VK Rheinland
Beschluss
vom 29.01.2025
VK 56/24
1. In den Fällen, in denen das Verfahren nicht erst nach Einleitung des Vergabenachprüfungsverfahrens aufgehoben worden ist, ist ein hilfsweise gestellter Feststellungsantrag nach § 168 Abs. 2 S. 2 GWB nur zulässig, wenn der damit verbundene Hauptantrag darauf gerichtet ist, die Aufhebung der Aufhebung des Vergabeverfahrens zu erreichen.*)
2. Die Zurückversetzung des Verfahrens ist rechtsdogmatisch als (Teil-)Aufhebung des Vergabeverfahrens anzusehen.*)
3. Ein öffentlicher Auftraggeber kann grundsätzlich jederzeit rechtswirksam auf die Vergabe des Auftrags verzichten, unabhängig davon, ob ein gesetzlich normierter Aufhebungsgrund i.S.v. § 17 EU Abs. 1 VOB/A vorliegt oder nicht. Auch selbstverschuldete Aufhebungsgründe hindern den öffentlichen Auftraggeber nicht daran, ein Vergabeverfahren abzubrechen. Die Rechtswirksamkeit der Aufhebung setzt lediglich voraus, dass der öffentliche Auftraggeber für seine Aufhebungsentscheidung einen sachlichen Grund hat, so dass eine Diskriminierung einzelner Bieter ausgeschlossen und seine Entscheidung nicht willkürlich ist oder nur zum Schein erfolgt.*)
4. Wie und in welchem Umfang ein öffentlicher Auftraggeber einen erkannten Fehler in seiner Ausschreibung behebt, unterliegt seiner Gestaltungsfreiheit, die allerdings an die vergaberechtlichen Gebote der Transparenz, Nichtdiskriminierung und Gleichbehandlung gebunden ist.*)
5. Aus Gründen des fairen Wettbewerbs und des Gebots der Gleichbehandlung muss der öffentliche Auftraggeber, bevor er eine nur auf bestimmte Preispositionen beschränkte, zweite Angebotsrunde eröffnet, prüfen, ob die auf bestimmte Preise bezogene Preisänderung Einfluss auf das Preisgefüge im Übrigen haben kann. Schon wenn dies nur zu befürchten steht, ist der Auftraggeber an einer solchen Fehlerkorrektur gehindert und muss vollständig neue Angebote einholen. An die Prüfungstiefe öffentlicher Auftraggeber dürfen dabei nicht zu hohe Anforderungen gestellt werden.*)
Tenor:
1. Der Nachprüfungsantrag wird zurückgewiesen.
2. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens sowie die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen des Antragsgegners und der Beigeladenen.
3. Die Hinzuziehung von Bevollmächtigten durch den Antragsgegner und die Beigeladene wird für notwendig erklärt.
4. Die Gebühr für die Tätigkeit der Vergabekammer wird auf
Euro festgesetzt.
Gründe:
I.
Mit Bekanntmachung vom 05.08.2024 schrieb der Antragsgegner im Rahmen der Gesamtmaßnahme "Ertüchtigung der Energieversorgung der Kläranlage X" die Erneuerung der Mittelspannungsschaltanlage inklusive der Mittelspannungskabel u.a. im Supplement zum Amtsblatt der Europäischen Union im offenen Verfahren europaweit aus. Gegenstand der Ausschreibung sind die Lieferung, Installation, Vorhaltung sowie der Rückbau und Abtransport der elektrotechnischen Ausrüstung. Weiterhin haben die Bieter Angebote zu den Schrotterlösen abzugeben. Einziges Zuschlagskriterium ist gemäß Auftragsbekanntmachung der Preis.
In den Leistungspositionen betreffend das "Feldleit- und Schutzgerät" (= Positions-Nrn. im Leistungsverzeichnis: 04.01.6 [= S. 62 LV], 04.01.7 [= S. 63 LV], 05.01.7 [= S. 86 LV], 05.01.8 [= S. 87 LV], 06.01.6 [= S. 110 LV], 06.01.7 [= S. 110 LV], 07.01.6 [= S. 133 LV], 07.01.7 [= S. 134 LV], 08.01.7 [= S.157 LV], 08.01.8 [= S. 158 LV], 09.01.7 [= S. 181 LV], 09.01.8 [= S. 181 LV], 10.01.7 [= S. 203 LV], 10.01.8 [= S. 203 LV], 11.01.7 [= S. 226 LV] und 12.01.6 [= S. 246 LV]) ist hinsichtlich der erforderlichen Eigenschaften dieses Geräts u.a. Folgendes ausgeführt:
"
Sensitive Einschaltstromerkennung durch zwei unabhängige Messverfahren "1-aus-2" Entscheidung
"
In der Zeit vom 08.08.2024 bis 23.08.2024 wurden diverse Bieterfragen zu den Leistungspositionen "Feldleit- und Schutzgerät" gestellt, u.a. die folgende Bieterfrage (= Bieterfrage/-antwort vom 21./22./23.08.2024; siehe Katalog des Antragsgegners zu Bieterfragen und deren Beantwortung - Betreff: Antworten zu div. Bieterfragen Schutztechnik 100.371 - dort unter Ziffer 6):
">- Keine sensitive Einschaltstromerkennung durch zwei unabhängige Messverfahren "1-aus2" Entscheidung"
Die Antwort des Antragsgegners hierauf lautete wie folgt:
"Antwort: Eine Einschaltstromerkennung um Fehlauslösungen beim Einschalten des Trafos zu erkennen muss gegeben sein."
Die Antragstellerin und die Beigeladene sowie zwei weitere Bieter gaben fristgerecht Angebote ab. Zum Submissionstermin am 04.09.2024 wies das Angebot der Antragstellerin die niedrigste Angebotssumme auf und lag damit auf dem ersten Platz, dasjenige der Beigeladenen wies die höchste Angebotssumme auf und rangierte damit auf Platz 4, d.h. dem letzten Platz.
Am 01.10.2024 hat der Antragsgegner den Bietern eine Mitteilung zur "Rücksetzung des Vergabeverfahrens" übersandt. Die Rücksetzung erfolgte in den Stand vom 23.08.2024 und wurde damit begründet, dass die Rückversetzung aus Gründen der wettbewerblichen Gleichbehandlung notwendig sei. Im Zuge der Angebotsauswertung sei festgestellt worden, dass von mehreren Bietern in wesentlichen Positionen ungeeignete Produkte angeboten worden seien. Bei der schriftlichen Angebotsaufklärung habe sich herausgestellt, dass mindestens eine der am 21./22.08.2024 gestellten Bieterfragen offensichtlich nicht eindeutig beantwortet worden sei und eine Fehlinterpretation möglich gewesen sei. Daher seien die im Bieterfrage/-antworten-Katalog gegebenen Antworten zu präzisieren und ergänzen. Die Bieterfrage zum Thema "sensitive Einschaltstromerkennung" sei wie folgt zu beantworten:
"Nein, eine Einschaltstromerkennung, um Fehlauslösungen beim Einschalten des Trafos zu erkennen, muss gegeben sein. Die Forderung gemäß LV nach einer sensitiven Einschaltstromerkennung durch zwei unabhängige Messverfahren "1-aus-2" Entscheidung muss erfüllt sein."
Die Bieter wurden aufgefordert, die eingereichten Angebote zurückzuziehen und neue Angebote bis zum 16.10.2024 abzugeben.
Die Antragstellerin hat mit Schreiben vom 09.10.2024 die Rückversetzung des Vergabeverfahrens als vergaberechtswidrig gerügt. Als Begründung führte sie an, dass die Rückversetzung zur Abgabe neuer Angebote in Kenntnis der vorherigen Angebote der übrigen Bieter erfolgen würde, worin ein Widerspruch zu dem Grundsatz des Geheimwettbewerbs zu sehen sei. Auch bestünde keine sachliche Rechtfertigung, das Vergabeverfahren in eine zweite Angebotsrunde zurückzuversetzen, da die Ausschreibungsbedingungen und das Leistungsverzeichnis nicht fehlerhaft gewesen seien und daher keiner Korrektur bedürften. Es läge kein sachlicher und nichtdiskriminierender Grund vor, ein neues Angebot zu dem gesamten Leistungsverzeichnis abzugeben, die Abgabe neuer, vollständiger Angebote sei unverhältnismäßig und vergaberechtlich unzulässig. Es werde angeregt, die Abgabe neuer Angebote auf die Leistungspositionen zu beschränken, zu denen Fehlinterpretationen nach den Antworten zu den Bieterfragen entstanden seien. Schließlich sei auch zu berücksichtigten, dass der Anlass zur Zurückversetzung und zur Korrektur durch den Auftraggeber selbst verursacht worden sei.
Der Antragsgegner hat der Rüge mit Datum vom 10.10.2024 nicht abgeholfen. In der mehrdeutigen Antwort auf die Bieterfrage läge ein sachlicher Grund für die Rückversetzung des Verfahrens. Die Rückversetzung in Gänze auf den Zeitpunkt als die mehrdeutige Antwort gegeben wurde, sei aus den Grundsätzen der Transparenz, der Gleichbehandlung und des Wettbewerbs geboten. Eine Beschränkung der Rückversetzung auf einzelne Positionen sei vorliegend nicht zielführend und auch nach der Rechtsprechung des OLG Düsseldorf nur ausnahmsweise zulässig. Jedenfalls dürfe eine derartige beschränkte Rückversetzung keinen Einfluss auf das Preisgefüge im Übrigen haben. Ein Angebot sei immer ein geschlossenes Gesamtwerk. Ein einzelnes Teil aus diesem Gesamtwerk auszunehmen und zu ändern sei verfehlt. Es sei vorliegend nicht zu überblicken, welchen Einfluss die einzelnen Positionen auf die bieterseitige Kalkulation haben könnten. Es sei davon auszugehen, dass einige Bieter durch die Klarstellung ihre Lieferanten wechseln müssten und dort vielleicht andere Konditionen erhielten.
Mit Schreiben vom 15.10.2024 hat die Antragstellerin fristgerecht neue Angebote zu der elektrotechnischen Ausrüstung und den Schrotterlösen abgegeben. Bei der zweiten Submission, die am 16.10.2024 stattfand, lag das Angebot der Antragstellerin nur auf dem zweiten Platz, und zwar hinter dem Angebot der Beigeladenen, die auf dem ersten Platz rangierte.
Am 24.10.2024 hat die Antragstellerin den vorliegenden Nachprüfungsantrag gestellt. Die von ihr darin gestellten Anträge wurden in der mündlichen Verhandlung präzisiert.
Die Antragstellerin beantragt,
1.den Antragsgegner zu verpflichten, bei fortbestehender Beschaffungsabsicht das Verfahren in den Stand vor vollständiger Zurückversetzung zurückzuversetzen und Änderungen der Angebote nur in den Positionen 04.01.06, 04.01.07, 05.01.7, 05.01.8, 06.01.6, 06.01.7, 07.01.6, 07.01.7, 08.01.7, 08.01.8, 09.01.7, 09.01.08, 10.01.7, 10.01.08, 11.01.7 und 12.01.6 zuzulassen,
2.hilfsweise festzustellen, dass sie in ihren Rechten aus § 97 Abs. 6 GWB verletzt worden ist,
3.die Hinzuziehung der Bevollmächtigten durch die Antragstellerin für notwendig zu erklären,
4.die Kosten des Verfahrens dem Antragsgegner aufzuerlegen.
Zur Begründung führt sie in ihrem Nachprüfungsantrag sowie in weiteren Schriftsätzen vom 29.11.2024, vom 08.01.2025 und vom 13.01.2025 im Wesentlichen wie folgt aus:
Der Nachprüfungsantrag sei zulässig. Nachdem der Antragsgegner die Antragstellerin über die Rücksetzung des Vergabeverfahrens mit Schreiben vom 01.10.2024 informiert habe, habe sie sich sogleich dagegen mit Schreiben vom 09.10.2024 gewandt. Zuvor sei sie davon ausgegangen, dass der Zuschlag aufgrund der Angebotseröffnung vom 04.09.2024 erteilt werde. Vor dem Schreiben des Antragsgegners vom 01.10.2024 habe es für sie keinen Anlass gegeben, einen Vergaberechtsverstoß zu rügen. Das Nichtabhilfeschreiben des Antragsgegners datiere vom 10.10.2024, innerhalb von 15 Kalendertagen nach Eingang dieses Schreibens sei der Nachprüfungsantrag gestellt worden. Die Antragstellerin sei auch antragsbefugt i.S.v. § 160 Abs. 2 GWB. Sie habe ein Angebot abgegeben und somit ein Auftragsinteresse. Ihr müsse Gelegenheit gegeben werden, ihr in der ersten Angebotsrunde abgegebenes Angebot in den Positionen zu ändern, zu denen sie auf Grund der irreführenden Antwort des Antragsgegners auf die Bieterfrage Nr. 6 nicht die vom Antragsgegner geforderten Leistungen angeboten habe. Sodann sei der Zuschlag auf dieses erste Angebot in der geänderten Form zu erteilen.
Der Nachprüfungsantrag sei auch begründet. Die Bieter hätten nicht seitens des Antragsgegners aufgefordert werden dürfen, vollständig neue Angebote abzugeben. Vielmehr hätten sie nur dazu aufgefordert werden dürfen, ihr Angebot hinsichtlich des Produkts, welches aufgrund der irreführenden Antwort des Antragsgegners auf eine Bieterfrage nicht dasjenige gewesen sei, welches der Antragsgegner habe beschaffen wollen, zu ändern, d.h. dieses Produkt auszutauschen. Dies wäre auch das im Vergleich zur vollständigen Rückversetzung mildere Mittel gewesen. Durch die Aufforderung zur Abgabe eines vollständig neuen Angebots hätten die Bieter die Möglichkeit gehabt, ihr Angebot in Kenntnis der aufgrund der ersten Submission bekannten Angebotspreise der Mitbieter und damit unter Verstoß gegen den Geheimwettbewerb völlig neu zu gestalten, was dann auch zu einer völlig anderen Rangfolge der Bieter bei der zweiten Submission geführt habe. Wäre den Bietern die Gelegenheit gegeben worden, nur die Positionen im Leistungsverzeichnis zu ändern, die auf Grund der Antwort des Antragsgegners ein Produkt enthalten hätten, welches vom Antragsgegner nicht gewollt gewesen sei, hätte sich daraus keine Änderung der Bieterreihenfolge ergeben können. Damit habe der Antragsgegner in nicht zu rechtfertigender Weise in den Wettbewerb eingegriffen. Im Übrigen lägen auch nicht die für eine rechtmäßige Rückversetzung erforderlichen, in § 17 EU VOB/A normierten Gründe vor. Aus einer solchen rechtswidrigen Rückversetzung stehe dem betroffenen Bieter ein Schadensersatzanspruch zu. Zwar könne auch eine rechtswidrige Rückversetzung wirksam sein. Dies setze jedoch voraus, dass die Rückversetzung auf einen vernünftigen, sachlichen und nichtdiskriminierenden Grund gestützt werden könne. Vorliegend sei jedoch die Antragstellerin diskriminiert, die nach Eröffnung ihres Angebots die niedrigste Angebotssumme, unabhängig von den streitigen Positionen, abgegeben habe. Auch habe kein die Zurückversetzung rechtfertigender Grund in Form eines erheblichen Fehlers in den Vergabeunterlagen vorgelegen. Die Rückversetzung hätte als geringfügigerer Eingriff auf eine teilweise Rückversetzung zu nur einzelnen Positionen beschränkt werden müssen.
Eine solche Beschränkung auf einzelne Positionen sei auch unproblematisch, da in die angebotenen Mittelspannungsschaltanlagen alle im Handel verfügbaren Schutzgeräte installiert werden könnten, ohne dass es Änderungen an der Anlage im Übrigen bedürfe. Die Mittelspannungsanlage habe keine Verbindung durch ein "in sich abgestimmtes Paket" mit dem Relaiskasten, in dem sich der streitbefangene Schutzschalter befände. Vielmehr habe der Relaiskasten eine isolierte Stellung und werde daher auch nicht in die Typenprüfung der Anlage einbezogen. Dies gälte zumindest für die von ihr, der Antragstellerin, angebotenen Anlage. Das streitbefangene Schutzgerät stelle ein isoliertes Einzelelement in der Gesamtanlage dar, Schutzgeräte könnten individuell in die Schaltanlage eingebaut und ausgetauscht werden, auch wenn sie von unterschiedlichen Herstellern stammten, wie sich aus den vorgelegten Herstellerbestätigungen und -prospekten ergebe. Daher könne sich auch eine Auswirkung auf die Gesamtkalkulation nicht ergeben. Es sei nicht ersichtlich, wie sich die Auswechselung des angebotenen Schutzgeräts auf die Baustellengemeinkosten auswirken bzw. ein Wagnis für den Bieter darstellen könne. Der Antragsgegner habe hierzu ebenso wie zu dem Einfluss einer auf bestimmte Positionen beschränkte Teilrückversetzung auf die Gesamtkalkulation lediglich unklare und nichtssagende Formulierungen, Befürchtungen und Annahmen vorgetragen. Eine tatsächliche Prüfung der Realisierungsmöglichkeit seiner Befürchtungen sei nicht erfolgt. Das gelte insbesondere auch für das Argument der vermeintlichen Änderung der "Baustellengemeinkosten", da die Gewichte der einzelnen Schutzschalter nur marginal variierten und andere Bestandteile - wie z.B. die Kupferkabel - ein erheblich höheres Gesamtgewicht aufwiesen. Die Ausführungen des Antragsgegners reichten somit für eine Rechtfertigung der Gesamtrückversetzung nicht aus.
Der öffentliche Auftraggeber dürfe eine Zurückversetzung nicht zur Änderung des von ihm nicht erhofften Angebotsendpreises oder des Ergebnisses der Ausschreibung nutzen.
Unter Berücksichtigung des Verbots der Mischkalkulation sei nicht von einer Änderung der Rangfolge des Submissionsergebnisses durch die Änderung des Angebots unter Aufnahme des von dem Antragsgegner vorgegebenen Schutzgeräts auszugehen gewesen. Einen Einfluss auf das gesamte Preisgefüge habe die Änderung des Angebots hinsichtlich des Schutzgeräts nicht haben können. Da es dennoch bei der zweiten Submission im Vergleich zur ersten Submission zu einer Änderung der Bieterrangfolge gekommen sei, sei die Antragstellerin durch die vollständige Zurückversetzung des Verfahrens in nicht zulässiger Weise einseitig und diskriminierend beeinträchtigt worden. Besonders bemerkenswert und erstaunlich sei dabei der erheblich niedrigere Angebotspreis der Beigeladenen in der zweiten Angebotsrunde im Vergleich zu ihrem Angebotspreis in der ersten Angebotsrunde.
Weiterhin läge auch kein erheblicher Fehler in den Vergabeunterlagen vor, der durch vollständige Zurückversetzung habe korrigiert werden dürfen. Der Antragsgegner habe lediglich die Antwort auf eine Bieterfrage korrigiert, die nur die Feldleit- und Schutzgeräte betroffen hätten, die Zurückversetzung habe auf diese Positionen beschränkt werden müssen. Daher sei Rechtsschutzziel der Antragstellerin, die Beschränkung der Zurückversetzung auf die Positionen des Leistungsverzeichnisses, die ein Feldleit- und Schutzgerät zum Gegenstand hätten. Wegen des untergeordneten Anteils der korrigierten Positionen sowie den Abständen zwischen den Angebotssummen in der ersten Angebotsrunde hätte sich bei Teilrückversetzung an der Bieterreihenfolge nichts Wesentliches ändern können.
Der Antragsgegner trat den Ausführungen der Antragstellerin mit Schriftsatz vom 04.11.2024 entgegen und beantragt,
1.den Nachprüfungsantrag der Antragstellerin mit den gestellten Anträgen zurückzuweisen,
2.der Antragstellerin die Kosten des Nachprüfungsverfahrens einschließlich der zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen des Antragsgegners aufzuerlegen,
3.die Hinzuziehung der Verfahrensbevollmächtigten durch den Antragsgegner für notwendig zu erklären.
Seine Anträge begründet der Antragsgegner im v.g. Schriftsatz sowie in einem weiteren Schriftsatz vom 20.12.2024 im Wesentlichen wie folgt:
"Hintergrund der vom Antragsgegner im Leistungsverzeichnis geforderten, aus technischer Sicht sehr anspruchsvollen und wirtschaftlich im Vergleich zu einer einfachen Einschaltstromerkennung deutlich teureren Vorgabe "Sensitive Einschaltstromerkennung durch zwei unabhängige Messverfahren "1-aus-2" Entscheidung" sei der im Moment des Einschaltens unvermittelt entstehende hohe Strombedarf der ausgeschriebenen Anlagen, der zur Sicherstellung der Funktionsfähigkeit des Stromnetzes eines besonderen Schutzmechanismus bedürfe. Es gebe am Markt mehrere Anbieter, die die v.g. Anforderungen an Feldleit- und Schutzgeräte erfüllten. Im Zuge der Angebotsauswertung und -aufklärung habe der Antragsgegner festgestellt, dass drei der vier Angebote die v.g. Anforderungen an die Schutzgeräte in Bezug auf die Einschaltstromerkennung nicht erfüllten und zog daraufhin den Ausschluss der Bieter wegen unzulässiger Änderung der Vergabeunterlagen in Betracht. Allerdings habe die Angebotsaufklärung ergeben, dass diese drei Bieter die Antwort des Antragsgegners auf die im Bieterfragen und -antwortenkatalog unter Ziffer 6 gestellte Frage übereinstimmend dahingehend verstanden hatten, dass eine Einschaltstromerkennung zwar gegeben sein müsse, der Antragsgegner allerdings abweichend von der Leistungsbeschreibung auf die "1-aus-2" - Lösung verzichte und keine weiteren Anforderungen an das konkrete System stellen würde, so dass nur irgendeine Einschaltstromerkennung vorhanden sein müsse. Der Antragsgegner sei daher zu dem Ergebnis gekommen, dass seine Antwort auf die o.g. Bieterfrage mehrdeutig gewesen sei und ein unbefangener Leser mit dem Spezialwissen der Bieter die Antwort durchaus so habe verstehen können, dass der Antragsgegner auf die im Leistungsverzeichnis geforderte "1-aus-2" - Lösung für die Einschaltstromerkennung verzichte. Um zu verhindern, dass der Fehler des Antragsgegners zu Lasten der Bieter gehe und um die wettbewerbliche Gleichbehandlung der Bieter sicherzustellen, habe der Antragsgegner vom Ausschluss der drei Bieter abgesehen und stattdessen das Verfahren in den Stand vor Angebotsabgabe zurückversetzt. Der Antragsgegner habe in der entsprechenden Mitteilung an die Bieter seine Antwort auf die o.g. Bieterfrage Nr. 6 dahingehend präzisiert, dass die im Leistungsverzeichnis formulierte Forderung nach einer sensitiven Einschaltstromerkennung durch zwei unabhängige Messverfahren "1-aus-2" - Entscheidung zwingend erfüllt sein müsse. Mit einer Zurückversetzung beschränkt auf die Neukalkulation von nur bestimmten Positionen des Leistungsverzeichnisses habe sich der Antragsgegner auseinandergesetzt, jedoch, um einen fairen und gleichen Wettbewerb nicht zu gefährden, davon abgesehen, da er eine Auswirkung der vorzunehmenden Änderung auf das Preisgefüge insgesamt befürchtete."
Der Nachprüfungsantrag sei unbegründet. Die Zurückversetzung des Verfahrens in den Stand vor Angebotsabgabe unter Berücksichtigung einer Neukalkulation des gesamten Angebots sei sachlich gerechtfertigt und damit wirksam. Auf das Vorliegen eines Aufhebungsgrundes i.S.v. § 17 EU VOB/A komme es für das von der Antragstellerin verfolgte Rechtsschutzziel (Beschränkung der Zurückversetzungsentscheidung auf bestimmte Positionen) gar nicht an, weil es für den Erfolg des Nachprüfungsantrags nur auf die Wirksamkeit der Zurückversetzungsentscheidung ankomme, nicht aber auf deren Rechtmäßigkeit. Vorliegend sei die Zurückversetzung, bei der es sich rechtsdogmatisch um eine Teilaufhebung der Ausschreibung handele, wirksam. Wenn ein öffentlicher Auftraggeber vor Zuschlagserteilung einen erheblichen Fehler in den Vergabeunterlagen feststelle, sei er zu einer Fehlerkorrektur, die auch durch eine bereits erfolgte Submission nicht ausgeschlossen sei, berechtigt. Für eine Zurückversetzung sei der Auftraggeber nicht an das Vorliegen eines Aufhebungsgrundes nach § 17 Abs. 1 EU VOB/A gebunden. § 17 Abs. 1 EU VOB/A bestimme die Voraussetzungen, unter denen die (Teil-)Aufhebung eines Vergabeverfahrens rechtmäßig ist, sage aber nichts zur davon zu unterscheidenden Wirksamkeit der (Teil-)Aufhebung. Notwendige Voraussetzung für eine (Teil-) Aufhebung sei lediglich, dass der öffentliche Auftraggeber für seine Entscheidung einen sachlichen Grund habe, so dass eine Diskriminierung einzelner Bieter ausgeschlossen und seine Entscheidung nicht willkürlich sei oder nur zum Schein erfolge. Auf die Frage, auf wessen Verhalten die Fehlerhaftigkeit der Vergabeunterlagen beruhe, komme es für die Wirksamkeit der Zurückversetzung nicht an. Vorliegend sei der sachliche Grund für die Zurückversetzung die Sicherstellung, dass alle Bieter bei der Kalkulation und Angebotserstellung von denselben Anforderungen an die geforderte Einschaltstromerkennung ausgingen. Die mehrdeutige Aussage des Antragsgegners zur erforderlichen Einschaltstromerkennung in seiner Bieterantwort vom 23.08.2024 - der Antragsgegner und ein Bieter interpretierten diese Antwort als Festhalten an den im Leistungsverzeichnis festgelegten, technisch anspruchsvollen Anforderungen an die Einschaltstromerkennung, drei Bieter interpretierten die Antwort als ein Abweichen von diesen Anforderungen im Leistungsverzeichnis - habe einen Fehler der festgelegten Ausschreibungsbedingungen dargestellt, der zur Sicherstellung gleicher Kalkulationsvorgaben für alle Bieter und mithin vergleichbarer Angebote einer Korrektur bedurft habe. In der missverständlichen Bieterfragenbeantwortung - auch die Antworten des Auftraggebers auf Bieterfragen zählten vergaberechtlich zu den Vergabeunterlagen - habe ein erheblicher Vergaberechtsverstoß gelegen, da die Vergabeunterlagen dadurch intransparent geworden seien und nicht mehr den Vorgaben des § 7 EU Abs. 1 Nr. 1 VOB/A entsprochen hätten. Selbst wenn man die Bieterantwort als zwingenden Verzicht auf die "1-aus-2"-Lösung verstehen wolle, läge ein sachlicher Grund für die Rückversetzung vor, da dann in den Vergabeunterlagen objektiv widersprüchliche Vorgaben gemacht worden wären, die zu einem unterschiedlichen Verständnis der Bieter geführt hätten, welches zur Sicherstellung der Chancengleichheit aufzulösen gewesen sei. Der Antragsgegner habe bei seiner Zurückversetzungsentscheidung auch ermessensfehlerfrei gehandelt und keine Bieter diskriminiert. Gerade die Zurückversetzung habe der Gleichbehandlung aller Bieter gedient, indem sie sicherstellte, dass alle Bieter von identischen Produktvorgaben ausgehen. Bei der Tatsache, dass den Bietern die Submissionsergebnisse aufgrund der Publizitätsvorschrift in § 14 EU Abs. 6 VOB/A bekannt waren, handele es sich um eine mit jeder Aufhebung bzw. Zurückversetzung einhergehende Folge, die sich nicht vermeiden lasse. Dasselbe gelte für die Änderung der Bieterreihenfolge. Dem stehe auch nicht das von der Antragstellerin vorgebrachte Argument des Verbots der Mischkalkulation entgegen. Die Antragstellerin irre, wenn sie davon ausgehe, dass sich die Neukalkulation nur auf die Schutzgeräte beschränken müsse und die sonstigen Positionen des Leistungsverzeichnisses davon unberührt blieben, weil nicht ausgeschlossen werden könne, dass sich die Anpassung der angebotenen Leistung an die klargestellten Anforderungen an die Schutzgeräte zumindest bei einzelnen Bietern auf die Gesamtkalkulation auswirke. Im Übrigen sei die Gefahr einer Änderung des Wertungsergebnisses durch die - von der Antragstellerin offenbar gewollte - auf wenige Positionen beschränkte neue Preisbildung nicht anders zu bewerten als diejenige, die im Fall einer umfassenden Zurückversetzung bestanden habe und führe im Übrigen zu einer Diskriminierung derjenigen Bieter, bei denen sich der Austausch der Schutzgeräte auf die Gesamtkalkulation auswirke. Die vollständige Zurückversetzung sei nach Auffassung der Rechtsprechung zur Gewährleistung eines fairen Wettbewerbs regelmäßig erforderlich. Denn es sei zu erwarten, dass eine von der Änderung betroffene Leistungsposition die Preisstruktur des Angebots mitbestimme und damit das Preisgefüge des Angebots insgesamt nachhaltig berühre. Eine teilweise Zurückversetzung sei nur dann gestattet, wenn nicht zu befürchten sei, dass die mit der Zurückversetzung einhergehende Änderung oder Klarstellung des Leistungsumfangs Einfluss auf das Preisgefüge im Übrigen haben könne. Da ein Auftraggeber nicht über das Fachwissen und Knowhow der am Wettbewerb beteiligten Bieter verfüge, dürften an die Prüftiefe der Auswirkungen auf die Angebotskalkulation keine zu hohen Anforderungen gestellt werden, eine konkrete Darlegung der befürchteten Auswirkungen sei nicht erforderlich. Letztlich trage die unbeschränkte Möglichkeit zur Neukalkulation auch der Kalkulationsfreiheit und -hoheit der Bieter Rechnung. Da der Antragsgegner die Kalkulation der Bieter im Einzelnen nicht gekannt habe, habe er nicht ausschließen können, dass sich die Anpassung der angebotenen Leistungen an die klargestellten Anforderungen an die Einschaltstromerkennung für die Schutzgeräte auf die Gesamtkalkulation und damit auf das Preisgefüge auswirke (z.B. bei Auswechslung der Schutzgeräte Änderung der Positionen für Baustellengemeinkosten o.ä.), zumal nach interner Schätzung und einem Preisvergleich ein relativ großer Kostenunterschied zwischen Schutzgeräten mit der geforderten "1-aus-2" Einschaltstromerkennung und solchen ohne diese bestünde. Des weiteren sei bei einer auf die Leistungspositionen für Schutzgeräte beschränkten Zurückversetzung zu befürchten gewesen, dass für einzelne Bieter eine Auswechselung der Geräte unmöglich oder mit unverhältnismäßigen Schwierigkeiten verbunden gewesen wäre, weil Mittelspannungsanlagen auf dem Markt regelmäßig als fertiges und in sich abgestimmtes Gesamtprodukt bezogen würden und einer Typenprüfung unterlägen und die Bieter somit an anderen Stellen des Leistungsverzeichnisses keine Anpassung der angebotenen Systemlösung hätten vornehmen können. Auch die Antragstellerin habe nicht ansatzweise nachgewiesen, dass alle Mittelspannungsanlagen ohne unverhältnismäßige Schwierigkeiten mit allen verfügbaren Schutzgeräten ausgestattet werden könnten. Weiterhin habe der Antragsgegner nicht abschätzen können, ob und inwieweit sich die Auswechselung der Schutzgeräte auf die Gewährleistungs- oder Garantierechte der Bieter gegenüber den Herstellern/Lieferanten der Mittelspannungsanlagen hätten auswirken können. Mit sämtlichen v.g. Erwägungen habe sich der Antragsgegner im Rahmen seiner Entscheidung über die Fortführung oder Zurückversetzung des Verfahrens auseinandergesetzt und dies in seinem Vergabevermerk dokumentiert.
Die durch Beiladungsbeschluss der Vergabekammer vom 26.11.2024 zum Verfahren hinzugezogene Beigeladene nimmt mittels Schriftsatz vom 03.12.2024 zum Verfahren Stellung und beantragt in der mündlichen Verhandlung,
1.den Nachprüfungsantrag zurückzuweisen,
2.der Antragstellerin die Kosten des Nachprüfungsverfahrens einschließlich der zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beigeladenen aufzuerlegen,
3.die Hinzuziehung der Verfahrensbevollmächtigten durch die Beigeladene für notwendig zu erklären.
Zur Sache selbst führt sie in v.g. Schriftsatz sowie in einem weiteren Schriftsatz vom 10.01.2025 wie folgt aus:
Der Antragsgegner sei aufgrund der durch seine Bieterfragen-Beantwortung vom 23.08.2024 verursachte Intransparenz der Vergabeunterlagen nicht nur berechtigt, sondern vielmehr verpflichtet gewesen, eine Teilrückversetzung des Vergabeverfahrens vorzunehmen. Ein öffentlicher Auftraggeber könne aufgrund der auch für öffentliche Ausschreibungen geltenden Vertragsfreiheit nicht verpflichtet werden, einen Auftrag auf der Grundlage einer Ausschreibung zu erteilen, die er als fehlerhaft erkannt habe. Auch könne er nicht dazu verpflichtet werden, Leistungen zu beschaffen, die dem von ihm definierten Bedarf nicht entsprächen. Wie und unter welchen Voraussetzungen ein öffentlicher Auftraggeber den von ihm erkannten Fehler behebe, unterliege seiner Gestaltungsfreiheit, die allerdings unter Beachtung der vergaberechtlichen Gebote der Transparenz, Nichtdiskriminierung und Gleichbehandlung auszuüben sei. Erkenne ein Auftraggeber erst anhand der eingegangenen Angebote nach Ablauf der Angebotsfrist, dass seine Vorgaben im Vergabeverfahren missverständlich waren bzw. die Bieter diese Vorgaben anders verstanden haben, als er sie habe verstanden wissen wollen, komme eine Fehlerkorrektur nur durch Aufhebung bzw. (Teil-)Zurückversetzung des Verfahrens in Betracht. Voraussetzung hierfür sei lediglich, dass ein sachlicher Grund vorliege, dann schließe auch eine erfolgte Submission die Aufhebung oder (Teil-)Zurückversetzung nicht aus. Dabei komme es nicht darauf an, ob einer der in § 17 EU Abs. 1 VOB/A normierten Aufhebungsgründe gegeben sei. Vorliegend sei die Zurückversetzung durch einen sachlichen Grund gedeckt. Nach der Antwort des Antragsgegners vom 23.08.2024 auf die Bieterfragen vom 21.08.2024 sei aus der maßgeblichen Sicht eines verständigen Bieters davon auszugehen gewesen, dass der Antragsgegner seine im Leistungsverzeichnis formulierte Anforderung aufgegeben habe, dass die angebotenen Feldleit- und Schutzgeräte über eine Einschaltstromerkennung durch zwei unabhängig Messverfahren in Form einer "1-aus-2"-Entscheidung verfügen müssten, obwohl der Antragsgegner diese tatsächlich weiterhin gewollt habe. Dem fachkundigen Bieter sei bekannt, dass am Markt Verfahren zur Einschaltstromerkennung verfügbar seien, die ohne zwei unabhängige Messverfahren (d.h. ohne "1-aus-2"-Entscheidung) arbeiteten und mit denen die Anlage des Antragsgegners ebenfalls ohne Weiteres hätte betrieben werden können. Es habe somit eine Abweichung des Begriffsverständnisses des Antragsgegners von dem eines durchschnittlichen Bieters vorgelegen, welche zur Intransparenz der Vergabeunterlagen geführt und der Erteilung des Zuschlags zwingend entgegengestanden habe. Daher sei die Zurückversetzung nicht nur sachlich legitimiert, sondern zwingend und mithin willkürfrei gewesen. Auch der Umfang der Zurückversetzung sei vergaberechtlich nicht zu beanstanden, sondern bewege sich innerhalb des dem öffentlichen Auftraggebers zustehenden Entscheidungsspielraums. Die Entscheidung, welche Maßnahmen zur Korrektur eines erkannten Fehlers er ergreife, obliege ausschließlich dem öffentlichen Auftraggeber, wobei er dabei an die Gebote der Transparenz, Nichtdiskriminierung und Gleichbehandlung gebunden sei. Der Antragsgegner habe alle Bieter transparent über die Zurückversetzung des Verfahrens und die dieser Zurückversetzung zugrundeliegenden Überlegungen informiert. Die Antragstellerin habe nicht einmal im Ansatz dargetan, dass die Entscheidung des Antragsgegners, das Verfahren insgesamt in die Phase vor Abgabe der Angebote zurückzuversetzen, mit einem der Grundsätze der Transparenz, Nichtdiskriminierung und Gleichbehandlung unvereinbar sei. Die Zurückversetzung stelle somit zum einen schon keine Verletzung von Bieterrechten der Antragstellerin dar und sei zum anderen aus den im Vergabevermerk niedergelegten Gründen sachlich in jeder Hinsicht nachvollziehbar. Die Zurückversetzung in die Phase vor Angebotsabgabe und Aufforderung zur Abgabe neuer Angebote habe auch weder das Gebot des fairen Wettbewerbs noch das Gebot des Geheimwettbewerbs verletzt. Dass die Bieter in der zweiten Angebotsrunde die Bieter aus der ersten Angebotsrunde und deren Angebotssummen kannten, liege in der Natur der Sache und sei von den am Wettbewerb beteiligten Unternehmen hinzunehmen. Davon mitumfasst sei, dass alle Bieter davon ausgehen müssten, dass die Bieter aufgrund ihrer Kenntnisse aus der ersten Runde ihre Angebote in der zweiten Runde anpassen und optimieren, so dass eine Änderung der Bieterreihenfolge in der zweiten Runde sogar wahrscheinlich sei. Daran hätte auch eine nur die Positionen Feldleit- und Schutzgeräte betreffende "Teilrückversetzung" nichts geändert. Weiterhin dürfe eine solche Teilrückversetzung schon dann nicht erfolgen, wenn auch nur zu befürchten sei, dass die auf bestimmte Preise bezogene Änderung Einfluss auf das Preisgefüge im Übrigen haben könne. Der Antragsgegner habe in seinem Vergabevermerk ausführlich begründet und dokumentiert, warum eine solche Auswirkung auf das Preisgefüge nicht auszuschließen sei. Alle Bieter, die in der ersten Runde Geräte ohne eine sensitive Einschaltstromerkennung durch 2 unabhängige Messverfahren "1-aus-2" angeboten hatten, hätten zu prüfen gehabt, ob und unter welchen Voraussetzungen Geräte, die die "1-aus-2"- Anforderung erfüllten, in die zunächst angebotenen Anlagen integriert werden könnten und zu welchen Konditionen und innerhalb welcher Frist dies erfolgen könne. Dass dies Auswirkungen nicht nur auf die Kalkulation der Feldleit- und Schutzgeräte "an sich", sondern auch auf die Planung und Kalkulation des Angebots im Übrigen, insbesondere hinsichtlich der ihrem monetären Volumen nach stark ins Gewicht fallenden Positionen der "Mittelspannungsanlage" gehabt hätten, dürfte ohne weiteres auf der Hand liegen - und zwar unabhängig davon, ob sich die Feldleit- und Schutzgeräte, welche die Anforderung "1-aus-2" erfüllten, grundsätzlich in andere Anlagen integrieren ließen.
Am 09.12.2024 wurde der Antragstellerin und am 10.12.2024 der Beigeladenen Akteneinsicht mittels Übersendung des Vergabevermerks des Antragsgegners vom 30.10.2024, jeweils in einer um Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse bereinigten Version, gewährt.
Mit Beschluss vom 19.11.2024 wurden das vorliegende Verfahren und das Verfahren - VK 58/24-B - zur gemeinsamen Verhandlung verbunden.
In der mündlichen Verhandlung vom 15.01.2025 wurde der Sach- und Streitstand mit den Beteiligten erörtert.
Bezüglich der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Schriftsätze, der Verfahrensakte, der Vergabeunterlagen sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung verwiesen.
II.
Der Nachprüfungsantrag ist hinsichtlich des von der Antragstellerin gestellten Hauptantrags zulässig. Dagegen ist ihr Hilfsantrag unstatthaft.
1. Zuständigkeit
Die Vergabekammer Rheinland ist gemäß §§ 155, 156 Abs. 1 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) i.V.m. § 2 Abs. 2 der Verordnung über Einrichtung und Zuständigkeit der Vergabekammern NRW (Zuständigkeitsverordnung Vergabekammern NRW - VK ZuStV NRW) vom 02.12.2014 (SGV.NRW.630), zuletzt geändert durch Verordnung vom 27.11.2018 (GV.NRW.S.639) für die Entscheidung zuständig.
2. Schwellenwert
Der gemäß § 106 GWB i. V. m. § 3 VgV maßgebliche Schwellenwert (= 5.538.000,- Euro) wird durch die von dem Antragsgegner als öffentlicher Auftraggeber i.S.v. § 99 Nr. 3 GWB veranlasste Baumaßnahme zweifelsfrei überschritten.
3. Antragsbefugnis
Die Antragstellerin ist antragsbefugt. Nach § 160 Abs. 2 GWB ist jedes Unternehmen antragsbefugt, das ein Interesse an dem öffentlichen Auftrag hat, eine Verletzung in seinen Rechte nach § 97 Abs. 6 GWB durch Nichtbeachtung von Vergabevorschriften geltend macht und dem dadurch ein Schaden entstanden ist oder zu entstehen droht.
Regelmäßig wird das Interesse an dem ausgeschriebenen Auftrag durch die Abgabe eines Angebots bekundet. Vorliegend hat die Antragstellerin sowohl in der ersten Angebotsrunde als auch in der zweiten Angebotsrunde ein Angebot abgegeben.
Indem sie die Rechtmäßigkeit bzw. Rechtswirksamkeit der Zurückversetzung des Vergabeverfahrens in dem vom Antragsgegner vorgenommenen Umfang - Möglichkeit zur Einreichung komplett neu kalkulierter Angebote anstelle einer Neukalkulation nur hinsichtlich der die Feldleit- und Schutzgeräte betreffenden Angebotspositionen - bestritten hat, hat die Antragstellerin auch einen Verstoß gegen Vergabevorschriften i.S.v. § 97 Abs. 6 GWB geltend gemacht. Denn die Vorschriften, welche die Aufhebung des Vergabeverfahrens - als eine solche Teilaufhebung ist die vom Antragsgegner vorgenommene Zurückversetzung des Verfahrens rechtsdogmatisch einzuordnen (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss v. 12.01.2015 - VII-Verg 29/14) - regeln, haben bieterschützenden Charakter (vgl. in Bezug auf den mit § 17 EU VOB/A im Wesentlichen identischen § 63 VgV: Mehlitz in: Beckscher Vergaberechtskommentar, (Hrsg. Burgi/Dreher), Bd. 2, 3. Aufl. 2019, § 63 VgV, Rn. 78).
Fraglich ist allerdings, ob ihr durch die Zurückversetzung auch ein Schaden hat entstehen können. In der zweiten Angebotsrunde rangierte das Angebot der Antragstellerin in der Bieterfolge statt - wie in der ersten Angebotsrunde - auf dem ersten Platz preislich nur auf dem zweiten Platz. Hieraus will die Antragstellerin einen Schaden herleiten, indem sie behauptet, aufgrund der Offenlegung der Angebotssummen der ersten Angebotsrunde wäre sie preislich unterboten worden. Diese Offenlegung ist aber zwingende Folge des Publizitätsgebots des § 14 EU Abs. 6 VOB/A, was von der Antragstellerin hinzunehmen ist. Aus der Durchführung einer zweiten Angebotsrunde nach der gem. § 14 EU Abs. 6 VOB/A gesetzlich angeordneten Bekanntgabe der Angebotssummen kann der Antragstellerin folglich kein Schaden entstanden sein.
Ein der Antragstellerin drohender Schaden kann jedoch darin gesehen werden, dass der Antragsgegner durch die Verfahrensrückversetzung sämtlichen Bietern die Möglichkeit eröffnet hat, komplett neu kalkulierte Angebote einzureichen und die Neukalkulation nicht auf die Positionen beschränkt hat, welche die Feldleit- und Schutzgeräte betreffen. Zwar ist nicht klar, ob eine solche auf die v.g. Positionen beschränkte Verfahrensrückversetzung dazu geführt hätte, dass das Angebot der Antragstellerin weiterhin wie in der ersten Angebotsrunde auf dem ersten Platz verblieben wäre und damit eine Chance auf den Zuschlag gehabt hätte. Denn auch durch die Neubepreisung nur der v.g. Positionen hätte sich durchaus eine Verschiebung in der Rangfolge der Bieter - hier insbesondere zwischen der Antragstellerin und der in der ersten Angebotsrunde mit einem im Hinblick auf das Gesamtauftragsvolumen nur gering über dem Angebotspreis der Antragstellerin auf dem zweiten Platz liegenden Bieterin - ergeben können. Da jedoch nicht völlig auszuschließen ist, dass das Angebot der Antragstellerin bei der Neubepreisung nur einzelner Positionen weiterhin auf dem ersten Platz geblieben wäre und weil an die Darlegung eines [drohenden] Schadens nur geringe Anforderungen zu stellen sind - der Antragsteller muss nicht darlegen, dass er bei korrekter Anwendung der Vergabevorschriften den Auftrag erhalten hätte (vgl. BVerfG Beschluss v. 29.07.2004 - 2 BvR 2248/03; OLG Düsseldorf Beschlüsse v. 9.2.2009 - VII-Verg 66/08, und v. 23.01.2008 - VII.Verg 36/07; OLG München Beschluss v. 23.12.2010 - Verg 21/2010) - ist dieser vorliegend zu bejahen und eine Antragsbefugnis gegeben.
4. Rügeobliegenheit
Die Antragstellerin ist auch ihrer Rügeobliegenheit aus § 160 Abs. 3 S. 1 GWB fristgemäß nachgekommen und hat innerhalb der Frist des § 160 Abs. 3 S. 1 Nr. 4 GWB den vorliegenden Nachprüfungsantrag gestellt.
5. Hilfsantrag
Der von der Antragstellerin hilfsweise gestellte Feststellungsantrag ist im Gegensatz zu ihrem Hauptantrag nicht statthaft. In den Fällen, in denen das Verfahren - wie hier - nicht erst nach Einleitung des Vergabenachprüfungsverfahrens aufgehoben worden ist, ist ein hilfsweise gestellter Feststellungsantrag nach § 168 Abs. 2 S. 2 GWB nur zulässig, wenn der damit verbundene Hauptantrag darauf gerichtet ist, die Aufhebung der Aufhebung des Vergabeverfahrens zu erreichen (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 09.06.2021 - VII-Verg 3/21). Eine solche "Aufhebung der Aufhebung" hat die Antragstellerin vorliegend in der Hauptsache nicht beantragt. Sie hat die Wirksamkeit der [Teil-]Aufhebung des Vergabeverfahrens nicht in Frage gestellt, sondern nur den Umfang der Rückversetzung als nicht mit Vergaberecht in Einklang stehend angegriffen. Eine Rücknahme der Zurückversetzung als solche würde ihr auch nicht weiterhelfen, da sie mit ihrem ersten Angebot Feldleit- und Schutzgeräte angeboten hat, die hinsichtlich der Einschaltstromerkennung die im Leistungsverzeichnis gestellte Anforderung ("1-aus-2"-Lösung) unstreitig nicht erfüllt haben. Daraus ergibt sich, dass ihr erstes Angebot zwingend hätte ausgeschlossen werden müssen, da es von den Vergabeunterlagen abwich. Im Übrigen ergibt sich aus dem Leistungsbestimmungsrecht des öffentlichen Auftraggebers, dass der Antragsgegner, der explizit eine "1-aus-2-Lösung" für erforderlich erachtet, nicht gezwungen werden kann, Feldleit- und Schutzgeräte wie die von der Antragstellerin in ihrem ersten Angebot angebotenen, die seinem Bedarf nicht entsprechen, zu beschaffen.
III.
Der hinsichtlich des von der Antragstellerin gestellten Hauptantrags zulässige Nachprüfungsantrag ist unbegründet. Hinsichtlich des von ihr gestellten Hilfsantrags erübrigen sich Ausführungen zur Begründetheit, da dieser Antrag bereits, wie oben unter Ziffer II.5 ausgeführt, unstatthaft ist. Somit ist die Antragstellerin auch nicht in ihren Rechten nach § 97 Abs. 6 GWB verletzt.
Die Antragstellerin bestreitet nicht, dass der Antragsgegner grundsätzlich zur Verfahrensrückversetzung berechtigt war. Die Antragstellerin wendet sich vielmehr in ihrem Hauptantrag nur gegen den Umfang, in dem der Antragsgegner diese Rückversetzung vorgenommen hat. Die Rückversetzung steht jedoch hinsichtlich ihres Umfangs mit Vergaberecht in Einklang. Nur der Vollständigkeit halber wird nachfolgend unter Ziffer 1.1 dargelegt, warum die Zurückversetzung des Verfahrens als solche auch rechtswirksam erfolgt ist.
1. Zurückversetzung des Verfahrens
Die vom Antragsgegner vorgenommene Zurückversetzung des Verfahrens ist rechtsdogmatisch als (Teil-)Aufhebung des Vergabeverfahrens anzusehen (vgl. Portz in: Röwekamp/Kus/Marx/Portz/Prieß, Kommentar zur VgV, 2. Aufl. 2022, § 63 VgV, Rn. 30; OLG Düsseldorf, Beschluss v. 12.01.2015 - VII-Verg 29/14).
Ein öffentlicher Auftraggeber ist nicht dazu verpflichtet, ein begonnenes Vergabeverfahren durch Zuschlagserteilung abzuschließen (vgl. Mehlitz in: Beckscher Vergaberechtskommentar (Hrsg. Burgi/Dreher), Bd. 2, 3. Aufl. 2019, § 17 VOB/A-EU, Rn. 13). Er kann grundsätzlich jederzeit rechtswirksam auf die Vergabe des Auftrags verzichten, unabhängig davon, ob ein gesetzlich normierter Aufhebungsgrund i.S.v. § 17 EU Abs. 1 VOB/A vorliegt oder nicht (vgl. statt vieler: OLG Düsseldorf, Beschluss vom 10.02.2021 - Verg 22/20; OLG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 28.03.2024 - 54 Verg 2/23,; VK Südbayern, Beschluss vom 21.05.2024 - 3194.Z3-3_01-24-8). Auch selbstverschuldete Aufhebungsgründe hindern den öffentlichen Auftraggeber nicht daran, ein Vergabeverfahren abzubrechen (vgl. zur weitestgehend identischen Aufhebungsregelung des § 63 VgV: Mehlitz in: Beckscher Vergaberechtskommentar (Hrsg. Burgi/Dreher), Bd. 2, 3. Aufl. 2019, § 63 VgV, Rn. 18 m.w.N. auf: EuGH 16.10.2003 - Rs. C-244/02, Rn. 36 und EuGH 11.12.2014 Rs. C-440/13). Die Rechtswirksamkeit der Aufhebung setzt lediglich voraus, dass der öffentliche Auftraggeber für seine Aufhebungsentscheidung einen sachlichen Grund hat, so dass eine Diskriminierung einzelner Bieter ausgeschlossen und seine Entscheidung nicht willkürlich ist oder nur zum Schein erfolgt (vgl. statt vieler: OLG Düsseldorf, Beschluss v. 10.05.2023 - Verg 45/22 m.w.N).
Vorliegend ist ein sachlicher Grund für die Zurückversetzung des Verfahrens darin zu sehen, dass die vom Antragsgegner in der Leistungsbeschreibung an die Einschaltstromerkennung für die Feldleit- und Schutzgeräte gestellten Anforderungen (="
Sensitive Einschaltstromerkennung durch zwei unabhängige Messverfahren "1-aus-2" Entscheidung
") durch seine Antwort auf die Bieterfrage Nr. 6 vom 21.08.2024 ("Eine Einschaltstromerkennung um Fehlauslösungen beim Einschalten des Trafos zu erkennen muss gegeben sein.") nicht mehr eindeutig waren, d.h. die Vergabeunterlagen dadurch intransparent geworden sind. Denn aus der objektiven Sicht eines verständigen und fachkundigen Bieters, auf dessen Perspektive es bei der Auslegung von Vergabeunterlagen analog §§ 133, 157 BGB ankommt, konnte aus dem Widerspruch zwischen Leistungsverzeichnis und Antwort auf die Bieterfrage 6 durchaus geschlossen werden, dass der Antragsgegner auf die "1-aus-2"-Lösung habe verzichten wollen.
Bei der Rückversetzung handelt es sich auch nicht um eine Scheinaufhebung. Diese liegt vor, wenn der Auftraggeber unter Missbrauch seiner Gestaltungsmöglichkeiten nur den Schein einer Aufhebung gesetzt hat (vgl. OLG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 28.03.2024 - 54 Verg 2/23). In diese Richtung tendiert die Argumentation der Antragstellerin, wenn sie ausführt, ein öffentlicher Auftraggeber dürfe eine Rückversetzung nicht zur Änderung des von ihm erhofften Angebotsendpreises oder des Ergebnisses der Ausschreibung nutzen. Anhaltspunkte dafür, dass derartige Überlegungen die Entscheidung des Antragsgegners bestimmt hätten, sind jedoch nicht zu erkennen. Vielmehr hat der Antragsgegner in seinem Vergabevermerk umfangreich dokumentiert, aus welchen sachlichen Erwägungen er das Verfahren zurückversetzt hat und welche Ermessenserwägungen ihn zu seiner Entscheidung - auch hinsichtlich des Umfangs der Zurückversetzung - bewogen haben. Im Übrigen konnte der Antragsgegner wohl auch tatsächlich nicht auf günstigere Angebote hoffen, da die von ihm gewollte "1-aus-2"- Lösung der Einschaltstromerkennung technisch anspruchsvoller und somit teurer ist als die "einfache" Einschaltstromerkennung.
2. Umfang der Zurückversetzung des Verfahrens
Die Antragstellerin kann mit ihrer Forderung nach einer nur auf die in ihrem Hauptantrag benannten Positionen beschränkten Aufhebung des Verfahrens und einer sich nur auf diese Positionen beziehenden neuen Angebotskalkulation nicht durchdringen.
Wie und in welchem Umfang ein öffentlicher Auftraggeber einen erkannten Fehler in seiner Ausschreibung behebt, unterliegt seiner Gestaltungsfreiheit, die allerdings an die vergaberechtlichen Gebote der Transparenz, Nichtdiskriminierung und Gleichbehandlung gebunden ist (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss v. 12.01.2015 - VII-Verg 29/14). Vorliegend hat der Antragsgegner allen an der Ausschreibung beteiligten Bietern in transparenter Form mitgeteilt, wie seine Antwort auf die Bieterfrage Nr. 6 eigentlich hätte lauten müssen und welche Anforderungen er - weiterhin und in Übereinstimmung mit dem Leistungsverzeichnis - an die Feldleit- und Schutzgeräte stellt. Damit hat er allen Bietern die Möglichkeit gegeben, die hierfür geeigneten Geräte anzubieten und ihr Angebot entsprechend neu zu kalkulieren. Dadurch ist auch nicht das Gebot des fairen Wettbewerbs verletzt. Denn eine Änderung der Bieterreihenfolge durch die Eröffnung einer zweiten Angebotsrunde haben die am Wettbewerb beteiligten Unternehmen hinzunehmen (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss v. 12.01.2015 - VII-Verg 29/14). Die Gefahr, dass sich die eröffnete Neukalkulation auf die Zuschlagsentscheidung auswirken kann, war für die Antragstellerin ebenso wie für die weiteren Bieter erkennbar und Ausdruck eines nach wie vor unentschiedenen Wettbewerbs. Die Gefahr einer Veränderung des Wertungsergebnisses durch neue Preisbildungen war nicht anders zu bewerten als diejenige, die im Fall einer Zurückversetzung nur in Einzelpositionen bestanden hätte (vgl. für den umgekehrten Fall, in dem die Zurückversetzung nicht insgesamt, sondern nur bezogen auf Einzelpositionen erfolgte und sich der Antragsteller gegen diese beschränkte Rückversetzung wandte: OLG Düsseldorf, Beschluss v. 12.01.2015 - VII-Verg 29/14). Die Rechtsprechung - vgl. hierzu wieder den v.g. OLG Beschluss in der umgekehrten Fallkonstellation - vertritt die Auffassung, dass ein fairer Wettbewerb in den Fällen nicht mehr gewährleistet ist, in denen die von der Änderung betroffenen Positionen die Preisstruktur des Angebots im Übrigen mitbestimmen und das Preisgefüge des Angebots in relevanter Weise berühren kann (vgl. vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss v. 12.01.2015 - VII-Verg 29/14). Ob ein Einzelpreis für die übrige Preiskalkulation von Bedeutung ist und deshalb einer isolierten Neufestsetzung entzogen ist, bestimmt sich nach seinem im Einzelfall bestehenden Einfluss auf andere Angebotspreise. Aus Gründen des fairen Wettbewerbs und des Gebots der Gleichbehandlung muss der öffentliche Auftraggeber, bevor er eine nur auf bestimmte Preispositionen beschränkte, zweite Angebotsrunde eröffnet, prüfen, ob die auf bestimmte Preise bezogene Preisänderung Einfluss auf das Preisgefüge im Übrigen haben kann. Schon wenn dies nur zu befürchten steht, ist der Auftraggeber an einer solchen Fehlerkorrektur gehindert und muss vollständig neue Angebote einholen. An die Prüfungstiefe öffentlicher Auftraggeber dürfen dabei nicht zu hohe Anforderungen gestellt werden, weil sie in aller Regel nicht über das gleiche Fachwissen und Knowhow verfügen wie die am Wettbewerb beteiligten Bieter (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss v. 12.01.2015 - VII-Verg 29/14). Vorliegend hat die Antragstellerin zwar vorgetragen, dass nach ihrer Auffassung der Einbau von Feldleit- und Schutzgeräten mit oder ohne "1-aus-2"-Lösung keinen Einfluss auf die in ihrem Angebot offerierte Mittelspannungsschaltanlage haben kann und hat hierfür Unterlagen des von ihr kontaktierten Herstellers ihrer Anlage vorgelegt. Diese Aussagen können sich jedoch nur auf die Anlagen ihres Lieferanten beziehen und sind daher für die grundsätzliche Entscheidung des Antragsgegners zwischen kompletter oder auf bestimmte Positionen beschränkte Rückversetzung irrelevant. Denn der Antragsgegner muss bei dieser Entscheidung die Angebote aller Bieter im Blick haben und es können von ihm auch nicht die spezifischen Kenntnisse erwartet werden, die Bieter hinsichtlich ihrer Angebotskalkulation besitzen. Des weiteren ist hier zu beachten, dass die Feldleit- und Schutzgeräte - wie sich schon aus dem Hauptantrag der Antragstellerin ergibt - in einer Vielzahl von Positionen des Leistungsverzeichnisses genannt werden, was eher dafür spricht, dass ein Wechsel dieser Geräte Einfluss auf das Komplettangebot haben kann. Dies unterscheidet den vorliegend streitgegenständlichen Fall auch von dem Sachverhalt, welcher der von der Antragstellerin zitierten Entscheidung des OLG Düsseldorfs (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss v. 12.01.2015 - VII-Verg 29/14) zugrunde lag. Denn im v.g. Fall des OLG Düsseldorfs ging es nicht - wie im vorliegend streitgegenständlichen Sachverhalt - um den Austausch von Geräten in einer Gesamtanlage, sondern um eine Änderung der für die Preiskalkulation relevanten Massenvordersätze und deren Berechnungsgrundlagen (Sichtflächen oder Ausführungsflächen [statische Flächen]) hinsichtlich bestimmter Leistungspositionen (Verbauarbeiten). Nur für diesen konkreten Einzelfall hat das OLG Düsseldorf entschieden, dass der öffentliche Auftraggeber ausnahmsweise zu einer nur auf bestimmte Leistungspositionen beschränkten Zurückversetzung berechtigt war, weil keinerlei Einfluss auf andere Angebotspreise und somit kein Einfluss auf das Preisgefüge in Gänze zu befürchten war (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss v. 12.01.2015 - VII-Verg 29/14). Diese Einzelfallentscheidung steht dem Grundsatz, dass eine isolierte Rückversetzung eines Angebotsteils regelmäßig nicht statthaft ist und stets Gelegenheit zur Überarbeitung des gesamten Angebots gegeben werden muss (vgl. Portz in: Röwekamp/Kus/Marx/Portz/Prieß, Kommentar zur VgV, 2. Aufl. 2022, § 63 VgV, Rn. 30), nicht entgegen.
Bei seiner Entscheidung zur vollständigen Zurückversetzung hat der Antragsgegner von dem ihm bei solchen Aufhebungsentscheidungen zustehenden Ermessen ordnungsgemäß Gebrauch gemacht und seine entsprechenden Erwägungen im Vergabevermerk dokumentiert. Die Vergabekammer kann keine Ermessensfehler erkennen und ist an die diesbezügliche Entscheidung des Antragsgegners gebunden (vgl. zur mit § 17 EU VOB/A weitestgehend identischen Aufhebungsregelung des § 63 VgV: Mehlitz in: Beckscher Vergaberechtskommentar (Hrsg. Burgi/Dreher), Bd. 2, 3. Aufl. 2019, § 63 VgV, Rn. 82).
IV.
Die Nebenentscheidungen beruhen auf § 182 GWB.
Die Kosten des Nachprüfungsverfahrens (Gebühren und Auslagen der Vergabekammer) sind gem. § 182 Abs. 3 S. 1 GWB von der Antragstellerin zu tragen, weil sie sowohl hinsichtlich ihres Hauptantrags als auch hinsichtlich ihres Hilfsantrags im Verfahren unterlegen ist.
Die Pflicht zur Erstattung der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Antragsgegnerin durch die Antragstellerin folgt aus § 182 Abs. 4 S. 1 GWB.
Gemäß § 182 Abs. 4 S. 2 GWB sind die Aufwendungen eines Beigeladenen nur erstattungsfähig, soweit sie aus Billigkeitsgründen der unterlegenen Partei auferlegt werden. Eine Erstattungspflicht setzt voraus, dass sich der Beigeladene mit demselben Rechtsschutzziel wie der obsiegende Verfahrensbeteiligte am Nachprüfungsverfahren beteiligt hat, d.h. sich in einen Interessengegensatz zu der unterlegenen Partei gesetzt hat (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 30.06.2014 - VII-Verg 40/13). Vorliegend hat die Beigeladene in der Sache vorgetragen und Anträge gestellt. Sie hat sich am Verfahren beteiligt und stand als Bestbieterin der zweiten Angebotsrunde und damit potentieller Zuschlagsprätendentin auch in einem Interessengegensatz zur in dieser Angebotsrunde preislich nur auf dem zweiten Platz liegenden Antragstellerin. Somit liegen die o.g. Voraussetzungen für eine Erstattung ihrer Aufwendungen vor.
Die Hinzuziehung von Verfahrensbevollmächtigten durch den Antragsgegner war notwendig i.S.v. § 182 Abs. 4 S. 4 GWB i.V.m. § 80 Abs. 2, 3 S. 2 VwVfG NRW. Über die Notwendigkeit für einen öffentlichen Auftraggeber, einen Rechtsanwalt zuzuziehen, ist nicht schematisch, sondern auf der Grundlage einer differenzierenden Betrachtung des Einzelfalls unter Berücksichtigung der spezifischen Besonderheiten des Vergabenachprüfungsverfahrens zu entscheiden. Bei der Nachprüfung vergaberechtlicher Entscheidungen handelt sich per se um eine aufgrund vielfältiger europarechtlicher Überlagerungen wenig übersichtliche und zudem steten Veränderungen unterworfene Rechtsmaterie, die wegen des gerichtsähnlich ausgestalteten Verfahrens vor der Vergabekammer bereits prozessrechtliche Kenntnisse verlangt. Grundsätzlich gilt, dass der Auftraggeber sich in seinem originären Aufgabenbereich die für ein Nachprüfungsverfahren erforderlichen Sach- und Rechtskenntnisse selbst verschaffen muss. Konzentriert sich das Nachprüfungsverfahren auf solche auftragsbezogenen Sach- und Rechtsfragen nebst den zugehörigen Vergabevorschriften, ist die Zuziehung im Allgemeinen nicht erforderlich. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz kann angenommen werden, wenn es sich um nicht einfach gelagerte, komplexe Rechtsfragen oder um Rechtsfragen handelt, die auf einer höheren Rechtsebene als jener der Vergabeordnungen zu entscheiden sind. Ergänzend können bei der Beurteilung auch die Komplexität des Sachverhalts, Bedeutung und Gewicht des Auftrags sowie der Umstand, inwieweit der öffentliche Auftraggeber über geschultes Personal und Erfahrung mit Vergabeverfahren verfügt, herangezogen werden. Schließlich kann auch der Gesichtspunkt der prozessualen Waffengleichheit in die Prüfung einfließen (vgl. zum Vorstehenden: OLG Düsseldorf, Beschluss v. 16.11.2018 - VII-Verg 60/17; Beschluss v. 31.01.2019 - VII-Verg 9/18). Nach diesen Grundsätzen war die Hinzuziehung eines anwaltlichen Verfahrensbevollmächtigten für den Antragsgegner notwendig. Gegenstand des vorliegenden Verfahrens waren komplexe Fragen der rechtlichen Möglichkeiten einer Verfahrensaufhebung sowie des Umfangs einer solchen Aufhebung. Hierbei handelt es sich um eine komplexe Materie, welche u.a. durch europarechtliche Vorgaben geprägt ist, mithin um eine nicht einfach zu beurteilende Materie. Zwar verfügt der Antragsgegner in seinem Hause über juristischen Sachverstand. Allerdings bezieht sich dieser nicht vorrangig auf Fragen des Vergaberechts, sondern die beim Antragsgegner beschäftigte Juristin ist insbesondere mit juristischen Fragen im originären Aufgabenbereich des Antragsgegners - wie dem Umweltrecht - beschäftigt. Hinzu kommt in prozessrechtlicher Hinsicht, dass das streitgegenständliche Vergabeverfahren Gegenstand zweier Nachprüfungsverfahren mit jeweils unterschiedlichen rechtlichen Aspekten war, was ebenfalls zu einer Komplexität des Verfahrens führte. Letztlich spielt auch der Gesichtspunkt der prozessualen Waffengleicheit mit den jeweils fachanwaltlich vertretenen weiteren Verfahrensbeteiligten eine die Notwendigkeit der Hinzuziehung von Verfahrensbevollmächtigten durch den Antragsgegner begründende Rolle.
Ebenso war auch die Hinzuziehung von Verfahrensbevollmächtigten durch die Beigeladene notwendig i.S.v. § 182 Abs. 4 S. 4 GWB i.V.m. § 80 Abs. 2, 3 S. 2 VwVfG NRW. Es ist nicht ersichtlich, dass die Beigeladene über ausreichend vergaberechtlich geschulte, juristische Mitarbeiter verfügt, die ihre Interessen im vorliegenden Nachprüfungsverfahren ausreichend hätten vertreten können. Im Übrigen spielen auch in Bezug auf die Beigeladene die o.g. Gesichtspunkte zur Notwendigkeit der Hinzuziehung von Verfahrensbevollmächtigten eine Rolle.
Gemäß § 182 Abs. 1 S. 1 GWB werden für Amtshandlungen der Vergabekammern Kosten (Gebühren und Auslagen) zur Deckung des Verwaltungsaufwandes erhoben. Die Höhe der Gebühren bestimmt sich gem. § 182 Abs. 1 S. 2 GWB i.V.m. § 9 Abs. 1 Verwaltungskostengesetz in der am 14.08.2013 geltenden Fassung nach dem personellen und sachlichen Aufwand der Vergabekammer unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Bedeutung des Gegenstandes der Nachprüfung. Der Gebührenrahmen wurde vom Gesetzgeber in § 182 Abs. 2 GWB für den Regelfall auf 2.500,- Euro bis 50.000,- Euro festgesetzt. Die Vergabekammern des Bundes haben eine Gebührenstaffel erarbeitet, die die Vergabekammern des Landes Nordrhein-Westfalen im Interesse einer bundeseinheitlichen Handhabung übernommen haben (vgl. Damaske in: Müller-Wrede, GWB Vergaberecht, Kommentar, 2016, § 182, Rn. 25).
Danach orientiert sich die Gebühr der Vergabekammer an der Bruttoangebotssumme des Angebots des Antragstellers als dem für die Bewertung maßgeblichen wirtschaftlichen Interesse am Nachprüfungsverfahren. Vorliegend beläuft sich die Bruttoangebotssumme der Antragstellerin in der zweiten Angebotsrunde auf
Euro. Bei Anwendung der o.g. Gebührenstaffel führt dies zu einer Gebühr in Höhe von
Euro.
V.
Gegen die Entscheidung der Vergabekammer ist die sofortige Beschwerde zulässig. Sie ist innerhalb einer Notfrist von zwei Wochen, die mit der Zustellung der Entscheidung beginnt, schriftlich beim Oberlandesgericht Düsseldorf - Vergabesenat - einzulegen.
Die Beschwerdeschrift muss durch einen Rechtsanwalt unterzeichnet sein. Dies gilt nicht für Beschwerden von juristischen Personen des öffentlichen Rechts.
Die Beschwerde ist bei Gericht als elektronisches Dokument einzureichen. Dieses muss mit einer qualifizierten elektronischen Signatur der verantwortenden Person versehen sein oder von der verantwortenden Person signiert und auf einem sicheren Übermittlungsweg eingereicht werden. Dies gilt nicht für Anlagen, die vorbereitenden Schriftsätzen beigefügt sind. Ist die Übermittlung als elektronisches Dokument aus technischen Gründen vorübergehend nicht möglich, bleibt die Übermittlung nach den allgemeinen Vorschriften zulässig.
Die sofortige Beschwerde ist zugleich mit ihrer Einlegung zu begründen. Die Beschwerdebegründung muss die Erklärung enthalten, inwieweit die Entscheidung der Vergabekammer angefochten und eine abweichende Entscheidung beantragt wird, und die Tatsachen und Beweismittel angeben, auf die sich die Beschwerde stützt.
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OLG Naumburg
Beschluss
vom 01.11.2024
6 Verg 3/24
1. Im nationalen deutschen Recht sehen weder das allgemeine Zivilrecht noch das Vergaberecht eine Verpflichtung des öffentlichen Auftraggebers vor, ein von ihm eingeleitetes Vergabeverfahren mit einem Zuschlag abzuschließen. Auch der fiskalisch handelnde öffentliche Auftraggeber kann sich auf die zivilrechtliche Privatautonomie berufen.*)
2. Bei der Entscheidung über eine Aufhebung der Ausschreibung - sei es vollständig oder teilweise, sei es in Form einer zeitlichen Zurückversetzung in ein früheres Stadium des Verfahrens oder in Form eines endgültigen Verzichts - sind die in § 97 GWB normierten Grundsätze des Vergabeverfahrens zu beachten, d. h. insbesondere der Wettbewerbsgrundsatz (Abs. 1 Satz 1), der Gleichbehandlungsgrundsatz (Abs. 2) sowie der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (Abs. 1 Satz 2).*)
3. Ein öffentlicher Auftraggeber ist bei der Entscheidung über die Beendigung des Vergabeverfahrens ohne Zuschlag stets verpflichtet, das Für und Wider einer Fortsetzung bzw. einer Beendigung des Verfahrens gegeneinander sorgsam abzuwägen und insoweit eine Ermessensentscheidung zu treffen. Aus der fortlaufenden Vergabedokumentation müssen eine sachgemäße Entscheidungsfindung plausibel und substanziell nachvollziehbar hervorgehen sowie durch sie Willkür und Manipulationsgefahr ausgeschlossen sein. Gleichwohl sind die von der Vergabestelle im Nachprüfungsverfahren vorgebrachten Umstände und Gesichtspunkte, mit denen eine angefochtene Entscheidung nachträglich verteidigt werden soll, von der Nachprüfungsinstanz auf ihre Stichhaltigkeit zu prüfen.*)
vorhergehend:
VK Sachsen-Anhalt, 21.06.2024 - 1 VK LSA 2/24
Tenor:
Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss der 1. Vergabekammer des Landes Sachsen-Anhalt vom 21. Juni 2024 wird zurückgewiesen.
Die Antragstellerin hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Auslagen des Antragsgegners zu tragen.
Der Geschäftswert des Beschwerdeverfahrens wird auf eine Wertstufe bis zu 65.000 Euro festgesetzt.
Gründe:
A.
Der Antragsgegner, ein Landeseigenbetrieb, leitete am 06.07.2023 ein Vergabeverfahren für den oben genannten Bauauftrag auf der Grundlage der Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen (VOB) - Ausgabe 2019 - ein. Der Bauauftrag ist Bestandteil eines umfassenden Sanierungsprojekts, welches mit Mitteln des EFRE-Programms gefördert wird. Als Ausführungszeitraum des Bauauftrags war die Zeit vom 09.10.2023 bis zum 20.12.2024 vorgesehen.
In der Auftragsbekanntmachung wurde bezüglich der Befähigung zur Berufsausübung (Abschnitt III.1.1) gefordert, dass die Bieter ihre Eignung zugleich mit dem Angebot entweder durch Eintragung im PQ-Verzeichnis oder durch Eigenerklärung gemäß Formblatt 124 oder durch EEE nachweisen sollten. Für den Fall, dass das Angebot eines nicht präqualifizierten Bieters in die engere Wahl gelangt, waren die im Formblatt 124 angegebenen Bescheinigungen auf gesondertes Verlangen vorzulegen. Gleiche Anforderungen galten für dritte Unternehmen, auf deren Fähigkeiten der Bieter sich zur Erfüllung des Auftrags beruft. Die Bekanntmachung enthielt den Verweis, dass das Formblatt 124 Bestandteil der Vergabeunterlagen sei. Bezüglich der wirtschaftlichen und finanziellen Leistungsfähigkeit (Ziffer III.1.2) sowie bezüglich der technischen und beruflichen Leistungsfähigkeit (Ziffer III.1.3) wurde jeweils auf Ziffer III.1.1 verwiesen. Einziges Zuschlagskriterium war der niedrigste Angebotspreis (Ziffer II.2.5).
Innerhalb der bis zum 08.08.2023, 11:00 Uhr, laufenden Angebotsfrist gingen die Angebote von sechs Bietern, darunter der Antragstellerin, ein. Das Angebot der Antragstellerin lag nach seiner Brutto-Angebotssumme auf dem zweiten Platz.
Ausweislich des Vergabevermerks vom 03.11.2023 ergab die Angebotsprüfung, dass insgesamt drei Angebote nach § 16 EU Nr. 4 VOB/A wegen Unvollständigkeit und insgesamt zwei weitere Angebote nach § 15 EU Abs. 2 VOB/A wegen verweigerter Mitwirkung an der Angebotsaufklärung auszuschließen seien. Die vermeintlichen Angebotsmängel, welche zum Ausschluss führten, bezogen sich dabei bei vier Bietern auf Eignungsfragen. Der Antragsgegner beabsichtigte die Vergabe des Auftrags an den einzig verbliebenen Bieter. Er teilte der Antragstellerin mit Schreiben vom 06.11.2023 mit, dass deren Angebot vom weiteren Vergabeverfahren ausgeschlossen worden sei, weil das Formblatt 223, betreffend die Aufgliederung der Einheitspreise, nicht fristgerecht eingereicht worden sei.
Zwei Bieter, darunter die Antragstellerin, rügten jeweils den Ausschluss ihrer Angebote, worauf der Antragsgegner die Angebotsprüfung hinsichtlich dieser beiden Angebote fortsetzte und sie in die weitere Wertung einbezog. Die anderen drei Bieter, deren Angebote vom Ausschluss betroffen waren, erhoben keine Rüge. Der Antragsgegner teilte der Antragstellerin mit Schreiben vom 13.11.2023 mit, dass der Ausschluss des Angebots zurückgenommen werde und das Angebot in der Wertung verbleibe.
Ausweislich der Fortschreibung des Vergabevermerks vom 05.12.2023 war nunmehr vorgesehen, unter den drei verbliebenen Hauptangeboten den Zuschlag auf das Angebot der Antragstellerin zu erteilen.
Im Rahmen der - entsprechend dem im Formblatt 124 vorgesehenen Bestbieterprinzip vorzunehmenden - weiteren Prüfung der Eignungsunterlagen der für den Zuschlag vorgesehenen Antragstellerin forderte der Antragsgegner die Vervollständigung der Referenzunterlagen. Nach Fristablauf und erneuter Prüfung teilte der Antragsgegner der Antragstellerin mit Schreiben vom 29.01.2024 mit, dass geforderte Eignungsunterlagen unvollständig seien, insbesondere fehle auf der Referenzbescheinigung für die Antragstellerin für ein Bauvorhaben (K.) die Unterschriftenseite des Referenzgebers, und es fehlten die vollständigen Referenzen für zwei von der Antragstellerin benannte Nachauftragnehmer.
Nach dem Inhalt der Fortschreibung der Vergabeempfehlung der beratenden Architekten vom 18.01.2024 wurde nunmehr das Angebot der L. H1.GmbH aus S. (künftig: Zuschlagsaspirantin) als das annehmbarste Angebot bewertet. Auch hierüber wurde die Antragstellerin mit dem o.a. Schreiben vom 29.01.2024 informiert.
Nach erfolgloser Rüge hat die Antragstellerin mit Schriftsatz vom 08.02.2024 die Einleitung eines Nachprüfungsverfahrens bei der Vergabekammer beim Landesverwaltungsamt Sachsen-Anhalt mit dem Ziel beantragt, dass dem Antragsgegner untersagt werden möge, den Zuschlag auf das Angebot der o.a. Zuschlagsaspirantin zu erteilen, und ihm aufzugeben, bei fortbestehender Beschaffungsabsicht die Angebotswertung zu wiederholen. Dieser Nachprüfungsantrag ist unter dem Aktenzeichen 1 VK LSA 02/24 registriert und dem Antragsgegner am 08.02.2024 übermittelt worden.
Der Vorsitzende der Vergabekammer hat die am 14.03.2024 auslaufende Entscheidungsfrist mit Verfügung vom 13.03.2024 bis zum 18.04.2024, mit Verfügung vom 17.04.2024 bis zum 23.05.2024 und mit Verfügung vom 22.05.2024 bis zum 27.06.2024 jeweils verlängert.
Am 20.03.2024 hat der Vorsitzende der Vergabekammer Hinweise zur vorläufigen Bewertung der Sach- und Rechtslage durch die Nachprüfungsinstanz erteilt. Darin heißt es, dass derzeit eine Rückversetzung des Vergabeverfahrens vor Bekanntmachung "unausweichlich" erscheine. In Ermangelung wirksam bekanntgegebener Eignungskriterien scheide eine Bewertung der Eignung sämtlicher am streitbefangenen Vergabeverfahren beteiligter Bieter generell aus. Eine Zuschlagserteilung sei vorliegend unmöglich. Die Veröffentlichung einer neuen Auftragsbekanntmachung sei aus Sicht der Vergabekammer "unabdingbar". In der Zeit vom 20. bis zum 27.03.2024 fanden interne Beratungen in den verschiedenen, mit dem Verfahren befassten Fachabteilungen des Antragsgegners statt, deren Inhalt nicht dokumentiert ist. Mit E-Mail vom 27.03.2024 mahnte die Fachabteilung Baudurchführung eine Entscheidung im Hinblick auf die auslaufende Bindefrist der beiden verbliebenen Angebote an; darin brachte sie zum Ausdruck, dass angesichts der kammerseitig mitgeteilten Auffassung die Erteilung eines Zuschlags im vorliegenden Vergabeverfahren "mehr als unwahrscheinlich" zu sein scheine. Sie tendiere daher zur Aufhebung der Ausschreibung und nachfolgender Neuausschreibung. Eine abschließende Besprechung fand im Wege einer Videokonferenz statt, deren Inhalt bzw. Ergebnis ebenfalls nicht dokumentiert ist. Der Antragsgegner hat der Vergabekammer am 03.04.2024 mitgeteilt, dass er sich entschlossen habe, das Vergabeverfahren durch Aufhebung in den Stand vor Veröffentlichung der Bekanntmachung zurückzuversetzen, die Bieter hierüber zu informieren und das Nachprüfungsverfahren sodann für erledigt zu erklären.
Der Antragsgegner informierte die Bieter, darunter die Antragstellerin, mit gleichlautenden Schreiben vom 04.04.2024 darüber, dass er sich mit dem Hinweis der Vergabekammer vom 20.03.2024 intensiv auseinandergesetzt und im Ergebnis der dortigen Auffassung angeschlossen habe. Unter den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln sei die Zurückversetzung in den Stand vor Veröffentlichung der Bekanntmachung nach seiner Einschätzung im konkreten Fall die einzige Möglichkeit, um einen fairen Wettbewerb wiederherzustellen. Er informierte die Bieter über die Aufhebung der Ausschreibung sowie über die Absicht einer erneuten Ausschreibung desselben Auftrags unter überarbeiteten Eignungsanforderungen.
Mit Schriftsatz vom 22.04.2024 hat die Antragstellerin einen neuen Nachprüfungsantrag bei der Vergabekammer eingereicht, mit dem sie die Aufhebung der Aufhebung und die Verpflichtung des Antragsgegners begehrt, das Verfahren bei fortbestehender Beschaffungsabsicht in das Stadium vor der Angebotswertung zurückzuversetzen und fortzuführen, hilfsweise festzustellen, dass die Aufhebung der Ausschreibung rechtswidrig sei und sie in ihren subjektiven Rechten verletze. Dieser Nachprüfungsantrag ist unter dem Aktenzeichen 1 VK LSA 07/24 registriert und dem Antragsgegner übermittelt worden.
Die Vergabekammer hat die Verfahren 1 VK LSA 02/24 und 1 VK LSA 07/24 durch Beschluss vom 31.05.2024 unter Führung des erstgenannten Verfahrens verbunden. Mit Beschluss vom 04.06.2024 hat es der Antragstellerin Einsicht in die Vergabeakte ab der Entschlussfassung zur Aufhebung des Vergabeverfahrens gewährt und den weitergehenden Antrag auf Akteneinsicht zurückgewiesen.
Die Vergabekammer hat nach mündlicher Verhandlung vom 18.06.2024 durch Beschluss vom 21.06.2024 die Hauptanträge des Nachprüfungsantrags der Antragstellerin zurückgewiesen und auf die Hilfsanträge festgestellt, dass der Ausschluss des Angebots der Antragstellerin und die Aufhebung der Ausschreibung jeweils rechtswidrig waren. Sie stützt ihre Entscheidung im Wesentlichen darauf, dass die Aufhebung der Ausschreibung wirksam gewesen sei, weil die Absicht einer Neuausschreibung unter wirksamer Bekanntmachung inhaltlich hinreichender und verbal transparenter Eignungsanforderungen eine sachliche Rechtfertigung biete. Der Ausschluss des Angebots der Antragstellerin wegen Nichteignung sei hingegen rechtswidrig gewesen, weil dem Antragsgegner ein Ausschluss wegen der Nichteinhaltung der Transparenzanforderungen aus § 122 Abs. 4 Satz 2 GWB versagt gewesen sei. Die Aufhebung der Ausschreibung sei rechtswidrig, weil keiner der Aufhebungsgründe des § 17 EU Abs. 1 VOB/A vorgelegen habe.
Gegen diese ihr am 28.06.2024 zugestellte Entscheidung richtet sich die mit Schriftsatz vom 12.07.2024 erhobene und am selben Tage beim Oberlandesgericht Naumburg eingegangene sofortige Beschwerde der Antragstellerin.
Die Antragstellerin verfolgt in der Beschwerdeinstanz ihren erstinstanzlichen Hauptantrag auf Rückgängigmachung der Aufhebung weiter und macht insbesondere geltend, dass effektiver Primärrechtsschutz eines Teilnehmers am Vergabeverfahren gegen eine rechtswidrige Aufhebung jedenfalls bei fortbestehender Beschaffungsabsicht des öffentlichen Auftraggebers nur dadurch gewährleistet sei, dass die Aufhebung der Ausschreibung rückgängig gemacht werde. Hilfsweise beruft sie sich darauf, dass der Verfahrensverlauf, dort der mehrfache Versuch, das Angebot der Antragstellerin auszuschließen, die außergewöhnlich lange und tiefgreifende Prüfung der Angebote und der Umstand, dass die Zuschlagsaspirantin eine ortsansässige Wirtschaftsteilnehmerin sei, den Schluss auf eine willkürliche Entscheidung nahelege. Insoweit verweist sie ergänzend darauf, dass bereits eine vorangegangene Ausschreibung unter fragwürdigen Umständen aufgehoben worden sei. Äußerst hilfsweise führt sie an, dass es an einem sachlichen Grund für die Aufhebung der Ausschreibung fehle, weil das Bekanntmachungsdefizit bezüglich der Eignungsanforderungen keine Auswirkungen auf den Wettbewerb gehabt habe, denn es seien Angebote von geeigneten Bietern eingegangen. Schließlich habe der Antragsgegner auch kein Ermessen bei der Entscheidung über die Aufhebung ausgeübt.
Die Antragstellerin beantragt,
unter teilweiser Aufhebung der angefochtenen Entscheidung die Aufhebung des Vergabeverfahrens durch den Antragsgegner aufzuheben und den Antragsgegner bei fortbestehender Beschaffungsabsicht zu verpflichten, das Vergabeverfahren fortzuführen sowie das Angebot der Antragstellerin unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Vergabesenats zu werten.
Der Antragsgegner beantragt,
die sofortige Beschwerde zurückzuweisen.
Er sieht Unionsrecht nicht verletzt, weil er die nach Art. 55 Abs. 1 RL 2014/24/EU vom 26.02.2014 über die öffentliche Auftragsvergabe (künftig: VRL) vorgeschriebene Unterrichtung der Bieter, insbesondere auch der Antragstellerin, vorgenommen habe. Er beruft sich auf die unionsrechtliche und nationale Rechtsprechung, wonach ein Vertragsabschlusszwang des öffentlichen Auftraggebers allein aufgrund des Umstandes der Einleitung eines Vergabeverfahrens nicht bestehe. Das Vorliegen des Aufhebungsgrundes nach § 17 EU Abs. 1 Nr. 2 VOB/A sei nicht davon abhängig, dass die erforderliche grundlegende Änderung der Vergabeunterlagen nicht auf ein Verschulden des öffentlichen Auftraggebers zurückzuführen sei. Die Fortführung des vorliegenden Vergabeverfahrens ohne die Möglichkeit einer wirksamen Prüfung und Bewertung der Eignung der Bieter sei rechtswidrig. Im Vergabeverfahren seien weder willkürliche noch diskriminierende Maßnahmen ergriffen worden; Gleiches treffe auf das vorausgegangene Vergabeverfahren zu. Er - der Antragsgegner - sei bei der Aufhebung der Ausschreibung wegen der Gesamtumstände von einer Ermessensreduzierung auf Null ausgegangen.
Der Senat hat mit seinem Beschluss vom 16.08.2024 den Antrag der Antragstellerin, es dem Antragsgegner zu untersagen, bis zu einer abschließenden Entscheidung des Senats ein neues Vergabeverfahren zur Vergabe der streitgegenständlichen Bauleistungen durch Veröffentlichung einer EUweiten Bekanntmachung einzuleiten, verworfen. Wegen der Einzelheiten wird auf die Gründe des Beschlusses Bezug genommen. Der Senat hat mit weiterem Beschluss vom 29.08.2024 der Antragstellerin auf deren Antrag eine erweiterte Einsicht in die Vergabeakte des Antragsgegners - teilweise durch vollständige Überlassung von einzelnen Unterlagen, teilweise durch Übersendung von Dokumenten jeweils mit Teilschwärzungen zur Identität der Mitbewerber und zu Angebotsinhalten der Konkurrenzangebote - gewährt und den weitergehenden Antrag zurückgewiesen.
In der Rechtssache ist am 18.10.2024 mündlich verhandelt worden. Die Antragstellerin hat im Rahmen der Erörterung der Sach- und Rechtslage insbesondere darauf verwiesen, dass ihres Erachtens ein Bündel von Indizien darauf schließen lasse, dass die Aufhebung aus sachwidrigen Gründen erfolgt sei. Zudem sei die Entscheidungsfindung für eine Aufhebung nicht hinreichend transparent, weil die einzelnen Erwägungen und insbesondere die Ausübung eines Ermessens nicht dokumentiert sei. Der Antragsgegner hat ergänzend darauf hingewiesen, dass das Aufgreifen von Beanstandungen zu verschiedenen Zeitpunkten des Verfahrens auch darauf zurückzuführen gewesen sei, dass mehrere Abteilungen arbeitsteilig die Prüfungen vorgenommen hätten. Über die Frage der Reaktion auf den Hinweis der Vergabekammer vom 20.03.2024 habe es einen regen Austausch der Fachabteilungen gegeben; letztlich sei man davon ausgegangen, dass es keine andere Möglichkeit als die Zurückversetzung gegeben habe, um zu einer rechtmäßigen Auftragsvergabe zu gelangen. Der Beschaffungsbedarf bestehe grundsätzlich auch fort, allerdings seien wegen des Zeitablaufs inzwischen auch Änderungen der Leistungsbeschreibung erforderlich, so wegen der vorgefundenen Bodenverhältnisse Änderungen der Fundamentpläne. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf das Sitzungsprotokoll von diesem Tage Bezug genommen.
Die Antragstellerin hat nach dem Schluss der mündlichen Verhandlung mit Schriftsatz vom 22.10.2024 ergänzend Stellung genommen zu den in der Sitzung angesprochenen Rechts- und Bewertungsfragen; dieser Schriftsatz, auf dessen Inhalt Bezug genommen wird, ist Gegenstand der Schlussberatung des Senats gewesen.
B.
Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin ist zulässig; sie hat aber in der Sache keinen Erfolg.
Die Vergabekammer ist zu Recht von der Wirksamkeit der Aufhebung der Ausschreibung in Gestalt der Zurückversetzung des Vergabeverfahrens in den Stand vor der Absendung des Textes der Auftragsbekanntmachung ausgegangen; die von der Antragstellerin hiergegen mit der Beschwerde erhobenen Einwendungen sind im Ergebnis unbegründet.
I. Das Rechtsmittel der Antragstellerin ist zulässig.
1. Die Beschwerde ist nach § 171 Abs. 1 GWB statthaft und wurde nach § 172 Abs. 1 bis 3 GWB frist- und formgerecht beim zuständigen Gericht (§ 171 Abs. 3 Satz 1 GWB) eingelegt. Die auch im Beschwerdeverfahren von Amts wegen zu prüfenden allgemeinen Voraussetzungen für die Durchführung eines Nachprüfungsverfahrens (§§ 98 f., 103, 106 sowie 160 f. GWB) liegen vor.
2. Die Antragstellerin hat im Termin der mündlichen Verhandlung klargestellt, dass sie lediglich eine teilweise Aufhebung der Entscheidung der Vergabekammer begehrt, nämlich insoweit sie durch die Abweisung des auf Aufhebung der Aufhebung gerichteten Hauptantrages formell und materiell beschwert ist. Damit sind die Fragen, ob der Ausschluss des Angebots der Antragstellerin und ob die Aufhebung des Vergabeverfahrens jeweils rechtswidrig waren (was die Vergabekammer jeweils festgestellt hat), nicht Gegenstand des Beschwerdeverfahrens.
II. Das Rechtsmittel ist unbegründet.
1. Die Vergabekammer ist zu Recht davon ausgegangen, dass der Antragsgegner allein deswegen, weil er ein förmliches Verfahren zur Vergabe des o.a. öffentlichen Bauauftrags eingeleitet hat, nicht verpflichtet ist, in diesem Verfahren durch Zuschlagserteilung auch einen Bauvertrag abzuschließen.
a) Im nationalen deutschen Recht sehen weder das allgemeine Zivilrecht noch das Vergaberecht eine Verpflichtung des öffentlichen Auftraggebers vor, ein von ihm eingeleitetes Vergabeverfahren mit einem Zuschlag abzuschließen. Auch der fiskalisch handelnde öffentliche Auftraggeber kann sich auf die zivilrechtliche Privatautonomie berufen. Er muss einen Vertrag nicht abschließen, unabhängig davon, wie intensiv die auf einen Vertragsschluss gerichteten Verhandlungen gewesen sind. Das gilt auch, wenn keiner der in der einschlägigen Vergabevorschrift - hier § 17 EU Abs. 1 VOB/A - geregelten, zu einer Aufhebung berechtigenden Tatbestände erfüllt ist (vgl. nur Seebo in: MüKo-EuDtWettbR (Säcker) - Vergaberecht, Bd. 4, 2. Aufl. 2019, § 17 EU VOB/A Rn. 5, 7 und 9; Mehlitz in: Burgi/Dreher, Vergaberecht, Bd. 2, 3. Aufl. 2019, § 17 VOB/A-EU Rn. 13 mit Verweis auf § 63 VgV Rn. 16 f., jeweils m.w.N.). Die Möglichkeit eines öffentlichen Auftraggebers, eine von ihm eingeleitete Ausschreibung beim Vorliegen eines sachlichen Grundes ohne Zuschlag zu beenden, ist auch notwendige Folge davon, dass ein Zweck des Vergaberechts gerade darin besteht, der öffentlichen Hand eine die Bindung der ihr anvertrauten Mittel an das Gebot sparsamer Wirtschaftsführung beachtende Beschaffung bei angemessenem Mitteleinsatz zu ermöglichen und die Situation der öffentlichen Hand in dieser Hinsicht durch die Organisation eines fairen, wirksamen und transparenten Wettbewerbs zu verbessern. Damit wäre die Annahme, dass ein einmal eingeleitetes Vergabeverfahren in jedem Falle mit einem Zuschlag abzuschließen ist, schlechthin unvereinbar, weil es viele Gründe geben kann, die - unabhängig davon, ob ein nach der maßgebenden vergaberechtlichen Vorschrift vorgesehener Grund für eine rechtmäßige Aufhebung vorliegt - den Ausschreibenden hindern, eine einmal in die Wege geleitete Ausschreibung ordnungsgemäß mit der Erteilung des Zuschlags an einen Bieter zu beenden. (vgl. BGH, Urteil v. 05.11.2002 "Ziegelverblendung" - VergabeR 2003, 163 m.w.N.). Die Vergabe öffentlicher Aufträge dient nicht dem Bieterinteresse, sondern allein der Befriedigung des öffentlichen Beschaffungsbedarfs. Will der Auftraggeber diesen Bedarf - aus welchen Gründen auch immer - nicht weiterverfolgen und sieht er deshalb von der Erteilung des Zuschlags ab, werden hierdurch keine Bieterrechte verletzt (zuletzt BGH, Urteil v. 08.12.2020 - XIII ZR 19/19 "Flüchtlingsunterkunft" - BGHZ 228, 15, Rz. 21; so schon Summa VergabeR 2007, 734). Diese Sichtweise hat auch der Normgeber übernommen: In § 63 Abs. 1 Satz 2 VgV heißt es ausdrücklich, dass der öffentliche Auftraggeber grundsätzlich nicht verpflichtet ist, den Zuschlag zu erteilen. Hiermit hat der Normgeber ausweislich der Begründung des Verordnungsentwurfs keine Änderung der bislang bestehenden und für den Bereich der Vergabe öffentlicher Bauaufträge gleichermaßen geltenden Rechtslage bezweckt, sondern aus Gründen der Rechtsklarheit die hierzu ergangene Rechtsprechung aufgegriffen und klarstellend kodifiziert (vgl. Portz in: Röwekamp/Kus/Marx/Portz/Prieß, VgV, 2. Aufl. 2022, § 63 Rn. 17 m.w.N.; so auch Pauka in: MüKo-EuDtWettbR (Säcker), Bd. 3, 2. Aufl. 2018, § 63 VgV Rn. 7; Mehlitz, a.a.O., § 63 VgV Rn. 17). Auch aus Bietersicht kann ein Teilnehmer am Vergabeverfahren zwar darauf vertrauen, dass das Vergabeverfahren nach den zuvor bekannt gegebenen "Spielregeln" geführt wird, was einschließt, dass eine Aufhebung nur rechtmäßig und deswegen entschädigungslos hinzunehmen ist, wenn einer der normierten Aufhebungsgründe vorliegt, nicht aber darauf, dass das Verfahren stets mit einem Zuschlag abgeschlossen wird. Unterbleibt die Vergabe des ausgeschriebenen Auftrags, so kommt regelmäßig nur eine Entschädigung im Hinblick auf das Vertrauen in Betracht, nicht im Ergebnis nutzlose Aufwendungen für die Erstellung des Angebots und die Teilnahme am Vergabeverfahren tätigen zu müssen (vgl. BGH, Beschluss v. 18.02.2003 - X ZB 43/02 "Jugendstrafanstalt" - BGHZ 154, 32; BGH, Beschluss v. 20.03.2014 - X ZB 18/13 "Fahrbahnerneuerung I" - VergabeR 2014, 538, Rz. 20). Schließlich liegt es - spiegelbildlich dazu - grundsätzlich auch nicht in der Kompetenz der vergaberechtlichen Nachprüfungsinstanzen, im Rahmen von § 168 Abs. 1 GWB zur Beseitigung einer Rechtsverletzung eine Maßnahme anzuordnen, welche für einen öffentlichen Auftraggeber, der trotz Einleitung eines Vergabeverfahrens einen Auftrag nicht mehr erteilen will, einen rechtlichen oder tatsächlichen Zwang bedeutete, sich doch vertraglich zu binden (vgl. BGH, Beschluss v. 16.02.2003 - X ZB 43/02 "Jugendstrafanstalt" - BGHZ 154, 32; vgl. auch Reidt in: Reidt/Stickler/Glahs, VergabeR, 5. Aufl. 2024, § 168 Rn. 24, 26; Seebo, a.a.O., § 17 EU VOB/A Rn. 8).
b) Dem steht im Bereich der EUweiten Ausschreibungspflicht - wie hier - das Unionsrecht nicht entgegen. Die Richtlinie - hier ist die RL 2014/24/EU vom 26.02.2014 über die öffentliche Auftragsvergabe (künftig: VRL) einschlägig - enthält keine Bestimmung über Voraussetzungen der Beendigung eines Vergabeverfahrens ohne Zuschlagserteilung. Die in Art. 55 Abs. 1 VRL normierte Verpflichtung des öffentlichen Auftraggebers, die Teilnehmer des Vergabeverfahrens über den Ausgang desselben zu unterrichten, setzt die Möglichkeit eines Verzichts des öffentlichen Auftraggebers auf die Vergabe des Auftrags voraus, ohne deren Voraussetzungen zu regeln. Die Befugnis des öffentlichen Auftraggebers zum Verzicht auf einen Vertragsabschluss ist nach der hierzu ergangenen Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union nicht beschränkt auf Ausnahmefälle, so dass auch bloße Zweckmäßigkeitserwägungen einen solchen Verzicht rechtfertigen können (vgl. EuGH, Urteil v. 16.09.1999 - C-27/98 "Metalmeccanica Fracasso SpA" - NZBau 2000, 153, Rn. 33 zur RL 93/37/EWG - Bau-KRL; EuGH, Urteil v. 18.06.2002 - C-92/00 "Hospital Ingenieure" - VergabeR 2002, 361, Rn. 47 zur RL 92/50/EWG - DL-KRL; EuGH, Beschluss v. 16.10.2003 - C-244/02 "Kauppatalo Hansel Oy" - Rn. 36 zur RL 93/36/EWG - Liefer-KRL; Portz, a.a.O., § 63 VgV Rn. 3 m.w.N.). Das vorliegende Nachprüfungsverfahren bietet deswegen entgegen der Auffassung der Antragstellerin auch keine Veranlassung für ein Vorabentscheidungsersuchen an den Gerichtshof.
2. Allerdings bewegt sich der öffentliche Auftraggeber bei der Entscheidung über die Beendigung eines von ihm eingeleiteten Vergabeverfahrens ohne Zuschlag nicht in einem rechtsfreien Raum. Vielmehr sind auch bei der Entscheidung über eine Aufhebung - sei es vollständig oder teilweise, sei es in Form einer zeitlichen Zurückversetzung in ein früheres Stadium des Verfahrens oder in Form eines endgültigen Verzichts - die in § 97 GWB normierten Grundsätze des Vergabeverfahrens zu beachten, d.h. insbesondere der Wettbewerbsgrundsatz (Abs. 1 Satz 1), der Gleichbehandlungsgrundsatz (Abs. 2) sowie der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (Abs. 1 Satz 2; vgl. auch EuGH, Urteil v. 18.06.2002 - C-92/00 "Hospital Ingenieure" - VergabeR 2002, 361, Rn. 62; dazu schon ausführlich Kaeble ZfBR 2003, 657). Die Einhaltung dieser Grundsätze, die nach § 97 Abs. 6 GWB als subjektive Bieterrechte ausgestaltet sind, kann Gegenstand der vergaberechtlichen Nachprüfung sein. Eine Anordnung der Fortführung des Vergabeverfahrens durch die vergaberechtliche Nachprüfungsinstanz kommt deswegen in Betracht, wenn die Aufhebung als ein Missbrauch der Gestaltungsmöglichkeit erscheint, z.B. nur zum Schein erfolgt, um außerhalb des Vergabeverfahrens den Auftrag an ein Unternehmen zu erteilen, welches im laufenden Vergabeverfahren den Zuschlag nicht bekommen hätte, oder um einen Bieter, der in dem Vergabeverfahren eine echte Zuschlagschance hat, zu benachteiligen (vgl. OLG Naumburg, Beschluss v. 13.05.2003 - 1 Verg 2/03 "Thermische Abfallbehandlung II" - VergabeR 2003, 588), wenn die Aufhebung rechtsirrtümlich (z.B. in der fehlerhaften Annahme des Vorliegens von Ausschlussgründen für sämtliche eingegangene Angebote oder in irriger Annahme des Vorliegens eines Zuschlagshindernisses) (vgl. OLG Naumburg, Beschluss v. 13.10.2006 - 1 Verg 7/06 "BAB: Erd- und Deckenbau IV") oder sonst ohne sachlichen Grund erfolgt (vgl. z.B. OLG München, Beschluss v. 04.04.2013 - Verg 4/13 "Ortbetonpfähle" - VergabeR 2013, 729; OLG Düsseldorf, Beschluss v. 12.01.2015 - VII-Verg 29/14 "Polizeipräsidium" - VergabeR 2015, 435), oder wenn die Aufhebung auf einer fehlerhaften Ermessensausübung beruht bzw. unverhältnismäßig ist (vgl. OLG München, Beschluss v. 31.10.2012 - Verg 19/12 "Kinderpalliativzentrum" - VergabeR 2013, 487; ebenso OLG Naumburg, Beschluss v. 13.10.2006 - 1 Verg 7/06 "BAB: Erd- und Deckenbau IV"; vgl. allgemein zu den Anwendungsfällen BGH, 20.03.2014 - X ZB 18/13 "Fahrbahnerneuerung I" - VergabeR 2014, 538; Portz, a.a.O., § 63 VgV Rn. 21 m.w.N.; VK Berlin, Beschluss v. 08.09.2024 - VK B 1 - 39/23; Reidt, a.a.O., § 168 GWB Rn. 28 m.w.N.). Der Senat hat bereits im Rahmen der Erörterung der Sach- und Rechtslage im Termin der mündlichen Verhandlung darauf hingewiesen, dass die Anordnung der Fortführung des Vergabeverfahrens durch die Nachprüfungsinstanz einer Verpflichtung zur Zuschlagserteilung nicht gleichsteht. Der öffentliche Auftraggeber kann u.U. auch in diesem Falle das Vergabeverfahren ohne Zuschlagserteilung durch erneute Aufhebung - natürlich unter Beachtung der Auffassung der Nachprüfungsinstanz - abschließen. Die Verpflichtung zur Zuschlagserteilung bildet eine absolute Ausnahme. Im vorliegenden Fall sind jedoch die Voraussetzungen für eine Unwirksamkeit der Aufhebung des Vergabeverfahrens durch den Antragsgegner nicht gegeben.
3. Der erkennende Senat vermag - ebenso wie die Vergabekammer - keine konkreten Anhaltspunkte für die von der Antragstellerin geltend gemachte, sie diskriminierende Vorgehensweise des Antragsgegners festzustellen.
a) Die Vergabekammer hat in ihrer insoweit angefochtenen Entscheidung zutreffend ausgeführt, dass sich die Antragstellerin schon aus grundsätzlichen Erwägungen nicht mit Erfolg auf den Verlauf des vorangegangenen Vergabeverfahrens berufen kann, welches bereits auf die Vergabe u.a. auch der streitgegenständlichen Bauleistungen gerichtet gewesen ist. Dieses vorangegangene Vergabeverfahren ist durch Aufhebung beendet worden, ohne dass einer der Teilnehmer - darunter auch die hiesige Antragstellerin - einzelne Maßnahmen des Antragsgegners in diesem vorangegangenen Vergabeverfahren, insbesondere auch die Aufhebung, als vergaberechtswidrig gerügt und zum Gegenstand einer vergaberechtlichen Nachprüfung gemacht hätte. Damit ist dieses Vergabeverfahren einer vergaberechtlichen Überprüfung durch die Vergabekammer oder den Vergabesenat entzogen. Die Nachprüfung nach §§ 155 ff. GWB soll einen Primärrechtsschutz als Individualrechtsschutz während des schon begonnenen und noch laufenden Vergabeverfahrens eröffnen, nicht eine allgemeine und hier sogar retrospektive Rechtmäßigkeitskontrolle. Ob ausnahmsweise etwas Anderes gelten kann, wenn sich im Lichte des Vergabeverfahrens, welches nunmehr Gegenstand einer vergaberechtlichen Nachprüfung ist, der Verdacht einer diskriminierenden Behandlung desselben Bieters bereits im vorangegangenen Verfahren ergibt, kann hier offenbleiben. Der Senat hat die Gründe der Aufhebung durch Gewährung von partieller Akteneinsicht offengelegt. Danach ist ersichtlich, dass die Aufhebung des vorangegangenen Vergabeverfahrens darauf gestützt wurde, dass die Angebotspreise sämtlicher zuschlagsfähiger Angebote ganz erheblich über der - nochmals geprüften - Kostenschätzung des Antragsgegners (zwischen 45,8% und 82,3%) lagen und deswegen als unwirtschaftlich angesehen wurden. Anhaltspunkte für personenbezogene Grundlagen dieser Entscheidung sind nicht ersichtlich.
b) Der Senat schließt sich der Bewertung der Vergabekammer an, dass die Mitteilung des Antragsgegners vom 11.09.2023 über den fristgerechten Eingang aller Unterlagen - zeitlich nach dem Ablauf der für die Einreichung zusätzlicher Unterlagen gesetzten Frist und vor der ersten Vergabeempfehlung der Architekten des Antragsgegners - weder so gemeint noch nach objektivem Empfängerhorizont von der Antragstellerin so verstanden werden konnte, dass die inhaltliche Prüfung sämtlicher Unterlagen abgeschlossen und zu keinen Beanstandungen geführt habe. Bei dieser Mitteilung handelte es sich um eine Eingangsbestätigung. Im Übrigen umfasste die Mitteilung zugleich die Aufforderung, eine Differenz zwischen den angeführten Kosten im Formblatt 221, Punkt 3.5, und der Summe der Positionen gemäß Formblatt 235 zu erklären, woraus sich eindeutig ergab, dass die inhaltliche Prüfung gerade nicht abgeschlossen war.
c) Auch der von der Antragstellerin angeführte Umstand, dass der Antragsgegner nach ursprünglicher Bewertung der Angebote in seinem Vergabevermerk vom 03.11.2023 u.a. auch das Angebot der Antragstellerin wegen einer vermeintlichen Änderung der Vergabeunterlagen ausgeschlossen hat, deutet nicht auf eine Diskriminierung der Antragstellerin hin. Auf die Rüge der Antragstellerin hat er diese Bewertung selbst korrigiert und das Angebot der Antragstellerin in die weitere Prüfung und Wertung der Angebote einbezogen. In dem nachfolgend erarbeiteten Vergabevorschlag vom 04.12.2023 war das Angebot der Antragstellerin sogar für die Zuschlagserteilung vorgesehen.
d) Der nachfolgende Wiedereinstieg des Antragsgegners in die Eignungsprüfung beruhte einerseits auf der Vergabekonzeption: Wird die Wirtschaftlichkeit des Angebots allein nach dem niedrigsten Angebotspreis bewertet, so kommt der Eignungsprüfung eine besondere Bedeutung auch für die Qualitätssicherung zu. Das zeigt sich auch im vorliegenden Vergabeverfahren, denn sowohl die Fachabteilung Baudurchführung als auch die beratenden Architekten des Antragsgegners führten jeweils eine sorgfältige Eignungsprüfung bei allen Bietern und deren Nachunternehmern durch. Andererseits führte das vom Antragsgegner angewandte Bestbieterprinzip, wie es im Formblatt 124 angelegt ist und auch der Regelung in § 8 TVergG LSA entspricht, zu einer zweistufigen Prüfung der Eignung, zunächst ausschließlich auf der Grundlage von Eigenerklärungen der Bieter und danach - für den Fall, dass das Angebot eines Bieters als das annehmbarste im Wettbewerb für die Erteilung des Zuschlags in Betracht kommt - nochmals auf der Grundlage gesondert abzufordernder weiterer Eignungsunterlagen. Angesichts mehrfacher Neubeurteilungen, welches der Angebote zuschlagsfähig ist, und der durch das Hinzutreten oder den Wegfall eines Angebots bewirkten Veränderung der Platzierungen sind abwechselnd die Angebote verschiedener Bieter als erstplatzierte Angebote angesehen worden, was jeweils eine erneute vertiefte Eignungsprüfung des jeweiligen Bestbieters auslöste und dadurch zu einer zeitlichen Streckung des Vergabeverfahrens führte. Eine Ungleichbehandlung der Antragstellerin ist nicht zu erkennen.
e) Die Absicht des Antragsgegners, das Angebot der Antragstellerin erneut, nunmehr wegen verbliebener Zweifel an der Eignung insbesondere zweier zum Einsatz vorgesehener Nachunternehmer, auszuschließen, ist weder bei isolierter Betrachtung noch in der Gesamtschau der vorgenannten Umstände als Anhaltspunkt für eine Diskriminierung der Antragstellerin zu bewerten. Der Antragsgegner hat seine Ausschlussentscheidung auf von ihm konkret benannte Mängel der Eignungsunterlagen der Antragstellerin gestützt. Die Bewertung der Vergabekammer, dass der Ausschluss des Angebots der Antragstellerin rechtswidrig war, beruhte dem gegenüber ausschließlich darauf, dass der Antragsgegner ungeachtet der tatsächlichen Feststellungen schon aus rechtlichen Gründen eine Eignungsbewertung nicht vornehmen durfte, weil er keinerlei Eignungsanforderungen wirksam aufgestellt hatte, welche als Prüfungsmaßstab oder gar als Rechtfertigung für einen Angebotsausschluss in Betracht gekommen wären. Die Intensität der Eignungsprüfung der Antragstellerin unterschied sich dabei weder von derjenigen des ursprünglichen Bestbieters noch von derjenigen des zuletzt als Zuschlagsaspiranten vorgesehenen Mitbewerbers.
4. Der Antragsgegner stützt seine Aufhebungsentscheidung auf sachliche Gründe. Diese rechtfertigen die Beendigung des im Juli 2023 begonnenen Vergabeverfahrens.
a) Der Antragsgegner stützt seine Aufhebungsentscheidung darauf, dass er durch den - auch nach Auffassung des Senats rechtlich zutreffenden - Hinweis der Vergabekammer bemerkt habe, dass eine Zuschlagserteilung im Vergabeverfahren nicht in Betracht kommt. Denn der Antragsgegner kann die ihm obliegende Verpflichtung, einen öffentlichen Bauauftrag nur an ein für die Ausführung des konkreten Auftrags auch geeignetes Unternehmen zu vergeben, nicht erfüllen. Ein bestimmtes Eignungsniveau lässt sich nicht durchsetzen, weil die Eignungsanforderungen insgesamt nicht wirksam bekanntgemacht worden sind. Die bei ihm bisher noch vorhandenen Zweifel an der Eignung einzelner Bieter können jedenfalls nicht zu einer Entscheidungsgrundlage gemacht werden. Einziges Entscheidungskriterium bei der Auswahl des Vertragspartners bleibt danach der niedrigste Angebotspreis. Damit droht dem Antragsgegner auch, das mit dem eingeleiteten Vergabeverfahren angestrebte wettbewerbliche Ergebnis zu verfehlen (vgl. OLG Frankfurt, Beschluss v. 24.10.2006 - 11 Verg 6/06 - unveröffentlicht; OLG Frankfurt, Beschluss v. 02.03.2007 - 11 Verg 14/06 "BAB 5: Streckenbeeinflussungssystem" - NZBau 2007, 466; OLG Düsseldorf, Beschluss v. 29.04.2009 - VII-Verg 73/08 "Klärschlamm-Entsorgung"; OLG Celle, Beschluss v. 03.07.2018 - 13 Verg 8/17 "Einwohnermeldesystem" - NZBau 2019, 213). Die besorgte Verfehlung des Beschaffungsziels stellt eine sachliche Rechtfertigung für die Aufhebung der Ausschreibung dar.
b) Die Entscheidung des Antragsgegners für eine Aufhebung in Gestalt der Zurückversetzung des Vergabeverfahrens in den Stand vor der Absendung des Textes der Auftragsbekanntmachung an das Pflichtmedium zeigt auch, dass der Antragsgegner nicht etwa beabsichtigte, das Verfahren nur zum Schein aufzuheben und einem anderen Bieter als der Antragstellerin den Zuschlag außerhalb des Vergabeverfahrens zu erteilen. Vielmehr hat der Antragsgegner bereits in seiner Information über die Aufhebung an die Bieter die Absicht der Neuausschreibung, also der Einleitung eines neuen förmlichen Verfahrens, kundgetan. Der Vergabedokumentation ist zu entnehmen, dass erneut ein Offenes Verfahren durchgeführt werden soll.
5. Der Wirksamkeit der Aufhebungsentscheidung des Antragsgegners stehen auch die Einwendungen der Antragstellerin im Hinblick auf eine notwendige Ermessensausübung nicht entgegen.
a) Allerdings ist ein öffentlicher Auftraggeber bei seiner Entscheidung über die Beendigung des Vergabeverfahrens ohne Zuschlag stets verpflichtet, das Für und Wider einer Fortsetzung bzw. einer Beendigung des Verfahrens gegeneinander sorgsam abzuwägen und insoweit eine Ermessensentscheidung zu treffen. Selbst wenn dem öffentlichen Auftraggeber ein Aufhebungsgrund i.S.v. § 17 EU Abs. 1 VOB/A zur Seite steht, ist die Aufhebung rechtswidrig, wenn er dieses Ermessen nicht oder fehlerhaft ausübt. Die Notwendigkeit einer Abwägung der sich gegenüberstehenden betroffenen Interessen besteht umso mehr, wenn kein die Rechtmäßigkeit der Aufhebung vermittelnder Grund gegeben ist. Eine ordnungsgemäße Ausübung eines Ermessensspielraums setzt grundsätzlich voraus, dass der Sachverhalt zutreffend und vollständig ermittelt wurde, dass die o.a. Verfahrensgrundsätze eingehalten wurden, keine sachwidrigen Erwägungen in die Entscheidung eingeflossen sind, die zu berücksichtigenden Gesichtspunkte angemessen und vertretbar gewichtet wurden und der durch die einschlägigen Rechtsnormen bzw. durch die vom öffentlichen Auftraggeber selbst vorgegebene Rahmen bzw. Maßstab beachtet wird.
b) Der Antragstellerin ist auch darin zu folgen, dass grundsätzlich die Dokumentation des Vergabeverfahrens die Informationsgrundlage dafür bietet, ob diese Vorgaben eingehalten wurden. Der nach § 2 VgV auch auf die Vergabe von Bauaufträgen anzuwendende § 8 VgV (vgl. auch Klarstellung in § 20 EU VOB/A) verlangt insoweit neben einem abschließenden und zusammenfassenden Vergabevermerk mit bestimmten Pflichtinformationen (Abs. 2) eine fortlaufende Dokumentation des Vergabeverfahrens, soweit dies für die Begründung von Entscheidungen auf jeder Stufe des Vergabeverfahrens erforderlich ist (Abs. 1). Hiervon wird auch die Entscheidung des öffentlichen Auftraggebers über die Aufhebung des Vergabeverfahrens umfasst (vgl. nur OLG Naumburg, Beschluss v. 17.12.2021 - 7 Verg 3/21 "Ersatzneubau Gymnasium" - VergabeR 2022, 668). Gemessen an den Zwecken dieser Dokumentationspflicht bedarf es somit einer in Textform gebrachten Niederlegung, die in einem engeren zeitlichen Zusammenhang mit den zu dokumentierenden Gründen bzw. Vorgängen steht, sodass eine sachgemäße Entscheidungsfindung plausibel und substanziell nachvollziehbar ist sowie Willkür und Manipulationsgefahr ausgeschlossen sind (vgl. Brauser-Jung in: Röwekamp/Kus/Marx/Portz/Prieß, VgV, 2. Aufl. 2022, § 8 Rn. 25 m.w.N.). Gleichwohl kann die nach § 8 Abs. 1 VgV vorgeschriebene Dokumentation grundsätzlich bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung im Nachprüfungsverfahren nachgeholt werden, d.h. dass auch die vom öffentlichen Auftraggeber im Nachprüfungsverfahren vorgebrachten Umstände und Gesichtspunkte, mit denen die sachliche Richtigkeit einer angefochtenen Vergabeentscheidung nachträglich verteidigt werden soll, von der Nachprüfungsinstanz auf ihre Stichhaltigkeit zu prüfen sind. Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat insoweit eine Verhältnismäßigkeitsbetrachtung angestellt und hierzu grundsätzlich ausgeführt:
"Der Auftraggeber kann im Nachprüfungsverfahren nicht kategorisch mit allen Aspekten und Argumenten präkludiert werden, die nicht im Vergabevermerk zeitnah niedergelegt worden sind. Vielmehr ist, soweit es die Frage der möglichen Heilung von Dokumentationsmängeln im Vergabevermerk betrifft, einerseits zu berücksichtigen, dass insbesondere die zeitnahe Führung des Vergabevermerks die Transparenz des Vergabeverfahrens schützen und Manipulationsmöglichkeiten entgegenwirken soll. Andererseits gibt das Gesetz der Vergabekammer - was für die Beschwerdeinstanz entsprechend zu gelten hat - vor, bei ihrer gesamten Tätigkeit darauf zu achten, dass der Ablauf des Vergabeverfahrens nicht unangemessen beeinträchtigt wird (§ 110 Abs. 1 Satz 4 GWB a.F. - jetzt § 163 Abs. 1 Satz 4 GWB). Mit dieser dem vergaberechtlichen Beschleunigungsgrundsatz verpflichteten Regelung wäre es ... nicht vereinbar, bei Mängeln der Dokumentation im Vergabevermerk generell und unabhängig von deren Gewicht und Stellenwert von einer Berücksichtigung im Nachprüfungsverfahren abzusehen und stattdessen eine Wiederholung der betroffenen Abschnitte des Vergabeverfahrens anzuordnen. Dieser Schritt sollte vielmehr Fällen vorbehalten bleiben, in denen zu besorgen ist, dass die Berücksichtigung der nachgeschobenen Dokumentation lediglich im Nachprüfungsverfahren nicht ausreichen könnte, um eine wettbewerbskonforme Auftragserteilung zu gewährleisten." (vgl. BGH, Beschluss v. 08.02.2011 - X ZB 4/10 "S-Bahn-Verkehr Rhein/Ruhr I" - BGHZ 188, 200, Rz. 73).
Diese noch zur Rechtslage unter Geltung der VOL/A 2009 ergangene Rechtsprechung wird, soweit ersichtlich einhellig, auf die Regelungen des § 8 VgV übertragen (vgl. nur OLG München, Beschluss v. 09.03.2018 - Verg 10/17 "Straßenaufbruch" - VergabeR 2018, 437; OLG Düsseldorf, Beschluss v. 09.05.2018 - Verg 13/18 m.w.N.; KG Berlin, Beschluss v. 15.02.2019 - Verg 9/17 "Notarztleistungen"; auch Brauser-Jung, a.a.O., § 8 VgV Rn. 29 m.w.N.; Langenbach in: Burgi/ Dreher, Vergaberecht, Bd. 2, 3. Aufl. 2019, § 8 VgV Rn. 10, 11 auch unter Verweis auf die Gesetzesmaterialien).
c) Nach diesen Maßstäben sind hier die Gründe des Antragsgegners für seine Entscheidung zur Aufhebung durch die Zurückversetzung des Vergabeverfahrens in den Stand vor der Absendung des Textes der Auftragsbekanntmachung - was dem Beginn eines neuen Vergabeverfahrens entspricht (arg ex § 3 Abs. 3 VgV) - hinreichend dokumentiert worden, insbesondere durch den Inhalt des Informationsscheibens an die Bieter vom 04.04.2024. Bereits diesem Schreiben ist - ebenso wie dem konstanten Vorbringen des Antragsgegners im Nachprüfungsverfahren - eindeutig zu entnehmen, dass der Antragsgegner keine rechtmäßige Alternative gesehen hat, den öffentlichen Bauauftrag im laufenden Vergabeverfahren noch zu vergeben. Durch den Hinweis der Vergabekammer vom 20.03.2024, auf dessen Inhalt der Antragsgegner sich bei der Begründung seiner Entscheidung ausdrücklich bezogen hat, ist ihm vermittelt worden, dass im laufenden Vergabeverfahren eine Eignungsprüfung nicht vorgenommen werden kann, weil es an einer wirksamen Bekanntmachung von Eignungskriterien und hierzu erforderlichen Eignungsunterlagen fehlte. Eine Heilung der unwirksamen Bekanntmachung konnte danach nur durch eine erneute Auftragsbekanntmachung erfolgen. Die durch den Bekanntmachungsfehler des Antragsgegners verursachte Unzulässigkeit einer Eignungsprüfung im laufenden Verfahren stand im eklatanten Widerspruch zu dem in § 2 EU Abs. 3 VOB/A normierten Grundsatz, wonach öffentliche Aufträge nur an fachkundige und leistungsfähige (geeignete) Unternehmen, die nicht nach § 6e EU ausgeschlossen sind, vergeben "werden". Die vom Antragsgegner im Nachprüfungsverfahren für seine konkrete Entscheidungssituation ab 20.03.2024 geltend gemachte Reduzierung seines Ermessensspielraums auf Null stellt eine zulässige nachträgliche Konkretisierung und Ergänzung dieser ursprünglich dokumentierten Erwägungen dar (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss v. 10.02.2021 - Verg 23/20 "Arbeitsvermittlung" m.w.N.). Den drei E-Mails der Fachabteilungen vom 27.03.2024 ist weiter zu entnehmen, dass Mitarbeiter des Antragsgegners Handlungsalternativen gesucht, aber nicht gefunden haben. Aus Sicht des Antragsgegners bestanden durchgreifende Zweifel an der Eignung der Antragstellerin nach den Maßstäben der unwirksam aufgestellten Eignungskriterien, weswegen zuletzt die Absicht bestanden hatte, den Zuschlag auf das preislich ungünstigere Angebot der o.g. Zuschlagsaspirantin zu erteilen. Inzwischen sind weitere Gesichtspunkte hinzugetreten, welche einer Fortführung des Vergabeverfahrens entgegenstehen: Auch für die Angebote der beiden verbliebenen Bieter sind die Bindefristen jeweils seit längerem abgelaufen, so dass bei einer künftigen Zuschlagserteilung die Wirksamkeit der Beauftragung nach § 150 Abs. 1 BGB von einer Annahmeerklärung des Zuschlagsempfängers abhängig und wegen der Verzögerung des Zuschlags und der damit verbundenen Verschiebung der Ausführungsfrist eine Preisanpassung nach § 2 Abs. 5 VOB/B analog zu besorgen wäre. Schließlich hat der Antragsgegner darauf hingewiesen, dass im Hinblick auf Erkenntnisgewinne des Antragsgegners (z.B. vom Baugrund und dort verlaufenden Erdleitungen) und Arbeiten anderer Gewerke Veränderungen der Leistungsbeschreibung der hier zu beschaffenden Bauleistungen erforderlich geworden sind.
d) Der Senat hat in der mündlichen Verhandlung darauf hingewiesen, dass ein Rückgängigmachen der Aufhebung der Ausschreibung durch die Nachprüfungsinstanz im vorliegenden Falle auch nicht von seinen Befugnissen nach § 168 Abs. 1 Satz 1 GWB umfasst wäre. Hieran hält er auch in Ansehung der Stellungnahme der Antragstellerin vom 22.10.2024 fest. Danach ist die Nachprüfungsinstanz berechtigt, unabhängig von der Formulierung der Anträge durch die Beteiligten "geeignete Maßnahmen" anzuordnen, um eine Rechtsverletzung zu beseitigen. Die angeordnete Maßnahme muss geeignet sein, um eine konkret festgestellte Verletzung subjektiver Rechte des Antragstellers i.S.v. § 97 Abs. 6 GWB zu beseitigen. An dieser Eignung zur Abhilfe fehlt es hier für eine Aufhebung der Aufhebung. Die Anordnung der Fortsetzung des Vergabeverfahrens mit den zwei verbliebenen Bietern - der Antragstellerin und der derzeitigen Zuschlagsaspirantin - führte nicht zu einem rechtmäßigen Vergabeverfahren. Es bliebe dabei, dass mangels ordnungsgemäßer Bekanntmachung der Eignungskriterien und Eignungsnachweise eine Eignungsprüfung überhaupt nicht durchgeführt werden könnte. Darüber hinaus wurden zu einem früheren Stadium des Vergabeverfahrens die Angebote von vier Bietern ausgeschlossen jeweils im Hinblick auf die vermeintlich wirksamen Anforderungen an die Eignung entweder wegen fehlender Eignungsunterlagen oder wegen mangelnder Mitwirkung an der Aufklärung der Eignung. Die Zurückversetzung des Vergabeverfahrens lediglich in den Stand des Vergabevorschlags vom 04.12.2024 führte zu einem erheblichen Verstoß gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung der Bieter.
C.
I. Die Entscheidung über die Kostentragung im Beschwerdeverfahren beruht auf §§ 175 Abs. 2, 71 GWB.
1. Nach § 71 Satz 1 GWB, auf dessen entsprechende Anwendung § 175 Abs. 2 GWB verweist, hat das Beschwerdegericht über die Kostentragung im Beschwerdeverfahren und darüber zu entscheiden, ob einem der Verfahrensbeteiligten die zur zweckentsprechenden Erledigung des Beschwerdeverfahrens notwendigen Kosten eines anderen Verfahrensbeteiligten auferlegt werden sollen. Insoweit ist dem Gericht ein Ermessen eingeräumt; die Anordnung der Kostentragung soll der Billigkeit entsprechen. Nach Satz 2 dieser Vorschrift sind Kosten, welche u.a. durch ein unbegründetes Rechtsmittel veranlasst worden sind, dem Rechtsmittelführer aufzuerlegen.
2. Nach diesen Maßstäben waren hier der im Beschwerdeverfahren unterlegenen Antragstellerin die gerichtlichen Kosten (Gebühren und Auslagen) des Beschwerdeverfahrens aufzuerlegen und auch die erstattungsfähigen Aufwendungen des Antragsgegners. Entgegen der Auffassung der Antragstellerin liegt auch keine Intransparenz der Gründe der Aufhebungsentscheidung des Antragsgegners vor, welche eine anderweitige Verteilung der Kostenlast zu rechtfertigen geeignet wäre.
II. Die Festsetzung des Gegenstandswertes des gerichtlichen Beschwerdeverfahrens beruht auf § 50 Abs. 2 GKG. Der Senat legt dabei die geprüfte Angebotssumme des Hauptangebotes der Antragstellerin zugrunde und bestimmt in ständiger Rechtsprechung den Gegenstandswert - auch zur Wahrung der Vertraulichkeit des Inhalts des Angebots der Antragstellerin - nach den im Kostenrecht geltenden Wertstufen.
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VK Nordbayern
Beschluss
vom 23.10.2024
RMF-SG21-3194-09-28
1. Der öffentliche Auftraggeber kann einen Bieter ausschließen, wenn er eine wesentliche Anforderung bei der Ausführung eines früheren öffentlichen Auftrags erheblich oder fortdauernd mangelhaft erfüllt hat und dies zu einer vorzeitigen Beendigung, zu Schadensersatz oder zu einer vergleichbaren Rechtsfolge geführt hat.
2. Hierfür genügt es schon nach dem Wortlaut nicht, dass der Auftraggeber gekündigt, einen Schadensersatzanspruch geltend gemacht oder eine Maßnahme ergriffen hat, die eine vergleichbare Rechtsfolge nach sich zieht. Die Konsequenzen müssen auch zu Recht gezogen worden sein.
3. Auftraggeber müssen eine entsprechende Rechtsprüfung (eingehend) dokumentieren, wozu neben der rechtlichen Würdigung auch der zu Grunde gelegte Sachverhalt gehört.
4. Vor einer Ausschlussentscheidung bedarf es einer vorherigen Anhörung des betroffenen Bieters. Es stellt einen Verstoß gegen das Anhörungsgebot dar, wenn sich die Anhörung ausschließlich darauf bezieht, ob der Bieter bereits Selbstreinigungsmaßnahmen getroffen habe, ohne dass sich der Bieter zu den Tatbestandsvoraussetzungen und zur Verhältnismäßigkeit des Ausschlusses äußern kann.
5. Eine nachträgliche Rechtfertigung der Ausschlussentscheidung mit Argumenten, die bei der Entscheidung über den Ausschluss noch gar nicht bekannt waren, ist nicht möglich.
Tenor
1. Es wird festgestellt, dass die Antragstellerin in ihren Rechten verletzt ist. Bei fortbestehender Vergabeabsicht hat die Vergabestelle das Vergabeverfahren unter Beachtung der Rechtsauffassung der Vergabekammer fortzuführen.
2. Die Vergabestelle trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen der Antragstellerin.
3. Die BGl trägt ihre Aufwendungen selbst.
4. Die Gebühr für dieses Verfahren beträgt x.xxx,- Euro.
Auslagen sind nicht angefallen.
Die Vergabestelle ist von der Zahlung der Gebühr befreit.
Sachverhalt:
1. Die VSt schrieb europaweit die Behelfsabdichtung eines Daches [...] aus. Im Amtsblatt der Europäischen Union wurde der Auftrag am xx.xx.xxxxx unter Veröffentlichungsnummer xxxxx veröffentlicht. Alleiniges Zuschlagskriterium war der Preis.
Zum Submissionstermin reichten neben der ASt und der BGl weitere Wirtschaftsteilnehmer fristgerecht ein Angebot ein. Die ASt gab das preislich günstigste Angebot ab, gefolgt von der BGl.
2. Im Rahmen der Eignungsprüfung teilte das [...]amt der VSt mit, dass der ASt infolge von Ausführungsfehlern, verschleppter und unzureichender Mängelbeseitigung in einem Teilleistungsbereich sowie der Nichterbringung von Teilleistungen im Rahmen eines weiteren Leistungsbereiches ein Vertrag über die Dacheindeckung bei der Generalsanierung X gekündigt worden sei.
Am 24.07.2024 bat die VSt die ASt deshalb wie folgt um Aufklärung:
Sehr geehrte Damen und Herren,
uns ist zur Kenntnis gelangt, dass unser [...]amt den zwischen Ihnen und [...] bestehenden Vertrag über "Dacheindeckung [...] - Spenglerarbeiten" [...] mit Schreiben vom xx.xx.2024 teilgekündigt hat und diese gekündigten Leistungen nun im Rahmen einer Ersatzvornahme durch Dritte ausgeführt werden müssen.
Hierdurch sind bei uns erhebliche Zweifel an Ihrer Eignung entstanden, die zu einem Ausschluss Ihres Unternehmens von der Teilnahme am Vergabeverfahren nach § 6e EU Abs. 6 Nr. 7 VOB/A führen können, weil Sie eine wesentliche Anforderung bei der Ausführung eines früheren öffentlichen Auftrags erheblich oder fortdauernd mangelhaft erfüllt haben und dies zu einer vorzeitigen Beendigung, zu Schadensersatz oder zu einer vergleichbaren Rechtsfolge (hier: Ersatzvornahme) geführt hat.
Nach unserer Kenntnis haben Sie auf das Kündigungsschreiben bislang nicht reagiert. Bitte weisen Sie uns bis spätestens 31.07.2024 hier eingehend nach, welche Maßnahmen der Selbstreinigung i.S.d. § 6f EU Abs. 1 S. 1 Nrn. 1-3 VOB/A Sie bereits wirksam umgesetzt haben und im Besonderen welche geeigneten konkreten technischen, organisatorischen und personellen Maßnahmen Sie ergriffen haben, um weiteres Fehlverhalten zu vermeiden.
Legen Sie uns keine Nachweise innerhalb der oben benannten Frist vor, wird Ihr Angebot ausgeschlossen. Im Übrigen verweisen wir auf § 6f EU Abs. 2 und 3 VOB/A.
3. Mit Schreiben vom 31.07.2024 teilte die ASt der VSt mit, dass die Kündigung aufgrund unterschiedlicher Auffassung, inwieweit die von der ASt zur Verfügung gestellten Planung für die Erstellung der Verkleidung ausreichend sei, erfolgt sei. Die Mängelbeseitigung sei vollständig durchgeführt worden. Die ASt betont, dass sie die Arbeiten auch gerne zu Ende geführt hätte. Sie sei mit der Ausführungsplanung der Wandverkleidung nicht zurechtgekommen. Sie hätten sich mittlerweile auch personell verstärkt.
4. Nach der Anhörung der ASt bewertete die VSt ([...]) die Teilkündigung des [...]-Amtes am 07.08.2024 wie folgt:
[...]Aus Sicht von [...] ist [...] das Unternehmen [...] selbst gem. § 6e EU Abs. 6 Nr. 7 VOB/A auszuschließen, weil es beim BV "[...]" eine wesentliche Anforderung bei der Ausführung eines früheren öffentlichen Auftrags erheblich oder fortdauernd mangelhaft erfüllt hat und dies zu einer vorzeitigen Beendigung des Vertragsverhältnisses einschließlich der Durchführung einer Ersatzmaßnahme geführt hat. Die verfahrensgegenständlichen Maßnahmen an [...] sind termin- und kostenkritisch. Alleine für die Einrüstung des Gebäudes ([...]) fallen erhebliche Kosten an. Um den Ablauf des eng getakteten Bauvorhabens nicht zu gefährden ist die Leistungserbringung durch einen zuverlässigen und fachkundigen AN erforderlich, da andernfalls mit erheblichen Mehrkosten und Verzögerungen auch zu Lasten eines unterbrechungsfreien Betriebs des [...] zu rechnen ist. Ein solches Risiko ist der Auftraggeberin nicht zuzumuten. Ebenso nicht ist der Auftraggeberin das erhöhte Risiko einer technisch mangelhaften Ausführung zuzumuten, da etwaige Undichtigkeiten der Abdichtung erhebliche Auswirkungen auf die weiteren Bauarbeiten in der [...] und deren künftigen Betrieb haben. [...] sind erhebliche und begründete Zweifel vorgetragen worden, dass durch den Bieter [...] die zu vergebenden Leistungen einwandfrei und ordnungsgemäß ausgeführt werden. Der Ausschluss eines Bieters aufgrund § 6e EU Abs. 6 Nr. 7 VOB/A ist fakultativ. Die Vergabestelle hat daher das Ermessen auszuüben, ob sie von ihrer Befugnis Gebrauch macht, den Bieter [...] auszuschließen. Nach Abwägung der des von dem [...] am 17.07.2024 vorgetragenen und von [...] bestätigten Sachverhalts beim BV "[...]" mit den technischen, terminlichen und wirtschaftlichen Folgen einer unzuverlässigen Leistungserbringung am BV [...] erachtet die Vergabestelle die mit einer unzuverlässigen und technisch mangelhaften Leistungserbringung verbundenen Risiken für so erheblich, dass eine Beauftragung des Bieters [...] nicht zumutbar ist, weil sie prognostisch geeignet ist, die berechtigten Interessen der Auftraggeberin sehr erheblich zu gefährden.
Auch unter Einbeziehung der Antworten des Bieters in Bezug auf eine Selbstreinigung nach § 6f EU VOB/A ist aus Sicht [...] das Ermessen dahingehend auszuüben, dass der Bieter[...] gem. § 6e EU Abs. 6 Nr. 7 VOB/A aus dem Verfahren auszuschließen ist, weil die mit einer unzuverlässigen und technisch mangelhaften Leistungserbringung verbundenen Risiken erheblich sind. Im Besonderen die unzureichenden Einlassungen des Bieters bezüglich seiner Selbstreinigung räumen die erheblichen Zweifel an der Eignung des Bieters und damit eine ernsthaft zu besorgende Gefährdung der berechtigten Interessen der Auftraggeberin nicht aus. Der Bieter [...] ist daher aus dem Verfahren auszuschließen gem. § 6e EU Abs. 6 Nr. 7 VOB/A i.V.m. § 6f EU VOB/A.
5. Mit Bieterinformationsschreiben vom 21.08.2024 gemäß § 134 GWB teilte die VSt der ASt mit, dass beabsichtigt sei, den Zuschlag am 02.09.2024 auf das Angebot der BGln zu erteilen. Das Angebot der ASt werde von der Wertung ausgeschlossen mit folgender Begründung:
Hierzu teilen wir Ihnen gem. § 6f EU Abs. 2 S. 2 VOB/A mit:
Sie haben am 31.07.2024 um 13:24:28 fristgerecht über die Bieterkommunikation auf unsere Nachricht vom 24.07.2024 geantwortet und haben in Ihrer Antwort die Teilkündigung durch das [...]amt [...] bestätigt. In Ihrer Antwort gehen Sie dabei nur auf die "Fassadenbekleidung aus Metall", nicht jedoch auf die weiteren Kündigungsgründe, die dem Kündigungsschreiben des [...]amtes zu entnehmen sind, ein.
Zusätzlich legten Sie weitere Referenzen vor. Nachgereichte Referenzen zur Aufbesserung der Eignung sind vergaberechtlich nicht wertbar und können nicht berücksichtigt werden. Sie sind auch in Bezug auf einen Nachweis zur Selbstreinigung nach § 6f EU VOB/A unbeachtlich, insofern sie aus dem August bzw. Dezember 2023 stammen und damit aus einer Zeit vor der Kündigung durch das [...]amt.
Relevant für eine Selbstreinigung sind Maßnahmen, die nach der Kündigung ergriffen worden sind. Als solche ist Ihrem Schreiben allgemein eine "Verbesserung der Personalsituation" zu entnehmen. Es seien zwei weitere Bauleiter sowie weitere Montagetrupps eingestellt worden. Hierzu legen Sie eine Übersicht des Personals mit Stand 01.07.2024 vor.
Sie machen keine Angaben, ob Sie sich zur Zahlung eines Ausgleichs für den entstandenen Schaden verpflichtet haben oder solche Zahlungen schon geleistet haben; § 6f EU Abs. 1 S. 1 Nr. 1 VOB/A.
Angaben im Sinne des § 6f EU Abs. 1 S. 1 Nr. 2 VOB/A machen Sie dahingehend, dass Sie dem [...]amt mittlerweile geantwortet hätten und "hier auf eine für den Auftraggeber gute Lösung" hoffen. Die in § 6f EU Abs. 1 S. 1 Nr. 2 VOB/A geforderte aktive Zusammenarbeit und umfassende Klärung mit dem öffentlichen Auftraggeber ist hieraus u.E. nicht erkennbar. Die bloße Bekundung einer Hoffnung ist nicht ausreichend.
Schließlich machen Sie über die bloße Erhöhung Ihrer personellen Kapazitäten hinaus keine Angaben zu den in § 6f EU Abs. 1 S. 1 Nr. 3 VOB/A geforderten konkreten technischen, organisatorischen und personellen Maßnahmen, die geeignet sind, ([...]) weiteres Fehlverhalten zu vermeiden. Im Besonderen liegen keine Aussagen zur Qualifikation des zusätzlich eingestellten Personals vor. Maßnahmen, die einer Qualitätssicherung dienen könnten (z.B. Vorbesprechungen, Kontrollen, Überwachungen, Schulungen etc.) werden ebenfalls nicht vorgetragen.
Ihr Vortrag ist kein überzeugender Nachweis einer Selbstreinigung i.S.d. § 6f EU VOB/A. Weder sind Sie auf alle Kündigungsgründe des [...]amtes eingegangen, noch haben Sie einen nachvollziehbaren und ausreichenden Nachweis der Selbstreinigung i.S.d. § 6f EU Abs. 1 S. 1 Nr. 1-3 VOB/A vorgelegt. Im Besonderen ist ein bloßes Mehr an Personal ohne jegliche qualitativen Aussagen hierzu und ohne Angabe technischer oder organisatorischer Maßnahmen nicht geeignet, Zweifel an Ihrer Eignung zu entkräften.
Unter Einbeziehung Ihrer Antworten in Bezug auf eine Selbstreinigung nach § 6f EU VOB/A üben wir das Ermessen dahingehend aus, dass Sie gem. § 6e EU Abs. 6 Nr. 7 VOB/A aus dem Verfahren auszuschließen sind, weil die mit einer unzuverlässigen und technisch mangelhaften Leistungserbringung verbundenen Risiken die berechtigten Interessen der Auftraggeberin in unzumutbarer Weise gefährden.
6. Mit Schreiben vom 21.08.2024 und ergänzend bzw. vertiefend am 27.08.2024 rügte die ASt ihren Ausschluss als vergabefehlerhaft. Die geforderte Mängelbeseitigung sei erledigt.
Das Bauvorhaben am [...] sei noch gar nicht abgeschlossen und kein Schaden bisher festgestellt worden. Die Teilkündigung sei zu Unrecht erfolgt, weil die Arbeiten ohne Ausführungsplanung für die Wandverkleidung durch die ASt nicht durchgeführt werden konnte und dies durch eine entsprechende Behinderungsanzeige bei der VSt angezeigt worden sei. Zudem könne eine Selbstreinigung erst dann durchgeführt werden, wenn eine grobe Verfehlung festgestellt worden sei.
7. Am 26.08.2024 wies die VSt die Rüge zurück.
8. Mit Telefax vom 29.08.2024 stellte die ASt einen Antrag auf Nachprüfung. Unter Bezugnahme auf ihre Rüge beanstandete sie sinngemäß ihren Ausschluss.
9. Mit Schriftsatz vom 09.09.2024 beantragte die VSt:
I. Der Nachprüfungsantrag wird abgelehnt.
II. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Der Nachprüfungsantrag sei unbegründet. Die Teilkündigung des [...]amtes stützte sich auf ausstehende Restleistungen sowie nicht beseitigte Mängel. Entgegen der Behauptung der ASt sei die Mängelbeseitigung nicht abschließend durchgeführt worden. Auch die Behinderungsanzeige der ASt vom 19.06.2024 sei vom [...]amt am 20.06.2024 zurückgewiesen worden. Die von der ASt behaupteten fehlenden Pläne seien ihr bereits im Frühjahr 2024 übermittelt worden. Bei den unterbliebenen Arbeiten der ASt habe es sich um eine wesentliche Anforderung der Auftragsdurchführung gehandelt. Die ASt sei deshalb der Erfüllung einer vertraglichen Hauptleistungspflicht nicht nachgekommen. Deshalb sei das [...]amt nun gezwungen, die ausstehenden Arbeiten sowie die Mängelbeseitigung durch ein anderes Unternehmen ausführen zu lassen. Auch wenn derzeit die Kosten einer Ersatzvornahme bzw. ein Schadensersatzanspruch noch nicht konkret beziffert werden können, liege das Merkmal der "Beendigung" vor, was für einen Ausschluss ausreichend sei. Vor dem Ausschluss sei der ASt Gelegenheit zur Äußerung eingeräumt worden. Die VSt habe ihre Ermessenserwägungen zum Ausschluss im Bieterinformationsschreiben der ASt mitgeteilt. Im Rahmen dieser Ermessensentscheidung seien auch etwaige Selbstreinigungsmaßnahmen geprüft worden. Diese würden aber nach Auffassung der VSt nicht vorliegen. Die ASt habe zwar erklärt, dass sie im Falle einer Schadensersatzpflicht Schaden ausgleichen würde. Allerdings habe sie eine Schadensersatzleistung dem Grunde nach nicht bindend anerkannt. Auch habe sich die ASt nicht ernsthaft mit ihrem Fehlverhalten, das zur Kündigung führte, auseinandergesetzt. Es reiche nicht, auf eine "gute Lösung" zu hoffen. Zudem habe die ASt ihre technischen, organisatorischen und personellen Maßnahmen, die zur Vermeidung weiteren Fehlverhaltens beitragen sollen, nicht hinreichend dargelegt. Allein die personelle Verstärkung verhindere nicht eine zukünftige Schlechtleistung. Es bleibe unklar, wie sich durch die neuen Mitarbeiter die Betriebsabläufe ändern oder die anfallende Arbeit aufgeteilt werde.
Die VSt sei zum Ergebnis gekommen, dass eine Selbstreinigung nicht erfolgt sei. Daher habe sie ihr Ermessen dahingehend ausgeübt, die ASt vom Vergabeverfahren auszuschließen. Das Risiko einer erneuten unzureichenden Leistungserbringung wog für die VSt schwerer, als das Interesse der ASt, weiterhin am Vergabeverfahren teilnehmen zu können. Der Nachprüfungsantrag sei daher abzuweisen.
10. Am 11.09.2024 wurde die Fa. [...] zum Verfahren beigeladen.
11. Mit Schriftsatz vom 16.09.2024 betonte die ASt, dass sie - entgegen der Behauptung der VSt - alle angezeigten Mängel behoben habe. Insbesondere seien die bemängelten Kunststoffdübel durch die zugelassenen Befestiger ersetzt worden. Dies sei auch durch das Baubesprechungsprotokoll Nummer 58 vom 11.06.2024 belegt. Ein schriftliches Konzept zur Mängelbeseitigung, wie das [...]amt es gefordert habe, sei nicht notwendig. Es liege in der Verantwortung des Auftragnehmers, ein mangelfreies Werk zu liefern.
Der von der VSt am 18.03.2024 übersandte Plan enthalte nicht die notwendigen Angaben, um die Wandverkleidung auszuführen. Zumindest hätte die Ansicht der zu verkleidenden Wand ersichtlich sein müssen, die Aufteilung der einzelnen Blechteile sowie alle notwendigen Maße in einem brauchbaren Maßstab. Diese Angaben seien in dem Plan vom 18.03.2024 nicht enthalten. Am 11.06.2024 habe zur weiteren Vorgehensweise nochmals ein Termin vor Ort stattgefunden. Bei diesem Termin habe ein Mitarbeiter der ASt nochmals auf die fehlenden Ausführungspläne hingewiesen. Nachdem die ASt die Ausführungspläne erneut nicht erhalten habe, sei sie gezwungen gewesen, am 19.06.2024 eine Behinderungsanzeige zu stellen.
Die VSt stütze ihren Ausschluss auf umstrittene und nicht abschließend geklärte Vermutungen/Ansichten. Die Ausführungsplanung habe der ASt zu keinem Zeitpunkt zur Verfügung gestanden. Die VSt müsse die Voraussetzungen des § 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB beweisen. Es genüge nicht, dass der Auftraggeber gekündigt habe. Es müsse mit hinreichender Sicherheit feststehen, dass die Kündigung auch zu Recht erfolgt sei. Die Voraussetzungen der erheblichen oder fortdauernden mangelhaften Erfüllung würden aufgrund der vorgetragenen Behinderungen nicht vorliegen. Ein wichtiger Kündigungsgrund hätte nicht vorgelegen. Somit liege schlicht eine freie Kündigung vor. Aus diesem Grund hätte die ASt auch keine Selbstreinigungsmaßnahmen ergreifen müssen.
Die angesprochene Leistungsfähigkeit der ASt sei gegeben. Sie habe Referenzen vorgelegt und die seien auch nicht beanstandet worden.
12. Mit Schriftsatz vom 24.09.2024 trug die VSt vor, dass die von der VSt zur Verfügung gestellten Pläne brauchbar gewesen seien und die Behauptung der ASt unzutreffend sei, dass die Wandverkleidung nur deshalb nicht fertiggestellt werden konnte, weil die VSt keine Pläne zur Verfügung gestellt habe.
Weiterhin seien im Rahmen der Ersatzvornahme weitere Mängel festgestellt worden. Gemäß Position 01.02.60 des Leistungsverzeichnisses seien Schubbleche für Sandwichpanelelemente aus Edelstahl geschuldet. Diese seien falsch montiert worden. Bei der Ersatzvornahme sei nun zudem festgestellt worden, dass die Materialstärke (nur 2 mm statt 4 mm) nicht der vorgegebenen Statik entspreche.
Hinsichtlich der Dachbefestigung sei es zwar richtig, dass die ASt eine Mangelbeseitigung durchgeführt habe, allerdings seien die längeren erforderlichen Schrauben durch kürzere, die irreführend auf Silikon montiert wurden, ausgetauscht worden. Auch dies sei im Rahmen der stattfindenden Ersatzvornahme zufällig entdeckt worden. Auch sei der im Rahmen der Kündigung vom 25. Juni genannte Mangel an den Attikablechen nach Aussage des [...]amtes nicht behoben worden.
13. In der mündlichen Verhandlung vom 27.09.2024 hatten die Parteien Gelegenheit zur Stellungnahme. Die ASt begehrt die Rücknahme ihres Ausschlusses. Die VSt bleibt bei ihrem Antrag, den Nachprüfungsantrag abzulehnen. Die BGl stellt keinen Antrag.
14. Im Übrigen wird hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands auf die Verfahrensakte der Vergabekammer, das Protokoll der mündlichen Verhandlung und die Vergabeakten, soweit sie der Vergabekammer vorgelegt wurden, Bezug genommen.
Begründung:
Der Nachprüfungsantrag ist zulässig und begründet.
1. Der Nachprüfungsantrag ist zulässig.
a) Die Vergabekammer Nordbayern ist für das Nachprüfungsverfahren nach § 1 Abs. 2 und § 2 Abs. 2 Satz 2 BayNpV sachlich und örtlich zuständig.
b) Die VSt ist öffentlicher Auftraggeber nach § 99 Nr. 1 GWB.
c) Bei dem ausgeschriebenen Bauauftrag handelt es sich um einen öffentlichen Auftrag im Sinne von § 103 Abs. 3 GWB.
d) Der maßgebliche Schwellenwert nach § 106 Abs. 2 Nr. 1 GWB ist überschritten.
e) Die ASt ist antragsbefugt. Antragsbefugt ist nach § 160 Abs. 2 GWB jedes Unternehmen, das ein Interesse an dem öffentlichen Auftrag hat, eine Verletzung in eigenen, bieterschützenden Rechten nach § 97 Abs. 6 GWB geltend macht und einen dadurch entstandenen oder drohenden Schaden darlegt.
f) Die ASt hat ihrer Rügeobliegenheit nach § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 GWB genügt. Mit Schreiben vom 21.08.2024 und ergänzend bzw. vertiefend am 27.08.2024 rügte die ASt ihren Ausschluss.
g) Zum Zeitpunkt der Stellung des Nachprüfungsantrags am 29.08.2024 war die 15-Tages-Frist gemäß § 160 Abs. 3 S. 1 Nr. 4 GWB nicht abgelaufen, die der ASt nach der Rügezurückweisung vom 26.08.2024 zur Verfügung stand.
h) Der Zuschlag wurde noch nicht erteilt, § 168 Abs. 2 Satz 1 GWB.
2. Der Nachprüfungsantrag ist begründet. Die Ausschlussentscheidung ist, so wie sie vorgenommen wurde, vergaberechtlich nicht haltbar.
a) Bereits die Prüfung der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB durch die VSt stellen sich als beurteilungsfehlerhaft dar.
Voraussetzung für einen Ausschluss gem. § 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB sind auf Tatbestandsebene eine erhebliche oder fortdauernde mangelhafte Erfüllung einer wesentlichen Anforderung bei der Ausführung eines früheren öffentlichen Auftrags, die zu einer vorzeitigen Beendigung, zu Schadensersatz oder zu einer vergleichbaren Rechtsfolge geführt hat. Nach dem Wortlaut der Norm genügt es nicht, dass der Auftraggeber gekündigt, einen Schadensersatzanspruch geltend gemacht oder eine Maßnahme ergriffen hat, die eine vergleichbare Rechtsfolge nach sich zieht. Die Konsequenzen müssen auch zu Recht gezogen worden sein (VK Berlin, Beschluss vom 09.10.2023 - VK B2-24/23). Da es sich dabei um eine Tatbestandsvoraussetzung handelt, müssen Auftraggeber eine entsprechende Rechtsprüfung (eingehend) dokumentieren, wozu neben der rechtlichen Würdigung auch der zu Grunde gelegte Sachverhalt gehört (VK Berlin, Beschluss vom 19.07.2024 - VK B 1-19/23)
Hieran fehlt es, weil die VSt ausweislich ihres Schreibens vom 24.07.2024 davon ausgegangen ist, dass der Tatbestand des § 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB bereits deshalb vorliegen würde, weil die ASt auf ihre Kündigung nicht reagiert habe. Die VSt hätte im Rahmen der Prüfung, ob die Tatbestandsvoraussetzungen vorliegen, umfassend und konkret darlegen müssen, dass die ASt bei der Ausführung des Auftrages "Dacheindeckung [...] - Spenglerarbeiten" [...] eine wesentliche Anforderung erheblich oder fortdauernd mangelhaft erfüllt hat. Es genügt nicht, ohne jede Subsumtion, formelhaft den Gesetzeswortlaut wiederzugeben und darauf zu verweisen, dass die ASt der Kündigung nicht widersprochen habe.
Zudem hat die VSt keine umfassenden Ermessenserwägungen angestellt und Belange der ASt, die gegen einen Ausschluss sprechen könnten, überhaupt nicht berücksichtigt. Z.B. hätte die VSt in ihren Ermessenserwägungen berücksichtigen sollen, welchen Umfang die Mängel in Bezug auf den Gesamtauftrag hatten. Im Rahmen eines Bauauftrages ist es nicht unwahrscheinlich, dass der Bauherr Mängel in der Ausführung beanstandet. Im Rahmen einer umfassenden Ermessensausübung und Eignungsprognose müssen auch Gesichtspunkte, die zugunsten des Bieters sprechen könnten, berücksichtigt und abgewogen werden. Hätte die VSt eine offene Anhörung durchgeführt und dem Bieter die Möglichkeit gegeben, sich auch zu den Tatbestandvoraussetzungen des § 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB zu äußern (siehe dazu auch nachfolgend b), können auch erst Gesichtspunkte auftauchen, die zugunsten des Bieters zu berücksichtigen sind.
b) Zudem ist die Ausschlussentscheidung auch deshalb vergaberechtswidrig, weil die VSt die grundsätzlich erforderliche Anhörung der ASt fehlerhaft durchgeführt hat.
Vor einer Ausschlussentscheidung nach § 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB bedarf es einer vorherigen Anhörung des betroffenen Bieters. Zwar hat die VSt die ASt mit Schreiben vom 24.07.2024 angehört. Allerdings bezog sich die Anhörung ausschließlich darauf, ob die ASt bereits Selbstreinigungsmaßnahmen getroffen habe. Diese Einschränkung, dass sich der Bieter nicht zu den Tatbestandsvoraussetzungen und zur Verhältnismäßigkeit des Ausschlusses äußern kann, sondern nur seine Selbstreinigungsmaßnahmen darstellen soll, stellt einen Verstoß gegen das Anhörungsgebot dar.
c) Nach Auffassung der Vergabekammer ist die VSt bei ihrer Ausschlussentscheidung auch von einem unzureichend ermittelten Sachverhalt ausgegangen. Im Rahmen der mündlichen Verhandlung bei der Vergabekammer am 27.09.2024 konnten die Vertreter der VSt den Vortrag der ASt nicht widerlegen, dass die ASt bei der Ausführung der Wandverkleidung doch behindert war, weil die VSt der ASt nicht konkret mitgeteilt habe, wie die Wandverkleidung konkret ausgeführt werden soll. Die VSt hat mit Schriftsatz vom 24.09.2024 lediglich einen Plan vorgelegt, der die Betriebsabläufe für die Lüftung und Kühlung des [...] darstellt. Die ASt hat unwidersprochen in der mündlichen Verhandlung vorgetragen, dass ihr kein Plan der VSt bekannt sei, der vorgibt, wie die Wandverkleidung ausgestaltet sein soll. Ähnlich wie bei einer Tapete hätte die VSt konkret vorgeben müssen, wie die Wandverkleidung gestaltet sein soll.
Zudem hat die VSt nach Auffassung der Vergabekammer auch nicht ausreichend ermittelt, welche Mängel zum Zeitpunkt der Kündigung von der ASt trotz Aufforderung nicht beseitigt waren. In ihrem Schriftsatz vom 24.09.2024 hat die VSt vorgetragen, dass ein Kündigungsgrund gewesen sei, dass das mangelhafte Attikablech im Bereich der Überschneidung vom Aufgangsbauwerk und Brückenkappe trotz Aufforderung nicht ausgetauscht wurde. In der mündlichen Verhandlung hat die ASt ohne substantiierten Widerspruch der VSt vorgetragen, dass dies nicht richtig sei. Vielmehr habe sie diesen Mangel vor der Kündigung beseitigt, weil nach der Kündigung sei ihr sofort der Zutritt zur Baustelle verwehrt worden.
Somit bestehen erhebliche Zweifel, dass die VSt bei ihrer Entscheidung über den Ausschluss nach § 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB von einem zutreffenden Sachverhalt ausgegangen ist und bei der Kündigung selbst zutreffende Kündigungsgründe aufgeführt wurden.
d) Im Rahmen der Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Ausschlussentscheidung können solche Umstände nicht mehr berücksichtigt werden, die der VSt erst nach der getroffenen Ausschlussentscheidung bekannt werden. Eine nachträgliche Rechtfertigung der Ausschlussentscheidung mit Argumenten, die bei der Entscheidung über den Ausschluss noch gar nicht bekannt waren, ist nicht möglich.
Nach der Gesetzesbegründung BT-Drs 18/6281, Seite 107, kann auch die Ersatzvornahme oder das Verlangen nach umfangreichen Nachbesserungen eine "vergleichbare Rechtsfolge" i.S. von § 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB sein. Inwieweit die VSt die im Schriftsatz vom 24.09.2024 vorgetragenen und in der mündlichen Verhandlung erörterten Mängel, die erst im Rahmen der Ersatzvornahme festgestellt wurden, als Ausschlussgrund heranziehen möchte, bleibt ihr als Herrin des Vergabeverfahrens überlassen.
Bei der verfahrensgegenständlichen Ausschlussentscheidung müssen diese nachgeschobenen Erwägungen unberücksichtigt bleiben.
Die am 07.08.2024 getroffene Ausschlussentscheidung, die der ASt im Rahmen des Bieterinformationsschreibens vom 21.08.2024 mitgeteilt wurde, ist aus o.g. Gründen vergaberechtswidrig. Ob die VSt ggf. erneut gegenüber der ASt den Ausschluss nach § 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB überprüfen möchte, bleibt ihr überlassen. Bei fortbestehender Beschaffungsabsicht ist das Vergabeverfahren unter Berücksichtigung entsprechend fortzuführen.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 182 GWB.
a) Die VSt hat die Verfahrenskosten zu tragen, weil sie mit ihren Anträgen unterlegen ist, § 182 Abs. 3 Satz 1 GWB.
b) Die Kostenerstattungspflicht gegenüber der ASt ergibt sich aus § 182 Abs. 4 Satz 1 GWB.
c) Die BGl hat sich am Verfahren nicht in Schriftform beteiligt und keine Anträge gestellt. Sie hat daher das Risiko des Unterliegens nicht getragen und bekommt im Umkehrschluss dazu auch keine Aufwendungen erstattet.
d) Die Hinzuziehung eines anwaltlichen Bevollmächtigten war für die ASt notwendig (§ 182 Abs. 4 Satz 4 GWB i.V.m. Art. 80 Abs. 2 Satz 3 BayVwVfG entspr.). Es handelt sich um einen in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht nicht einfach gelagerten Fall, sodass es der ASt nicht zuzumuten war, das Verfahren vor der Vergabekammer selbst zu führen.
e) Die Gebühr war nach § 182 Abs. 2 und Abs. 3 GWB festzusetzen. Im Hinblick auf die Bruttoangebotssumme der ASt und unter Zugrundelegung eines durchschnittlichen personellen und sachlichen Aufwands der Vergabekammer errechnet sich entsprechend der Tabelle des Bundeskartellamtes eine Gebühr in Höhe von x.xxx,-- Euro.
Die VSt ist gemäß § 182 Abs. 1 GWB i.V.m. § 8 Abs. 1 Nr. 3 VwKostG von der Zahlung der Gebühr befreit.
f) Der geleistete Kostenvorschuss von 2.500,- Euro wird nach Bestandskraft dieses Beschlusses an die ASt zurücküberwiesen.
Rechtsmittelbelehrung:
[...]
Testgerät ist Angebotsbestandteil!
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VK Bund
Beschluss
vom 15.11.2024
VK 2-93/24
1. Ein vom Bieter eingesetztes Testgerät wird Bestandteil des Angebots und dient dessen Konkretisierung.
2. Das Angebot des Bieter wird wegen Änderung der Vergabeunterlagen ausgeschlossen, wenn das Testgerät von den als "KO-Kriterien" im Leistungsverzeichnis definierten Anforderungen abweicht.
3. Raum für eine Aufklärung infolge einer angenommenen Widersprüchlichkeit des Angebots besteht bei Teststellungen nicht, denn Sinn und Zweck der Teststellung ist es gerade auch, die Konformität des Angebotsinhalts mit den Vorgaben zu belegen.
Tenor
1. Der Nachprüfungsantrag wird zurückgewiesen.
2. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Nachprüfungsverfahrens (Gebühren und Auslagen) sowie die zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Antragsgegnerinnen.
Gründe
I.
1. Die Antragsgegnerinnen zu 1 bis 8 (Ag) veröffentlichten am [...]
Das Vergabeverfahren war bereits Gegenstand des Nachprüfungsverfahrens VK2-73/24, in dem die ASt verschiedene Anforderungen des Leistungsverzeichnisses (LV) als nicht produktneutral bemängelt hatte. Nachdem die Ag bei einigen betroffenen Anforderungen Abhilfe geschaffen hatten, erklärte die ASt ihren Nachprüfungsantrag für erledigt.
[...]
In Ziff. 14 des Vergabevermerks dokumentierten die Ag: "Das Verfahren wird von mehreren Konzerngesellschaften als Auftraggeberinnen geführt. Die [...] wurde mit der Durchführung beauftragt. Die Inhalte der Ausschreibung (insb. Leistungsbeschreibung, vertragliche Vorgaben, Eignungsanforderungen und Wertungskriterien) wurden mit den Auftraggeberinnen abgestimmt. Die Durchführung der Teststellung wird einem Gremium aus Mitarbeitenden der [...] übertragen. Die [...] und die übrigen Auftraggeberinnen gehen davon aus, dass dieses Gremium die Teststellung repräsentativ für alle Auftraggeberinnen durchführen wird, da die qualitativen Anforderungen bei allen Auftraggeberinnen dieselben sind."
Als Zuschlagskriterien machten die Ag in der Vergabeunterlage "Wertungsgrundlagen" neben dem Preis (40%) und der Erfüllung des Leistungsverzeichnisses im Hinblick auf zu bepunktende Wertungskriterien mit 25% auch einen Anwendertest zur Bewertung der Funktionalität mit 35% bekannt. Für das Zuschlagskriterium Funktionalität/Anwendertest wurde dort unter Ziff. 3 vorgegeben, dass die drei Bestbieter zu einem Anwendertest voraussichtlich am 3. September 2024 in die zum Auftraggeberkreis gehörende [...] geladen werden sollen. Die Ag behielten sich vor, "weitere Bieter (nach der Rangfolge der Bewertung) zur Testung einzuladen, wenn die Testung bei einem oder mehreren Bietern ergibt, dass die Leistungsanforderungen gemäß Leistungsverzeichnis nicht bestätigt werden. Die Angebote der übrigen Bieter werden ausgeschlossen." [Hervorhebung durch Fettdruck nur hier und nicht im LV.]
Wegen der Abstimmung der Termine zur Durchführung der Teststellung werde sich der Auftraggeber mit den Bietern abstimmen. Das Anwendervotum werde von einem Gremium, bestehend aus Mitarbeitenden der BG Unfallklinik M. erstellt, wobei im Rahmen eines jedem Mitglied zustehenden Beurteilungsspielraums Punkte auf einer Skala von 0 bis 5 Punkten vergeben würden. Die genaue personelle Zusammensetzung des Wertungsgremiums war nicht in den Wertungsgrundlagen mitgeteilt worden.
Das LV enthielt einen Abschnitt "Allgemeine Anforderungen (Standard-Gerät und High-End-Gerät)".
Darin waren u.a. die folgenden, als "KO-Kriterium" definierten Kriterien enthalten:
- A2.1.4: "An den Geräten sind seitlich (links und rechts) Normschienen mit einer Länge von mindesten 20 cm angebracht, welche die Adaptierung von Zubehör sowie ggf. Vernebler oder Befeuchter ermöglichen."
- A3.6: "Das Bediendisplay ist abnehmbar und an einer separaten Normschiene befestigt. ..."
Gemäß den "Vorbemerkungen zum Vergabeverfahren", die dem LV vorangestellt waren, war ein "KO- Kriterium" wie folgt beschrieben: "Dieser Fragetyp kennzeichnet die Mindestanforderung an das Gerät bzw. System, welches vom Bieter angeboten wird. Die Nichterfüllung führt zwingend zum Ausschluss des Angebotes und nimmt demnach nicht mehr am Bewertungsverfahren teil. Eine Vergabe von Punkten für KO-Kriterien erfolgt im Bewertungsverfahren nicht."
Die Antragstellerin (ASt) und die Beigeladene (Bg) gaben Angebote ab. Mit ihrem Angebot bejahte die ASt im eingereichten und ausgefüllten LV, die als KO-Kriterien vorgegebenen Anforderungen A2.1.4 und A3.6 zu erfüllen. Die ASt und die Bg reichten je mit ihren Angeboten eine Gebrauchsanweisung (ASt) bzw. technische Unterlagen zu ihren Beatmungsgeräten (Bg) ein, in denen jeweils die Bestandteile der Beatmungsgeräte dargestellt werden. Nach Ziff. 2.1 der Aufforderung zur Angebotsabgabe waren mit dem Angebot "ausführliche Prospekte und technische Unterlagen zu den angebotenen Geräten..." einzureichen.
Mit einem Bieterbrief, von der ASt als Anlage zur Akte gereicht, lud die Vergabestelle die ASt zum Anwendertest am 3. September 2024 in die [...]. In dem Schreiben teilte die Vergabestelle u.a. mit:
"Zu dieser Veranstaltung am 03.09.2024 in [...] bitten wir um Bereitstellung des angebotenen Geräts gemäß Position 3 im Preisblatt "High-End-Gerät fahrbar"...
Die Testmuster
Bitte stellen Sie uns für die Veranstaltung exakt das angebotene Modell gemäß Position 3 im Preisblatt in der Ausstattung lt. Leistungsverzeichnis inkl. ausreichend Verbrauchsmaterial zur Verfügung.
Der Ablauf und die Fachberater
Die Funktionalität des Gerätes wird gemäß Wertungsbogen (vgl. Dokument 13) u.a. an einer Testlunge getestet. ...
Die Geräte aller qualifizierten Bieter werden von voraussichtlich 10 Personen in Durchgängen a ca. 90 Minuten getestet. ...
Zur Aufstellung des Geräts vor der Veranstaltung, für eine max. 45-minütige Geräteeinweisung und zur Erläuterung des Geräts während des anschließenden max. 45-minütigen Tests ist ein qualifizierter Mitarbeiter des Bieters zur Veranstaltung zu entsenden. ..." [Hervorhebung durch Fettdruck nur hier und nicht im LV.]
Die ASt stellte zu dieser Testveranstaltung ein Gerät bereit. Das mit der Durchführung des Anwendertests betraute Gremium, zu dem allein Mitarbeitende der [...] gehörten, darunter auch der Leiter der Medizintechnik sowie eine Mitarbeiterin der Stabsstelle Hygiene, hielt im Bewertungsbogen für den Anwendertest des Geräts der ASt, dort zu den Unterkriterien 8 ("Ergonomie. Wie ist das Gerät aufgebaut?") und 12 ("Sind genügend Anbau- und Montagemöglichkeiten für zusätzliches Equipment vorhanden?"), fest, dass Möglichkeiten zur Befestigung von Infusionspumpen-Racks und weiterem Gerätezubehör fehle und die gezeigten Normschienen dafür nicht geeignet seien. Grund sei, dass die Normschienen des gezeigten Musters nicht wie gefordert dimensioniert, sondern deutlich zu kurz seien; das Gremium dokumentierte hierzu die konkrete Nutzlänge in cm, die hier im Hinblick auf die Geschäftsgeheimnisse der ASt nicht wiederzugeben ist. Ferner sei das Bediendisplay nicht direkt an einer separaten Normschiene zu befestigen, der Umbau an eine Normschiene habe nicht gezeigt werden können. Das Bewertungsgremium bewertete das Gerät der ASt im Anwendertest zu den Unterkriterien 8 und 12 jeweils mit Punkten gemäß der vorgegeben Punkteskala.
Die zentrale Vergabestelle der Ag lud die ASt zu einem Aufklärungsgespräch am 30. September 2024. Als Grund für die Aufklärung wurde im Vergabevermerk (Ziff. 7.6) festgehalten, dass von der ASt "zur Teststellung nicht genau die Geräte zur Verfügung gestellt worden waren, die auch Gegenstand der Leistungen sein werden. Sie enthielten daher Merkmale nicht, die als Mindestanforderungen definiert waren." Damit bezog sich der Vergabevermerk auf die Mindestanforderungen A2.1.4 und A3.6 beim Testgerät der ASt.
Im Aufklärungsprotokoll vom 1. Oktober 2024 hatte die Vergabestelle festgehalten, dass beim Testgerät der ASt die Mindestanforderungen A2.1.4 und A3.6 nicht verifiziert werden konnten. Zum einen habe das Testgerät der ASt eine Normschiene mit deutlich unter 20cm nutzbarer Länge aufgewiesen. Hierzu dokumentiert das Aufklärungsprotokoll, dass die ASt erklärt habe, die Gesamtlänge der Normschiene sei zwar größer als 20 cm, aber eingeräumt habe, dass die nutzbare Länge kleiner als 20 cm sei. Die ASt habe als Lösung angeboten, dass die Geräte "bei Bedarf kostenneutral mit Schienen mit einer Nutzlänge >20cm ausgestattet werden können" bzw. "das Gerät sei somit entsprechend den Vorgaben konfigurierbar".
Zum anderen dokumentierte das Aufklärungsprotokoll vom 1. Oktober 2024 zur Anforderung A3.6, es sei beim Testgerät nicht möglich gewesen, dass gemäß der Anforderung A3.6 das Bediendisplay abnehmbar und an eine Normschiene zu befestigen gewesen sei. Die vorgefundene Lösung sei von der Vorgabe abgewichen. Die im Aufklärungsprotokoll vom 1. Oktober 2024 dokumentierte Erklärung der ASt ergab, dass das Display nicht direkt an eine Normschiene gebracht werden könne, dies aber möglich sei. Die ASt habe hierzu auf die Präsentation verwiesen, die beim Aufklärungsgespräch anwesenden Vertreter der Vergabestelle, die auch beim Test anwesend waren, hätten sich nicht daran erinnern können. Die ASt gehe davon aus, die beiden Mindestanforderungen erfüllt zu haben. Die Vergabestelle hielt hierzu im Aufklärungsprotokoll fest, die nachgereichten Informationen zu Protokoll zu nehmen und diese bei der Wertung an geeigneter Stelle zu berücksichtigen. Ein Ausschluss des Angebots der ASt erfolgte daraufhin zunächst nicht.
Mit Schreiben vom 1. Oktober 2024 wandte sich die ASt an die Vergabestelle und bemängelte die folgende Feststellung im Aufklärungsprotokoll, wonach der Vertreter der Vergabestelle im Aufklärungsprotokoll "...berichtet von Unstimmigkeiten zwischen Angaben im Leistungsverzeichnis und der Ausstattung des Testgeräts der ASt beim Test am 03.09. in [...] - Herr ... präsentiert zwei vom Bieter bejahte Mindestanforderungen, die in der Teststellung jedoch nicht (ausreichend) verifiziert werden konnten." Diese Feststellungen seien unzutreffend. Vielmehr sei zutreffend, dass das Wertungsgremium technische Verständnisschwierigkeiten gehabt habe. Die Mindestanforderungen seien aber erfüllt, es gebe keine Unstimmigkeiten zwischen den Angaben im LV und dem Testgerät. Die Verständnisschwierigkeiten seien beim Aufklärungsgespräch ausgeräumt worden. Dies sei zu den Unterlagen zu nehmen.
Im Ergebnis der Angebotswertung stellte die Vergabestelle fest, dass das Angebot der Bg insgesamt die höchste Wertungspunktzahl erreicht hatte und nach den Wertungsvorgaben in der Wertungsreihenfolge auf dem ersten Platz rangierte, die ASt dagegen mit der zweithöchsten Punktzahl auf Rang zwei.
Mit Schreiben vom 7. Oktober 2024 informierten die Ag die ASt nach § 134 GWB, sie beabsichtigten, den Zuschlag auf das Angebot der Bg zu erteilen, was die ASt mit Schreiben ihrer Verfahrensbevollmächtigten vom 9. Oktober 2024 rügte. In der Rüge wurden Verstöße gegen § 134 Abs. 1 S. 1 GWB sowie eine mögliche verfahrensfehlerhafte Befassung des Wertungsgremiums beim Anwendertest bemängelt, ferner ein Unterrichtungsverlangen nach § 62 VgV formuliert.
Nachdem, wie der Dokumentation des Vergabevermerks (Ziff. 7.6) zu entnehmen ist, die Vergabestelle die Bewertungsbegründung des Anwendertests der ASt zu den Anforderungen A2.1.4 und A3.6 insofern abgeändert hatte, als eine Ausführung der Normschiene in der geforderten Dimensionierung zwar beim Test nicht habe gezeigt werden können, aber kostenneutral verfügbar sei bzw. der Umbau des Displays nicht habe gezeigt werden können, aber möglich sei, bemängelte die ASt mit ihrer Rüge vom 9. Oktober 2024 u.a., dass diese nachträgliche Änderung der Wertung nicht vom zuständigen Bewertungsgremium für den Anwendertest vorgenommen worden sei. Die Vergabestelle nahm die Änderungen in der Bewertung darauf hin zurück; das Angebot der ASt verblieb danach weiter in der Wertung.
Die Ag wiesen die Rüge mit Schreiben der Vergabestelle vom 11. Oktober 2024 im Übrigen zurück und teilten darin weitere Informationen mit, u.a. die genaue personelle Zusammensetzung des Bewertungsgremiums des Anwendertests aus Mitarbeitenden der Ag zu 8, nachdem die ASt in der Rüge vom 9. Oktober 2024 befürchtet und bemängelt hatte, dass auch Angehörige der Vergabestelle am Anwendertest teilgenommen hätten und zu befürchten sei, dass diese entgegen den Vorgaben an der Bewertung mitgewirkt hätten.
Mit weiterem Schreiben vom 11. Oktober 2024 übersandten die Ag ein neues Informationsschreiben nach § 134 GWB, mit dem der Zeitpunkt des Vertragsschlusses auf den 22. Oktober 2024 verschoben wurde.
Die ASt vertiefte mit Schreiben ihrer Verfahrensbevollmächtigten vom 15. Oktober 2024 ihren Rügevortrag und erhob eine weitere Rüge. Hinsichtlich der behaupteten verfahrensfehlerhaften Besetzung des Wertungsgremiums für den Anwendertest trug die ASt vor, die Beteiligung des Leiters der Medizintechnik und der Stabsstelle Hygiene sei fehlerhaft, da diese nicht mit der Anwendung der getesteten Beatmungsgeräte am Patienten befasst seien. Genau dies sei aber nach Ansicht der ASt Voraussetzung für eine Beteiligung am Anwendertest. Des Weiteren rügte die ASt im Schreiben vom 15. Oktober 2024, es habe sich kein Hinweis im Rügeantwortschreiben gefunden, dass die finale Wertungsentscheidung insbesondere in Bezug auf das Wertungskriterium Funktionalität/Anwendertest von jeder der Auftraggeberinnen, ggf. mit Ausnahme der Ag zu 8, deren Mitarbeiter zum Testgremium gehört hätten, selbst getroffen worden sei. Schließlich führte die ASt mit Schreiben ihrer Verfahrensbevollmächtigten vom 15. Oktober 2024 aus, es sei unklar, welche Aspekte, die im Anwendertest gezeigt und getestet worden seien, in die finale Wertung eingeflossen seien. Die Ausführungen im Rügeantwortschreiben vom 11. Oktober 2024 ließen befürchten, dass an der neuerlichen finalen Wertungsentscheidung allein Vertreter der zentralen Vergabestelle mitgewirkt hätten, nicht aber das Wertungsgremium und die acht Auftraggeberinnen.
Die Rügen der ASt wies die Vergabestelle vom 16. Oktober 2024 abschließend zurück.
Die ASt rügte sodann mit Schreiben ihrer Verfahrensbevollmächtigten vom 18. Oktober 2024 die von der Ag am 11. Oktober 2024 mitgeteilte Bewertung der Anwendertestung als vergaberechtswidrig.
Mit Schreiben vom 22. und 30. Oktober 2024, nach Einleitung des Nachprüfungsverfahrens durch die ASt, hat die Vergabekammer die Verfahrensbeteiligten auf die vorläufige Einschätzung der Vergabekammer hingewiesen, dass die ASt mit ihrem Angebot von den Vorgaben des LV A2.1.4 und A3.6 abgewichen und das Angebot der ASt daher zwingend auszuschließen sei. Nach dem Aufforderungsschreiben der Ag an die ASt zum Anwendertest (vgl. Anlage [...]) sei das "angebotene Gerät" zum Anwendertest bereit zustellen gewesen; das Testgerät habe das Angebot konkretisiert.
Die Ag hat in einer Stellungnahme vom 25. Oktober 2024, die sie im Nachprüfungsverfahren abgab, mitgeteilt, dass sie das Angebot der ASt nach § 57 Abs. 1, § 53 Abs. 7 S. 1 VgV bzw. § 57 Abs. 1 Nr. 4 VgV ausgeschlossen hat. Dies sei vor dem Hintergrund erfolgt, dass die ASt Änderungen an den Vergabeunterlagen vorgenommen habe, weil das zur Teststellung bereitgestellte Gerät von den Mindestanforderungen des LV A2.1.4 und A3.6 abgewichen sei.
2. Mit Schreiben ihrer Verfahrensbevollmächtigten vom 18. Oktober 2024 beantragt die ASt die Einleitung eines Nachprüfungsverfahrens; der Nachprüfungsantrag wurde den Ag, vertreten durch die Vergabestelle, am gleichen Tage übermittelt.
a) Im Hinblick auf die Zulässigkeit meint die ASt, ihre Rüge in Bezug auf das konkrete Wertungsergebnis im Zuschlagskriterium Funktionalität/Anwendertest sei nicht nach § 160 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 GWB verfristet, dies habe sie auf das Vorabinformationsschreiben vom 11. Oktober 2024 mehrfach gerügt. Die ASt habe für ihren Nachprüfungsantrag allerdings keine Wartefrist nach Einreichen ihrer entsprechenden Rüge einhalten müssen; die entsprechende Gegenansicht der Ag gehe daher fehl.
Auch ihre Rüge, dass die Wertungsentscheidung nicht von allen Auftraggeberinnen selbst getroffen worden sei, sei, entgegen der Ansicht der Ag, nicht nach § 160 Abs. 3 S. 1 Nr. 3 GWB präkludiert. Der ASt gehe es bei ihrer Rüge nicht darum, dass die Wertungsentscheidung im Anwendertest überhaupt von einem Wertungsgremium getroffen worden sei, sondern dass die Wertungsentscheidung allein auf dem Ergebnis des Anwendertests durch das Gremium der Ag zu 8 beruhe, ohne dass aber ersichtlich sei, dass jede der übrigen Auftraggeberinnen dieses Ergebnis die Verantwortung für die auch von ihnen zu treffende Wertungsentscheidung selbst übernommen hätte. Öffentliche Auftraggeber dürften diese Verantwortung nicht an einen Dritten übertragen. Vergaberechtlich gesehen sei das Gremium der Ag zu 8 für alle übrigen Auftraggeberinnen, die selbständige Vertragspartner seien, aber ein Dritter. Vor diesem Hintergrund habe kein Anlass zu einer Rüge gegen die Vergabeunterlagen bis zur Angebotsabgabe bestanden, sondern nur eine Rüge gegen den erst im Zuge der Nichtabhilfeschreiben der Ag erkannten Fehler, dass das Testgremium nicht nur beratende Funktion der Ag gehabt habe, sondern die Wertungsentscheidung getroffen habe, ohne dass die übrigen Ag dies selbst getan hätten. Diese sei rechtzeitig erfolgt.
Die ASt ist in der Sache der Ansicht, die Ag hätten das Angebot der ASt nicht von der Wertung ausschließen dürfen, da keine unstatthafte Nachbesserung des Angebots der ASt vorliege. Die ASt habe im Aufklärungsgespräch bestätigt, dass die Anforderung A.2.14 eingehalten und die angebotenen Geräte mit Normschienen mit einer Nutzlänge von mehr als 20 cm ausgestattet würden, wozu die ASt in ihrer Stellungnahme vom 29. Oktober 2024 entsprechende Fotos präsentiert. Damit sei die entsprechende Mindestanforderung erfüllt. Es treffe zudem nicht zu, dass beim Aufklärungsgespräch getestet oder festgestellt hätte werden dürfen, dass das zur Teststellung bereit gestellte Gerät die Mindestanforderungen nicht erfülle. Der Anwendertest sei nur als wertende, nicht aber eine verifizierende Teststellung angekündigt worden. Die Ag hätten zum Zweck des Anwendertests nicht vorgegeben, dass dieser einer Verifikation von Mindestanforderungen habe dienen sollen. Sofern die Ag mit dem Anwendertest eine Verifikation der Anforderungen hätte bezwecken wollen, hätte sie dies vorab allen Bietern in gleicher Weise und auch die zu verifizierenden Anforderungen bekannt machen müssen, was aber nicht geschehen sei. Die Prüfung des Erfüllens der Mindestkriterien beim Anwendertest, ohne dies den Bietern vorab bekannt zu geben, sei willkürlich, da die Bieter nicht verlässlich wüssten, was bei der Anwendertestung konkret überprüft werde. Auch der als Anlage [...] vorgelegte Bieterbrief, mit dem die ASt zum Anwendertest geladen worden sei, habe keinen solchen Hinweis enthalten. Darin sei nur darauf hingewiesen worden, dass die Teststellung die Funktionalität des Geräts gemäß Wertungsbogen testen solle. Auch der Wertungsbogen des Anwendertest enthalte 34 abzuprüfende Positionen, die allein der Funktionalitätsbewertung dienten, um die Bewertung dieses Zuschlagskriteriums durchzuführen. Überdies ergebe auch die Definition des KO-Kriteriums im LV nicht, dass diese im Anwendertest abgeprüft werden sollten. Die ASt habe vor diesem Hintergrund davon ausgehen dürfen, dass das von ihr zur Testung gegebene Gerät auch nur anhand der in diesem "Bewertungsbogen Teststellung" abschließend aufgelisteten 34 Prüfpositionen überprüft werde, nicht aber dass die Anforderungen des LV verifiziert werden sollten. Es sei daher unzulässig, irgendeine tatsächliche Feststellung über die Erfüllung irgendeiner Mindestanforderung aus dem von der ASt in die wertende Anwendertestung gegebenen Beatmungsgeräts zu stützen. Die Ag dürften mithin den Anwendertest nicht als Erkenntnisquelle für die Überprüfung der Mindestanforderungen heranziehen.
Die zentrale Vergabestelle der Ag habe daher erst im Aufklärungsgespräch die Einhaltung der LV- Positionen überprüfen dürfen bzw. überprüft und erst in diesem Rahmen festgestellt, dass die seitlichen Normschienen am Testgerät der ASt eine nutzbare Länge von weniger als 20cm aufwiesen. Soweit seitens der Vergabestelle ein entsprechendes Foto im Aufklärungsgespräch präsentiert worden sei, sei dieses einem Katalog der ASt entnommen worden, den die ASt nicht mit ihrem Angebot bzw. zum Anwendertest vorgelegt habe. Die Aufklärung am 30. September 2024 habe eindeutig ergeben, dass die ASt die Mindestanforderung A2.1.4 vollständig erfülle. Denn in der Vergabedokumentation heiße es hierzu, die ASt habe die Bedenken der Ag in Bezug auf die Mindestanforderung A2.1.4 ausräumen können, weshalb daher kein Ausschluss des Angebots der ASt erfolge. Dies sei die vergaberechtlich einzig zulässige Vorgehensweise der Ag. Vor diesem Hintergrund sei der Ausschluss des Angebots hinsichtlich der Anforderung A2.1.4 rechtswidrig.
Entsprechendes gelte hinsichtlich der Mindestanforderung A3.6. Die Vergabedokumentation ergebe, dass die ASt im Aufklärungsgespräch ebenfalls die Bedenken der Ag habe ausräumen können. Das zur Testung gegebene Gerät habe diese Anforderung erfüllt, eine Befestigung des Displays an einer separaten Normschiene sei mit einem zusätzlichen Adapterstück möglich, was die ASt in der Stellungnahme vom 29. Oktober 2024 durch entsprechende Fotos darlegt. Die Anforderung des LV nehme keine Einschränkung dahingehend vor, dass nur das Bediendisplay als solches abnehmbar sein müsse. Die Lösung der ASt genüge daher den Anforderungen des LV. Ein Ausschluss des Angebots der AST sei daher auch vor diesem Hintergrund rechtswidrig.
Die von der Vergabekammer in ihren rechtlichen Hinweisen geäußerte Ansicht, es sei notwendig, das Angebot der ASt auszuschließen, gehe fehl. Die Kammer stütze ihre Auffassung insbesondere im Hinweis vom 30. Oktober 2024 fehlerhaft auf ihren Beschluss VK2-62/22 vom 13. Juli 2022. Es gehe, anders als in diesem Beschluss, im streitgegenständlichen Vergabeverfahren nicht um einen Widerspruch zwischen einem Angebotsmuster im Sinne des Testgeräts und einer verbalen Erklärung, überzeuge nicht. Das Testgerät der ASt bzw. dessen Teststellung sei schon nicht mit einem Angebotsmuster vergleichbar, um das es in jener Entscheidung gegangen sei. Es genüge den vergaberechtlichen Grundsätzen der Transparenz und der Gleichbehandlung nicht, wenn - wie die Ag es getan hätten - allgemein darauf hingewiesen werde, dass zur Teststellung das "angebotene Gerät" bereit zu stellen sei, um daraus abzuleiten, beim Test auch die Anforderungen des LV zu überprüfen. Insofern beruft sich die ASt für ihre Ansicht auf Beschlüsse der VK Rheinland (Beschluss vom 5. Juni 2019, VK 11/19) und des OLG Düsseldorf (Beschluss vom 16. Dezember 2009, VII-Verg 32/09). Insbesondere das OLG Düsseldorf habe in einem Fall eines als wertend und verifizierend bekannt gemachten Tests auf einen Verstoß gegen diese Grundsätze erkannt, wenn der Auftraggeber den Bietern nicht auch die zu verifizierenden Mindestkriterien vorab bekannt gegeben habe. Dies gelte auch im streitgegenständlichen Vergabeverfahren, so dass es vor diesem Hintergrund bereits an einer transparenten Vorgabe, eine verifizierende Teststellung durchzuführen, fehle. Es sei auch nicht weiter dokumentiert, dass beim Anwendertest die vorgegebenen Mindestforderungen überhaupt überprüft worden seien. Eine derartige Durchführung der Teststellung der Ag sei daher verfahrensfehlerhaft.
Die Vergabekammer gehe auch unzutreffend davon aus, dass die ASt mit einem angeblich nicht LV-konformen Testgerät ihren Angebotsinhalt konkretisiert habe. Denn mangels einer transparenten Vorgabe für eine verifizierende Teststellung sei es nicht statthaft, Schlussfolgerungen über eine Ausschlussbedürftigkeit des Angebots überhaupt ziehen zu dürfen. Die Ag hätten allenfalls den festgestellten Widerspruch zwischen der verbalen Angebotserklärung, wonach die Mindestanforderungen erfüllt würden, und dem Testgerät aufklären dürfen, was sie zunächst auch getan hätten. Eine solche Aufklärung sei nach § 15 Abs. 5 S. 1 VgV zulässig.
Das Aufklärungsgespräch vom 30. September 2024 habe schließlich bestätigt, dass die Anforderungen eingehalten worden seien. Eine unzulässige Nachverhandlung entgegen § 15 Abs. 5 S. 2 VgV liege nicht vor. Die ASt habe in ihrem textlichen Angebot das Leistungsversprechen der ASt zur Einhaltung der Mindestanforderungen A2.1.4 und A3.6 vollständig abgegeben. Ferner habe die ASt im Aufklärungsgespräch die Erfüllung dieser Anforderungen erläutert. Dabei handele es sich um die auftraggeberseitige erstmalig zulässige Verifizierung des Leistungsversprechens der ASt aufgrund eines Widerspruchs eines von den Ag selbst recherchierten Prospektheftes/Produktdatenblattes zu dem von der ASt angebotenen Beatmungsgeräts mit dem textlichen Leistungsversprechen. Dies entspreche vergaberechtlichen Grundsätzen, bei Zweifeln an der Erfüllbarkeit des Leistungsversprechens, aufzuklären und ergänzende Informationen beim betroffenen Bieter einzuholen. Schließlich sei auf die Rechtsprechung des BGH Bezug zu nehmen (BGH, Beschluss vom 18. Juni 2019, X ZR 86/17), wonach vor einem Ausschluss aus formalen Gründen das Angebot aufzuklären sei. Dies gelte erst recht für den hiesigen Fall, dass der Aufbau des Testgeräts nicht vollständig erfolgt sei, während sämtliche Geräteanforderungen als solche erfüllt worden seien. Die Ag hätten bereits während des Anwendertests nach der Länge der seitlichen Normschienen fragen können, um die ASt dazu zu veranlassen, sogleich das Adapterstück für die Schiene mit der gewünschten Länge anzubringen. Es sei treuwidrig von den Ag, die ASt nicht bereits während des Tests darauf aufmerksam gemacht zu haben.
Die Angebotswertung sei zudem gekennzeichnet durch eine unzulässige Vermengung von Mindestanforderungen und Wertungskriterien, was sich aus der im Zuge der Akteneinsicht offengelegten Bewertung des Anwendertests ergebe. So folge aus den Begründungstexten der Kriterien 8 und 12, dass das Bewertungsgremium die angenommene Nichterfüllung des Mindestkriteriums A2.1.4 bei der Anwendertestung zu Lasten der ASt bewertet habe. Dies widerspreche den Vorgaben der Vergabeunterlagen zu den KO-Kriterien, wonach eine Vergabe von Punkten im Bewertungsverfahren hierfür nicht stattfinde. Es sei zudem nicht auszuschließen, dass die Länge der seitlich am Beatmungsgerät angebrachten Normschienen beim Testgerät der Bg unter Verstoß gegen diese Vorgabe besser bewertet worden sei.
Eine unzulässige Vermengung von Mindestanforderungen und Wertungskriterien sei auch hinsichtlich der Bewertung der Unterkriterien 33 und 23 im Anwendertest gegeben, was die ASt in ihrer Stellungnahme vom 29. Oktober 2024 näher ausführt.
Die Ag habe beim Anwendertest ferner unzulässigerweise die im LV als reine Informationsfragen gekennzeichneten Anforderungen in Pos. 3 und 30 des LV bewertet. Nach den Vorgaben des LV seien solche Informationsfragen nicht mit Punkten zu bewerten, was auch für den Anwendertest gelten müsse.
Ferner doppelten sich die Wertungen zu den Kriterien 5 und 9 des Anwendertest-Wertungsbogens, was nicht nachvollziehbar sei. In der Zusammenschau erscheine die Bewertung in beiden Positionen beliebig, so dass die Nachprüfbarkeit nicht möglich sei.
Beim Kriterium 29 auf dem Anwendertestbogen seien im LV vorgesehene Wertungsfragen zur LV- Position 9.1.14 unzulässig bewertet worden. Eine Bewertung eines LV-Kriteriums, die beim zweiten Zuschlagskriterium "Erfüllung des LV" relevant sei, könne nicht noch einmal und somit doppelt im Zuschlagskriterium 3 des Anwendertests bewertet werden.
Die Bewertungsbegründungen des Gremiums zum Anwendertest der ASt hält die ASt ferner zu einer Reihe von näher benannten Bewertungskriterien des Wertungsbogens für beurteilungsfehlerhaft, was sie in ihrer Stellungnahme vom 29. Oktober 2024 näher ausgeführt hat, diesen Vortrag aber gegenüber der Bg als Geschäftsgeheimnis geschwärzt hat, so dass an dieser Stelle im Hinblick auf § 165 GWB darauf nicht näher einzugehen ist.
Darüber hinaus ist die ASt der Auffassung, dass das Wertungsgremium zur Bewertung des Anwendertests fehlerhaft besetzt gewesen sei, soweit daran der Leiter der Medizintechnik sowie eine Mitarbeiterin der Stabsstelle Hygiene beteiligt gewesen seien. Diesen Personen fehle die für die Anwendung des zu testenden Geräts nötige Fachkompetenz bzw. Erfahrung im beruflichen Einsatz und Gebrauch der zu testenden Beatmungsgeräte am Patienten. Das Gremium habe sich zudem insgesamt als untauglich erwiesen, weil es eine Vielzahl von Bewertungsvorgaben nicht eingehalten habe bzw. Mindestanforderungen (KO-Kriterien) unzulässig im Zuge der Anwendertestung gewertet habe.
Schließlich sei die Wertungsentscheidung grundlegend fehlerhaft, weil die Wertungsentscheidung nicht von allen am Auftrag beteiligten Ag getroffen worden sei. Der Vergabevermerk enthalte keinen Hinweis darauf, dass die einzelnen Auftraggeberinnen selbst in die Wertungsentscheidung aufgrund des Anwendertests eingebunden gewesen seien; diese sei allein dem Testgremium der Ag zu 8 überantwortet worden. Soweit in Ziff. 14 des Vergabevermerks der Hinweis enthalten sei, dass das Testgremium für den Anwendertest die Teststellung repräsentativ für alle Auftraggeberinnen durchführen werde, bestätige dieser Hinweis vielmehr das Fehlen selbständiger Entscheidungen der einzelnen Auftraggeber. Allein der Umstand, dass die einzelnen Kliniken einen Konzernverbund darstellten, führe nicht zu einer anderen Einschätzung, weil es sich bei den einzelnen Kliniken um selbständige öffentliche Auftraggeber und juristische Personen des Privatrechts handele, die ausweislich des Vertragsformulars auch jeder für sich Vertragspartner würden und nicht allein Abrufberechtigte der zu schließenden Rahmenvereinbarung.
Die ASt beantragt,
den Ag zu untersagen, die Zuschlagserteilung auf das Angebot der Bg zu erteilen und den Ag aufzugeben, bei fortbestehender Beschaffungsabsicht das Verfahren zurückzuversetzen und die Anwendertestung sowie Angebotswertung unter Beachtung der Rechtsauffassung der Vergabekammer zu wiederholen,
hilfsweise sonstige geeignete Maßnahmen anzuordnen, um eine Rechtsverletzung auf Seiten der AST zu verhindern,
den Ag die Kosten des Nachprüfungsverfahrens sowie die der ASt entstandenen notwendigen Kosten der außergerichtlichen Rechtsverfolgung aufzuerlegen und auszusprechen, dass für die ASt die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im Nachprüfungsverfahren erforderlich ist.
b) Die Ag beantragen:
1. Der Nachprüfungsantrag wird zurückgewiesen.
2. Die ASt trägt die Kosten des Verfahrens.
In punkto Zulässigkeit meinen die Ag, die ASt habe das Wertungsergebnis zum Zuschlagskriterium Funktionalität/Anwendertest vor Einreichen des Nachprüfungsantrags nicht substantiiert gerügt. Die Rügen vom 9. und 15. Oktober 2024 enthielten keinen entsprechenden Vortrag. Soweit die ASt eine entsprechende Rüge am 18. Oktober 2024 an die Ag übermittelt habe, sei es den Ag nicht möglich gewesen, vor Einleitung des Nachprüfungsverfahrens am gleichen Tag zu erwidern. Daher genüge diese Rüge nicht den Anforderungen des § 160 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 GWB.
Für präkludiert nach § 160 Abs. 3 S. 1 Nr. 3 GWB halten die Ag ferner den Vortrag der ASt, die Wertungsentscheidung sei nicht durch alle Auftraggeberinnen vorgenommen worden. Es sei bereits aus den Vergabeunterlagen erkennbar gewesen, dass das Wertungsgremium für den Anwendertest aus den Mitarbeitenden der Ag zu 8 bestehen werde. Dies sei von der ASt bis zur Abgabe ihres Angebotes nicht gerügt worden. Die ASt habe den von ihr gerügten Fehler, der darauf beruhe, dass das Gremium für alle übrigen Auftraggeberinnen außer der Ag zu 8 ein externes Wertungsgremium gewesen sei, vor diesem Hintergrund ohne Weiteres erkennen können.
Das Angebot der ASt sei in der Sache nach § 57 Abs. 2, § 53 Abs. 7 S.1 VgV, § 57 Abs. 1 Nr. 4 VgV von der Wertung auszuschließen. Das Angebot der ASt weiche von den Vorgaben LV hinsichtlich der beiden Mindestanforderungen A2.1.4 und A3.6 ab. Die ASt habe mit ihrem Angebot den Prospekt für die relevanten Modelle ihres Beatmungsgeräts vorgelegt, wodurch sie das Angebot dahingehend konkretisiert habe. Das in diesem Prospekt abgebildete Gerät sei nicht mit einer ausreichend langen Normschiene ausgerüstet, was sich auch nicht aus den beigefügten Kompatibilitätserklärungen ableiten lasse. Dies werde belegt durch den Schriftsatz der Verfahrensbevollmächtigten der Ag vom 29.
Oktober 2024, worin unter Ziff. I.1, zweiter Absatz; daraus gehe hervor, dass die ASt nur eine gegenüber dem Angebot nachträglich angepasst Variante erfüllen könne. Die ASt habe in ihrem Angebot nicht darauf hingewiesen, dass das derart angebotene Gerät über eine längere Normschiene in der geforderten [...]-Konfiguration verfüge. Daraus werde deutlich, dass sie das Gerät aus dem Prospekt ohne längere Normschiebe angeboten habe und auch habe anbieten wollen. Das werde durch das zur Testung bereitgestellte Gerät belegt, an dem seitliche Normschienen mit einer Nutzlänge von weniger als mindestens 20cm angebracht gewesen. Die Ag hätten ausdrücklich gefordert, exakt das angebotene Modell in der Ausstattung laut LV zur Testung bereitzustellen, so dass spätestens durch die Zurverfügungstellung dieses Gerätes die ASt ihr Angebot dahin konkretisiert habe, dieses wie bereitgestellt zum Angebotsinhalt zu machen, so dass das Angebot im Ergebnis die Vergabeunterlagen unzulässig abgeändert habe.
Die entsprechende Abweichung sei den Ag erst im Rahmen des Anwendertests und des folgenden Aufklärungsgesprächs bewusst geworden. Dies werde bestätigt durch das Angebot der ASt im Aufklärungsgespräch, die Geräte kostenneutral mit Normschienen einer Nutzlänge von mehr als 20cm auszustatten. Unerheblich sei dabei, dass die ASt grundsätzlich in der Lage sei, nach Ansicht der Ag anforderungskonforme Normschienen seitlich montieren zu können.
Die Ag hätten den Bietern ausdrücklich mitgeteilt, dass in der Testung auch das Vorhandensein von Mindestanforderungen geprüft werden. Neben der Aufforderung im Bieterbrief mit der Ladung zum Anwendertest, das angebotene Gerät zur Verfügung zu stellen sowie der Vorgabe des LV, ein Angebot bei Nichterfüllung einer Mindestanforderung von der Wertung auszuschließen, hätten die Ag bereits vor Angebotsabgabe im Dokument "Wertungsgrundlagen" für das Zuschlagskriterium 3 "Funktionalität/Anwendertest" mitgeteilt, dass die Ag sich vorbehielten, weitere Bieter zur Testung zu laden, wenn die Testung bei den zunächst zu ladenden Bestbietern ergebe, dass die Leistungsanforderungen gemäß Leistungsverzeichnis nicht bestätigt würden. Vor diesem Hintergrund sei der Ausschluss des Angebotes der ASt zwingend.
Hinsichtlich der Mindestanforderung A3.6 fehle es dem Bediendisplay am getesteten Gerät der ASt daran, nicht direkt an einer Normschiene angebracht werden zu können, so dass nach Ansicht der Ag auch insofern eine Abweichung von den Vorgaben des LV anzunehmen sei.
Hinsichtlich der gerügten verfahrensfehlerhaften Zusammensetzung des Wertungsgremiums für den Anwendertest gehe die ASt mit ihrer Ansicht fehl, die Testgeräte dürften nur von Personen getestet werden, die diese am Patienten anwendeten. Eine derartige Einschränkung hätten die Ag in den Vergabeunterlagen nicht vorgenommen. Sowohl der herangezogene Medizintechniker bzw. die Hygienefachkraft seien in der Lage, die Funktionalität von Medizintechnik zu bewerten. Die aufgestellten 34 Bewertungspositionen erforderten eine interdisziplinäre Besetzung, um eine fachgerechte Bewertung zu gewährleisten.
Der von der ASt bemängelte Aspekt, die Wertungsentscheidung sei nicht durch alle acht Auftraggeberinnen selbst getroffen worden, liege nicht vor. Die Wertung sei zulässigerweise durch das Gremium der Ag zu 8 vorgenommen worden, die anderen hätten nicht notwendigerweise Vertreter in das Bewertungsgremium zur Teststellung schicken müssen. Da die Ag als Gemeinschaft anzusehen sei, in der die Handlungen einzelner Mitglieder den anderen zurechenbar seien, habe in jedem Fall die Entscheidung des jeweiligen Auftraggebers zur Wertung vorgelegen. Der Bewertung in der Teststellung durch das Bewertungsgremium, der Gesamtbewertung durch die [...] und die zentrale Vergabestelle hätten sich alle Ag im Vorfeld der Ausschreibung unterworfen.
Das Bewertungsgremium habe sich auch ordnungsgemäß mit der Anwendertestung befasst. Die Mitglieder des Gremiums hätten ausweislich der Wertungsbögen alle Aspekte einbezogen, die bei der Teststellung vom Wertungsgremium wahrgenommen und festgestellt worden seien. Aspekte, die im Aufklärungsgespräch diskutiert worden seien, seien auf die entsprechende Rüge der ASt hin, nicht im Wertungsbogen berücksichtigt worden. Soweit die ASt meine, die Ag hätten bei der Bewertung der Teststellung gegen verschiedene Vorgaben der Ausschreibung verstoßen, treffe das nicht zu. Die Eigenschaften eines zu testenden Gerätes könnten sich sowohl unmittelbar als auch mittelbar auf die Bewertung verschiedener Punkte auswirken. Dies ergebe sich aus den bekanntgemachten KO-, Bewertungs- und Informationskriterien sowie den Bewertungskriterien für den Anwendertest. Es sei danach denkbar, dass sich eine Eigenschaft, deren Vorhandensein nicht gefordert gewesen sei und für die es auch keine Punkte gegeben habe (Informationskriterien) auf die Wahrnehmung der Tester und damit auch auf die Bewertung des Geräts in der Teststellung auswirke. Im Hinblick auf die KO-Kriterien sei es durchaus üblich, einen bestimmten Standard vorzugeben und darüber hinaus gehende Qualität positiv zu bewerten, was z.B. beim LV-Kriterium A8.2.3 der Fall sei.
c) Die mit Beschluss vom 22. Oktober 2024 förmlich zum Nachprüfungsverfahren hinzugezogene Bg hat sich nicht zur Sache eingelassen.
3. Die Vergabekammer hat der ASt mit Zustimmung der Ag Einsicht in die Vergabeakte gewährt, soweit Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse nicht betroffen waren. Auf die ausgetauschten Schriftsätze, die elektronische Vergabeakte, soweit sie der Vergabekammer vorgelegen hat, sowie auf die Verfahrensakte der Vergabekammer wird verwiesen.
Die Verfahrensbeteiligten haben auf die Durchführung der mündlichen Verhandlung verzichtet (ASt mit Schriftsatz ihrer Verfahrensbevollmächtigten vom 6. November 2024, Ag und Bg mit Schriftsätzen je vom 7. November 2024).
II.
Der Nachprüfungsantrag ist zulässig (1.), aber unbegründet (2.).
1. Der Nachprüfungsantrag ist zulässig.
a) Das Nachprüfungsverfahren gemäß §§ 160 ff. GWB ist grundsätzlich statthaft.
aa) Für die Vergabe der hier ausgeschriebenen streitgegenständlichen Rahmenvereinbarungen gelten nach § 103 Abs. 5 S. 2 GWB die für die Vergabe öffentlicher Aufträge geltenden Vorschriften entsprechend, hier im Hinblick auf die mit der Rahmenvereinbarung zu vergebenden öffentlichen Lieferaufträge nach § 103 Abs. 1 und 2 GWB i.V.m. § 110 Abs. 1 Nr. 2 GWB über die Lieferung und Inbetriebnahme von Langzeitbeatmungsgeräten in den Einrichtungen der Ag. Soweit die Aufträge auch Serviceleistungen umfassen, überwiegt gemäß Ziff. 1.2 des Vergabevermerks der geschätzte Wert der Lieferleistungen, so dass die erfassten Aufträge als Lieferverträge einzuordnen sind, § 110 Abs. 1 Nr. 2 GWB.
bb) Die Rahmenvereinbarungen sind auf die Vergabe öffentlicher Aufträge der Ag zu 1 bis 8 gerichtet, die öffentliche Auftraggeberinnen im Sinne der §§ 98, 99 Nr. 2 lit. a) sind.
Die Ag zu 1 bis 8 wurden gemäß § 99 Nr. 2 lit. a) GWB ausschließlich zu dem Zweck gegründet, im Allgemeininteresse liegende Aufgaben nichtgewerblicher Art zu erfüllen, und werden durch Stellen im Sinne von § 99 Nr. 2 GWB durch Beteiligung finanziert. Die Anteile der Ag zu 1 bis 8 werden durch die Vergabestelle als Holdingsgesellschaft gehalten, die eine Stelle im Sinne von § 99 Nr. 2 GWB ist, deren Anteile wiederum vollständig durch die [...], allesamt Körperschaften des öffentlichen Rechts gemäß § 29 Abs. 1 i.V.m. § 1 Abs. 1 S. 1 SGB IV, gehalten werden. Die Ag zu 1 bis 8 dienen der Vergabestelle zur Verwirklichung ihrer gemäß ihrem Gesellschaftsvertrag definierten gemeinnützigen Zwecke. Ausweislich ihres aus dem Handelsregister ([...]) und ihrem dort einsehbaren Gesellschaftsvertrag ersichtlichen Unternehmensgegenstandes verwirklicht die Vergabestelle ihren Zweck u.a. durch die Errichtung, die Unterhaltung und den Betrieb von qualifizierten ambulanten, teilstationären und stationären Einrichtungen u.a. zur Behandlung von[...], vorwiegend von Versicherten der gesetzlichen [...]. Die Ag zu 1 bis 8 sind vor diesem Hintergrund gleichermaßen die Werkzeuge, mit denen die Träger der [...], vermittelt über die hier als Vergabestelle fungierende Holding, ihrem gesetzlich definierten Versorgungsauftrag u.a. nachkommen.
Die Träger der gesetzlichen [...] selbst sind ebenfalls wiederum Stellen im Sinne von § 99 Nr. 2 lit. a) GWB, die die Vergabestelle als Holding ihrer [...] und damit mittelbar auch die Ag zu 1 bis 8 steuern und beherrschen. Die Träger der gesetzlichen Unfallversicherung sind nach den Grundlagen des SGB VII per se allein zu dem Zweck gegründet, im Allgemeininteresse liegende Aufgaben nichtgewerblicher Art zu erfüllen; sie weisen mit Blick auf die im SGB angelegte enge staatliche Aufsicht die insofern erforderliche Staatsnähe auf (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 6. Juli 2005, VII-Verg 22/05), was somit auch für die Vergabestelle und die Ag zu 1 bis 8 gilt.
cc) Die Vergabekammer ist hier jedenfalls nach § 159 Abs. 3 S. 2 GWB zuständig. Das streitgegenständliche Beschaffungsverfahren ist angesichts der unterschiedlichen Sitze der Ag zu 1 bis 8, der Vergabestelle als ihrer Holding sowie den dahinterstehenden Trägern der gesetzlichen [...] länderübergreifend ausgestaltet. Die Ag zu 1 bis 8 haben in der Ziff. 8.1 der Auftragsbekanntmachung die Vergabekammer des Bundes als zuständige Vergabekammer gemäß § 159 Abs. 3 S. 2 GWB benannt.
dd) Der Schwellenwert für die unionsweite Vergabe von Lieferleistungen ist nach der Auftragswertschätzung nach Ziff. 1.2 des Vergabevermerks ohne Weiteres überschritten, § 3 Abs. 1 VgV.
b) Die Antragsbefugnis der ASt nach § 160 Abs. 2 S. 1 GWB ist als Teilnehmerin am Vergabeverfahren zu bejahen. Sie beruft sich auf eine Verletzung der gemäß § 97 Abs. 6 GWB ohne Weiteres bieterschützenden Vorschriften zur Gewährleistung der Transparenz und Wahrung der Chancengleichheit im streitgegenständlichen Vergabeverfahren. Hieraus folgt auch die nach § 160 Abs. 2 S. 2 GWB notwendige Darlegung des aus den behaupteten Rechtsverstößen zu Lasten der ASt folgenden Schadens in Gestalt der ihr entgehenden Zuschlagschance. Dies gilt insbesondere für den von den Ag erst im Laufe des Nachprüfungsverfahrens verfügten Ausschluss des Angebots der ASt, gegen den die ASt sich nunmehr zusätzlich wendet.
c) Ihrer Rügeobliegenheit nach § 160 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 GWB hat die ASt genügt.
aa) Nachdem die Ag ihr ursprüngliches Vorabinformationsschreiben vom 7. Oktober 2024 aufgehoben und durch das Vorabinformationsschreibens vom 11. Oktober 2024 ersetzt hatten, hat die ASt die ihr hieraus erkennbaren Vergaberechtsverstöße mit ihrem Rügeschreiben vom 15. Oktober 2024 fristgemäß nach § 160 Abs. 3 S: 1 Nr. 1 GWB gerügt. Sie hat darin ausdrücklich mitgeteilt, die z.T. bereits im Rügeschreiben vom 9. Oktober 2024 bemängelten Verstöße wie das Fehlen einer Wertungsentscheidung durch alle Auftraggeberinnen sowie die verfahrensfehlerhafte Besetzung des Gremiums für die Bewertung des Anwendertests aufrecht zu erhalten, wobei sie den letzten Rügepunkt um die erst im Zuge des Rügeantwortschreibens der Ag vom 11. Oktober 2024 erlangten Informationen ergänzte. Ferner bemängelte die ASt eine Intransparenz der Bewertung des Anwendertests der ASt, da unklar sei, welche Aspekte die Ag genau hätten einfließen lassen.
bb) Soweit die Ag meinen, die Rüge, die Wertungsentscheidung sei nicht durch alle acht Auftraggeberinnen erfolgt, sei nach § 160 Abs. 3 S. 1 Nr. 3 GWB präkludiert, ist dem nicht zu folgen. Dem Rügevorbringen der ASt ist - worauf die ASt insofern zutreffend hingewiesen hat - zu entnehmen, dass sie sich dagegen wendet, dass die übrigen Auftraggeberinnen die Verantwortung für die Wertungsentscheidungen nicht an einen Dritten übertragen dürften, wobei sie das Testgremium der Ag zu 8 gegenüber den übrigen Auftraggeberinnen für ein solches hält. Die ASt hält damit die konkrete Durchführung des Wertungsvorgangs für fehlerhaft, was sie - wie oben festgestellt - fristgemäß nach § 160 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 GWB gerügt hat. Die ASt stellt aber die Einbindung des Gremiums in die Wertungsprozedur, das ihrer Ansicht nur nach beratenden Charakter haben dürfe, damit nicht in Frage, so dass sich auch kein Anlass zu einer Rüge nach den Maßgaben des § 160 Abs. 3 S. 1 Nr. 3 GWB für sie ergab. Die ASt hält es für vergaberechtswidrig, dass sich die Auftraggeberinnen nicht selbst mit Bewertung des Gremiums befasst haben, so dass die finale Wertungsentscheidung für den Anwendertest ihrer Ansicht nach nicht von allen Auftraggeberinnen in eigener Verantwortung getroffen worden sind. Dies konnte sie, wie sie schlüssig in ihrem Rügeschreiben vom 15. Oktober 2024 dargelegt hat, erstmals aus der Mitteilung der Ag vom 11. Oktober 2024 entnehmen.
cc) Auch, soweit die Ag argumentieren, die ASt habe das Wertungsergebnis zum Zuschlagskriterium Funktionalität/Anwendertest vor Einreichen des Nachprüfungsantrags nicht substantiiert gerügt, weil ihre Rügen vom 9. und 15. Oktober 2024 keinen entsprechenden Vortrag enthielten und es den Ag nicht möglich gewesen sei auf die entsprechende Rüge der ASt am 18. Oktober 2024 noch vor Einleitung des Nachprüfungsverfahrens am gleichen Tag zu erwidern, steht dies der Erfüllung der Rügeobliegenheit nach § 160 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 GWB nicht entgegen. Die ASt hat, unabhängig davon, ob man für ihre Kenntnis auf das aufgehobene Informationsschreiben vom 7. Oktober 2024 oder das neue vom 11. Oktober 2024 abstellt, ihre diesbezügliche Rüge mit dem Rügeschreiben vom 18. Oktober 2024 jedenfalls binnen der Frist des § 160 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 GWB gegenüber den Ag rechtzeitig erhoben. Damit war die entsprechende Zulässigkeitsvoraussetzung für den von ihr erhobenen Nachprüfungsantrag in jedem Fall erfüllt.
Überdies ergibt aber schon das Rügeschreiben der ASt vom 15. Oktober 2024, dass sie die finale Wertungsentscheidung des Anwendertests durch das Gremium nicht nachvollziehen könne, weil unklar sei, welche Aspekte das Gremium genau berücksichtigt habe. Bereits daraus war ersichtlich, dass die ASt das Wertungsergebnis des Anwendertests insgesamt als intransparent bemängelt. Ihr Rügeschreiben vom 18. Oktober 2024 stellt sich vor diesem Hintergrund eher als eine Konkretisierung, denn als eine neue Rüge dar. Gleiches gilt für ihr ergänzendes Vorbringen im Zuge des Nachprüfungsverfahrens auf die dort erhaltene Akteneinsicht. Die Rügeobliegenheit des § 160 Abs. 3 S. 1 GWB gilt insofern nicht.
dd) Hinsichtlich des von den Ag erst im Zuge des Nachprüfungsverfahrens verfügten Angebotsausschlusses zu Lasten der ASt ist die Rügeobliegenheit nach § 160 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 GWB nicht anwendbar und steht damit ihrem dementsprechenden Vortrag im Nachprüfungsverfahren nicht entgegen.
d) Der Nachprüfungsantrag wurde fristgemäß nach § 160 Abs. 3 S. 1 Nr. 4 GWB bei der Vergabekammer eingereicht.
2. Der Nachprüfungsantrag ist unbegründet. Die Ag haben das Angebot der ASt zu Recht nach § 57 Abs. 1, § 53 Abs. 7 S. 1 VgV, § 57 Abs. 1 Nr. 4 VgV ausgeschlossen. Das Angebot der ASt wurde maßgeblich durch den Anwendertest konkretisiert, in dessen Rahmen die Ag vergaberechtsfehlerfrei die Einhaltung der LV-Anforderungen prüfen und etwaige Abweichungen feststellen durfte (a) Das Angebot der ASt wich von den LV-Vorgaben A2.1.4 und A3.6 ab und war daher auszuschließen (b). Es ist im Ergebnis nicht festzustellen, dass nach dem Ausschluss des Angebots der ASt gar kein wertungsfähiges Angebot verbliebe und die ASt damit grundsätzlich einen Anspruch auf eine zweite Chance haben könnte, weil das zuschlagsfähige Angebot der Bg in der Wertung verbleibt (c). Einer Entscheidung der übrigen Rügen der ASt bedarf es vor diesem Hintergrund nicht (d).
a) Anders als die ASt meint, steht dem Ausschluss ihres Angebots, das durch den Anwendertest konkretisiert worden ist, nicht entgegen, dass - wie die ASt vorträgt - eine Prüfung der (Mindest-)Anforderungen des LV beim Anwendertest ausgeschlossen war. Die von der ASt insofern bemängelten Verstöße gegen die vergaberechtlichen Grundsätze der Transparenz und der Gleichbehandlung nach § 97 Abs. 1 S. 1 und Abs. 2 GWB sind nicht festzustellen.
aa) Das Angebot der ASt ist durch den Test des von ihr angebotenen Geräts maßgeblich konkretisiert worden, was allen Bietern transparent bekannt gegeben worden ist. Die ASt hat zwar in ihrem mit dem Angebot abgegebenen ausgefüllten LV zunächst angegeben, diese Anforderungen zu erfüllen, indem sie zu diesen Anforderungen jeweils "ja" angegeben hat. Hierauf kam es nach den Vergabeunterlagen allerdings nicht ausschließlich an, sondern das Angebot wurde durch die mit dem Angebot abzugebenden Prospekte bzw. technischen Unterlagen und vor allem den Anwendertest plausibilisiert und konkretisiert. Die Ag haben vielmehr durch ihre Vorgaben deutlich gemacht, dass sie sich nicht allein auf das ungeprüfte Leistungsversprechen im mit dem Angebot eingereichten und von den Bietern ausgefüllten LV verlassen wollten. Das Testgerät wird so zum Bestandteil des Angebots (vgl. auch 1. Vergabekammer des Bundes, Beschluss vom 2. Mai 2022 - VK 1-33/22).
Das folgt zum einen aus der für die Auslegung der maßgeblichen Vergabeunterlagen relevanten verobjektivierten Perspektive eines fachkundigen Bieters aus Ziff. 2.1 der Aufforderung zur Angebotsabgabe, wonach mit dem Angebot "ausführliche Prospekte und technische Unterlagen zu den angebotenen Geräten" einzureichen waren. Zusätzlich ergeben die Maßgaben der Vergabeunterlage "Wertungsgrundlagen" zur Durchführung des Anwendertests, dass die Ag zunächst nur die Bestbieter zum Test einladen würde, aber ggf. auch weitere, in der Rangfolge nachfolgende Bieter, "wenn die Testung bei einem oder mehreren Bietern ergibt, dass die Leistungsanforderungen gemäß Leistungsverzeichnis nicht bestätigt werden. Die Angebote der übrigen Bieter werden ausgeschlossen." Hieraus erschließt sich für einen fachkundigen Bieter ohne Weiteres, dass die angebotenen Geräte den Anforderungen, wie es auch im Ladungsschreiben zum Anwendertest heißt, "exakt" entsprechen mussten. Daraus erschließt sich, dass einzureichende technische Unterlagen bzw. Prospekte und maßgeblich der Anwendertest der Bestätigung des angebotenen Geräts dienten. Der in den Wertungsgrundlagen erwähnte Ausschluss der übrigen Angebote, die die "Leistungsanforderungen gemäß Leistungsverzeichnis" nicht erfüllen, verdeutlicht, dass der Anwendertest die angebotene Konfiguration bestätigen musste. Dies war für einen fachkundigen Bieter unmissverständlich so zu verstehen, dass das zu testende Gerät Teil des Angebots sein würde und dessen Konkretisierung diente.
Vor diesem Hintergrund bedeutet die von den Ag attestierte Abweichung des Testgeräts der ASt von den allgemeinen Anforderungen des LV eine entsprechende Abweichung des Angebots von den Vergabeunterlagen.
bb) Aus diesen Feststellungen zu den Vorgaben der Wertungsgrundlagen und im Bieterschreiben, mit dem die ASt zur Bereitstellung eines dem Angebot exakt gemäß den LV-Vorgaben entsprechenden Testgeräts aufgefordert worden war, ergibt sich ferner unmissverständlich und transparent, dass der Anwendertest nicht allein der Bewertung des Testgeräts anhand des Zuschlagskriterium Funktionalität/Anwendertest diente. Der Test diente ebenfalls dem Zweck zu prüfen, ob die angebotenen Geräte "exakt" den Anforderungen des LV entsprachen. Die Vergabeunterlagen und das Bieterschreiben haben dies allen Bietern entsprechend in gleicher Weise angekündigt und dies wurde auch bei den Teststellungen entsprechend durchgeführt. Etwaige Abweichungen wurden gemäß den Vorgaben im Rahmen des Tests bei den jeweiligen Kriterien des Wertungsbogens festgehalten, wie es beim Wertungsbogen für den Test des Geräts der ASt bei den Kriterien 8 und 12 der Fall war. Die von der ASt bemängelte Intransparenz der finalen Wertungsentscheidung, es sei unklar, welche Aspekte, die im Rahmen der Anwendertestung gezeigt und getestet worden seien, eingeflossen seien und welche nicht, ist vor diesem Hintergrund allerdings nicht festzustellen.
cc) Sofern die ASt sich in ihren Stellungnahmen vom 29. Oktober und 6. November 2024 für ihre Auffassung, eine Teststellung, die Feststellungen zur Einhaltung von LV-Anforderungen ermögliche, sei nur diskriminierungs- bzw. willkürfrei, wenn die Ag die Verifikation bzw. die zu verifizierenden Anforderungen vorab allen Bietern bekannt gemacht habe, was sie für nicht gegeben erachtet, auf die Grundsätze der von ihr zitierten Entscheidungen der VK Rheinland, Beschluss vom 5. Juni 2019 (VK 11/19) und des OLG Düsseldorf, Beschluss vom 16. Dezember 2009 (VII-Verg 32/09) beruft, ist dem nicht zu folgen. Die von der ASt für ihre Ansicht herangezogenen Nachprüfungsentscheidungen lassen keine Feststellung des von der ASt bemängelten Verstoßes gegen den vergaberechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz zu.
Der von der VK Rheinland entschiedene Sachverhalt ist mit dem vorliegenden bereits nicht vergleichbar und bietet keine weiterführenden Hinweise, weil es dort um eine gerade nicht in den Vergabeunterlagen bekannt gegebene Teststellung ging.
Auch die von der ASt für ihre Ansicht herangezogene Entscheidung des OLG Düsseldorf geht am streitgegenständlichen Sachverhalt vorbei. Das OLG Düsseldorf hatte u.a. über eine Beschwerde eines öffentlichen Auftraggebers zu befinden im Hinblick auf eine durch die vorinstanzliche Vergabekammer angeordnete Wiederholung einer allen Bietern als wertend und verifizierend bekannt gegebene Teststellung. Die Rechtswidrigkeit der Teststellung ergab sich dort nach Ansicht des OLG daraus, dass der Auftraggeber den Bietern nicht bekannt gemacht habe, welche Mindestkriterien in der verifizierenden Teststellung überprüft werden sollten, es sei nicht feststellbar, ob die Auswahl der verifizierten Prüfkriterien diskriminierungs- und willkürfrei erfolgt sei. Das OLG teilte die Auffassung des dortigen Auftraggebers nicht, wonach die Festlegung und Bekanntgabe der zu überprüfenden Ausschlusskriterien einem sachgerechten, sich erst im Rahmen der Teststellung zeigenden individuellen Merkmale und Eigenschaften der Testanlagen berücksichtigenden Vorgehen entgegenstehe und somit Sinn und Zweck der Teststellung zuwider laufe. Der so vom OLG entschiedene Sachverhalt war mit dem im streitgegenständlichen Vergabeverfahren zu entscheidenden allerdings nicht zu vergleichen. Denn die Ag haben ausweislich der Vorgaben im Dokument "Wertungsgrundlagen" sowie im Bieterbrief an die Bieter, die zum Anwendertest geladen wurden, gerade ausdrücklich darauf hingewiesen, dass es beim Anwendertest auch darum ging, ob das angebotene und zur Testung bereit gestellte Beatmungsgerät die "Leistungsanforderungen gemäß Leistungsverzeichnis" erfüllt und der Test die Einhaltung dieser Anforderungen bestätigt. Die übrigen Angebote sollten ausgeschlossen werden, mithin diejenigen, bei denen die Teststellung die Anforderungen nicht bestätigte. Damit bezogen sich die Ag auf die Einhaltung aller im LV definierten KO-Kriterien und Bewertungskriterien von denen nicht abzuweichen war. Insofern greift die Befürchtung der ASt, eine vermeintlich fehlende Bekanntgabe der zu prüfenden Anforderungen habe zu Willkür bei der Durchführung der Teststellung geführt, nicht durch. Verstöße gegen § 97 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 GWB liegen damit nicht vor. Abweichungen waren ausweislich der Wertungsbögen für die Testgeräte der ASt und der Bg nur bei der ASt im Hinblick auf die KO-Kriterien A2.1.4 und A3.6 festzustellen.
b) Die Ag haben das Angebot der ASt vor diesem Hintergrund zu Recht nach § 57 Abs. 1, § 53 Abs. 7 S. 1 VgV, § 57 Abs. 1 Nr. 4 VgV ausgeschlossen. Danach werden Angebote ausgeschlossen, die den Erfordernissen des § 53 VgV nicht genügen, insbesondere solche Angebote, bei denen Änderungen oder Ergänzungen an den Vergabeunterlagen vorgenommen worden sind. Derartige Änderungen sind unzulässig. Sie liegen, dem Zweck des Ausschlusstatbestands gemäß, immer dann vor, wenn das Angebot von den in den Vergabeunterlagen genannten Anforderungen abweicht und ein Bieter etwas anderes anbietet als vom öffentlichen Auftraggeber nachgefragt worden ist. Dieser Ausschlusstatbestand gewährleistet auf diese Weise, dass alle eingehenden Angebote vergleichbar sind und somit einen diskriminierungsfreien Vergabewettbewerb (vgl. Art. 57 Abs. 1 lit. a) EU-Richtlinie 2014/24).
Das Angebot der ASt weicht von den Vorgaben der im LV festgelegten Mindestanforderungen (KO-Kriterien) A2.1.4 und A.3.6 ab. Diese zählen zu den im LV definierten allgemeine Anforderungen, die für alle angebotenen Ausführungen der Beatmungsgeräte (Standard- und High-End-Geräte gemäß LV-Pos. A1.1) einzuhalten waren und damit auch für das nach den Vorgaben zum Anwendertest bereit zu stellende gemäß der "Position 3 im Preisblatt "High-End-Gerät fahrbar".
aa) Das Testgerät der ASt wich von der als KO-Kriterium definierten LV-Anforderung A2.1.4 ab, die vorgab: "An den Geräten sind seitlich (links und rechts) Normschienen mit einer Länge von mindesten 20cm angebracht, welche die Adaptierung von Zubehör sowie ggf. Vernebler oder Befeuchter ermöglichen." Die ASt hat, was unstreitig ist, ein Gerät mit seitlichen Normschienen zur Teststellung bereitgestellt und damit angeboten, das zwar eine Gesamtlänge von 20cm aufwies, aber nur eine Nutzlänge von deutlich weniger als 20cm. Dass die Vorgabe der Anforderung A2.1.4 sich auf eine geforderte Nutzlänge von 20cm bezieht, ergibt sich nach dem maßgeblichen verobjektivierten Empfängerhorizont eines fachkundigen Bieters ohne Weiteres aus daraus, dass die Normschienen dem Zweck dienen sollen, neben Zubehör zusätzlich noch Vernebler oder Befeuchter anbringen zu können. Dies erfordert eine entsprechende für diese Zwecke nutzbare Länge, nicht aber eine Gesamtlänge, die etwa durch Befestigungen der Normschienen o.ä. faktisch in ihrer Nutzbarkeit deutlich begrenzt wird und keine Adaption von mindestens zwei Teilen (Zubehör und Vernebler/Befeuchter) ermöglicht. Dieses Verständnis war zwischen den Verfahrensbeteiligten unstreitig. Denn auch die ASt hat sich in ihrem Vortrag nicht auf eine abweichende Auslegung der Anforderung A2.1.4 berufen.
Selbst wenn man mit der ASt allein auf das Ergebnis des Aufklärungsgesprächs vom 30. September 2024 abstellte und die von ihr dort angebotenen Normschienen mit einer den Anforderungen entsprechenden Nutzlänge zugrunde legte, hätte die ASt die Vergabeunterlagen abgeändert, indem sie abweichend von den Vorgaben der Anforderung A2.1.4 angeboten hätte. Ihr Schriftsatz vom 6. November 2024 (Seite 5 unten) ergibt, dass sie die längeren Normschienen an den am Testgerät vorhandenen Normschienen adaptiert hätte ("Anders gewendet, hätte die bloße Nachfrage des Auftraggebers beim oder direkt nach dem Aufbau des Testgeräts nach der Länge der besagten Schiene ausgereicht, um die Antragstellern dazu zu veranlassen, sogleich das Adapterstück für die Schiene mit der gewünschten Länge anzubringen." [Unterstreichung nur hier und nicht im Original]). Dies bestätigt auch das von ihr im Schriftsatz vom 29. Oktober 2024 (Seite 2) von dieser Konfiguration mitgeteilte Foto (dort rechts). Dort ist hinter der von ihr im Aufklärungsgespräch angebotenen längeren Normschiene die am Gerät befestigte zu kurze Normschiene, die auch auf dem an dieser Stelle links gesetzten Foto zu sehen ist, deutlich erkennbar, ebenso eine etwa mittig angebrachte Halterung an der am Gerät befestigten Schiene. Mit dieser Konfiguration der seitlichen Normschienen wäre die Vorgabe in A2.1.4 aber nicht erfüllt, wonach diese "an den Geräten...angebracht" sein müssen. Aus der verobjektivierten Perspektive eines fachkundigen Bieters ist diese Vorgabe schon von ihrem Wortlaut her unmissverständlich so zu verstehen, dass die Normschienen jeweils seitlich unmittelbar am Gerät befestigt sein müssen, nicht aber an anderen Geräteteilen, die am Gerät befestigt sind.
Aus diesem im Zuge der Teststellung festgestellten Befund ergibt sich auch, dass bereits der von der ASt mit dem Angebot eingereichten Gebrauchsanweisung der angebotenen Beatmungsgeräte keine anforderungskonformen Nutzlänge der Normschienen am angebotenen Gerät zu entnehmen ist. Seite 36 der beim Angebot in der Vergabeakte dokumentierten Gebrauchsanweisung der angebotenen Geräte der ASt stellt nur die am Gerät unmittelbar befestigte seitliche Normschiene dar. Einer daran wiederum zu adaptierende Normschiene mit anforderungskonformer Nutzlänge wird dort nicht erwähnt.
bb) Das Testgerät der ASt wich ferner von der als KO-Kriterium definierten LV-Anforderung A3.6 ab.
Diese gab vor: "Das Bediendisplay ist abnehmbar und an einer separaten Normschiene befestigt. ...". Zwischen den Verfahrensbeteiligten ist unstreitig, dass diese Anforderung so zu verstehen ist, dass das abnehmbare Bediendisplay an einer separaten Normschiene zu befestigen ist (so die Stellungnahmen der Ag vom 25. Oktober 2024, Seite 2, 2. Absatz sowie der ASt vom 29. Oktober 2024, Seite 9, 2. Absatz). Die Formulierung zeigt, dass es dabei nicht um eine nur theoretisch denkbare Befestigungsmöglichkeit geht, sondern eine, die praktikabel ist, es also tatsächlich ermöglicht, dass das abnehmbare Display im Ergebnis an einer separaten Normschiene "befestigt" ist. Dies folgt bei Anwendung der verobjektivierten Perspektive eines fachkundigen Bieters aus dem Sinn und Zweck der Anforderung, das abgenommene Display im Klinikalltag der Ag an einer separaten Normschiene, sei sie an dem Gerät selbst oder z.B. einer Wand oder anderer Infrastruktur befindlich, ohne erheblichen Zeitaufwand bzw. unkompliziert anbringen zu können.
Der Test des von der ASt angebotenen Beatmungsgeräts ergab ausweislich der zum Testkriterium 8 des Bewertungsbogens dokumentierten Bewertung durch das Testgremium, dass die Adaption des abgenommenen Displays an eine Normschiene nicht gezeigt werden konnte. Daraus ergibt sich, dass die Anforderung (Display ist abnehmbar und an separater Normschiene zu befestigen) beim Test nicht verifiziert werden konnte. Der Wertungsbogen des Gremiums dokumentiert dementsprechend "der Umbau des Displays an eine Normschiene konnte nicht gezeigt werden". Daraus folgt unschwer, dass beim Test des Geräts der ASt die erforderliche Befestigungsmöglichkeit des Displays an einer separaten Normschiene durch das Gremium nicht festgestellt werden konnte.
Anderes ergibt sich - entgegen der Auffassung der ASt - auch nicht aus dem Protokoll vom 1. Oktober 2024 zum Aufklärungsgespräch vom 30. September 2024. Hier findet sich zur Frage der Vergabestelle, ob die Anforderung A3.6 erfüllt worden ist oder nicht, zwar die Erklärung, die ASt habe zur Möglichkeit der Befestigung auf die Präsentation verwiesen, während die beim Test ebenfalls anwesenden Vertreter der Vergabestelle sich daran nicht hätten erinnern können. Die ASt hielt mit Schreiben vom 1. Oktober 2024 die Feststellungen der Vergabestelle im Aufklärungsgespräch, die Anforderungen seien nicht hinreichend verifiziert worden, für unzutreffend, die Ag habe vielmehr technische Verständnisschwierigkeiten gehabt. Den Ausführungen des Testgremiums im Bewertungsbogen des von der ASt angebotenen Geräts ist zum Prüfkriterium 8 allerdings klar zu entnehmen, dass das Gremium im Hinblick auf die Konstruktion der üblichen Halterung des Bediendisplays am Gerät der ASt augenscheinlich eine Demonstration der Befestigung des abgenommenen Displays an eine separate Normschiene für geboten hielt, um die geforderte Möglichkeit der Befestigung nachvollziehen zu können.
Diese Vorgehensweise des Testgremiums, sich den Umbau des Displays der ASt an eine Normschiene zeigen lassen zu wollen, um die geforderte Befestigungsmöglichkeit nachvollziehen zu können, war auch nicht unsachgemäß. Denn zum einen setzt das KO-Kriterium A3.6 - wie festgestellt - eine nicht nur theoretische Befestigungsmöglichkeit voraus, sondern eine, die tatsächlich funktioniert und es ermöglicht, dass das abnehmbare Display im Ergebnis auch an einer separaten Normschiene gemäß dem Wortlaut von A3.6 "befestigt" ist. Zum anderen ist auch die Befestigungsmöglichkeit des Displays an einer separaten Normschiene in der von der ASt dem Angebot beigefügten Gebrauchsanweisung nicht erwähnt, so dass auftraggeberseitige Verständnisschwierigkeiten durchaus plausibel sind. Auf der auf Seite 36 der in der Vergabeakte mit dem Angebot der ASt dokumentierten Gebrauchsanweisung ihres angebotenen Geräts gezeigten Abbildung wird die übliche Befestigungsmöglichkeit des Displays am Beatmungsgerät dargestellt, ohne aber auf eine anforderungskonforme Befestigungsmöglichkeit an einer Normschiene hinzuweisen. Die dort erwähnte optionale Möglichkeit einer externen Montage geht auf die Anforderung A3.6 (zu befestigen an einer separaten Normschiene) nicht ein.
Vor diesem Hintergrund ergibt sich gerade nicht, dass die ASt hat demonstrieren können, dass das abgenommene Display an einer separaten Normschiene befestigt worden ist, so dass für das Gremium auch nicht nachvollziehbar war, dass das abnehmbare Display entsprechend befestigt werden kann. Daraus geht hervor, dass das Testgerät der ASt während der Durchführung des Anwendertests nicht über den von ihr im Schriftsatz vom 29. Oktober 2024 (Seite 9) demonstrierten Adapter, der für die Befestigung des Displays zu nutzen ist, verfügt hat und die ASt das Display mit dessen Hilfe nicht an eine separate Normschiene ummontieren konnte. Damit entsprach aber das derart angebotene Gerät der ASt nicht der Mindestanforderung A3.6. Daran ändert sich auch dann nichts, wenn die von der ASt in ihrem Schriftsatz vom 29. Oktober 2024 dargestellte Lösung grundsätzlich hätte geeignet sein können, die Mindestanforderungen zu erfüllen. Denn das angebotene Gerät der ASt hat damit im Zeitpunkt des Anwendertests die Anforderungen nicht "exakt" erfüllt. Überdies wiche das angebotene Gerät der ASt selbst in diesem hypothetischen Fall jedenfalls vom festgestellten KO-Kriterium A2.1.4 ab.
cc) Vor diesem Hintergrund war das Angebot der ASt nach der gebundenen Rechtsfolge des § 57 Abs. 1 VgV zwingend vom Vergabeverfahren auszuschließen, ohne dass es auf die von den Ag durchgeführte Aufklärung ankommen kann. Raum für eine Aufklärung infolge einer angenommenen Widersprüchlichkeit des Angebots besteht bei Teststellungen - wie hier - nicht, denn Sinn und Zweck der Teststellung ist es gerade auch, die Konformität des Angebotsinhalts mit den Vorgaben zu belegen. Die von der ASt herangezogenen Grundsätze des BGH-Beschlusses vom 18. Juni 2019, X ZR 86/17, greifen hier nicht, weil die Berücksichtigung der Änderungsvorschläge zu einer unzulässigen nachträglichen Veränderung des Angebotes der ASt führen würden. Das Angebot der ASt war im Hinblick auf die KO-Kriterien A2.1.4 und A3.6 nicht vergleichbar und damit im Hinblick auf die von den Ag einzuhaltenden Vorgaben im LV, wonach ein Abweichen von KO-Kriterien zum Ausschluss des Angebotes führt, nicht berücksichtigungsfähig. Die von der ASt im Rahmen des Aufklärungsgesprächs unterbreiteten Änderungsvorschläge sind wegen § 15 Abs. 5 S. 2 VgV unbeachtlich.
c) Es ist schließlich nicht festzustellen, dass nach dem Ausschluss des Angebots der ASt gar kein wertungsfähiges Angebot verbliebe und die ASt damit grundsätzlich einen Anspruch auf eine zweite Chance haben könnte (grundlegend hierzu vgl. BGH, Beschluss vom 26. September 2006, X ZB 14/06). Das Angebot der Bg verbleibt in der Wertung. Für das Angebot der Bg hat das Testgremium im Wertungsbogen insbesondere keine Abweichungen festgestellt, für die ASt - wie festgestellt - zu Anforderungen A2.1.4 und A3.6 dagegen schon. Insbesondere diese beiden Anforderungen hat die Bg LV-konform erfüllt. Im Bewertungsbogen für den Test des Beatmungsgeräts der Bg wurden zu den Unterkriterien 8 und 12 die Anforderungskonformität bestätigt ("leicht ummontierbare Monitor", "großzügig dimensionierten Normschienen zur essentiellen Adaption weiterer Geräte (z.B. Vernebler, Befeuchter) am Beatmungsmodul").
Die Plausibilität dieser Feststellungen des Testgremiums zum Angebot der Bg hat die Vergabekammer überprüft. Die vorgegebene Nutzlänge von mindestens 20cm lässt sich plausibel aus den mit dem Angebot von der Bg eingereichten technischen Unterlagen ihrer angebotenen Geräten nachvollziehen (vgl. dort jeweils Seite 5 der beim Angebot der Bg befindlichen technischen Unterlage der angebotenen Geräte). Zur Mindestanforderung A3.6 lässt sich der von der Vergabekammer im Internet recherchierten Gebrauchsanweisung für die von der Bg angebotenen Geräte (Seite 71 des zur Verfahrensakte genommenen Auszugs der Gebrauchsanweisung der Bg) entnehmen, dass das Display abnehmbar ist und eine Halterung für eine Normschiene aufweist, die Möglichkeit der Befestigung an einer Normschiene ist in dieser Gebrauchsanweisung zudem ausdrücklich erwähnt. Dass diese Gebrauchsanweisung nicht den bei der Vergabeakte befindlichen Angebotsunterlagen der Bg beigefügt war, sondern nur die technischen Unterlagen der angebotenen Geräte sowie weitere diesbezügliche Prospekte und technische Unterlagen, ist unschädlich, da nach Ziff. 2.1 der Angebotsaufforderung nicht explizit die Vorlage einer Gebrauchsanweisung gefordert worden war. Diese Betrachtung dient hier zudem nur der Überprüfung der Plausibilität der Feststellungen im Wertungsbogen des getesteten Geräts der Bg durch die Vergabekammer.
d) Über die übrigen Rügen der ASt ist danach nicht weiter zu befinden. Mit Blick auf die Rügen der verfahrensfehlerhaften Besetzung des Testgremiums und einer fehlenden eigenen Entscheidung durch die übrigen Auftraggeberinnen käme im Hinblick auf § 168 Abs. 1 S. 1 GWB, unterstellt, sie wären begründet, allenfalls eine Wiederholung der Teststellung unter Abhilfe der vorgenannten Rügen als geeignete Maßnahme in Betracht. Dadurch, dass die ASt allerdings - wie festgestellt - abweichend von den Vergabeunterlagen angeboten hat, wäre sie an einem hypothetisch zu wiederholenden Anwendertest nicht mehr zu beteiligen.
aa) Schließlich sind im Übrigen die von der ASt gerügten Grundlagenfehler nicht festzustellen (fehlerhafte Besetzung, Wertungsentscheidung nicht selbst getroffen). Die von der ASt bemängelte Hinzuziehung eines Medizintechnikers und einer Hygienefachkraft zum Gremium des Anwendertests war keinesfalls sachwidrig, sondern angesichts der gemäß dem Auswertungsbogen zu testenden 34 Funktionalitäts-Anforderungen, zu denen explizit auf Hygiene- und Technikfragen eingegangen wird, sachgemäß. Auch dieses Personal zählt somit zum prinzipiellen Anwenderkreis, den die Ag in den Wertungsgrundlagen zudem nicht explizit auf nur ärztliches Personal begrenzt hat.
bb) Hinsichtlich der Rüge, die Wertungsentscheidung sei nur vom Gremium der Ag zu 8 getroffen worden, die übrigen Ag hätten diese nicht selbst getroffen, ist ebenfalls kein Vergaberechtsverstoß gegen die Grundsätze des § 127 GWB festzustellen. Bereits der zu schließende Rahmenvertrag hält fest, dass alle Ag "jeweils" von der Vergabestelle vertreten werden, die somit in Vertretung und somit mit Zustimmung aller Auftraggeber im Vergabevermerk unter Ziff. 14 festgehalten hat, dass alle Ag sich das Ergebnis des Wertungsgremiums zu eigen machen wollen. Die Inhalte der Ausschreibung wurden danach ferner mit allen Auftraggeberinnen abgestimmt, somit auch die Vorgehensweise bei der Bewertung des Angebotes bzw. der Durchführung und Bewertung des Anwendertests. Das ist angesichts der Funktion der Ag zu 1 bis 8, die einem einheitlichen Versorgungsauftrag der Vergabestelle bzw. der Träger der gesetzlichen Unfallversicherung dienen, auch schlüssig.
cc) Die gerügten Verstöße gegen die Wertungsgrundsätze im Hinblick auf die konkreten Bewertungen des Anwendertests des von der ASt bereitgestellten angebotenen Beatmungsgeräts sind nach dem zwingenden Ausschluss des Angebots der ASt nicht weiter zu prüfen.
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 182 Abs. 1, Abs. 2, Abs. 3 S. 1 sowie Abs. 4 S. 1 und 2 GWB.
Die unterliegende ASt trägt nach § 182 Abs. 3 S. 1 GWB die Kosten des Nachprüfungsverfahrens vor der Vergabekammer (Gebühren und Auslagen) und nach § 182 Abs. 4 S. 1 GWB die zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Ag zu 1 bis 8.
Die zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Bg können der ASt nicht auferlegt werden. Da die Bg sich in der Sache nicht am Nachprüfungsverfahren beteiligt hat, hat sie insofern kein Kostenrisiko auf sich genommen, das es nach den Grundsätzen der Billigkeit rechtfertigte, ihre Aufwendungen der ASt nach § 182 Abs. 4 S. 2 GWB aufzuerlegen.
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VK Bund
Beschluss
vom 30.12.2024
VK 2-99/24
1. Die Kalkulation ist weder unmöglich noch unzumutbar, wenn aus Abgabemengen aus dem vergangenen Referenzzeitraum belastbar auf zukünftige Abgabemengen geschlossen werden kann. Einer exakten Abgabemenge bedarf es nicht. Der öffentliche Auftraggeber muss aber die maximalen Abnahmemengen bekannt geben (EuGH, IBR 2021, 424).
2. Die Tatsache, dass der Bieter kein Angebot abgegeben hat, steht dem für die Antragsbefugnis erforderlichen Interesse am Auftrag nicht entgegen, wenn er geltend macht, dass aufgrund unsicherer Kalkulationsgrundlagen eine Angebotsabgabe nicht möglich gewesen sei. Allerdings ist das Interesse am Auftrag zu plausibilisieren, wenn hieran ernstliche Zweifel bestehen.
Tenor:
1. Der Nachprüfungsantrag wird zurückgewiesen.
2. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens (Gebühren und Auslagen) und die den Antragsgegnerinnen zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung entstandenen notwendigen Aufwendungen.
3. Die Hinzuziehung der Verfahrensbevollmächtigten durch die Antragsgegnerinnen war notwendig.
Gründe:
I.
1. Die Antragsgegnerinnen (Ag) sind gesetzliche Krankenkassen. Mit gemeinschaftsweiter Bekanntmachung vom [...] schrieben sie den beabsichtigten Abschluss von Rahmenverträgen zur Belieferung der radiologisch tätigen Vertragsärzte im KV-Bezirk [...] mit Röntgenkontrastmitteln aus. Die Leistung ist in 2 Gebietslose aufgeteilt [...], darüber hinaus werden mehrere Wirkstoffe übergreifend in jeweils zwei Fachlosen (Fachlos C und K) zusammengefasst. Streitgegenständlich ist Gebietslos 2, [...].
Teil der Vergabeunterlagen sind die Bewerbungsbedingungen. Im Abschnitt 1.2 der Bewerbungsbedingungen werden die Rahmenbedingungen für Gebietslos 2 näher erläutert. Danach hat die [...]die Bestellmöglichkeiten von Vertragsärzten in den jeweiligen Ländern mit Produkten des Sprechstundenbedarfs, zu denen die Röntgenkontrastmittel zählen, vertraglich mit der Kassenärztlichen Vereinigung [...] vereinbart (Verordnung von Sprechstundenbedarf vom[...]). Die radiologisch tätigen Ärzte lösen den Bestellvorgang aus, indem sie Verordnungen für ihren Bedarf ausstellen und die Bestellung bei einem Hersteller oder Großhändler in eigener Verantwortung vornehmen. Die Lieferanten liefern die bestellten Kontrastmittel an den verordnenden Arzt und stellen die ausgelieferten Produkte direkt bei der federführenden Krankenkasse, der[...]. Sodann heißt es dort:
"Nach Abschnitt I Nr. 3 der SSB-Vereinbarung [...] gilt für Sprechstundenbedarf das Wirtschaftlichkeitsgebot. Aufgrund der Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 21. September 2023, Aktenzeichen B 3 KR 4/22 R) sind andere Produkte als die Vertragsprodukte im Gebietslos 2 (anders als im Gebietslos 1) nicht von der Versorgung oder der Vergütung durch die Krankenkassen ausgeschlossen (keine Exklusivität der abgeschlossenen Verträge). Die Entscheidung für ein konkretes Produkt ist allerdings stets unter Beachtung des Wirtschaftlichkeitsgebots zu treffen. Die Wirtschaftlichkeit ist dabei eine Frage des Einzelfalls. Der Sprechstundenbedarf soll generell nur in solchen Mengen verordnet werden, die für die einzelne Praxis am wirtschaftlichsten sind und in angemessenem Verhältnis zu der Zahl der Behandlungsfälle sowie dem abgerechneten Leistungsspektrum der Anspruchsberechtigten stehen."
In den Besonderen Bewerbungsbedingungen wird unter 1.2 ergänzend ausgeführt:
"Der Vertragsarzt ist im KV-Bezirk [...] entsprechend den Regelungen der geltenden SSBVereinbarung grundsätzlich verpflichtet, die Produkte des Zuschlagsempfängers der jeweiligen Fachlose zu verordnen/bestellen. In den Ländern [...] besteht keine solche vertragliche Verpflichtung der Ärzte zur ausschließlichen oder bevorzugten Bestellung bei den Ausschreibungsgewinnern (keine Exklusivität der ausgeschriebenen Verträge). Die Ärzte sind jedoch generell zur Beachtung des Wirtschaftlichkeitsgebots verpflichtet und müssen insoweit sicherstellen, dass sie nur wirtschaftliche Kontrastmittel bestellen und im Einzelfall verwenden, sofern keine medizinischen Gründe im Einzelfall entgegenstehen. Die [...] wird die Ärzte über die geschlossenen Verträge informieren..."
Jeder Bieter hat - je Gebietslos - für jedes Fachlos, auf das er bietet, einen produktunabhängigen einheitlichen Preis pro Millimeter inkl. Mehrwertsteuer anzubieten. Für unterschiedliche Konzentrationen von konkurrierenden Wirkstoffen ist zwecks Herstellung der Vergleichbarkeit der Angebote ein Korrekturfaktor bei Berechnung des Wertungspreises vorgesehen, der das alleinige Zuschlagskriterium darstellt. Die zu Lasten der Ag im Gebietslos jeweils abgegebenen Mengen pro Fachlos werden in den Vergabeunterlagen für den vergangenen Referenzzeitraum vom 1. Juli 2023 bis 30. Juni 2024 angegeben.
Zu den Auswirkungen der Rechtsprechung des BSG auf die vorliegende Ausschreibung gab es mehrere Bieterfragen, u.a. seitens der ASt die nachfolgend zitierte Frage vom 11. Oktober 2024, die durch die Ag als Rüge ausgelegt wurde:
"Bitte erläutern Sie, wie ein Bieter vor dem Hintergrund des Widerspruchs (angeblich) keine Exklusivität der Rahmenverträge, aber offenbar Lenkungswirkung beabsichtigt) in zumutbarer Weise seine Angebotspreise kaufmännisch vernünftig kalkulieren soll. Bitte erläutern Sie außerdem, wie ein Bieter das Risiko einer eventuellen Unwirksamkeit der ausgeschriebenen Rahmenverträge in Gebietslos 2, bedingt durch eine fehlende Rechtsgrundlage nach Maßgabe der BSG-Rechtsprechung, bei seiner Kalkulation in zumutbarer Weise angemessen berücksichtigen können soll."
Am 21. Oktober 2024 antworteten die Ag hierauf u.a. mit Hinweis auf die bereits erfolgte Erörterung der zitierten BSG-Entscheidung in einem seitens der ASt angestrengten Rechtsstreit vor dem Sozialgericht[...]. Ferner kommunizierten die Ag in diesem Schreiben, dass die Bieterfragen der ASt vom 11. Oktober 2024 vorsorglich als Rüge gewertet würden. Auf die Frist des § 160 Abs. 3 S. 1 Nr. 4 GWB haben die Ag ausdrücklich hingewiesen.
Die Frist für die Angebotsabgabe endete am 5. November 2024. Die Antragstellerin (ASt) gab kein Angebot ab.
2. Mit einem bei der Vergabekammer des Bundes am 5. November 2024 eingegangenen Schriftsatz ihrer Verfahrensbevollmächtigten stellte die ASt einen Nachprüfungsantrag, den die Vergabekammer den Ag noch am selben Tag übermittelte.
a) Die ASt trägt vor, trotz unterbliebener Angebotsabgabe antragsbefugt zu sein. Die Vergabeunterlagen machten es ihr unmöglich, ein kaufmännisch vernünftig kalkuliertes Angebot abzugeben. Dadurch sei ihr die Angebotsabgabe unzumutbar gewesen. Dass sie - wie von den Ag vorgetragen - in jüngerer Vergangenheit in Presseverlautbarungen zum Ausdruck gebracht habe, sich nicht an Ausschreibungen über Exklusivverträge beteiligen zu wollen, stehe ihrem Interesse an dem vorliegenden Auftrag nicht entgegen. Denn die ASt habe sich in der Vergangenheit mit ihren Einlassungen, sich nicht an Vergabeverfahren der gesetzlichen Krankenkassen zwecks Abschlusses von Rabattvereinbarungen zu beteiligen, ausschließlich auf Exklusivverträge bezogen, wohingegen ausweislich der Vergabeunterlagen im Gebietslos 2 gerade keine Exklusivität gegeben sein solle. An nicht exklusiven Verträgen habe die ASt durchaus ein Interesse.
Den sich aus § 160 Abs. 3 GWB ergebenden Rügeobliegenheiten habe sie genügt. Der Nachprüfungsantrag sei innerhalb von 15 Kalendertagen nach Eingang der Zurückweisung der Rüge durch die Ag eingelegt worden.
Der Nachprüfungsantrag sei auch begründet. Das Vergabeverfahren sei mit den auch im Vergabeverfahren anwendbaren Grundsätzen von Treu und Glauben (§ 242 BGB) und dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz (§ 97 Abs. 1 Satz 2 GWB) nicht vereinbar, denn die Preis- und Kalkulationsunsicherheiten gingen hier über das Maß hinaus, welches den Bietern üblicherweise zumutbar sei und mache der ASt damit eine kaufmännisch vernünftige Kalkulation unzumutbar. Dies ergebe sich daraus, dass im Gebietslos 2, wo die dort geltenden Sprechstundenvereinbarungen nur auf das allgemeine Wirtschaftlichkeitsgebot Bezug nähmen, nach der Entscheidung des BSG vom 23. September 2023 (B 3 KR 4/22 R) eine Exklusivität zugunsten des Zuschlagsdestinatärs zwar einerseits ausdrücklich ausgeschlossen worden sei. Die Ärzte seien über die sich aus dem Urteil ergebende fehlende Exklusivität zwar informiert worden, hätten aber - wie die Referenzzahlen zwischen 1. Juli 2023 bis 30. Juni 2024 zeigten - ihr Bestellverhalten nicht geändert, sondern weiterhin die Rabattvertragsprodukte bestellt. Die seitens der Ag den Ärzten gegenüber avisierten Wirtschaftlichkeitsüberprüfungen entfalteten damit möglicherweise eine faktische Lenkungswirkung, deren Umfang nicht vorab eingeschätzt werden könne. Abhängig davon liege dann aber ein faktisch exklusiver Vertrag vor, der wegen dieser faktischen Exklusivität nach dem Urteil des BSG vom 21. September 2023 einer Rechtsgrundlage bedürfe, die nicht vorhanden sei. Daher sei nicht auszuschließen, dass der streitgegenständliche Vertrag von vornherein unwirksam sei und ggf. rückabgewickelt werden müsse, was zu zusätzlichen Risiken in der Kalkulation führe.
Für die Bieter sei nicht erkennbar, wie die Ag von der Wirtschaftlichkeitsprüfung Gebrauch machen und in welchem Umfang sie hiermit eine Lenkungswirkung erreichen würden. Die Erfahrungen aus der Vergangenheit ließen den Schluss zu, dass die radiologisch tätigen Ärzte sich der Lenkungswirkung der Wirtschaftlichkeitsprüfung und - im Falle eines Verstoßes gegen diesen Grundsatz - dann drohenden Regressforderungen kaum entziehen könnten. So hätten die Ärzte auch nach der Entscheidung des BSG ihr Verordnungsverhalten nicht geändert.
Diese Unwägbarkeiten gingen über das bei Rahmenvereinbarungen übliche Maß hinaus.
Die ASt beantragt,
1.das Vergabeverfahren hinsichtlich Gebietslos 2 [...] aufzuheben und den Ag aufzugeben, bei fortbestehender Beschaffungsabsicht unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung der Vergabekammer neu zu beschaffen,
2.hilfsweise: den Ag aufzugeben, das Vergabeverfahren auf den Zeitpunkt vor Veröffentlichung im EU-Amtsblatt zurückzuversetzen und unter Beachtung der Rechtsauffassung der Vergabekammer zu wiederholen,
3.die Vergabeakten beizuziehen und der ASt Einsicht in die Vergabeakten zu gewähren,
4.den Ag die Kosten des Nachprüfungsverfahrens einschließlich der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung erforderlichen Kosten der ASt aufzuerlegen,
5.die Hinzuziehung der Verfahrensbevollmächtigten der ASt für notwendig zu erklären.
b) Die Ag beantragen,
1.den Nachprüfungsantrag zurückzuweisen,
2.der ASt die Kosten des Nachprüfungsverfahrens einschließlich der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Kosten der Ag aufzuerlegen,
3.festzustellen, dass die Hinzuziehung anwaltlicher Verfahrensbevollmächtigter durch die Ag notwendig war.
Nach Ansicht der Ag ist der Nachprüfungsantrag mangels Interesses der ASt am Auftrag unzulässig. Die ASt habe kein Angebot abgegeben. Zu vermuten sei, dass die ASt eine Angebotsabgabe nicht einmal erwogen habe. So habe die ASt sei Jahren öffentlich verlautbart, an Ausschreibungen von Rabattverträgen nicht mehr teilnehmen zu wollen, sondern diese zu boykottieren. Die Ag verweisen hierzu auf Pressemitteilungen der ASt vom August 2023 und November 2022. Ein weiteres Indiz sei der Umstand, dass die ASt kein Angebot auf Gebietslos 1 abgegeben habe, obwohl sich dort die von der ASt im vorliegenden Nachprüfungsverfahren monierte Problematik der Unzumutbarkeit einer Kalkulation nicht stelle.
Dessen ungeachtet sei der Nachprüfungsantrag unbegründet. Ausschreibungsgegenstand sei der Abschluss einer Rahmenvereinbarung. Rahmenvereinbarungen wohnten typischerweise kalkulatorische Unsicherheiten inne, die vom Bieter zu tragen seien. Voraussetzung sei lediglich, dass der Auftraggeber das zu erwartende Auftragsvolumen so präzise wie ihm möglich angebe und den Bietern die ihm bekannten und für eine Kalkulation relevanten Informationen zur Verfügung stelle. Diesen Anforderungen seien die Ag hinreichend nachgekommen.
Die streitgegenständliche Ausschreibung zu Los 2 sei mit der Rechtsprechung des BSG vereinbar. Die Ausschreibung sehe ausdrücklich keine Exklusivität vor, so dass die Möglichkeit einer Belieferung mit Kontrastmitteln für den Sprechstundenbedarf durch Dritte nicht ausgeschlossen werde. Entgegen der Annahme der ASt habe das BSG dem Abschluss von Rahmenverträgen über Kontrastmittel keinen Riegel vorschieben wollen. Das BSG habe lediglich für die Vereinbarung einer sog. "harten" Exklusivität das Vorhandensein einer normativen Grundlage gefordert.
Zutreffend sei auch nicht das Vorbringen der ASt, die von den Ag angekündigte Wirtschaftlichkeitsprüfung bei den Ärzten werde eine erhebliche Lenkungswirkung entfalten können. Festzustellen sei zunächst, dass das Wirtschaftlichkeitsgebot in § 12 SGB V und dem daran anknüpfenden § 73 Abs. 8 Satz 1 SGB V gesetzlich verankert sei. Daher verstehe es sich von selbst, dass Vertragsärzte verpflichtet seien, bei Verordnungen - vorbehaltlich therapeutischer Gründe - grundsätzlich die kostengünstigsten Kontrastmittel zu verordnen. Von der in den Vergabeunterlagen angekündigten Überprüfung der Wirtschaftlichkeit der Kontrastmittel-Verordnungen gehe keine faktische Lenkungswirkung aus, sondern es handele sich dabei um eine Rechtmäßigkeitskontrolle, die ex post durch die Krankenkassen vorgenommen werde.
3. Die Vergabekammer hat der ASt nach Anhörung der Ag Einsicht in die Vergabeakte gewährt, soweit Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse nicht betroffen waren. Auf die ausgetauschten Schriftsätze, die elektronische Vergabeakte, soweit sie der Vergabekammer vorgelegen hat, sowie auf die Verfahrensakte der Vergabekammer wird verwiesen.
Die mündliche Verhandlung fand am 13. Dezember 2024 statt. Die Entscheidungsfrist wurde verlängert bis zum 15. Januar 2025 einschließlich.
II.
Der Nachprüfungsantrag ist zulässig, aber unbegründet.
1. Das Nachprüfungsverfahren ist eröffnet, der Antrag ist zulässig.
a) Der Nachprüfungsantrag, der nach §§ 155, 106 Abs. 1 GWB nur für öffentliche Aufträge eröffnet ist, ist statthaft.
Zwar handelt es sich bei den streitgegenständlichen Rabattverträgen nicht selbst um öffentliche Aufträge, denn ein Austausch von Leistung und Gegenleistung findet auf Basis der Rabattverträge nicht statt. Die Legaldefinition des öffentlichen Auftrags, § 103 Abs. 1 GWB, ist mithin nicht erfüllt. Es werden aber Bedingungen, insbesondere der Preis, für nachfolgende Einzelabrufe festgelegt, so dass es sich um Rahmenvereinbarungen handelt. Diese unterliegen den vergaberechtlichen Vorgaben in gleicher Weise wie der öffentliche Auftrag selbst, § 103 Abs. 5 GWB. Die Rahmenverträge werden abgeschlossen zwischen den Ag als gesetzlichen Krankenkassen und damit als öffentlichen Auftraggebern (vgl. grundlegend EuGH, Urteil vom 11. Juni 2009, Rs. C-300/07) und dem pharmazeutischen Unternehmen als jeweiligem Wettbewerbsgewinner.
b) Die Vergabekammer des Bundes ist zuständig aufgrund der Zuordnungsregel des § 159 Abs. 1 Nr. 6 GWB.
c) Die ASt ist letztendlich antragsbefugt im Sinne des § 160 Abs. 2 GWB.
Die Tatsache, dass die ASt kein Angebot abgegeben hat, steht dem für die Antragsbefugnis erforderlichen Interesse am Auftrag zwar nicht grundsätzlich entgegen. Denn die ASt macht geltend, es sei gerade der Vergabefehler der unsicheren Kalkulationsgrundlagen, der ihr eine Angebotsabgabe unmöglich mache. In derartigen Fällen ist ein Auftragsinteressent nicht gehalten, ein Angebot abzugeben, nur um sein Auftragsinteresse nachzuweisen. Das Auftragsinteresse ist dann grundsätzlich nachgewiesen durch die Rüge und durch die Einreichung des Nachprüfungsantrags.
Allerdings ist das Interesse am Auftrag zu plausibilisieren, wenn hieran ernstliche Zweifel bestehen (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 17.08.2022 - Verg 53/21; Beschluss vom 18. August 2021 - Verg 52/20, sowie Beschluss vom 30. Juni 2021 - Verg 43/20). Ernstliche Zweifel ergeben sich vorliegend aus den öffentlichen Einlassungen der ASt selbst zu ihrem Interesse an der Beteiligung an Rabattvertragsausschreibungen. Die Ag haben als Anlage 1 zu ihrem Schriftsatz vom 14. November 2024 zwei Pressemitteilungen der ASt [...] vorgelegt, aus denen sich unter Darlegung der Gründe hierfür ergibt, dass die ASt sich wiederholt bewusst gegen eine Teilnahme am Wettbewerb um exklusive Rabattvertragsausschreibungen bei Röntgenkontrastmitteln entschieden hat. Sie hält diese danach in Ermangelung einer Rechtsgrundlage für unzulässig [...].
Öffentliche Äußerungen eines Antragstellers sind durchaus geeignet, auch im Nachprüfungsverfahren für die Einschätzung seines Auftragsinteresses herangezogen zu werden (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 30. Juni 2021, a.a.O., dort RdNr. II.c)). Hier ist allerdings zugunsten der ASt zu berücksichtigen, dass sich ihre Presseverlautbarungen ausschließlich auf exklusive Rabattverträge, offenbar im Ein-Partner-Modell, bezogen haben. Die Einlassungen der ASt sind vorliegend zwar in der Gesamtschau nicht ganz stringent, indem die ASt ihr Interesse am vorliegenden Auftrag in der mündlichen Verhandlung einerseits mit dem Hinweis auf die Vergabeunterlagen begründet, wonach die für das Gebietslos 2 abzuschließenden Rabattverträge wegen der BSG-Entscheidung nicht exklusiv sein sollen. Andererseits stützt die ASt ihr Vorbringen in der Sache und die vermeintliche Vergaberechtswidrigkeit aber gerade darauf, dass trotz der anderslautenden Information in den Vergabeunterlagen eine faktische Exklusivität vorliege, die eigentlich - die Presseverlautbarungen zugrunde legend - zum fehlenden Auftragsinteresse führen müsste. Gegenpol zur Rabattvertragsausschreibung nach Vergaberecht ist üblicherweise das Openhouse-Modell, welches dem Vergaberecht mangels Auswahlentscheidung nicht unterliegt. Insofern spricht Einiges dafür, dass es der ASt an einem ernsthaften Interesse an dem Auftrag fehlt.
Ausschlaggebend ist letztendlich jedoch, dass die Ag den streitgegenständlichen Rabattvertrag als nicht exklusiv ausgewiesen haben und die öffentlichen Verlautbarungen der ASt sich nur auf exklusive Rabattverträge beziehen. Diese formale Betrachtung ist vor dem Hintergrund des Justizgewährungsanpruchs der ASt nach Art. 19 Abs. 4 GG letztendlich heranzuziehen, so dass das Auftragsinteresse zu bejahen ist.
d) Der Rügeobliegenheit nach § 160 Abs. 3 S. 1 Nr. 3 GWB hat die ASt mit Bieterfrage vom 11. Oktober 2024 entsprochen. Ob die ASt mit dieser Bieterfrage ursprünglich eine Rüge intendiert hatte, was grundsätzlich möglich ist (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 18. September 2024 - Verg 16/24), kann offenbleiben, denn die Ag als Adressaten haben diese Frage ausdrücklich als Rüge eingeordnet und auf die mit ablehnender Antwort vom 21. Oktober 2024 ausgelöste Frist des § 160 Abs. 3 S. 1 Nr. 4 GWB hingewiesen. Dies hat die ASt unwidersprochen gegen sich gelten lassen und den Nachprüfungsantrag binnen der gesetzlichen Frist eingelegt.
2. In der Sache hat der Nachprüfungsantrag keinen Erfolg, denn die von der ASt geltend gemachte Unmöglichkeit bzw. Unzumutbarkeit der Angebotskalkulation liegt nicht vor.
a) Die Ag haben mit den Vergabeunterlagen eine vergaberechtskonforme Basis für die Kalkulation der Angebote geschaffen. Es sind den Bietern mit Anlage 4 a und 4 b die regionalen Absatzmengen aus dem Referenzzeitraum zwischen 1. Juli 2023 und 30. Juni 2024 an die Hand gegeben worden, aufgeschlüsselt nach Konzentrationen, im Gebietslos 2 noch weiter aufgeschlüsselt nach Abrechnungsmonat und Abgabevolumina. Die Ag haben damit vollumfänglich den Vorgaben der gesetzten Rechtsprechung entsprochen (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 2. November 2016 - VII-Verg 27/16). Aus den Abgabemengen aus dem vergangenen Referenzzeitraum kann belastbar auf die zukünftigen Abgabemengen geschlossen werden, die Kalkulierbarkeit ist weder unmöglich noch ist sie unzumutbar. Einer exakten Mengenangabe bedarf es bei Rahmenverträgen gerade nicht. Der Rechtsprechung des EuGH (zuletzt EuGH, Urteil vom 17. Juni 2021 - Rs. C-23/20), wonach ein öffentlicher Auftraggeber bei Rahmenverträgen die maximalen Abnahmemengen bekannt geben muss, haben die Ag bereits in der Auftragsbekanntmachung entsprochen.
b) Die Entscheidung des BSG vom 21. September 2023 - B 3 KR 6/22 R ändert auch im Gebietslos[...], wo dem Rabattvertrag nach den Vorgaben der Ausschreibung keine Exklusivität zukommt (Ziffer 1.2 der Bewerbungsbedingungen), nichts an der Zumutbarkeit der Kalkulation.
aa) Die Absatzzahlen aus dem vergangenen Referenzzeitraum stellen nach wie vor eine geeignete Grundlage für die Mengenprognosen für den zukünftigen Rabattvertragszeitraum dar. Die Mengenangaben aus der Vergangenheit bleiben belastbar für eine Prognose der Mengen, die über die Laufzeit des streitgegenständlichen Rabattvertrags zukünftig abgegeben werden.
Die Entscheidung des BSG besagt für eine Konstellation, in der die Sprechstundenbedarfsvereinbarung - wie hier im streitgegenständlichen Gebietslos 2 - allein auf den Wirtschaftlichkeitsgrundsatz rekurriert, dass ein Lieferant eines Kontrastmittels auch dann einen Zahlungsanspruch gegen die gesetzlichen Krankenkassen hat, wenn es sich bei dem gelieferten Kontrastmittel nicht um das Rabattvertragsprodukt handelt. Auch wenn der Lieferant einen Zahlungsanspruch gegen die Krankenkasse hat, kann daraus aber nicht abgeleitet werden, dass radiologische Praxen in nennenswertem Umfang dazu übergehen werden, andere als die vom Rabattvertrag erfassten Kontrastmittel zu beschaffen. Die Ärzte werden durch die Krankenkassen über den Rabattvertrag als wirtschaftlichste Bezugsquelle informiert; dies ist eine gesetzliche Pflicht der Krankenkassen. Die Ärzte sind ihrerseits an den sozialrechtlichen Wirtschaftlichkeitsgrundsatz, § 12 SGB V, gebunden, der letztendlich der Finanzierbarkeit des Systems der gesetzlichen Krankenversicherung als überragend wichtigem Gemeinschaftsgut, so das Bundesverfassungsgericht in ständiger Rechtsprechung, dient. Es gibt keinen, jedenfalls keinen legitimen Anhaltspunkt für die Befürchtung der ASt, die Ärzte würden ihr Bestellverhalten auf Produkte außerhalb des Rabattvertrags hin orientieren, nur weil die Ag laut BSG auch für diese Produkte eine Zahlung nicht verweigern dürfen. Da es sich vorliegend um Sprechstundenbedarf handelt, der einmal im Quartal für die Praxis bestellt wird und der grundsätzlich pro Anwendungsgebiet gleichförmig für weitgehend alle Patienten aus einer großen Durchstechflasche, die nicht für jeden Patienten gewechselt wird, eingesetzt wird, wäre ein abweichendes Bestellverhalten erklärungsbedürftig vor dem Hintergrund des Wirtschaftlichkeitsgrundsatzes. Die rabattierten Preise liegen generell deutlich unter den Listenpreisen. Bei Unverträglichkeiten oder Allergien einzelner Patienten besteht ohnehin die Möglichkeit, einzelfallbezogen aus therapeutischen Gründen ein anderes Kontrastmittel als das Rabattvertragsprodukt zu beschaffen. Es ist davon auszugehen, dass die Ärzte sich konform mit dem Wirtschaftlichkeitsgrundsatz verhalten werden. Soweit einzelne Ärzte neben dem Rabattvertrag bestellen sollten, so führt dies nicht dazu, dass die Mengen aus dem Referenzzeitraum nicht mehr belastbar wären als Kalkulationsgrundlage für den neuen Zeitraum, denn die Referenzzahlen werden sich nie exakt decken mit den Abnahmemengen im zukünftigen Zeitraum. Gewisse Unsicherheiten in Bezug auf die zu erwartende Abnahmemenge sind Rahmenvereinbarungen aber immanent.
Dass die Entscheidung des BSG nicht zu einer Änderung des Bestellverhaltens der Ärzte hin zu Produkten außerhalb des Rabattvertrags führen wird, belegen aber tatsächlich auch die Referenzzahlen der Ag für das Gebietslos [...]aus dem Zeitraum 1. Juli 2023 bis 30. Juni 2024. Die Entscheidung des BSG datiert vom 21. September 2023. Die Ag haben die Ärzte über diese Entscheidung und die Konsequenzen der Entscheidung informiert und auf den damit nicht exklusiven Charakter des Rabattvertrags verwiesen. Dennoch gab es keine Änderung im Bestellverhalten, vgl. die monatsweise Darlegung der Absatzmengen in Gebietslos 2 sowohl vor als auch nach der BSG-Entscheidung. Dies belegt, dass die Ärzte ihr Bestellverhalten auch in Kenntnis der Nicht-Exklusivität am Wirtschaftlichkeitsgrundsatz ausrichten und sich gesetzeskonform verhalten.
Dass die Ärzte ihr Bestellverhalten ungeachtet der Entscheidung des BSG am Wirtschaftlichkeitsgrundsatz ausrichten und regelmäßig Rabattvertragsprodukte für den Sprechstundenbedarf bestellen, sieht auch die ASt so. Die vorgetragene Unsicherheit über die Lenkungswirkung möglicher Wirtschaftlichkeitsüberprüfungen in Bezug auf Bestellverhalten von Ärzten, aus dem die ASt die Unzumutbarkeit der Angebotskalkulation ableitet, ergibt sich damit schon aus dem eigenen Vortrag der ASt nicht belastbar.
bb) Ein Risiko der Vertragsrückabwicklung nach Bereicherungsrecht ist nicht ersichtlich und kann daher nicht zu einem unzumutbaren Kalkulationsrisiko führen.
Für das Vergaberecht gilt, dass die Ag nicht nur berechtigt, sondern vielmehr verpflichtet sind, ein europaweites Vergabeverfahren durchzuführen, wenn Rahmenvereinbarungen insbesondere über Preise abgeschlossen werden sollen. Die Ag sind öffentliche Auftraggeber und bedürfen keiner besonderen Rechtsgrundlage, um ein Vergabeverfahren durchzuführen; §§ 115, 119 Abs. 1, 103 Abs. 5 GWB verpflichten im Gegenteil hierzu. Die vergaberechtlichen Nachprüfungsinstanzen sind ausschließlich für die Überprüfung öffentlicher Aufträge bzw. diesen gleichgestellten Rahmenvereinbarungen zuständig, also erst ab dem Zeitpunkt, ab dem ein Vergabeverfahren begonnen wurde. Ob der jeweilige öffentliche Auftraggeber sich aus anderen als vergaberechtlichen Rechtsgründen überhaupt entscheiden durfte, ein Vergabeverfahren zu beginnen, stellt eine dem Beginn des Vergabeverfahrens vorgelagerte Rechtsfrage dar, die nicht der Überprüfung durch die Vergabekammer unterliegt. Ob, wie die ASt vorliegend meint, die Ag einer speziellen sozialrechtlichen Rechtsgrundlage für den Abschluss exklusiver Rabattverträge über Röntgenkontrastmittel im Sprechstundenbedarf bedürfen, wird das Sozialgericht [...] entscheiden. In vergaberechtlicher Hinsicht verhalten sich die Ag mit dem europaweiten Vergabeverfahren indes absolut vergaberechtskonform, so dass eine Unwirksamkeitserklärung oder eine Nichtigkeit der abzuschließenden Rabattverträge nicht in Rede steht. Nach § 135 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 GWB wäre dies im Gegenteil bei Unterlassen eines europaweiten Vergabeverfahrens der Fall.
Was das Risiko einer Rückabwicklung wegen Nichtigkeit und damit verbundener Unkalkulierbarkeiten anbelangt, so kann über die rein vergaberechtliche Betrachtung hinaus der Entscheidung des BSG erst einmal nur entnommen werden, dass in einer Konstellation, in der die Sprechstundenbedarfsvereinbarung - wie hier in Gebietslos 2 - allein auf den Wirtschaftlichkeitsgrundsatz rekurriert, ein Lieferant eines Kontrastmittels auch dann einen Zahlungsanspruch gegen die gesetzlichen Krankenkassen hat, wenn es sich bei dem gelieferten Kontrastmittel nicht um das Rabattvertragsprodukt handelt. Eine Aussage dahin, dass dies gleichzeitig ein Verbot der Durchführung eines Vergabeverfahrens der Krankenkassen zwecks Abschlusses von Rabattvereinbarungen implizieren würde, die dann zwar nicht exklusiv sind, von den Ärzten aber entsprechend dem gesetzlichen Wirtschaftlichkeitsgrundsatz zu beachten sind, kann der BSG-Entscheidung nicht entnommen werden. Prima vista ist daher auch insoweit kein Nichtigkeitsgrund erkennbar, der eine den Bietern vergaberechtlich nicht mehr zumutbare Kalkulation nach sich zöge.
Der Argumentation der ASt, ein Unwirksamkeitsrisiko ergebe sich aufgrund einer faktischen Exklusivität, die auf die Lenkungswirkung des Instruments der Wirtschaftlichkeitsprüfung auf das Bestellverhalten der Ärzte zurückzuführen sei, kann nicht gefolgt werden. Diese Argumentation bedeutet im Kern, dass aus einem rechtmäßigen und gesetzlich nach § 12 SGB V gerade intendierten Verhalten der Ärzte, nämlich der Beachtung des sozialrechtlichen Wirtschaftlichkeitsgrundsatzes in Form der Bestellung der Rabattvertragsprodukte als wirtschaftlicher Bezugsmöglichkeit, die Nichtigkeit bzw. Unwirksamkeit der Rabattverträge konstruiert wird. Es ist schwerlich vorstellbar, dass ein rechtmäßiges Verhalten zur Vertragsunwirksamkeit führen soll. Ohne der Entscheidung des Sozialgerichts [...] vorzugreifen, ist hier kein vergaberechtlich relevantes Rückabwicklungsrisiko erkennbar, aus dem sich Kalkulationsrisiken ergeben könnten. Schlussendlich ist die ASt auch eine Konkretisierung schuldig geblieben, worin genau der Nachteil einer Rückabwicklung nach Bereicherungsrecht zu sehen sein soll. Verbrauchte Röntgenkontrastmittel sind in jedem Fall zu bezahlen, auch nach Bereicherungsrecht im Rahmen einer Rückabwicklung nach einer unterstellten rückwirkenden Erklärung des Vertrags als unwirksam oder nichtig.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 182 Abs. 1, 3 S. 1 sowie Abs. 4 S. 1, 2 GWB.
Die ASt trägt als unterliegende Verfahrensbeteiligte die Kosten des Nachprüfungsverfahrens (Gebühren und Auslagen) gemäß § 182 Abs. 3 Satz 1 GWB sowie die zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Ag. Die Hinzuziehung anwaltlicher Bevollmächtigter durch die Ag war notwendig. Da der Sprechstundenbedarf mangels Zuordnungsmöglichkeit zu einzelnen Versicherten und deren Krankenkassen durch alle gesetzlichen Kassen gemeinsam abgerechnet wird, gibt es eine Vielzahl von Antragsgegnerinnen, was einen erhöhten Koordinierungsaufwand generiert. Der Gegenstand des Nachprüfungsverfahrens bewegt sich ferner nicht nur im Vergaberecht, sondern an der Schnittstelle zwischen Vergabe- und Sozialrecht, ferner auch - was das seitens der ASt vorgetragene Nichtigkeitsrisiko anbelangt - zum Zivilrecht. Dies rechtfertigt die Hinzuziehung anwaltlicher Bevollmächtigter durch die Ag.
IV.
Gegen die Entscheidung der Vergabekammer ist die sofortige Beschwerde zulässig. Sie ist innerhalb einer Notfrist von zwei Wochen, die mit der Zustellung der Entscheidung beginnt, schriftlich beim Oberlandesgericht Düsseldorf - Vergabesenat - einzulegen.
Die Beschwerdeschrift muss durch einen Rechtsanwalt unterzeichnet sein. Dies gilt nicht für Beschwerden von juristischen Personen des öffentlichen Rechts.
Die Beschwerde ist bei Gericht als elektronisches Dokument einzureichen. Dieses muss mit einer qualifizierten elektronischen Signatur der verantwortenden Person versehen sein oder von der verantwortenden Person signiert und auf einem sicheren Übermittlungsweg eingereicht werden. Dies gilt nicht für Anlagen, die vorbereitenden Schriftsätzen beigefügt sind. Ist die Übermittlung als elektronisches Dokument aus technischen Gründen vorübergehend nicht möglich, bleibt die Übermittlung nach den allgemeinen Vorschriften zulässig.
Die sofortige Beschwerde ist zugleich mit ihrer Einlegung zu begründen. Die Beschwerdebegründung muss die Erklärung enthalten, inwieweit die Entscheidung der Vergabekammer angefochten und eine abweichende Entscheidung beantragt wird, und die Tatsachen und Beweismittel angeben, auf die sich die Beschwerde stützt.
Die sofortige Beschwerde hat aufschiebende Wirkung gegenüber der Entscheidung der Vergabekammer. Die aufschiebende Wirkung entfällt zwei Wochen nach Ablauf der Beschwerdefrist. Hat die Vergabekammer den Antrag auf Nachprüfung abgelehnt, so kann das Beschwerdegericht auf Antrag des Beschwerdeführers die aufschiebende Wirkung bis zur Entscheidung über die Beschwerde verlängern.
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VK Bund
Beschluss
vom 28.01.2025
VK 2-109/24
1. Öffentliche Auftraggeber sind grundsätzlich in der Bestimmung ihres Beschaffungsgegenstandes frei; dieser muss gleichwohl willkür- bzw. diskriminierungsfrei festgelegt worden sein und sich aus sachlichen und auftragsbezogenen Gründen rechtfertigen lassen.
2. Der öffentliche Auftraggeber kann Aufträge im Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb vergeben, wenn zum Zeitpunkt der Aufforderung zur Abgabe von Angeboten der Auftrag nur von einem bestimmten Unternehmen erbracht oder bereitgestellt werden kann, weil aus technischen Gründen kein Wettbewerb vorhanden ist. Dieser eng auszulegende Ausnahmetatbestand verlangt, dass der öffentliche Auftraggeber anhand einer hinreichend dokumentierten Markterkundung nachweisen muss, dass zum Zeitpunkt der Aufforderung zur Angebotsabgabe der Auftrag objektiv nur von einem bestimmten Unternehmen erbracht werden kann.
3. Soll der Zuschlag ohne vorherige Durchführung eines wettbewerblichen Vergabeverfahrens direkt an ein Unternehmen vergeben werden, bedarfs es eines objektiv feststellbaren wirtschaftlichen Interesses des Antragstellers gerade an dem konkreten Auftrag.
4. Die Antragsbefugnis entfällt. wenn ein Unternehmen nicht mehr bereit ist, den ausgeschriebenen Auftrag mit dem vom Auftraggeber vorgesehenen Inhalt abzuschließen, und das auch hinreichend zu erkennen gibt; die bekundete Bereitschaft, den Auftrag nur mit einem davon abweichenden Inhalt annehmen zu wollen, führt daher grundsätzlich zur Unzulässigkeit des Nachprüfungsantrags.
Tenor:
1. Den Antragsgegnerinnen wird untersagt, in dem Vergabeverfahren "Plattform für dermatologische Telekonsultationen", angekündigt mit einer freiwilligen Ex-ante-Transparenzbekanntmachung [
], den Zuschlag auf das Angebot der Beigeladenen zu erteilen. Soweit die Antragstellerin die Abänderung des Beschaffungsgegenstandes begehrt, wird der Nachprüfungsantrag zurückgewiesen.
2. Die Antragstellerin trägt 50 Prozent der Kosten des Verfahrens (Gebühren und Auslagen), die Antragsgegnerinnen und die Beigeladene tragen gesamtschuldnerisch ebenfalls 50 der Kosten des Verfahrens.
3. Die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung bzw. Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen tragen Antragstellerin, Antragsgegnerin und Beigeladene jeweils selbst.
Gründe:
I.
1. Die Antragsgegnerinnen (Ag), allesamt gesetzliche Krankenkassen, veröffentlichten am [
] die im Betreff genannte unionsweite Ex-ante-Transparenzbekanntmachung für die Beschaffung einer Plattform für dermatologische Telekonsultationen im Wege eines Verhandlungsverfahrens ohne Teilnahmewettbewerb nach § 14 Abs. 4 Nr. 2 lit. b) VgV von der Beigeladenen (Bg). Das Vergabeverfahren wird von der Ag zu 1) als Vergabestelle im Auftrag aller Ag zu 2) bis 5) durchgeführt.
Den Gegenstand des Auftrags definierte die Ag im Vergabevermerk vom 20. November 2024 und entsprechend in Ziff. 5.1 der Transparenzbekanntmachung [
] wie folgt:
"Ausgeschrieben wird eine Plattform für dermatologische Telekonsultationen, bei der Versicherte direkt bei einem teilnehmenden Dermatologen orts- und zeitungebunden eine Anfrage zu ihrer Hautläsion stellen können und bei Bedarf in eine anschließende Vor-Ort-Versorgung im Rahmen der kassenärztlichen Versorgung durch den gleichen Dermatologen überführt werden kann. Innerhalb von 48h erhalten die Versicherten eine fachärztliche Befundung. Diese beinhaltet eine Therapieempfehlung, ggf. eine Diagnose und bei Bedarf eine Verordnung eines verschreibungspflichtigen Medikamentes im Rahmen eines Kassenrezepts.
"
Die Bg und die ASt betreiben beide Applikationen, die z.B. mittels eines Smartphones bzw. Computers genutzt werden können, um auf Patientenseite Fotografien von Hautproblemen anzufertigen, um diese an einen Facharzt zu senden und von diesem begutachten zu lassen und eine entsprechende Befundung und Therapieempfehlung zu erhalten. Die zugrunde liegenden Geschäftsmodelle von ASt und Bg unterscheiden sich allerdings. Die Bg stellt ihr Tool niedergelassenen Fachärzten zur Verfügung, die mittels der App der Bg eine teledermatologische Begutachtung vornehmen. Die Bg arbeitet zu diesem Zweck auf vertraglicher Basis mit einer hohen Zahl von kassenärztlich zugelassenen niedergelassenen Fachärzten bundesweit zusammen. Ein Patient kann sich mit seinem Anliegen über die App der Bg direkt an einen dieser Fachärzte wegen einer teledermatologischen Untersuchung wenden und bei einer etwaig erforderlichen Vor-OrtUntersuchung bzw. Weiterbehandlung zu diesem ausgewählten Arzt in die Praxis zu einem VorOrt-Termin kommen.
Die ASt arbeitet dagegen mit einem fest angestellten Team von 22 Fachärzten zusammen, von denen nicht alle kassenärztlich zugelassen sind. Diese führen die teledermatologischen Begutachtungen mit der von der ASt bereit gestellten App selbst durch, wenn sich ein Patient mittels der App an die ASt wendet. Diese Patienten werden einem der bei der ASt angestellten Fachärzte zugewiesen. Für den Fall, dass nach der teledermatologischen Begutachtung durch die angestellten Fachärzte der ASt ein Vor-Ort-Besuch bei einem niedergelassenen Facharzt erforderlich wird, empfiehlt die ASt den Patienten für eine ortsnahe Weiterbehandlung einen niedergelassenen Facharzt, der nicht mit den festangestellten Ärzten der ASt identisch ist. Die ASt kooperiert zu diesem Zweck nach eigenen Angaben mit über 300 Fachärzten bundesweit.
Für die zu beschaffende Leistung dokumentierten die Ag im Vergabevermerk die folgenden Kriterien:
- Medizinprodukt nach Klasse IIa oder höher gemäß EU-MedizinprodukteVO oder im entsprechenden Zertifizierungsprozess befindlich unter der Voraussetzung, dass es bereits ein Medizinprodukt der Klasse I gemäß der RL 93/42/EWGjeweils ist, jeweils zu Vertragsbeginn;
- Plattformfunktion für Vertragsärzte;
- freie Arztauswahl und verfügbare Dermatologen (mit abrufbaren individuellen Profilen auf der Homepage des Anbieters) in jedem Bundesland;
- nahtlose, bruchfreie Versorgung
- mehr als 300 frei auswählbare kassenärztlich zugelassene niedergelassene Dermatologen in Deutschland, die für den digitalen Haut-Check und eine mögliche Weiterbehandlung verfügbar sind;
- davon mehr als 30 frei auswählbare kassenärztlich zugelassene niedergelassene Dermatologen pro Einzugsgebiet der jeweiligen Krankenkasse, die für den digitalen Haut-Check und eine mögliche Weiterbehandlung verfügbar sind. Die Entfernung zum vor Ort ausgewählten Hautarzt sollte nicht mehr als 90-120 Minuten betragen (Regionale Präsenz).
Die Ag hatten im Zeitraum August bis Mitte November 2024 zum Zweck einer Markterkundung eine Internetrecherche durchgeführt. Die Erkenntnisse der Markterkundung bei den Internetseiten der betrachteten Unternehmen fassten die Ag mit Stand vom 18. November 2024 tabellarisch zusammen, darunter waren auch die Bg und die ASt, und dokumentierten die entsprechende Tabelle in der Vergabeakte. Die Ag vermerkten zu jedem betrachteten Unternehmen, ob die aufgestellten Kriterien erfüllt werden oder nicht und begründeten dies. Für die Bg dokumentierten die Ag, dass diese mit ihrem Produkt alle Kriterien erfülle, wozu sich entsprechende Begründungserwägungen finden. Die ASt erfülle danach die folgenden Kriterien nicht: Plattformfunktion für Vertragsärzte, nahtlose, bruchfreie Versorgung, mehr als 300 auswählbare kassenärztlich zugelassene niedergelassene Dermatologen in Deutschland, die für den digitalen Haut-Check und eine mögliche Weiterbehandlung verfügbar sind, davon mehr als 30 auswählbare niedergelassene Dermatologen pro Einzugsgebiet der jeweiligen Krankenkassen.
Die Anforderung eines Medizinproduktes nach Klasse IIa oder höher oder im Zertifizierungsprozess unter der Voraussetzung befindlich, dass bereits ein Medizinprodukt der Klasse I zu Vertragsbeginn vorliege (jeweils zu Vertragsbeginn), sah die Ag nach ihren dokumentierten Erwägungen zur Markterkundung für die Bg und die ASt jeweils als erfüllt an.
Hinsichtlich der nahtlosen, bruchfreien Versorgung hielten die Ag zur ASt fest:
"nein,
- Erstbefundung erfolgt durch angestellte Hautärzte,
- bei Notwendigkeit der vor Ort Konsultation erfolgt eine Weiterbehandlung durch anderen Arzt
- Ausstellung von Privatverordnungen auch bei verschreibungspflichtigen Arzneimitteln".
Zur Anforderung "> 300 frei auswählbare kassenärztlich zugelassene niedergelassene Dermatologen
" vermerkten die Ag zur ASt:
"nein
Netzwerk von > 300 niedergelassenen Dermatologen steht lediglich für die physische Weiterbehandlung zur Verfügung, führt aber nicht die Erstbegutachtung durch".
Die Ergebnisse ihrer Recherche fassten die Ag im Vergabevermerk zusammen, die sie auch in der o.g. Transparenzbekanntmachung veröffentlichten.
Danach habe sich ergeben, dass der Auftrag nur von der Bg ausgeführt werden könne, weil aus technischen Gründen kein Wettbewerb vorhanden sei. Die Bg sei eng mit der ambulanten Regelversorgung verzahnt und arbeite ausschließlich mit niedergelassenen Dermatologen zusammen. Das Modell der Bg ermögliche einen nahtlosen Übergang in die Regelversorgung und sei einzigartig, er hebe sich deutlich von Anbietern ab, die ausschließlich, überwiegend oder nur räumlich begrenzt auf angestellte Telemedizin-Ärzte ohne Niederlassungen setzten. Solche Anbieter böten keine direkte Anbindung an die flächendeckende Regelversorgung und könnten daher nicht Vertragspartner werden. Die Bg verfüge über ein Netzwerk von über 450 Vertragsärzten und biete damit eine flächendeckende teledermatologische Versorgung mit niedergelassenen Dermatologen in ganz Deutschland. Wettbewerber, die auf angestellte Telemedizin-Ärzte setzten, schüfen Parallelstrukturen, die nicht in die Regelversorgung integriert seien. Derartige Modelle liefen Gefahr, eine separate Versorgungsebene ohne Anbindung an das gesetzliche Gesundheitssystem zu schaffen. Dies führe zu einem Bruch in der Versorgungskette, die die Bg vermeide. Die Bg stelle die Integration in die Regelversorgung sicher und verkürze die Wartezeiten für die Patienten. Die Patienten könnten bei der Bg aufgrund der ausreichenden Anzahl teilnehmender Vertragsärzte ihren regionalen Arzt frei wählen. Die freie Arztwahl sei in der Regelversorgung den gesetzlichen Versicherten garantiert. Diese flexible Wahlmöglichkeit fehle anderen Anbietern. Auch die Möglichkeit, E-Rezepte auszustellen, sei ein wesentlicher Vorteil, da die Patienten ihre Medikamente ohne zusätzliche Kosten über die gesetzliche Krankenversicherung beziehen könnten. Andere Unternehmen könnten keine vergleichbare Abwicklung bieten. Die Diagnosen und Behandlungen würden bei der Bg ausschließlich durch qualifizierte niedergelassene und kassenärztlich zugelassene Fachärzte für Dermatologie durchgeführt. Andere Anbieter hätten keine gleichwertige, homogene Expertise.
Für die Ag sei wichtig, dass der Anbieter qualitativ hochwertige digitale Dienstleistungen im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften erbringe. Der Anbieter müsse für die teledermatologische Untersuchung für Diagnostik und Befund eine Plattform verwenden, die die Eigenschaft eines Medizinproduktes der Risikoklasse IIa oder höher nach der EU-MedizinprodukteVO (MDR - Medical Device Regulation) erfülle oder sich im entsprechenden Zertifizierungsprozess befinde, unter der Voraussetzung, dass es sich um ein Medizinprodukt der Klasse I gemäß RL 93/42/EWG (Medizinprodukterichtlinie, MDD, Medical Device Directive) handele. Die Bg erfülle diese Voraussetzung.
Mit Schreiben ihrer Verfahrensbevollmächtigten vom 25. November 2024 rügte die ASt die beabsichtigte Auftragserteilung an die Bg.
Die Ag wiesen die Rüge der ASt mit Schreiben der Ag zu 1) als Vergabestelle vom 27. November 2024 zurück.
2. Die ASt beantragt mit Schreiben ihrer Verfahrensbevollmächtigten vom 29. November 2024, eingegangen bei der Vergabekammer des Bundes und von dort an die Vergabestelle übermittelt am gleichen Tag, die Einleitung eines Nachprüfungsverfahrens.
a) Die ASt weist zum Sachverhalt darauf hin, dass die Ag zu 1), 2), 3) und 5) bereits im Dezember 2022 eine entsprechende Direktvergabe an die Bg durchgeführt hätten, woraufhin die ASt im April 2023 mit der Ag zu 1) das Gespräch gesucht habe und die Vergaberechtswidrigkeit dieser Vorgehensweise geltend gemacht habe. Entsprechendes sei hinsichtlich der Ag zu 4) geschehen, die auf entsprechende Rüge der ASt einer geplanten Direktvergabe an die Bg abgeholfen habe und im April 2024 ein wettbewerbliches Vergabeverfahren im offenen Verfahren eingeleitet habe. Die ASt habe auch dieses Vorgehen in einem wettbewerblichen Vergabeverfahren als vergaberechtswidrig gerügt, weil die Ausschreibungsbedingungen nach Ansicht der ASt auf die Bg zugeschnitten gewesen seien. Die Ag zu 4) habe auch insoweit abgeholfen und das offene Verfahren aufgehoben.
Die ASt hält sich für antragsbefugt nach § 160 Abs. 2 GWB. Entgegen der Auffassung der Ag sei die ASt am Auftrag interessiert, ihr drohe durch die Beauftragung der Bg eine Verletzung ihrer Zuschlagschancen. Die ASt sei ein im Bereich der Teledermatologie tätiges Unternehmen und vollständig in der Lage, die nachgefragten Leistungen zu erbringen. Es sei unerheblich, dass sich einzelne Aspekte im Geschäftsmodell von ASt und Bg unterschieden. Die ASt hat in der mündlichen Verhandlung darauf hingewiesen, dass sie in erster Linie daran interessiert sei, auf Basis ihres Geschäftsmodells anbieten zu können. Sie sei aber auch für den Fall der Beibehaltung des derzeit seitens der Ag nachgefragten und von der Bg angebotenen Modells in der Lage, ihr Modell zu adaptieren und entsprechend anzubieten, so grundsätzlich auch gegenüber den Ag. Sie habe auch in diesem Fall ein Auftragsinteresse.
In der Sache hält die ASt die Voraussetzungen für eine Direktvergabe nach § 14 Abs. 4 Nr. 2 lit.
b) VgV für nicht gegeben. Es sei insofern nicht festzustellen, dass die nachgefragte Leistungserbringung durch andere Marktteilnehmer außer der Bg objektiv unmöglich sei bzw. die technischen Besonderheiten des Angebots der Bg von derart herausragender Bedeutung seien, dass abweichende Angebote anderer Marktteilnehmer keine vernünftige Alternative zur Erreichung des Beschaffungszwecks mehr darstellten; die Anforderungen des § 14 Abs. 6 VgV seien nicht eingehalten, sondern die Auftragsvergabeparameter durch die Anforderungen der Ag künstlich eingeschränkt worden. Die unterschiedlichen Geschäftsmodelle unterschieden sich letztlich nur graduell, aber nicht wesentlich voneinander. Nur graduelle Unterschiede begründeten aber keinen technisch fehlenden Wettbewerb. Hierzu führt die ASt im Einzelnen aus:
- Es treffe nicht zu, dass - wie die Ag behaupteten - die ASt keine freie Arztwahl ermögliche. Die freie Arztwahl sei auch keine technische Besonderheit von überragender Bedeutung. Zwar erfolge die teledermatologische Behandlung durch bei der ASt fest angestellte Ärzte. Für eine etwaige erforderliche Weiterbehandlung vor Ort könne der Patient frei zwischen den ärztlichen Kooperationspartnern der ASt wählen, was bei der Bg nicht anders sei. Der Grundsatz der freien Arztwahl sei bei Bg und ASt gleichermaßen eingeschränkt, weil nicht alle in Deutschland zugelassenen Dermatologen eine teledermatologische Behandlung anböten. Die ASt könne aber in diesem Rahmen auch eine freie Wahl des Arztes gewährleisten. Es sei zwar so, dass die ASt dem jeweiligen Patienten automatisch einen der fest angestellten Ärzte zuweise. Dies werde von der ASt als vorteilhaft bewertet, um eine schnelle Behandlung über das ganze Jahr zu gewährleisten. Die Bg garantiere lediglich eine werktägliche Antwort innerhalb von 48h. Diese feste Zuordnung bei der ASt sei aber nicht zwingend, sondern es könne auf Anforderung in einem Vergabeverfahren mindestens eine Auswahl zwischen den fest angestellten Fachärzten ermöglicht werden. Es sei ferner technisch möglich, die teledermatologische Behandlung durch die Kooperationsärzte erbringen zu lassen.
Schließlich könne die freie Arztwahl eine Direktvergabe nicht rechtfertigen, weil dieser in inhaltlicher, zeitlicher und räumlicher Hinsicht vielfach eingeschränkt sei und ohnehin nur für die kassenärztlich zugelassenen Ärzte gelte. Ferner schränke der Grundsatz der hausarztzentrierten Versorgung nach § 73b SGB V die freie Arztwahl ein. § 75 SGB V lasse prinzipiell erkennen, dass kein Anspruch auf freie Arztwahl statuiert werde, sondern die Grenzen der Wahlmöglichkeiten der Versicherten.
Es sei zudem aus sachlichen Gründen nicht nachvollziehbar, aus welchen Gründen eine freie Arztwahl im Bereich der Teledermatologie vorzugswürdig sei. Das Geschäftsmodell der ASt stelle gerade eine hohe Beratungsqualität durch die festangestellten Ärzte sicher, diese hätten die für den Umgang mit den zur Anwendung kommenden Apps und den zu beachtenden Besonderheiten eine entsprechende Expertise. Im Falle einer vor Ort erforderlichen Weiterbehandlung könne der Patient im Modell der ASt den behandelnden Arzt frei wählen. Die ASt habe Kooperationen mit mehr als 300 Fachärzten deutschlandweit abgeschlossen, die bei Bedarf vermittelt werden könnten.
- Es treffe ferner nicht zu, dass es der ASt an einem äquivalenten Netzwerk fehle. Die von den Ag definierte Mindestanzahl an Dermatologen von mehr als 300 frei auswählbaren und kassenärztlich zugelassenen Dermatologen bzw. mehr als 30 frei auswählbaren und kassenärztlich zugelassenen Dermatologen für jedes an der Ausschreibung beteiligte Bundesland sei nicht nachzuvollziehen, diese Vorgabe sei diskriminierend. Die Ag hätten diese Zahlen nicht konkret begründet, sie seien so ausschließlich aufgestellt worden, um die Bg zu bevorzugen. Vielmehr zeige ein Abgleich mit den von der Bg angegebenen Vertragsärzten, dass die Ag die Anzahl an Vertragsärzten je Bundesland an den Zahlen der Bg orientiert habe.
- Eine von den Ag reklamierte bruchfreie Versorgung sei keine technische Besonderheit von überragender Bedeutung. Diese sei bei dem Geschäftsmodell der ASt nicht in Frage gestellt. Auch bei der ASt würden sämtliche Informationen, die im Rahmen einer teledermatologischen Behandlung ausgetauscht worden seien, an einen vor Ort weiterbehandelnden Arzt in einem Arztbrief weitergegeben. Das Modell der ASt sei medizinisch sinnvoll, weil sich ein weiter behandelnder Arzt im Sinne einer Zweitmeinung den jeweiligen Fall ansehe. Doppeluntersuchungen gebe es nur, wenn der weiterbehandelnde Arzt eine abweichende Meinung zur Diagnose bzw. Weiterbehandlung habe. Dass, wie die Ag meinten eine Versorgung durch einen niedergelassenen Arzt elementar für die Leistungserbringung sei, überzeuge nicht als Rechtfertigung der Direktvergabe, so dass das Geschäftsmodell der Bg auch nicht von überragender Wichtigkeit für eine bruchfreie Versorgung sein könne. Der Behandlungserfolg werde in erster Linie sichergestellt durch eine qualifizierte ärztliche Diagnose und einen darauf abgestimmten Behandlungsplan. Die besonderen Vorteile der teledermatologischen Behandlung wie eine niedrigschwellige und schnelle Fernbehandlung und Entlastung der Praxen vor Ort blieben außer Betracht, wenn die Ag unbedingt forderten, dass der Patient im Anschluss an die teledermatologische Behandlung in der entsprechenden Arztpraxis vorstellig werden müsse und - wie bei der Bg - keine Rückfragen an den teledermatologisch behandelnden Arzt vorgesehen seien. Die teledermatologische Behandlung sei ein sehr neues Feld der niedrigschwelligen ärztlichen Konsultation und zeichne sich gerade dadurch aus, dass eine sich anschließende Vor-Ort-Behandlung möglichst vermieden und somit ein bruchfreier Vor-OrtBesuch beim Facharzt gar nicht erforderlich werden solle. Die Ag zu 1) spreche in einer Pressemitteilung [
]davon, dass fast 90% der Teleanfragen komplett digital bearbeitet und abgeschlossen werden könnten. Es sei zudem dem § 27b SGB V nicht zu entnehmen, dass eine ärztliche Zweitmeinung als medizinisch kontraproduktiv zu bewerten sei. Die Vorschrift solle nur die Wirtschaftlichkeit der Behandlung sicherstellen. Qua Satzung könne die Erstattung der Einholung einer ärztlichen Zweitmeinung von den einzelnen gesetzlichen Krankenkassen eingeführt werden.
- Ebenso wenig entstünden Doppelstrukturen bei der ASt. Die Ärzte der ASt seien überwiegend kassenärztlich zugelassen. Auch im Netzwerk der Bg seien Ärzte, die ausschließlich Privatpatienten und Selbstzahler behandelten. Auch bei der Bg würde die teledermatologische Behandlung über einen Selektivvertrag abgerechnet, während die Besuche in der Praxis über die Quartalsabrechnung erfolgten. Die überwiegende Zahl der Fachärzte der ASt seien kassenärztlich zugelassen und dürften somit auch Kassenrezepte ausstellen, was in einem Auftrag für eine andere gesetzliche Krankenkasse auch tatsächlich so erfolge. Bei der Bg müssten Patienten somit extra in die Praxis, um ein etwaiges Rezept nach einer teledermatologischen Behandlung abzuholen, was erneute Kosten verursachen könne. Einem möglichen Auftrag an die ASt stehe daher auch nicht das von den Ag als Rechtfertigung der Direktvergabe an die Bg angeführte krankenversicherungsrechtliche Sachleistungsprinzip entgegen. Soweit sich die Ag insofern auf Informationen zum Geschäftsmodell der ASt beriefen, die diese bei ihrer Markterkundung anhand einer bloßen Internetrecherche herausgefunden habe, werde verkannt, dass sich diese Informationen nur an Selbstzahler bzw. Privatpatienten richteten, die unabhängig von ihrer jeweiligen Krankenversicherung Gebrauch vom Angebot der ASt machen möchten und daher kein Kassenrezept benötigten. Im Falle eines Selektivvertrages für eine gesetzliche Krankenkasse gelte dies freilich nicht.
- Die ASt könne auch das Kriterium der regionalen Präsenz gewährleisten. Dies sei auch kein technischer Aspekt, der zu einer exklusiven Leistung nur durch die Bg führe. Die Anforderung verenge den Wettbewerb. Es sei nicht auszuschließen, dass Bieter im Rahmen eines wettbewerblichen Vergabeverfahrens z.B. im Rahmen einer Bietergemeinschaft oder als Haupt- und Unterauftragnehmer kooperierten, um die Vorgaben der regionalen Präsenz zu erfüllen. Schließlich arbeite die ASt mit mehr als 300 Fachärzten vor Ort zusammen, so dass im Ergebnis eine Anschlussversorgung vor Ort sichergestellt sei. Dieser Aspekt sei zudem veränderlich und könne bis zum Leistungsbeginn - wie dargelegt - geschaffen werden. Die ASt erweitere ihr Kooperationsnetzwerk an Fachärzten stetig. Eine Recherche bei der Bg zeige, dass in einem Flächenland wie [
]auch noch bedeutende Lücken gebe, was näher ausgeführt wird. Soweit die Bg vorbringe, die ASt sei mit ihrem Kooperationsnetzwerk nicht in der Lage, die regionale Präsenz abzudecken, sei darauf hinzuweisen, dass die Vorgaben der Ag es ausreichen ließen, dass eine niedergelassene Praxis für einen Vor-Ort-Termin für Patienten mit einer Fahrzeit von 90-120 min erreichbar sein müsse. Vor diesem Hintergrund sei das Vorbringen der Bg, die ASt verfüge in Ballungsgebieten verschiedener Bundesländer nicht über Kooperationspraxen, nicht haltbar. Soweit die Bg ihren Vortrag durch entsprechende Testfragen über die App untermauern wolle, sei darauf hinzuweisen, dass diese Testfragen von der Bg nicht im Rahmen des ausgeschriebenen Selektivvertrages mit einer gesetzlichen Krankenkasse gestellt worden sei, sondern im Rahmen des Online-Services der ASt, den diese für Privatpatienten und Selbstzahler anbiete. Im Falle eines in einem Vergabeverfahren erlangten Selektivvertrages sei die ASt in der Lage, ihre Prozesse im Sinne etwaig gestellter Anforderungen an das Praxisnetzwerk zu modifizieren und eine Vermittlung an einen Facharzt aus ihrem Netzwerk zu ermöglichen.
Soweit die Bg vorgetragen habe, der App der ASt fehle eine nötige Zertifizierung als Medizinprodukt, sei dies falsch. Die App der ASt sei derzeit ein Medizinprodukt der Klasse I nach der Medical Device Regulation (MDR) und befinde sich im Zertifizierungsprozess für ein Medizinprodukt der Klasse IIa nach MDR wie seitens der Ag gefordert. Auf die Einstufung nach der alten RL 93/42/EWG komme es nicht mehr maßgebend an. Dies sei ausweislich der Dokumentation der Markterkundung durch die Ag auch nicht bezweifelt worden. Soweit die Bg anderer Auffassung sei und sich auf die wettbewerbsrechtliche Entscheidung des [
]berufe, beruft sich die ASt darauf, diese Entscheidung sei zu einer alten Version der ASt-App ergangen, die so nicht mehr genutzt werde. Diese folge näher aus einer Entscheidung des [
].
Die Ag könnten sich vor diesem Hintergrund nicht auf eine technische Alleinstellung der Bg berufen. Auch die Beschaffungsautonomie der Ag rechtfertige das Vorgehen der Ag nicht, weil die Vorgaben der Ag den Wettbewerb durch ihre Vorgaben künstlich eingeschränkt hätten. Die Ag habe somit aufgrund falscher Informationen entschieden, da sie ihre Markterkundung nur auf eine Internetrecherche reduziert habe und das Potential der Marktteilnehmer nicht durch eine direkte Recherche bei den Marktteilnehmern aufgeklärt habe.
Jedenfalls aber sei eine Direktvergabe nach § 14 Abs. 4 Nr. 2 lit. b) VgV auf der Grundlage dieser nur internen Markterkundung unzulässig. Eine Internetrecherche reiche nicht aus, um den objektiven Maßstäben zu genügen. So hätte über die Internetrecherche hinaus eine direkte Kontaktaufnahme der Ag mit den Marktteilnehmern wie der ASt Klarheit bringen können, ob diese auch Kassenrezepte ausstellen könne.
Die Ag hätten bei ihrer Entscheidung nach § 14 Abs. 4 Nr. 2 lit. b) VgV zudem den maßgeblichen Zeitpunkt für das Vorliegen des von ihr reklamierten Alleinstellungsmerkmals falsch bestimmt. Soweit die Vorschrift auf den Zeitpunkt der Aufforderung zur Angebotsabgabe abstelle, komme es im Sinne einer unionsrechtlichen Handhabung der Norm darauf an, dass von Anfang an klar sein müsse, dass ein offenes Verfahren nicht zu mehr Wettbewerb führe und sich ein Lieferant die vom Auftraggeber reklamierten besonderen Fähigkeiten oder Ausstattungen auch nicht bis zur Ausschreibung bzw. zum Zuschlagstermin aneignen bzw. erwerben könne. Diesen Maßgaben werde die Entscheidung der Ag - unabhängig davon, dass es an technischen Besonderheiten von herausragender Bedeutung ohnehin fehle - nicht gerecht, da auf der Grundlage der Anforderungen zum Zeitpunkt der Angebotsaufforderung keine sachgemäße Prognoseentscheidung habe getroffen werden können, ob weitere Marktteilnehmer ihre Leistungsfähigkeit im Laufe eines wettbewerblichen Vergabeverfahrens herstellen könnten.
Die von der Bg herangezogene Entscheidung des [
]unterstreiche die Nachweispflicht des öffentlichen Auftraggebers dafür, dass nach § 14 Abs. 6 VgV keine vernünftige Alternative oder Ersatzlösung am Markt verfügbar sein dürfe, wenn ein Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb gewählt werden solle. Es sei danach geboten, dass der Auftraggeber dem Markt durch eine Markterkundung die Möglichkeit geben müsse, die Leistungsanforderungen und den Beschaffungswunsch kennenzulernen, um in der zwischen Markterkundung und Auswertung liegenden Zeit, dem Markt die Möglichkeit zu geben, bis zum nach § 14 Abs. 4 Nr. 2 lit. b) VgV relevanten Zeitpunkt der Aufforderung zur Abgabe eines Angebotes eine Leistung zu präsentieren, die eine vernünftige Alternative bieten könne. Dies hätten die Ag mit ihrer Markterkundung nicht ermöglicht und damit der ASt keine Chance gegeben, bis zur Bekanntmachung der Direktvergabe auf sie mit einer Alternativlösung zugehen zu können. Die Ag hätten dies vielmehr umgangen. Sie hätten auf die bislang zu vorangegangenen Vergabeverfahren bzw. Beschaffungsvorhaben vorgebrachten Rügen der ASt immer suggeriert, ein wettbewerbskonformes Vergabeverfahren durchzuführen und hätten dann doch nur eine erneute Direktvergabe an die Bg beabsichtigt.
Die ASt beantragt,
1.den Ag zu untersagen, dem Zuschlag im Wege eines Verhandlungsverfahrens ohne Teilnahmewettbewerb an die Bg zu erteilen;
2.die Ag bei fortbestehender Beschaffungsabsicht zu verpflichten, ein EUweites Vergabeverfahren einzuleiten;
3.der ASt Einsicht in die Vergabeakten zu gewähren;
4.den Ag die Kosten (Gebühren und Auslagen) des Verfahrens sowie die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen der ASt aufzuerlegen;
5.die Hinzuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten für die ASt gemäß § 182 Abs. 4 GWB für notwendig zu erklären.
b) Die Ag beantragen,
1.den Nachprüfungsantrag zurückzuweisen;
2.der ASt die Kosten des Nachprüfungsverfahrens aufzuerlegen.
Die Ag halten den Nachprüfungsantrag für unzulässig, weil die ASt nicht antragsbefugt nach § 160 Abs. 2 GWB sei, jedenfalls aber für unbegründet.
Die Ag sind der Ansicht, die ASt sei bereits nicht antragsbefugt, weil sie offensichtlich nicht in ihren Rechten nach § 97 Abs. 6 GWB verletzt sei. Die Ag meinen, die ASt könne das geforderte Kriterium einer teledermatologischen Versorgung durch kassenärztlich zugelassene niedergelassene Dermatologen nicht erfüllen. Das folge daraus, dass die ASt ein anderes Geschäftsmodell als die Bg verfolge und mit einem Team von nur 22 fest angestellten Ärzten arbeite, dem die Patienten, die sich über die App meldeten, zugewiesen würden. Es sei nicht nachvollziehbar, dass von diesen fest angestellten Ärzten 20 Ärzte eine Kassenzulassung hätten. Die Ag hätten bei einer Suche auf den Internet-Seiten der KV-Bund die Nachnamen der Ärzte für eine bundesweite Suche angegeben, die auf der Website der ASt im Ärzte-Team aufgeführt würden und festgestellt, dass nur zwei Ärztinnen mit eigener Praxis niedergelassen seien; die übrigen seien in diesem Zusammenhang dort nicht auffindbar gewesen. Auch sei nach den Ausführungen der Bg im Nachprüfungsverfahren das Netzwerk der ASt an Kooperationspraxen nicht nachvollziehbar. Die ASt habe nach den näheren Darlegungen der Bg keine Kooperationspraxen in großen Städten oder auch in der Nähe großer Städte. Vor diesem Hintergrund sei die ASt nicht in der Lage, die nachgefragte Leistung erbringen zu können.
Jedenfalls sei der Nachprüfungsantrag unbegründet. Die Wahl des Verhandlungsverfahrens ohne Teilnahmewettbewerb nach § 14 Abs. 4 Nr. 2 lit. b) VgV sei rechtmäßig erfolgt. Im Zeitpunkt der Aufforderung zur Abgabe von Angeboten habe die geforderte Leistung nur von einem bestimmten Unternehmen erbracht werden können, weil aus technischen Gründen kein Wettbewerb vorhanden gewesen sei. Es habe keine vernünftige Alternative oder Ersatzlösung gegeben, ohne dass der Wettbewerb bzw. die Auftragsvergabeparameter unter Verstoß gegen § 14 Abs. 6 VgV künstlich eingeschränkt worden seien. Die Ag hätten folgende Kriterien festgelegt:
- Medizinprodukt nach Klasse IIa oder höher oder im Zertifizierungsprozess, sofern bereits ein Medizinprodukt der Klasse I vorhanden ist, jeweils zu Vertragsbeginn: Die Klassifizierung IIa oder höher sei notwendig, um hohe Standards für die Qualität und Sicherheit von Medizinprodukten, hier hinsichtlich der anzuwendenden Applikation, zu gewährleisten und allgemeine Sicherheitsbedenken auszuräumen. Durch das zugrunde liegende Konformitätsbewertungsverfahren werde sichergestellt, dass die technischen und sicherheitsrelevanten Anforderungen erfüllt würden. Medizinprodukte der Klasse IIa seien solche, die Informationen für diagnostische oder therapeutische Entscheidungen lieferten oder physiologische Prozesse kontrollierten.
- Plattformfunktion für Vertragsärzte für akute Hauterkrankungen: Diese Anforderung sei ein zwingendes Kriterium für die Leistungserbringen. Die Stärkung des Systems der niedergelassenen Vertragsärzte sei ein wesentlicher Baustein des gesetzlich verankerten Sachleistungsprinzips. Die Plattform solle durch die teilnehmenden niedergelassenen Hautärzte alle Diagnosen stellen können. Eine Einschränkung auf bestimmte Indikationen dürfe nicht erfolgen, damit die teledermatologischen Leistungen vergleichbar mit einem Vor-Ort-Besuch bei einem Dermatologen seien. Das Angebot solle in Bild-Text-Verfahren verfügbar sein, um die asynchrone Befundung von akuten Hautproblemen zu ermöglichen.
- Freie Arztauswahl und verfügbare Dermatologen in jedem Bundesland: Der Grundsatz der freien Arztauswahl sei in § 76 SGB V geregelt. Es sei den Ag wichtig, diesem Grundsatz umfänglich Rechnung zu tragen. Das Kriterium trage ferner den Vorgaben der ärztlichen Berufsordnungen Rechnung, wonach es Ärzten nicht gestattet sei, für die Zuweisung von Patienten ein Entgelt oder andere Vorteile sich versprechen oder gewähren zu lassen.
- Nahtlose und bruchfreie Versorgung: Dieses Kriterium gewährleiste, dass ein Patient von der teledermatologischen Untersuchung in die persönliche Behandlung bei demselben Arzt übergehen könne. Es solle verhindert werden, dass eine Zweitmeinung durch einen anderen Arzt eingeholt werde. Eine solche sei nach § 27b SGB V nur unter engen Voraussetzungen möglich. Das Kriterium der nahtlosen und bruchfreien Versorgung verhindere Informationsverluste und stärke das Patientenvertrauen, verhindere zudem Doppeluntersuchungen. Ferner könnten die teilnehmenden Vertragsärzte in der Online-Sprechstunde Kassenrezepte ausstellen, was den Aufwand für die Patienten verringere. So sei die medizinische Grundversorgung sichergestellt.
- Mehr als 300 frei auswählbare kassenärztlich zugelassene Dermatologen in Deutschland, die für den digitalen Haut-Check und eine mögliche Weiterbehandlung verfügbar sind: Die Ag benötigten zur Sicherstellung ihres gesetzlichen Auftrags eine regional flächendeckende Versorgung von mindestens 300 niedergelassenen Dermatologen in Deutschland bzw. mehr als 30 pro Einzugsgebiet der jeweiligen Krankenkasse, wobei die Entfernung zum vor Ort ausgewählten Hautarzt nicht mehr als 90-120 min betragen soll (regionale Präsenz): Die Zahl sei bedingt durch eine für den Versicherten zumutbaren Entfernung bis zum nächsten Dermatologen. Hierbei solle auch eine Versorgung außerhalb der jeweiligen Einzugsgebiete der Ag möglich sein. Die Anzahl der niedergelassenen Hautärzte pro Einzugsgebiet in den jeweiligen Bundesländern orientiere sich an der Versichertenzahl.
Die Ag hätten zwischen August 2024 und Mitte November 2024 ausführliche Internetrecherchen zum Zweck der Markterkundung durchgeführt und festgestellt, dass die Markteilnehmer bis auf die Bg die aufgestellten Anforderungen nicht erfüllten. Es seien zwei unterschiedliche Geschäftsmodelle gefunden worden, von denen nur das der Bg die Anforderungen erfülle:
- Das Modell der Bg gliedere sich in die vorhandene öffentlich-rechtlich organisierte Struktur der Vertragsärzte ein. Dies folge daraus, dass sich bereits über 300 niedergelassene Hautärzte deutschlandweit bei der Plattform der Bg angemeldet hätten und ihren Patienten den Online-Zugang zu reinem Hautcheck eröffneten. Diese Anzahl sei den Ag wichtig, damit die Versicherten auswählen könnten und so dem Sachleistungsprinzip des § 2 Abs. 2 S. 1 SGB V Rechnung getragen werden könne. Die ASt verfüge dagegen nur über 22 angestellte Fachärzte.
- Das Geschäftsmodell der Bg sehe ferner vor, dass die zur Teilnahme an der ambulanten vertragsärztlichen Versorgung der gesetzlichen Krankenversicherung zugelassenen Ärzte ggf. ein Kassenrezept ausstellen könnten. Das Geschäftsmodell der ASt sehe das grundsätzlich nicht vor.
- Das Modell der Bg gewährleiste den Grundsatz der freien Arztwahl, da sich der Patient bei der Bg vor der Behandlung aus einer umfangreichen Liste einen Arzt für die Behandlung selbst aussuchen könne. Bei der ASt werde dem Patienten ein Arzt für die Behandlung zugewiesen, wodurch das Ziel der Ag, dem Grundsatz der freien Arztwahl größtmöglich Rechnung zu tragen, nicht erreicht werde.
- Die Bg biete den Patienten schließlich durch ihr großes Netzwerk die Möglichkeit, dass die daran beteiligten niedergelassenen Ärzte zunächst eine Online-Sprechstunde durchführen könnten und bei Bedarf die weitere Behandlung in deren Praxis stattfinden könne. Die ASt könne nach der Online-Befundung lediglich auf mit ihr kooperierende Ärzte verweisen, ohne dass nachvollziehbar sei, wie dieses Netzwerk funktioniere. Dadurch könne die ASt der Anforderung an eine nahtlose, bruchfreie Versorgung nicht gerecht werden. Soweit sich aus den von der ASt im Internet zur Verfügung gestellten Informationen ergebe, dass sie Online-Patienten für eine Vor-Ort-Konsultation Praxen aus ihrem Kooperationsnetzwerk empfehle und dort aufgrund eines ausgestellten Arztbriefes durch die ASt kein Erstgespräch mehr erforderlich sei, sei dies im Hinblick auf § 10 der Musterberufsordnung für Ärztinnen und Ärzte bedenklich. Dies gelte auch im Hinblick auf § 31 der Musterberufsordnung. Den Ag ginge es nicht um die Möglichkeit der Patienten, eine Zweitmeinung einzuholen. Dies sei im Hinblick auf § 27b SGB V nur erforderlich, wenn beim Versicherten eine Indikation zu einem planbaren Eingriff gestellt worden sei, bei dem die Gefahr einer Indikationsausweitung nicht auszuschließen sei. Die Anforderung einer nahtlosen, bruchfreien Versorgung sei von den Ag vorgegeben worden, um zu gewährleisten, dass der die Online-Diagnose stellende Arzt den Patienten ggf. sofort in seine Praxis einbestellen könne und dann die medizinische Lage bereits kenne. Diese Versorgung müsse elementarer Bestandteil der Leistungserbringung sein, weil sich die Ag davon eine Verhinderung von Informationsverlusten, eine Stärkung des Patientenvertrauens und eine Verringerung von Doppeluntersuchungen verspreche. Dies trage zur Senkung von Kosten der gesetzlichen Krankenkassen bei und trage so dem Grundsatz der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit und damit der Versorgungssicherheit Rechnung.
c) Die mit Beschluss vom 6. Dezember 2024 förmlich zum Nachprüfungsverfahren hinzugezogene Bg beantragt,
1.Der Nachprüfungsantrag wird zurückgewiesen.
2.Die ASt trägt die Kosten des Verfahrens.
3.Die Hinzuziehung des Verfahrensbevollmächtigten der Bg wird für notwendig erklärt.
Die Bg hält den Nachprüfungsantrag mangels Antragsbefugnis der ASt für unzulässig, weil die ASt keine Chance auf den Zuschlag in einem Vergabewettbewerb haben könne. Das folge daraus, dass die ASt keine bruchfreie Weiterbehandlung nach einer teledermatologischen Behandlung anbieten könne. Die ASt besitze zudem nicht die erforderliche Zertifizierung ihrer App und werde dem Kriterium der regionalen Präsenz nicht gerecht.
In der Sache seien die Voraussetzungen des § 14 Abs. 4 Nr. 2 lit. b) VgV und das Alleinstellungsmerkmal der Bg gegeben. Die Ag hätten ihr Leistungsbestimmungsrecht fehlerfrei ausgeübt und mit den gesetzten Anforderungen keine künstliche Einschränkung der Auftragsvergabeparameter vorgenommen. Alle Kriterien seien sachgemäß, denn sie folgten dem sozialversicherungsrechtlichen Leitbild, dem die Ag verpflichtet seien. Es gehe bei den Erwägungen der Ag wie der Vermeidung von Doppelabrechnungen und einer möglichst kurzen Genesungszeit mit Blick auf das Patientenwohl um überragend wichtige Ziele des Gesundheitssystems, die im Leistungsangebot der gesetzlichen Krankenkassen und deren Beschaffungen unzweifelhaft berücksichtigt werden dürften.
Die Bg habe mit ihrem Geschäftsmodell zum relevanten Zeitpunkt ein Alleinstellungsmerkmal. Es komme darauf an, dass eine Ausschließlichkeitssituation vorliege, die sich - wie aus dem Erwägungsgrund Nr. 50 der RL 2014/24/EU folge - beispielsweise daraus ergeben könne, dass die Erbringung von Leistungen für einen anderen Wirtschaftsteilnehmer technisch nahezu unmöglich sei. Es reiche daher aus, wenn die für die Leistungserbringung geeignete Ausrüstung nur von einem einzigen Unternehmen vorgehalten werde, ohne dass es darauf ankomme, dass andere Unternehmen dies ggf. zu einem späteren Zeitpunkt nach der Aufforderung zur Abgabe von Angeboten grundsätzlich auch könnten. Insofern komme es nach § 14 Abs. 4 Nr. 2 lit. b) VgV, wofür die Bg auf die jüngste Entscheidung des [
]abstellt, nicht auf eine sofortige Leistungsfähigkeit an, sondern einen gewissen Zeitraum, so bei einer Lieferleistung auf die kurzfristige Beschaffung von Material. Das Geschäftsmodell der Bg erfülle nach den zutreffenden Feststellungen der Ag aus der Markterkundung alle Anforderungen zu diesem relevanten Zeitpunkt.
Die ASt erfülle die Anforderungen der Ag dagegen nicht. Dies gelte zunächst für den Aspekt der freien Arztwahl nach § 76 SGB V. In der App der ASt erfolge die teledermatologische Erstdiagnose durch einen dem Patienten seitens der ASt zugewiesenen Facharzt, was die freie Arztwahl systematisch ausschließe.
Die Anforderung der bruchfreien Versorgung, die einer effizienten Behandlung diene und redundante Diagnosen und Kosten vermeiden solle, könne auf diese Weise ebenfalls nicht gewährleistet werden. Denn eine Weiterbehandlung vor Ort könne nur durch Vermittlung an eine Kooperationspraxis der ASt erfolgen, die nicht mit dem Team der ASt identisch sei. Die sich so ergebende Zweitmeinung sei nicht sinnvoll, sondern werde nach § 27b SGB V nur in bestimmten Fällen zugelassen.
Die regionale Verfügbarkeit könne die ASt ebenfalls nicht gewährleisten. Die Ag hätten für die Erreichbarkeit der Fachärzte vor Ort einen zumutbaren Zeitaufwand von 90-120 min vorgegeben. Es sei zweifelhaft, dass die ASt diese Anforderung mit ihrem Netzwerk erfüllen könne. Hierzu hat die Bg näher vorgetragen, indem sie Ergebnisse von durch sie durchgeführte Testanfragen präsentiert, aus denen sich ergeben soll, dass die ASt in verschiedenen Ballungsgebieten nicht über Fachärzte in ihrem Netzwerk verfügt. Die ASt regt an, dass die Vergabekammer Nachweise über das Bestehen eines bundesweiten Kooperationsnetzwerkes zwischen der ASt und Dermatologen von dieser vorlegen lassen solle.
Schließlich könne für die App der ASt die medizinproduktrechtlich erforderliche Zertifizierung nicht nachgewiesen werden, wozu die Bg näher unter Hinweis auf eine Entscheidung des [
] vorträgt. Infolge dieser Entscheidung habe die ASt den Verwendungszweck ihrer App geändert. Diese sei danach nur ein Hilfsmittel für das Patientenmanagement und die Kommunikation. Diese Zweckänderung habe die ASt vorgenommen, nachdem das [
]entschieden habe, dass die App der ASt als Medizinprodukt der Risikoklasse IIa nach der EU-Medizinprodukteverordnung (MDR) einzuordnen und daher entsprechend zu zertifizieren sei, mangels Zertifizierung aber einem Verkehrsverbot unterliege. Eine solche Zweckänderung der App dahin, dass sie lediglich dem Patientenmanagement diene, ziehe die Frage nach sich, ob die ASt damit dem von den Ag definierten Leistungsgegenstand entsprechen könne, nämlich eine Plattform für dermatologische Telekonsultationen bereitzustellen.
3. Die Vergabekammer hat der ASt nach Anhörung und mit Zustimmung der Ag Einsicht in die Vergabeakte gewährt, soweit Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse nicht betroffen waren. Auf die ausgetauschten Schriftsätze, die elektronische Vergabeakte, soweit sie der Vergabekammer vorgelegen hat, sowie auf die Verfahrensakte der Vergabekammer wird verwiesen. Die mündliche Verhandlung hat am 17. Januar 2025 stattgefunden.
Die Vergabekammer hat die reguläre fünfwöchige Entscheidungsfrist mit Verfügung der Vorsitzenden der Vergabekammer vom 18. Dezember 2024 nach § 167 Abs. 1 S. 2 GWB bis zum 31. Januar 2025 verlängert.
Die Vergabekammer hat in der mündlichen Verhandlung vom 17. Januar 2025 darauf hingewiesen, dass die Ag zwar den Beschaffungsgegenstand aus Sicht der Kammer sachgemäß definiert hätten, die Vergabekammer allerdings den Nachprüfungsantrag im Ergebnis für begründet hält und eine Abhilfe durch die Ag angeregt. Die Ag haben mit Schreiben vom 22. Januar 2025 mitgeteilt, weiter an ihren Anträgen festzuhalten.
II.
Der Nachprüfungsantrag ist zulässig (1.) und begründet (2.).
1. Der Nachprüfungsantrag ist zulässig.
a) Der Nachprüfungsantrag ist statthaft.
aa) Zugrunde liegt ein öffentlicher Dienstleistungsauftrag nach § 103 Abs. 1 und 4 GWB. Die Ag sind als gesetzliche Krankenkassen öffentliche Auftraggeber gemäß § 99 Nr. 2 GWB (vgl. grundlegend EuGH, Urteil vom 11. Juni 2009, Rs. C-300/07).
Der gemäß § 106 Abs. 1 GWB maßgebliche Schwellenwert für öffentliche Dienstleistungsaufträge ist ausweislich des Vergabevermerks vom 20. November 2024 (Ziff. 3) überschritten.
bb) Die Vergabekammer des Bundes ist im Hinblick auf § 159 Abs. 1 Nr. 6 GWB zuständig.
b) Die ASt ist antragsbefugt nach § 160 Abs. 2 GWB. Das nach § 160 Abs. 2 S. 1 GWB erforderliche Interesse der ASt am ausgeschriebenen Auftrag hat die ASt durch ihre Rügen und den Nachprüfungsantrag sowie ihre Darlegungen im Nachprüfungsverfahren hinreichend nachgewiesen.
Das für die Antragsbefugnis erforderliche Interesse am Auftrag wird in der Regel durch die Angebotsabgabe dokumentiert. Soll der Zuschlag ohne vorherige Durchführung eines wettbewerblichen Vergabeverfahrens direkt an ein Unternehmen vergeben werden, hat grundsätzlich jedes Unternehmen ein Interesse an dem Auftrag, das sich am Vergabeverfahren hätte beteiligen können. Dazu reicht es in der Regel aus, wenn das Unternehmen zu der in Betracht kommenden Branche gehört und damit generell dafür eingerichtet ist, Aufträge dieser Art auszuführen (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 30. September 2020, VII-Verg 16/20). Gleichwohl bedarf es eines objektiv feststellbaren wirtschaftlichen Interesses des Antragstellers gerade an dem konkreten Auftrag (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 17. Juni 2020, VII-Verg 39/19). Sinn und Zweck dieser Anforderung an die Antragsbefugnis ist es zu verhindern, dass ein Vergabenachprüfungsverfahren durchgeführt und die Beschaffung dementsprechend verzögert wird, wenn tatsächlich kein wirtschaftliches Interesse an dem konkreten Auftrag besteht und es damit ausschließlich um eine objektive Rechtmäßigkeitskontrolle ohne eigenes Interesse an dem konkreten Auftragt geht (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 18. August 2021, VII-Verg 52/20). Auch entfällt die Antragsbefugnis nach § 160 Abs. 2 S. 1 GWB, wenn ein Unternehmen nicht mehr bereit ist, den ausgeschriebenen Auftrag mit dem vom Auftraggeber vorgesehenen Inhalt abzuschließen, und das auch hinreichend zu erkennen gibt; die bekundete Bereitschaft, den Auftrag nur mit einem davon abweichenden Inhalt annehmen zu wollen, führt daher grundsätzlich zur Unzulässigkeit des Nachprüfungsantrags (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 30. September 2020, VII-Verg 15/20 sowie Beschluss vom 21. Juli 2010, VII-Verg 19/10).
Die ASt hat allerdings ihr Interesse an dem von den Ag konkret zu vergebenden Auftrag nach dem von ihnen definierten Beschaffungsgegenstand plausibel dargelegt, so dass keine ernstlichen Zweifel an ihrem wirtschaftlichen Interesse bestehen. Insofern ist ebenfalls zu berücksichtigen, dass der Antragsbefugnis nach § 160 Abs. 2 GWB nur die Funktion eines groben Filters zukommt und an die im Hinblick auf Art. 19 Abs. 4 GG und im Interesse des unionsrechtlich etablierten effektiven primären Vergaberechtsschutzes keine allzu strengen Anforderungen zu stellen sind (vgl. BVerfG, Beschluss vom 29. Juli 2004, 2 BvR 2248/03).
Die ASt ist ein Fachunternehmen, das grundsätzlich auf dem von den Ag angesprochenen Markt der medizinischen Online-Diagnostik tätig und daher im Grundsatz in der Lage ist, die nachgefragten Leistungen ausführen zu können. Die Ag haben in ihrer Dokumentation der Markterkundung insbesondere festgestellt, dass die App der ASt sich im Zertifizierungsprozess für ein von ihr gefordertes Medizinprodukt der Klasse IIa nach der EU-Medizinprodukteverordnung befindet. Sie haben diese Anforderung in zutreffender Weise im Lichte der vergaberechtlichen Grundsätze des § 97 Abs. 1, 2 GWB wettbewerbsoffen interpretiert und die App der ASt somit grundsätzlich als für die nachgefragten Plattformdienste in Betracht kommend eingeordnet.
Die ASt hat ferner in ihren schriftsätzlichen Stellungnahmen und auf ausdrückliche Nachfrage in der mündlichen Verhandlung bestätigt, ihr Geschäftsmodell auf eine etwaige Ausschreibung des streitgegenständlichen Beschaffungsbegehrens anpassen und entsprechend anbieten zu wollen und zu können, auch wenn es der ASt vorrangig um die Zulassung ihres, auf die Durchführung der medizinischen Online-Beratung durch ihre angestellten Ärzte gerichteten Modells geht. Dem steht nicht entgegen, das sie - wie von den Ag schriftsätzlich am 22. Januar 2025 vorgetragen - im April 2024 in einer Rüge gegen die Ausschreibung entsprechender Leistungen in einem offenen Verfahren gegenüber der Ag zu 4) erklärt hat, eine Orientierung der Ag an einem der bekannten unterschiedlichen Geschäftsmodelle schließe das jeweils andere Geschäftsmodell von der Vergabe aus, in der Kürze der Zeit einer Vergabe sei nämlich kein Aufbau anderer Strukturen möglich. Die Ag zu 4) hat seinerzeit zunächst eine von ihr bekannt gemachte Direktvergabe an das Unternehmen der Bg und sodann ihr offenes Verfahren auf die Rügen der ASt hin aufgehoben und ausweislich der von der ASt vorgelegten Rügeantwortschreibens vom 12. Februar 2024 und 26. April 2024 (vgl. Anlagen ASt 4 und ASt 5) mitgeteilt, die Anforderungen zu überarbeiten. Ein entsprechendes Vergabeverfahren wurde von der Ag zu 4) aber bislang nicht erneut bekannt gemacht. Vielmehr haben die Ag zu 1) bis 5) die streitgegenständliche Direktvergabe bekannt gemacht, deren Anforderungen wiederum im Wesentlichen denen der aufgehobenen Vergabeverfahren der Ag zu 4) entsprechen. Damit musste die ASt angesichts der gegenteiligen Aussagen der Ag zu 4) nicht zwingend rechnen, so dass ihr auch nicht vorgehalten werden kann, dass ihr ein Aufbau entsprechender Strukturen nicht möglich gewesen sei. Denn angesichts der vorausgegangenen gegenteiligen Aussagen der Ag zu 4) musste sie jedenfalls nicht davon ausgehen, dass die von ihr bis dato bemängelten Anforderungen erneut ohne wesentliche Änderungen ausgeschrieben werden würden - unabhängig davon, ob - worauf noch einzugehen sein wird - der Beschaffungsbedarf der Ag grundsätzlich fehlerfrei definiert worden ist. Denn mangels einer den Maßgaben des § 28 VgV entsprechenden Markterkundung, die lediglich aus einer rein Aginternen Internetrecherche bestand, konnte der Markt, zu dem die Ag ausweislich der dokumentierten Auswertung ihrer allein durchgeführten Internetrecherche auch die ASt zählen, sich gar nicht auf den spezifischen Beschaffungsbedarf der Ag einstellen.
Die ASt hat zwar auch in der mündlichen Verhandlung darauf hingewiesen, dass es ihr vorrangiges Interesse sei, eine möglichst modelloffene Ausschreibung durchzusetzen, um so grundsätzlich auch auf der Grundlage ihres Geschäftsmodells anbieten zu können, sie aber sehr wohl in der Lage und willens sei, Adaptionen vorzunehmen, wenn Krankenkassen wie die Ag dies so vorgäben. Damit hat sie jedenfalls bekundet, auch ein Angebot abgeben zu können, das den von den Ag vorgegebenen Inhalten entsprechen kann. Die mündliche Verhandlung hat hierzu ergeben, dass die Hürden für den konkret definierten Beschaffungsbedarf der Ag nicht derart hoch sind, dass Unternehmen, die andere Geschäftsmodelle als das der Bg verfolgen, unmöglich in der Lage sein können, bedarfsgerechte Angebote abgeben zu können, ggf. - worauf die ASt ausdrücklich hingewiesen hat - im Rahmen von Bietergemeinschaften oder unter Einbeziehung von geeigneten Subunternehmern. Die App der ASt befindet sich unstreitig im entsprechenden Zertifizierungsprozess; die erforderlichen vertraglichen Einbindungen niedergelassener und zugelassener Fachärzte stellt sich danach im Grundsatz nicht als unüberwindbare Hürde dar. Die ASt hat selbst darauf hingewiesen, dass es Praxisverbünde gebe, denen zahlreiche Hautärzte angeschlossen seien; könne man einen Praxisverband als Kooperationspartner gewinnen, so hätte man auf einen Schlag z.B. 100 Ärzte von den Agseitig vorausgesetzten 300 Ärzten gewonnen. Zwischen den Verfahrensbeteiligten war es auf Nachfrage der Vergabekammer in der mündlichen Verhandlung auch unstreitig, dass ein Hautarzt sich gegenüber mehreren Anbietern der für die nachgefragten Plattformdienste benötigten Apps binden kann, so dass es nicht ausgeschlossen ist, dass Marktteilnehmer die erforderliche Anzahl niedergelassener und zugelassener Hautärzte gewinnen können.
Ein wirtschaftliches Interesse der ASt am konkreten Auftragsgegenstand der Ag kann vor diesem Hintergrund nicht ausgeschlossen werden, ebenso wenig wie ein potentieller Schaden, § 160 Abs. 2 . Die von den Ag durchgeführte Markterkundung, worauf noch in der Begründetheit einzugehen ist, hat überdies gerade keinen Beleg dafür liefern können, dass die Bg die nachgefragte Leistung exklusiv erbringen könnte. Den Ag war auf der Grundlage ihrer nur intern und entgegen
§ 28 Abs. 1 VgV ohne Marktkonsultation durchgeführten Internetrecherche zu dem für ihre Entscheidung nach § 14 Abs. 4 Nr. 2 lit. b) VgV relevanten Zeitpunkt gar keine Prognose möglich, dass nur ein Unternehmen die nachgefragte Leistung liefern kann und Wettbewerb - auch unter Berücksichtigung von Bietergemeinschaften oder Subunternehmern - ausgeschlossen ist. Marktteilnehmern wie der ASt ist auf diese Weise vielmehr die Möglichkeit genommen worden, eine den Beschaffungsbedarf abdeckende Lösung bis zum von den Ag in ihren Anforderungen grundsätzlich avisierten Zeitpunkt des Vertragsbeginns entwickeln und anbieten zu können, obwohl dies im Hinblick auf die geringen Marktzutrittsschranken nicht ausgeschlossen erscheint.
Die von der ASt bemängelten Vergaberechtsverstöße stützt sie auf ohne Weiteres bieterschützende Vorschriften gemäß § 160 Abs. 2 S. 1 GWB, § 97 Abs. 6 GWB. Vor diesem Hintergrund droht ihr nach § 160 Abs. 2 S. 2 GWB ein entsprechender Schaden, da sie keine Chance auf einen Zuschlag in einem erforderlichen wettbewerblichen Vergabeverfahren hat.
c) Die ASt ist ihrer Rügeobliegenheit nach § 160 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 GWB rechtzeitig nachgekommen.
d) Der Nachprüfungsantrag ist rechtzeitig innerhalb der Frist nach § 160 Abs. 3 S. 1 Nr. 4 GWB bei der Vergabekammer des Bundes eingereicht worden.
2. Der Nachprüfungsantrag ist teilweise begründet. Zwar haben die Ag ihren Beschaffungsgegenstand sachgemäß definiert, sie haben auch die Auftragsvergabeparameter nicht entgegen § 14 Abs. 6 VgV künstlich eingeschränkt (a). Allerdings liegen die Voraussetzungen für die Wahl des Vergabeverfahrens ohne Teilnahmewettbewerb nach § 14 Abs. 4 Nr. 2 lit. b) VgV nicht vor (b).
a) Der Beschaffungsgegenstand ist vergaberechtskonform festgelegt worden. Eine Wettbewerbseinengung durch künstliche Einschränkung der Auftragsvergabeparameter und damit ein Verstoß gegen § 14 Abs. 6 VgV ist nicht festzustellen.
aa) Öffentliche Auftraggeber sind grundsätzlich in der Bestimmung ihres Beschaffungsgegenstandes frei; dieser muss gleichwohl willkür- bzw. diskriminierungsfrei festgelegt worden sein und sich aus sachlichen und auftragsbezogenen Gründen rechtfertigen lassen (std. Rspr., vgl. nur OLG Düsseldorf, Beschluss vom 14. September 2016 - VII-Verg 1/16, Beschluss vom 17. August 2022 - VII-Verg 53/21, jeweils m.w.N.). Diesen Anforderungen wird der Beschaffungsgegenstand der Ag gerecht.
Die Modelle der ASt und das der Bg, für welches die Ag sich entschieden haben, unterscheiden sich grundlegend. Die ASt bietet mit ihrem Modell nicht nur eine Plattform an, welche durch niedergelassene Ärzte zur Online-Beratung genutzt wird, sondern sie bietet darüber hinaus auch die medizinische Beratung als Dienstleistung als solche an, nämlich durch ihre 22 angestellten Ärzte. Die Ag haben sich für das reine Plattformmodell, bei dem der Auftragnehmer eine App zur Verfügung stellt, die medizinische Beratungsleistung jedoch durch niedergelassene und kassenärztlich zugelassene Fachärzte durchgeführt wird, die auch die etwaige anschließende Vor-Ort-Weiterbehandlung durchführen, entschieden. Diese Entscheidung ist auftragsbezogen und gedeckt durch einen sachlichen Grund. Zu Recht weisen die Ag darauf hin, dass sie an vorhandene Strukturen - die niedergelassenen dermatologischen Praxen - anknüpfen wollen anstatt parallele Strukturen - in Gestalt von angestellten Ärzten eines Auftragnehmers - aufzubauen. Ein Grund hierfür ist die Gewährleistung einer nahtlosen und bruchfreien Versorgung ihrer Versicherten. Auf diese Weise sehen die Ag doppelte Behandlungsstrukturen, die zu entsprechenden Mehrkosten zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung führen können, vermieden. Gleichzeitig halten die Ag auf diese Weise die ihren Versicherten grundsätzlich zustehende freie Arztwahl für bestmöglich sichergestellt. All dies sind fraglos sachliche Gründe, die sich aus den von den Ag zu beachtenden regulatorischen Rahmenbedingungen des Sozialversicherungsrechts ergeben. Es steht außer Frage, dass diese Erwägungen, die zur Festlegung des streitgegenständlich definierten Beschaffungsbedarfs auf Seiten der Ag geführt haben, auftragsbezogen sind. Die Ag haben in der mündlichen Verhandlung hervorgehoben, dass es ihnen bei ihrer Beschaffung auch darum gegangen sei, ein Signal an die niedergelassene Fachärzteschaft zu geben, um zu verhindern, dass niedergelassene Hautärzte Praxen schließen und die von den Ag für wichtig erachtete Möglichkeit der Vor-Ort-Behandlungsmöglichkeit durch niedergelassene Hautärzte, nicht durch Parallelstrukturen zu gewährleisten. Dass es andere Krankenkassen geben mag, die - wie die ASt ausgeführt hat - ihren Beschaffungsbedarf anders definiert haben, was der ASt ermöglicht habe, auf der Grundlage ihres Geschäftsmodells ohne grundlegende Modifikationen - erfolgreich - anbieten zu können, steht dem nicht entgegen; unstreitig ist, dass auch die ASt eine kompetente Online-Beratung mit ihren angestellten Ärzten durchführen kann. Daraus folgt aber nicht, dass die Ag sich eine Leistung - die ärztliche Beratungsleistung - als Teil des Beschaffungsgegenstand aufdrängen lassen müssen, den sie gar nicht beschaffen wollen. Insoweit besteht kein offener Beschaffungsbedarf, denn die Erbringung der medizinischen Beratungsleistung ist über die niedergelassenen Hautärzte bereits gesichert. Das Gleichbehandlungsgebot erfasst nicht Umstände, die nicht auf die Ausschreibung zurückzuführen sind, sondern die aus der unterschiedlichen Marktstellung der teilnehmenden Unternehmen resultieren; es besteht keine Verpflichtung eines Auftraggebers, unabhängig von der konkreten Ausschreibung bestehende Wettbewerbsvorteile und -nachteile auszugleichen (vgl. BayObLG, Beschluss vom 29. Juli 2022 - Verg 13/21).
bb) Auch die auf dieser Grundlage von den Ag vorgegebenen Anforderungen für die ausgeschriebene Plattform für dermatologische Telekonsultationen sind dementsprechend sachgemäß und stellen keine künstlichen Einschränkungen der Auftragsvergabeparameter i. S.d. § 14 Abs. 6 VgV bzw. eine unzulässige produktspezifische Ausschreibung i.S.d. § 31 Abs. 6 VgV dar. Diese Vorschriften sind eine Ausprägung des vergaberechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes bzw. Nichtdiskriminierungsgebotes nach § 97 Abs. 2 GWB, dessen Maßgaben die Ag insofern eingehalten hat.
Die Vorgaben des Medizinprodukts nach Klasse IIa oder eines im Zertifizierungsprozess befindlichen Produkts nach Klasse I, der Plattformfunktion, der freien Arztauswahl und verfügbaren Dermatologen in jedem Bundesland sowie der nahtlosen, bruchfreien Versorgung und der frei auswählbaren kassenärztlich zugelassenen niedergelassenen Dermatologen in Deutschland und pro Einzugsgebiet der jeweiligen Krankenkassen als Konkretisierung der regionalen Präsenz folgen unmittelbar aus dem sachgemäß definierten Beschaffungsgegenstand. Auch zu den für die letzten beiden Kriterien vorgegebenen Mindestanzahlen von 300 frei auswählbaren kassenärztlich zugelassenen niedergelassenen Dermatologen bzw. 30 pro Einzugsgebiet der jeweiligen Krankenkasse sind auftragsbezogen und sachgemäß. Die Ag verfolgen damit das Ziel der bestmöglichen Gewährleistung der freien Arztauswahl und einer nahtlosen, bruchfreien Versorgung, so dass daran nichts Unsachgemäßes festzustellen ist.
Daran ändert auch nichts, dass die ASt meint, die Ag hätten sich mit dieser Zahl am Netzwerk der Bg orientiert. Die Ag haben zu den von ihnen vorgegebenen Anforderungen an den Umfang der auswählbaren niedergelassenen Kassenärzte lediglich darauf hingewiesen, dass sich das Modell der Bg in die die vorhandene öffentlich-rechtlich organisierte Struktur der Vertragsärzte eingliedere, was daraus folge, dass sich bereits über 300 niedergelassene Hautärzte deutschlandweit bei der Plattform der Bg angemeldet hätten und ihren Patienten den Online-Zugang zu reinem Hautcheck eröffneten. Damit nehmen die Ag Bezug auf das Modell der Bg, ohne dass daraus aber hervorgeht, dass die Ag sich damit spezifisch an den Zahlen der Bg orientiert hätte. Die Ag knüpfen damit vielmehr an ihren sachgemäßen Beschaffungsgegenstand an. In diesem Zusammenhang ist nachvollziehbar, dass eine hinreichende Anzahl an Ärzten erforderlich ist, um in diesem Rahmen eine entsprechende Versorgung zu gewährleisten. Insofern muss das Ziel der Ag berücksichtigt werden, dies durch eine hinreichende niedergelassene fachärztlich Kassenärzteschaft zu gewährleisten. Die Ag haben insofern zudem ausgeführt, dass die von ihr vorgegebenen zahlenmäßigen Anforderungen bedingt seien durch eine für den Versicherten zumutbaren Entfernung bis zum nächsten Dermatologen. Vor diesem Hintergrund sind die von den Ag festgelegten zahlenmäßigen Anforderungen nicht zu beanstanden.
Schließlich hat auch die ASt hat in der mündlichen Verhandlung eingeräumt, dass es grundsätzlich möglich ist und auch ihr selbst möglich wäre, diese Zahlenvorgaben abdecken zu können, ggf. durch Kooperation mit anderen Marktteilnehmern, die über entsprechende angeschlossene Fachärzte, insbesondere Praxisverbünde mit einer Vielzahl angeschlossener Ärzte, verfügen.
b) Es ist allerdings nicht festzustellen, dass die Voraussetzungen des § 14 Abs. 4 Nr. 2 lit. b) VgV erfüllt sind, so dass das von den Ag gewählte Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb, mithin der Weg der Direktvergabe an die Bg, fehlerhaft ist.
Nach § 119 Abs. 2 GWB steht öffentlichen Auftraggebern das offene Verfahren und das nicht offene Verfahren, das stets einen Teilnahmewettbewerb erfordert, nach ihrer Wahl zur Verfügung. Die anderen Verfahrensarten stehen nur zur Verfügung, soweit dies aufgrund des 4. Teils des GWB gestattet ist. Die Wahl eines Verhandlungsverfahrens ohne Teilnahmewettbewerb ist vor diesem Hintergrund in § 14 Abs. 4 VgV als Ausnahmetatbestand ausgestaltet, was bedingt, dass die dortigen Tatbestände stets im Lichte der vergaberechtlichen Grundsätze nach § 97 Abs. 1, 2 GWB strikt zu handhaben sind. § 14 Abs. 4 Nr. 2 VgV verlangt vor diesem Hintergrund, dass der öffentliche Auftraggeber, der sich darauf berufen will, anhand einer hinreichend dokumentierten Markterkundung nachweisen muss, dass zum Zeitpunkt der Aufforderung zur Angebotsabgabe der Auftrag objektiv nur von einem bestimmten Unternehmen erbracht werden kann (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 12. Juli 2017, VII-Verg 13/17).
Dass für den von den Ag beabsichtigten Auftrag gemäß § 14 Abs. 4 Nr. 2 lit. b) VgV objektiv und alternativlos nur das Unternehmen der Bg in der Lage ist, die Leistungen zu erbringen, und ein Wettbewerb um die nachgefragten Leistungen objektiv ausgeschlossen ist, kann danach nicht festgestellt werden.
Für Auftragsinteressenten, die - wie die ASt - generell auf dem Markt der medizinischen Onlinediagnostik tätig sind, hat die mündliche Verhandlung ergeben dass es grundsätzlich möglich ist, eine von den Ag nachgefragte Onlineplattform zu etablieren, so dass ein potentieller Wettbewerb möglich ist und keine allzu hohen Marktzutrittsschranken bestehen. Die ASt hat bestätigt, dass die rein technischen Voraussetzungen einfach zu etablieren sind. Eine Anzahl von bundesweit mindestens 300 teilnehmenden Hautärzten ist, ebenfalls laut ASt in der mündlichen Verhandlung, ebenso wenig eine große Hürde; es sei erneut auf Verbünde von Hautarztpraxen verwiesen, die es ermöglichten, etwa 100 Ärzte "auf einen Schlag" zu gewinnen, wenn sich der Verbund anschließe. Für die Ärzte besteht auch keinerlei Hindernis, sich mehreren Online-Anbietern anzuschließen, also keine Exklusivitätsverpflichtung; im Gegenteil hat die Kooperation mit mehreren Anbietern den Vorteil, dass die Versicherten verschiedener Krankenkassen mit Online-Angeboten durch denselben Arzt bedient werden können, je nach dem, mit welchem Anbieter die Kasse einen Vertrag hat. Wenn die Ag als Ergebnis ihrer Internetrecherchen festgestellt haben, dass derzeit nur die Bg das gewünschte Modell anbietet, so greift dieses Abstellen allein auf die aktuelle Marktlage zu kurz. Die Ag hätten die Überlegung, dass Marktteilnehmer relativ schnell auf das nachgefragte Modell hätten einschwenken können, mit einbeziehen müssen. Bei dieser Sachlage kann eben gerade nicht nur ein bestimmtes Unternehmen den Auftrag erbringen, weil aus technischen Gründen kein Wettbewerb vorhanden ist.
Es kommt hinzu, dass die von den Ag durchgeführte Markterkundung keinen Beleg dafür liefern kann, dass nur die Bg die nachgefragte Leistung alternativlos erbringen kann. Die nach § 14 Abs. 4 Nr. 2 VgV erforderliche Prognose, dass zum Zeitpunkt der Aufforderung zur Angebotsabgabe nur ein Unternehmen die nachgefragte Leistung liefern könne, ist den Ag auf der Grundlage ihrer nur intern und entgegen den ausdrücklichen Vorgaben des § 28 Abs. 1 VgV ohne Marktkonsultation durchgeführten Internetrecherche nicht möglich. § 28 Abs. 1 VgV schreibt explizit vor, dass eine vor Einleitung eines Vergabeverfahrens durchzuführende Markterkundung nicht nur der Vorbereitung der Auftragsvergabe auf Seiten des öffentlichen Auftraggebers dient, sondern auch "zur Unterrichtung der Unternehmen über seine Auftragsvergabepläne und -anforderungen" zu erfolgen hat. Dies soll dem Markt ermöglichen, sich auf einen kommenden, ggf. spezifischen Bedarf einzustellen und sich ggf. auf ein entsprechendes Beschaffungsvorhaben vorbereiten zu können (vgl. jüngst OLG Hamburg, Beschluss vom 6. April 2024, 1 Verg 1/23 zu § 14 Abs. 4 Nr. 2 lit. b) VgV). Dem sind die Ag nicht gerecht geworden.
Abzustellen ist nach § 14 Abs. 4 Nr. 2 VgV auf den Zeitpunkt der Aufforderung zur Abgabe des Angebotes. Im Lichte der vergaberechtlichen Grundsätze ist diese Maßgabe so auszuglegen, dass der öffentliche Auftraggeber, der sich auf diesen Ausnahmetatbestand berufen will, zu diesem Zeitpunkt eine Prognose anzustellen hat, um abzuschätzen, ob die Leistung in absehbarer Zeit, grundsätzlich bis zum Vertragsbeginn bzw. dem Zeitpunkt der Leistungserbringung, tatsächlich nur von einem Unternehmen erbracht werden kann und somit absehbar kein Wettbewerb zwischen mehreren Marktteilnehmern möglich sein wird (vgl. VK Bund, Beschluss vom 19. September 2022, VK 2-80/22). Dies ergibt sich im Lichte des Wettbewerbsgrundsatzes, § 97 Abs. 1 S. 1 GWB, wonach der auszuwählende Auftragnehmer die zur Leistungserbringung erforderlichen Mittel in der Regel und sofern der Auftrag es nicht ausnahmsweise anders erfordert erst zum Zeitpunkt der Leistungserbringung bzw. des Vertragsbeginns tatsächlich vorweisen, mithin über sie verfügen bzw. etwaig benötigtes Personal einstellen muss (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 12. Juni 2019 - VII-Verg 52/18 sowie Beschluss vom 26. Juli 2018 - VII-Verg- 28/18, je zur Frage der unternehmerischen Eignung). Dieser Grundsatz ist auch hier zu beachten. Die Ag haben dies im Grunde auch erkannt, weil sie ausweislich ihrer in der Vergabeakte dokumentierten Markterkundung vom 18. November 2024 ihre Kernforderung nach einem Medizinprodukt der Klasse IIa oder höher gemäß EU-MedizinprodukteVO daran geknüpft haben, dass diese Eigenschaft erst zu Vertragsbeginn vorliegen muss. Diesen wettbewerbsoffenen Ansatz haben die Ag allerdings weder auf die übrigen von ihnen aufgestellten Anforderungen erstreckt noch haben sie diesen Ansatz bei Durchführung der Marktkonsultation berücksichtigt. Es fehlen ihnen damit hinreichende Faktenkenntnisse, um die Marktsituation im Hinblick auf ihren - für sich genommen sachgemäß definierten - Beschaffungsbedarf sachgerecht und zuverlässig einschätzen zu können. Die Internetrecherche vermittelt zudem per se keine Erkenntnisse, ob und wie die am Markt tätigen Unternehmen ihr im Internet allgemein offeriertes Portfolio auf einen spezifischen Bedarf hin adaptieren können. Auch etwaig am Markt vorhandenes Innovationspotential kann so gar nicht identifiziert werden.
Die Entscheidung der Ag, eine Direktvergabe an die Bg durchzuführen, kann vor diesem Hintergrund keinen Bestand haben.
c) Die Entscheidung der Ag, eine Direktvergabe zugunsten der Bg durchführen zu wollen, verletzt die ASt vor diesem Hintergrund in ihren bieterschützenden Rechten, so dass die auf dieser Grundlage beabsichtigte Zuschlagserteilung auf das Angebot der Bg zu untersagen ist, § 168 Abs. 1 GWB. Bei fortbestehender Beschaffungsabsicht werden die Ag daher ein unionsweites wettbewerbliches Vergabeverfahren unter Beachtung der festgestellten Rechtsauffassung der Vergabekammer bekannt zu machen haben. Dabei ist festzuhalten, dass die Ag nach den obigen Feststellungen an ihrem vergaberechtsgemäß definierten Beschaffungsbedarf festhalten können, allerdings auch nicht daran gehindert sind, ihren Bedarf oder ihre Anforderungen sach- und auftragsgemäß zu modifizieren.
III.
Die Kostenentscheidung basiert auf § 182 Abs. 1, Abs. 2, Abs. 3 S. 1 und 2, Abs. 4 S. 1, 2 GWB und folgt dem tenorierten Maß des Obsiegens bzw. Unterliegens.
1. Die ASt ist mit ihrem Nachprüfungsantrag nur teilweise durchgedrungen. Dies folgt aus einer wirtschaftlichen Betrachtungsweise des mit dem Nachprüfungsantrag verfolgten Begehrens der ASt, die nicht allein an den formulierten Anträgen zu orientieren ist (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 07. Dezember 2023, VII-Verg 51/22 sowie Beschluss vom 11. April 2022, VII-Verg 5/22).
a) Das Interesse der ASt war nicht nur darauf gerichtet, wie beantragt den Zuschlag auf das Angebot der Bg zu verhindern. Mit ihrem Nachprüfungsantrag hat sie wirtschaftlich in erster Linie das Ziel verfolgt, den von den Ag definierten Beschaffungsgegenstand zu verwerfen, damit sie in einem aufzusetzenden wettbewerblichen Vergabeverfahren ein Angebot auf der Grundlage ihres aktuellen Geschäftsmodells abgeben kann, ohne für ein Angebot Modifikationen vornehmen zu müssen. Wäre die ASt mit diesem Vorbringen erfolgreich gewesen, hätte sie sich grundsätzlich auf ein neues Vergabeverfahren einstellen können, in dem sie ein Angebot auf der Grundlage ihres unveränderten Geschäftsmodells hätte abgeben können. Dass die ASt die Direktvergabe mangels vergaberechtsgemäßer Marktkonsultation für fehlerhaft gehalten hat und vorgebracht hat, jedenfalls auch den konkret geäußerten und sachgemäß definierten Bedarf der Ag bedienen zu können und wollen, wenn diese daran festhalten, stellt sich bei wirtschaftlicher Betrachtung als hilfsweises Begehren dar, mit dem die ASt hier durchgedrungen ist. Denn die ASt wird sich in einem entsprechenden Vergabeverfahren wirtschaftlich anders zu positionieren haben, um am Wettbewerb teilnehmen zu können, als es ihr bei einem Angebot auf Grundlage ihres unveränderten Geschäftsmodells möglich gewesen wäre. Insofern hat die ASt hat ihr Rechtsschutzziel mithin nur zum Teil erreicht. Bestätigt wird diese Beurteilung durch die Einlassung der ASt in der mündlichen Verhandlung auf die Frage der Vergabekammer, warum sie nicht das von den Ag gewünschte Modell umgesetzt und angeboten hat. Dies ist laut ASt nicht geschehen, da sie vorrangig ihr vorhandenes Modell durchsetzen und unverändert dieses Modell anbieten wollte.
b) Spiegelbildlich obsiegen Ag und Bg infolge des teilweisen Unterliegens der ASt ebenfalls teilweise und sind somit nur hinsichtlich des erfolgreichen Teils des Nachprüfungsantrags unterlegen und daher an den Kosten des Nachprüfungsverfahrens nur entsprechend den zu berücksichtigenden Grundsätzen des § 182 Abs. 3 S. 1, 2 GWB gesamtschuldnerisch zu beteiligen.
c) Die Bg ist in diesem Umfang mit der Ag als unterliegend zu betrachten, denn sie hat sich aktiv durch Einreichung von Schriftsätzen am Nachprüfungsverfahren beteiligt und dementsprechend Anträge gestellt. Die Notwendigkeit einer Beteiligung der Bg an den Kosten ergibt sich mithin daraus, dass die Bg umfangreich in der Sache vorgetragen und damit das Verfahren wesentlich durch Sach- und Rechtsvortrag gefördert hat (zur Beteiligung des beigeladenen Unternehmens an der Kostenlast auf der Seite der unterliegenden Auftraggeber bei solcher Förderung des Nachprüfungsverfahrens und Übernahme eines entsprechenden Kostenrisikos vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 12. August 2024, VII-Verg 13/24; BayObLG, Beschluss vom 26. März 2024, Verg 12/23).
Das Verhältnis des gegenseitigen Obsiegens bzw. Unterliegens entspricht dem tenorierten Umfang. Ag und Bg auf der einen und die ASt auf der anderen Seite unterliegen bzw. obsiegen somit jeweils zur Hälfte.
2. Zu entscheiden ist auch über den Aufwendungsersatz, § 182 Abs. 4 S. 1 und 2 GWB. Hiernach werden die Aufwendungen von ASt, Ag und Bg im Hinblick auf das je hälftige Obsiegen bzw. Unterliegen jeweils gegeneinander aufgehoben. Einer Entscheidung über die Notwendigkeit der Hinzuziehung der Verfahrensbevollmächtigten bedarf es vor diesem Hintergrund nicht.
IV.
Gegen die Entscheidung der Vergabekammer ist die sofortige Beschwerde zulässig. Sie ist innerhalb einer Notfrist von zwei Wochen, die mit der Zustellung der Entscheidung beginnt, schriftlich beim Oberlandesgericht Düsseldorf - Vergabesenat - einzulegen.
Die Beschwerdeschrift muss durch einen Rechtsanwalt unterzeichnet sein. Dies gilt nicht für Beschwerden von juristischen Personen des öffentlichen Rechts.
Die Beschwerde ist bei Gericht als elektronisches Dokument einzureichen. Dieses muss mit einer qualifizierten elektronischen Signatur der verantwortenden Person versehen sein oder von der verantwortenden Person signiert und auf einem sicheren Übermittlungsweg eingereicht werden. Dies gilt nicht für Anlagen, die vorbereitenden Schriftsätzen beigefügt sind. Ist die Übermittlung als elektronisches Dokument aus technischen Gründen vorübergehend nicht möglich, bleibt die Übermittlung nach den allgemeinen Vorschriften zulässig.
Die sofortige Beschwerde ist zugleich mit ihrer Einlegung zu begründen. Die Beschwerdebegründung muss die Erklärung enthalten, inwieweit die Entscheidung der Vergabekammer angefochten und eine abweichende Entscheidung beantragt wird, und die Tatsachen und Beweismittel angeben, auf die sich die Beschwerde stützt.
Die sofortige Beschwerde hat aufschiebende Wirkung gegenüber der Entscheidung der Vergabekammer. Die aufschiebende Wirkung entfällt zwei Wochen nach Ablauf der Beschwerdefrist. Hat die Vergabekammer den Antrag auf Nachprüfung abgelehnt, so kann das Beschwerdegericht auf Antrag des Beschwerdeführers die aufschiebende Wirkung bis zur Entscheidung über die Beschwerde verlängern.
"Ausdrücklich vereinbart" ist nur, was im Vertrag hervorgehoben i...
"Ausdrücklich vereinbart" ist nur, was im Vertrag hervorgehoben ist!
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1 | Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 3 Abs. 5 der Richtlinie 2011/7/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Februar 2011 zur Bekämpfung von Zahlungsverzug im Geschäftsverkehr (ABl. 2011, L 48, S. 1). |
2 | Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Przedsiębiorstwo Produkcyjno - Handlowo - Usługowe A. (im Folgenden: A.) und der P. S.A. über die Rechtmäßigkeit einer Vertragsklausel, mit der Letztere einseitig eine Zahlungsfrist von 120 Kalendertagen für Rechnungen im Zusammenhang mit den mit A. geschlossenen Verträgen festgelegt hat. Rechtlicher Rahmen Unionsrecht Richtlinie 2011/7 |
3 | In den Erwägungsgründen 12, 13 und 28 der Richtlinie 2011/7 heißt es: "(12) Zahlungsverzug stellt einen Vertragsbruch dar, der für die Schuldner in den meisten Mitgliedstaaten durch niedrige oder nicht vorhandene Verzugszinsen und/oder langsame Beitreibungsverfahren finanzielle Vorteile bringt. Ein durchgreifender Wandel hin zu einer Kultur der unverzüglichen Zahlung, in der auch der Ausschluss des Rechts zur Verzinsung von verspäteten Zahlungen immer als grob nachteilige Vertragsklausel oder Praxis betrachtet wird, ist erforderlich, um diese Entwicklung umzukehren und von der Überschreitung der Zahlungsfristen abzuschrecken. Dieser Wandel sollte auch die Einführung besonderer Bestimmungen zu Zahlungsfristen ... einschließen ... (13) Daher sollte festgelegt werden, dass die vertraglich vereinbarten Zahlungsfristen zwischen Unternehmen grundsätzlich auf 60 Kalendertage beschränkt sind. Jedoch können Unternehmen unter Umständen längere Zahlungsfristen benötigen, beispielsweise wenn sie ihren Kunden Handelskredite gewähren möchten. Die Vertragsparteien sollten daher weiterhin Zahlungsfristen von mehr als 60 Kalendertagen ausdrücklich vereinbaren können, wenn dies für den Gläubiger nicht grob nachteilig ist. ... (28) Der Missbrauch der Vertragsfreiheit zum Nachteil des Gläubigers sollte nach dieser Richtlinie verboten sein. Wenn sich demzufolge eine Vertragsklausel oder eine Praxis im Hinblick auf den Zahlungstermin oder die Zahlungsfrist ... nicht auf der Grundlage der dem Schuldner gewährten Bedingungen rechtfertigen lässt oder in erster Linie dem Zweck dient, dem Schuldner zusätzliche Liquidität auf Kosten des Gläubigers zu verschaffen, kann dies als ein Faktor gelten, der einen solchen Missbrauch darstellt. ... Nationale Vorschriften über den Vertragsabschluss ... sollten von dieser Richtlinie unberührt bleiben." 4 Art. 1 ("Gegenstand und Anwendungsbereich") Abs. 1 der Richtlinie 2011/7 bestimmt: "Diese Richtlinie dient der Bekämpfung des Zahlungsverzugs im Geschäftsverkehr, um sicherzustellen, dass der Binnenmarkt reibungslos funktioniert, und dadurch die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen und insbesondere von [kleinen und mittleren Unternehmen] zu fördern." 5 In Art. 2 ("Begriffsbestimmungen") der Richtlinie 2011/7 heißt es: "Im Sinne dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck 1. 'Geschäftsverkehr' Geschäftsvorgänge zwischen Unternehmen oder zwischen Unternehmen und öffentlichen Stellen, die zu einer Lieferung von Waren oder Erbringung von Dienstleistungen gegen Entgelt führen; 2. 'öffentliche Stelle' jeden öffentlichen Auftraggeber im Sinne von Artikel 2 Absatz 1 Buchstabe a der Richtlinie 2004/17/EG [des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 zur Koordinierung der Zuschlagserteilung durch Auftraggeber im Bereich der Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung sowie der Postdienste (ABl. 2004, L 134, S. 1)] und von Artikel 1 Absatz 9 der Richtlinie 2004/18/EG [des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge, Lieferaufträge und Dienstleistungsaufträge (ABl. 2004, L 134, S. 114)], unabhängig vom Gegenstand oder Wert des Auftrags; 3. 'Unternehmen' jede im Rahmen ihrer unabhängigen wirtschaftlichen oder beruflichen Tätigkeit handelnde Organisation, ausgenommen öffentliche Stellen, auch wenn die Tätigkeit von einer einzelnen Person ausgeübt wird; 4. 'Zahlungsverzug' eine Zahlung, die nicht innerhalb der vertraglich oder gesetzlich vorgesehenen Zahlungsfrist erfolgt ist, sofern zugleich die Voraussetzungen des Artikels 3 Absatz 1 ... erfüllt sind; 5. 'Verzugszinsen' den gesetzlichen Zins bei Zahlungsverzug oder den zwischen Unternehmen vereinbarten Zins, vorbehaltlich des Artikels 7; 6. 'gesetzlicher Zins bei Zahlungsverzug' den einfachen Zins bei Zahlungsverzug, dessen Höhe sich aus dem Bezugszinssatz zuzüglich mindestens acht Prozentpunkten ergibt; ..." |
6 | Art. 3 ("Geschäftsverkehr zwischen Unternehmen") Abs. 1, 3 und 5 der Richtlinie 2011/7 sieht vor: "(1) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass im Geschäftsverkehr zwischen Unternehmen der Gläubiger Anspruch auf Verzugszinsen hat, ohne dass es einer Mahnung bedarf, wenn folgende Bedingungen erfüllt sind: a) Der Gläubiger hat seine vertraglichen und gesetzlichen Verpflichtungen erfüllt, und b) der Gläubiger hat den fälligen Betrag nicht rechtzeitig erhalten, es sei denn, dass der Schuldner für den Zahlungsverzug nicht verantwortlich ist. ... (3) Für die Fälle, in denen die in Absatz 1 genannten Bedingungen erfüllt sind, stellen die Mitgliedstaaten Folgendes sicher: a) Der Gläubiger hat Anspruch auf Verzugszinsen ab dem Tag, der auf den vertraglich festgelegten Zahlungstermin oder das vertraglich festgelegte Ende der Zahlungsfrist folgt. ... (5) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass die vertraglich festgelegte Zahlungsfrist 60 Kalendertage nicht überschreitet, es sei denn[,] im Vertrag wurde ausdrücklich etwas anderes vereinbart[,] und vorausgesetzt, dass dies für den Gläubiger nicht grob nachteilig im Sinne von Artikel 7 ist." |
7 | Art. 7 ("Nachteilige Vertragsklauseln und Praktiken") Abs. 1 der Richtlinie 2011/7 sieht vor: "Die Mitgliedstaaten bestimmen, dass eine Vertragsklausel oder eine Praxis im Hinblick auf den Zahlungstermin oder die Zahlungsfrist ... entweder nicht durchsetzbar ist oder einen Schadensersatzanspruch begründet, wenn sie für den Gläubiger grob nachteilig ist. Bei der Entscheidung darüber, ob eine Vertragsklausel oder eine Praxis im Sinne von Unterabsatz 1 grob nachteilig für den Gläubiger ist, werden alle Umstände des Falles geprüft, einschließlich folgender Aspekte: ... c) ob der Schuldner einen objektiven Grund für die Abweichung ... von der in Artikel 3 Absatz 5 ... genannten Zahlungsfrist ... hat. ..." Richtlinie 2014/25/EU |
8 | In Art. 3 Abs. 1 und 4 der Richtlinie 2014/25/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Februar 2014 über die Vergabe von Aufträgen durch Auftraggeber im Bereich der Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung sowie der Postdienste und zur Aufhebung der Richtlinie 2004/17/EG (ABl. 2014, L 94, S. 243) heißt es: "(1) Im Sinne dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck 'öffentliche Auftraggeber' den Staat, die Gebietskörperschaften, die Einrichtungen des öffentlichen Rechts oder die Verbände, die aus einer oder mehrerer dieser Körperschaften oder Einrichtungen des öffentlichen Rechts bestehen. ... (4) 'Einrichtungen des öffentlichen Rechts' Einrichtungen mit sämtlichen der folgenden Merkmale: a) Sie wurden zu dem besonderen Zweck gegründet, im Allgemeininteresse liegende Aufgaben nicht gewerblicher Art zu erfüllen; b) sie besitzen Rechtspersönlichkeit und c) sie werden überwiegend vom Staat, von Gebietskörperschaften oder von anderen Einrichtungen des öffentlichen Rechts finanziert oder unterstehen hinsichtlich ihrer Leitung der Aufsicht dieser Körperschaften oder Einrichtungen, oder verfügen über ein Verwaltungs-, Leitungs- beziehungsweise Aufsichtsorgan, das mehrheitlich aus Mitgliedern besteht, die vom Staat, von Gebietskörperschaften oder von anderen Einrichtungen des öffentlichen Rechts ernannt worden sind." Polnisches Recht |
9 | Art. 7 der Ustawa o przeciwdziałaniu nadmiernym opóźnieniom w transakcjach handlowych (Gesetz zur Bekämpfung übermäßigen Verzugs im Geschäftsverkehr) vom 8. März 2013 (Dz. U. 2013, Pos. 403) in der vor dem 1. Januar 2020 geltenden Fassung (im Folgenden: Gesetz vom 8. März 2013) sah vor: "(1) Mit Ausnahme von Vorgängen, bei denen der Schuldner eine öffentliche Stelle ist, haben an Geschäftsvorgängen beteiligte Gläubiger, ohne dass es einer Zahlungsaufforderung bedarf und sofern die Parteien keinen höheren Zinssatz vereinbart haben, Anspruch auf die gesetzlichen Zinsen wegen Zahlungsverzugs für den Zeitraum vom Tag der Fälligkeit der Zahlung bis zu dem Tag, an dem die Zahlung erfolgt, wenn die folgenden kumulativen Voraussetzungen erfüllt sind: 1. Der Gläubiger hat seine Verpflichtung erfüllt; 2. er hat die Zahlung nicht innerhalb der im Vertrag festgelegten Frist erhalten. (2) Die vertraglich festgelegte Zahlungsfrist darf 60 Tage, gerechnet ab dem Tag des Erhalts der Rechnung oder Quittung, in der die Lieferung der Ware oder die Erbringung der Dienstleistung bestätigt wird, durch den Schuldner, nicht überschreiten, es sei denn, die Parteien vereinbaren im Vertrag ausdrücklich etwas anderes, und vorausgesetzt, dass dies für den Gläubiger nicht grob nachteilig ist. (3) Beträgt die vertraglich festgelegte Zahlungsfrist mehr als 60 Tage, gerechnet ab dem Tag des Erhalts der Rechnung oder Quittung, in der die Lieferung der Ware oder die Erbringung der Dienstleistung bestätigt wird, durch den Schuldner, und ist die Voraussetzung nach Abs. 2 nicht erfüllt, so hat der Gläubiger, der seine Leistung erbracht hat, nach Ablauf der Frist von 60 Tagen Anspruch auf die in Abs. 1 genannten Zinsen." Ausgangsverfahren und Vorlagefrage |
10 | P., eine Gesellschaft polnischen Rechts, die im Bereich der Förderung und des Verkaufs von Steinkohle tätig ist, schloss mit A., einer Gesellschaft polnischen Rechts, die im Bereich der Herstellung von Geräten für den Bergbau tätig ist, eine Reihe von Verträgen über die Lieferung von Bauteilen für Bergbaumaschinen (im Folgenden: streitige Verträge). |
11 | Einige dieser Verträge wurden in Auktionen geschlossen, die auf einer von P. betriebenen Website stattfanden, auf der die Bedingungen für die Ausführung des Auftrags veröffentlicht waren. Andere Verträge wurden im Anschluss an eine (öffentliche oder nicht öffentliche) Ausschreibung abgeschlossen. In beiden Fällen wurden die Bedingungen des Vertrags zwischen den Parteien einschließlich der Zahlungsfrist von 120 Tagen ab dem Tag des Erhalts der Rechnung durch P. von dieser einseitig festgelegt. |
12 | In Erfüllung der streitigen Verträge beglich P. 354 Rechnungen innerhalb von 120 bis 122 Tagen nach Rechnungserhalt. Anschließend schickte A. eine zusammenfassende Buchungsmitteilung an P., in der die nach Ansicht von A. geschuldeten Verzugszinsen und eine pauschale Entschädigung für die Beitreibungskosten ausgewiesen waren. |
13 | Am 31. Dezember 2021 erhob A. beim Sąd Rejonowy Katowice - Wschód w Katowicach (Rayongericht Katowice-Ost in Katowice, Polen), dem vorlegenden Gericht, gegen P. Zahlungsklage in Höhe von 13 702,99 Zloty (PLN) (ca. 3 100 Euro) zuzüglich gesetzlicher Verzugszinsen für den Zeitraum zwischen Klageerhebung und Zahlung sowie in Höhe von 4 473,04 PLN (ca. 975 Euro) als pauschale Entschädigung für die Beitreibungskosten. Für den Zeitraum vom 61. Tag ab dem Tag des Erhalts der streitigen Rechnungen bis zu ihrer tatsächlichen Zahlung berechnete A. die Verzugszinsen gemäß Art. 7 Abs. 2 des Gesetzes vom 8. März 2013, der Art. 3 Abs. 5 der Richtlinie 2011/7 in polnisches Recht umsetzt. |
14 | Zur Begründung ihrer auf diesen Art. 7 gestützten Zinsforderung machte A. geltend, dass die Zahlungsfrist von 120 Tagen einseitig von P. in dem Vertragsformular festgelegt worden sei, das dem auf ihrer Website veröffentlichten Vergabeunterlagen als Anhang beigefügt sei. Diese Frist sei zu keinem Zeitpunkt von den Parteien ausgehandelt worden, sondern ergebe sich aus der beherrschenden Stellung von P. im Vertragsverhältnis. Ebenso sei die Teilnahme an einer Ausschreibung an die von P. einseitig festgelegten Bedingungen geknüpft gewesen, einschließlich der Zahlungsfrist von 120 Tagen. A. sei aufgrund ihrer wirtschaftlichen Lage gezwungen gewesen, die streitigen Verträge abzuschließen, ohne jemals eine Einigung mit P. erzielen zu können, um diese Frist auf 60 Kalendertage zu verkürzen. Unter diesen Umständen könne nicht davon ausgegangen werden, dass eine solche Vertragsklausel von den Vertragsparteien im Sinne von Art. 3 Abs. 5 der Richtlinie 2011/7 ausdrücklich vereinbart worden sei. |
15 | Am 26. Januar 2022 erließ der Rechtspfleger des Sąd Rejonowy Katowice - Wschód w Katowicach (Rayongericht Katowice-Ost in Katowice) gegen P. einen Mahnbescheid, mit dem er dem Antrag von A. in vollem Umfang stattgab. |
16 | P. legte gegen diesen Mahnbescheid Einspruch ein und beanstandete den gemäß Art. 7 des Gesetzes vom 8. März 2013 berechneten Teil der Zinsen, da die Rechnungen innerhalb der sich aus den streitigen Verträgen ergebenden Zahlungsfrist von 120 Tagen ab Rechnungserhalt beglichen worden seien. Diese Frist sei von A. akzeptiert worden, die, nachdem sie von den Vergabeunterlagen Kenntnis genommen habe und ausgewählt worden sei, mehrere Verträge geschlossen habe, in denen sie diese Frist bestätigt habe. Es könne nicht davon ausgegangen werden, dass diese Frist für die Gläubigerin nachteilig sei, da diese die Gewissheit gehabt habe, dass sie ihre Dienstleistungen absetzen könne, Einkünfte erziele und ihre Liquidität wahre. |
17 | Für die Entscheidung des Ausgangsrechtsstreits hält es das vorlegende Gericht für erforderlich, festzustellen, ob die in den streitigen Verträgen vorgesehene Zahlungsfrist, die 60 Kalendertage ab dem Tag des Erhalts der Rechnung durch den Schuldner überschreitet, unter Beachtung der ersten in Art. 3 Abs. 5 der Richtlinie 2011/7 genannten Voraussetzung festgelegt wurde, wonach jede Zahlungsfrist, die 60 Kalendertage überschreitet, "im Vertrag ... ausdrücklich ... vereinbart" werden muss. |
18 | Das vorlegende Gericht weist zum einen darauf hin, dass die streitigen Vertragsklauseln einschließlich derjenigen über die Zahlungsfrist von 120 Tagen einseitig von P. festgelegt worden seien. Zum anderen weist es darauf hin, dass die einzige Möglichkeit, diese Klauseln anzufechten, die auf die streitigen Verträge beschränkt sei, die nach einer öffentlichen Ausschreibung geschlossen worden seien, eine Beschwerde beim Präsidenten der Krajowa Izba Odwolawcza (Nationale Beschwerdekammer, Polen) sei. Eine solche Beschwerde habe A. nicht eingelegt. |
19 | Das vorlegende Gericht neigt der Auffassung zu, dass die erste in Art. 3 Abs. 5 der Richtlinie 2011/7 vorgesehene Voraussetzung nicht erfüllt sei, wenn eine Klausel, die eine Zahlungsfrist von mehr als 60 Kalendertagen festlege, in einem Vertrag enthalten sei, dessen Klauseln ausschließlich von einer der Parteien festgelegt würden. Zwar könnten die Klauseln eines Vertrags grundsätzlich von einer der Parteien festgelegt werden, die sie im Voraus abfasse oder auf ein Vertragsmuster zurückgreife, wobei die andere Partei diese Klauseln lediglich - wie bei einem vorformulierten Standardvertrag - akzeptiere, doch schließe Art. 3 Abs. 5 der Richtlinie 2011/7 die Festlegung einer Zahlungsfrist von 120 Tagen in dieser Weise aus. Da eine solche Frist Ausnahmecharakter habe, müsse der Gläubiger zumindest die Gründe kennen, aus denen der Schuldner sie festsetzen möchte, und in der Lage sein, seine eigenen Argumente dafür vorzubringen, dass diese Frist 60 Kalendertage nicht überschreite. |
20 | Das vorlegende Gericht ist im Übrigen der Ansicht, dass der Umstand, dass es möglich sei, eine Klausel, die in einem im Anschluss an eine öffentliche Ausschreibung geschlossenen Vertrag eine Zahlungsfrist von mehr als 60 Kalendertagen vorsehe, vor einer nationalen Behörde anzufechten, nicht für die Annahme ausreiche, dass die erste in Art. 3 Abs. 5 der Richtlinie 2011/7 vorgesehene Voraussetzung erfüllt sei, da eine solche Anfechtung zu "einer hoheitlichen Entscheidung einer Stelle außerhalb des eigentlichen Vertrags" über die anwendbare Zahlungsfrist führe. |
21 | Schließlich werde eine solche Auslegung dieser ersten Voraussetzung durch die zweite in Art. 3 Abs. 5 vorgesehene Voraussetzung gestützt, wonach die ausdrückliche vertragliche Vereinbarung einer Zahlungsfrist von mehr als 60 Kalendertagen in Abweichung von der allgemeinen Regel, dass die Zahlungshöchstfrist 60 Kalendertage betrage, "für den Gläubiger nicht grob nachteilig im Sinne von Artikel 7" dieser Richtlinie sein dürfe. Um eine solche Beurteilung in Bezug auf die streitigen Verträge vornehmen zu können, sei die wirtschaftliche Situation des Gläubigers zum Zeitpunkt der Vertragsabschlüsse als maßgeblich zu berücksichtigen. |
22 | Unter diesen Umständen hat der Sąd Rejonowy Katowice - Wschód w Katowicach (Rayongericht Katowice-Ost in Katowice) entschieden, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen: Ist Art. 3 Abs. 5 der Richtlinie 2011/7 dahin auszulegen, dass die ausdrückliche Vereinbarung einer Zahlungsfrist von mehr als 60 Kalendertagen durch Unternehmer nur Verträge betreffen kann, deren Bedingungen nicht von einer der Vertragsparteien allein vorgegeben wurden? Verfahren vor dem Gerichtshof |
23 | In Anbetracht der schriftlichen Erklärungen der Parteien und der Beteiligten nach Art. 23 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union u. a. zur möglichen Einstufung von P. als "öffentliche Stelle" im Sinne von Art. 2 Nr. 2 der Richtlinie 2011/7 hat der Gerichtshof ein Auskunftsersuchen an das vorlegende Gericht gerichtet, in dem er es aufgefordert hat, zu bestätigen, dass es sich bei P. um ein "Unternehmen" im Sinne von Art. 2 Nr. 3 dieser Richtlinie handelt, und die Kriterien zu erläutern, die das vorlegende Gericht zu dieser Einstufung veranlasst haben, um festzustellen, ob das Ausgangsverfahren tatsächlich in den Anwendungsbereich von Art. 3 Abs. 5 dieser Richtlinie fällt, der den Geschäftsverkehr zwischen Unternehmen betrifft, und nicht in den Anwendungsbereich von Art. 4 Abs. 4 dieser Richtlinie, der den Geschäftsverkehr zwischen Unternehmen und öffentlichen Stellen betrifft. |
24 | In seiner Antwort, die am 4. Oktober 2023 beim Gerichtshof eingegangen ist, hat das vorlegende Gericht bestätigt, dass P. ein "Unternehmen" im Sinne von Art. 2 Nr. 3 der Richtlinie 2011/7 sei. Zur Vorlagefrage Zur Zulässigkeit |
25 | Die deutsche Regierung hält das Vorabentscheidungsersuchen für unzulässig, da das vorlegende Gericht nicht rechtlich hinreichend dargetan habe, dass seine Entscheidung im Ausgangsverfahren von der Beantwortung der Vorlagefrage abhänge. Das vorlegende Gericht mache seine Entscheidung nicht nur davon abhängig, ob die in den streitigen Verträgen festgelegte Zahlungsfrist von 120 Tagen im Sinne von Art. 3 Abs. 5 der Richtlinie 2011/7 ausdrücklich vereinbart worden sei, sondern auch davon, ob eine solche Frist für den Gläubiger grob nachteilig im Sinne dieser Bestimmung sei, ohne sich jedoch hierzu zu äußern und ohne diese Rechtsfrage in seiner Frage zu behandeln. |
26 | Im Rahmen der durch Art. 267 AEUV geschaffenen Zusammenarbeit zwischen dem Gerichtshof und den nationalen Gerichten ist es allein Sache des nationalen Gerichts, das mit dem Rechtsstreit befasst ist und in dessen Verantwortungsbereich die zu erlassende gerichtliche Entscheidung fällt, anhand der Besonderheiten des Ausgangsverfahrens sowohl die Erforderlichkeit einer Vorabentscheidung für den Erlass seines Urteils als auch die Erheblichkeit der dem Gerichtshof von ihm vorgelegten Fragen zu beurteilen. Daher spricht eine Vermutung für die Entscheidungserheblichkeit einer Vorlagefrage und der Gerichtshof ist grundsätzlich gehalten, über sie zu befinden, wenn sie die Auslegung oder die Gültigkeit einer unionsrechtlichen Regelung betrifft. Der Gerichtshof kann es somit nur dann ablehnen, über eine solche Vorlagefrage zu befinden, wenn die erbetene Auslegung oder Beurteilung der Gültigkeit des Unionsrechts offensichtlich in keinem Zusammenhang mit den Gegebenheiten oder dem Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits steht, wenn das Problem hypothetischer Natur ist oder wenn der Gerichtshof nicht über die tatsächlichen und rechtlichen Angaben verfügt, die für eine zweckdienliche Beantwortung der ihm vorgelegten Frage erforderlich sind (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 22. November 2022, Staatssecretaris van Justitie en Veiligheid [Abschiebung - Medizinisches Cannabis], C-69/21, EU:C:2022:913, Rn. 41, sowie vom 11. Januar 2024, Inditex, C-361/22, EU:C:2024:17, Rn. 28 und 29). |
27 | Im vorliegenden Fall möchte das vorlegende Gericht wissen, wie Art. 3 Abs. 5 der Richtlinie 2011/7 auszulegen ist, um festzustellen, ob eine in Verträgen, die es als mit vorformulierten Standardverträgen vergleichbar einstuft, enthaltene Klausel, mit der der Schuldner die Zahlungsfrist für die aufgrund dieser Verträge geschuldeten Rechnungen einseitig auf 120 Tage anstelle der in dieser Bestimmung vorgesehenen 60 Tage festgelegt hat, als "im Vertrag ... ausdrücklich ... vereinbart" im Sinne dieser Bestimmung eingestuft werden kann und um über die Klage von A. auf Zahlung von Verzugszinsen auf die nach diesen Verträgen geschuldeten Beträge zu entscheiden. |
28 | Somit ist das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen zulässig. Zur Beantwortung der Vorlagefrage |
29 | Mit seiner Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 3 Abs. 5 der Richtlinie 2011/7 dahin auszulegen ist, dass die in dieser Bestimmung enthaltene Wendung "im Vertrag wurde ausdrücklich etwas anderes vereinbart" einer Vertragsklausel entgegensteht, die eine vom Schuldner einseitig festgelegte Zahlungsfrist von mehr als 60 Kalendertagen vorgibt. |
30 | Nach Art. 3 Abs. 5 der Richtlinie 2011/7 stellen die Mitgliedstaaten sicher, dass die vertraglich festgelegte Zahlungsfrist 60 Kalendertage nicht überschreitet, es sei denn, im Vertrag wurde ausdrücklich etwas anderes vereinbart, und vorausgesetzt, dass dies für den Gläubiger nicht grob nachteilig im Sinne von Art. 7 dieser Richtlinie ist. |
31 | Art. 3 Abs. 5 der Richtlinie 2011/7 erlaubt es somit, von der darin vorgesehenen Zahlungshöchstfrist von 60 Kalendertagen abzuweichen, sofern zwei kumulative Voraussetzungen erfüllt sind. Eine solche Frist muss zum einen "im Vertrag ... ausdrücklich .... vereinbart" sein. Zum anderen darf die so vereinbarte Frist "für den Gläubiger nicht grob nachteilig im Sinne von Artikel 7" dieser Richtlinie sein. |
32 | Soweit Art. 3 Abs. 5 der Richtlinie 2011/7 eine vertragliche Abweichung von der festgelegten Zahlungshöchstfrist von 60 Kalendertagen erlaubt, ist er eng auszulegen (vgl. entsprechend Urteil vom 13. Juni 2024, D. [Konstruktionsfehler des Triebwerks], C-411/23, EU:C:2024:498, Rn. 26 und die dort angeführte Rechtsprechung). |
33 | Hinsichtlich der ersten kumulativen Voraussetzung, die Gegenstand der Vorlagefrage ist, ergibt sich - da Art. 3 Abs. 5 der Richtlinie 2011/7 für die Ermittlung des Sinnes und der Tragweite der Wendung "im Vertrag wurde ausdrücklich etwas anderes vereinbart" nicht ausdrücklich auf das Recht der Mitgliedstaaten verweist - aus den Anforderungen sowohl der einheitlichen Anwendung des Unionsrechts als auch des Gleichheitsgrundsatzes, dass dieser Sinn und diese Tragweite grundsätzlich in der gesamten Europäischen Union eine autonome und einheitliche Auslegung erhalten müssen, die unter Berücksichtigung sowohl des Wortlauts dieser Wendung und des Zusammenhangs der Bestimmung, in der die Wendung enthalten ist, als auch der Ziele der Bestimmung und des Unionsrechtsakts, in dem sie enthalten ist, zu ermitteln ist (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 9. Juli 2020, RL [Richtlinie zur Bekämpfung von Zahlungsverzug], C-199/19, EU:C:2020:548, Rn. 27, und vom 1. Dezember 2022, X [Lieferungen von medizinischen Erzeugnissen], C-419/21, EU:C:2022:948, Rn. 21). |
34 | Zwar lässt sich anhand des Wortlauts von Art. 3 Abs. 5 der Richtlinie 2011/7 für sich genommen nicht feststellen, ob eine Klausel, die eine Zahlungsfrist von mehr als 60 Kalendertagen festlegt, in einem Vertrag, dessen Inhalt vom Schuldner einseitig und vollständig festgelegt wurde, als "im Vertrag ... ausdrücklich ... vereinbart" im Sinne dieser Bestimmung eingestuft werden kann, doch bedeutet das Erfordernis einer ausdrücklichen Vereinbarung, dass unter Berücksichtigung aller Vertragsunterlagen und der darin enthaltenen Klauseln nachgewiesen werden kann, dass die Vertragsparteien ihren übereinstimmenden Willen zum Ausdruck gebracht haben, gerade durch die Klausel, die eine von der in dieser Bestimmung vorgesehenen Frist von 60 Kalendertagen abweichende Zahlungshöchstfrist festlegt, gebunden zu sein. |
35 | Art. 3 Abs. 5 der Richtlinie 2011/7 verlangt somit die Äußerung eines übereinstimmenden Willens dieser Parteien beim Abschluss des Vertrags, die über die bloße ausdrückliche Erwähnung einer solchen Frist in einer Vertragsklausel hinausgeht, unabhängig davon, ob es sich bei dem Vertrag, in dem diese Klausel enthalten ist, ganz oder teilweise um einen vorformulierten Standardvertrag oder einen ähnlichen Vertrag handelt. |
36 | Diesem Erfordernis kann nicht nur dann Genüge getan werden, wenn eine solche Klausel von den Parteien individuell ausgehandelt wurde, sondern, u. a. im Rahmen eines vorformulierten Standardvertrags, auch dann, wenn eine dieser Parteien die betreffende Klausel in den Vertragsunterlagen hervorgehoben hat, um sie klar von den anderen Klauseln des Vertrags zu unterscheiden und damit ihren Ausnahmecharakter zum Ausdruck zu bringen und um es der anderen Partei somit zu ermöglichen, ihr in voller Kenntnis der Sachlage zuzustimmen. |
37 | Diese Auslegung von Art. 3 Abs. 5 der Richtlinie 2011/7 steht sowohl mit den allgemeinen Zielen dieser Richtlinie als insbesondere auch mit dem dieser Bestimmung zugrunde liegenden Ziel im Einklang. |
38 | Wie sich aus Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 2011/7 im Licht ihres zwölften Erwägungsgrundes ergibt, hat sie zum Ziel, Zahlungsverzug im Geschäftsverkehr zu bekämpfen und eine Kultur der unverzüglichen Zahlung zu schaffen, um sicherzustellen, dass der Binnenmarkt reibungslos funktioniert, und dadurch die Wettbewerbsfähigkeit insbesondere von kleinen und mittleren Unternehmen zu fördern (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 9. Juli 2020, RL [Richtlinie zur Bekämpfung von Zahlungsverzug], C-199/19, EU:C:2020:548, Rn. 35). |
39 | Außerdem ergibt sich aus dem 13. Erwägungsgrund der Richtlinie, dass ihr Art. 3 Abs. 5 Ausdruck dieser Ziele ist, da diese Bestimmung darauf abzielt, den Gläubiger wirksam vor Zahlungsverzug des Schuldners zu schützen, indem eine Zahlungshöchstfrist von 60 Kalendertagen festgelegt wird, von der nur unter den beiden in Rn. 31 des vorliegenden Urteils genannten kumulativen Voraussetzungen abgewichen werden kann. |
40 | Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass nach Art. 3 Abs. 5 der Richtlinie 2011/7 bei der Festlegung einer Zahlungsfrist von mehr als 60 Kalendertagen, die sich aus einer ausdrücklichen Vereinbarung zwischen dem Gläubiger und dem Schuldner ergibt, auch die zweite in dieser Bestimmung vorgesehene Voraussetzung erfüllt sein muss. Daher darf diese Vereinbarung "für den Gläubiger nicht grob nachteilig im Sinne von Artikel 7" dieser Richtlinie sein. Aus dem 28. Erwägungsgrund dieser Richtlinie geht nämlich hervor, dass sie den Missbrauch der Vertragsfreiheit zum Nachteil des Gläubigers verbietet. Somit müssen die Mitgliedstaaten nach Art. 7 Abs. 1 dieser Richtlinie bestimmen, dass eine grob nachteilige Vertragsklausel entweder nicht durchsetzbar ist oder einen Ersatzanspruch für den Schaden begründet, der dem Gläubiger durch ihre Anwendung entstanden ist. |
41 | Nach Art. 7 Abs. 1 Unterabs. 2 Buchst. a bis c der Richtlinie 2011/7 werden bei der Entscheidung darüber, ob eine Vertragsklausel grob nachteilig für den Gläubiger ist, alle Umstände des Falles geprüft, einschließlich folgender Aspekte: jede grobe Abweichung von der guten Handelspraxis, die gegen den Grundsatz des guten Glaubens und der Redlichkeit verstößt; die Art der Ware oder der Dienstleistung und insbesondere, ob der Schuldner einen objektiven Grund für die Abweichung von der in Art. 3 Abs. 5 der Richtlinie 2011/7 genannten Zahlungsfrist hat. |
42 | Aus dem letztgenannten Erfordernis ergibt sich insbesondere, dass unabhängig von einer etwaigen beherrschenden wirtschaftlichen Stellung des Schuldners in seiner Beziehung zum Gläubiger dessen effektiver Schutz gegen die ungerechtfertigte Verwendung einer Vertragsklausel durch den Schuldner, die eine Zahlungsfrist von mehr als 60 Kalendertagen vorsieht, in vollem Umfang gewährleistet bleibt, selbst wenn diese Klausel auf einer ausdrücklichen Vereinbarung beruht, die die in den Rn. 34 und 35 des vorliegenden Urteils genannten Voraussetzungen erfüllt. |
43 | Im vorliegenden Fall macht A. - vorbehaltlich der Überprüfungen, die das vorlegende Gericht vorzunehmen hat - zum einen geltend, dass sie niemals in der Lage gewesen sei, die Klausel über die Zahlungsfristen von 120 Tagen auszuhandeln, die in dem Vertragsformular enthalten gewesen sei, das den von P. erstellten Vergabeunterlagen beigefügt gewesen sei, und zum anderen, dass die streitigen Verträge erst hätten geschlossen werden können, nachdem A. die einseitig von P. festgelegten Bedingungen akzeptiert habe. |
44 | Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, zum einen zu prüfen, ob unter Berücksichtigung aller Vertragsunterlagen und der in diesem Vertrag enthaltenen Klauseln festgestellt werden kann, dass A. und P. ihren übereinstimmenden Willen zum Ausdruck gebracht haben, gerade durch diejenigen Vertragsklauseln gebunden zu sein, die eine von der in Art. 3 Abs. 5 der Richtlinie 2011/7 vorgesehenen Zahlungsfrist von 60 Kalendertagen abweichende Frist vorsehen. Zum anderen ist es Sache des vorlegenden Gerichts, zu prüfen, ob unter Berücksichtigung der in Art. 7 dieser Richtlinie genannten Gesichtspunkte der Rückgriff auf die letztgenannten Klauseln grob nachteilig für A. sein kann, und gegebenenfalls daraus die im nationalen Recht hierfür vorgesehenen Konsequenzen zu ziehen. |
45 | Nach alledem ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass Art. 3 Abs. 5 der Richtlinie 2011/7 dahin auszulegen ist, dass die Wendung "im Vertrag wurde ausdrücklich etwas anderes vereinbart" einer Vertragsklausel entgegensteht, die eine vom Schuldner einseitig festgelegte Zahlungsfrist von mehr als 60 Kalendertagen vorgibt, es sei denn, es kann unter Berücksichtigung aller Vertragsunterlagen und Klauseln in diesem Vertrag festgestellt werden, dass die Vertragsparteien ihren übereinstimmenden Willen zum Ausdruck gebracht haben, gerade durch die betreffende Klausel gebunden zu sein. Kosten |
46 | Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren Teil des beim vorlegenden Gericht anhängigen Verfahrens; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig. Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Dritte Kammer) für Recht erkannt: Art. 3 Abs. 5 der Richtlinie 2011/7/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Februar 2011 zur Bekämpfung von Zahlungsverzug im Geschäftsverkehr ist dahin auszulegen, dass die Wendung "im Vertrag wurde ausdrücklich etwas anderes vereinbart" einer Vertragsklausel entgegensteht, die eine vom Schuldner einseitig festgelegte Zahlungsfrist von mehr als 60 Kalendertagen vorgibt, es sei denn, es kann unter Berücksichtigung aller Vertragsunterlagen und Klauseln in diesem Vertrag festgestellt werden, dass die Vertragsparteien ihren übereinstimmenden Willen zum Ausdruck gebracht haben, gerade durch die betreffende Klausel gebunden zu sein. |
Totalunternehmervergabe ist unzulässig!
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OLG Rostock
Beschluss
vom 10.01.2025
17 Verg 4/24
1. Allein die Erklärung eines Auftraggebers im Nachprüfungsverfahren, er werde im Falle eines Unterliegens sein Beschaffungsvorhaben aufgeben, lässt die Antragsbefugnis nicht entfallen, solange nicht aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen feststeht, dass eine Beschaffung ausgeschlossen ist.*)
2. Zu den Anforderungen an die Begründung einer Gesamtvergabe von Planung und Bauleistung (Festhaltung Senat, Beschluss vom 18.07.2024 - 17 Verg 1/24, IBR 2024, 532).*)
3. Zur Abgrenzung zwischen Leistungsbestimmungsrecht und Entscheidung über die Losvergabe.*)
vorhergehend:
VK Mecklenburg-Vorpommern, 20.09.2024 - 2 VK 2/24
Tenor:
1. Die sofortige Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss der Vergabekammer Mecklenburg-Vorpommern vom 20.09.2024 - 2 VK 2/24 - wird zurückgewiesen.
2. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der notwendigen Auslagen der Antragstellerin trägt der Antragsgegner.
3. Der Verfahrenswert wird auf bis zu 9.000 festgesetzt.
Gründe:
I.
Mit Bekanntmachung im EU-Amtsblatt vom 29.05.2024 - OJ S 103/2024 29/05/2024 - schrieb der Antragsgegner Totalunternehmerleistungen für die Planung und den Bau von Feuerwehrhäusern für Freiwillige Feuerwehren im Land Mecklenburg-Vorpommern als Rahmenvertrag im wettbewerblichen Dialog aus, nachdem zunächst eine Landesarbeitsgruppe einen Musterraumplan definiert hatte. Dabei wurde der Antragsgegner von seinen jetzigen Verfahrensbevollmächtigten beraten.
Die Bekanntmachung enthält unter Ziffer "5.1. Los: LOT-0001":
Titel: Totalunternehmerleistungen für die Planung und den Bau von Feuerwehrhäusern für Freiwillige Feuerwehren im Land Mecklenburg-Vorpommern
Beschreibung: Das Land Mecklenburg-Vorpommern möchte die Städte und Gemeinden des Landes beim Bau von Feuerwehrhäusern für Freiwillige Feuerwehren unterstützen. Der Auftragnehmer soll zwei Varianten von Feuerwehrhäusern planen - Langhaus und Kompakthaus - und diese dann auch selbst errichten (ggfs. mit Nachunternehmern). Hinsichtlich der Bauart wird diese Leistungsbeschreibung systemoffen gehalten. Die Feuerwehrhäuser sollen nach DIN 14092-1 für 2 Stellplätze der Stellplatzgröße 2 und für 25 Kameraden und 10 Kameradinnen errichtet werden. Das Gebäude sollte so auf dem zugewiesenen Grundstück geplant werden, dass Erweiterungsmöglichkeiten bestehen. Die beteiligten Bieter haben die Möglichkeit in einem wettbewerblichen Dialog, eigene Entwürfe vorzustellen. Den Zuschlag erhält der Bieter mit dem wirtschaftlichsten Vorschlag. Es ist beabsichtigt, dass das Land das Vergabeverfahren durchführt und die Städte und Gemeinden nach Zuschlagserteilung selbstständig entscheiden können, ob sie die Leistungen des bezuschlagten Bieters entsprechend den im Vergabeverfahren festgelegten Bedingungen in Anspruch nehmen. Das Baugrundstück wird von der abrufenden Gemeinde zugewiesen.
Die vom Berater erstellte Dokumentation gem. § 8 VgV enthält als Begründung für das Absehen von einer Losaufteilung:
Begründung Totalunternehmer siehe Gutachten vom 23.11.2023
Dieses vor Einleitung des Vergabeverfahren eingeholte Rechtsgutachten der nunmehrigen Verfahrensbevollmächtigten behandelt die Frage der Zulässigkeit einer Rahmenvereinbarung und deren Laufzeit und führt zur Zulässigkeit der Gesamtvergabe an einen Totalunternehmer insbesondere aus:
Das Land verfolgt keinen konkreten Weg zur Lösung der Beschaffungsaufgabe, es steht lediglich das Ergebnis fest. Es soll daher im Rahmen eines wettbewerblichen Dialogs eine wirtschaftliche Lösung ermittelt werden. Diese Systemoffenheit bedingt jedoch eine Gesamtvergabe. Es ist nicht möglich bei einer losweisen Vergabe bzw. getrennten Vergabe von Planung und Bauausführung eine sinnvolle und wirtschaftliche Lösung zu ermitteln. Will man auch Fertighauslösungen zulassen, die das Land auch in Betracht zieht, kann ein Architekt, der nicht in die Arbeitsprozesse des Anbieters der Fertighausteile eingebunden ist, keine Aussagen zu den Herstellungsprozessen und den Herstellungskosten der Bauteile treffen. Insbesondere kann er keine Aussagen zu möglichen Skalierungseffekten treffen, die durch die Herstellung mehrerer gleichartiger Feuerwehrhäuser entstehen und ab welcher Anzahl diese eintreten würden. Würde man Planung und Bau also getrennt ausschreiben, bestünde die Gefahr, dass im Rahmen des wettbewerblichen Dialogs seitens des Planers keine Aussagen zur tatsächlichen Realisierbarkeit und zu den voraussichtlichen Kosten getroffen werden könnten. Es wäre somit nicht möglich, das wirtschaftlichste Angebot zu ermitteln. Zudem ist zu berücksichtigen, dass sich ein Markt für Nichtwohngebäude in Fertigbauweise erst entwickelt. Es kann daher nicht davon ausgegangen werden, dass ein durchschnittlicher Architekt bzw. Ingenieur bereits so viel Erfahrung in dem Bereich gesammelt hat, dass er im Rahmen des Vergabeverfahrens eine belastbare Aussage treffen kann.
Würde man also auf eine getrennnte Ausschreibung von Planung und Baurealisierung bestehen, müsste man bei der Planervergabe in Kauf nehmen, dass keine realistischen Aussagen zu den Kosten getroffen werden können. Die andere Alternative wäre, dass man die Lösung der Aufgabe in Fertigbauweise von vornherein ausschließt und auf eine konventionelle Bauweise besteht, sodass der durchschnittliche Architekt oder Ingenieur aus seiner Erfahrung heraus belastbare Aussagen zur Umsetzbarkeit und zu den Kosten seines Planentwurfs treffen kann. Dies würde jedoch der durch das Land angestrebten Technologieoffenheit bei der Planung und Bauausführung widersprechen. Zudem soll eine Lösung gefunden werden, die im Sinne einer zeitnahen Errichtung der benötigten Feuerwehrgebäude schnell umsetzbar ist. Es ist zwar nicht ausgeschlossen, dass die auch mittels einer konventionellen Bauweise möglich ist, jedoch wir eine kürzere Bauzeit nur mit mindestens teilweiser Einbindung von Fertigbauteilen möglich sein.
die Umsetzung in Fertigteilbauweise nur sinnvoll durch eine Einbindung des an der Bauausführung beteiligten Unternehmens im Rahmen des Vergabeverfahrens zur Vergabe der Planungsleistung erfolgen kann. Im vorliegenden Fall würde das Bestehen auf einer losweisen Vergabe bzw. einer Trennung von Planung und Bauausführung somit zu einer Vorfestlegung des Beschaffungsbedarfs des Auftraggebers führen und zu einer unwirtschaftlicheren Vergabe.
Nach Ausführungen zur Verfahrensart kommt es zu folgendem Ergebnis:
Eine Gesamtvergabe wäre voraussichtlich begründbar. Die Besonderheit, dass auch die Realisierung des Projektes in (teilweiser) Fertigbauweise nicht ausgeschlossen wird, also eine Systemoffenheit hinsichtlich der Realisierung besteht, bedingt die Beteiligung des bauausführenden Unternehmens in der Entwicklung der Planung. Ein Architekt, welcher nicht in die Prozesse der die Fertigbauteile herstellenden Unternehmens eingebunden ist, kann weder die konkreten Kosten und Möglichkeiten abschätzen, noch Synergieeffekte beurteilen. Eine getrennte Vergabe von Planung und Bau würde somit zu unwirtschaftlichen Angeboten führen. Das Vergabeverfahren kann als wettbewerblicher Dialog durchgeführt werden. Da hinsichtlich der Planung und Bauausführung der Feuerwehrhäuser keine konkreten Vorgaben bestehen und bewusst eine Systemoffenheit gelassen werden soll, also eine Leistung ausgeschrieben wird, die nicht eindeutig und erschöpfend beschrieben werden kann, erscheint die Durchführung eines wettbewerblichen Dialogs auch sinnvoll, um im Rahmen des Vergabeverfahrens wirtschaftliche Lösungen zu erarbeiten und die beste Lösung zu bezuschlagen.
Die Leistungsbeschreibung enthält u.a.:
Geplant ist die Errichtung von insgesamt 24 Gebäuden in zwei verschiedenen Ausführungen (Kompakt- bzw. Längsbauweise).
Auftraggeber für den Rahmenvertrag: Land MV
Auftraggeber für die Bauleistungen: Gemeinden
II.
2.0 erforderliche Planungsleistungen
Folgende Leistungen der Objektplanung gemäß HOAI 2021 Teil 3 sind Bestandteil der Leistungsbeschreibung:
- Abschnitt 1: Gebäude und Innenräume Folgende Leistungen der Objektplanung gemäß HOAI 2021 Teil 3 werden durch die Gemeinde separat beauftragt und sind nicht Bestandteil der Leistungsbeschreibung, müssen aber bei der Planung des Gebäudes auf dem Grundstück berücksichtigt werden und mit den Planern für die Freianlagen & Verkehrsanlagen abgestimmt werden:
- Abschnitt 2: Freianlagen
- Abschnitt 3: Ingenieurbauwerke
- Abschnitt 4: Verkehrsanlagen Folgende Leistungen der Fachplanung gemäß HOAI 2021 Teil 4 sind Bestandteil der Leistungsbeschreibung:
- Abschnitt 1: Tragwerksplanung
- Abschnitt 2: Technische Ausrüstung Weitere Leistungen als Bestandteil der Leistungsbeschreibungen:
- Nachweis nach GEG
- Brandschutznachweis
- Schallschutznachweis
- Lüftungskonzept Folgende Leistungen sind durch den Auftraggeber (AG) zu erbringen und dem Auftragnehmer (AN) zeitnah zur Verfügung zu stellen:
- Baugrundgutachten
- ggfs. Schadstoffgutachten
- Eingriffs- und Ausgleichbilanzierung
- Artenschutzgutachten
- Vermessungsarbeiten (Lage- und Höhenplan für die Genehmigungsplanung und Gebäudeabsteckung)
Der Antragsgegner garantiert aus dem Rahmenvertrag die Abnahme von 24 Feuerwehrhäusern, schätzt die tatsächliche Abnahmemenge auf 38 bei 6 bis 7 Gebäuden pro Jahr und legt die Höchstmenge auf 58 fest.
Die Bewerberunterlagen enthalten in Abschnitt A unter Ziffer 1.1 u.a.:
Aufgrund der Komplexität der Bauaufgabe werden eng miteinander verzahnte, interdisziplinäre Leistungsbilder nach der HOAI und Bauleistungen als Totalunternehmerleistungen abgefragt.
Diese umfassen im Wesentlichen folgende Planungsleistungen:
- Objektplanung Gebäude und Innenräume, §§ 33 ff. HOAI
- Tragwerksplanung, §§ 49 ff. HOAI
- Technische Ausrüstung, Anlagengruppen 1-5, 7-8, §§ 53 HOAI
- Nachweis nach GEG, Anlage 1.2 zur HOAI
- Schallschutznachweis, Anlage 1.2 zur HOAI
- Brandschutznachweis, Heft 17 der AHO-Schriftenreihe
- Lüftungskonzept sowie die gesamten Bauleistungen zur Errichtung des geplanten Gebäudes.
Mit anwaltlichem Schriftsatz vom 24.06.2024, auf den wegen der Einzelheiten verwiesen wird, ließ die Antragstellerin verschiedene Punkte rügen. Insbesondere verstoße die Totalunternehmervergabe gegen § 97 Abs. 4 GWB. Mit Antwort vom 27.06.2024 half der Antragsgegner der Rüge nicht ab.
Mit am 05.07.2024 bei der Vergabekammer eingegangenem Schriftsatz hat die Antragstellerin Nachprüfungsantrag gestellt. Sie biete als Unternehmen umfassende und integrierte Architektenleistungen an, insbesondere auch im Bereich des Feuerwehr- und Rettungswachenbaues. Eine Teilnahme am wettbewerblichen Dialog sei ihr indes nicht möglich, weil im Rahmen der Totalunternehmervergabe auch Bauleistungen und die in den Bewerberunterlagen aufgeführten Planungsleistungen angeboten werden müssten. Sie habe aber nur für die Planungsleistungen
- Objektplanung Gebäude und Innenräume, §§ 33 ff. HOAI
- Brandschutznachweis, Heft 17 der AHO-Schriftenreihe Interesse am Auftrag. Hierauf beziehe sich ihr Rechtsschutzinteresse. Aus der Ausschreibung sei zudem unklar, welche Städte und Gemeinden abrufberechtigt seien, was unter "weitere notwendige Planungsleistungen und soweit notwendig zu erstellende Gutachten" zu verstehen sei und ob die Beauftragung hierzu von den abrufenden Gemeinden erfolgen oder hierfür ein Vergabeverfahren stattfinden solle. Jedes Feuerwehrhaus werde an die örtlichen Verhältnisse und Rahmenbedingungen umfassend anzupassen sein. Die Ausschreibung von Totalunternehmerleistungen für Planung und Bau verstoße gegen § 97 Abs. 4 GWB. Eine besondere Komplexität der Leistung liege nicht vor.
Die Antragstellerin hat beantragt,
1. ein Nachprüfungsverfahren gemäß den §§ 107 ff. GWB (sic) einzuleiten,
2. festzustellen, dass die Antragstellerin in ihren Rechten aus § 97 Abs. 4 und 6 GWB verletzt ist, und geeignete Maßnahmen zu treffen, um die Rechtsverletzung zu beseitigen und eine Schädigung der betroffenen Interessen der Antragstellerin zu verhindern, insbesondere, indem das Verfahren in den Stand vor Abgabe der Angebote zurückversetzt, die Ausschreibung in Lose aufgeteilt wird,
3. der Antragsgegnerin die Kosten des Verfahrens einschließlich der Kosten der für die notwendige Rechtsverfolgung entstandenen Aufwendungen aufzuerlegen,
4. festzustellen, dass die Beiziehung der Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin erforderlich war.
Der Antragsgegner hat beantragt,
1. den Nachprüfungsantrag abzulehnen,
2. die Hinzuziehung eines anwaltlichen Bevollmächtigten durch den Antragsgegner für notwendig zu erklären,
3. der Antragstellerin die Kosten des Nachprüfungsverfahrens einschließlich der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung aufgewandten Kosten des Antragsgegners aufzuerlegen.
Er hat geltend gemacht, der Nachprüfungsantrag sei bereits unzulässig, weil ein Beschaffungsbedarf des Antragsgegners nur bei Gesamtvergabe bestehe, nicht aber hinsichtlich einer Musterplanung. Zudem sei der Antrag unbegründet. Wegen der Einzelheiten wird auf die Erwiderung vom 12.07.2024 verwiesen.
Nach Gewährung von Akteneinsicht hat die Antragstellerin im Nachprüfungsverfahren beanstandet, es fehle an einer ordnungsgemäßen Dokumentation.
Mit Schriftsatz vom 06.09.2024 hat der Antragsgegner daraufhin ausgeführt, er habe sich das Gutachten vom 23.11.2023 zueigen gemacht und auf dieser Grundlage das Vergabeverfahren eingeleitet. Mit dem Schriftsatz beigefügter Anlage Ag1 vom 05.09.2024 werde die Dokumentation nachgeholt. Zugleich werde die Abwägung ergänzt. Es solle ein standardisiertes und seriell herstellbares Musterfeuerwehrhaus konzipiert und zu Festpreisen angeboten werden, das den Anforderungen entspreche. Hierdurch komme er seinen Aufgaben nach § 4 Nr. 2 BrSchG M-V nach. Gemeinden würden personell und materiell entlastet. Durch Skalierungseffekte würden Kostenersparnisse eintreten. Das Beschaffungsziel der seriellen Herstellung sei innovativ. Bei getrennter Vergabe werde die Lösung auf Vorgaben des Planers verengt. Durch die systemoffene Ausschreibung solle einer möglichst großen Bandbreite von Bauunternehmen, die Gebäude in Stein-, Holz-, Metall-, Modul- oder sonstiger Bauweise errichten, die Beteiligung an dem Wettbewerb gemeinsam mit Planern ermöglicht werden. Der Dialog müsse sowohl mit Planungsunternehmen als auch Bauunternehmen geführt werden, weil hier die Kenntnis der Produktionsprozesse, der Kalkulation und der Bauausführung erforderlich sei. Mit der Trennung von Planungs- und Bauleistungen sei das Beschaffungsziel nicht erreichbar.
Mit Beschluss vom 20.09.2024 hat die Vergabekammer dem Antragsgegner aufgegeben, das Vergabeverfahren in den Stand vor der Auftragsbekanntmachung zurückzuversetzen und unter Beachtung ihrer Rechtsauffassung neu bekannt zu machen, und zudem über die Kosten des Verfahrens entschieden. Zur Begründung hat sie insbesondere ausgeführt, der Antragsgegner habe bereits nicht dokumentiert, die im Gutachten des Beraters vom 23.11.2023 vorgeschlagene Entscheidung zur Gesamtvergabe - selbst - getroffen zu haben. Eine Nachholung im Nachprüfungsverfahren sei nicht möglich. Zudem sei bei der Gesamtvergabe der Beurteilungsspielraum überschritten. So habe der Auftraggeber neben der Innovation (serielles Musterfeuerwehrhaus) auch die Ziele der Verhältnismäßigkeit (z.B. Auftragsvolumen), der Umweltaspekte (z.B. Flächenschonung durch Anstatt Neubauten) und Mittelstandsschutz ermitteln und in die Abwägung einstellen müssen. Es fehle an einer Sachverhaltsermittlung, etwa hinsichtlich der Mehrkosten. Zu fordern sei eine fundierte Wirtschaftlichkeitsbetrachtung einschließlich Risikobetrachtung.
Gegen den am 23.09.2024 zugestellten Beschluss wendet sich der Antragsgegner mit seiner am 02.10.2024 bei dem Oberlandesgericht eingegangenen sofortigen Beschwerde. Er macht geltend, seine eigene Entscheidung sei durch das Gutachten und die E-Mail der Dezernentin vom 22.05.2024 (Anlage BF6) dokumentiert. Die mit Schriftsatz vom 05.09.2024 eingereichten Unterlagen stellten lediglich eine - vergaberechtlich zulässige - Nachholung und Ergänzung der Dokumentation dar. Zur Gesamtvergabe meint der Antragsgegner, hier sei in erster Linie das Leistungsbestimmungsrecht des Auftraggebers (das "Was") betroffen. Es gehe um die Zusammenarbeit von Planer und Bauunternehmen in der - integralen - Planungsphase. Bei isolierter Vergabe würde der Wunsch nach Systemoffenheit lediglich auf die Kenntnisse und Fähigkeiten der Planer - die selbstverständlich auch Fertighauslösungen, Herstellungsprozesse und -kosten sowie Skalierungseffekte umfassten (II 11) - begrenzt und nicht das Fachwissen der bauausführenden Unternehmen einbezogen. Der Wettbewerb um die beste Idee für das neuartige Projekt würde somit verengt. Das Beschaffungsziel sei ein kostengünstiges und schnell zu errichtendes Feuerwehrhaus. Hierfür bedürfe es der Gesamtvergabe. Die Definition des Musterraumplans durch die Landesarbeitsgruppe sei aufgrund erheblichen Bedarfs erfolgt. Zur personellen und finanziellen Entlastung der Gemeinden sei eine möglichst serielle Herstellung der Feuerwehrhäuser angestrebt worden. Von der ursprünglich beabsichtigten getrennten Vergabe von Planungs- und Bauleistung sei nach Diskussion abgerückt worden, weil es bundesweit keine Erfahrungswerte aus bereits durchgeführten Projekten gegeben habe. Es sei klar geworden, dass bei getrennter Vergabe die Gestalt sowie die Art und Weise der Herstellung - etwa auch die Materialauswahl - eines Feuerwehrhauses maßgeblich durch den Planer vorgegeben würde und somit bei Ausschreibung der Bauleistung kein wesentlicher Spielraum mehr bestehe, neue und innovative Wege für einen seriellen und damit schnellen und möglichst kostengünstigen Bau der Feuerwehrhäuser zu entwickeln. Die Losaufteilung scheitere insoweit daran, dass es sich bei dem Musterfeuerwehrhaus um eine Innovation handele und man deshalb als Verfahrensart den wettbewerblichen Dialog gewählt habe. Fachlose seien im Übrigen nur zu bilden, wenn sich für die konkrete Leistung ein eigener Anbietermarkt mit spezialisierten Fachunternehmen herausgebildet habe. Das Bayerische Oberste Landesgericht (Beschluss vom 6. September 2023 - Verg 5/22 -, Rn. 36, juris) habe in anderer Sache entschieden, dies sei für Projektsteuerungsleistungen für die Neugestaltung von Ausstellungen nicht ersichtlich. Es lägen auch wirtschaftliche Gründe für die gebündelte Vergabe vor. Man habe die Prognose angestellt, dass das Mitwirken der Bauunternehmen bei der Planung zu einer Optimierung hinsichtlich der Kosten und zu Zeitvorteilen führen werde. Bezifferbar sei dies nicht, liege aber auf der Hand. Dass eine frühe Einbindung eines bauausführenden Unternehmens in die Planung zu Kostenvorteilen führe, habe etwa auch die Baukostensenkungskommission im Rahmen des Bündnisses für bezahlbares Wohnen und Bauen in ihrem Endbericht aus November 2015 ausgeführt und darauf verwiesen, Investitions- und spätere Betriebskosten seien nach der Planung weitgehend festgelegt und deshalb solle Wissen über die Herstellungs- und Nutzungsprozesse in den Planungsprozess integriert werden, eine so optimierte Ausführungsplanung könne insbesondere bei Bauvorhaben ab ca. 10 Wohneinheiten Kostensenkungspotenziale bieten. Dass bei einer Gesamt-/Totalunternehmervergabe unter anderem wegen des erhöhten Koordinierungsaufwandes mit Mehrkosten zu rechnen sei, treffe auch bei einer Trennung zwischen Planungs- und Bauvergabe zu. Der mit der Gesamtvergabe verbundenen "Bündelung der Nachfragemacht" habe man durch Begrenzung der Rahmenvereinbarung auf ein Drittel des prognostizierten Bedarfs Rechnung getragen. In technischer Hinsicht sei die Verzahnung der Planungsleistungen mit der Bauausführung gerade Gegenstand der Beschaffung. So wisse ein Bieter, welcher serielle Bauteile für Gebäude herstelle, um die Möglichkeiten seiner Fertigungsprozesse und würde die Planung entsprechend auf diese Möglichkeiten ausrichten. Er würde keine Planung entwickeln, die er im Rahmen seines Fertigungsprozesses nicht leisten könne.
Der Antragsgegner beantragt,
1. den Beschluss der Vergabekammer Schwerin vom 20.09.2024 - Aktenzeichen 2 VK 2/24 - aufzuheben und den Nachprüfungsantrag abzulehnen;
2. der Antragstellerin die Kosten des Nachprüfungsverfahrens einschließlich der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung aufgewandten Kosten des Antragsgegners aufzuerlegen;
3. die Hinzuziehung eines anwaltlichen Bevollmächtigten durch den Antragsgegner für notwendig zu erklären.
Die Antragstellerin beantragt,
1. die sofortige Beschwerde zurückzuweisen;
2. dem Antragsgegner die Kosten des Verfahrens vor der Vergabekammer, die Kosten des Beschwerdeverfahrens sowie die der Antragstellerin in beiden Instanzen entstandenen notwendigen Auslagen aufzuerlegen;
3. die Hinzuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten durch die Antragstellerin für das Verfahren vor der Vergabekammer für notwendig zu erklären;
4. die aufschiebende Wirkung der sofortigen Beschwerde nicht zu verlängern (sic).
Sie macht geltend, das Gutachten enthalte nur rechtliche Erwägungen zur Zulässigkeit der Gesamtvergabe, aber keine Abwägung. Diese könne nicht im laufenden Nachprüfungsverfahren nachgeholt werden, zumal es sich um Mindestangaben i.S.d. § 8 VgV handele. Die angeführten Ziele seien im Übrigen bei losweiser Vergabe ebenso umsetzbar. Die Leistungsbeschreibung sehe - wie auch die weiteren Vergabeunterlagen - nur klassische Planungsaufgaben vor, nicht eine integrale Planung. Schließlich seien die Abrufberechtigten nicht vergaberechtskonform konkretisiert und - angesichts der erforderlichen umfassenden örtlichen Anpassung - die Leistungen nicht so genau wie möglich angegeben.
II.
Die sofortige Beschwerde des Antragsgegners ist zulässig, insbesondere fristgemäß eingelegt (§§ 171, 172 GWB). In der Sache bleibt sie ohne Erfolg.
1. Der Nachprüfungsantrag ist zulässig. Die Antragstellerin ist antragsbefugt (§ 160 Abs. 2 GWB) und mit ihren Rügen nicht präkludiert (§ 160 Abs. 3 GWB).
Dem steht insbesondere nicht entgegen, dass der Antragsgegner erklärt hat, außerhalb einer Gesamtvergabe gar kein Beschaffungsinteresse zu haben. Allein die Erklärung eines Auftraggebers im Nachprüfungsverfahren, er werde im Falle eines Unterliegens sein Beschaffungsvorhaben aufgeben, lässt die Antragsbefugnis nicht entfallen, solange nicht aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen feststeht, dass eine Beschaffung ausgeschlossen ist (vgl. auch Summa in: Summa/Schneevogl, jurisPK-Vergaberecht, 7. Aufl., § 160 GWB (Stand: 15.11.2024), Rn. 119). Das ist hier nicht der Fall.
Hinsichtlich der Rügeobliegenheit teilt der Senat die Auffassung der Vergabekammer, erst aus einer im laufenden Nachprüfungsverfahren gewährten Akteneinsicht erkannte Dokumentationsmängel seien nicht gesondert und unmittelbar gegenüber dem Auftraggeber zu rügen, sondern (nur) rechtzeitig in das bereits laufende Nachprüfungsverfahren einzuführen.
2. Der Nachprüfungsantrag ist auch begründet, weil die Gesamtvergabe an einen Totalunternehmer nach Maßgabe des § 97 Abs. 4 S. 3 GWB jedenfalls mit der gegebenen Begründung nicht erfolgen kann.
Zutreffend hat die Vergabekammer bereits darauf hingewiesen, dass das Gutachten vom 23.11.2023 inhaltlich keine Entscheidung über die Gesamtvergabe, erst recht keine solche des Auftraggebers darstellt. Berater können zwar in die Vorbereitung der Entscheidung eingebunden werden, sie aber nicht selbst treffen. Ob eine solche Entscheidung des Auftraggebers in der E-Mail vom 22.05.2024 (Anlage BF6) zu sehen ist oder anderenfalls der erstmals im laufenden Nachprüfungsverfahren vorgelegte Vermerk vom 05.09.2024 (Anlage Ag1) eine bei Abwägung von Transparenzgebot und Beschleunigungsgrundsatz vergaberechtlich zulässige (dazu Senat, Beschluss vom 6. Februar 2019 - 17 Verg 6/18; Beschluss vom 18. Juli 2024 - 17 Verg 1/24; BGH, Beschluss vom 8. Februar 2011 - X ZB 4/10 -, BGHZ 188, 200-233, Rn. 73; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 10. Februar 2021 - Verg 23/20 -, Rn. 73; zu den Grenzen zuletzt OLG Düsseldorf, Beschluss vom 21. August 2024 - Verg 6/24, ZfBR 2024, 762, 767), die getroffene Entscheidung nicht lediglich nachträglich rechtfertigende Nachholung der Dokumentation darstellt, kann letztlich offen bleiben. Denn auch die dort angegebenen Gründe erfordern die Gesamtvergabe nicht.
a) Die Planung ist gegenüber der Bauleistung grundsätzlich fachlosgeeignet, weil dieser Teil der Leistung - nur darauf kommt es an dieser Stelle an - von speziellen Fachkräften erbracht wird (eigenes "Gewerk"), zudem für Planungsleistungen gegenüber Bauleistungen ein eigener Markt besteht und Planungsleistungen auch regelmäßig gesondert beauftragt werden. Das gilt auch für den von der Antragstellerin angestrebten Teilbereich der Planung. Ohne Belang ist demgegenüber in diesem Zusammenhang, ob sich für eine Gesamtleistung "Integrale Planung und Bau" (also für Totalunternehmerleistungen) ein eigenständiger Markt etabliert hat.
Nichts Anderes ergibt sich, wenn man die Ausschreibung hier nicht als zusammenfassende Vergabe einzelner Lose einer einheitlichen Leistung qualifiziert, sondern als Bündelung eigenständiger Planungs- und Bauleistungen (dazu Hertwig, NZBau 2024, 723 ff.). Dafür gilt der Grundsatz der getrennten Vergabe mit den dazu bestehenden Ausnahmen erst recht.
b) Zu den Grundsätzen der Losvergabe hat der Senat zuletzt in seinem Beschluss vom 18. Juli 2024 - 17 Verg 1/24 - Folgendes ausgeführt:
aa) Nach § 97 Abs. 4 S. 1 bis 3 GWB - dessen Inhalt von § 5 Abs. 2 Nr. 1 S. 1 bis 3 EU VOB/A wiederholt wird - sind Leistungen in Losen zu vergeben und kann hiervon nur dann abgesehen werden, wenn wirtschaftliche oder technische Gründe dies erfordern. Bereits vor Inkrafttreten war zum Schutz des Mittelstands die Aufteilung von Aufträgen in Teil- und Fachlose vorgesehen. Es sollten die Nachteile der mittelständischen Wirtschaft gerade bei der Vergabe großer Aufträge mit einem Volumen, das die Kapazitäten mittelständischer Unternehmen überfordern könnte, ausgeglichen werden. Mit der 2009 eingeführten Regelung des § 97 Abs. 4 S. 3 GWB sollten der aus Sicht des Mittelstands zunehmenden Praxis der Bündelung von Auftragsvergaben entgegengewirkt und die Mittelstandsklausel in ihrer Wirkung verstärkt werden. Deshalb sollte von dem Gebot der Losvergabe nur in begründeten Ausnahmefällen abgewichen werden können (BT-Drucksache 16/10117, S. 15). Dieses klare Regel-/Ausnahmeverhältnis bedeutet allerdings entgegen einer teilweise in der Literatur vertretenen, hier von der Antragstellerin zitierten Auffassung (Antweiler in: Burgi/Dreher/Opitz, Beck'scher Vergaberechtskommentar, 4. Aufl. 2022, § 97 Abs. 4 GWB Rn. 51; wohl auch Ziekow in: Ziekow/Völlink, Vergaberecht, 5. Aufl. 2024, § 97 GWB Rn. 95) nicht, dass eine Gesamtvergabe überhaupt nur bei Vorliegen eines objektiv zwingenden Grundes erfolgen darf. § 97 Abs. 4 GWB ist im Kontext der primären Ziele des Vergaberechts auszulegen, zu denen insbesondere auch die Wirtschaftlichkeit der Beschaffung gehört. Dabei sind auch die weiteren Grundsätze des Vergaberechts (Wettbewerb, Transparenz, Gleichbehandlung und Verhältnismäßigkeit) sowie die vom Gesetzgeber in § 97 Abs. 3 GWB normierten strategischen Ziele (Qualität, Innovation, soziale und umweltbezogene Aspekte) im Blick zu behalten. Allerdings ergibt sich aus der klaren Wertung des Gesetzgebers, dass es nicht ausreicht, wenn der Auftraggeber anerkennenswerte Gründe für die Gesamtvergabe vorbringen kann; auch vermag die Entlastung des Auftraggebers von typischerweise mit einer losweisen Vergabe verbundenen Koordinierungsaufgaben oder sonstigem organisatorischem Mehraufwand für sich allein ein Absehen von einer Losvergabe nicht zu rechtfertigen. Erforderlich ist vielmehr, dass sich der Auftraggeber im Einzelnen mit dem grundsätzlichen Gebot der Fachlosvergabe einerseits und den im konkreten Fall dagegen sprechenden Gründen auseinandersetzt und sodann eine umfassende Abwägung der widerstreitenden Belange trifft, als deren Ergebnis die für eine zusammenfassende Vergabe sprechenden technischen und wirtschaftlichen Gründe überwiegen müssen (OLG Frankfurt, Beschluss vom 14. Mai 2018 - 11 Verg 4/18; OLG München, Beschluss vom 25. März 2019 - Verg 10/1; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 13. März 2020 - VII-Verg 10/20, Beschluss vom 25. Mai 2022 - VII-Verg 33/21; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 29. April 2022 - 15 Verg 2/22). Wortlaut, Systematik und Zweck des Gesetzes gebieten kein abweichendes Verständnis des § 97 Abs. 4 S. 3 GWB. Auch den Materialien zum Gesetz zur Modernisierung des Vergaberechts vom 20.04.2009 (BGBl. I, S. 790) ist hierfür nichts zu entnehmen. Der Gesetzgeber wollte der - empfundenen - Praxis der Auftragsbündelung entgegenwirken, also die tatsächliche Wirkung der Mittelstandsklausel verstärken und Auftraggeber zur Dokumentation der Prüfung der gesetzlichen Voraussetzungen verpflichten (vgl. BT-Drucksache 16/10117, S. 15). Die Rechtsprechung hatte demgegenüber bereits unter Geltung des § 97 Abs. 3 GWB a.F. strenge Maßstäbe angelegt und ist von dem Regel-/Ausnahmeverhältnis ausgegangen. Dass der Gesetzgeber auch diese Maßstäbe ändern wollte, ist weder dem Wortlaut noch der Begründung der Gesetzesänderung zu entnehmen. Dementsprechend hat die vergaberechtliche Rechtsprechung auch unter Geltung des § 97 Abs. 4 S. 3 GWB hieran festgehalten.
Entgegen der Auffassung der Antragstellerin folgt ein anderer Maßstab nicht daraus, dass der Gesetzgeber in § 3 Abs. 1 S. 1, Abs. 3 S. 1 BwBBG eine Gesamtvergabe in Abweichung von § 97 Abs. 4 GWB bereits dann zulässt, wenn wirtschaftliche, technische oder zeitliche Gründe dies (nur) "rechtfertigen". Zwar ist der Gesetzgeber davon ausgegangen, es handele sich um einen niedrigeren Maßstab als das "Erfordern" nach § 97 Abs. 4 S. 3 GWB (BT-Drucksache 20/2353, S. 15). Dies lässt aber nicht den Rückschluss zu, ein Erfordern könne nur bei objektiv zwingenden Gründen - also dem maximalen Grad - bejaht werden. Ohnehin könnte eine entsprechende Annahme des aktuellen Gesetzgebers das Verständnis des § 97 Abs. 4 GWB nicht ändern. Angesichts der gefestigten Rechtsprechung hätte der Gesetzgeber es vielmehr in der Hand gehabt, den Maßstab durch Änderung des § 97 Abs. 4 GWB anzupassen. Macht er das nicht, war dies offenbar nicht gewollt und besteht kein Anlass, die einheitliche Linie der Rechtsprechung zu ändern.
Ist die Entscheidung somit Ergebnis einer Abwägung, ist die von der Antragstellerin aufgeworfene Frage, ob der öffentliche Auftraggeber im Hinblick auf die Zielerreichung keine Wagnisse und Risiken eingehen muss und einen sicheren Weg wählen darf (so OLG Düsseldorf, Beschluss vom 13. März 2020 - VII-Verg 10/20) oder die Gesamtvergabe - wie sie meint - nicht mit einem sicheren Weg begründet werden darf (so auch Ziekow, in: Ziekow/Völlink, Vergaberecht, 5. Aufl., § 97 GWB Rn. 94 a.E.), in dieser Allgemeinheit im erstgenannten Sinn zu beantworten. Eigenständige Bedeutung kommt dem indes nicht zu. Jedenfalls bei konkreten und erheblichen Risiken der Fachlosvergabe kann der Auftraggeber nicht gezwungen sein, sehenden Auges diesen Weg zu beschreiten. Andererseits ist der Antragstellerin zuzugeben, dass die Gesamtvergabe nicht mit jeglichen, ggf. fernliegenden Risiken begründet werden kann ("sicherster Weg"). Das Gewicht des einzelnen Risikos ist nach Eintrittswahrscheinlichkeit und Ausmaß - nach den oben dargestellten Grundsätzen - im Einzelfall zu bestimmen.
bb) Bei der Prognose der Vor- und Nachteile der Losvergabe, deren Gewichtung und der Abwägung steht dem Auftraggeber ein Beurteilungsspielraum zu (vgl. jeweils zur Fachlosaufteilung OLG Frankfurt, Beschluss vom 14. Mai 2018 - 11 Verg 4/18 -, Rn. 68-73; OLG München, Beschluss vom 25. März 2019 - Verg 10/18 -, Rn. 55-62; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 13. März 2020 - VII-Verg 10/20 , Beschluss vom 25. Mai 2022 - VII-Verg 33/219; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 29. April 2022 - 15 Verg 2/22). Die Entscheidung des Auftraggebers über die Gesamtvergabe ist deshalb von den Vergabenachprüfungsinstanzen nur darauf zu überprüfen, ob sie auf vollständiger und zutreffender Sachverhaltsermittlung und nicht auf einer Fehlbeurteilung, namentlich auf Willkür, beruht. Den Nachprüfungsinstanzen ist es im Umkehrschluss verwehrt, die Entscheidung des Auftraggebers durch eine eigene Beurteilung zu ersetzen, solange sie nicht auf eine einzige Entscheidungsmöglichkeit verdichtet ist. Soweit das Kammergericht (Beschluss vom 26. März 2019 - Verg 16/16) - worauf die Antragstellerin verweist - in einem obiter dictum (a.a.O. Rn. 27 a.E.) und damit nicht im Sinn des § 179 Abs. 2 GWB zur Vorlage veranlassend die Auffassung vertreten hat, anders als bei Teillosen bestehe bei Fachlosen kein Beurteilungsspielraum und sei die Entscheidung des Auftraggebers uneingeschränkt nachprüfbar, folgt der Senat dem nicht. Gründe für die Unterscheidung zwischen Teil- und Fachlosen sind nicht zu erkennen. Vielmehr ist an der bereits zuvor begründeten Rechtsprechung festzuhalten.
cc) Unter technischen und wirtschaftlichen Gründen im Sinne des § 97 Abs. 4 S. 3 GWB sind solche zu verstehen, die eine Integration aller Leistungsschritte in einer Hand zur Erreichung des vom Auftraggeber angestrebten Qualitätsniveaus notwendig machen. Dabei sind technische Gründe alle Aspekte, die zu einem vom Auftraggeber vorgegebenen Leistungsprofil in einem unauflöslichen Zusammenhang stehen. Dies kann auch bei komplexen, miteinander verflochtenen Dienstleistungen der Fall sein oder wenn die Aufteilung in Fachlose unverhältnismäßige Kostennachteile mit sich bringen oder zu einer starken Verzögerung des Vorhabens führen würde (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 25. Mai 2022 - VII-Verg 33/21). Wirtschaftliche Gründe können auch darin liegen, dass es sich um ein eilbedürftiges Vorhaben wie die Fertigstellung eines Bauabschnitts einer vielbefahrenen Autobahn handelt. Weil es sich um auftragsbezogene Besonderheiten handelt, kann die mit einer Gesamtvergabe verbundene Straffung und Beschleunigung der Abläufe das Vorliegen der Voraussetzungen des § 97 Abs. 4 S. 3 GWB begründen (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 13. März 2020 - VII-Verg 10/20, dort naheliegende Verzögerung um mehrere Jahre und Folgekosten in Millionenhöhe, in anderen Entscheidungen auch weniger; Ziekow in: Ziekow/Völlink, Vergaberecht, 5. Aufl. 2024, § 97 GWB Rn. 90).
An diesen Grundsätzen hält der Senat weiterhin fest. Die Überprüfung der Einhaltung des Beurteilungsspielraums setzt dabei voraus, dass die Nachprüfungsinstanzen die Argumentation des Auftraggebers zumindest nachzuvollziehen vermögen, auch wenn sie sie nicht teilen. Das Oberlandesgericht Düsseldorf hat seine ständige Rechtsprechung, die den vorstehenden Grundsätzen entspricht, zuletzt erneut bestätigt und eine intensive Auseinandersetzung mit dem Gebot der Fachlosvergabe und den dagegensprechenden Gründen verlangt (Beschluss vom 21. August 2024 - Verg 6/24, ZfBR 2024, 762, 765). Soweit der Entwurf eines Gesetzes zur Transformation des Vergaberechts (Vergaberechtstransformationsgesetz - VergRTransfG) wie schon in § 3 BwBBG nun auch für § 97 Abs. 4 GWB eine Änderung von "erfordern" zu "rechtfertigen" vorschlägt (BR-Drucksache 591/24, S. 34, 55), bietet dies weiterhin keinen Anlass zu einem abweichenden Verständnis der geltenden Gesetzesfassung. Entsprechendes gilt für die vorgeschlagene Aufnahme zeitlicher Gründe und deren Abgrenzung zu technischen und wirtschaftlichen Gründen. Bereits nach derzeit geltender Fassung sind zeitliche Gründe insoweit relevant, als sie wirtschaftliche Auswirkungen haben (dazu Senat, Beschluss vom 18. Juli 2024 - 17 Verg 1/24 -, Rn. 71).
c) Diesen Grundsätzen genügen die vom Antragsgegner für die zusammenfassende Vergabe angeführten Gründe nicht.
aa) Der Antragsgegner führt primär an, sein Beschaffungsziel bei getrennter Vergabe nicht erreichen zu können. Dies vermag der Senat nicht nachzuvollziehen.
(1) In der vergaberechtlichen Rechtsprechung ist allerdings anerkannt, dass dem Auftraggeber ein weitreichendes Leistungsbestimmungsrecht zusteht, dessen Grenzen grundsätzlich gewahrt sind, wenn
- die Bestimmung durch den Auftragsgegenstand sachlich gerechtfertigt ist,
- vom Auftraggeber dafür nachvollziehbare objektive und auftragsbezogene Gründe angegeben worden sind und die Bestimmung folglich willkürfrei getroffen worden ist,
- solche Gründe tatsächlich vorhanden (festzustellen und notfalls erwiesen) sind und
- die Bestimmung andere Wirtschaftsteilnehmer nicht diskriminiert (vgl. nur OLG Düsseldorf, Beschluss vom 1. August 2012 - VII-Verg 10/12; Beschluss vom 13. April 2016 - VII-Verg 47/15; OLG München, Beschluss vom 25. März 2019 - Verg 10/18; OLG Frankfurt, Beschluss vom 14. Mai 2018 - 11 Verg 4/18).
Uneinheitlich beantwortet wird, ob die Leistungsbestimmung des Auftraggebers als dem Vergabeverfahren vorgeschaltete Entscheidung ausschließlich hieran zu messen ist und die Prüfung der Gesamtvergabe nur noch im Rahmen dieses Beschaffungsgegenstands erfolgt (so Thüringer Oberlandesgericht, Beschluss vom 6. Juni 2007 - 9 Verg 3/07) oder ob die Grundsätze des § 97 Abs. 4 GWB bereits bei der Leistungsbestimmung zu beachten sind, weil sonst das Regel-Ausnahme-Verhältnis ins Gegenteil verkehrt würde (so wohl OLG München, Beschluss vom 25. März 2019 - Verg 10/18).
Vorliegend kann diese Frage unbeantwortet bleiben, weil selbst bei Bindung an den vom Antragsgegner definierten Beschaffungsbedarf eine Losvergabe hier durchaus in Betracht kommt. Dabei versteht der Senat die Leistungsbestimmung nach den §§ 133, 157 BGB dahin, dass das gewünschte Beschaffungsziel ein Planungsergebnis für seriell, kosten- und aufwandgünstig herstellbare Feuerwehrhäuser und die Errichtung von bis zu 58 Feuerwehrgebäuden auf dieser Grundlage ist, wobei das Planungsergebnis auch außerhalb des Rahmenvertrags für Folgeaufträge verwendbar sein soll. Die Integration von Planungs- und Bauleistungen ist demgegenüber nur die Festlegung des Mittels, um dieses Ziel zu erreichen. Dann aber geht es bei der Integration nicht um das von der Beschaffungshoheit gedeckte "Was", sondern um das "Wie" der Beschaffung, das ohne Weiteres den Detailregelungen des Vergaberechts unterworfen ist (zu einem ähnlichen Fall OLG Frankfurt, Beschluss vom 14. Mai 2018 - 11 Verg 4/18). Ob also die gewünschte Integration einer getrennten Vergabe entgegensteht, ist an § 97 Abs. 4 S. 3 GWB zu messen.
(2) Das so verstandene Beschaffungsziel kann der Antragsgegner auch bei getrennter Vergabe erreichen.
Dass eine funktionale Leistungsbeschreibung vorliegt und die Vergabe im wettbewerblichen Dialog erfolgen soll, schließt die Aufteilung nicht aus. Zwar wird dies etwa im Zusammenhang mit komplexen IT-, Forschungs-, Beratungs- oder Pilotprojekten sowie sicherheitstechnischen Anlagen in Justizvollzugsanstalten, wenn dadurch die Sicherheit erhöht oder Fehlerquellen und Funktionsbeeinträchtigungen vermieden werden können, als technischer Grund im Sinn des § 97 Abs. 4 S. 3 GWB diskutiert (vgl. MüKoEuWettbR/Knauff, 4. Aufl. 2022, GWB § 97 Rn. 266, beck-online; Kapellmann/Messerschmidt/Stickler, 8. Aufl. 2023, VOB/A § 5 Rn. 31). Eine solche Komplexität des Vorhabens mit ernsthaften Risiken für die Sicherheit oder Funktionsbeeinträchtigungen ist hier aber vom Antragsgegner nicht konkret und nachvollziehbar aufgezeigt. Funktionale Vorgaben und ein wettbewerblicher Dialog wären insbesondere bei sukzessiver Ausschreibung erst der Planungsleistungen und danach der Bauleistungen ebenso möglich. Dies gilt ebenso für das Beschaffungsziel, zu dem die Integration als solche wie ausgeführt nicht zählt. Eine solche Vorgehensweise hat der Antragsgegner aber nicht erwogen. Dabei würde auch nicht die Gefahr bestehen, dass der Auftraggeber Teilleistungen erhält, die zwar jeweils ausschreibungskonform sind, aber nicht zusammenpassen und deshalb in ihrer Gesamtheit nicht geeignet sind, den Beschaffungsbedarf in der angestrebten Qualität zu befriedigen. Es ist auch nicht belastbar ausgeführt, eine sukzessive Vorgehensweise sei aus zeitlichen, sich wirtschaftlich auswirkenden Gründen nicht möglich.
bb) Auch mit den darüberhinaus angeführten Gründen wäre die Abwägung des Antragsgegners von seinem Beurteilungsspielraum bereits deshalb nicht gedeckt, weil er teilweise unzutreffende, jedenfalls für den Senat nicht wenigstens ansatzweise nachprüfbare Annahmen zugrundelegte und wesentliche Aspekte nicht erwog.
So führt der Antragsgegner zwar aus, bei einer Totalunternehmervergabe sei unter anderem wegen des erhöhten Koordinierungsaufwandes mit Mehrkosten zu rechnen. Dies dürfte den typischerweise anfallenden Generalunternehmerzuschlag betreffen, der dessen Koordinierungsaufwand und zusätzliche Gewährleistungsrisiken abdeckt. Weshalb dies aber - nach Einschätzung des Antragsgegners - auch bei einer Trennung zwischen Planungs- und Bauvergabe zutreffen soll, ist für den Senat nicht nachzuvollziehen. Der vom Antragsgegner als Nachteil der Losvergabe angeführte zusätzliche Koordinierungsaufwand auf Auftraggeberseite ist andererseits ein typischer Mehraufwand, der zwar in der Abwägung Berücksichtigung finden kann, aber nur mit dem vom Gesetzgeber vorgegebenen, begrenzten Gewicht. Eine entsprechende Einordnung vermag der Senat indes nicht zu erkennen.
Unberücksichtigt - aus Sicht des Senats aber offensichtlich zu erwägen - ist das Risiko, dass bei Kombination von Planung und Bau im Rahmen von Bietergemeinschaften anders als bei getrennter Vergabe nicht für jeden Teilbereich der günstigste Anbieter zum Zuge kommt, sondern in einem Teilbereich ein isoliert betrachtet teurer Anbieter. Vor allem aber dürfte bei einer Bietergemeinschaft unter Einschluss oder gar Führung eines Bauunternehmens, das selbst Fertigteile herstellt, oder bei einem Angebot eines Bauunternehmens mit eigenen Planern das Ergebnis der Planung vorgezeichnet sein. Es besteht das Risiko, dass das Planungsergebnis nur zu einem Anbieter passt und insoweit bei Folgeaufträgen außerhalb des Rahmenvertrags nur dieses Unternehmen als Auftragnehmer in Betracht kommt. Das birgt Gefahren insbesondere hinsichtlich der Verfügbarkeit und des - dann nicht mehr gebundenen - Preises. Die angestrebte Wiederverwendbarkeit der Planung als wesentliches Element der Leistungsbestimmung wäre eingeschränkt. Eine sukzessive Ausschreibung erscheint da ergebnisoffener. Weshalb etwa Stahl- oder Modulbauweise - wenn sie denn wirtschaftlicher sind - bei einer Aufteilung der Leistungen nicht in Betracht kämen, erklärt sich dem Senat nicht.
Aus diesen Gründen erscheint auch die Erwartung des Antragsgegners, durch Einbindung eines Bauunternehmers - insbesondere wenn er zugleich Hersteller von Fertigteilen ist - ein kostengünstigeres und aufwandeffizienteres Ergebnis zu erzielen, nicht belastbar. Er verweist hierzu darauf, es könne - da sich ein Markt für Nichtwohngebäude in Fertigbauweise erst entwickele - nicht davon ausgegangen werden, ein durchschnittlicher Architekt verfüge bereits über die nötige Erfahrung in dem Bereich, um die Kosten abzuschätzen. Einerseits ist damit aber nicht ausgeschlossen, dass es Architekten gibt, die diese Anforderungen erfüllen. Andererseits gehört es zu den originären Aufgaben und Kompetenzen eines Architekten, verschiedene Bauweisen zu kennen und deren Vor- und Nachteile einschließlich der Kosten und Einsparpotentiale - auch durch eine serielle Bauweise - abzuschätzen und hierfür erforderlichenfalls Preisauskünfte einzuholen. Einsparpotentiale bei der Errichtung der Gebäude können zudem im Rahmen der Ausführungsplanung identifiziert werden. Jedenfalls zeigt der Antragsgegner belastbare Anhaltspunkte für seine Annahme nicht auf. Sie liegen für den Senat auch nicht auf der Hand. Hinsichtlich einer besonders kostengünstigen Gestaltung der Gebäude ist zwar denkbar, dass ein Hersteller von Fertigbauelementen unter Berücksichtigung der vorhandenen Produktionsanlagen und -weise weitergehende Ideen beisteuern könnte, etwa unter Berücksichtigung der möglichen Größe und Gestaltung der Fertigteile. Eine solche Einbindung wäre bei gesonderter Planung nur "informell" durch Nachfrage bei irgendeinem oder mehreren Anbietern durch den Planer möglich, ohne dass die Ausführung durch eben diesen Bauunternehmer sichergestellt wäre. Zugleich würde dies wiederum die Gefahr bergen, durch spezielle Vorgaben letztlich eine produktgebundene Ausschreibung zu erhalten. Ohne belastbare Anhaltspunkte handelt es sich insoweit aber nur um Möglichkeiten bzw. Hoffnungen des Auftraggebers. Die konkrete Gewichtung dieser Hoffnung und der dagegen abzuwägenden Risiken ist für den Senat nicht zu erkennen und nachzuvollziehen.
Die Öffnung des Wettbewerbs für große Systemhaushersteller, die ausschließlich mit eigenen Planern arbeiten, ist im Rahmen des § 97 Abs. 4 S. 3 GWB gerade kein legitimes Anliegen. Im Übrigen sind diese - anders als bei einer Gesamtvergabe kleine und mittlere Unternehmen - bei einer getrennten Ausschreibung nicht ausgeschlossen. Vielmehr können sie im Wettbewerb eine auf die eigene Bauweise zugeschnittene Planung vorlegen und eine Kostenschätzung abgeben. Dass dabei trotz Geheimwettbewerbs Geschäftsgeheimnisse ernsthaft gefährdet wären, lässt sich den Ausführungen des Antragsgegners nicht entnehmen. Weder die Kalkulation noch Besonderheiten von Produktion, Logistik und Bau sind gegenüber Konkurrenten offenzulegen. Das gilt auch für Abmessungen der der - außerhalb des Rahmenvertrags ggf. mit anderen Bauunternehmen wiederverwendbaren - Planung zugrunde gelegten Standardbauteile. Richtig ist zwar, dass ein solcher Anbieter größeres Interesse an dem Gesamtauftrag als nur an der Planung haben dürfte, was bei getrennter Ausschreibung nicht sichergestellt wäre. Dies entspricht aber dem vom Gesetzgeber mit § 97 Abs. 4 S. 3 GWB verfolgten Zweck.
Den Antragsgegner entlastet auch nicht, dass ihm eine belastbare Einschätzung des Einsparpotentials wegen der Neuartigkeit des Herangehens - der "Innovation" - mangels Erfahrungswissens nicht möglich ist, er diese Erfahrungen aber ohne Gesamtvergabe nicht sammeln kann. Auch in einer solche Situation hat er Chancen und Risiken sorgfältig zu benennen und im Rahmen der Möglichkeiten einzuordnen. Die damit verbundenen Nachteile gegenüber privaten Auftraggebern haben ihren Grund im Vergaberecht und den damit verfolgten Zielen.
3. Für das weitere Vergabeverfahren weist der Senat darauf hin, dass hinsichtlich der Umgrenzung der abrufberechtigten Städte und Gemeinden und hinsichtlich der Vergabereife keine Bedenken bestehen. Die Abrufberechtigten sind hinreichend konkretisiert und dabei zugleich durch die Begrenzung auf Städte und Gemeinden in Mecklenburg-Vorpommern nicht ausufernd. Damit verbundenen Unwägbarkeiten begegnet der Antragsgegner durch Begrenzung des Rahmenvertrags auf maximal 58 Gebäude. Entgegen der Auffassung der Antragstellerin ist eine Vergabereife bei einem Rahmenvertrag nicht erst dann anzunehmen, wenn die Abrufberechtigten im Einzelnen ihr Interesse an einer Auftragserteilung bekundet haben.
Ob die nach dem Vertrag geschuldeten in Abgrenzung von gesondert zu beauftragenden bzw. vom Auftraggeber bereitzustellenden Leistungen hinreichend bestimmt sind, dürfte hier insbesondere davon abhängen, ob sich hierzu Widersprüche in den Vergabeunterlagen finden. Eine Prüfung hat der Senat noch nicht vorgenommen.
4. Die Kostenentscheidung hat ihre Grundlage in §§ 71 Satz 1, 175 Abs. 2 GWB. Die Kostenbefreiung des Antragsgegners ist keine Frage der Kostengrundentscheidung.
Die Notwendigerklärung hinsichtlich der anwaltlichen Vertretung auf Antragstellerseite beruht für das Verfahren vor der Vergabekammer auf § 182 Abs. 4 Satz 4 GWB i.V.m. § 80 Abs. 2 VwVfG M-V. Die Erstattungsfähigkeit für den Beschwerderechtszug bedurfte keiner Tenorierung; sie folgt unmittelbar kraft Gesetzes aus § 175 Abs. 1 Satz 1 GWB (Senat, Beschluss vom 11. November 2021 - 17 Verg 4/21; Beschluss vom 5. Februar 2020 - 17 Verg 4/19).
Die Wertfestsetzung folgt aus § 50 Abs. 2 GKG. Maßgebend ist dabei nicht die Kostenschätzung für das Gesamtvorhaben, sondern das auf einen Teil der Planung begrenzte Interesse der Antragstellerin.
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VK Bund
Beschluss
vom 20.12.2024
VK 2-105/24
Öffentliche Auftraggeber verstoßen bei Ausübung ihres Leistungsbestimmungsrechts gegen den vergaberechtlichen Grundsatz des transparenten und chancengleichen Wettbewerbs, wenn sie eine auf unterschiedliche Leistungsinhalte gerichtete Nachfrage ausgeschrieben haben, auf die es nicht möglich war, vergleichbare Angebote abzugeben.
Tenor:
1. Den Antragsgegnerinnen wird untersagt, in dem Vergabeverfahren für den Abschluss von Rahmenverträgen zur Belieferung der [...], unionsweit bekannt gemacht unter der Nr. [...], einen Zuschlag zu erteilen.
2. Die Antragsgegnerinnen tragen die Kosten des Nachprüfungsverfahrens (Gebühren und Auslagen) gesamtschuldnerisch sowie die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen der Antragstellerin.
3. Die Hinzuziehung der Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin wird für notwendig erklärt.
Gründe:
I.
1. Die Antragsgegnerinnen (Ag) veröffentlichten am [...] die oben benannte unionsweite Auftragsbekanntmachung für das "sog. Fachlos [...] (s. Anlage [...] der Vergabeunterlagen zur Fachloseinteilung) zum Abschluss einer in [...] Gebietslose aufgeteilten Rahmenvereinbarung für die Belieferung des [...] jeweils mit [...] Kontrastmitteln für MRT-Anwendung...". Als Anwendungsgebiete gaben die Ag im vorgenannten Fachloszuschnitt an:
"- Kraniale und spinale magnetische Resonanztomographie,
* MRT anderer Organe (z.B. Leber, Becken, Herz, Brust, muskoskelettales System, weitere möglich)
* Weitere möglich (z.B. Angiographie)"
Ferner waren im vorgenannten Fachloszuschnitt zu den Wirkstoffen bzw. Wirkstoffkombinationen angegeben:
"Gadotersäure... und/oder Gadoteridol... und/oder Gadopiclenol...und/oder Gadobutrol...und/oder weitere möglich.
..."
Als einziges Zuschlagskriterium dient der Preis.
Das Vergabeverfahren wird von der Ag zu 1) für beide Lose als Vergabestelle geführt, [...]
Vorausgegangen war ein Vergabeverfahren aufgrund einer Auftragsbekanntmachung vom [...] der Ag, in dem das Anwendungsgebiet für die Fachloseinteilung für das Fachlos [...] wie folgt lautete:
"- Kraniale und spinale magnetische Resonanztomographie,
* MRT anderer Organe (z.B. Leber, Becken, Herz, Brust, muskoskelettales System, weitere möglich) - Angiographie".
Folgende Wirkstoffe/-kombinationen sollten enthalten sein: "Gadotersäure... und/oder Gadoteridol... und/oder Gadopiclenol... und/oder Gadobutrol... und/oder weitere möglich".
Die Ag kündigten in diesem Rahmen auf eine Bieterfrage, dass die Wirkstoffe Gadoteridol und Gadopiclenol keine Zulassung für die Angiographie hätten, eine zeitnahe Berichtigung an und hoben schließlich diese Ausschreibung im Hinblick auf das Fachlos[...] auf und machten das Vergabeverfahren in Gestalt des streitgegenständlichen neu bekannt mit der oben zitierten Änderungen der Fachloseinteilung ("weitere möglich (z.B. Angiographie)").
Im Fachlos [...] erfolgt je Gebietslos ein Zuschlag, es wird je Gebietslos ein Rahmenvertrag geschlossen. Die Laufzeit [...] Gemäß Ziff. 1.1 der Besonderen Bewerbungsbedingungen sollen die ausgeschriebenen Kontrastmittel wirkstoffübergreifend im Sprechstundenbedarf verwendet werden.
Ziff. 1.2 der Besonderen Bewerbungsbedingungen gibt vor, dass in der wirkstoffübergreifenden Ausschreibung mehrere Wirkstoffe der gleichen Indikation innerhalb des Fachloses [...] zusammengefasst worden seien. Entscheidend für die wirkstoffübergreifende Ausschreibung sei die zugrundeliegende Vergleichbarkeit und Austauschbarkeit der jeweils einem Fachlos zugeordneten Kontrastmittel. Durch die gewählte Aiischreibungsgestaltung würden untereinander austauschbare Produkte in den Vergabewettbewerb um das wirtschaftlichste Angebot gestellt.
Auf die Bieterfrage la antwortete die Vergabestelle am [...] wie folgt:
"Frage 1: Gehen wir Recht der Annahme, dass nach Auflösung des Fachloses [...] und mit dem optionalen Anvirendungsgebiet Angiographie
a) Ein Produkt bezuschlagt werden kann, dass keine Zulassung für Angio hat..."
"Antwort: a) ja, dies ist die Bedeutung von optional ...".
machen. Dies erfolgt rein vorsorglich, um möglichen Missverständnissen vorzubeugen.
Bei der Fachlosbeschreibung in Anlage [...] ist die Angabe "weitere möglich (z.B. Angiographie)" bei den geforderten Indikationen so zu verstehen, dass es für die Zulässigkeit des Angebots unschädlich ist, wenn das angebotene Produkt neben den als Mindestvoraussetzungen in Anlage [...] aufgeführten Indikationen noch für weitere Anwendungsgebiete zugelassen ist. Dies bedeutet jedoch nicht, dass angebotene Produkte zwingend für weitere Indikationen als die in Anlage [...] aufgeführten Mindestvoraussetzungen zugelassen sein müssen.
Mit Schreiben ihrer Verfahrensbevollmächtigten vom [...] rügte. die ASt rechtzeitig Verstöße gegen § 121 Abs. 1 GWB, einen fehlerhaften Loszuschnitt sowie einen Verstoß gegen den Wirtschaftlichkeitsgrundsatz nach § 127. Abs. 1 S. 1 und 3 GWB.
Insbesondere in ihrem Rügeschreiben vom [...], reagierte die ASt auf die Antwort der Ag auf die Bieterinformation vom [...] und bemängelte, sie gehe vor dem Hintergrund der bisherigen Antworten der Ag davon aus, dass sich ein zuschlagsfähiges Angebot nicht zwingend auf die nur optionalen Anwendungsgebiete erstrecken müsse. Es müsse möglich sein, ein Produkt, das Zulassungen auch für die optionalen Anwendungsgebiete habe, in der Ausschreibung nur zum Einsatz für die zwingend vorgeschriebenen Anwendungsgebiete, nicht aber auch für die optionalen Anwendungsgebiete anzubieten.
Die Ag wiesen die Rügen der ASt mit Schreiben ihrer Verfahrensbevollmächtigten vom [...] zurück. Insbesondere im Schreiben vom [...] reagierten die Ag auf das Vorbringen der ASt im Schreiben vom [...] und führten aus, es sei nicht möglich, bestimmte Indikationen bei verordneten Kontrastmitteln auszunehmen. Im Sprechstundenbedarf fände keine indikationsbezogene Verordnung statt. Die Ag könnten daher weder nachvollziehen noch prüfen noch irgendwie steuern, für welche Indikationen ein von den Vertragsärzten bestelltes Kontrastmittel tatsächlich angewendet werde.
Die ASt gab am [...] ein Angebot ab, das sie mit einem Zusatz versah, wonach das Angebot nicht für Anwendungsgebiete gilt, die nach der Anlage [...] nur möglich sein können, aber nicht zwingend vorhanden sein müssen, also insbesondere Angiographie und MRT des Herzens.
2. Mit Schreiben ihrer Verfahrensbevollmächtigten vom [...], einem Montag, beantragt die ASt die Einleitung eines Nachprüfungsverfahrens.
a) Die ASt hält die Angaben in der Fachloseinteilung der Anlage [...] für nicht eindeutig und widersprüchlich und daher einen Verstoß gegen § 121 Abs. 1 GWB für gegeben; es seien keine vergleichbaren Angebote möglich. Die dort festgelegten "weiteren" Anwendungsgebiete insbesondere der. Herz-MRT oder der Angiographie bedeuteten, dass im Fachlos [...] Kontrastmittel zusammengefasst worden seien, die nicht für die gleichen Indikationen zugelassen seien. Dies widerspreche den Angaben in Ziff. 1.3 der Besonderen Bewerbungsbedingungen, wonach Ausschreibungsgegenstand des Fachloses Kontrastmittel seien, die für die gleichen Indikationen zugelassen seien. Denn wenn einzelne Kontrastmittel in. einem weiteren Anwendungsgebiet bzw. für eine weitere Indikation zugelassen seien, andere dagegen nicht, seien im Fachlos [...] nur Kontrastmittel erfasst, die teilweise für die gleichen Indikationen zugelassen seien, teilweise aber nicht. Hieran habe auch der Hinweis der Ag vom [...] nichts geändert, da unklar sei, dass und ob der Hinweis Bestandteil derVergabeunterlagen und damit beachtlich sei'. Es sei auch nach den Rügeantwortschreiben der Ag nach wie vor unklar, was die Formulierung "MRT anderer Organe (z.B. Leber, Becke, Herz .. weitere möglich)" bedeute, ob also das angebotene Kontrastmittel jedenfalls für die MRT der beispielhaft ausdrücklich genannten Organe zugelassen sein müsse, oder ob dies bedeute, dass es nur für die MRT einzelner Organe zugelassen sein müsse und wenn ja, für welche, oder ob sich das Angebot auf die MRT einzelner Organe nicht erstrecken müsse, da alle Organe nur beispielhaft aufgezählt seien. Es sei vor diesem Hintergrund unklar, welche Kontrastmittel für welche Anwendungsgebiete angeboten würden, so dass keine vergleichbaren Angebote zu erwarten seien.
Ferner hält die ASt den Zuschnitt des Fachloses [...] für fehlerhaft, weil die Wirkstoffe Gadotersäure, Gadoteridol, Gadopiclenol und Gadobutrol für die in Anlage [...] genannten Anwendungsgebiete zusammengefasst worden seien. Die Einbeziehung der Wirkstoffe Gadoteridol und Gadopiclenol verletzte aber den Wettbewerbsgrundsatz nach § 97 Abs. 1 und lassen keine vergleichbaren Angebote erwarten, weil diese beiden Wirkstoffe für die in Anlage [...] aufgeführten weiteren Anwendungsgebiete wie der Angiographie oder auch für die MRT des Organes Herz nicht zugelassen seien. Es ' komme aber hinsichtlich der für den Sprechstundenbedarf erforderlichen Kontrastmittel bei einem - wie hier - etablierten indikationsbezogenen, wirkstoffübergreifenden Wettbewerb darauf an, dass die Wirkstoffe für alle im Los enthaltenen Indikationen bzw. Anwendungsgebiete uneingeschränkt zugelassen seien.
An diesem Befund ändere sich nichts, wenn die Angabe "weitere möglich (z.B. Angiographie)" bei den geforderten Anwendungsgebieten so zu verstehen seien, dass die angebotenen Kontrastmittel für die Anwendungsgebiete der Angiographie oder auch der MRT des Organs Herz nicht zugelassen sein müssten, es aber unschädlich sei, wenn sie für diese Anwendungsgebiete zugelassen seien. Die ASt könne ihr Produkt für die Anwendungsgebiete Angiographie und MRT des Organs Herz im Grunde nicht - wie von den Ag vorgegeben - nicht nur optional anbieten. Ihr Produkt sei - anders als Mittel mit den Wirkstoffen Gadoteridol und Gadopiclenol -für auch diese Gebiete zugelassen und umfasse diese daher zwingend; es enthalte den Wirkstoff [...]. Die Ag wollten kein Angebot ohne die Anwendungsgebiete Angiographie und Herz-MRT akzeptzieren.
Anbieter mit den Wirkstoffen Gadoteridol und/oder Gadopiclenol seien auf dem relevanten Markt für die vorgenannten Untersuchungen dagegen nicht zugelassen. Bieter mit Wirkstoffen Gadoteridol und Gadopiclenol dürften mangels Zulassung daher auch gar kein Angebot zur Lieferung der Kontrastmittel für das Fachlos [...] abgeben.
Vor diesem Hintergrund werde die ASt insoweit in einen ungleichen Wettbewerb gezwungen, in dem keine vergleichbaren Angebote möglich seien. Dies folge daraus, dass die ASt zur Belieferung mit ihren Kontrastmitteln zu ihrem Angebotspreis für alle Anwendungsgebiete des Fachloses [...] gezwungen sei, während dies für die Anbieter mit den Wirkstoffen Gadoteridol und/oder Gadopiclenol nicht gelte. Die ASt müsse die Differenz zwischen dem Angebotspreis und dem erheblich höheren Listenpreis ihres Produkts, den sie bei Herausnahme der Anwendungsgebiete der Angiographie und der Herz-MRT aus dem Fachlos [...] abrechnen könnte, in ihren Angebotspreis einkalkulieren. Dies müssten die Bieter mit den Wirkstoffen Gadoteridol und/oder Gadopiclenol nicht, da sie die Anwendungsgebiete der Angiographie und/oder der Herz-MRT ohnehin nicht abdecken könnten und daher von vornherein die Möglichkeit hätten, einen niedrigeren Angebotspreis zu kalkulieren.
Soweit die Ag behaupteten, das Anwendungsgebiet der Angiographie sei nicht Teil ihres Beschaffungsbedarfs, gehe sie fehl. Das Vorbringen der Ag habe ergeben, dass Angiographien mit [1-10]% (Los [...]) und [1-10]% (Los [...]) Anteil an allen MRT-Untersuchungen mit Kontrastmitteln hätten. Es sei Aufgabe der Ag, die Röntgenkontrastmittel zu beschaffen; dies hätten sie bereits in den vorangegangenen Ausschreibungen getan. Sofern die Ag der Ansicht seien, dass Angiographien nicht zum Beschaffungsbedarf zu zählen seien, seien diese aus dem Anwendungsbereich des Loszuschnitts vielmehr zu streichen. Es sei unverständlich, wenn die Ag argumentierten, sie hätten die Fachloseinteilung vorgenommen, um Bietern wie der ASt eine Teilnahme am Wettbewerb zu ermöglichen und sie nicht ausschließen zu müssen, weil ihr Kontrastmittel weitere Anwendungsgebiete wie z.B. die Angiographie beinhalte.
Vergaberechtlich gehe es vielmehr darum, das Fachlos [...] entweder auf die Anwendungsbereiche zu beschränken, in denen die Kontrastmittel mit den Wirkstoffen Gadobutrol und Gadotersäure tatsächlich in einem indikationsbezogenen Wettbewerb stünden oder die Anwendungsbereiche zu belassen, wie formuliert, dann aber die Wirkstoffe Gadoteridol und Gadopiclenol zu streichen.
Einen Verstoß gegen den Wirtschaftlichkeitsgrundsatz des § 127 Abs. 1 GWB sehen die Ag darin, dass die Fachloseinteilung zu einem unterschiedlichen Leistungsumfang der Angebote führe, woraus folge, dass der Preis nicht das alleinige Zuschlagskriterium sein könne. Denn nur bei Bewertung identischer Leistungen sei bei einem Preiswettbewerb zu erwarten, dass das günstigste Angebot tatsächlich auch das wirtschaftlichste Angebot sein könne und damit das beste Preis-Leistungs-Verhältnis gemäß § 127 Abs. 1 S. 3 GWB zum Zuge kommen könne. Der Loszuschnitt im Fachlos [...] lasse erwarten, dass ein 'Angebot der ASt das weitere Anwendungsgebiet Angiographie beinhalte und das Kontrastmittel nur zum Angebotspreis und unter Verzicht auf die Abrechnung nach dem höheren Listenpreis angeboten werden könne. Der Angebotspreis liege .[...] unterhalb des Listenpreises.
Demgegenüber 'wiesen Angebote von Kontrastmitteln mit den Wirkstoffen Gadoteridol und Gadopiclenol einen geringeren Leistungsumfang auf, denn sie müssten bei einem ZuSchlag nur Kontrastmittel liefern, die für die anderen Anwendungsgebiete eingesetzt werden können, nicht aber auch für die Angiographie, weil die genannten Wirkstoffe dafür nicht zugelassen seien. Die Ag müssten in diesem Fall Kontrastmittel für die Angiographie zu dem [...] höheren Listenpreis z.B. bei der ASt beschaffen. Dies stehe mit dem sozialrechtlichen Wirtschaftlichkeitsgebot nicht in Einklang.
Auch im Hinblick auf § 127 Abs. 1 S. 3 GWB müsse bei der Angebotsbewertung positiv berücksichtigt werden, wenn ein Bieter wie die ASt im Angebot zusätzliche Anwendungsgebiete beinhalte.
Schließlich meint die ASt, dass vor dem aufgezeigten Hintergrund eine seriöse Angebotskalkulation unmöglich und daher § 121 Abs. 1 GWB verletzt sei, soweit insbesondere die Anwendung des Kontrastmittels für Herz-MRT betroffen seien. Hierzu könne die ASt nicht kalkulieren, in welchem Umfang ihre Kontrastmittel [...] eingesetzt würden. Anders als für Angiographien hätten die Ag für Herz-MRT keine Zahlen vorgelegt, weil es sich nach den Angaben der Ag hierbei nicht um eine Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung handele, die über den Sprechstundenbedarf abzudecken sei. Die Kalkulationsschwierigkeiten seien dadurch zu beseitigen, dass die Ag in der Fachloseinteilung die Herz-MRT aus den Angaben zum Anwendungsbereich MRT anderer Organe herausstreiche. Für [...] sei dann klar, dass sie die Kontrastmittel des entsprechenden Rahmenvertragspartners nicht für eine Herz-MRT einsetzen dürften. Überdies sei ohnehin kein Grund ersichtlich für die Aufzählung der Herz-MRT, da es sich nach den Angaben der Ag hierbei um keine GKV-Leistung handele, die im Rahmen des Sprechstundenbedarfs abgerechnet werden dürfe.
Die ASt macht zudem nach Akteneinsicht DCkumentationsmängel im Hinblick auf die Festlegung des Beschaffungsgegenstandes im Fachlos [...] und die Festlegung des Zuschlagskriteriums geltend, was näher ausgeführt wird.
Die ASt beantragt:
1. Die Ag zu verpflichten, bei fortbestehender Beschaffungsabsicht das Vergabeverfahren in den Stand vor Versendung der vergabeunterlagen zurückzuversetzen und die Vergabeunterlagen unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung der Vergabekammer zu überarbeiten;
2. der ASt Einsicht in die Vergabeakte zu gewähren;
3. die Hinzuziehung des Verfahrensbevollmächtigten der ASt für notwendig zu erklären;
4. den Ag die Kosten des Verfahrens einschließlich der Kosten zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung der ASt aufzuerlegen.
Die Ag beantragen,
1. den Nachprüfungsantrag zurückzuweisen,
2. der ASt die Kosten des Verfahrens einschließlich der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen der Ag aufzuerlegen,
3. festzustellen, dass die Hinzuziehung anwaltlicher Verfahrensbevollmächtigter durch die Ag notwendig war.
Die Ag halten den Nachprüfungsantrag für teilweise unzulässig. Der ASt fehle die Antragsbefugnis nach § 160 Abs. 2 GWB, weil ihr durch die behauptete Verletzung der Vergabevorschriften kein Schaden drohe. Aus den eingegangenen Angeboten gehe hervor, dass keines davon die Wirkstoffe Gadoteridol oder Gadopiclenol enthalte und somit im Ergebnis gar kein indikationsbezogenes Wettbewerbsverhältnis zu den letztlich angebotenen Kontrastmitteln mit den beiden übrigen Wirkstoffen bestehe. Ein fehlerhafter Loszuschnitt und Verstöße gegen § 127 Abs. 1 GWB und § 121 Abs. 1 GWB seien daher ausgeschlossen.
Jedenfalls sei der Nachprüfungsantrag aber unbegründet. Ein Verstoß gegen § 121 Abs. 1 GWB wegen einer widersprüchlichen Leistungsbeschreibung liege nicht vor. Die von der ASt bemängelten Unsicherheiten hinsichtlich der Vorgaben in der Fachloseinteilung der Anlage [...] "MRT anderer Organe (z.B. ...., Herz,...., weitere möglich)" sowie "weitere möglich (z.B. Angiographie)" seien nicht festzustellen; es gebe insofern keinen Anlass, von Widersprüchen ausgehen zu können.
Der Wortlaut der Fachlosbeschreibung für Fachlos, [...] sei so zu verstehen, dass das Anwendungsgebiet der anderen Organe nicht notwendigerweise alle im Klammerzusatz lediglich beispielhaft aufgeführten Organe umfasse, was durch den ausdrücklichen Zusatz "z.B." und die offene Formulierung "weitere möglich" klar werde. Die Aufnahme der Organs Herz in die beispielhafte Aufzählung habe lediglich der Klarstellung gedient, dass eine Zulassung für diese Untersuchung kein Hindernis für eine Teilnahme an der Ausschreibung sei, ebenso wie eine fehlende Zulassung insofern keinen Ausschlussgrund darstelle. Die Ag hätten, entgegen der Meinung der ASt, in den Antworten auf die Bieterfragen 16 und 18 ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Aufzählung der Organe nur beispielhaft sei und nicht alle kumulativ erfüllt sein müssten.
Auch das Verständnis der Formulierung "weitere möglich (z.B. Angiographie)" sei eindeutig. Daraus ergebe sich unmissverständlich, dass weitere Indikationen nur möglich sein sollen, aber nicht zwingend vorhanden sein müssten, und damit keinesfalls angebotsschädlich seien. Es sei auch klar gewesen, dass der von den Ag hierzu erteilte Hinweis für alle Bieter verbindlich gewesen sei. Die "Beachtlichkeit des Hinweises ergebe sich aus Ziff. 4.2 der Bewerbungsbedingungen."
Der Zuschnitt des Fachloses [...] sei zudem im Hinblick auf die Einbeziehung der Wirkstoffe Gadoteridol und Gadopiclenol nicht fehlerhaft. Den Bedenken der ASt stehe bereits das fehlerhafte Verständnis des nur optionalen Anwendungsgebietes "weitere möglich (z.B. Angiographie)" entgegen. Hierbei handele es sich nicht um den Beschaffungsbedarf der Ag. Es komme hierfür nicht darauf an, ob diese Wirkstoffe für Angiographien zugelassen seien oder nicht. Entscheidend sei, dass Ängebote nicht ausgeschlossen werden sollten, die zusätzlich zu den zu beschaffenden Indikationen ggf. noch weitere Anwendungsbereiche umfassen. Derartige Bieter sollten sich vielmehr auch am Wettbewerb beteiligen können. Soweit am Markt bestimmte Unternehmen Produkte anböten, die über die zwingend geforderten Anwendungsgebiete hinaus noch weitere Anwendungsmöglichkeiten aufwiesen, hätten die Ag ihr Leistungsbestimmungsrecht fehlerfrei dahin ausgeübt, den Wettbewerb nicht zu verengen und diese auszuschließen, sondern in die Losgestaltung aufgenommen.
Sofern die ASt auf frühere Ausschreibungsformate der Ag rekurriere, könne daraus kein Anspruch abgeleitet werden, den Loszuschnitt nicht zu verändern. Eine derartige Selbstbindung eines öffentlichen Auftraggebers sei vergaberechtlich nicht herzuleiten. Die Ag hätten bei der Festlegung ihres Beschaffungsbedarfs vielmehr einen Gestaltungsspielraum, den diese beim Fachlos [...] genutzt hätten, weil sich der Markt hinsichtlich der gegenwärtig verfügbaren Produkte und Wirkstoffe mit ihren spezifischen Anwendungen verändert habe.
Es sei ein hinreichend bestimmter Mindestumfang an Indikationen vorgegeben, woraus auch eine hinreichende Grundlage für vergleichbare Angebote folge. Im Rahmen einer - wie hier - wirkstoffübergreifenden Fachlosbildung sei es nicht erforderlich, dass in einem Fachlos nur Angebote für Wirkstoffe konkurrieren dürften, die alle für die exakt gleichen Anwendungen zugelassen seien. Die Vorgaben der Ag erfüllten die von der ASt reklamierten Maßgaben, wonach die in einem solchen Los zusammengefassten Anwendungsgebiete arzneimittelrechtlich zugelassen sein müssten. Hiermit sei nicht unvereinbar, wenn einzelne Wirkstoffe darüber hinaus für weitere als die zumindest erforderlichen Indikationen zugelassen seien. Die Ag hätten sich daran gehalten; die Losbildung sei indikationsbezogen erfolgt.
Schließlich könnten etwaige Unterschiede deb Zulassungsumfangs der für Fachlos [...] in Betracht kommenden Kontrastmittel für die Fachlosbildung keine entscheidende Rolle spielen. Der Umfang der Angiographien an MRT-Untersuchungen im Bereich der Ag sei nicht erheblich, sondern von untergeordneter Bedeutung. Die Abrechnungsdaten der Ag ergäben für das Gebietslos [...] einen prozentualen Anteil von [1-10]% Angiographien mit Kontrastmitteleinsatz an allen MRT-Untersuchungen mit Kontrastmitteleinsatz im Zeitraum von [...]. Für das Gebietslos [...] sei der Anteil noch geringer; hier liege er bei [1-10]%.
bei den Ag spielten. Daher seien auch die von der ASt reklamierten Angaben zum Anteil der Herz-MRT-Untersuchungen für die Kalkulation entbehrlich.
Ein Verstoß gegen den Wirtschaftlichkeitsgrundsatz nach § 127 GWB sowie gegen § 121 Abs. 1 GWB wegen der von der ASt bemängelten Unmöglichkeit einer seriösen Angebotskalkulation liege ebenfalls nicht vor. Der Hinweis "weitere möglich (z.B. Angiographie)" bringe -wie dargelegt - nur zum Ausdruck, dass Angebote unschädlich sind, die über die Mindestbedingungen hinsichtlich der zugelassenen Anwendungsgebiete hinausgingen. Dies sei aber keine optionale Erweiterung des Beschaffungsbedarfs der Ag. Es solle kein Qualitätswettbewerb eröffnet werden, in dem der Anbieter am besten bewertet werde, dessen Kontrastmittel die meisten Anwendungen abdecke. Es gehe darum, dass jedes Angebot hinsichtlich des Anwendungsumfangs dieselben Mindestbedingungen einhalte. Alles, was darüber hinausgehe, sei nicht wesentlich für die Ag, aber auch nicht angebotsschädlich.
Es sei vor diesem Hintergrund zulässig, die Angebotswertung allein nach dem Preis durchzuführen, was auch aus dem Wortlaut von § 127 Abs. 1 S. 4 GWB folge. Dass einzelne Wirkstoffe überobligatorisch für optionale weitere Indikationen (z.B. Herz-MRT) zugelassen seien, beeinträchtige aber die Kalkulierbarkeit und damit auch die Wirtschaftlichkeit des Angebotes nicht.
Es sei vor diesem Hintergrund nicht ersichtlich, inwiefern die ASt einen Nachteil bei der Kalkulation ihres Angebotes gehabt habe. Schließlich könne die ASt ihre Produkte in einem weiteren Umfang als zum Mindestbedarf anbieten und zusätzlichen Umsatz erwirtschaften. Mit Blick auf Wirtschaftlichkeit und Kalkulierbarkeit seien die damit verbundenen Skaleneffekte vorteilhaft.
3. Die Vergabekammer hat der ASt nach Anhörung und mit Zustimmung der Ag Einsicht in die Vergabeakte gewährt, soweit Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse nicht betroffen waren. Auf die ausgetauschten Schriftsätze, die elektronische Vergabeakte, soweit sie der Vergabekammer vorgelegen hat, sowie auf die Verfahrensakte der Vergabekammer wird verwiesen. Die mündliche Verhandlung hat am [...] stattgefunden.
II.
Der Nachprüfungsantrag ist zulässig (1.) und begründet (2.).
1. Der Nachprüfungsantrag ist zulässig.
a) Der Nachprüfungsantrag ist statthaft.
aa) Zugrunde liegt eine Rahmenvereinbarung nach § 103 Abs. 5 S. 1 GWB zur Vergabe öffentlicher Lieferaufträge in den Gebietslosen [...] des Fachloses [...], worauf nach § 103 Abs. 5 S. 2 GWB dieselben Vorschriften wie für öffentliche Aufträge gelten. Die Ag sind als gesetzliche Krankenkassen öffentliche Auftraggeber gemäß § 99 Nr. 2 GWB (vgl. grundlegend EuGH, Urteil vom 11. Juni 2009, Rs. C-300/07).
Der gemäß § 106 Abs. 1 GWB maßgebliche Schwellenwert der von der Ausschreibung betroffenen Fachlose ist überschritten, da der addierte Wert der Einzelaufträge ausweislich der bei der Vergabeakte befindlichen Auftragswertschätzung, aus der auch die festgelegten Höchstmengen der einzelnen Lose hervorgehen, oberhalb des für öffentliche Lieferaufträge einschlägigen Schwellenwertes für die europaweite Vergaben liegt, § 3 Abs. 4 VgV.
bb) Die Vergabekammer des Bundes ist zuständig, § 159 Abs. 1 Nr. 6 GWB.
b) Die ASt ist antragsbefugt nach § 160 Abs. 2 GWB. Das nach § 160 Abs. 2 S. 1.GWB erforderliche Interesse der ASt am ausgeschriebenen Auftrag hat sie durch das von ihr abgegebene Angebot, ihre Rügen und den Nachprüfungsantrag hinreichend nachgewiesen. Die von ihr bemängelten Vergaberechtsverstöße stützt sie auf ohne Weiteres bieterschützende Vorschriften gemäß § 160 Abs. 2 S. 1 GWB, § 97 Abs. 6 GWB.
Die ASt hat auch dargelegt, dass ihr durch die behaupteten Vergaberechtsverstöße ein Schaden in Gestalt der entgehenden Zuschlagschance entgeht, § 160 Abs. 2 S. 2 GWB. Es ist nach dem Vortrag der ASt. nicht auszuschließen, dass ihre Zuschlagschancen im Rahmen einer Angebotswertung verschlechtert sein könnten. Es ist entgegen der Ansicht der Ag unerheblich, dass sich nach Öffnung der abgegebenen Angebote herausgestellt hat, dass keine Angebote für die Wirkstoffe Gadoteridol oder Gadopiclenol abgegeben worden sind, so dass die von der ASt befürchtete ungleiche Wettbewerbslage im Ergebnis nicht gegeben sei. Die ASt hat vielmehr schlüssig dargelegt, dass es ihr auf der Grundlage der von ihr bemängelten Vorgaben in den Vergabeunterlagen gar nicht möglich war, ein vergleichbares Angebot zu kalkulieren, weil sie auf der Grundlage der von ihr im Hinblick auf die Vergabeunterlagen getroffenen Annahmen und Einschätzungen von einem ungleichen Wettbewerb ausgehen musste und daher die Kalkulation des von ihr vorgelegten Angebotes hierdurch erheblich beeinflusst worden ist.
c) Die ASt ist ihrer Rügeobliegenheit nach § 160 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 und Nr. 3 GWB in jedem Fall rechtzeitig nachgekommen.
d) Der Nachprüfungsantrag ist rechtzeitig innerhalb der Frist nach § 160 Abs. 3 S. 1 Nr. 4 GWB bei der Vergabekammer des Bundes eingereicht worden, unabhängig davon, auf welches Rügeantwortschreiben der Ag man abstellte. Auch ausgehend vom ersten Nichtabhilfeschreiben vom [...] hat die ASt die Antragsfrist. von 15 Kalendertagen nach Eingang dieser Nichtabhilfemitteilung der Vergabestelle eingehalten. Zwar lief diese Frist rein rechnerisch am [...], einem Samstag, ab. Das nach § 160 Abs. 3 S. 1 Nr. 4 GWB maßgebliche Fristende verschob sich allerdings nach § 31 Abs. 3 S. 1 i.V.m. Abs. 1 VwVfG (Bund) und § 188 Abs. 1 BGB, § 193 BGB auf den nachfolgenden Werktag, Montag, den [...], an dem die ASt ihren Nachprüfungsantrag bei der Vergabekammer des Bundes eingereicht hat.
2. Der Nachprüfungsantrag ist begründet. Die Ag haben bei Ausübung ihres Leistungsbestimmungsrechts gegen den vergaberechtlichen Grundsatz des transparenten und chancengleichen Wettbewerbs nach § 97 Abs. 1 und 2 GWB verstoßen, indem sie im Fachlos [...] eine auf unterschiedliche Leistungsinhalte gerichtete Nachfrage ausgeschrieben haben, auf die es nicht möglich war, vergleichbare Angebote abzugeben. Es gehört zu den Grundprinzipien des Vergaberechts, dass die vom öffentlichen Auftraggeber nachgefragten Angebote auf die gleiche Leistung ausgelegt sein müssen, damit der Auftraggeber auf der Grundlage vergleichbarer Angebote das wirtschaftlichste Angebot auswählen kann. Aus demselben Grund sind Angebote, die von den Vergabeunterlagen abweichen, zwingend auszuschließen, § 57 Abs. 1 Nr. 4 VgV, denn auch diese ermöglichen keinen gleichheitskonformen Vergleich der Angebote. Diesen Maßgaben werden die Vorgaben der Ag in den Vergabeunterlagen nicht gerecht.
a) Die Ausgestaltung des Fachloszuschnitts in Anlage [..I der Vergabeunterlagen lässt Angebote zu, die unterschiedliche und nicht miteinander vergleichbare Leistungsinhalte enthalten können. Nach den vorgegebenen Anwendungsgebieten können einerseits Angebote zu Kontrastmitteln eingereicht werden, die neben den ersten beiden, zwingend anzubietenden Anwendungsgebieten (kraniale und spinale MRT sowie MRT anderer Organe) auch die im dritten Spiegelstrich angegebenen möglichen weiteren Anwendungsgebiete, insbesondere die Angiographie, umfassen.
Andererseits sind auch Produkte zugelassen; welche eben nur die ersten beiden Anwendungsgebiete abdecken, mangels entsprechender Zulassung nicht aber weitere mögliche Anwendungsgebiete, insbesondere die Angiographie. Die Ag haben hier durch die Änderung im Vergleich zur Auftragsbekanntmachung vom [...] zwar. eine Wettbewerbsöffnung dahin erreichen wollen, dass auch Produkte zum Wettbewerb zugelassen werden, die ausschließlich die nunmehr allein zwingend vorgegebenen Anwendungsgebiete abdecken. Verkannt wurde dabei aber offensichtlich, dass es nicht nur um die Zulassung zum Wettbewerb geht, sondern dass mit der Beschreibung des Fachloses auch der Angebots- und damit nach Zuschlag der Vertragsinhalt definiert wird. Im einen Fall erhalten -die Ag einen Rabattpreis ausschließlich für die zwingend abzudeckenden Anwendungsgebiete, denn ein für die Angiographie nicht zugelassenes Produkt kann diesbezüglich nicht eingesetzt werden. Wird in der [...] Praxis eine Angiographie durchgeführt, so kann das Kontrastmittel nicht aus dem Rabattvertrag beschafft werden, sondern es muss ein anderes Kontrastmittel eingesetzt werden, welches rabattvertragsfrei ist, die Ag hätten in dieser Konstellation den Listenpreis für das Angiographiekontrastmittel zu bezahlen. Im anderen Fall, so dem der ASt, würde dagegen zwangsläufig ein Rabattpreis auch für die Angiographie vereinbart, die Ag hätten hier gerade nicht den Listenpreis, sondern einen deutlich geringeren Rabattpreis zu bezahlen. Je nachdem, welcher Bieter den günstigsten Preis angeboten hat, kommt es also aufgrund der Ag-seitig gesetzten Vorgaben zu anderen Angebots- und Vertragsinhalten, je nach indiv- idueller Zulassungslage bei einzelnen Bietern. Eine solche Ausübung des Leistungsbestimmungsrechts, das je nach Leistungsfähigkeit einzelner Marktteilnehmer einen größeren oder kleineren Angebots- und Vertragsumfang zulässt, ist nicht mit einem gleichbehandelnden Wettbewerb in Einklang zu bringen.
Die von den Ag alS zusätzliche Möglichkeit formulierten Anwendungsgebiete ("weitere möglich (z.B. Angiographie") sind beschaffungsrelevant für die Ag. Es ist nicht festzustellen, dass es sich dabei um einen beschaffungsneutralen Vorgang handelt, und es bei der Angiographie lediglich um ein Anwendungsgebiet geht, der für den Bedarf der Ag gar keine Rolle spielt oder von so erheblich untergeordneter Bedeutung ist, dass er in der Beschaffungspraxis der Ag nicht spürbar ist. Dies folgt bereits daraus, dass die Ag das Anwendungsgebiet der Angiographie in den Loszuschnitt für das Fachlos [...] integriert hat, womit dieses Anwendungsgebiet grundsätzlich zum Beschaffungsbedarf gehört bzw. gehören kann. Dies erschließt sich zudem aus dem Loszuschnitt des zuvor aufgehobenen Vergabeverfahrens, der das Anwendungsgebiet der Angiographie ausnahmslos erfasst hat. Die Ag haben selbst vorgetragen, dass Angiographien mit Kontrastmitteln ausgeführt werden, die im Zuge der ausgeschriebenen Rahmenvereinbarung für den Sprechstundenbedarf beschafft werden sollen. Das belegen die von den Ag für die Gebietslose [...] ermittelten Zahlen, wonach in dem von ihr betrachteten Zeitraum in fast [1-10]% bzw. über [1-10]% der MRT-Behandlungen Angiographien von den Fachärzten mit Kontrastmitteln des Sprechstundenbedarfs durchgeführt wurden. Die ASt wiederum hat bezogen auf das Abgabevolumen in dem von den Ag zugrunde gelegten Referenzzeitraum schlüssig dargelegt, dass sich der Einsatz ihres Kontrastmittels für eine nur optional anzubietende Angiographie zu dem über dem Angebotspreis liegenden Listenpreis auf einen hohen [...] Betrag summierte, den die ASt im Hinblick .auf die ungleiche Wettbewerbssituation kalkulatorisch berücksichtigen müsste, indem sie die Differenz zwischen dem jedenfalls deutlich höheren Listenpreis und dem Angebotspreis unter Berücksichtigung der zu veranschlagenden Kontrastmittelmenge als zu erwartenden Verlust einpreist, um auf diesem Wege den endgültigen für sie wirtschaftlichen Angebotspreis zu ermitteln. Dies macht deutlich, dass es sich im Hinblick auf die Angiographie nicht um einen beschaffungsneutralen Vorgang handelt.
Im Übrigen ist die Angiographie auch rein faktisch ein Teil der Beschaffung: Laut Antwort auf Bieterfragen muss jeder Bieter alle Anwendungsgebiete in sein Angebot integrieren, für die das angebotene Kontrastmittel zugelassen ist. Die formulierten Vorgaben des Loszuschnitts lassen zwar zu, Angebote abzugeben, die weitere Anwendungsgebiete, wie das der Angiographie, umfassen. Sie geben aber keine Möglichkeit, Kontrastmittel, die diese zusätzliche Anforderung erfüllen, unter Ausnahme dieser weiteren Anwendungsgebiete anzubieten. Die Bieter haben somit keine Möglichkeit, die lediglich möglichen weiteren Anwendungsgebiete äuszunehmen. Eine Herausnahme des Anwendungsgebiets der Angiographie wie die ASt dies mit ihrem Angebotsschreiben versucht hat war danach unzulässig. Also gilt der angebotene Rabatt zwangsläufig auch für dieses, als "optional" bezeichnete Anwendungsgebiet. Für einen Bieter wie die ASt, deren angebotenes Produkt auch für die Angiographie zugelassen ist, ist die Angebotserstreckung hierauf eben gerade nicht optional, eine "opt out"-Entscheidung bezüglich der Angiographie ist nicht vorgesehen und würde angesichts der Abläufe in der [...] 'Praxis mangels Umsetzbarkeit auch keinen Sinn ergeben. Denn es erfolgt in den Praxisabläufen keine Zuordnung verbrauchter Mengen eines Kontrastmittels zu den jeweiligen Anwendungsformen, für die das Kontrastmittel zugelassen ist. Ein gesplitteter Preis für ein Kontrastmittel je nach Anwendungsgebiet wäre in der Abrechnung nichtumsetzbar. Damit gehört die Angiographie zum Beschaffungsbedarf, unabhängig davon, ob die Ag dies intendiert haben oder nicht. Der Umstand, dass gesplittete Preise für ein Kontrastmittel nicht umsetzbar sind, kann aber ein gleichheitswidriges Design der Vergabebedingungen nicht rechtfertigen. Dies erhellt auch, dass es selbst bei der von der ASt im Angebot formulierten Ausnahme bei dem festgestellten Verstoß gegen den Grundsatz des transparenten und chancengleichen Wettbewerbs und dem Problem ungleicher Leistungsinhalte bleibt. Es ist Aufgabe der Ag, ein vergaberechtskonformes Design auf der Basis einer gleichförmigen Nachfrage zu schaffen.
Vergleichbare Angebote sind auf dieser Basis nicht möglich. Daran ändert sich auch dadurch nichts, dass sich im Ergebnis keine Bieter beteiligt haben, deren Kontrastmittel die Wirkstoffe Gadotersäüre oder Gadopiclenol enthalten und die - wie von der ASt näher und unbestritten dargelegt - daher nicht für das Anwendungsgebiet der Angiographie zugelassen sind. Ein Bieter, der auf dieser Grundlage ein Angebot kalkulieren will und dessen Kontrastmittel - wie das der ASt - alle drei im Loszuschnitt vorgegebenen Anwendungsgebiete abdeckt, muss davon ausgehen, dass sich auch Bieter mit weniger Anwendungsgebieten am Wettbewerb beteiligen. Die ASt hat in ihrer Stellungnahme vom [...] nachvollziehbar dargelegt, dass sich dies erheblich auf die Kalkulation und den Angebotspreis auswirkt. Es liegt ohne Weiteres auf der Hand, dass ein Bieter, dessen Kontrastmittel für keine weiteren Anwendungsgebiete wie die Angiographie zugelassen ist, inhaltlich anders anbietet und daher auch kalkuliert.
Soweit die Ag in der mündlichen Verhandlung auf eine vermeintliche Parallele zu Rabattverträgen über Generika verwiesen haben, ist dieser Vergleich nicht tauglich und rechtfertigt vorliegend keine andere rechtliche Einschätzung. In den Rabattvertragsausschreibungen wird nicht indikationsbezogen nachgefragt, sondern wirkstoffbezogen. Bei Generika ist der .Wirkstoff bei allen Konkurrenzangeboten inhaltlich identisch, so dass dort eine gesetzliche Krankenkasse, die ein Vergabeverfahren zwecks Abschlusses eines Rabattvertrags durchführt, eine einheitliche, für alle Marktteilnehmer gleiche Nachfrage vorgibt, nämlich nach dem Wirkstoff. Unterschiede. ergeben sich hier ausschließlich daraus, dass eine für alle identische Nachfrage auf unterschiedliche Marktpositionen der Unternehmen trifft. Denn einzelne Unternehmen verzichten aus geschäftspolitischen Erwägungen heraus in Einzelfällen auf die Beantragung aller Zulassungen, die für den Wirkstoff möglich wären, z.B. um die Substitutionsmöglichkeiten in der Apotheke zu ihren Gunsten zu beeinflussen. Dies geht aber nicht auf eine uneinheitliche Nachfrage des öffentlichen Auftraggebers zurück; auch obliegt es der jeweiligen gesetzlichen Krankenkasse, Vorgaben zu machen, wonach nur Produkte mit allen für den Wirkstoff vorhandenen Zulassungen am Wettbewerb teilnehmen können. Im vorliegenden Fall indes sind es die Ag selbst, die - je nachdem, welche Indikationen ein Produkt abdeckt - mit den Vergabeunterlagen als invitatio ad offerendum einen unterschiedlichen Leistungsumfang als Basis für die Angebotsinhalte und damit den Vertragsinhalt vorgeben. Deckt das jeweilige Produkt, wie das der ASt, auch die Angiographie mit ab, so erhalten die Ag - wie oben bereits festgestellt - aufgrund ihrer Vorgaben auch für diese Indikation einen rabattierten Preis, anders als bei Produkten, die für diese Anwendung nicht in Betracht kommen. Hier erfolgt kein Angebot für die Angiographie, diese Anwendung bleibt rabattvertragsfrei.
Auch wenn man im Sinne einer Kontrollüberlegung die Grundsätze zu Nebenangeboten heranzieht, die qua definitionem einen anderen Angebotsinhalt haben als die Vorgaben der Leistungsbeschreibung, so würde es sich bei einem Angebot ohne Angiographie im Vergleich zu einem solchen mit Angiographie um ein reines "Abspeckungsangebot" handeln, das einen schlicht geringeren Leistungsumfang hat. Dieser geringere Leistungsumfang wird über die reine Preiswertung nicht erfasst. Ein solches Nebenangebot dürfte mangels Gleichwertigkeit nicht angenommen werden.
b) Der aktuell vorgegebene Zuschnitt des Fachloses [...] führt auch für die im Zuge des als Mindestanforderung formulierten Anwendungsgebietes "MRT anderer Organe" beispielhaft angeführte Herz-MRT zu demselben Problem wie soeben für das weitere Anwendungsgebiet der Angiographie festgestellt. Auch hier lässt der Loszuschnitt unterschiedliche Leistungsinhalte zu, nämlich Angebote von Bietern, deren Kontrastmittel für Herz-MRT zugelassen sind, und Angebote von Bietern, deren Kontrastmittel im Hinblick auf die Wirkstoffe für dieses Anwendungsgebiet nicht arzneimittelrechtlich zugelassen sind. Insofern ergeben sich dieselben Auswirkungen auf Angebotsinhalt und Kalkulation, die im Ergebnis zu nicht vergleichbaren Angeboten führen. Der aktuell vorgegebene Zuschnitt des Fachloses [...] lässt für die Herz-MRT schließlich nicht erkennen, dass sie - wie von den Ag näher dargelegt - gar keine Beschaffungsrelevanz für die Ag haben kann, da nicht umfasst vom Leistungsumfang der gesetzlichen Krankenkassen.
c) Der festgestellte Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz führt dazu, dass das Vergabeverfahren auf dieser Grundlage nicht weiter durchgeführt werden kann. Die bislang eingegangenen Angebote sind nicht miteinander vergleichbar und daher für eine weitere Prüfung und Wertung -ungeeignet. Ein Zuschlag kann nicht erteilt werden, weil auf dieser Grundlage das beste Preis-Leistungs-Verhältnis nicht ermittelt werden kann. Auch Wenn im Ergebnis nur Angebote vorliegen, die das Anwendungsgebiet der Angiographie umfassen, ist nicht auszuschließen, dass die beschriebenen ungleichen Rahmenbedingungen des Fachloszuschnittes [...] die Kalkulation der Angebote verfälscht hat. Erforderlich ist daher eine entsprechende Überarbeitung des Fachloszuschnitts im Fachlos [...], verbunden mit einer entsprechenden Zurückversetzung des Vergabeverfahrens und - fortbestehende Beschaffungsabsicht vorausgesetzt - Einholung neuer Angebote.
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 182 Abs. 1, Abs. 2, Abs. 3 S. 1 und S. 2 sowie Abs. 4 S. 1 und S. 4 GWB i.V.m. § 80 Abs. 1, Abs. 2 und Abs. 3 S. 2 VwVfG (Bund).
1. Die Ag tragen als unterliegende Verfahrensbeteiligte die Kosten des Nachprüfungsverfahrens (Gebühren und Auslagen) gesamtschuldnerisch, § 182 Abs. 3 S. 1 und 2 GWB, sowie die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen der ASt, § 182 Abs. 4 S. 1 GWB.
2. Die Hinzuziehung der Verfahrensbevollmächtigten der ASt wird für notwendig erklärt, § 182 Abs. 4 S. 4 GWB, § 80 Abs. 1, Abs. 2, Abs. 3 S. 2 VwVfG (Bund). Von einem durchschnittlichen Bieterunternehmen wie der ASt kann nicht erwartet werden, die hier gegebenen komplexen vergaberechtlichen und insbesondere die nachprüfungsverfahrensrechtlichen Fragestellungen, hier zudem verflochten mit speziellen Fragen des Sozialversicherungsrechts, im Nachprüfungsverfahren ohne anwaltliche Hilfe aufzuarbeiten.
IV.
Gegen die Entscheidung der Vergabekammer ist die sofortige Beschwerde zulässig. Sie ist innerhalb einer Notfrist von zwei Wochen, die mit der Zustellung der Entscheidung beginnt, schriftlich beim Oberlandesgericht Düsseldorf - Vergabesenat - einzulegen.
Die Beschwerdeschrift muss durch einen Rechtsanwalt unterzeichnet sein. Dies gilt nicht für Beschwerden von juristischen Personen des öffentlichen Rechts.
Die Beschwerde ist bei Gericht als elektronisches Dokument einzureichen. Dieses muss mit einer qualifizierten elektronischen Signatur der verantwortenden Person versehen sein oder von der verantwortenden Person signiert und auf einem sicheren Übermittlungsweg eingereicht werden. Dies gilt nicht für Anlagen, die vorbereitenden Schriftsätzen beigefügt sind. Ist die Übermittlung als elektronisches Dokument aus technischen Gründen vorübergehend nicht möglich, bleibt die Übermittlung nach den allgemeinen Vorschriften zulässig.
Die sofortige Beschwerde ist zugleich mit ihrer Einlegung zu begründen. Die Beschwerdebegründung muss die Erklärung enthalten, inwieweit die Entscheidung der Vergabekammer angefochten und eine abweichende Entscheidung beantragt wird, und die Tatsachen und Beweismittel angeben, auf die sich die Beschwerde stützt.
Die sofortige Beschwerde hat aufschiebende Wirkung gegenüber der Entscheidung der Vergabekammer. Die aufschiebende Wirkung entfällt zwei Wochen nach Ablauf der Beschwerdefrist. Hat die Vergabekammer den Antrag auf Nachprüfung abgelehnt, sä kann das Beschwerdegericht auf Antrag des Beschwerdeführers die aufschiebende Wirkung bis zur Entscheidung über die Beschwerde verlängern.
Methoden der Formulierung technischer Spezifikationen sind abschl...
Methoden der Formulierung technischer Spezifikationen sind abschließend!
EuGH, Urteil vom 16.01.2025 - Rs. C-424/23
Bieterangaben sind (nur) bei Auffälligkeiten zu prüfen!
Bieterangaben sind (nur) bei Auffälligkeiten zu prüfen!
OLG Düsseldorf, Beschluss vom 10.04.2024 - Verg 24/23
Wertung nach "Alles-oder-nichts-Prinzip" ist vergaberechtswidrig!
Wertung nach "Alles-oder-nichts-Prinzip" ist vergaberechtswidrig!
OLG Düsseldorf, Beschluss vom 29.05.2024 - Verg 35/23
Noch auszuschreibende Eignung kann nicht geliehen werden!
Noch auszuschreibende Eignung kann nicht geliehen werden!
OLG Düsseldorf, Urteil vom 21.06.2023 - 2 U 1/22 (Kart)
Bewerbungsfrist abgelaufen: Teilnahmeantrag nicht mehr änderbar!
Bewerbungsfrist abgelaufen: Teilnahmeantrag nicht mehr änderbar!
VK Rheinland, Beschluss vom 07.10.2024 - VK 32/24
Nachprüfungsverfahren ist kein Bauprozess!
Nachprüfungsverfahren ist kein Bauprozess!
VK Rheinland, Beschluss vom 29.04.2024 - VK 40/23
Unterlagen zu spät nachgereicht: Ausschluss auch im Sektorenberei...
Unterlagen zu spät nachgereicht: Ausschluss auch im Sektorenbereich!
VK Bund, Beschluss vom 22.11.2024 - VK 2-97/24
Selbstreinigung auch nach abgeschlossener Eignungsprüfung!
Selbstreinigung auch nach abgeschlossener Eignungsprüfung!
OLG Jena, Beschluss vom 02.10.2024 - Verg 5/24
Darf ein Bieter einen fremden E-Mail-Account nutzen?
Darf ein Bieter einen fremden E-Mail-Account nutzen?
VK Bund, Beschluss vom 06.11.2024 - VK 2-87/24
Zuschlagskriterien müssen Auftragsbezug haben!
Zuschlagskriterien müssen Auftragsbezug haben!
OLG Düsseldorf, Beschluss vom 15.02.2023 - Verg 6/22