dem Tenor ersichtlichen Teilerfolg.
1. Die Beschwerde ist zulässig. Sie ist form- und fristgerecht eingereicht. Die erforderliche Beschwer der Antragstellerin ist nach § 171 Abs. 1 Satz 2 GWB gegeben, weil sie am Verfahren vor der Vergabekammer beteiligt war und die Vergabekammer ihren ursprünglichen Nachprüfungsantrag - soweit noch beschwerdegegenständlich - als unzulässig verworfen hat.
2. In der Sache hat die Beschwerde insoweit Erfolg, als sich die Antragstellerin gegen eine missbräuchliche oder wettbewerbsbeeinträchtigende Anwendung der Rahmenvereinbarung wendet. Soweit die Antragstellerin geltend macht, eine kaufmännisch vernünftige Kalkulation sei ihr in Anbetracht der vertraglichen Regelungen in §§ 7 und 8 des Vertragsentwurfs nicht möglich, ist ihr Nachprüfungsantrag unzulässig.
a) Der Nachprüfungsantrag der Antragstellerin ist nur teilweise zulässig.
aa) Zutreffend hat die Vergabekammer die nach § 160 Abs. 2 GWB erforderliche Antragsbefugnis bejaht.
Der Antragstellerin kann das erforderliche Interesse am Auftrag nicht abgesprochen werden, auch wenn sie den Ausschluss ihres Angebots nach § 57 Abs. 1 Nr. 4 VgV hingenommen hat. Der erstrebte Auftrag darf nicht mit dem Zuschlag im streitgegenständlichen, als vergaberechtswidrig gerügten Vergabeverfahren gleichgesetzt werden (Dicks/Schnabel in Ziekow/Völlink, Vergaberecht, 5. Aufl. 2024, GWB § 160 Rn. 10), sondern ist durch den konkreten Beschaffungsbedarf bestimmt. Denn es ist die tatsächliche Erteilung des Auftrags, welche die Vermögenslage von Bietern beeinflusst, nicht der Umstand, in welchem Vergabeverfahren sie erfolgt (BGH, Beschluss vom 10. November 2009, X ZB 8/09, BeckRS 2009, 87528 Rn. 32). Von daher ist das erforderliche Interesse beim Antragsteller auch dann gegeben, wenn er auf die Aufhebung des vorliegenden Vergabeverfahren und die Chance zu einem verbesserten Angebot in einem neuen Vergabeverfahren spekuliert. Macht der Antragsteller - wie hier - Vergaberechtsfehler geltend, aufgrund derer das eingeleitete Vergabeverfahren nicht durch Zuschlag beendet werden darf, ist regelmäßig auch das Schadenserfordernis des § 160 Abs. 2 Satz 2 GWB erfüllt (BGH, Beschluss vom 10. November 2009, X ZB 8/09, BeckRS 2009, 87528 Rn. 31), weil er dann im Fall eines ordnungsgemäßen (neuerlichen) Vergabeverfahrens bessere Chancen auf den Zuschlag haben könnte als in dem beanstandeten Verfahren (BGH, Beschluss vom 10. November 2009, X ZB 8/09, BeckRS 2009, 87528 Rn. 32). Dabei genügt es, dass zur Bedarfsdeckung eine Neuausschreibung in Betracht kommt und es möglich erscheint, dass der Antragsteller ohne den behaupteten Vergaberechtsverstoß den Bedarf gegen Entgelt befriedigen kann (BGH, Beschluss vom 10. November 2009, X ZB 8/09, BeckRS 2009, 87528 Rn. 32).
Die Antragstellerin macht auch eine Verletzung in ihren Rechten durch die Nichtbeachtung von Vergabevorschriften geltend. Vertragsklauseln werden von den Vergabenachprüfungsinstanzen zwar nicht auf ihre zivilrechtliche Wirksamkeit geprüft, da sie keine Bestimmungen über das Vergabeverfahren i.S.d. § 97 Abs. 6 GWB sind. Sie können jedoch zum Gegenstand eines Vergabenachprüfungsverfahrens gemacht werden, wenn es eine vergaberechtliche Anknüpfungsnorm gibt, die im Nachprüfungsverfahren entscheidungsrelevant ist (Senatsbeschlüsse vom 28. September 2022, VII-Verg 2/22, BeckRS 2022, 57527 Rn. 50, und vom 6. September 2017, VII-Verg 9/17, BeckRS 2017, 150181 Rn. 47). Eine solche Anknüpfungsnorm war das in § 8 Abs. 3 VOL/A 2006 normierte Verbot, dem Auftragnehmer ein ungewöhnliches Wagnis aufzubürden für Umstände und Ereignisse, auf die er keinen Einfluss hat und deren Einwirkung auf die Preise und Fristen er nicht im Voraus schätzen kann. Nach dem Wegfall dieses Verbots können Vertragsklauseln nur noch unter dem Gesichtspunkt der Unzumutbarkeit einer für den Bieter oder Auftragnehmer kaufmännisch vernünftigen Kalkulation beanstandet werden (Senatsbeschluss vom 6. September 2017, VII-Verg 9/17, BeckRS 2017, 150181 Rn. 48), weil dann die Vergabeunterlagen unzumutbare Anforderungen (Wagnisse) begründen (Senatsbeschluss vom 21. Oktober 2015, VII-Verg 28/14), wobei hier dahinstehen kann, ob dies aus dem Rechtsgedanken von Treu und Glauben oder dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz herzuleiten ist (Senatsbeschluss vom 28. September 2022, VII-Verg 2/22, BeckRS 2022, 57527 Rn. 51). Genau dies macht die Antragstellerin vorliegend in Bezug auf die Regelungen in §§ 7 und 8 des Vertragsentwurfs geltend. Dies gilt auch, soweit sie die Preisanpassungsregelung in § 8 Abs. 9 des Rahmenvertrags für in ihrer vertraglichen Reichweite unklar und wegen unter Umständen fehlender Auslegungsfähig für möglichweise insgesamt unwirksam erachtet, da die Frage, ob dem Bieter eine kaufmännisch vernünftige Kalkulation möglich ist oder ein unzumutbares Wagnis aufgebürdet wird, eine umfassende Interessenabwägung erfordert, bei der es auf die Frage der Wirksamkeit der Preisanpassungsregelung ankommen könnte.
bb) Soweit die Antragstellerin geltend macht, eine kaufmännisch vernünftige Kalkulation sei aufgrund der vertraglich vorgesehenen Festpreis- und Preisanpassungsregelungen unzumutbar, ist ihr Nachprüfungsantrag gemäß § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 unzulässig (siehe unter (1)). Im Hinblick auf die als unzumutbar beanstandeten Liefertermine und Zahlungsmeilensteine liegt eine Rügepräklusion gemäß § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 und 3 GWB vor (siehe unter (2)). Von einer Rügepräklusion gemäß § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 GWB ist auszugehen, soweit die Antragstellerin die Regelungen in § 8 Abs. 9-12 des Vertragsentwurfs zum Preisanpassungsanspruch und Kündigungsrecht als widersprüchlich kritisiert (siehe unter (3)).
(1) Die Antragstellerin ist mit ihrem Vorbringen, eine kaufmännisch vernünftige Kalkulation sei aufgrund der vertraglich vorgesehenen Festpreisregelung und der intransparenten Preisanpassungsregelung in § 8 Abs. 7-12 des Vertragsentwurfs unzumutbar, nach § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 GWB präkludiert. Der Nachprüfungsantrag ist nicht rechtzeitig erhoben worden.
Nach § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 GWB ist ein Nachprüfungsantrag unzulässig, soweit mehr als 15 Kalendertage nach Eingang der Mitteilung des Auftraggebers, einer Rüge nicht abhelfen zu wollen, vergangen sind. Dies ist vorliegend der Fall. Die Antragstellerin hat erst mit Schriftsatz vom 5. April 2024 Nachprüfung beantragt, obwohl die Nichtabhilfe des mit Bieterfrage 65 vom 6. Dezember 2023 gerügten Vergaberechtsverstoßes bereits am 11. Dezember 2023 durch die Antwort der Antragsgegnerin auf die Bieterfrage erfolgt ist.
(a) Der Inhalt der Bieterfrage 65 ist als Rüge eines Vergaberechtsverstoßes zu verstehen.
Grundsätzlich sind Bieterfragen keine Rügen. Bieterfragen dienen einem anderen Zweck, nämlich - wie Fragen allgemein - dem Verständnis, also der Aufklärung des Inhalts der Vergabeunterlagen. Durch eine Bieterfrage will das an der Ausschreibung interessierte Unternehmen Klarheit darüber gewinnen, was der öffentliche Auftraggeber fordert. Von den Antworten des öffentlichen Auftraggebers erwartet es eine Auslegungshilfe zu den Vergabeunterlagen, die je nach ihrem Inhalt dann eine Rügeobliegenheit nach § 160 Abs. 3 Nr. 3 GWB begründen kann (OLG Frankfurt, Beschluss vom 23. Dezember 2021, 11 Verg 6/21 ZfBR 2022, 295, 298; Senatsbeschluss vom 22. Januar 2024, VII-Verg 14/23). Auch wenn an den Inhalt einer Rüge keine allzu strengen Anforderungen zu stellen sind, setzt eine ordnungsgemäße Rüge doch eine konkrete und deutliche vergaberechtliche Beanstandung voraus, so dass der öffentliche Auftraggeber erkennen kann, um welchen konkreten Verstoß es sich handelt, und dass von ihm die Beseitigung dieses Vergaberechtsfehlers verlangt wird (Senatsbeschluss vom 12. Februar 2020, VII-Verg 24/19 - Schachtförderanlage Konrad 2). Von daher stellen allgemeine Fragen und Hinweise, Kritik oder Unverständnis genauso wenig eine ausreichende Rüge dar, wie die Ankündigung, man werde das nicht hinnehmen. Zudem muss deutlich werden, dass das Unternehmen nicht nur eine Anregung zur Optimierung des Vergabeverfahrens geben will, sondern ein vom Auftraggeber zu beseitigender Rechtsfehler geltend gemacht wird.
Entscheidend ist, dass der Bieter objektiv gegenüber dem Auftraggeber deutlich macht, in welchem Punkt und aus welchem Grund er das Vorgehen des Auftraggebers für fehlerhaft hält und dass er eine Korrektur des Fehlers in seinem Sinne erreichen will (Senatsbeschluss vom 12. Februar 2020, VII-Verg 24/19 - Schachtförderanlage Konrad 2). Es muss folglich hinreichend deutlich werden, welches konkrete Tun oder Unterlassen der Vergabestelle für rechtswidrig erachtet wird und es muss klar sein, dass es sich um eine Beanstandung handelt und nicht lediglich um Bieterfragen (Eiermann, Primärrechtsschutz gegen öffentliche Auftraggeber bei europaweiten Ausschreibungen durch Vergabenachprüfungsverfahren). Dies ist vorliegend der Fall. Trotz der Bezeichnung als Bieterfrage hat die Antragstellerin einen konkreten Vergaberechtsverstoß benannt. Ihrer Meinung nach begründet die vertragliche Festpreisregelung ein unzumutbares Kalkulationswagnis, da der aktuelle Preissteigerungsindex 6,5 Prozent betrage. Die vorgesehenen Regelungen zur Preisanpassung seien unzureichend. Der in Bezug genommene Index sei intransparent, er spiegele nicht ihre Kalkulationsgrundlagen wider. Dabei hat die Antragstellerin mit den Worten "Wird die Festpreisregelung entsprechend angepasst" unmissverständlich Abhilfe von der Antragsgegnerin gefordert.
(b) Die Nichtabhhilfeentscheidung der Antragsgegnerin datiert vom 11. Dezember 2023. Die Antwort der Antragsgegnerin "Nein, die in § 8 der Rahmenvereinbarung vorgesehen Regelungen werden nicht angepasst" musste die Antragstellerin als Mitteilung verstehen, der Rüge nicht abhelfen zu wollen. Eine eindeutigere Zurückweisung als ein knappes "Nein, ... wird nicht angepasst" ist kaum möglich.
(c) Die relevante 15 Tage-Frist ist auch in Gang gesetzt worden. Die Rechtsmittelbelehrung der Antragsgegnerin in Ziffer IV.4.3. der Bekanntmachung ist nicht zu beanstanden. Die gewählte Formulierung, im Falle der Mitteilung, der Rüge nicht abhelfen zu wollen, bestehe "die Möglichkeit, innerhalb von 15 Tagen nach Eingang der Mitteilung, einen Antrag auf Nachprüfung bei der Vergabekammer zu stellen (§ 160 Abs. 3 S. 1 Nr. 4 GWB)", ist korrekt. Demzufolge besteht die Möglichkeit eben nur innerhalb von 15 Tagen, danach besteht dementsprechend die Möglichkeit nicht mehr. Eine Formulierung wie "ist ... zu stellen" oder "muss ... gestellt werden" wäre hingegen verfehlt, da der Bieter zwar die Möglichkeit hat, gegen eine Nichtabhilfe vorzugehen, hierzu jedoch gerade nicht verpflichtet ist.
(2) Soweit die Antragstellerin die im Vertragsentwurf vorgesehenen Liefertermine (§ 7) und Zahlungsmeilensteine (§ 8 Abs. 4) als unzumutbar beanstandet, ist gemäß § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GWB Rügepräklusion eingetreten. Es fehlt an einer rechtzeitigen Rüge der Antragstellerin.
Gemäß § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GWB ist der Nachprüfungsantrag unzulässig, soweit der Antragsteller einen Verstoß gegen Vergabevorschriften vor Einreichen des Nachprüfungsantrags erkannt und gegenüber dem Auftraggeber nicht innerhalb einer Frist von zehn Kalendertagen gerügt hat. Die Rügeobliegenheit wird ausgelöst, wenn der Antragsteller eine feststellbare und im Streitfall vom öffentlichen Auftraggeber nachzuweisende positive Kenntnis von den einen Vergaberechtsverstoß begründenden tatsächlichen Umständen hat. Darüber hinaus muss er aufgrund laienhafter, vernünftiger Bewertung zugleich die positive Vorstellung von einem Verstoß gegen Vergabevorschriften gewonnen haben (BGH, Beschluss vom 26. September 2006, X ZB 14/06; Senatsbeschluss vom 19. Februar 2020, VII-Verg 27/17, BeckRS 2020, 8810 Rn. 24; OLG Frankfurt a. M., Beschluss vom 23. Juni 2020, 11 Verg 2/20, BeckRS 2020, 37626; Dicks/Schnabel in Ziekow/Völlink, Vergaberecht, 5. Auflage 2024, § 160 GWB Rn. 40). Nicht erforderlich ist die Kenntnis eines völlig zweifelsfreien und in jeder Beziehung sicher nachweisbaren Vergaberechtsfehlers, da für die Rügeobliegenheit nicht erheblich ist, ob ein Vergaberechtsverstoß tatsächlich vorliegt. Es reicht vielmehr schon das Wissen um einen Sachverhalt, der den Schluss auf einen Vergaberechtsverstoß erlaubt (Senatsbeschlüsse vom 19. Februar 2020, VII-Verg 27/17, BeckRS 2020, 8810 Rn. 24, und vom 15. Januar 2020, VII-Verg 20/19; OLG Celle, Beschluss vom 7. Juli 2022, 13 Verg 4/22). Diese Voraussetzungen sind erfüllt.
(a) Die Antragstellerin hat den Verstoß gegen Vergabevorschriften bereits vor Einreichung des Nachprüfungsantrags erkannt, wie sich aus dem Inhalt der Bieterfragen 66 und 67 ergibt.
Insoweit ist ausreichend, dass die Antragstellerin die diesbezüglichen Anforderungen als in einem Vergabeverfahren für den Bieter unzumutbar erachtet hat. Dies gilt auch für die mit der Bieterfrage 67 beanstandeten Lieferfristen, wo sie ausführt, sie sehe eine Lieferung von zwei Schiffen 18 Monate nach Zuschlag als nicht möglich an, da der Konstruktionsvorlauf nicht ausreiche. Dass das Verlangen einer unmöglichen Leistung eine auch vergaberechtlich unzumutbare Anforderung darstellt, ist auch für den juristischen Laien klar. Dass Unmögliches nicht verlangt werden kann, gehört zum kaufmännischen Allgemeinwissen. Gleiches gilt für ihr Vorbringen, die Lieferung der optionalen Schiffe in zwölf Monaten ab dem unbestimmten Zeitpunkt der Bestellung sei nicht realistisch, weil das notwendige Material erst mit der Beauftragung bestellt werden könne und die Lieferfristen für einige Komponenten wie Generatoren über ein Jahr betrügen. Auch von der Fälligkeit der Schlussrechnung über 30 Prozent erst nach Abarbeitung aller Restpunkte, nach § 8 Abs. 4 der Rahmenvereinbarung hatte die Antragstellerin ausweislich ihrer Bieterfrage 66 Kenntnis. Soweit dort die Schlussrechnung mit 35 Prozent ausgewiesen ist, ist dies unschädlich, weil ihr damit ihr diesbezügliches Anliegen nur um so gewichtiger erscheinen musste. Dabei zeigt ihr Anliegen, diese Zahlung in einen 30-prozentigen Anteil nach Übergabe und fünf Prozent nach Abarbeitung der Restpunkte aufzuteilen, dass sie die vorgesehene Aufteilung als für sie als Bieter unzumutbar benachteiligend erachtet hat.
(b) Innerhalb der Frist von 10 Kalendertagen ist eine Rüge der Antragstellerin nicht erfolgt.
(aa) Anders als die Vergabekammer angenommen hat, erfüllt der Inhalt der Bieterfragen 66 und 67 die an eine Rüge zu stellenden Anforderungen nicht. Die Antragstellerin übt zwar Kritik an der Ausgestaltung der Vergabeunterlagen. Diese ist aber verbunden mit der Anregung, die in Rede stehenden Regelungen anders zu gestalten. So hat die Antragstellerin in Frage 66 nach Wiedergabe der vertraglichen Regelung zu den Zahlungsmodalitäten ausgeführt, sie wolle "fragen, ob es möglich" sei, die Schlussrechnung so in zwei Positionen aufzusplittern, so dass der größere Teil bereits nach Übergabe und nur fünf Prozent erst nach Abarbeitung der Restpunkte fällig sei. Die Frage schließt mit den Worten "Würden Sie dieser Splittung ... zustimmen?". Dies konnte die Antragsgegnerin lediglich als höfliche Anregung verstehen, nicht jedoch als unmissverständliche Beanstandung der Regelung, die von der Antragstellerin so nicht hingenommen werde. Gleiches gilt für die Frage 67. Dort hat die Antragstellerin zwar ausgeführt, sie sehe eine Lieferung der ersten beiden Schiffe innerhalb von 18 Monaten wegen des konstruktiven Aufwands als nicht möglich und der weiteren Schiffe in zwölf Monaten wegen der Lieferzeiten als nicht realistisch an. Sie schließt jedoch mit den expliziten Fragen, ob sie das erste Schiff nicht nach 20 Monaten und das dritte nach 18 Monaten abliefern könne. Auch dies konnte die Antragsgegnerin folglich noch als bloße Anregung verstehen. Die Antragstellerin hat ihre Bieterfragen im Übrigen auch selbst nicht als Rügen angesehen, sondern nach Erhalt der Mitteilung nach § 134 GWB mit Anwaltsschreiben vom 19. März 2024 ein unzumutbares Wagnis mit Blick auf Schwierigkeiten bei Kalkulation und Lieferterminen sowie die Ausgestaltung der Zahlungsmeilensteine gerügt, ohne dabei die Auffassung zu vertreten, diese Aspekte bereits mit ihren Bieterfragen gerügt zu haben.
(bb) Ihrer Rügeobliegenheit ist die Antragstellerin nicht mit ihrem Begleitschreiben zum Angebot vom 20. Dezember 2023 nachgekommen. Den diesbezüglichen Ausführungen der Vergabekammer (Beschluss Seite 20) ist nichts hinzuzufügen.
(c) Eine Rüge war auch nicht nach den Grundsätzen von Treu und Glauben (§ 242 BGB) ausnahmsweise entbehrlich (Senatsbeschluss vom 14. Dezember 2022, VII-Verg 11/22). Eine Rüge kann zwar im Einzelfall entbehrlich sein, wenn der Bieter nach den Umständen davon ausgehen muss, dass sie offensichtlich aussichtslos ist, weil der öffentliche Auftraggeber vor Einleitung des Vergabenachprüfungsverfahrens eindeutig zu erkennen gibt, dass er unumstößlich an seiner Entscheidung festhält und auch auf eine Rüge unter keinen Umständen von seiner Entscheidung abrücken wird (st. Rspr., zuletzt Senatsbeschluss vom 14. Dezember 2022, VII-Verg 11/22). Der Grundsatz von Treu und Glauben schützt seinem Wesen nach aber nur berechtigtes Vertrauen, der Bieter muss darauf vertraut haben, dass eine Rüge offensichtlich aussichtslos ist und dieses Vertrauen muss aufgrund der Umstände berechtigt gewesen sein. Vorliegend fehlt es bereits am Vertrauen der Antragstellerin in die Aussichtlosigkeit einer Rüge, wie ihre Rüge mit Anwaltsschreiben vom 29. März 2024 zeigt. Hätte die Antragstellerin eine Rüge nach den Bieterfragen für aussichtslos erachtet, hätte sie gleich einen Nachprüfungsantrag gestellt und nicht nach Erhalt der Mitteilung nach § 134 mit Anwaltsschreiben vom 19. März 2024 zunächst ein unzumutbares Wagnis mit Blick auf Schwierigkeiten bei Kalkulation und Lieferterminen sowie die Ausgestaltung der Zahlungsmeilensteine gerügt.
(3) Soweit die Antragstellerin in der Beschwerdeschrift erstmals die Regelungen in § 8 Abs. 9-12 des Vertragsentwurfs zum Preisanpassungsanspruch und Kündigungsrecht als widersprüchlich, ggfls. unwirksam oder unklar kritisiert und geltend macht, ein hierauf gestützter Vergaberechtsverstoß sei nicht erkennbar im Sinne von § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 GWB, weshalb keine Rügepräklusion vorliege, ist dem nicht zu folgen.
Nach § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 GWB müssen Verstöße gegen Vergabevorschriften, die in den Vergabeunterlagen erkennbar sind, spätestens bis zum Ablauf der Frist zur Bewerbung oder zur Angebotsabgabe gegenüber dem Auftraggeber gerügt werden. Die Erkennbarkeit eines Verstoßes gegen Vergabevorschriften ist objektiv zu bestimmen. Eine die Rügeobliegenheit auslösende Erkennbarkeit eines Verstoßes gegen Vergabevorschriften ist - immer bezogen auf den konkreten Einzelfall - zu bejahen, wenn der Verstoß von einem durchschnittlich fachkundigen Bieter des angesprochenen Bieterkreises bei üblicher Sorgfalt und üblichen Kenntnissen erkannt werden kann (Senatsbeschlüsse vom 3. April 2019, VII-Verg 49/18; vom 26. Juli 2018, VII-Verg 23/18; vom 28. März 2018, VII-Verg 54/17, und vom 15. Januar 2020, VII-Verg 20/19, BeckRS 2020, 1327 Rn. 37). Dabei muss sich die Erkennbarkeit sowohl auf die den Verstoß begründenden Tatsachen als auch auf deren rechtliche Beurteilung beziehen (vgl. Dicks in Ziekow/Völlink, Vergaberecht, 4. Aufl. 2020, § 160 Rn. 49). Im Hinblick auf Vergabeunterlagen wird damit als Voraussetzung einer Rügepräklusion gefordert, dass der Inhalt der Unterlagen bei laienhafter rechtlicher Bewertung, also ohne Bemühung besonderen Rechtsrats, auf einen Vergaberechtsverstoß hindeutet. Das setzt regelmäßig voraus, dass die Rechtsvorschriften, gegen die verstoßen wird, zum allgemeinen und grundlegenden Wissen der beteiligten Bieterkreise gehören (Senatsbeschlüsse vom 26. Juli 2018, VII-Verg 23/18 und vom 15. Januar 2020, VII-Verg 20/19, BeckRS 2020, 1327 Rn. 37; OLG München, Beschluss vom 22. Oktober 2015, Verg 5/15). Der Verstoß muss so offensichtlich sein, dass er einem durchschnittlich erfahrenen Bieter bei der Vorbereitung seines Angebots bzw. seiner Bewerbung auffallen muss (Senatsbeschluss vom 3. Aug. 2011, Verg 16/11, ZFBR 20212, 72, 74). Einer exakten rechtlichen Einordnung des Vergaberechtsverstoßes durch den Bieter bedarf es jedoch nicht (OLG Schleswig, Beschluss vom 22. Januar 2019, 54 Verg 3/18, BeckRS 2019, 590 Rn. 48). Nach Maßgabe dieser Voraussetzungen war erkennbar, dass auch die Regelungen in § 8 Abs. 9-12 des Vertragsentwurfs zum Preisanpassungs- und Kündigungsrecht Einfluss auf die mit Bieterfrage 65 gerügte Unzumutbarkeit einer kaufmännisch vernünftigen Kalkulation haben kann, weil der Auftraggeber danach dem Preiserhöhungsverlangen mit der Folge widersprechen kann, dass die Erhöhung nicht wirksam wird.
b) Der Nachprüfungsantrag ist zulässig und begründet, soweit die Antragstellerin gestützt auf die Erklärungen der Antragsgegnerin in der mündlichen Verhandlung vor der Vergabekammer geltend macht, es läge ein Missbrauch der Rahmenvereinbarung infolge fehlender Vergabereife vor, weil nur die Finanzierung der Mindestabnahmemenge von insgesamt vier Booten gesicherte sei, hingegen die Finanzierung der übrigen neun Boote völlig ungewiss sei.
aa) Die Antragstellerin konnte ihren Nachprüfungsantrag gestützt auf dieses Vorbringen in zulässiger Weise erweitern.
Zwar war die Vergabekammer gehindert, den nachterminlichen Vortrag der Antragstellerin zu berücksichtigen. Nach § 166 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 GWB entscheidet die Vergabekammer aufgrund mündlicher Verhandlung. In tatsächlicher Hinsicht berücksichtigungsfähig ist folglich nur, was Gegenstand der mündlichen Verhandlung war; der tatsächliche Inhalt nachgereichter Schriftsätze darf folglich nicht verwertete werden (Karsten Schmidt in Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, 7. Aufl. 2024, GWB § 65 Rn. 3; Johanns/ Roesen, Münchener Kommentar zum Wettbewerbsrecht, 4. Auflage 2022, GWB § 65 Rn. 3). Der Vortrag ist allerdings als Teil der Beschwerdebegründung zu berücksichtigen. Der Beschwerdeführer kann die Beschwerde auch mit neuem Tatsachenvortrag begründen und neuen Tatsachenvortrag selbst noch nach Ablauf der Beschwerdefrist in das Beschwerdeverfahren einführen (Dicks/Willner in Ziekow/Völlink, Vergaberecht, 5. Aufl. 2024, GWB § 172 Rn. 14). Ein Novenausschluss, wie ihn § 531 Abs. 2 ZPO für das zivilprozessuale Berufungsverfahren vorsieht, kennt das Vergabenachprüfungsverfahren nicht (Senatsbeschluss vom 1. Dezember 2015, VII-Verg 20/15, BeckRS 2016, 2948 Rn. 37). Auch eine die Zulässigkeit von Klageänderungen in der Rechtsmittelinstanz beschränkende Norm wie § 533 ZPO existiert nicht. Der Antragsteller ist daher auch im Beschwerderechtszug nicht gehindert, weitere mögliche Vergaberechtsverstöße zum Gegenstand des Nachprüfungsverfahrens zu machen; dies im Übrigen selbst dann, wenn das Nachprüfungsverfahren zunächst unzulässig war, weil es aufgrund eines nicht, nicht unverzüglich oder inhaltlich unzureichend gerügten Verstoßes eingeleitet worden ist (Senatsbeschluss vom 13. April 2011, VII-Verg 58/10, ZfBR 2011, 508, 512). Es muss sich nur um einen weiteren Vergaberechtsverstoß handeln, der zulässig beanstandet, insbesondere nicht gemäß § 160 Abs. 3 Satz 1 GWB präkludiert ist (Senatsbeschluss vom 13. April 2011, VII-Verg 58/10, ZfBR 2011, 508, 512). Vorliegend ist die Antragstellerin mit ihrer Beanstandung einer missbräuchlichen Wahl der Rahmenvereinbarung aufgrund mangelnder Vergabereife schon deswegen nicht präkludiert, weil sie dies erst aus dem Vortrag der Antragsgegnerin erfahren hat.
bb) Der insoweit zulässige Nachprüfungsantrag ist begründet. Die gewählte Rahmenvereinbarung verstößt gegen das Missbrauchsverbot (§ 21 Abs. 1 S. 3 VgV).
(1) Ein Missbrauch der Rahmenvereinbarung liegt vor, wenn der öffentliche Auftraggeber diese zu anderen als den mit der Rahmenvereinbarung verbundenen Zwecken einsetzt. Der Auftraggeber hat in sämtlichen Phasen des Abschlusses einer Rahmenvereinbarung die allgemeinen vergaberechtlichen Grundsätze, insbesondere den Grundsatz der Transparenz und der Gleichbehandlung zu beachten (Poschmann in Müller-Wrede, VgV, § 21 Rn. 22). Die Anwendung einer Rahmenvereinbarung darf diese Grundsätze nicht aushöhlen. Sinn und Zweck der Rahmenvereinbarung ist es, dem öffentlichen Auftraggeber eine flexiblere Auftragsvergabe für den Fall zu ermöglichen, dass bei bestehendem Beschaffungsbedarf und konkreter Beschaffungsabsicht einzelne Vertragsbestandteile wie etwa das genaue Auftragsvolumen oder die Leistungszeit noch nicht abschließend feststehen und nicht bestimmt werden können. Ohne die Möglichkeit einer Rahmenvereinbarung müsste der öffentliche Auftraggeber zuwarten, bis er die Vertragsbestandteile bestimmen kann, und seinen Bedarf zeitlich gestaffelt durch Abschluss von Einzelaufträge decken. Durch die Rahmenvereinbarung kann er die Vergabe von Einzelaufträge in einem einzigen Vergabeverfahren bündeln.
Ihm ist es insbesondere in Bezug auf die Festlegung des Auftragsvolumens nach § 21 Abs. 1 S. 2 VgV gestattet, das in Aussicht genommene Auftragsvolumen nur "so genau wie möglich" zu ermitteln und bekannt zu gegeben; er muss es nicht abschließend festlegen. Charakteristisch für eine Rahmenvereinbarung ist daher, dass bestimmte Bedingungen für die Einzelaufträge wie zum Beispiel der Lieferzeitpunkt oder das genaue Auftragsvolumen bei ihrem Abschluss noch nicht festgelegt werden können und damit offen sind (Senat, Beschluss vom 30.11.2009, Verg 32/09). Ein Missbrauch einer Rahmenvereinbarung liegt daher vor, wenn die Flexibilität dieses Instruments gar nicht benötigt wird, weil alle Bedingungen abschließend festgelegt werden können. Gleiches gilt, wenn eine Rahmenvereinbarung der Befriedigung eines Beschaffungsbedarfs dient, der allenfalls theoretischer Natur ist, denn die zu beschaffenden Leistungen müssen auf einem grundsätzlichen Bedarf und auf eine ernsthafte Vergabeabsicht des öffentlichen Auftraggebers zurückzuführen sein (Poschmann in Müller-Wrede, VgV § 21 Rn. 71; Brauser-Jung in RKMPP, VgV § 21 Rn. 35). Missbräuchlich ist es daher auch, wenn die Ausschreibung eine Beauftragung nur in Aussicht stellt, der öffentliche Auftraggeber hierauf jedoch keinerlei Einfluss besitzt (KG, Beschluss v. 17.02.2005, Verg 27/04; Bay OLG, Beschluss v. 17.02.2005 Verg 27/04).
(2) Ausgehend von diesen Grundsätzen hat die Antragsgegnerin die Rahmenvereinbarung zu vergabefremden Zwecken eingesetzt, weil eine Beauftragung über die vereinbarte Mindestabnahmemenge hinaus infolge ungesicherter Finanzierung völlig ungewiss und eine Information der Bieter hierüber unterblieben ist.
(a) Im Vergaberecht gilt der anerkannte Grundsatz der Vergabereife. Danach soll der Auftraggeber ein Vergabeverfahren erst dann ausschreiben, wenn alle Vergabeunterlagen fertig gestellt sind und wenn innerhalb der angegebenen Fristen mit der Ausführung begonnen werden kann. Dieser Grundsatz gilt zum Schutz der Bieter in jedem Vergabeverfahren, gleichviel, welchem Rechtsregime das Verfahren unterliegt und ob die jeweilige Verfahrensordnung dies ausdrücklich bestimmt (Senatsbeschluss vom 27. November 2013, VII-Verg 20/13; Hermann in Ziekow/Völlink, Vergaberecht, 5. Aufl. 2024, VgV § 63 Rn. 40). Zur Vergabereife gehört daher auch, dass die Vergabestelle im Zeitpunkt der Ausschreibung in der Lage sein muss, das Vorhaben durch entsprechend verfügbare Haushaltsmittel zu finanzieren (Senatsbeschluss vom 26. Juni 2013, VII-Verg 2/13, ZfBR 2014, 88, 91). Der öffentliche Auftraggeber hat Vorsorge für eine zumindest im wesentlichen ausreichende Finanzierung zu sorgen (BGH, Urteil vom 8. September 1998, X ZR 48/97, NJW 1998, 3636, 3637; Senatsbeschluss vom 27. November 2013, VII-Verg 20/13; OLG Brandenburg, Beschluss vom 12. März 2024, 19 Verg 1/23, BeckRS 2024, 7190 Rn. 18; Eichler in Münchener Kommentar zum Wettbewerbsrecht, 4. Aufl. 2022, Teil 1 Einleitung zum Vergaberecht, Rn. 249). Es müssen hinreichende Mittel für das Projekt im Haushalt als Ausgabe oder als Verpflichtungsermächtigung veranschlagt worden sein; gesichert ist die Finanzierung, wenn die Mittel zugewiesen oder die erforderliche Verpflichtungsermächtigung erteilt ist (Mutschler-Siebert/Quieser: Sinn und Zweck der Vergabereife und ihre Bedeutung für das Beschaffungswesen).
Für den Abschluss einer Rahmenvereinbarung wird in diesem Zusammenhang die Ansicht vertreten, dass eine Vorabfinanzierung sämtlicher später in Erwägung gezogener Leistungen nicht erforderlich ist bzw. nicht abschließend gesichert sein muss (Portz VergabeR 2014, 523, 5224; Kullack/Terner ZfBR 2004, 346, 349; Biemann in Burgi/Dreher/Opitz, Beck'scher Vergaberechtskommentar, 4. Auflage, GWB § 103 Abs. 5 Rn. 7; Mädler in Münchener Kommentar zum Wettbewerbsrecht, 4. Aufl. 2022; GWB § 103 Rn. 181).
(b) Es bedarf vorliegend keiner Entscheidung, in welchem Umfang die Finanzierung des voraussichtlichen Beschaffungsbedarfs bei Abschluss der Rahmenvereinbarung gesichert sein muss. Steht - so wie hier - bei Abschluss der Rahmenvereinbarung nur die Finanzierung eines Teils des voraussichtlichen Beschaffungsbedarfs fest, muss hinsichtlich der übrigen Teile zumindest die begründete, auf objektive Anhaltspunkte gestützte Erwartung bestehen, dass die Finanzierung auch dieser Einzelaufträge sichergestellt und der bestehende Beschaffungsbedarf gedeckt werden kann, da anderenfalls die Durchführung der Beschaffung teilweise noch völlig offen ist. Eine solche begründete Erwartung kann beispielsweise angenommen werden, wenn durch die Rahmenvereinbarung ein wiederkehrender Beschaffungsbedarf im Bereich von Massenwaren und -dienstleistungen (z.B. Büromaterial, Streusand, regelmäßig wiederkehrende Postdienstleistungen, Rabattverträge bei Arzneimitteln u.ä.) gedeckt werden soll. Da die genannten Waren und die Dienstleistungen regelmäßig benötigt werden, werden die hierfür erforderlichen Haushaltsmittel turnusmäßig im jährlichen Haushaltsplan Berücksichtigung finden.
Anders liegt der Fall bei besonderen und nicht turnusmäßigen wiederkehrenden Beschaffungsvorhaben, wie das vorliegende Verfahren zeigt. Hier kann nicht ohne weiteres davon ausgegangen werden, dass die erforderlichen Haushaltsmittel für den Abruf von neun weiteren Booten bereitgestellt werden. Wie die Vertreter der Antragsgegnerin in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat bekräftigt haben, liegt eine Finanzierungszusage nur für die Mindestbestellmenge von insgesamt vier Booten vor. Eine Verpflichtungsermächtigung gemäß §§ 5, 22 Haushaltsgrundsätzegesetz (HGrG) und § 6 Bundeshaushaltsordnung existiert für die optionalen neun Boote nicht. Es besteht auch keine begründete Erwartung, dass die erforderlichen Haushaltsmittel aller Voraussicht nach bewilligt werden. Nach eigenen Angaben der Antragsgegnerin ist völlig ungewiss, ob die optionalen Boote in den nächsten Jahren finanziert werden können, da eine solche Mittelbereitstellung von vielen Faktoren insbesondere der allgemeinen wirtschaftlichen und politischen Lage abhänge, die weder vorhersehbar noch beeinflussbar seien. Demzufolge konnte die Antragsgegnerin auch keine Aussage dazu treffen, ob es ihr in den nächsten Jahren gelingen wird, die erforderlichen Mittel ganz oder teilweise "einzuwerben". Entschließt sich der öffentliche Auftraggeber in einem solchen Fall - völlig ungewisse Finanzierung eines erheblichen Teils der Einzelaufträge - gleichwohl für eine Rahmenvereinbarung muss er die Bieter über dieses Finanzierungsrisiko informieren. Unterbleibt eine solche Information werden die Grundsätze der Transparenz und Gleichbehandlung beeinträchtigt und damit die Rahmenvereinbarung missbräuchlich angewandt.
Es entspricht allgemeiner Erfahrung und berechtigter Erwartung der Teilnehmer an einer Ausschreibung, dass vor einer Ausschreibung zunächst Vorsorge für eine ausreichende Finanzierung getroffen wird. Da die Finanzierung für die spätere Auftragsvergabe und im Falle einer Rahmenvereinbarung für die späteren Einzelaufträge ein wesentlicher Umstand ist, darf jeder Bewerber auch ohne besondere Rückfrage erwarten, zusammen mit der Ausschreibung informiert zu werden, wenn die Finanzierung nicht sichergestellt und damit die Durchführung der Beschaffung ganz oder teilweise im Ergebnis noch völlig offen ist (vgl. BGH, Urteil v. 08.09.1998, X ZR 48/97). Dementsprechend durfte der Bieter bei der Kalkulation der in § 8 des Vertragsentwurfs vorgesehenen und für zwei Jahre verbindlichen Festpreise unter Berücksichtigung der in § 8 Abs. 9 vorgesehenen Preisanpassungsklausel davon ausgehen, dass es über die Mindestabnahmemenge hinaus voraussichtlich zu weiteren kalkulationsrelevanten Einzelabrufen kommen wird, obwohl der Vertrag keine Abrufverpflichtung der Antragsgegnerin vorsah. Den Vergabeunterlagen war zu entnehmen, dass der Beschaffungsbedarf der Antragsgegnerin hinsichtlich der zu beschaffenden Menge feststand. Die vorhandene und veraltete Flotte an Kontroll- und Streifenbooten inklusive Tochterbooten sollte sukzessiv ersetzt werden. Dies impliziert, dass die Antragsgegnerin zur Finanzierung des Beschaffungsbedarfs grundsätzlich in der Lage sein wird. Steht aber - so wie hier - bei Ausschreibung der Rahmenvereinbarung nicht ansatzweise fest, ob es überhaupt zu einer Beauftragung weiterer neun Boote kommen wird, weil nicht absehbar ist, ob die erforderlichen Haushaltsmittel zur Verfügung stehen werden, ist eine kaufmännisch vernünftige Kalkulation ohne Kenntnis der offenen Finanzierungsfrage nicht möglich.
cc) Eine Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung sieht das Vergaberecht nicht vor. Nach § 179 Abs. 2 GWB kann die Sache dem Bundesgerichtshof nur dann vorgelegt werden, wenn das Oberlandesgericht von der Entscheidung eines anderen Oberlandesgerichts oder des Bundesgerichtshofs abweichen will. Andere Entscheidungen betreffend die vorliegende Rechtsfrage existieren jedoch bislang nicht.
Auch eine Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union ist nicht veranlasst. Der Gerichtshof der Europäischen Union hat entschieden, dass der öffentliche Auftraggeber bei der Ausschreibung einer Rahmenvereinbarung Schätzmenge und Höchstmenge anzugeben hat und damit klargestellt, dass die Rahmenvereinbarung der Ungewissheit über die Bedarfsmenge in gewissen Grenzen Rechnung tragen soll. Im Übrigen gilt auch nach Art. 33 Abs. 1 UAbs. 1 der Vergaberichtlinie, dass öffentlichen Auftraggeber Rahmenvereinbarungen nur abschließen können, sofern sie die in dieser Richtlinie genannten Verfahren anwenden. Dafür, dass der öffentliche Auftraggeber das Instrument der Rahmenvereinbarung auch aufgrund einer nur teilweise gesicherten Finanzierung nutzen können soll, ist folglich nichts ersichtlich.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 182 Abs. 3, Abs. 4, § 175 Abs. 2 i.V.m. § 71 Satz 1 GWB. Vor dem Hintergrund, dass ihr Nachprüfungsantrag begründet ist, soweit sich die Antragstellerin gegen die Wahl einer Rahmenvereinbarung wendet, und unzulässig, soweit sie ein ungewöhnliches Wagnis moniert, entspricht es der Billigkeit, die Kosten gegeneinander aufzuheben mit der Folge, dass die Antragstellerin einerseits und die Antragsgegnerin sowie die Beigeladene anderseits die Verfahrenskosten je zur Hälfte und alle Beteiligten ihre notwendigen Auslagen jeweils selbst zu tragen haben. Vor diesem Hintergrund erübrigt sich auch eine Entscheidung über die Notwendigkeit der Beiziehung von Verfahrensbevollmächtigten.
Neben der Antragsgegnerin ist auch die Beigeladene kostenrechtlich verpflichtet. Ein Beigeladener ist dann kostenrechtlich wie der Antragsteller oder Antragsgegner eines Nachprüfungsverfahrens zu behandeln, wenn er die durch die Beiladung begründete Stellung im Beschwerdeverfahren auch nutzt, indem er sich an diesem Verfahren beteiligt. Hierfür bedarf es einer sachlichen Stellungnahme zur sofortigen Beschwerde (BGH, Beschluss vom 26. September 2006, X ZB 14/06). Es bedarf folglich einer aktiven Beteiligung am Verfahren, in deren Rahmen der Beigeladene nicht nur erfolgreich eigene Anträge gestellt, sondern diese begründet oder das Verfahren sonst wesentlich gefördert hat (Senatsbeschluss vom 17. Mai 2004, Verg 12/03, BeckRS 2005, 3569; OLG Celle, Beschluss vom 12. Januar 2012, 13 Verg 9/11, BeckRS 2012, 1456). Dies ist vorliegend geschehen. Die Entscheidung über die Festsetzung des Werts für das Beschwerdeverfahren beruht auf § 50 Abs. 2 GKG. Demnach beträgt der Gegenstandswert fünf Prozent des Bruttoauftragswerts des Angebots der Antragstellerin (Senatsbeschluss vom 10. Februar 2021, VII-Verg 22/20, BeckRS 2021, 8801 Rn. 56). Maßgeblich für die Wertermittlung ist bei Rahmenverträgen nach § 3 Abs. 4 VgV die Höchstabnahmemenge. Die zu Liefer- und Dienstverträgen, bei deren Wertermittlung nach § 3 Abs. 1 VgV Optionen zu berücksichtigen sind, ergangene Rechtsprechung, wonach die Ungewissheit darüber, ob der Auftraggeber das Optionsrecht ausüben wird, mit einem angemessenen Abschlag vom vollen Auftragswert zu berücksichtigen ist (BGH, Beschluss vom 18. März 2014, X ZB 12/13), ist auf Rahmenvereinbarungen nicht übertragbar (Senatsbeschluss vom 17. April 2023, VII-Verg 36/21).
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"Begünstigter" kann auch sein, wer keine staatliche Beihilfe erhä...
"Begünstigter" kann auch sein, wer keine staatliche Beihilfe erhält!
EuGH, Urteil vom 06.03.2025 - Rs. C-471/23
Wer nur Gerät überlässt, ist kein Nachunternehmer!
Wer nur Gerät überlässt, ist kein Nachunternehmer!
VK Bund, Beschluss vom 05.02.2025 - VK 2-119/24
Auftraggeber kann nicht zum Vertragsschluss gezwungen werden!
Auftraggeber kann nicht zum Vertragsschluss gezwungen werden!
OLG Jena, Beschluss vom 08.01.2025 - Verg 8/24
Planungsleistungen freihändig vergeben: Schwerer Vergaberechtsver...
Planungsleistungen freihändig vergeben: Schwerer Vergaberechtsverstoß!
OVG Sachsen, Urteil vom 25.09.2024 - 6 A 118/20
Kein Vertragsschluss bei Zuschlag mit Änderungen!
Kein Vertragsschluss bei Zuschlag mit Änderungen!
OLG Naumburg, Beschluss vom 11.10.2024 - 6 Verg 2/24
Bei Rahmenvertrag ist (nur) die maximale Abnahmemenge bekannt zu ...
Bei Rahmenvertrag ist (nur) die maximale Abnahmemenge bekannt zu geben!
VK Bund, Beschluss vom 30.12.2024 - VK 2-103/24