BayObLG
Beschluss
vom 29.07.2022
Verg 13/21
1. Dem Auftraggeber steht das Bestimmungsrecht zu, ob und welchen Gegenstand er beschaffen will, sowie über die technischen und ästhetischen Anforderungen. Die Bestimmungsfreiheit des öffentlichen Auftraggebers und damit auch die Frage, welche Anforderungen an die zu beschaffenden Leistungen gestellt werden dürfen, unterliegt allerdings allgemeinen vergaberechtlichen Grenzen.
2. Die Bestimmung des Auftragsgegenstands muss sachlich gerechtfertigt sein und es bedarf nachvollziehbarer, objektiver und auftragsbezogener Gründe. Die Festlegung hat willkür- und diskriminierungsfrei zu erfolgen. Ob die Vorgaben erforderlich oder zweckmäßig sind, ist ohne Belang.
3. Bei der Beschaffung einer digitalen Lösung zur Kontaktdatenerfassung vorstößt die Forderung nach einer bestimmten Schnittstelle nicht gegen Vergaberecht, wenn ein System beschafft werden soll, das Händler, Gastronomie, Behörden, Kulturtreibende und alle weiteren Einrichtungen mit Publikumsverkehr bei der Erfassung von Kontaktdaten und der Weiterleitung dieser Daten an die Gesundheitsämter unterstützt, um die ressourcen- und zeitaufwändige Datenerhebung in Form von Papierlisten durch ein einfach zu nutzendes digitales Verfahren abzulösen.
4. Die Antragsbefugnis muss während des gesamten Vergabenachprüfungsverfahrens fortbestehen. Sie entfällt, wenn der Antragsteller das Interesse am Auftrag verliert.
5. Im Fall einer Insolvenz des Antragstellers ist die Erklärung zu fordern, dass der Insolvenzschuldner sein operatives Geschäft trotz Zahlungsunfähigkeit beziehungsweise Überschuldung fortführen wird und sich daher an der Ausschreibung nach wie vor beteiligen will.
vorhergehend:
BayObLG, 16.12.2021 - Verg 13/21
VK Südbayern, 14.09.2021 - 3194.Z3-3_01-21-23
Im Nachprüfungsverfahren
betreffend die Beschaffung einer digitalen Lösung für die Besucher-Kontaktdatenerfassung für Einrichtungen im ...
(...)
erlässt das Bayerische Oberste Landesgericht - Vergabesenat - durch den Vorsitzenden Richter am Bayerischen Obersten Landesgericht Dr. Fischer, die Richterin am Bayerischen Obersten Landesgericht Dr. Muthig, den Richter am Bayerischen Obersten Landesgericht Hagspiel, die Richterin am Bayerischen Obersten Landesgericht Willner und die Richterin am Bayerischen Obersten Landesgericht Dr. Löffler mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung am 29. Juli 2022 folgenden
Beschluss
1. Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss der Vergabekammer Südbayern vom 14. September 2021, Gz. 3194.Z3-3_01-21-23, wird zurückgewiesen.
2. Die Antragstellerin hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen des Antragsgegners und der Beigeladenen zu tragen.
3. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 276.318,00 Euro festgesetzt.
Gründe:
I.
Der Antragsgegner erteilte nach Durchführung eines Verhandlungsverfahrens ohne Teilnahmewettbewerb der Beigeladenen am 6. April 2021 den Zuschlag für einen Auftrag zur Beschaffung einer digitalen Lösung für die Besucher-Kontaktdatenerfassung. Das von der Beigeladenen angebotene System beinhaltete unter anderem die sogenannte "LucaApp".
Der Antragsgegner hatte, unter anderem gestützt auf eine Markterkundung des Landes Mecklenburg-Vorpommern im Februar 2021, die Beigeladene und ein weiteres Unternehmen mit Schreiben vom 25. März 2021 zur Angebotsabgabe aufgefordert. Dem Aufforderungsschreiben waren die Vergabeunterlagen samt Leistungsbeschreibung und Vertragsbedingungen beigefügt. In der Leistungsbeschreibung wurde ausgeführt:
"Folgende Mindestanforderungen an die Leistung sind vom Auftragnehmer einzuhalten (Ausschlusskriterien):
(...)
Die automatisierte und vollständige Weitergabe der gefilterten Daten über die SORMASSchnittstelle zu den Gesundheitsämtern muss implementiert sein ... Die Gesundheitsämter müssen die Daten direkt elektronisch anfragen und nach Freigabe durch die Einrichtungen sicher (mindestens transportverschlüsselt) abrufen können."
Das System der Beigeladenen beinhaltet die geforderte SORMAS-Schnittstelle, in der Software der Antragstellerin war sie hingegen im Frühjahr 2021 nicht installiert.
Der Antragsgegner veröffentlichte am 12. April 2021 die Auftragsvergabe an die Beigeladene im Supplement zum Amtsblatt der Europäischen Union. Mit Schriftsatz der Antragstellerin vom 15. April 2021 beantragte diese ein Nachprüfungsverfahren.
Die Antragstellerin ist der Ansicht, der Antragsgegner habe zu Unrecht eine besondere Dringlichkeit im Sinne des § 14 Abs. 4 Nr. 3 VgV angenommen. Zum einen sei die Software SORMAS ohnehin nur bei 290 von 400 Gesundheitsämtern bundesweit installiert gewesen und nur 90 Gesundheitsämter hätten aktiv produktiv mit ihr gearbeitet. Zum anderen sei absehbar gewesen, dass wegen des Auftretens neuer Virusmutationen ohnehin neuerliche Kontaktreduzierungen nötig würden. Selbst wenn eine besondere Dringlichkeit vorgelegen hätte, sei der Antragsgegner seiner Pflicht zur Einholung mehrerer Angebote nicht nachgekommen. Ferner habe die Beigeladene wohl über Insider-Wissen verfügt, da zum Zeitpunkt der Markterkundung in ihrer Software schon die SORMAS-Schnittstelle implementiert gewesen sei, ohne dass diese Anforderung bzw. der Beschluss der Bundeskanzlerin und der Ministerpräsidenten vom 3. März 2021 über die Beschaffung eines Systems für die Digitalisierung der Kontaktnachverfolgung bekannt gewesen sei. Zudem lasse sich die SORMAS-Schnittstelle binnen weniger Stunden entwickeln.
Die Antragstellerin hat beantragt,
1. festzustellen, dass die Beschaffung der sogenannten Luca-App durch den Antragsgegner zur Kontaktnachverfolgung durch die Gesundheitsämter nichtig ist (§ 135 Abs. 2 Satz 1 GWB) und
2. den Antragsgegner zu verpflichten, bei Fortbestehen der Beschaffungsabsicht das Vergabeverfahren zurückzuversetzen und bei erneuter Durchführung mindestens drei Bewerber zur Angebotsabgabe aufzufordern, wobei die Auswahl unter den Bewerbern diskriminierungsfrei erfolgen muss.
Der Antragsgegner hat beantragt,
den Antrag auf Einleitung eines Nachprüfungsverfahrens als unzulässig zu verwerfen und darüber hinaus als unbegründet zurückzuweisen.
Die Beigeladene hat beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Nach Ansicht des Antragsgegners fehlt es bereits an der Antragsbefugnis der Antragstellerin. Die Software verfüge über keine SORMAS-Schnittstelle, sodass ein Zuschlag an die Antragstellerin ohnehin nicht in Betracht gekommen wäre. Der Antragsgegner habe diese Schnittstelle zulässigerweise als Mindestkriterium gefordert. Maßgeblich sei allein die damalige Situation in Bayern. Am 26. Februar 2021 sei in allen 76 bayerischen Gesundheitsämtern SORMAS implementiert gewesen. Eine Pflicht des Antragsgegners, der Antragstellerin die Programmierung der Schnittstelle noch zu ermöglichen, habe nicht bestanden. Die Dringlichkeit folge daraus, dass sich Ende Februar 2021 abgezeichnet habe, dass einerseits die Inzidenzwerte aufgrund neuer Virusvarianten anstiegen und andererseits der Bund, anders als auf der Ministerpräsidentenkonferenz vom 16. November 2020 versprochen, kein einheitliches System zur Kontaktnachverfolgung bereitstellen würde. Zudem hätte jede Verlängerung des Lockdowns einen schwerwiegenden Eingriff in die verfassungsmäßig geschützten Freiheitsrechte der Bürgerinnen und Bürger bedeutet.
Die Beigeladene hält den Nachprüfungsantrag für unbegründet. Gegenstand der Beschaffung sei nicht die Entwicklung, sondern die Lieferung einer fertigen Software samt Schnittstelle gewesen. Die Beigeladene habe über kein Insiderwissen verfügt, sondern die Schnittstelle aufgrund der Berichterstattung in den Medien und der öffentlichen Diskussion über eine Kontaktnachverfolgung mit SORMAS vorsorglich programmiert.
Die Vergabekammer hat den Nachprüfungsantrag mit Beschluss vom 14. September 2021, der Antragstellerin zugestellt am 17. September 2021 zurückgewiesen. Der Antrag sei zulässig, aber offensichtlich unbegründet. Die Leistungsbestimmung des Antragsgegners, dass die zu liefernde Software über eine bestehende SORMAS-Schnittstelle verfügen müsse, sei vergaberechtskonform. Eine Verletzung der Antragstellerin in bieterschützenden Rechten scheide schon deshalb aus, da ihre Software zum Zeitpunkt der Beschaffungsentscheidung nicht über eine derartige Schnittstelle verfügt habe. Aufgrund der Eilbedürftigkeit der Beschaffung habe sich der Antragsgegner nicht auf die Risiken der Entwicklung einer neuen Softwarefunktion einlassen müssen.
Dagegen wendet sich die Antragstellerin mit ihrer sofortigen Beschwerde vom 1. Oktober 2021, eingegangen beim Bayerischen Obersten Landesgericht am selben Tag. Die Vorgabe einer SORMAS-Schnittstelle sei unzulässig gewesen. Der Antragsgegner habe mit seiner Anforderung den Wettbewerb künstlich eingeschränkt. SORMAS sei Ende Mai 2021 nur in 93 Gesundheitsämtern bundesweit produktiv eingesetzt worden. Die Installation der SORMAS-Schnittstelle sei nicht fehlerträchtig. Dringliche Gründe für eine Vergabe nach § 14 Abs. 4 Nr. 3 VgV hätten nicht vorlegen. Außerdem fehle es an einer ausreichenden Markterkundung durch den Antragsgegner.
Die Antragstellerin beantragt,
den Beschluss der Vergabekammer Südbayern vom 14. September 2021 abzuändern und
1. festzustellen, dass die von dem Antragsgegner vorgenommene Beschaffung der sogenannten Luca-App zum Zweck der Kontaktnachverfolgung durch die
Gesundheitsämter nichtig ist (§ 135 Abs. 2 Satz 1 GWB) und
2. den Antragsgegner zu verpflichten, bei Fortbestehen der Beschaffungsabsicht das Vergabeverfahren zurückzuversetzen und bei erneuter Durchführung mindestens drei Bewerber zur Angebotsabgabe aufzufordern, wobei die Auswahl unter den Bewerbern diskriminierungsfrei erfolgen muss.
Der Antragsgegner und die Beigeladene beantragen,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Der Antragsgegner und die Beigeladene verteidigen den Beschluss der Vergabekammer. Die Vorgabe einer SORMAS-Schnittstelle sei zulässig, da zumindest einzelne bayerische Gesundheitsämter die Technik im Leistungszeitraum genutzt hätten. Entgegen der Behauptung der Antragstellerin sei die Schnittstelle nicht leicht und ohne Fehleranfälligkeit herstellbar gewesen. Dieses Risiko habe der Antragsgegner bei der vorliegenden zeitkritischen Beschaffung nicht eingehen müssen. Die Markterkundung des Antragsgegners unter Heranziehung der Erkenntnisse aus Mecklenburg-Vorpommern sei nicht zu beanstanden. Die Software der Antragstellerin habe mangels SORMAS-Schnittstelle nie eine Chance auf den Zuschlag gehabt.
Der Senat hat mit Beschluss vom 16. Dezember 2021 darauf hingewiesen, dass die sofortige Beschwerde keine Aussicht auf Erfolg haben dürfte und die Rücknahme des Rechtsmittels empfohlen. Die Antragstellerin hat sich hierzu nicht geäußert. Auf Anregung des Senats haben die Verfahrensbeteiligten einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung zugestimmt.
II.
Das Beschwerdeverfahren ist nicht durch die Eröffnung des Konkurses über das Vermögen der Antragstellerin unterbrochen. Auf den Beschluss des Senats vom 16. Dezember 2021, Ziffer 3, wird Bezug genommen.
Der Senat kann gemäß § 175 Abs. 2, § 65 Abs. 1 Halbsatz 2 GWB ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da sämtliche Beteiligten auf diese verzichtet haben (vgl. Vavra/Willner in Burgi/Dreher/Opitz, Beck´scher Vergaberechtskommentar, Band 1, 4. Aufl. 2022, GWB § 175 Rn. 9).
Die sofortige Beschwerde ist zulässig, insbesondere gemäß § 171 Abs. 1 GWB statthaft sowie nach § 172 Abs. 1 und 2 GWB form- und fristgerecht eingelegt und begründet. Sie verbleibt aber in der Sache ohne Erfolg.
1. Der Nachprüfungsantrag ist zulässig.
Die ordnungsgemäße Vertretung des Antragsgegners ist dargetan. Gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. h), § 2 Abs. 2 Nr. 5 VertrV ist grundsätzlich das Landesamt für Finanzen - Dienststelle München - für das vorliegende Verfahren Vertretungsbehörde. Das Staatsministerium der Finanzen und für Heimat hat allerdings gemäß § 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Buchst. d) VertrV die Prozessvertretung mit Zustimmung des Staatsministeriums für Digitales auf dieses übertragen.
b) Die nach § 135 Abs. 2 Satz 1 GWB maßgebliche 30-tägige Frist für die Geltendmachung der Unwirksamkeit seit Information über den Vertragsschluss ist eingehalten.
c) Die Antragstellerin ist antragsbefugt nach § 160 Abs. 2 GWB.
aa) Die Antragstellerin hat ursprünglich ein ausreichendes Interesse an dem Auftrag und eine Verletzung in ihren Rechten nach § 97 Abs. 6 GWB dargelegt, § 160 Abs. 2 Satz 1 GWB. Mit Schreiben vom 5. März 2021, gerichtet unter anderem an den bayerischen Ministerpräsidenten und die bayerische Staatskanzlei, erklärte die Antragstellerin, sie verfüge über ein System zur Kontaktnachverfolgung, das mit SORMAS kompatibel sei. Zudem beanstandet die Antragstellerin, sie sei zu Unrecht nicht zur Angebotsabgabe aufgefordert worden. Dies genügt grundsätzlich als hinreichende Darlegung eines konkreten Interesses an dem Auftrag (vgl. zu dieser Anforderung Dreher/Hoffmann in Burgi/Dreher/Opitz, Beck´scher Vergaberechtskommentar, Band 1, GWB § 135 Rn. 49).
Allerdings muss die Antragsbefugnis während des gesamten Vergabenachprüfungsverfahrens fortbestehen. Sie entfällt, wenn der Antragsteller das Interesse an dem Auftrag verliert (OLG Düsseldorf, Beschl. v. 8. Juli 2020 - Verg 17/16, NZBau 2020, 806 Rn. 31; OLG Koblenz, Beschl. v. 23. Mai 2018, Verg 2/18, NZBau 2018, 639 Rn. 2). Daher wird im Fall einer Insolvenz des Antragstellers regelmäßig eine Erklärung zu fordern sein, dass die Insolvenzschuldnerin ihr operatives Geschäft trotz Zahlungsunfähigkeit beziehungsweise Überschuldung fortführen wird und sich daher an der angestrebten Ausschreibung nach wie vor beteiligen möchte (so OLG Düsseldorf, Beschl. v. 8. Juli 2020 - Verg 17/16, NZBau 2020, 806 Rn. 31 f.; Vavra/Willner in Burgi/Dreher/Opitz, Beck´scher Vergaberechtskommentar, Band 1, GWB § 178 Rn. 21; Jaeger in Münchener Kommentar zum Wettbewerbsrecht, 4. Aufl. 2022, GWB § 160 Rn. 21). Eine derartige Erklärung fehlt vorliegend, ohne dass es aber im konkreten Fall noch einer weiteren Aufklärung durch einen Hinweis an die Antragstellerin bedürfte. Vielmehr kann zu ihren Gunsten unterstellt werden, dass ihr Interesse an dem Auftrag fortbesteht.
Die Antragstellerin rügt, der Antragsgegner habe zu Unrecht den Auftrag im Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb und ohne ausreichende Markterkundung vergeben sowie durch die Vorgaben einer SORMAS-Schnittstelle den Wettbewerb unzulässig zugunsten der Beigeladenen und zulasten der Antragstellerin eingeschränkt. Die damit als verletzt gerügten Normen § 97 Abs. 1 und 2 GWB, § 14 Abs. 4 Nr. 3 VgV sind bieterschützende Vorschriften im Sinne des § 97 Abs. 6 GWB (zu § 97 Abs. 1 und 2 GWB: Dörr in Burgi/Dreher/Opitz, Beck´scher Vergaberechtskommentar, Band 1, GWB § 97 Rn. 24; zu § 14 Abs. 4 Nr. 3 VgV: BayObLG, Beschl. v. 20. Januar 2022, Verg 7/21; OLG Rostock, Beschl. v. 11. November 2021, 17 Verg 4/21 - LUCA-App II; Dieckmann in Dieckmann/Scharf/Wagner-Cardenal, VgV, UVgO, 3. Aufl. 2022, VgV § 14 Rn. 92).
bb) Die Antragstellerin hat ferner einen durch die geltend gemachte Verletzung der Vergabevorschriften ihr entstandenen bzw. drohenden Schaden dargelegt, § 160 Abs. 2 Satz 2 GWB. Hierzu genügt, dass die Antragstellerin bei einem behaupteten Verstoß im Sinne des § 135 Abs. 1 Nr. 2 GWB in vergaberechtswidriger Weise nicht am Verfahren beteiligt wurde. Dies stellt eine Verschlechterung der Zuschlagsaussichten und damit einen potentiellen Schaden dar (BVerfG, Beschl. v. 29. Juli 2004, 2 BvR 2248/03, VergabeR 2004, 597 [noch zum alten Recht]; BayObLG, Beschl. v. 20. Januar 2022, Verg 7/21). Für die Antragsbefugnis und die Möglichkeit eines Schadenseintritts ist nicht erforderlich, dass die Antragstellerin den Zuschlag ohne den behaupteten Verstoß gegen Vergabevorschriften tatsächlich erhalten hätte. Ausreichend ist vielmehr, dass die Zuschlagserteilung an diesen Bieter jedenfalls nicht ausgeschlossen werden kann (BVerfG, Beschl. v. 29. Juli 2004, 2 BvR 2248/03, VergabeR 2004, 597 noch zum alten Recht]; BGH, Beschl v. 10. November 2009, X ZB 8/09, VergabeR 2010, 21; OLG Rostock, Beschl. v. 1. September 2021, 17 Verg 2/21 - LUCA-App I; Horn/Hofmann in Burgi/Dreher/Opitz, Beck´scher Vergaberechtskommentar, Band 1, GWB § 160 Rn. 39).
Vorliegend wäre eine Zuschlagserteilung an die Antragstellerin nicht von vornherein ausgeschlossen gewesen, wenn der Antragsgegner sie am Verhandlungsverfahren beteiligt bzw. einen Teilnahmewettbewerb durchgeführt hätte und die Existenz einer SORMAS-Schnittstelle kein Ausschlusskriterium gewesen wäre. Letzteres bemängelt die Antragstellerin als unzulässige Einschränkung des Wettbewerbs. Ein Schaden der Antragstellerin durch die von ihr als vergaberechtswidrig beanstandeten zwingenden Vorgaben des Antragsgegners und die Art der Durchführung des Vergabeverfahrens erscheint daher zumindest möglich.
cc) Zugunsten der Antragstellerin geht der Senat davon aus, dass sich das Nachprüfungsverfahren nicht infolge des Zeitablaufs erledigt hat und die Antragsbefugnis daher auch nicht aus diesem Grund entfallen ist (vgl. KG, Beschl. v. 25. April 2022, Verg 1/22, zum Wegfall der Antragsbefugnis bezüglich eines Antrags nach § 135 Abs. 2 GWB). Anhaltspunkte hierfür finden sich im Vortrag der Beteiligten nicht.
d) Die Rügen der Antragstellerin sind nicht präkludiert. § 160 Abs. 3 Satz 1 GWB findet im Rahmen eines Antrags nach § 135 Abs. 1 Nr. 2 GWG keine Anwendung, § 160 Abs. 3 Satz 2 GWB (vgl. auch BayObLG, Beschl. v. 20. Januar 2022, Verg 7/21; OLG Karlsruhe, Beschl. v. 4. Dezember 2020, 15 Verg 8/20).
2. Der Nachprüfungsantrag verbleibt in der Sache ohne Erfolg.
Der Antragsgegner konnte zulässigerweise eine bereits implementierte SORMAS-Schnittstelle als Mindestkriterium fordern. Da das System der Antragstellerin diese nicht aufwies, wäre eine Zuschlagserteilung an die Antragstellerin nicht in Betracht gekommen. Auf die weiteren von der Antragstellerin gerügten Verstöße gegen Vergabevorschriften, insbesondere die fehlende Dringlichkeit im Sinne des § 14 Abs. 4 Nr. 3 VgV, kommt es daher nicht an.
a) Der Antragsgegner verlangte ausweislich der Leistungsbeschreibung (Bl. 873 d. A. VK) als einzuhaltende "Mindestanforderung", dass eine automatisierte und vollständige Weitergabe der gefilterten Daten über die SORMAS-Schnittstelle zu den Gesundheitsämtern "implementiert" sein müsse. Es handele sich um ein "Ausschlusskriterium". Diese Leistungsbeschreibung wurde der Beigeladenen und einem weiteren Unternehmen, das der Antragsgegner zur Angebotsabgabe aufforderte, übersandt. Dieselbe Vorgabe findet sich im Vergabevermerk (Bl. 856 d. A. VK). Das System der Antragstellerin erfüllte weder vor dem noch im Zeitpunkt der Zuschlagserteilung dieses Kriterium. Hiervon geht die Vergabekammer in ihrem Beschluss vom 14. September 2021 aus, ohne dass sich die Antragstellerin dagegen in der Beschwerde verwahrt hätte.
b) Die Entscheidung des Antragsgegners, eine bereits implementierte SORMAS-Schnittstelle als Mindestanforderung bzw. Ausschlusskriterium vorzusehen, war nicht vergaberechtsrechtswidrig.
aa) Dem Auftraggeber steht das Bestimmungsrecht zu, ob und welchen Gegenstand er beschaffen will, sowie über die technischen und ästhetischen Anforderungen. Indessen unterliegt die Bestimmungsfreiheit des öffentlichen Auftraggebers und damit auch die Frage, welche Anforderungen an die zu beschaffenden Leistungen gestellt werden dürfen, allgemeinen vergaberechtlichen Grenzen. Die konkrete Bestimmung des Auftragsgegenstands durch den öffentlichen Auftraggeber muss sachlich gerechtfertigt sein und es bedarf nachvollziehbarer, objektiver und auftragsbezogener Gründe hierfür. Die Festlegung hat willkür- und diskriminierungsfrei zu erfolgen und die Vorgaben des § 31 Abs. 6 VgV zu beachten (BayObLG, Beschl. v. 25. März 2021, Verg 4/21; OLG Rostock, Beschl. v. 1. September 2021, 17 Verg 2/21 - LUCA-App I; OLG München, Beschl. v. 26. März 2020, Verg 22/19; Beschl. v. 9. März 2018, Verg 10/17, NVwZ 2018, 995 Rn. 37; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 7. Juni 2017 - Verg 53/16; OLG Koblenz, Beschl. v. 5. September 2002, 1 Verg 2/02). Ob die Vorgaben erforderlich oder zweckmäßig sind, ist demgegenüber ohne Belang (OLG Rostock, Beschl. v. 1. September 2021, 17 Verg 2/21 - LUCA-App I).
bb) Unter Anwendung dieser Grundsätze verstieß es nicht gegen Vergaberecht, dass der Antragsgegner eine Software mit einer SORMAS-Schnittstelle forderte. Der Antragsgegner trägt vor, Ende Februar 2021 seien die Infektionszahlen, nachdem sie zuvor gesunken waren, aufgrund neuer, besonders ansteckender Virusvarianten wieder angestiegen. Gleichzeitig sei ein erheblicher Druck der Öffentlichkeit entstanden, die schwerwiegenden Grundrechtseingriffe infolge des Lockdowns aufzuheben oder zumindest zu verringern. Vor diesem Hintergrund sei beschlossen worden, ein System zu beschaffen, das Händler, Gastronomie, Behörden, Kulturtreibende und alle weiteren Einrichtungen mit Publikumsverkehr bei der Erfassung von Kontaktdaten und der Weiterleitung dieser Daten an die Gesundheitsämter unterstützte, um die ressourcen- und zeitaufwändige Datenerhebung in Form von Papierlisten durch ein einfach zu nutzendes digitales Verfahren abzulösen. Besonderes Augenmerk sollte dabei auf der Erleichterung der Arbeit für die Gesundheitsämter und der schnellen Benachrichtigung der Kontaktpersonen liegen (s. auch Vergabevermerk S. 1, Bl. 852 d. A. VK). Diese Erwägungen sind ausgehend von der damaligen Situation nachvollziehbar und plausibel. Dass eine automatisierte Weitergabe der Daten ermöglicht werden sollte, die eine schnellere und effektivere Kontaktnachverfolgung erlaubt als eine manuelle unter Verwendung von Papierlisten, erscheint sachlich gerechtfertigt. Ob bereits damals ein weiterer Lockdown und verschärfte Maßnahmen zur Kontaktvermeidung vorzugswürdig oder gar unvermeidbar erschienen, betrifft die Zweckmäßigkeit oder gegebenenfalls die Dringlichkeit, nicht aber die rechtliche Zulässigkeit der Beschaffung an sich (so auch im Parallelverfahren OLG Rostock, Beschl. v. 1. September 2021, 17 Verg 2/21 - LUCA-App I).
Entgegen der Ansicht der Antragstellerin war die Vorgabe einer SORMAS-Schnittstelle nicht deshalb unzulässig, weil SORMAS bundesweit nur bei 290 von 400 Gesundheitsämtern installiert und lediglich bei rund 90 Gesundheitsämtern aktiv genutzt worden sei. Zum einen kommt es für die Beschaffung durch den Freistaat Bayern als öffentlichen Auftraggeber primär auf die Situation in Bayern an. Unstreitig war im Vergabezeitpunkt SORMAS in allen 76 bayerischen Gesundheitsämtern implementiert, von denen zumindest einige die Software bereits aktiv nutzten. Zum anderen war auch bei den Gesundheitsämtern, die SORMAS schon installiert hatten, sich aber noch im Testbetrieb befanden, eine Verwendung zur automatisierten Kontaktnachverfolgung jedenfalls in Zukunft möglich und naheliegend. Die Forderung nach einer SORMASSchnittstelle auch schon vor deren flächendeckenden Einsatz in den Gesundheitsämtern erscheint mithin objektiv nachvollziehbar und nicht willkürlich (so auch OLG Rostock, Beschl. v. 1. September 2021, 17 Verg 2/21 - LUCA-App I).
cc) Der Antragsgegner war nicht verpflichtet, generell den Bietern oder gerade der Antragstellerin die Möglichkeit einzuräumen, die SORMAS-Schnittstelle nach Angebotsabgabe oder Zuschlagserteilung noch zu programmieren.
Das Gleichbehandlungsgebot und das Diskriminierungsverbot, § 97 Abs. 2 GWB, stellen Anforderungen an das Verhalten des Auftraggebers bei der Vorbereitung und Durchführung der Ausschreibung. Davon unberührt bleiben jedoch Umstände, die nicht auf die Ausschreibung zurückzuführen sind, sondern etwa aus der regelmäßig unterschiedlichen Marktstellung der teilnehmenden Unternehmen resultieren. Dies betrifft etwa den Umstand, dass ein Unternehmen wegen seiner bisherigen Geschäftstätigkeit gegebenenfalls größere Chancen für die Abgabe eines wirtschaftlicheren Angebots hat. Der öffentliche Auftraggeber ist nicht berechtigt und erst recht nicht verpflichtet, unabhängig von der konkreten Ausschreibung bestehende Wettbewerbsvorteile auszugleichen. Der Auftraggeber kann, wenn es dafür vernünftige wirtschaftliche Gründe gibt, den Leistungsinhalt so bestimmen, dass einzelne Bieter Wettbewerbsvorteile gegenüber anderen haben, solange dies nicht durch die Absicht der Bevorzugung eines bestimmten Unternehmens motiviert ist (OLG Schleswig, Beschl. v. 13. Juni 2019, 54 Verg 2/19 - Triebzüge; OLG Naumburg, Beschl. v. 5. Dezember 2008, 1 Verg 9/08; OLG Koblenz, Beschl. v. 5. September 2002, 1 Verg 2/02).
Die Mindestvoraussetzung einer bereits installierten SORMAS-Schnittstelle war vor diesem Hintergrund nicht zu beanstanden. Die Programmierung einer derartigen Schnittstelle wäre auch anderen Unternehmen als der Beigeladenen möglich gewesen. Unstreitig handelte es sich bei SORMAS um eine Open-Source Software. Ob es für die Realisierung einer solchen Schnittstelle zudem noch der Mitwirkung des Anbieters von SORMAS bedurfte, wie die Antragstellerin vorträgt, ist ohne Belang. Dass durch die Vorgabe faktisch die Beigeladene, in deren Programm die Schnittstelle schon installiert war, einen Wettbewerbsvorteil gegenüber der Antragstellerin erhielt, die noch keine SORMAS-Schnittstelle implementiert hatte, ändert nichts. Dieser Wettbewerbsvorteil der Beigeladenen bestand bereits vor und unabhängig von der konkreten Vergabe durch den Antragsgegner. Zu einem Ausgleich dieses Wettbewerbsvorteils war der Antragsgegner nicht verpflichtet.
Es ist auch nicht ersichtlich, dass das Mindestkriterium gerade eine Bevorzugung der Beigeladenen oder eine Diskriminierung der Antragstellerin bezweckte. Selbst wenn die Programmierung der Schnittstelle, wie die Antragstellerin behauptet, in kurzer Zeit und in der Regel ohne Probleme erfolgen kann, musste sich der Antragsgegner nicht darauf einlassen. Angesichts der Situation Mitte / Ende Februar 2021, der aufgetretenen neuen Virus-Mutationen und der steigenden Infektionszahlen durfte der Antragsgegner den sichersten Weg wählen und eine bereits vorhandene und funktionierende SORMAS-Schnittstelle fordern. Zudem war für den Antragsgegner im Vorfeld der Vergabe nicht hinreichend sicher abschätzbar, wieviel Zeitaufwand die Programmierung erfordern und welche Risiken sie bergen würde. Nur ergänzend wird insoweit auf die erheblich divergierenden Angaben zum nötigen Zeitaufwand von Antragstellerin - zwei Stunden - und Beigeladener - mehrere Wochen - verwiesen (so im Ergebnis auch OLG Rostock, Beschl. v. 1. September 2021, 17 Verg 2/21 - LUCA-App I). Zudem birgt eine erst neu einzurichtende Softwarefunktion wie die SORMAS-Schnittstelle gegenüber einer schon implementierten Funktionalität jedenfalls ein (etwas) höheres Risiko und eine (zumindest leicht) gesteigerte Fehleranfälligkeit.
dd) Die Vorgabe einer bereits implementierten SORMAS-Schnittstelle durch den Antragsgegner verstieß nicht gegen § 31 Abs. 6 VgV.
Die Mindestvoraussetzung, dass die angebotene Software über eine Schnittstelle zu der bei den Gesundheitsämtern installierten Software SORMAS verfügen müsse, ist keine offen produktspezifische Vorgabe im Sinne der Festlegung auf ein bestimmtes (Vor-) Produkt, sondern lediglich die Beschreibung einer nötigen Funktion bzw. Eigenschaft des angebotenen Systems.
Allerdings wird gegen die Pflicht zur produktneutralen Ausschreibung nicht nur dann verstoßen, wenn ein bestimmtes Fabrikat offen in der Leistungsbeschreibung genannt wird, sondern auch, wenn durch die Vielzahl der Vorgaben verdeckt ein bestimmtes Produkt vorgegeben wird und nur mit diesem die Anforderungen der Leistungsbeschreibung erfüllt werden können (OLG München, Beschl. v. 26. März 2020, Verg 22/19; Trutzel in Ziekow/Völlink, Vergaberecht, 4. Aufl. 2020, VgV § 31 Rn. 50).
Eine verdeckte produktspezifische Vorgabe wäre möglicherweise anzunehmen, wenn tatsächlich nur die Software der Beigeladenen die geforderte Funktionalität hätte erfüllen können. Dies ist aber nicht der Fall. Zum einen ist SORMAS unstreitig eine Open-Source-Software, deren Schnittstelle bereits 2015 allgemein zugänglich gemacht wurde, sodass im Grundsatz jedem Anbieter eine entsprechende Programmierung möglich war. Zum anderen forderte der Antragsgegner nicht nur die Beigeladene, sondern ein weiteres Unternehmen zur Angebotsabgabe auf. Somit war im Beschaffungszeitpunkt offensichtlich das Produkt der Beigeladenen gerade nicht das einzige System am Markt, das über eine schon vorhandene Schnittstelle zu SORMAS verfügte.
ee) Entgegen der Ansicht der Antragstellerin bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass die Beigeladene über Insiderwissen verfügt und daher bereits die Vorgabe einer SORMAS-Schnittstelle gegen § 97 Abs. 1 und 2 GWB verstoßen hätte.
Unabhängig davon, ob ein etwaiges Insiderwissen der Beigeladenen überhaupt zur Unzulässigkeit der Mindestanforderung führen und nicht nur einen Ausschluss der Beigeladenen bedingen könnte, fehlt es bereits an Anhaltspunkten hierfür. Auch nach dem Vortrag der Antragstellerin waren im Februar 2021 bundesweit bereits 290 Gesundheitsämter mit SORMAS ausgestattet, davon nutzten ca. 90 diese Software aktiv.
Unstreitig waren eine Kontaktnachverfolgung mittels SORMAS und der Einsatz dieser Software in den Gesundheitsämtern bereits seit Sommer 2020 in der öffentlichen Diskussion. Somit erschien es auch aus damaliger Sicht nicht fernliegend, dass im Rahmen des weiteren Pandemieverlaufs Bedarf an einer automatisierten Kontaktnachverfolgung über eine Schnittstelle zu SORMAS entstehen könnte. Dass die Beigeladene anders als die Antragstellerin dies erkannte und vorsorglich die Schnittstelle programmierte, lässt nicht den Schluss zu, die Beigeladene habe über Insiderwissen verfügt (so im Ergebnis auch OLG Rostock, Beschl. v. 1. September 2021, 17 Verg 2/21 - LUCA-App I).
d) Auf die weiteren von der Antragstellerin behaupteten Verstöße gegen vergaberechtliche Bestimmungen kommt es nicht. Dahingestellt bleiben kann insbesondere, ob eine Dringlichkeit gemäß § 14 Abs. 4 Nr. 3 VgV vorlag, die Voraussetzungen des § 14 Abs. 4 Nr. 2 Buchst. b) VgV erfüllt waren und ob der Antragsgegner eine ausreichende Markterkundung durchgeführt hatte sowie mehr als zwei Unternehmen zur Angebotsabgabe hätte auffordern müssen.
Wurde ein Bieter in seinem Recht auf Einhaltung der Vergabevorschriften verletzt, ist sein Nachprüfungsantrag dennoch nicht begründet, wenn ihm tatsächlich weder ein Schaden entstanden noch ein solcher wahrscheinlich ist. Droht wegen einer Rechtsverletzung kein Schaden, mithin keine Beeinträchtigung der Aussichten auf Erhalt des Auftrags, sind die Vergabenachprüfungsinstanzen nicht berechtigt, in das Vergabeverfahren einzugreifen. Dies folgt nicht zuletzt aus dem Wortlaut des § 168 Abs. 1 Satz 1 GWB, wonach geeignete Maßnahmen zu treffen sind, um eine Rechtsverletzung des Antragstellers zu beseitigen und eine Schädigung der betroffenen Interessen zu verhindern. Die Vergabekammer und der Vergabesenat sind keine allgemeinen Kontrollinstanzen, die abstrakt für die Aufrechterhaltung oder Wiederherstellung der objektiven Rechtmäßigkeit des Vergabeverfahrens sorgen (OLG Düsseldorf, Beschl. v. 20. Dezember 2019 - Verg 18/19 - Trockenausbau; OLG Frankfurt a. M., Beschl. v. 11. Juni 2013, 11 Verg 3/13; OLG Naumburg, Beschl. v. 12. April 2012, 2 Verg 1/12 - Landesdatennetz; OLG München, Beschl. v. 12. Mai 2011, Verg 26/10; Dreher/Hoffmann in Burgi/Dreher/Opitz, Beck´scher Vergaberechtskommentar, Band 1, GWB § 135 Rn. 45; Prell in BeckOK Vergaberecht, 24. Edition Stand: 31. Januar 2022, GWB § 168 Rn. 27; Fett in Münchener Kommentar zum Wettbewerbsrecht, GWB § 168 Rn. 12; kritisch Antweiler in Burgi/Dreher/Opitz, Beck´scher Vergaberechtskommentar, Band 1, GWB § 168 Rn. 28).
Die Software der Antragstellerin verfügte über keine SORMAS-Schnittstelle und wäre daher mangels Erfüllung des - zulässigen - Mindestkriteriums für einen Zuschlag auf keinen Fall in Betracht gekommen. Die Antragstellerin hatte mithin keinerlei Aussicht, den Auftrag zu erhalten. Die behaupteten weiteren Verstöße gegen Bestimmungen über das Vergabeverfahren konnten folglich eine solche Aussicht nicht beeinträchtigen. Der Nachprüfungsantrag ist daher unabhängig davon unbegründet, ob weitere Rechtsverletzungen tatsächlich vorlagen (so im Parallelverfahren auch OLG Rostock, Beschl. v. 1. September 2021, 17 Verg 2/21 - LUCA-App I). Anhaltspunkte dafür, dass auch die Angebote der Beigeladenen und des weiteren zur Angebotsabgabe aufgeforderten Bewerbers hätten ausgeschlossen werden müssen, der Antragsgegner sodann das Mindestkriterium einer SORMAS-Schnittstelle aufgehoben und die Antragstellerin infolgedessen eine Chance auf den Auftrag erhalten hätte (vgl. OLG Rostock, Beschl. v. 1. September 2021, 17 Verg 2/21 - LUCA-App I; OLG München, Beschl. v. 5. November 2009, Verg 15/09), sind nicht erkennbar.
III.
Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens beruht auf § 175 Abs. 2, § 71 Sätze 1 und 2 Alt. 1 GWB. Es entspricht der Billigkeit, der Antragstellerin die gesamten Kosten aufzuerlegen, da sie mit ihrer Beschwerde unterlegen ist. Dies gilt auch für die zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung angefallenen außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die sich aktiv am Verfahren beteiligt hat. Bei der Kostenentscheidung der Vergabekammer hat es sein Bewenden.
Den Streitwert hat der Senat gemäß § 50 Abs. 2 GKG auf 5 % der im Supplement zum Amtsblatt der Europäischen Union unter Nr. 2021/S 070-179017 veröffentlichen Auftragssumme von 4.644.000,00 Euro netto, mithin 5.526.360,00 Euro brutto, festgesetzt.
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VK Bund
Beschluss
vom 03.06.2022
VK 1-45/22
1. Im Verhandlungsverfahren mit vorgeschaltetem Teilnahmewettbewerb prüft der öffentliche Auftraggeber die Eignung der am Wettbewerb teilnehmenden Unternehmen, bevor er sie zum Verhandlungsverfahren zulässt. Dadurch wird mit der positiven Eignungsprüfung - anders als im offenen Verfahren - grundsätzlich ein Vertrauenstatbestand für die zum Verhandlungsverfahren zugelassenen Unternehmen begründet.
2. Voraussetzung für einen solchen Vertrauenstatbestand ist jedoch, dass der öffentliche Auftraggeber die Eignung der Bieter abschließend bejaht hat, bevor er sie zum Verhandlungsverfahren zulässt. Hieran fehlt es, wenn der Bieter bis zum Abschluss des Teilnahmewettbewerbs nicht alle zur abschließenden Prüfung seiner Eignung erforderlichen Unterlagen eingereicht hat.
3. Ein Bewerber oder Bieter, der selbst nicht über die erforderliche Eignung verfügt, kann sich zwar im Rahmen der sog. Eignungsleihe auf die Eignung eines anderen Unternehmens - ungeachtet des rechtlichen Charakters der zwischen ihm und diesem Unternehmen bestehenden Verbindungen - berufen.
4. Es besteht für Bewerber oder Bieter eine Nachweispflicht dafür, dass ihnen die erforderlichen Mittel zur Verfügung stehen, wenn sie sich für einen bestimmten Auftrag auf die Leistungsfähigkeit anderer Unternehmen berufen. Zu den "anderen" Unternehmen im Sinne der Eignungsleihe zählen auch Unternehmen innerhalb eines Konzernverbunds, auf deren Eignung sich der Bewerber oder Bieter stützen will.
5. Die bloße Konzernverbundenheit selbst genügt noch nicht für den Nachweis, dass der Bewerber tatsächlich auf die Kapazitäten oder Fähigkeiten eines verbundenen Unternehmens zurückgreifen kann. Auch in diesen Fällen muss vom Bewerber nachgewiesen werden, dass ihm die Kapazitäten des Unternehmens zur Verfügung stehen.
In dem Nachprüfungsverfahren
[...]
wegen der Vergabe "Bewachung des [...]" - Bearbeitungs-Nr.: [...], EU-Bekanntmachungs-Nr. [...],
hat die 1. Vergabekammer des Bundes durch den Vorsitzenden Direktor beim Bundeskartellamt Behrens, die hauptamtliche Beisitzerin Leitende Regierungsdirektorin Brauer und den ehrenamtlichen Beisitzer Freitag aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 10. Mai 2022 am 3. Juni 2022
beschlossen:
1. Der Nachprüfungsantrag wird zurückgewiesen.
2. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Nachprüfungsverfahrens (Gebühren und Auslagen) sowie die zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Antragsgegnerin und der Beigeladenen.
3. Die Hinzuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten durch die Beigeladene war notwendig.
Gründe:
I.
1. Die Antragsgegnerin führt ein Verhandlungsverfahren mit vorgeschaltetem Teilnahmewettbewerb zur Vergabe "Bewachung des [...]", EU-Bekanntmachungs-Nr. [...], abgesandt am [...] Oktober 2021, durch. Ausgeschrieben ist die Bewachungsdienstleistung für einen Zeitraum von 8 Monaten ab 30.04. bis 31.12.2022. Der Vertrag kann bis zu vier Mal um jeweils ein halbes Jahr einseitig durch den Auftraggeber verlängert werden.
In der EU-Bekanntmachung waren in den Teilnahmebedingungen unter Ziffer III.2.1) Persönliche Lage des Wirtschaftsteilnehmers Ziffer 1) bis 10) verschiedene "Angaben und Formalitäten, die erforderlich sind, um die Einhaltung der Auflagen zu überprüfen" aufgeführt:
"8) Formlose Eigenerklärung, dass § 28 Waffengesetz beachtet wird, [...] 10) Eigenerklärung über das eingesetzte Personal".
In Ziffer III.2.2) Wirtschaftliche und finanzielle Leistungsfähigkeit hieß es:
"[...] 2) Exakt 3 Referenzen;
3) Formlose Eigenerklärung über die Höhe des Gesamtumsatzes/Umsatzes mit vergleichbaren Leistungen der letzten 3 Geschäftsjahre [...]".
Zur Technischen Leistungsfähigkeit, Ziffer III.2.3), waren keine Unterlagen vorzulegen. In den Vergabeunterlagen war eine Checkliste für den Teilnahmewettbewerb enthalten. Dort hieß es:
"(Das Fehlen von im Folgenden gelisteten Belegen in der geforderten Form führt zum Ausschluss am weiteren Verfahren):
Mit dem Teilnahmeantrag sind folgende Belege vorzulegen:
* Eigenerklärung, dass ausschließlich Personal eingesetzt wird,
* das körperlich, geistig und sprachlich zur Erfüllung der vertraglichen Bewachungsleistungen geeignet ist (das Personal kann sich in Wort und Schrift in deutscher Sprache verständigen),
* [...]
* das über eine fundierte Waffen- und Schießausbildung entsprechend den vertraglichen Vorgaben verfügt.
* Eigenerklärung, dass der Teilnehmer im Auftragsfall
* auf Verlangen des Auftraggebers die vorstehenden Einzelnachweise vor Leistungsbeginn bzw. vor dem ersten Einsatz des betreffenden Mitarbeiters vorlegen wird,
* als Aufsichtführende Wachperson nur solche Mitarbeiter einsetzen wird, die im Hinblick auf die dabei erforderlichen besonderen Aufgaben hinreichend ausgebildet und geschult sind,
* als Wachbegleithundeführer nur solche Mitarbeiter eingesetzt werden, die im Hinblick auf die erforderlichen besonderen Aufgaben hinreichend ausgebildet und geschult sind.
* [...]
* Exakt drei Referenzen (gemäß Anlage "Referenzbescheinigung") der wesentlichen in den letzten fünf Jahren erbrachten vergleichbaren Dienstleistungen unter Angabe folgender Mindestangaben:
* [...]
* Formlose Eigenerklärung über die Höhe des Gesamtumsatzes / Umsatzes mit vergleichbaren Leistungen der letzten 3 Jahre
* [...]"
In dem in den Vergabeunterlagen enthaltenen Bewachungsvertrag ist geregelt, dass der Auftraggeber zusätzlich zu den in der VOL/B geregelten Tatbeständen vom Vertrag zurücktreten oder den Vertrag mit sofortiger Wirkung kündigen kann, wenn er nicht in der vorgeschriebene Weise ausgebildetes und überprüftes Wachpersonal (§ 16 Abs. 2 Ziffer 3.2 der Vertrages) oder wiederholt nicht in der geforderten Weise ausgebildetes und überprüftes Personal einsetzt (§ 16 Abs. 2 Ziffer 3.3 der Vertrages) oder wiederholt ungeeignete oder nicht nach Anlage 5 ausgebildete und überprüfte Diensthunde einsetzt (§ 16 Abs. 2 Ziffer 3.8 der Vertrages).
Nachdem die Antragstellerin - die aktuelle Vorauftragnehmerin - den Teilnahmewettbewerb erfolgreich durchlaufen hat, gab sie nach Aufforderung zur Angebotsabgabe zum 10. Januar 2022 ein Angebot ab. Auch die Beigeladene gab einen Teilnahmeantrag ab. Die von ihr abgegebenen Referenzen lauteten nicht auf sie selbst, sondern auf ein Konzernunternehmen. Die vorgelegten Referenzen wurden in englischer Sprache aufgelistet und enthielten eidesstattliche Erklärungen zu den Referenzen, beigefügt waren zudem (viersprachige) "Referenzzertifikate". Die Antragsgegnerin ließ sich eine deutsche Übersetzung nachreichen. Sie forderte die Beigeladene zur Angebotsabgabe auf. Diese gab ein Angebot ab.
Mit Schreiben vom 16. März 2022 teilte die Antragsgegnerin der Antragstellerin mit, dass ihr Angebot nicht berücksichtigt werden könne, da es nach der qualitativen Prüfung ausgeschlossen werden müsse. Der Zuschlag solle auf das Angebot der Beigeladenen erteilt werden.
Mit Schreiben ihrer Verfahrensbevollmächtigten vom 22. März 2022 rügte die Antragstellerin gegenüber der Antragsgegnerin die Vergabeentscheidung als vergaberechtswidrig in Bezug auf den Ausschluss ihres Angebots und die Feststellung der Eignung der Beigeladenen.
Die Antragsgegnerin half der Rüge der Antragstellerin mit E-Mail vom 30. März 2022 teilweise ab und nahm den Ausschluss zurück. Die von der Antragstellerin beanstandete Eignung und Leistungsfähigkeit der Beigeladenen sah die Antragsgegnerin hingegen als gegeben an. Mit erneutem Schreiben gemäß § 134 GWB vom 7. April 2022 informierte die Antragsgegnerin die Antragstellerin darüber, dass ihr Angebot im qualitativen Teil der Wertung unterlegen sei. Der Zuschlag solle an die Beigeladene erteilt werden. Die Antragstellerin rügte am 8. April 2022 weiteres Mal.
2. Die Antragstellerin beantragte mit Schreiben ihrer Verfahrensbevollmächtigten vom 11. April 2022 bei der Vergabekammer des Bundes die Einleitung eines Nachprüfungsverfahrens. Die Vergabekammer hat den Nachprüfungsantrag am 12. April 2022 an die Antragsgegnerin übermittelt.
a) Nach Auffassung der Antragstellerin ist der Nachprüfungsantrag begründet, weil das Angebot der Beigeladenen auszuschließen sei. Diese sei nicht in der Lage eine ordnungsgemäße Auftragserfüllung sicherzustellen. Die Beigeladene sei allein im Bereich der Bewachung von Flughäfen tätig. Sie habe nicht die erforderlichen Referenzen vorgelegt. Unter Ziffer III.2.2) der EU-Bekanntmachung seien in Ziffer 2) "exakt drei Referenzen" gefordert worden, in Ziffer 3) eine formlose Eigenerklärung über die Höhe des gesamten Umsatzes/Umsatz mit vergleichbaren Leistungen der letzten drei Geschäftsjahre. Die vorzulegenden Referenzen müssten daher vergleichbare Dienstleistungen betreffen. Ferner stünden die Eignungskriterien nicht zur Disposition
des Auftraggebers. Referenzen für irgendeine Dienstleistung seien nicht ausreichend, um die Leistungsfähigkeit darzulegen. Bloße Minimaleignungskriterien, die von einer Vergleichbarkeit der Dienstleistungen absehen oder alle Bewachungsleistungen als gleichwertig ansehen würden, seien unzulässig.
Bei Referenzen von anderen Unternehmen müsse die Eignungsleihe überprüft werden. Die Eignungsleihe setze voraus, dass die Personen, von denen sich die Eignung ableite, tatsächlich bei der Ausführung eingesetzt würden. Eine Überprüfung sei offenbar nicht vorgenommen worden. Ein Bieter dürfe sich im Übrigen nicht nachträglich auf die Eignungsleihe berufen, wenn er Referenzen als eigene eingereicht habe. Dies stelle eine unzulässige Änderung des Angebots dar.
Es sei ferner fraglich, ob die Beigeladene als Unternehmen rechtzeitig eine Waffentrageerlaubnis für das Bewachungsobjekt nach § 28 WaffenG erhalte. Die Beigeladene sei dazu verpflichtet gewesen, im Wege einer eigenen Rüge auf die nicht einzuhaltenden Zeiten für die notwendigen Genehmigungen hinzuweisen und realistische Fristen zu fordern. Auch die erforderliche Ü2 sowie Sabo-Ü2 werde sie nicht nachweisen können. Anmeldung und Freigabe durch das Bewacherregister dauerten mehrere Wochen. Die Lieferzeit für die speziellen Schutzwesten und Schutzhelme betrage zwölf Wochen. Es sei nicht zu erwarten, dass sie diese vorhalte. Nicht plausibel sei auch, dass die Beigeladene die Anforderungen nach der "Prüfungsordnung für Diensthunde im Wachdienst [...]" an den Einsatz von Diensthunden zum Auftragsbeginn nachweisen könne. Nach ihrer Einschätzung spekuliere die Beigeladene allein darauf, Personal bei der Antragstellerin abzuwerben. Entsprechende Versuche habe es bereits gegeben. Da die Antragstellerin aber eine deutlich bessere Bezahlung anbiete, werde dies nicht erfolgreich sei. Die Antragstellerin könne ihre Mitarbeiter auch an anderen Standorten einsetze, so dass keine Mitarbeiter abgegeben würden. Ein Betriebsübergang scheide ohne die erforderliche waffenrechtliche Zulassung des Unternehmens nach § 28 Abs. 1 WaffenG schon aus Rechtsgründen aus.
Es obliege der Antragsgegnerin, aufzuklären, wie die Beigeladene den Auftrag auftragsgerecht erfüllen beziehungsweise die entsprechenden Mitarbeiter (mit Waffenkundenachweis / mit Diensthunden) beschaffen wolle. Die Antragsgegnerin gehe offenbar davon aus, dass sie sich - wie bei sonstigen Leistungen, die am Markt ohne weiteres beschafft werden könnten - auf die bloße Zusage des Bieters verlassen könne, dieser sei im Zeitpunkt der Auftragserteilung leistungsfähig. Da die Antragsgegnerin als öffentlicher Auftraggeber selbst die notwendigen Prüfungen abnehme, seien ihr die Ausbildungszeiten bekannt. Bei zivilem Wachpersonal müssten vor dem Einsatz die erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten an der Schule für Diensthundewesen der Bundeswehr erworben und durch eine Prüfung nachgewiesen werden. Auch der Diensthund müsse vor seinem Einsatz im Wachdienst grundsätzlich mit seinem Diensthundeführer dort ausgebildet werden. Vertragliche Regelungen zu Schadensersatzforderungen oder Vertragsstrafen seien kein Äquivalent für eine korrekte Eignungsprüfung.
Aufgrund der erheblichen Abweichung der Bewertung im qualitativen Teil ihres Angebots zu der Bewertung der Beigeladenen trägt die Antragstellerin hierzu nicht vertieft vor, weist aber auf einige Punkte hin, in der eine angebliche Unklarheit in ihrem Angebot hätte aufgeklärt werden müssen.
Die Antragstellerin beantragt über ihre Verfahrensbevollmächtigten
1. festzustellen, dass die Antragstellerin in ihren Rechten verletzt ist,
2. die festgestellte Rechtsverletzung zu beseitigen, insbesondere
a) der Antragsgegnerin aufzugeben, das Angebot der Beigeladenen von der
Wertung auszuschließen,
b) den Zuschlag der Antragstellerin zu erteilen,
c) hilfsweise die Antragsgegnerin zu verpflichtet, eine Neubewertung des Angebots der Antragstellerin hinsichtlich der Qualitätskriterien vorzunehmen,
d) hilfsweise das Verfahren in den Stand vor Bekanntmachung der Ausschreibung zurückzuversetzen und der Antragsgegnerin aufzugeben, im Fall weiterbestehender Vergabeabsicht Eignungskriterien aufzustellen, die die Anforderungen an eine vergleichbare Dienstleistung abbilden, insbesondere eine Erfahrung in der Bewachung mit Waffen und Diensthunden fordern.
3. Einsicht in die Vergabeakte der Antragsgegnerin zu gewähren,
4. die Hinzuziehung des Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin für notwendig zu erklären.
b) Die Antragsgegnerin beantragt:
1. Den Antrag auf Nachprüfung als unbegründet zurückzuweisen,
2. der Antragstellerin die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.
Die Beigeladene sei geeignet, die Leistung zu erbringen. Die Anforderungen des Teilnahmewettbewerbs seien von ihr vollumfänglich erfüllt. Es seien drei Referenzen vorgelegt worden. Es handele sich um vergleichbare Dienstleistungen. Alle Angaben seien bestätigt. Die Antragsgegnerin habe (zunächst) keine mögliche Eignungsleihe geprüft. Alle Eigenerklärungen und Nachweise seien (teilweise auf Nachforderung) vorgelegt worden. Die Antragsgegnerin sei zu dem Ergebnis gekommen, dass die Beigeladene grundsätzlich geeignet sei und somit als Auftragnehmer in Betracht komme. Die Bewertungskommission habe keine Anhaltspunkte dafür gehabt, dass die Ausführungen des Bieters im Konzept sowie zu den einzelnen Kriterien nicht auftragsgerecht oder unschlüssig seien. Es lägen auch keine Anhaltspunkte vor, dass die Eignung nicht mehr vorliege. Ob die vertraglich geschuldete Leistung auf der Grundlage des Angebots auch tatsächlich erbracht werde, lasse sich erst zum Vertragsbeginn bzw. mit Beginn der Bewachungsleistung prüfen und feststellen. Bis dahin müsse der Auftraggeber auf eine vertragsgemäße Leistungserfüllung vertrauen. Im Rahmen der Eignungsprüfung prüfe der Auftraggeber, ob ein Bieter geeignet sei das Leistungsversprechen überhaupt abzugeben. Es sei unzulässig zu verlangen, dass der Bieter das benötigte Personal zum Zeitpunkt der Angebotsabgabe bereits arbeitsvertraglich gebunden habe. Alle Bieter würden gleichermaßen entsprechend der Ausführungen ihres Angebots bewertet und im Falle der Zuschlagserteilung mit Vertragsbeginn daran gemessen.
Im Hinblick auf das Angebot der Antragstellerin sei festzustellen, dass es in der Qualität mit 275 Punkten weit abgeschlagen hinter dem mit 700 Punkten und damit der Maximalpunktzahl in der Qualität bewerteten Angebot der Beigeladenen liege. Wegen des geringen Preisabstands müsste das Angebot der Antragstellerin selbst 700 Punkte erzielen. Dies sei aber ausgeschlossen.
c) Mit Beschluss vom 14. April 2022 wurde die Beigeladene zum Verfahren hinzugezogen. Sie hat Akteneinsicht beantragt.
Die von der Antragstellerin vorgetragenen Erwägungen seien nicht geeignet, die Eignung der Beigeladenen oder die Rechtmäßigkeit der Vergabe an sich in Frage zu stellen. Die eingereichten Referenzleistungen seien solche, bei denen bewaffnetes Wachpersonal eingesetzt worden sei. Die Beigeladene berufe sich auch nicht nachträglich auf die Eignungsleihe. Die Referenzen seien zu keinem Zeitpunkt im Verfahren als eigene Referenzen der Beigeladenen ausgegeben worden. Die Vorlage einer Verpflichtungserklärung weder in der Bekanntmachung, noch in der dem Teilnahmeantrag beigelegten Checkliste gefordert worden. § 16 Abs. 2 VSVgV fordere, dass den Vergabeunterlagen im Teilnahmewettbewerb eine Checkliste beigelegt werden müsse, die alle zu erbringenden Nachweise aufzähle. Da die Checkliste die Vorlage einer Verpflichtungserklärung nicht vorsehen, sei schon fraglich, ob überhaupt eine Pflicht zur unaufgeforderten Vorlage bestanden habe. Jedenfalls hätte bei ordnungsgemäßer Ermessensausübung die fehlende Erklärung eingeholt werden müssen. Die Antragsgegnerin habe in ihrem Nachforderungsschreiben ausdrücklich keine Verpflichtungserklärung verlangt. Es seien auch keine Nachweise zur technischen Leistungsfähigkeit durch den Auftraggeber verlangt worden.
Es sei nicht ersichtlich, unter welchen Gesichtspunkten sich eine weitergehende Pflicht der Antragsgegnerin zu einer weiteren Aufklärung ergeben könnte. Sie führt weiter aus, wie sie im Falle der Auftragserteilung organisatorisch und logistisch vorgehen werde. Die Durchführung des Auftrags, insbesondere der rechtzeitige Leistungsbeginn, sei gesichert. Substanzielle Aspekte, die der Eignung entgegenstehen, seien nicht vorgebracht worden. So könne die Beantragung einer Erlaubnis zum Erwerb, Besitz und Führen von Schusswaffen und Munition durch Bewachungsunternehmen und ihr Bewachungspersonal nach § 28 Abs. 1 bzw. Abs. 3 WaffenG nach allgemeiner Auffassung erst dann erfolgen, wenn es hinreichend wahrscheinlich sei, dass es zu einem Bewachungsauftrag mit Waffen kommen werde und sich dieser bereits hinreichend konkretisiert habe. Die Erteilung des Waffenscheins erfolge nur für konkrete Aufträge als Einzelerlaubnis. Dies werde auch von der hier zuständigen Behörde so gehandhabt. Danach sei die reine Ankündigung einer Zuschlagserteilung nicht ausreichend, um eine entsprechende Genehmigung zu erteilen.
Im Hinblick auf den Vortrag, die anfänglich aufgestellten Eignungsanforderungen seien unangemessen niedrig, sei die Antragstellerin gemäß § 160 Abs. 3 Nr. 2 und 3 GWB präkludiert. Dieser Aspekt sei aus den Vergabeunterlagen erkennbar gewesen. Im Übrigen habe die Antragsgegnerin im Rahmen ihres Beurteilungsspielraums hier Anforderungen an die wirtschaftliche und finanzielle Leistungsfähigkeit aufgestellt. Auch wenn die Anforderungen an die Eignung nicht hoch seien, seien sie dennoch aufgestellt.
Eine Reduzierung der Anforderungen habe nicht stattgefunden.
Die Vergabekammer hat der Antragstellerin und der Beigeladenen nach vorheriger Zustimmung der Antragsgegnerin Akteneinsicht in die Vergabeakte gewährt, soweit diese keine Geschäftsgeheimnisse enthielt.
Mit Schreiben vom 3. Mai 2022 hat die Vergabekammer Aufklärungsschreiben an die Antragsgegnerin und die Beigeladene versandt, mit denen sie um Stellungnahme zu der Frage bat, ob und wie im Rahmen der Eignungsprüfung eine mögliche Eignungsleihe berücksichtigt wurde. Die Antragsgegnerin teilte mit, dass sie im Rahmen der Eignungsprüfung keine Eignungsleihe geprüft habe. Die Beigeladene legte der Vergabekammer am 6. Mai 2022 eine Verpflichtungserklärung des Eignungsverleihers vom 12. Oktober 2021 vor. Diese hat die Vergabekammer an die Antragsgegnerin weitergeleitet.
In der mündlichen Verhandlung am 10. Mai 2022 hatten die Beteiligten Gelegenheit, ihre Standpunkte darzulegen und mit der Vergabekammer umfassend zu erörtern. Die Antragsgegnerin teilte mit, dass der Vertragsbeginn mittlerweile auf 1. Juli 2022 verschoben worden sei.
Mit Datum vom 12. Mai 2022 hat die Antragsgegnerin die vorgelegten Referenzen der Beigeladenen einer erneuten Prüfung unterzogen. Dabei stellte sie fest, dass die Beigeladene
"unter Berücksichtigung der Unterstützung der Konzerngruppe, insbesondere der [...] (siehe unterschriebene Verpflichtungserklärung), geeignet ist, die geforderten Aufgaben wahrzunehmen. Die Leistungsfähigkeit konnte demzufolge gemäß § 26 Abs. 3 und § 27 Abs. 4 VSVgV nachgewiesen werden."
Die Antragsgegnerin hat diesen Vorgang zur Vergabeakte nachgereicht. Die Vergabekammer hat Antragstellerin und Beigeladener insoweit ergänzende Akteneinsicht gewährt.
Die Beteiligten haben jeweils mit Schreiben vom 24. Mai 2022 auf den Wiedereintritt in die mündliche Verhandlung nach Mitteilung der Ergebnisse der Eignungsprüfung der Beigeladenen durch die Antragsgegnerin vom 12. Mai 2022 verzichtet. Die Antragstellerin ist zudem der Auffassung, dass die Voraussetzungen für einen Wiedereintritt in die mündliche Verhandlung nicht vorlägen, wenn der öffentliche Auftraggeber nach Schluss der mündlichen Verhandlung weitere Unterlagen beibringe. Maßgeblich sei hier allein der Sach- und Streitstand aus der mündlichen Verhandlung vom 10. Mai 2022.
Durch Verfügung des Vorsitzenden vom 16. Mai 2022 wurde die Entscheidungsfrist bis zum 8. Juni 2022 einschließlich verlängert.
Auf die ausgetauschten Schriftsätze, die Verfahrensakte der Vergabekammer sowie auf die Vergabeakten, soweit sie der Vergabekammer vorgelegt wurden, wird ergänzend Bezug genommen.
II.
Die Vergabekammer entscheidet vorliegend gemäß § 166 Abs. 1 Satz 1 GWB auf Grundlage der mündlichen Verhandlung vom 10. Mai 2022 sowie den schriftlichen Stellungnahmen der Beteiligten zu der ergänzenden Akteneinsicht in die erneute Eignungsprüfung vom 12. Mai 2022. Allen Beteiligten wurde vor der Beschlussfassung rechtliches Gehör eingeräumt. Die Beteiligten haben mit Erklärungen vom 24. Mai 2022 gemäß § 166 Abs. 1 Satz 3 GWB jeweils auf den Wiedereintritt in die mündliche Verhandlung verzichtet.
Die Vergabekammer berücksichtigt das Ergebnis der erneuten Prüfung der Eignung der Beigeladenen unter Berücksichtigung der Eignungsleihe unter dem Gesichtspunkt der Verfahrenseffizienz und des Beschleunigungsgebots gemäß § 167 Abs. 1 GWB. Die erneute Prüfung geht auf das Aufklärungsersuchen der Vergabekammer vom 3. Mai 2022 zurück. Die Prüfung war nach Auskunft der Vertreterinnen der Antragsgegnerin zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung am 10. Mai 2022 noch nicht abgeschlossen. Insofern hält es die Vergabekammer für geboten, das Ergebnis der Prüfung im laufenden Nachprüfungsverfahren zu berücksichtigen. Der von der Antragstellerin zitierte Beschluss der Vergabekammer des Bundes vom 3. Juni 2018 (VK 2 - 44/18) steht dem nicht entgegen. Auch dort hatte die Vergabekammer eine teilweise Berücksichtigung der Stellungnahmen der Beteiligten auf die verspätet vorgelegten Vermerke der dortigen Antragsgegnerin akzeptiert, hingegen nicht die verspätet vorgelegten Vermerke und weitere nicht nachgelassene Schriftsätze der Beteiligten. Die Vergabekammer verwies in ihrer Entscheidung darauf, dass der Beschleunigungsgrundsatz von allen Verfahrensbeteiligten eine auf raschen Abschluss des Nachprüfungsverfahrens bedachte Mitwirkung an der Aufklärung im Hinblick auf etwaige Nachbesserungen verlange, die ein Auftraggeber im Rahmen des ihm im Hinblick auf das Vergabeverfahren grundsätzlich zustehenden Verfahrensermessens vornimmt. Aus den im dortigen Verfahren begründeten Umständen sah die Vergabekammer keinen Anlass, die mündliche Verhandlung wieder zu eröffnen. Dies ist angesichts des hier vergaberechtlich eingegrenzten Sachverhalts (Prüfung der Eignungsleihe), der bereits vor der mündlichen Verhandlung bekannt war, vorliegend anders. Die erkennende Vergabekammer hält insoweit eine Berücksichtigung der erneuten Eignungsprüfung aus den Gesichtspunkten der Verfahrenseffizienz und des Beschleunigungsgebots heraus für statthaft.
1. Der Nachprüfungsantrag ist zulässig.
Die Antragstellerin ist gemäß § 160 Abs. 2 GWB antragsbefugt. Ihr Interesse am Auftrag hat sie durch Teilnahme am Verhandlungsverfahren und Abgabe eines Angebots dokumentiert. Sie hat Vergaberechtsverstöße geltend gemacht, die bei Vorliegen ihre Zuschlagschancen beeinträchtigt haben können.
Sie ist ihrer Rügeobliegenheit gemäß § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GWB im Hinblick auf die als vergabefehlerhaft monierte Eignungsprüfung des Angebots der Beigeladenen sowie der qualitativen Wertung nachgekommen.
Die Frist für die Einreichung des Nachprüfungsantrags nach § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 GWB wurde eingehalten.
2. Der Nachprüfungsantrag ist unbegründet.
Die Entscheidung der Antragsgegnerin, von der Eignung der Beigeladenen gemäß § 22 Abs. 3 VSVgV im vorgelagerten Teilnahmewettbewerb auszugehen und diese zur Abgabe eines Angebots aufzufordern, begründet vorliegend keinen Vertrauenstatbestand zugunsten der Beigeladenen. Die Antragstellerin kann in dem von ihr angestrengten Nachprüfungsverfahren die fehlende Eignung der Beigeladenen geltend machen (dazu unter lit.a). Es ist nicht zu beanstanden, dass die Antragsgegnerin keine gesonderten Anforderungen an die Leistungsfähigkeit im Hinblick auf den Nachweis vergleichbarer Dienstleistungen, die eine Bewachung mit Waffen und Diensthunden abbilden, aufgestellt hat (unter lit. b). Die Antragsgegnerin ist zu Recht zu dem Ergebnis gelangt, dass die Beigeladene ihre Eignung im Hinblick auf die geforderte wirtschaftliche und finanzielle Leistungsfähigkeit nachgewiesen hat (unter lit. c). Soweit die Antragstellerin der Auffassung ist, die Beigeladene sei personell und technisch nicht leistungsfähig, kann dem nicht gefolgt werden (dazu unter lit. d). Die qualitative Bewertung des Angebots der Antragstellerin ist nicht mehr zu prüfen (lit. e).
a) Die Entscheidung der Antragsgegnerin, von der Eignung der Beigeladenen gemäß § 22 Abs. 3 VSVgV im vorgeschalteten Teilnahmewettbewerb auszugehen und diese zur Abgabe eines Angebots aufzufordern, begründet vorliegend keinen Vertrauenstatbestand zugunsten der Beigeladenen. Die Antragstellerin kann in dem von ihr angestrengten Nachprüfungsverfahren die - nach ihrer Ansicht - fehlende Eignung geltend machen.
Im Verhandlungsverfahren mit vorgeschaltetem Teilnahmewettbewerb prüft der öffentliche Auftraggeber gemäß § 22 Abs. 5 Satz 1 und § 29 Abs. 1 VSVgV die Eignung der am Wettbewerb teilnehmenden Unternehmen, bevor er sie zum Verhandlungsverfahren zulässt. Dadurch wird mit der positiven Eignungsprüfung - anders als im offenen Verfahren - grundsätzlich ein Vertrauenstatbestand für die zum Verhandlungsverfahren zugelassenen Unternehmen begründet. Sie müssen nicht damit rechnen, dass der ihnen durch die Erstellung der Angebote und Teilnahme am Wettbewerb entstandene Aufwand dadurch nachträglich nutzlos werden könnte, dass der Auftraggeber ihre Eignung auf gleichbleibender tatsächlicher Grundlage später nochmals abweichend beurteilt (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 29. März 2021, Verg 9/21 unter Verweis auf BGH, Beschluss vom 7. Januar 2014 - X ZB 15/13). Dieser Vertrauenstatbestand ist ein in § 242 BGB wurzelnder Grundsatz, der im Interesse einer fairen Risikoabgrenzung zwischen öffentlichem Auftraggeber und Bieterunternehmen einer späteren Verneinung der Eignung bei gleichem Sachverhalt entgegensteht. Mitbieter im Verhandlungsverfahren mit vorgeschaltetem Teilnahmewettbewerb haben danach einen Vergaberechtsverstoß, der in der fehlerhaften Bejahung der Eignung eines Unternehmens am Ende des Teilnahmewettbewerbs liegt, ab der Begründung des Vertrauenstatbestands hinzunehmen (so OLG Düsseldorf, aaO.). Voraussetzung für einen solchen Vertrauenstatbestand ist jedoch, dass der öffentliche Auftraggeber die Eignung der Bieter abschließend bejaht hat, bevor er sie zum Verhandlungsverfahren zulässt. Hieran fehlt es, wenn der Bieter bis zum Abschluss des Teilnahmewettbewerbs nicht alle zur abschließenden Prüfung seiner Eignung erforderlichen Unterlagen eingereicht hat. Fehlt dem öffentlichen Auftraggeber im Zeitpunkt der Entscheidung über die Zulassung zum Verhandlungsverfahren die Grundlage für eine abschließende Prüfung der Eignung eines Bieters, kann dieser Bieter kein Vertrauen in die Beurteilung seiner Eignung haben (vgl. zuletzt OLG Düsseldorf, Beschluss vom 27. April 2022, Verg 25/21).
Vorliegend hat die Beigeladene unstreitig keine Referenzen für ihr eigenes Unternehmen eingereicht, sondern Referenzen für ein verbundenes (Konzern-)Unternehmen. Ein Bewerber oder Bieter, der selbst nicht über die erforderliche Eignung verfügt, kann sich zwar im Rahmen der sogenannten Eignungsleihe auf die Eignung eines anderen Unternehmens - ungeachtet des rechtlichen Charakters der zwischen ihm und diesem Unternehmen bestehenden Verbindungen - berufen (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 17. April 2019, Verg 36/18). Es besteht für Bewerber oder Bieter aber eine Nachweispflicht dafür, dass ihnen die erforderlichen Mittel zur Verfügung stehen, wenn sie sich für einen bestimmten Auftrag auf die Leistungsfähigkeit anderer Unternehmen berufen (in der VSVgV: §§ 26 Abs. 3 und 27 Abs. 4). Zu den "anderen" Unternehmen im Sinne der Eignungsleihe zählen auch Unternehmen innerhalb eines Konzernverbunds, auf deren Eignung sich der Bewerber oder Bieter stützen will (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 17. April 2019, Verg 36/18). Die bloße Konzernverbundenheit selbst genügt indes noch nicht für den Nachweis, dass der Bewerber tatsächlich auf die Kapazitäten oder Fähigkeiten eines verbundenen Unternehmens zurückgreifen kann. Auch in diesen Fällen muss vom Bewerber nachgewiesen werden, dass ihm die Kapazitäten des Unternehmens zur Verfügung stehen (vgl. OLG Düsseldorf, aaO.).
Einen solchen Nachweis hat die Beigeladene vor Einleitung des Nachprüfungsverfahrens durch die Antragstellerin nicht geführt. Zwar war in den Vergabeunterlagen keine Verpflichtungserklärung des Eignungsleihgebers gefordert. Auch hat die Antragsgegnerin im Rahmen der Nachforderung einer Übersetzung der eingereichten Referenzen nicht zusätzlich eine Verpflichtungserklärung eingefordert. Dennoch ist hier bis zur Vornahme einer vergaberechtlich abschließenden Prüfung der Eignung durch die Antragsgegnerin ein Vertrauenstatbestand zu Gunsten der Beigeladenen nicht entstanden. Es ist davon auszugehen, dass die Beigeladene als Teilnehmerin eines EU-weiten Vergabeverfahrens annehmen musste, die Prüfung ihrer Eignung sei (möglicherweise) noch nicht abgeschlossen. So hat sie auf das Aufklärungsschreiben der Vergabekammer eine - bereits vorhandene - Verpflichtungserklärung des Konzernunternehmens vom 12. Oktober 2021 vorgelegt. Die Eignungsprüfung der Beigeladenen ist daher im Nachprüfungsverfahren durch die Antragstellerin angreifbar und durch die Vergabekammer überprüfbar.
b) Es ist nicht zu beanstanden, dass die Antragsgegnerin keine gesonderten Anforderungen an die Leistungsfähigkeit im Hinblick auf den Nachweis vergleichbarer Dienstleistungen, die eine Bewachung mit Waffen und Diensthunden abbilden, aufgestellt hat.
Anhaltspunkte dafür, dass die Eignungsanforderungen - wie die Antragstellerin meint - unangemessen niedrig sind, liegen nicht vor. Es ist nicht erkennbar, dass die Antragsgegnerin ihren Beurteilungsspielraum bei der Aufstellung von Eignungskriterien überschritten hätte. Eignungskriterien, die nicht mit dem Auftragsgegenstand in einem sachlichen Zusammenhang stehen und durch ihn gerechtfertigt sind, sind gemäß § 21 Abs. 1 VSVgV, § 122 Abs. 4 GWB unzulässig. Sie können nicht den Zweck erfüllen, eine belastbare Prognoseentscheidung zu tragen. Ein Katalog möglicher Eignungsnachweise ergibt sich aus §§ 26 und 27 VSVgV. Vorliegend hat die Antragsgegnerin keine Angaben zur technischen Leistungsfähigkeit in Form von Referenzen gemäß § 27 Abs. 1 Ziffer 2 a) VSVgV gefordert. Angaben zu bereits erbrachten Dienstleistungen hat sie aber zum Nachweis der finanziellen und wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit gefordert. Gemäß § 26 Abs. 1 VSVgV können Auftraggeber je nach Art oder Umfang der zu erbringenden Dienstleistungen angemessene Nachweise der finanziellen und wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Bewerber oder Bieter verlangen, insbesondere Bankerklärungen, Haftpflichtversicherungen, Bilanzen oder Bilanzauszüge oder Erklärungen zum Gesamtumsatz und den Umsatz für den durch den Auftragsgegenstand vorausgesetzten Tätigkeitsbereich. Die Antragsgegnerin hat hier, neben den in § 26 Abs. 1 VSVgV beispielhaft aufgeführten Nachweisen in der EU-Bekanntmachung die Vorlage von "exakt 3 Referenzen" gefordert, also der Zahl nach drei Referenzen. Wie sie den Begriff der Referenzen verstanden haben will, hat die Antragsgegnerin in der Bekanntmachung indes nicht weiter definiert, so dass es nach allgemeinem vergaberechtlichen Verständnis naheliegt, dass hiermit der Nachweis über früher ausgeführte Leistungen (vgl. z.B. § 46 Abs. 3 Nr. 1 VgV, § 6a EU Nr. 3 lit. a VOB/A) gemeint ist. Dieses Verständnis haben offensichtlich auch die Antragstellerin und die Beigeladene gehabt, indem sie in ihren Angeboten entsprechende Aufträge in Bezug genommen haben. Die Antragsgegnerin hat in der Bekanntmachung allerdings keine weiteren Angaben dazu gemacht, ob die vorzulegenden Referenzen mit dem Auftragsgegenstand in Verbindung stehen sollen, so dass insoweit auch keine weiteren Anforderungen gestellt werden können. Die Forderung nach der Vorlage von drei Referenzen zum Nachweis der finanziellen und wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Bewerbers hält sich in den Grenzen des zur Auftragserfüllung in wirtschaftlicher Hinsicht Notwendigen. Zusätzlich hat die Antragsgegnerin zum Nachweis der Eignung der Bewerber zahlreiche Angaben nach Ziffer III.2.1) der EU-Bekanntmachung zur persönlichen Lage des Wirtschaftsteilnehmers verlangt, die für die Ausführung der Dienstleistung aus ihrer Sicht von Bedeutung sind. So hat sie Eigenerklärungen gemäß § 22 Abs. 2 VSVgV u.a. zur Beachtung von § 28 WaffenG sowie über das eingesetzte Personal gefordert. Die Anforderung von Eigenerklärungen ist in § 22 Abs. 2 VSVgV ausdrücklich zugelassen. Ferner hat die Antragsgegnerin für die Angebotswertung in der Verhandlungsphase ein umfassendes Konzept von den Bewerbern eingefordert, dass sie in qualitativer Hinsicht bewerten wird. In diesem Konzept haben die Bewerber u.a. auch zur Frage der Personalgewinnung und zum Einsatz der Diensthunde auszuführen. Die von der Antragsgegnerin aufgestellten Eignungsanforderungen sind in ihrer Gesamtschau geeignet, eine belastbare Prognose über die Leistungsfähigkeit der Bewerber zu ermöglichen. Im Zusammenspiel mit der Konzeptbewertung erscheinen sie aus Sicht der Vergabekammer grundsätzlich ausreichend, um leistungsfähige Bewerbungen zu erhalten. Anders als in der von der Antragstellerin angeführten Entscheidung des OLG Frankfurt (Beschluss vom 23. Dezember 2021, 11 Verg 6/21), in der es um die Ausschreibung eines Videokonferenzsystems, in dem der erfolgreiche Bieter keine auch nur ansatzweise vergleichbaren Erfahrungen aufwies, haben sich vorliegend aufgrund der Eignungsanforderungen im Teilnahmewettbewerb ausschließlich Unternehmen beworben, die in der Bewachungs- und Sicherheitsbranche tätig sind.
Ob zusätzlich zu der Vorlage von "exakt 3 Referenzen" konkludent eine Anforderung von mit dem Auftragsgegenstand vergleichbaren Referenzen anzunehmen ist, kann vorliegend offen bleiben. Die Antragstellerin leitet dies aus der Anforderung in Ziffer II.2.2) unter Ziffer 3) geforderten "Eigenerklärung über die Höhe des Gesamtumsatzes/Umsatzes mit vergleichbaren Leistungen der letzten 3 Geschäftsjahre" her. Es sei nicht ausreichend für den Nachweis der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit, lediglich Referenzen für irgendeine Dienstleistung z.B. den Betrieb eines Kaufhauses vorzulegen. Die Beigeladene hat allerdings drei Referenzen aus dem Bereich Sicherheitsdienstleistungen (Bewachung mit Waffen) vorgelegt. Diese Referenzen haben jedenfalls den von der Antragstellerin geforderten Bezug zur ausgeschriebenen Dienstleistung, weil sie - wenn auch nicht identisch - jedenfalls vergleichbare Leistungen darstellen, denn es handelt sich jeweils um Bewachungsdienstleistungen mit Waffen. Hätte die Antragsgegnerin hier strengere Maßstäbe an die Vergleichbarkeit anlegen wollen, hätte sie in der Bekanntmachung entsprechende Mindestanforderungen in Bezug auf die Vergleichbarkeit aufstellen können und müssen. (zur weiteren Prüfung der Antragsgegnerin hinsichtlich der Eignungsleihe siehe nachfolgend unter lit. c).
c) Die Antragsgegnerin ist mit der am 12. Mai 2022 erneut vorgenommen Überprüfung der Eignung im Hinblick auf die geforderte wirtschaftliche und finanzielle Leistungsfähigkeit zu Recht zu dem Ergebnis gelangt, dass die Beigeladene diese nachgewiesen hat.
(1) Die Beigeladene ist nicht gemäß § 22 Abs. 1 und 3 i.V.m. § 26 Abs. 1 VSVgV von der Wertung auszuschließen, weil sie keine eigenen Referenzen vorgelegt hat. Sie durfte sich zum Nachweis ihrer wirtschaftlichen und finanziellen Leistungsfähigkeit im Hinblick auf die einzureichenden drei Referenzen der sogenannten Eignungsleihe gemäß § 26 Abs. 3 VSVgV bedienen. Das Recht eines Wirtschaftsteilnehmers in Bezug auf die Leistungsfähigkeit für einen bestimmten Auftrag die Kapazitäten anderer Unternehmen in Anspruch zu nehmen, kann nur bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände eingeschränkt werden (siehe Art. 63 Abs. 2 der Richtlinie 2014/24/EU; Art. 41 Abs. 2 und Art. 42 Abs. 2 der Richtlinie Verteidigung und Sicherheit 2009/81/EG ohne weitere Einschränkungen). Die Vergabeunterlagen der Antragsgegnerin sehen hier keinen Ausschluss der Eignungsleihe vor. Schweigen die Vergabeunterlagen zur Eignungsleihe, so ist diese grundsätzlich zulässig (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 27. April 2022, Verg 25/21 unter Verweis auf EuGH, Urteil vom 7. April 2016, Rs. C-324/14). Die Beigeladene durfte sich daher gemäß § 26 Abs. 3 VSVgV auf die Leistungsfähigkeit anderer Unternehmer berufen.
Die auf das Aufklärungsschreiben der Vergabekammer vom 3. Mai 2022 von der Beigeladenen am 6. Mai 2022 vorgelegte Verpflichtungserklärung des Eignungsverleihers vom 12. Oktober 2021 durfte seitens der Antragsgegnerin der erneuten Eignungsprüfung zugrunde gelegt werden. Die nachgereichte Verpflichtungserklärung stellt - entgegen der Ansicht der Antragstellerin - keine unzulässige nachträgliche Änderung des Angebots der Beigeladenen dar. Die Beigeladene hat die Referenzen nicht als eigene Referenzen vorgelegt. Sie hat die Referenzen vielmehr mit ihrem Teilnahmeantrag deutlich erkennbar unter dem Briefkopf des [...] Konzernunternehmens aufgeführt. Die Antragsgegnerin hat dies auch erkennen können. Sie hat sich mit dem Referenzschreiben explizit auseinandergesetzt und eine Übersetzung des Schreibens bei der Beigeladenen angefordert. Die Beigeladene hat sich damit anders als im Sachverhalt der Entscheidung des OLG Düsseldorf (vgl. Beschluss vom 17. April 2019, Verg 36/18) nicht erst nachträglich auf eine mögliche Eignungsleihe berufen, sondern bereits in ihrem Teilnahmeantrag offen und erkennbar auf die "fremden" Referenzen des Konzernunternehmens berufen.
(2) Das Angebot der Beigeladenen ist auch nicht deshalb von der Wertung auszuschließen, weil die Verpflichtungserklärung des Eignungsleihgebers nicht - wie grundsätzlich erforderlich - zum Zeitpunkt des Teilnahmeantrags vorgelegen hat. Zwar werden Bewerber oder Bieter, die den Nachweis für die an die Eignung gestellten Mindestanforderungen nicht erbringen, gemäß § 22 Abs. 3 Satz 1 VSVgV nicht zur Abgabe eines Angebots aufgefordert. Eignungsnachweise sind jedoch nur dann wirksam gefordert und führen zu einem Ausschluss beziehungsweise zu einer Nichtaufforderung im Teilnahmewettbewerb, wenn die Vergabebekanntmachung entsprechende Vorgaben enthält. Vorliegend hat die Antragsgegnerin nicht gemäß § 22 Abs. 1 Satz 1 VSVgV in der Vergabebekanntmachung gefordert, dass der Nachweis der wirtschaftlichen und finanziellen Leistungsfähigkeit, durch eine Erklärung, dass dem Bewerber die Kapazitäten des Eignungsleihgebers zur Verfügung stehen, gemäß § 26 Abs. 3 VSVgV zu führen ist. Die Vergabebekanntmachung erhält auch keine Angaben zu eventuellen Vorlagepflichten gemäß § 27 Abs. 4 VSVgV. Dies führt aber nicht dazu, dass die gesetzliche Regelung des § 22 Abs. 3 Satz 1 VSVgV eine wirksame Aufforderung zur Abgabe der Erklärungen zur Eignungsleihe zu einem späteren Zeitpunkt - hier nach Angebotsabgabe - ausschließt (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 27. April 2022, Verg 25/21). Die fehlende Aufforderung zur Vorlage im Teilnahmewettbewerb führt daher nicht zu einem Ausschluss der Beigeladenen mangels nachgewiesener Verpflichtungserklärung bereits im Bewerbungsverfahren.
(3) Die Antragsgegnerin hat das Vergabeverfahren mit der am 12. Mai 2022 nach der mündlichen Verhandlung vom 10. Mai 2022 vorgenommenen Prüfung der Verpflichtungserklärung des Eignungsverleihers in den Stand der Eignungsprüfung zurückversetzt und ihre bisherige Entscheidung überprüft. Diese ergänzte Prüfung der Antragsgegnerin ist der Entscheidung der Vergabekammer zugrunde zu legen.
Die ergänzte Prüfung der Verpflichtungserklärung des Eignungsverleihers bewegt sich Rahmen des der Antragsgegnerin zustehenden Beurteilungsspielraums. Sie hat die "geliehenen" Referenzen des Eignungsleihgebers unter dem Aspekt "vergleichbare Sicherheitsdienstleistungen" geprüft und kommt in dem zur Vergabeakte gereichten Schreiben zu dem Ergebnis, dass die Referenzen als den Anforderungen entsprechend anerkannt werden können. Die Beigeladene sei unter Berücksichtigung der Unterstützung der Konzerngruppe geeignet, die geforderten Aufgaben wahrzunehmen. Die Feststellung der Antragsgegnerin ist nicht zu beanstanden, sie bewegt sich im Rahmen ihres Beurteilungsspielraums im Hinblick auf die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Beigeladenen.
Entgegen der Auffassung der Antragstellerin bezieht sich der Prüfungsumfang hinsichtlich der vorgelegten Referenzen nicht auf die Frage, ob das Personal, von denen sich die Eignung ableitet, tatsächlich bei der Ausführung eingesetzt wird. Die geforderte Eignung war nach Ziffer III.2.2) der EU-Bekanntmachung allein bezogen auf die wirtschaftliche und finanzielle Leistungsfähigkeit mit der Vorlage von "exakt 3 Referenzen" nachzuweisen. Nicht hingegen hat die Antragsgegnerin Referenzen zum Nachweis der technischen und beruflichen Leistungsfähigkeit gefordert. Auf den Einsatz entsprechenden Fachpersonals aus den Referenzaufträgen des Eignungsleihgebers kommt es daher an dieser Stelle nicht an.
d) Die Eignungswertung der Antragsgegnerin weist in Bezug auf die von der Antragstellerin geltend gemachten weiteren Umstände (Personal, Material, Diensthunde) keine Fehler auf. Sie wird nicht in ihrem Anspruch auf Einhaltung der Bestimmungen über das Vergabeverfahren gemäß § 97 Abs. 6 GWB verletzt.
(1) Die Feststellung der Antragsgegnerin, dass die Beigeladene aufgrund der abgegebenen Eigenerklärungen über die erforderlichen personellen Ressourcen verfügt, um den Auftrag in der geforderten Qualität und innerhalb der Ausführungsfrist ausführen zu können, ist vergaberechtlich nicht zu beanstanden.
Die vom Auftraggeber zu prüfenden Eignungskriterien sowie die zum Nachweis erforderlichen Unterlagen ergeben sich gemäß §§ 21 Abs. 1, 22 Abs. 1 VSVgV, 122 Abs. 4 Satz 2 GWB vorliegend aus der EU-Bekanntmachung des betreffenden Auftrags. Vorzulegen waren nach der EU-Bekanntmachung u.a. eine formlose Eigenerklärung, dass § 28 WaffenG beachtet wird sowie eine Eigenerklärung über das eingesetzte Personal. In ihrer Checkliste zum Teilnahmeantrag hat die Antragsgegnerin diese und weitere Eigenerklärungen (zum Teil mit weiteren Angaben versehen) aufgelistet. Die Antragsgegnerin hat die Einhaltung dieser Vorgaben überprüft. Sie hat den ihrer Entscheidung zugrunde gelegten Sachverhalt zutreffend und vollständig berücksichtigt und ist in nicht zu beanstandender Weise zu der Einschätzung gelangt, dass die Beigeladene den Auftrag mit dem zum Zeitpunkt des Vertragsbeginns zur Verfügung stehenden Personal fristgerecht und unter Wahrung der vorgesehenen Anforderungen des Auftrags (Waffenberechtigung, Sicherheitsüberprüfung, Einsatz von Diensthunden) ausführen wird.
Grundsätzlich muss der Auftragnehmer, sofern sich der öffentliche Auftraggeber nicht in der Bekanntmachung einen anderen Zeitpunkt vorbehält, schon im Interesse eines offenen Wettbewerbs erst zum Zeitpunkt der Leistungserbringung über die eignungsrelevanten Mittel verfügen und das benötigte Personal einstellen. Dies gilt insbesondere für Personal, das erst auf der Grundlage des erteilten Auftrags für den Bieter erforderlich ist und arbeitsvertraglich gebunden werden muss. Im Regelfall ist es einem Bieter auf die bloße Erwartung eines Zuschlags nicht zumutbar, bereits Personal einzustellen, das erst auf der Grundlage des erteilten Auftrags für den Bieter erforderlich ist (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 26. Juli 2018, Verg 28/18). Ausnahmen können allerdings bei besonderen, insbesondere technisch aufwändigen Dienstleistungen gelten, für die auf dem Arbeitsmarkt nur eine begrenzte Anzahl an geeigneten Mitarbeitern zur Verfügung steht. Kann von einer jederzeitigen Verfügbarkeit nicht ohne weiteres ausgegangen werden, bedarf es der konkreten Darlegung, aus welchen Gründen dem Bieter das zur Auftragserfüllung erforderliche Personal bei Vertragsbeginn tatsächlich zur Verfügung stehen wird. Dass der Bieter das benötigte Personal bereits bei Angebotsabgabe arbeitsvertraglich gebunden haben muss, kann aus Gründen der Verhältnismäßigkeit jedoch auch in diesen Fällen grundsätzlich nicht gefordert werden (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 12. Juni 2019, Verg 52/18 zu den Anforderungen bei Berufstauchern, die Unterwasserschweißarbeiten vornehmen).
Die Beigeladene hat alle im Rahmen des Teilnahmewettbewerbs geforderten Eigenerklärungen hinsichtlich des einzusetzenden Personals eingereicht. Soweit sich die Antragstellerin unter Bezugnahme auf die genannte Rechtsprechung des OLG Düsseldorf darauf beruft, es bedürfe hier aufgrund der Umstände der Ausschreibung einer gesonderten Erklärung des Bieters, wie er die Leistung tatsächlich anbieten könne, einschließlich einer Verpflichtungserklärung der speziellen Fachkräfte, ist dem nicht zu folgen. Im Unterschied zu der der Entscheidung des OLG Düsseldorf zugrundeliegenden Fallkonstellation der am Arbeitsmarkt schwer verfügbaren Berufstaucher mit Zusatzqualifikation, ist die Situation im Bewachungsgewerbe eine andere. Zwar ist der Antragstellerin zuzugeben, dass die Anforderungen an das Personal in der vorliegenden Ausschreibung über eine "normale" zivil-gewerbliche Bewachung [...] hinausgehen. Dennoch ist davon auszugehen, dass ein Bieter, der nicht Bestandsauftragnehmer ist, mit einem gewissen zeitlichen Vorlauf die entsprechenden Genehmigungen und Prüfungen durch die zuständigen Behörden zur leistungsgerechten Ausführung zum Vertragsbeginn beibringen kann. So hat die Antragsgegnerin in der mündlichen Verhandlung auf den Vorhalt der Antragstellerin, dass in zeitlicher Hinsicht eine Beibringung kaum möglich sei, ausgeführt, dass im Falle einer Übernahme eines Auftrags durch einen neuen Auftragnehmer verschiedene zuständige Behörden zu einer beschleunigten Bearbeitung bereit seien. Es seien flächendeckend Ausnahmegenehmigungen nach § 34 WaffenG möglich. Dies gelte auch hinsichtlich notwendiger Sicherheitsüberprüfungen. Ein flexibler Umgang der entsprechenden Behörden sei hier durchaus üblich. Damit werde auch in wettbewerblicher Hinsicht ein Wechsel eines Auftragnehmers möglich gemacht. Sie habe keinen Zweifel, dass angesichts der Verschiebung des Auftragsbeginns auf nunmehr 1. Juli 2022 die entsprechenden Genehmigungen, jedenfalls in vorläufiger Ausfertigung, erbracht werden könnten. Die gilt auch für die gemäß § 28 WaffenG nötige Erlaubnis zum Erwerb, Besitz und Führen von Schusswaffen und Munition des Bewachungsunternehmers und seines Bewachungspersonals. Die Erlaubnis für den Bewachungsunternehmer wird danach erteilt, wenn er gegenüber der Behörde glaubhaft macht, dass Bewachungsaufträge wahrgenommen werden oder werden sollen. Die Beigeladene hat dazu vorgetragen, dass nach Auskunft der zuständigen Behörde die Erlaubnis erst bei Vorliegen der Zuschlagserteilung nicht aber bei einer reinen Ankündigung der Zuschlagserteilung beantragt werden kann. Sie befinde sich angesichts der besonderen Situation des Nachprüfungsverfahrens im Kontakt mit der Behörde, um bei Zuschlagserteilung eine schnelle Genehmigung zu erwirken. Unmittelbar nach Zuschlagserteilung werde mit den Vorbereitungen zur Auftragsdurchführung beginnen. Die Vergabekammer kann angesichts der plausiblen Ausführungen der Beigeladenen keinen Wertungsfehler der Antragsgegnerin hinsichtlich der Waffenerlaubnis erkennen.
Hinzu kommt, dass die Antragsgegnerin in der Phase des Verhandlungsverfahrens von allen Bietern für die qualitative Wertung der Bewachungsdienstleistung Konzepte eingefordert hat. Aufgrund der umfangreichen Ausführungen im Konzept der Beigeladenen zur Gewinnung von Personal unter Zugrundelegung sowohl der Möglichkeit des Betriebsübergangs mit Übernahme des Personals als auch der Option externe Fachkräfte für den Auftrag zu gewinnen, ist hier kein anderer Schluss in Bezug auf die von der Antragsgegnerin vorgenommene Prognose der Leistungsfähigkeit der Beigeladenen zu ziehen. Die Beigeladene hat nach Auffassung der Vergabekammer in ihrem Konzept überzeugend dargelegt, wie sie den Auftrag u.a. in personeller Hinsicht zu erfüllen gedenkt. Die Entscheidung der Antragsgegnerin über die Leistungsfähigkeit der Beigeladenen in personeller Hinsicht ist als sachgerecht anzusehen.
(2) Gleiches gilt für die Annahme der Antragsgegnerin, die Beigeladene sei auch im Hinblick auf die sonstigen Anforderungen der Ausschreibung an Ausrüstung (Waffen, Schutzwesten, Schutzhelme) und Verfügbarkeit/Einsetzbarkeit von Diensthunden leistungsfähig. Die Beigeladene hat sowohl in ihrem Konzept als auch in der mündlichen Verhandlung ausgeführt, dass sie über die geforderte Ausrüstung bereits jetzt verfüge beziehungsweise zum Auftragsbeginn verfügen werde, weil entsprechende Ausrüstungsgegenstände beim Lieferanten bereits vorgehalten würden und abrufbar seien. Auch hinsichtlich der Verfügbarkeit von Diensthunden und des entsprechenden Personals hat die Beigeladene in ihrem Konzept inhaltlich ausgeführt. Die Antragsgegnerin hat in der mündlichen Verhandlung erläutert, dass die Prüftermine nach der "Prüfungsordnung für Diensthunde im Wachdienst [...]" von den in ihrem eigenen Geschäftsbereich angesiedelten Prüfkommissionen bei einem Auftragnehmerwechsel flexibel gehandhabt würden. So sei es möglich, neben den regulär anberaumten Prüfterminen gesonderte Prüftermine vorzunehmen. Es bestünden auch insoweit keine Zweifel daran, dass die Beigeladene hinsichtlich des Einsatzes von Diensthunden in die Lage versetzt werde, entsprechend vertragskonform zu leisten. Die Bewertung und Einschätzung durch die Wertungskommission der Antragsgegnerin ist plausibel und damit als sachgerecht anzusehen.
e) Die qualitative Bewertung des Angebots der Antragstellerin ist an dieser Stelle nicht zu weiter zu prüfen. Die Antragstellerin hat - da ihr Konzept an verschiedenen Stellen der Wertung nicht die Höchstpunktzahl erhalten hat - davon abgesehen, die qualitative Wertung weiter anzugreifen (siehe Schriftsatz vom 4. Mai 2022, Seite 7 f.).
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 182 Abs. 1, Abs. 3 Satz 1, Abs. 4 Satz 1, 2, 4 GWB i.V.m. § 80 Abs. 2, Abs. 3 Satz 2 VwVfG.
Da sich die Beigeladene zuletzt schriftsätzlich mit eigenem Sachvortrag am Nachprüfungsverfahren beteiligt und damit ein Kostenrisiko auf sich genommen hat, entspricht es gemäß § 182 Abs. 4 Satz 2 GWB der Billigkeit, eine Kostenerstattung zu Lasten der Antragstellerin auszusprechen (vgl. nur OLG Düsseldorf, Beschlüsse vom 23. Juni 2014, Verg 41/13 und vom 10. Mai 2012, Verg 5/12).
Die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten durch die Beigeladene war notwendig, da das Nachprüfungsverfahren grundlegende Rechtsfragen zur Prüfung der Eignung aufgeworfen hat, die die Beauftragung eines Verfahrensbevollmächtigten als sachgerecht erscheinen lassen (vgl. BGH, Beschluss vom 26. September 2006, X ZB 14/06). Da auch die Antragstellerin anwaltlich vertreten war, war die Zuziehung anwaltlicher Bevollmächtigter durch die Beigeladene darüber hinaus zur Herstellung der "Waffengleichheit" erforderlich (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 29. Mai 2019, Verg 55/18).
IV.
(...)
Vergabestelle prüft Rüge noch: Nachprüfungsantrag verfrüht!
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VK Hessen
Beschluss
vom 22.07.2022
VK VOB-96 e 01.02/33-2022/1
Leitet ein Bieter bereits zwei Tage nach seinen Rügeschreiben ein Vergabenachprüfungsverfahren ein, ohne die Abhilfe der Vergabestelle abgewartet zu haben, ist das Rechtsschutzinteresse zu verneinen. Das gilt jedenfalls dann, wenn die Vergabestelle angekündigt hat, ihre Vergabeentscheidung erneut zu überprüfen und nicht erkennbar ist, dass ein Zuschlag droht (Anschluss an OLG Bremen, IBR 2007, 269).
Gründe
(
)
Die für das Nachprüfungsverfahren zuständige 1. Vergabekammer hat Ihren Antrag daraufhin überprüft, ob er den Anforderungen des § 163 Abs. 2 Satz 1 und 3 GWB entspricht und ob eine das Zuschlagsverbot auslösende Übermittlung des Antrags an das Land Hessen, vertreten durch Hessen Mobil Straßen- und Verkehrsmanagement erfolgen muss.
Nach Prüfung Ihres Antrags kommt die Vergabekammer jedoch zu dem Ergebnis, dass Ihr Antrag bereits offensichtlich unzulässig ist, weshalb sie
beschlossen
hat, den Antrag nicht an die Vergabestelle zu übermitteln (§ 163 Abs. 2 Satz 3 GWB).
Es fehlt der Antragstellerin bereits an der erforderlichen Antragsbefugnis.
Gemäß § 160 Abs. 2 S. 2 GWB hat der Antragsteller darzulegen, dass ihm durch die behauptete Nichtbeachtung von Vergaberecht ein Schaden entweder bereits entstanden ist oder zu entstehen droht.
Es ist ein schlüssiger Vortrag erforderlich, aus dem sich ergibt, dass gerade durch den gerügten Verstoß gegen Vergaberecht die Aussichten des Antragstellers auf eine Berücksichtigung seiner Bewerbung oder seines Angebotes im Hinblick auf die Zuschlagserteilung beeinträchtigt worden sein könnten (Horn/Hofmann, in Burgi/Dreher/Opitz, Beck´scher Vergaberechtskommentar, Bd. 1, 4. Auflage 2022, Rn. 33).
Die Antragsbefugnis nach § 160 GWB und damit die Zulässigkeit des Nachprüfungsantrags setzt voraus, dass eine die Rechte des Antragstellers nach dessen Darstellung verletzende Entscheidung des öffentlichen Auftraggebers bereits vorliegt. Es muss eine tatsächliche Rechtsverletzung behauptet werden (vgl. OLG Naumburg, IBR 2003, 445). Eine bloß drohende Rechtsverletzung genügt nicht. Vermutet die Antragstellerin lediglich, dass die Vergabestelle möglicherweise eine - gegebenenfalls vergaberechtswidrige - Vergabeentscheidung zu seinen Ungunsten treffen wird, reicht dies für die Zulässigkeit eines Nachprüfungsantrags nicht aus (vgl. OLG Koblenz, Beschluss. v. 10.08.2000, Az; 1 Verg 2/00).
Der Schaden muss daher grundsätzlich bezogen sein auf die Zuschlagschance. Die Antragsbefugnis kann also grundsätzlich nicht aus jenseits der Zuschlagschance liegenden Beeinträchtigungen rechtlicher oder wirtschaftlicher Art hergeleitet werden. Dies ergibt sich aus der ratio legis der Antragsbefugnis, wonach nur solche Teilnehmer am Wettbewerb die Möglichkeit haben sollen, ein investitionshemmendes Nachprüfungsverfahren zu betreiben, die auch tatsächlich eine realistische Aussicht auf Erhalt des Zuschlags haben. Grundlage der Beurteilung ist das Vorbringen des Antragstellers, das für die Prüfung der Antragsbefugnis im Rahmen der Zulässigkeit als richtig zu unterstellen ist. An die Darlegung sind keine überzogenen Anforderungen zu stellen, vielmehr genügt, dass ein Schadenseintritt nicht offensichtlich ausgeschlossen ist (vgl. zum Ganzen Horn/Hofmann, in Burgi/Dreher/Opitz, Beck´scher Vergaberechtskommentar, Bd. 1, 4. Auflage 2022, Rn. 33 mit weiteren Nachweisen).
Es ist auch offensichtlich noch nicht bekannt, oder wurde zumindest nicht substantiiert vorgetragen, dass der Antragstellerin ein vergaberechtlicher Schaden droht. Die Antragstellerin behauptet vielmehr auf Seite 11 ihres Nachprüfungsantrags lediglich einen drohenden vergaberechtlichen Schaden, ohne diesen substantiiert darzulegen. Aus der Sachverhaltsdarstellung der Antragstellerin ergibt sich vielmehr, dass der Submissionstermin erst am auf die Einreichung des Nachprüfungsantrages folgenden Tag geplant ist. Weder hat die Antragstellerin dargelegt, noch ist es ersichtlich, dass ein Zuschlag auf das Angebot der Antragstellerin nicht erfolgen wird. Es besteht vielmehr mangels anderweitiger Angaben der Antragstellerin eine reelle Zuschlagschance der Antragstellerin.
Der Nachprüfungsantrag ist darüber hinaus aber auch deshalb unzulässig, weil der Antragstellerin das Rechtsschutzbedürfnis für diesen Nachprüfungsantrag fehlt. Zwar hat die Antragstellerin mit Schreiben vom 18. Juli 2022 (Anlage SR3) Vergaberechtsverstöße gegenüber der Vergabestelle gerügt. Es ist jedoch noch nicht bekannt, dass die Vergabestelle diesen Vergaberechtsverstößen nicht abhelfen wird. Dadurch, dass die Antragstellerin einen Nachprüfungsantrag zwei Tage nach ihrem Rügeschreiben einlegt, ohne dass die Abhilfe der Vergabestelle abgewartet zu haben, ist das Rechtsschutzinteresse der Antragstellerin zu verneinen. Der Nachprüfungsantrag ist nach Auffassung der Vergabekammer voreilig. Die Antragstellerin hätte abwarten müssen, entweder bis die Vergabestelle die von ihr angekündigte erneute Überprüfung ihrer Vergabeentscheidung durchgeführt und das Ergebnis der Antragstellerin mitgeteilt hätte, oder bis die Antragstellerin wegen Zeitablaufs die Erteilung des Zuschlags hätte befürchten müssen. In einer solchen Konstellation besteht für einen dennoch sofort eingereichten Nachprüfungsantrag kein Rechtsschutzinteresse. Verneinte man in einer solchen Situation eine Wartepflicht des Rügenden mit der Stellung des Nachprüfungsantrags, führte dies zu einer vollständigen Entwertung der Funktion der Rügeobliegenheit. Der Vergabestelle würde dadurch die Möglichkeit genommen, noch im Vergabeverfahren die Rüge zu überprüfen und ihr gegebenenfalls abzuhelfen (vgl. auch OLG Bremen, Beschluss vom 05.03.2007 - Verg 4/2007; VK Bremen, Beschluss vom 01.03.2007 - VK 1/07). Es ist hierbei insbesondere zu berücksichtigen, dass der Antragstellerin ein Zuwarten bis zur Entscheidung der Vergabestelle auch zumutbar ist, da nicht erkennbar ist, dass ein Zuschlag droht; das Vergabeverfahren befand sich zum Zeitpunkt der Antragseinlegung vielmehr noch nicht einmal im Stadium der Angebotsprüfung. Daher ist der Nachprüfungsantrag derzeit unzulässig.
Schließlich weist die Vergabekammer daraufhin, dass eine Vertretung eines Prozessbevollmächtigten sowohl der Antragstellerin, als auch der Antragsgegnerin nur unter sehr engen Bedingungen zulässig ist. Die Antragstellerin gibt in ihrem Nachprüfungsantrag an, dass sie sowohl als Prozessbevollmächtigte der Antragstellerin, als auch als Prozessbevollmächtigte der Antragsgegnerin tätig werden. Eine Vollmacht wurde hierzu allerdings nur von der Antragstellerin beigelegt.
Der Nachprüfungsantrag ist aber auch offensichtlich unbegründet.
Es unterliegt der Dispositionsbefugnis des öffentlichen Auftraggebers, ob und welchen Gegenstand er am Markt oder von ihm personenverschiedenen juristischen Personen erwerben möchte. Diese Dispositionsbefugnis und deren Ausübung ist dem Vergabeverfahren vorgelagert und, wie die Vergabekammer in ständiger Rechtsprechung deutlich gemacht hat, ist es weder Aufgabe der Nachprüfungsinstanzen noch der an einer Auftragsvergabe interessierten Unternehmen im Rahmen eines Vergabenachprüfungsverfahrens, dem Auftraggeber eine von seinen Vorstellungen abweichende Beschaffung von Waren oder Leistungen vorzuschlagen oder gar aufzudrängen. Dies gilt insbesondere dann, wenn - wie hier - die Abgabe von Nebenangeboten ausgeschlossen ist. Die Dispositionsbefugnis und deren Ausübung ist Ausdruck der immer noch bestehenden Vertragsfreiheit, die auch für den öffentlichen Auftraggeber gilt (vgl. OLG Frankfurt Beschluss vom 29. März 2018, 11 Verg 16/17 vorgehend Beschluss der 2. Vergabekammer des Landes Hessen vom 22. November 2017 - 69d-VK2-34/2017, S. 15).
Auch selbst dann, wenn die Antragstellerin meint, die Errichtung einer Restabfallentsorgungsanlage im Stadtgebiet sei wirtschaftlich nicht rentabel oder im Hinblick auf das Ziel der Einsparung von CO2- Immissionen kontraproduktiv, ist dies vergaberechtlich nicht von Relevanz. Die vergaberechtlichen Vorschriften regeln allein die Auswahl der Bieter bzw. Bewerber als mögliche Vertragspartner in einem transparenten, wettbewerblichen, nichtdiskriminierenden und verhältnismäßigem Verfahren, das erst beginnt, wenn der öffentliche Auftraggeber entschieden hat, was er beschaffen will (Burgi/Dreher/Opitz in: Beckscher Vergaberechtskommentar, GWB - 4. Teil, 4. Auflage 2022, Band 1, § 121 RdNrn. 26, 28). Die Prüfung der Einhaltung dieser Vorschriften ist Aufgabe der Nachprüfungsinstanzen. Hingegen ist die Beurteilung von Fragen der Sinnhaftigkeit und Kosteneinsparungen und einer damit möglicherweise einhergehenden Verschwendung von Steuergeldern allein Aufgabe der Aufsichtsbehörden und Rechnungshöfe (so auch bereits OLG Frankfurt Beschluss vom 29. März 2018, 11 Verg 16/17 vorgehend Beschluss der 2. Vergabekammer des Landes Hessen vom 22. November 2017 - 69d-VK2-34/2017, S. 15).
Soweit die Antragstellerin vorbringt in eigenen Rechten nach § 97 Abs. 6 GWB verletzt zu sein, so kann die Vergabekammer eine substantiierte Darlegung einer solchen Verletzung bisweilen nicht erkennen. Es ist weder ein Verstoß gegen das Willkürverbot, noch gegen das Transparenzgebot erkennbar.
Dass die Antragsgegnerin den Zuschlag auf das wirtschaftlichste Angebot, das heißt das Angebot mit dem besten Preis- Leistungsverhältnis, erteilen will, ist vergaberechtlich nicht zu beanstanden, denn § 127 Abs. 1 GWB in Verbindung mit § 58 Abs. 1 VgV sieht dies als Regelfall vor. Dabei stehen die Kosten bzw. der Preis, den die Antragsgegnerin für den konkreten Beschaffungsvorgang aufwenden möchte, auf der einen Seite und auf der anderen Seite das Ziel, den die Antragsgegnerin mit der Beschaffung verfolgt, nämlich eine Einsparung der Transportemissionen und eine Vermeidung des Mülltourismus, verbunden mit der Möglichkeit, dass Bieter ihrem Angebot auch die Errichtung einer Restabfallentsorgungsanlage zugrunde legen.
Dass bei der Wertung des wirtschaftlichsten Angebotes stets auch die Kosten mit einzubeziehen sind, bedarf keiner weiteren Darlegung, denn das ergibt sich bereits aus § 127 Abs. 1 Satz 1 und Satz 3 GWB.
Die Einbeziehung von Umweltkriterien in die vorgesehene Bewertung ist nicht zu beanstanden. Nach § 127 Abs. 1 Satz 4 GWB kann die Antragsgegnerin auch umweltbezogene Aspekte zur Ermittlung des wirtschaftlichsten Angebotes mit einbeziehen. Die Transportemissionen beziehen sich auf die zu erbringende Leistung, nämlich die Entsorgung des Restabfalles und stehen somit in Verbindung mit dem Auftrag. Dass die Antragsgegnerin dabei nicht an den Neubau einer Restabfallentsorgungsanlage als unmittelbaren Auftragsgegenstand anknüpft, sondern an den Standort der Anlage und die daraus resultierenden Transportentfernungen, ist nicht zu beanstanden, da jedem Bieter - unabhängig davon, ob er seinem Angebot den Neubau einer Restabfallentsorgungsanlage zugrundelegt oder nicht - nur diejenigen Transportemissionen zugeschrieben werden, die er durch die auf der Grundlage seines Angebotes zurückzulegenden Entfernungen und die damit (proportional steigenden) Emissionen tatsächlich verursacht.
Dies gilt auch, soweit die Antragstellerin meint, eine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung der Bieter ergebe sich daraus, dass der Transport des Restmülls durch die Sammelfahrzeuge der Antragsgegnerin zu einer Abfallentsorgungsanlag mit weiteren Entfernungen verbunden sei.
Die Festlegung der Bewertungsfaktoren bei den Transportemissionen ist ebenfalls rechtmäßig, denn es ist nicht erkennbar, dass die Antragsgegnerin insoweit ihren durch die Vorschrift des § 127 GWB bestimmten Gestaltungsspielraum überschritten hätte.
Entgegen der Auffassung der Antragstellerin verstößt die Ausgestaltung des Zuschlagskriteriums der Transportemissionen auch nicht gegen das Willkürverbot. Insbesondere ist die Antragsgegnerin nicht gehalten, eine Gesamtbilanz der CO2- Emissionen aufzustellen, die die Emissionen sämtlicher Fahrten von Sammelfahrzeugen, des Baus einer Restabfallentsorgungsanlage sowie den Betrieb einer solchen - zusätzlichen - Anlage detailliert prognostiziert. Zum einen geht die Vergabekammer davon aus, dass eine entsprechende Prognose aufgrund der einzustellenden, über die geplante Vertragslaufzeit erheblichen Veränderungen unterliegenden Variablen eine Scheingenauigkeit suggerieren würde, die zudem mit einer entsprechenden Berechnung verbundenen Aufwand in keinem Verhältnis steht. Daraus ergibt sich zum anderen, dass der Antragsgegnerin bei der Ausgestaltung ihres Ziels, CO2- Emissionen einzusparen, ein Einschätzungsspielraum zuzubilligen ist. Die Annahme der Antragsgegnerin, die Reduzierung zurückzulegender Transportkilometer führe zu einer Reduzierung von CO2- Emissionen, stellt keinen Verstoß gegen anerkannte Denkgesetze oder Erfahrungssätze dar, der einen Eingriff der Nachprüfungsinstanzen rechtfertigen würde.
Rechtsmittelbelehrung
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VK Westfalen
Beschluss
vom 12.07.2022
VK 3-24/22
1. Ungeachtet seines Inhalts entfaltet eine inneradministrativ wirkende Vorschrift wie etwa ein Erlass keine vergaberechtliche Relevanz in einem Nachprüfungsverfahren, die Gegenstand einer vergaberechtlichen Prüfung sein kann.*)
2. Die Kostenschätzung kann zwar, sofern Umstände und Erkenntnisse dies erfordern, während des Vergabeverfahrens aktualisiert werden. Insbesondere bei einer langen Angebotsphase, oder bei unvorhersehbaren Auswirkungen auf die Preise zeitigenden Ereignissen kann sonst die ursprüngliche Kostenschätzung kein belastbarer Indikator für sehr hohe oder niedrige Preise sein. Sie muss allerdings auf jeden Fall vor Eingang der Angebote abschließend durchgeführt werden.*)
3. Kommt der Auftraggeber zu dem Ergebnis, dass ein unangemessen niedriges Angebot vorliegen könnte, tritt er in die Preisprüfung ein. Kann die Preisprüfung anhand der vorliegenden Unterlagen nicht durchgeführt werden, ist der Auftraggeber gemäß § 16d EU Abs. 1 Nr. 2 VOB/A 2019 verpflichtet, Aufklärung über die Ermittlung der Preise oder Kosten für die Gesamtleistung beim Bieter zu verlangen.*)
4. Die Unauskömmlichkeit eines Angebots hat nicht zwingend einen unangemessen niedrigen Angebotspreis zur Folge. Auch ist - wie teilweise in der Fachliteratur und Judikatur geschehen - Unauskömmlichkeit nicht mit Unangemessenheit gleichzusetzen. So spricht der BGH etwa ausdrücklich und ausschließlich von "Unangemessenheit" bzw. "unangemessen niedrigen Preisen" (vgl. IBR 2017, 209 = VPR 2017, 42).*)
5. Aus der Erklärung eines Bieters, die Leistung nicht (mehr) auskömmlich erbringen zu können, folgt nicht zwingend das Vorliegen eines Angebots mit einem unangemessen niedrigen Preis, das ausgeschlossen werden kann oder muss. Andernfalls hätte es der Bieter durch die Abgabe einer solchen Erklärung in der Hand, sich nach Angebotsabgabe und während der Bindefrist von seinem Angebot zu lösen.*)
6. Ob eine kaufmännisch vernünftige Kalkulation unzumutbar ist, bestimmt sich nach dem Ergebnis einer Abwägung aller Interessen der Bieter bzw. Auftragnehmer und des öffentlichen Auftraggebers im Einzelfall (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 21.04.2021 - Verg 1/20, IBRRS 2022, 1484 = VPRRS 2022, 0111 m.w.N.).*)
7. Erst dann, wenn das aufgebürdete Wagnis über die üblichen Risiken hinausgeht, sich nicht abschätzen lässt und demzufolge eine Kalkulation unmöglich macht, kann gegen das Gebot des § 7 EU Abs. 1 Nr. 3 VOB/A 2019 verstoßen werden (vgl. statt vieler und jüngst: OLG Düsseldorf, a.a.O.). Unzumutbar ist eine kaufmännisch vernünftige Kalkulation, wenn Preis- und Kalkulationsrisiken über das Maß, das Bietern typischerweise obliegt, hinausgehen (vgl. OLG Düsseldorf, a.a.O., sowie Beschluss vom 09.07.2003 - Verg 26/03, IBRRS 2003, 1975 = VPRRS 2003, 0507 m.w.N.). Unbeachtlich ist insoweit, ob das Wagnis vom Auftraggeber selbst oder weder von ihm noch dem Auftragnehmer beherrschbar ist (vgl. VK Brandenburg, IBR 2008, 675 ).*)
In dem Nachprüfungsverfahren
wegen der Vergabe von Rohbauarbeiten
(...)
hat die Vergabekammer Westfalen durch den Vorsitzenden Spinzig, den hauptamtlichen Beisitzer Neitzke und die ehrenamtliche Beisitzerin Schröer auf die mündliche Verhandlung vom 01.07.2022 am 12.07.2022
entschieden:
1. Es wird festgestellt, dass der Ausschluss des Angebots der Antragstellerin vergaberechtswidrig war und die Antragstellerin in ihren Rechten verletzt.
2. Der Antragsgegner wird verpflichtet, bei fortbestehender Beschaffungsabsicht das Vergabeverfahren vollständig in das Stadium vor Angebotsabgabe zurückzuversetzen, die beteiligten Bieter des Vergabeverfahrens erneut zur Angebotsabgabe aufzufordern und dabei die aus den Gründen ersichtliche Rechtsauffassung der Vergabekammer zu beachten.
3. Die Kosten des Verfahrens werden auf ### Euro festgelegt.
4. Der Antragsgegner und die Beigeladene tragen als Gesamtschuldner die Verfahrensgebühr und die Aufwendungen der Antragstellerin zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung.
Gründe
I.
Der Antragsgegner schrieb im offenen Verfahren durch Bekanntmachung vom 28.01.2022 im Supplement zum Amtsblatt der Europäischen Union unter der Nummer 2022/S 020-045419 Rohbauarbeiten im Rahmen der Sanierung und Neubaus eines Polizeipräsidiums aus. Der Antragsgegner bedingte sich aus, Fragen zur Ausschreibung bis zum 25.02.2022 zu beantworten. Die Angebotsfrist lief bis zum 04.03.2022, 9 Uhr. Einziges Zuschlagskriterium ist der Preis. Bereits im November 2021 führte der Antragsgegner eine Kostenschätzung durch. Angaben zum geschätzten Gesamtwert finden sich in der Auftragsbekanntmachung unter Ziffer II.1.5 oder an anderer Stelle jedoch nicht.
Neben der Antragstellerin und der Beigeladenen gaben noch vier weitere interessierte Unternehmen Angebote ab. Mit Ablauf der Angebotsfrist am 04.03.2022 fand die Submission statt. Ausweislich des Submissionsergebnisses reichte die Antragstellerin das günstigste Angebot ein. Das Angebot der Beigeladenen lag um etwa 20 % höher.
Am 24.02.2022 begannen Kampfhandlungen zwischen der russischen Föderation und der Ukraine. Mit Schreiben vom 14.03.2022 teilte die Antragstellerin mit, dass sie auf Grund der mit den Kampfhandlungen verbundenen Preissteigerungen nur indexbasierte Preise auf Monatsbasis von ihren Lieferanten erhalten würden und bat vor diesem Hintergrund um ein "Aufklärungsgespräch", um die Sachlage zu erörtern und einen Lösungsweg zu finden.
Nachdem der Antragsgegner zunächst dem Aufklärungsgespräch zugestimmt hat, sagte er dieses ab und kündigte eine "Aufklärung zur Auskömmlichkeit der Angebote" an.
Ausweislich des Vergabevermerks stellte der Antragsgegner fest, dass seine bisherige Kostenschätzung nicht mehr zutreffend sei. So heißt es im Vergabevermerk vom 01.04.2022:
"Das Schätzpreis-LV zur Ausschreibung wurde im November 2021 bepreist und basiert auf den Erfahrungswerten vergleichbarer, abgeschlossener Baumaßnahmen. Bereits während des Vergabeverfahrens vor Submission war festzustellen, dass sich die Marktsituation durch Unsicherheit und inflationäre Tendenzen kennzeichnete. Ein Bezug zwischen Schätzpreis-LV und Submissionsergebnis konnte daher schon nicht mehr geschaffen werden. Die Submission fand am 04.03.2022 statt und somit 6 Arbeitstage nach Beginn des Ukraine-Kriegs. Aufgrund der im Anschluss verhängten weltweiten Sanktionen wurde in den folgenden Tagen deutlich, dass die Kosten vieler Baustoffe aus den Bereichen Roheisen, Baustahl, Bitumen und Kunststoffprodukte aber auch die Energiekosten extrem steigen. Zudem zeichnete sich ab, dass die Materialverfügbarkeit sich verknappen und somit eine weitere Verteuerung zu erwarten sei. Aufgrund dieser Erkenntnisse und Erwartungen, aber auch unter Würdigung des Fachartikels IBROnline: IBR2022, 2466 vom 17.03.2022, welcher explizit darauf hinweist, dass seitens der öffentlichen Auftraggeber Aufklärungspflichten hinsichtlich Angebotspreise und deren Auftragstermine gegenüber den Bietern besteht, wurde entschieden, in einem ersten Schritt das Leistungsverzeichnis neu zu bepreisen. Dieses erfolgte auf Basis der aktuellen Erkenntnisse, aus diesem Projekt aber auch vor den aktuellen Submissionsergebnissen des Gewerkes Rohbau für ein Projekt des BLB C ((...), Neubau Küche (...)). Die neue Kostenberechnung des Rohbau-LVs erfolgte zum 21.03.2022."
Die zum 21.03.2022 erfolgte Kostenschätzung fiel um mehr als 50 % höher aus als die im November durchgeführte Kostenschätzung.
Über das entsprechende Vergabeportal erhielten die Bieter am 24.03.2022 folgende Anfrage:
"Sehr geehrte Damen und Herren,
wir möchten Sie bitten, uns die Auskömmlichkeit Ihres Angebots schriftlich zu bestätigen. Diese Bestätigung ist auf Ihrem Briefpapier zu erstellen und zu unterschreiben. (...)"
Sowohl die Antragstellerin als auch der zweit- und drittplatzierte Bieter gaben keine Bestätigung ab.
Mit Schreiben vom 26.04.2022 teilte der Antragsgegner mit, dass das Angebot der Antragstellerin nicht in die engere Wahl komme und das Angebot der Beigeladenen den Zuschlag erhalten solle. Der Antragsgegner begründete seine Entscheidung damit, dass das Angebot der Antragstellerin einen unangemessen niedrigen Preis aufweise.
Mit Schreiben vom 27.04.2022 rügte die Antragstellerin die Auswahlentscheidung und bat um Abhilfe. Sie verwies insbesondere auf das Schreiben des Ministeriums für Finanzen des Landes Nordrhein-Westfalen vom 19.04.2022 (nachfolgend "Ministeriumsschreiben") sowie auf den Erlass des Bundesministeriums für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen vom 25.03.2022 (nachfolgend "Erlass"). Darin sei geregelt, dass laufende Vergabeverfahren, bei denen es noch zu keiner Zuschlagserteilung gekommen sei, in den Stand vor Angebotsabgabe zurückversetzt und mit Stoffpreisgleitklauseln versehen werden müssten.
Der Antragsgegner teilte mit Schreiben vom 03.05.2022 mit, dass er der Rüge nicht abhelfen werde. Das Angebot der Antragstellerin sei wegen Unauskömmlichkeit gemäß § 16d Absatz 1 Nummer 1 EU VOB/A zwingend auszuschließen gewesen. Darüber hinaus sei die Antragstellerin im Falle eines Nachprüfungsverfahrens auch nicht antragsbefugt, weil nur die Nichtbeachtung von Vergaberechtsvorschriften geltend gemacht werden könnten. Bei dem maßgeblichen Erlass und dem Schreiben handele es sich lediglich um Regelungen außerhalb des Vergaberechts.
Nachdem der Antragsgegner der Rüge nicht abhalf, stellte die Antragstellerin einen Antrag auf Nachprüfung.
Zu Beginn des Nachprüfungsverfahrens wies die Kammer darauf hin, dass sie dem Ministeriumsschreiben und dem Erlass keine unmittelbare vergaberechtliche Relevanz im Sinne des § 164 GWB zumesse. Allerdings äußerte die Kammer erhebliche Zweifel daran, dass der Antragsgegner noch dem Gebot des § 7 Absatz 1 Nummer 3 EU VOB/A entsprochen habe. Darüber hinaus wies die Kammer darauf hin, dass die Prüfung von Angeboten Mittels einer neuen Kostenschätzung, die auf Grund unerwarteter Ereignisse nach Angebotsabgebe im offenen Verfahren erhoben wurde, Missbrauchspotentiale aufweise und daher vergaberechtswidrig sein dürfte. Ob die bloße Rückversetzung in den Stand vor Angebotsabgabe ausreiche, um das Verfahren vergaberechtsfehlerfrei weiterführen zu können oder ob zwingend Stoffpreisgleitklausen vereinbart werden müssten, sei jedenfalls zum Zeitpunkt des Hinweises Sache des Antragsgegners. In jedem Falle stelle eine Zurückversetzung kein Verstoß gegen § 15 Absatz 3 EU VOB/A dar, wonach nicht nachträglich über Angebote verhandelt werden dürfe. Denn die Bieter hätten im Falle der Rückversetzung die Möglichkeit, gänzlich neue Angebote einzureichen.
Die Antragstellerin hat vorgetragen, dass sie antragsbefugt sei. Sie habe sich an der Ausschreibung mit einem Angebot beteiligt, dass ausweislich des Submissionsergebnisses den ersten Platz belegt habe. Die "beabsichtigte Nichtberücksichtigung" ihres Angebots sowie der geplante Zuschlag auf das Angebot der Beigeladenen verletzten ihr Rechtsschutzinteresse.
Sie trägt - zunächst - weiterhin vor, dass das Ministeriumsschreiben und der Erlass unmittelbare Vergaberechtsrelevanz zeitigten und daher als Vergaberecht verstanden werden könnten. Sie seien Ausdruck allgemeiner vergaberechtlicher Grundsätze des freien Wettbewerbs und der Nichtdiskriminierung.
Darüber hinaus habe der Antragsgegner gegen § 7 Absatz 1 Nummer 3 EU VOB/A verstoßen, indem er nicht - wie im Erlass vorgesehen - Stoffpreisgleitklauseln vereinbart habe. Denn zum Zeitpunkt der Angebotsabgabe war die Preisentwicklung wesentlicher Baumaterialien nicht zu kalkulieren. Insbesondere ändere sich an der Unzulässigkeit dieses Vorgehens nichts, nur weil der Auftraggeber auf die fehlenden Stoffpreisgleitklauseln hingewiesen habe. Sie würde - unterstellt es würden Stoffpreisgleitklauseln vereinbart - an ihrem bisherigen Angebot festhalten.
Zudem sei die von dem Antragsgegner durchgeführte Preisaufklärung fehlerhaft und in der Sache überhaupt keine Preisaufklärung. So hätten die Bieter lediglich die Möglichkeit erhalten, durch Bestätigung der Auskömmlichkeit am Angebot festzuhalten oder eben die Auskömmlichkeit zu verneinen. Der Antragsgegner habe im Rahmen seiner Preisaufklärung überhaupt nicht um Unterlagen gebeten, anhand derer er eine vertiefte Preisprüfung hätte vornehmen können. Deshalb habe der Antragsgegner gar keinen unangemessen niedrigen Angebotspreis feststellen können.
Im Ergebnis müsse daher das Vergabeverfahren in den Stand vor Angebotsabgabe zurückversetzt und Stoffpreisgleitklauseln vereinbart werden. Hier liege auch kein Verstoß gegen § 15 Absatz 3 EU VOB/A, da nicht über bereits bestehende Angebote nachverhandelt werde, sondern den Bietern die Möglichkeit eingeräumt würde, neue Angebote einzureichen.
Sie beantragt daher,
1. den Antragsgegner anzuweisen, das Vergabeverfahren in den Stand vor Angebotsabgabe zurückzuversetzen,
2. dem Antragsgegner die Kosten des Verfahrens einschließlich der zu der zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen aufzuerlegen und
3. festzustellen, dass die Hinzuziehung der Bevollmächtigten der Antragstellerin notwendig war.
Der Antragsgegner beantragt, den Nachprüfungsantrag zurückzuweisen.
Er trägt vor, dass es der Antragstellerin bereits an der Antragsbefugnis fehle.
Außerdem handele es sich bei dem Ministeriumsschreiben und dem Erlass um Normen außerhalb des Vergaberechts, deren Beachtung bzw. Nichtbeachtung nicht Gegenstand eines Nachprüfungsverfahrens sei könnten. Im Übrigen seien die im Erlass getroffenen Regelungen auch nicht bieterschützend. Erklärtermaßen sollten "Streitigkeiten bei der Bauausführung" vermieden werden. Es gehe also erkennbar darum, reibungsfreie Bauabläufe sicherzustellen und personelle und zeitliche Ressourcen des Auftraggebers zu schützen. Außerdem ändere die Anwendung einer indexbasierten Stoffpreisgleitklausel nicht die Unauskömmlichkeit des Angebots der Antragstellerin, da sich dadurch der Grundpreis nicht ändere.
Darüber hinaus habe er die Entscheidung über den Zuschlag am 11.04.2022 und damit zu einem Zeitpunkt getroffen, in dem die Anwendung weder des Ministeriumsschreibens noch des Erlasses verpflichtend gewesen seien.
Im Übrigen sei es einigen Bietern möglich gewesen, bereits zum Zeitpunkt der Angebotsabgabe etwaige Mehrkosten zu kalkulieren. Dieser Umstand spreche gegen die Annahme eines ungewöhnlichen Wagnisses. Außerdem dürfte ein ungewöhnliches Wagnis nur nicht innerhalb der Leistungsbeschreibung übertragen werden. Vorliegend seien aber lediglich Preise betroffen. Außerdem seien bereits seit der Coronokrise Preissteigerungen zu verzeichnen. Das Preisrisiko obliege grundsätzlich dem Bieter, hieran ändere auch die Konfliktsituation zwischen der russischen Föderation und der Ukraine nichts.
Auch lösten die Vereinbarung von Stoffpreisgleitklauseln gerade keine kalkulatorischen Probleme. Vielmehr hätten die jüngsten Erfahrungen gezeigt, dass Auftragnehmer eine solche Klausel ob ihrer Komplexität gerade nicht vereinbaren wollten.
Weiterhin habe die durchgeführte Preisaufklärung ergeben, dass das Angebot der Antragstellerin unangemessen niedrig sei. Insoweit sei ein Ausschluss zwingend. Auch sei die Preisaufklärung ordnungsgemäß durchgeführt worden. Denn die Aufforderung, die Auskömmlichkeit des Angebotspreises zu bestätigen, sei als Aufforderung zur Darlegung der Auskömmlichkeit zu verstehen. Den Bietern habe die Gelegenheit gegeben werden sollen, ihre Preise darzulegen, eine kurze Erklärung ohne nähere Angaben abzugeben oder einen unzumutbaren Vertragsschluss zu verhindern. Die durchgeführte schlichte Abfrage der Auskömmlichkeit sei im Rahmen der Preisprüfung und Aufklärung zulässig, da sie ein Weniger darstelle.
Auch sei die Prüfung der Angebote anhand der zweiten, nach Angebotsabgabe durchgeführten Kostenschätzung nicht zu beanstanden. In Fällen, in denen eine ursprüngliche Kostenschätzung für die Bewertung der Angebote nicht mehr zuverlässig herangezogen werden könne, müsse der öffentliche Auftraggeber eine neue Kostenschätzung vornehmen. Dies habe der Antragsgegner vorliegend getan. Zudem könne es nicht sein, dass der Antragsgegner an eine nun nicht mehr aktuelle oder fehlerhafte Kostenschätzung weiterhin gebunden sei.
Die Entscheidung, keine Zurückversetzung des Vergabeverfahrens vorzunehmen, sei daher vergaberechtlich nicht zu beanstanden.
Mit Beschluss vom 18.05.2022 wurde die Beigeladene dem Verfahren beigeladen.
Sie beantragt,
1. den Nachprüfungsantrag der Antragstellerin zurückzuweisen und
2. festzustellen, dass die Hinzuziehung der anwaltlichen Bevollmächtigung der Beigeladenen notwendig ist.
Sie ist der Ansicht, dass die Antragstellerin ein ungewöhnlich niedriges Angebot abgab und daher ihr Ausschluss vergaberechtskonform erfolgte. So habe die Antragstellerin gerade keine Nachweise der "Seriosität des Angebots" - wie vom EuGH gefordert - abgegeben. Die Aufklärung genüge auch den Anforderungen des § 15 Absatz 1 Nummer 1 EU VOB/A. Umfang und Aufwand der Preisaufklärung müssten sich für den Auftraggeber in Grenzen halten, Ziel sei der rasche Abschluss des Vergabeverfahrens. Daher sei die Abfrage einer pauschalen Erklärung ausreichend. Darüber hinaus seien weder der Wettbewerbsgrundsatz, noch der Gleichbehandlungsgrundsatz verletzt. Alle Bieter hätte bis zur Angebotsabgabe die Möglichkeit gehabt, die voraussehbaren Preissteigerungen einzukalkulieren. Da alle Bieter zur Auskömmlichkeit befragt wurden, wahrte der Antragsgegner auch den Gleichbehandlungsgrundsatz. Ein Anspruch auf Zurückversetzung des Vergabeverfahrens ergebe sich auch nicht aus dem Ministeriumsschreiben in Verbindung mit dem Erlass. Zwar sei der zeitliche Anwendungsbereich eröffnet, da im Zeitpunkt der Bekanntgabe des Erlasses das Vergabeverfahren noch nicht durch Zuschlag beendet gewesen sei. Allerdings stelle das Ministeriumsschreiben und der Erlass keine Vergaberechtsnorm da, deren Verletzung die Antragstellerin in einem Nachprüfungsverfahren geltend machen könne. Außerdem seien sowohl das Ministeriumsschreiben als auch der Erlass nicht bieterschützend. Vielmehr schützten sie den öffentlichen Auftraggeber vor Streitigkeiten bei der Bauausführung. Im Übrigen würde die Abgabe neuer Angebote gegen § 15 Absatz 3 EU VOB/A verstoßen, wonach ein Nachverhandeln grundsätzlich ausgeschlossen sei.
Sie weist insbesondere daraufhin, dass ausweislich des jüngsten Erlasses des Bundes vom 22.06.2022 der öffentlichen Auftraggeber bei bestehenden Verträgen, und hierunter falle auch der gegenständliche Auftrag, ein Ermessen dahingehend habe, ob eine Stoffpreisgleitklausel vereinbart werde oder nicht. Eine Pflicht hierzu bestünde mithin nicht. Insoweit sei es auch vor dem Hintergrund des Erlasses zulässig gewesen, dass der Antragsgegner keine Stoffpreisgleitklausel vereinbart habe. Eine Zurückversetzung des Vergabeverfahren, um dann Stoffpreisgleitklauseln in die Verträge aufzunehmen, sei deshalb nach den zuletzt veröffentlichen Erlassen für öffentliche Auftraggeber nicht verpflichtend. Vielmehr werde darin klargestellt, dass ein Wahlrecht zum Umgang mit solchen Konstellationen bestehe.
Darüber hinaus würde die Vereinbarung einer Stoffgleitpreisklausel keine Abhilfe schaffen. Insbesondere sei das hierfür zu verwenden Formblatt 225 vollkommen ungeeignet und nicht praxistauglich. Vielmehr sei der sinnvollere Weg, im Laufe der Vertragsausführung Preisanpassungen über § 313 BGB zu steuern.
Die Beiladung erfolgte am 18.05.2022. Die Frist für die Entscheidung der Vergabekammer gemäß § 167 Absatz 1 GWB wurde bis zum 31.008.2022 verlängert.
Am 01.07.2022 hat eine mündliche Verhandlung in den Räumen der Vergabekammer Westfalen stattgefunden. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Vergabeunterlagen und die Niederschrift aus der mündlichen Verhandlung Bezug genommen.
II.
Der Nachprüfungsantrag ist zulässig (nachfolgend unter 1.) und begründet (nachfolgend unter 2.).
Die Vergabekammer Westfalen ist für die Überprüfung des streitgegenständlichen Vorgangs gemäß § 159 Absatz 3 GWB i.V.m. § 2 Absatz 1 VK ZuStV NRW örtlich zuständig. Auch ist die Vergabekammer Westfalen sachlich zuständig. Der streitgegenständliche Auftrag übersteigt den maßgeblichen Schwellenwert ausweislich der von dem Antragsgegner durchgeführten Kostenschätzung bei weitem und unterfällt dem Anwendungsbereich des vierten Teils des GWB.
Nach § 160 Absatz 2 GWB hat der Antragsteller im Rahmen seines Nachprüfungsantrages darzulegen, dass er (i.) in seinen Rechten nach § 97 Absatz 6 GWB durch Nichtbeachtung von Vergabevorschriften verletzt ist und (ii.) ihm dadurch ein Schaden entstanden ist oder zu entstehen droht. Ausgehend von der Funktion der Antragsbefugnis im Sinne eines "groben Filters" sollen nur solche Anträge aus der Zulässigkeitsebene "ausgesiebt" werden, die offensichtlich unzulässig sind (vgl. schon und statt vieler OLG Düsseldorf, Beschluss vom 01.08.2012 - Verg 10/12). Sinn und Zweck der Regelung des § 160 GWB ist zu verhindern, dass ein Bieter, der auch bei einem ordnungsgemäß durchgeführten Vergabeverfahren keine Zuschlagschancen hat oder dem kein Schaden droht, kein zuschlaghemmendes Nachprüfungsverfahren einleiten kann (vgl. BT-Drs. 13/9340).
Deswegen ist erforderlich, dass der Antragsteller das Interesse am Auftrag und eine Verletzung seiner Rechte nach § 97 Absatz 6 GWB sowie den eingetretenen Schaden schlüssig aufzeigt (vgl. hierzu grundlegend BGH, Beschluss vom 10.11.2009, X ZB 8/09 und Beschluss vom 31.01.2017, X ZB 10/16 m.w.N). Mit der Schlüssigkeit im vergaberechtlichen Sinne ist damit allerdings nicht die in einem Zivilprozess gemeinte Schlüssigkeit zu verstehen. Vielmehr ist dieser Begriff untechnisch gemeint, der einen weiteren Anwendungsbereich umfasst und dem heute herrschenden Möglichkeitsbegriff im Rahmen des § 42 Absatz 2 VwGO entspricht (vgl. OLG Rostock, Beschluss vom 01.09.2021, 17 Verg 2/21). Es genügt, wenn ein Schadenseintritt durch die geltend gemachte Rechtsverletzung ursächlich und nicht offensichtlich ausgeschlossen ist (vgl. statt vieler BGH, Beschluss vom 10.11.2009, X ZB 8/09).
Die Antragstellerin hat ihr Interesse am Auftrag durch die Abgabe ihres Angebots zum Ausdruck gebracht. Etwas Anderes ergibt sich auch nicht aus dem Umstand, dass sie im weiteren Vergabeverfahren nach Einreichung ihres Angebots die Auskömmlichkeit nicht, wie vom Antragsgegner verlangt, bestätigt hat. Die Antragstellerin greift diesen Umstand mit ihrem Nachprüfungsantrag an. Ihr Interesse entfällt auch nicht durch den von dem Antragsgegner vorgebrachten Ausschluss ihres Angebots, da dieser von der Antragstellerin im Rahmen des Nachprüfungsverfahrens angegriffen und deshalb im Rahmen der Begründetheit zu überprüfen ist.
Die Antragstellerin hat die Vorgehensweise des Antragsgegners insoweit gerügt und beanstandet diesen aus ihrer Sicht bestehenden Vergaberechtsverstoß nunmehr im Nachprüfungsverfahren. Darüber hinaus hält sie die fehlende Vereinbarung von Stoffpreisgleitklauseln für vergaberechtswidrig. Sie macht damit Verstöße gegen das Vergaberecht geltend. Ihr droht auch im Sinne des § 160 Absatz 2 GWB der Eintritt eines Schadens, da durch den als vergaberechtswidrig bewerteten Angebotsausschluss und die nicht vereinbarte Stoffpreisgleitklausel oder anderer, gleichwirksamer Maßnahmen die Gefahr besteht, dass sie ihre Bestplatzierung verliert.
Die Antragstellerin hat fristgemäß nach § 160 Absatz 3 GWB auf die vom Antragsgegner zurückgewiesene Rüge einen Nachprüfungsantrag bei der Kammer eingereicht.
2. Der Nachprüfungsantrag ist begründet.
Zwar entfalten weder das Ministeriumsschreiben, noch der Erlass eine bindende vergaberechtliche Wirkung, deren Einhaltung Gegenstand eines Nachprüfungsverfahrens sein kann (nachfolgend unter a.). Allerdings ist der Ausschluss des Angebots der Antragstellerin aus anderen Gründen vergaberechtswidrig. Die zweite vom Antragsgegner vorgenommene Kostenschätzung ist nicht geeignet, zur Prüfung der Preisangemessenheit der Angebote herangezogen zu werden. Außerdem entspricht das Vorgehen des Antragsgegners nicht den Anforderungen an eine ordnungsgemäße Preisprüfung und Preisaufklärung (nachfolgend unter b.). Darüber hinaus führen die fehlende Vereinbarung von Stoffpreisgleitklausen oder anderer, gleichwirksamer Maßnahmen zu einer Aufbürdung eines ungewöhnlichen Wagnisses zu Lasten der Antragstellerin (nachfolgend unter c.).
a.) Entgegen der Ansicht der Antragstellerin handelt es sich bei dem Regelungsgehalt des Ministeriumsschreibens sowie des Erlasses nicht um Vergabevorschriften, deren Verletzung gemäß § 160 Absatz 2 GWB geltend gemacht werden können. Zwar ist in zeitlicher Hinsicht der Anwendungsbereich des Ministeriumsschreibens und des Erlasses eröffnet. Mit dem Schreiben vom 19.04.2022 kommt der Erlass vom 25.03.2022 unmittelbar zu Anwendung. Entgegen der Ansicht des Antragsgegners ist das Vergabeverfahren am 19.04.2022 noch nicht beendet. Zwar mag der Antragsgegner vor dem 19.04.2022 die Angebotswertung durchgeführt und intern eine Entscheidung über die Auswahl des Zuschlagsdestinatärs getroffen haben. Dieser Entscheidung kommt allerdings keine vergaberechtliche Relevanz im Hinblick auf die Beendigung des Vergabeverfahrens zu. Maßgeblich kann insoweit die Vorabinformation oder der tatsächliche Zuschlag sein. Auf welchen Zeitpunkt es genau ankommt, muss allerdings nicht abschließend entschieden werden. Denn die Vorabinformation gemäß § 134 GWB als frühestmöglicher Zeitpunkt zur Beendigung des Vergabeverfahrens wurde am 26.04.2022 - und damit nach Anwendungsbeginn des Erlasses - versandt.
Ungeachtet seines Inhalts entfaltet eine inneradministrativ wirkende Vorschrift allerdings keine vergaberechtliche Relevanz in einem Nachprüfungsverfahren (vgl. Dörr, in Burgi/Dreher/Opitz (Hrsg.), Beck'scher Vergaberechtskommentar, § 97 Rn. 25). Zwar mag man - eine bestimmte Lesart unterstellt - zu der Auffassung gelangen, dass ausweislich des Erlasses zwingend Stoffpreisgleitklauseln für Vergabeverfahren, die noch nicht durch Zuschlag beendet wurden, vereinbart werden müssen. Hierfür sprechen etwa die Ausführungen im Ministeriumsschreiben, in dem es heißt:
"(...) finden die bis zum 30 Juni 2022 befristeten Regelungen und Hinweise nach dem [Erlass] für den Landeshochbau entsprechend Anwendung."
Insoweit dürfte den adressierten Vergabestellen - jedenfalls durch diesen Erlass - kein Ermessen eingeräumt werden, den Erlass nicht umzusetzen. Allerdings vermag der Erlass kein zwingendes Vergaberechtsgebot mit Außenwirkung zu statuieren, deren Nichtbefolgung im Rahmen des Nachprüfungsverfahrens geltend gemacht werden kann. Es handelt sich insoweit um eine rein verwaltungsinterne Anweisung, die allenfalls auf dem allgemeinen Verwaltungsrechtsweg überprüft werden kann. Etwas Anderes ergibt sich auch nicht aus dem Umstand, dass im laufenden Nachprüfungsverfahren weitere Erlasse auf Bundes- und Landesebene veröffentlicht wurden. Auch diese Erlasse entfalten ungeachtet der Ausgestaltung ihres Anwendungsbefehls keine vergaberechtliche Relevanz, die Gegenstand einer Prüfung im Rahmen eines Nachprüfungsverfahrens sein kann.
b.) Jedoch ist die von dem Antragsgegner vorgenommene zweite Kostenschätzung nicht geeignet, die Angemessenheit der Angebotspreise zu prüfen (nachfolgend unter aa.). Außerdem entspricht die durchgeführte Preisprüfung und Aufklärung nicht den vergaberechtlichen Anforderungen (nachfolgend unter bb.).
aa.) Bei der Beurteilung der Unangemessenheit eines Angebotspreises kann die Kostenschätzung des Auftraggebers herangezogen werden (vgl. statt vieler: OLG Düsseldorf, Beschluss vom 19.05.2021, Verg 13/21). Dabei kann der Kostenschätzung nur dann eine Bedeutung zukommen, wenn sie bei ihrer Aufstellung die vorliegenden und erkennbaren Daten vertretbar gewürdigt hat (vgl. BGH, Beschluss vom 20.11.2012, X ZR 108/10).
Außerdem sieht § 3 Absatz 3 VgV vor, dass der maßgebliche Zeitpunkt für die Schätzung des Auftragswertes der Tag ist, an dem die Auftragsbekanntmachung abgesendet oder das Vergabeverfahren auf sonstige Weise eingeleitet wird. Freilich besteht die Möglichkeit und gegebenenfalls auch die vergaberechtliche Pflicht, die Kostenschätzung im laufenden Vergabeverfahren zu aktualisieren. Insbesondere bei einer langen Angebotsphase, oder wie vorliegend bei unvorhersehbaren Auswirkungen auf die Preise zeitigenden Ereignissen kann sonst die ursprüngliche Kostenschätzung kein belastbarer Indikator für sehr hohe oder niedrige Preise sein. Die Kostenschätzung darf daher nicht beliebig lange zurückliegen. Sie muss allerdings auf jeden Fall vor Eingang der Angebote durchgeführt sein (vgl. nur VK Rheinland, Beschluss vom 15.05.2019, VK 8/19 m.w.N.). Andernfalls bestünden zu Gunsten des öffentlichen Auftraggebers erhebliche Missbrauchspotentiale, könnte er anhand einer nachträglich durchgeführten Kostenschätzung und mit dem Wissen um die einzelnen Angebotspreise "unliebsame" Bieter leichter ausschließen.
Der Antragsgegner hat für die Prüfung, inwieweit das Angebot der Antragstellerin unangemessen niedrig sein könnte, eine Kostenschätzung herangezogen, die etwa 2 ½ Wochen nach Angebotsabgabe erstellt wurde. So heißt es im Vergabevermerk vom 01.04.2022 auf Seite 2:
"Die neue Kostenberechnung des Rohbau-LVs erfolgte zum 21.03.2022. Aufgrund der hier gewonnen Erkenntnisse wurde in Abstimmung mit Herrn Dr. T. die 3 zu wertenden Mindestbietenden durch den Einkauf (...) [des Antragsgegners] aufgefordert, die Auskömmlichkeit ihrer Angebote zu bestätigen."
Bereits dieses Vorgehen ist vergaberechtswidrig. Gerade der Umstand, dass zu Beginn des Konflikts Preissteigerungen wöchentlich, teils täglich zu verzeichnen waren, verdeutlicht, warum die maßgebliche Kostenschätzung jedenfalls vor Angebotsabgabe erstellt sein muss. Andernfalls ist eine realistische Bewertung der Angebotspreise nicht möglich. So mag es nicht ausgeschlossen sein, dass das Ergebnis einer noch später durchgeführten Kostenschätzung erheblich höher als sämtliche eingereichten Angebote ausgefallen wäre.
bb.) Unterstellt, die vom Antragsgegner in Bezug genommen Kostenschätzung entspreche vergaberechtlichen Anforderungen, erfolgte aber auch die durchgeführte Preisprüfung und Preisaufklärung nicht vergaberechtskonform.
Kommt der Auftraggeber zu dem Ergebnis, dass ein unangemessen niedriges Angebot vorliegen könnte, tritt er in die Preisprüfung ein. Kann die Preisprüfung anhand der vorliegenden Unterlagen nicht durchgeführt werden, ist der Auftraggeber gemäß § 16d Absatz 1 Nummer 2 EU VOB/A verpflichtet, Aufklärung über die Ermittlung der Preise oder Kosten für die Gesamtleistung beim Bieter zu verlangen.
In der Rechtsprechung haben sich im Zusammenhang mit der Prüfung eines unangemessen niedrigen Preises prozentuale Aufgreifschwellen herausgebildet, deren Erreichen einen unangemessen niedrigen Angebotspreis indizieren und den Auftraggeber zur Aufklärung verpflichtet. Mehrheitlich wird von einer Aufgreifschwelle von mindestens 20% zwischen dem günstigsten und zweitgünstigsten Angebot oder der eigenen Kostenschätzung ausgegangen (vgl. beispielsweise VK Bund, Beschluss vom 12.01.2018, VK 2 - 148/17, OLG Düsseldorf, Beschluss vom 02.08.2017, Verg 17/17). Allerdings hat der BGH hat in seiner Entscheidung vom 31.1.2017 (Az. X ZB 10/16) offen gelassen, ob eine Schwelle von 20% als unverrückbare Untergrenze anzusehen ist oder eine Pflicht zur Aufklärung auch bei einem geringeren prozentualen Abstand angenommen werden kann.
Insbesondere folgt aus einer Differenz zwischen Angebotspreis und Kostenschätzung, die die Aufgreifschwelle überschreitet, jedoch nicht, dass ein unangemessener Preis gegeben ist und zwingend ein auszuschließendes Angebot vorliegt. Vielmehr ist der Auftraggeber dann verpflichtet, in die Preisprüfung einzutreten und gegebenenfalls entsprechende Erläuterungen beim Bieter einzuholen. Nach dem Wortlaut des § 16 Absatz 1 Nummer 2 EU VOB/A ist bereits klar, dass der Ausschluss eines Angebots erst nach erfolgter Aufklärung über die Ermittlung der Preise und Kosten für die Gesamtleistung oder für Teilleistungen möglich ist. Der EuGH hat klargestellt, dass den Bietern vor Angebotsausschluss wegen eines ungewöhnlich niedrigen Angebotspreises die Möglichkeit zur weiteren Erläuterung der Seriosität ihres Angebots gegeben werden muss (vgl. EuGH, Urteil vom 29.03.2012, Rs. C-599/10).
Vorliegend hat ausweislich der Vergabeunterlagen schon keine zureichende Preisprüfung des Angebots der Antragstellerin stattgefunden. So finden sich in der vorliegenden Vergabeakte keine Ausführungen zu einer dezidierten Angebotspreisprüfung. Vielmehr erwecken die Ausführungen im Vergabevermerk und insbesondere der vorstehend zitierte Auszug den Eindruck, dass der Antragsgegner unmittelbar aus der Differenz zwischen Angebotspreis und Kostenschätzung ableitet, eine Preisaufklärung ohne vorangegangene Preisprüfung durchzuführen zu können.
Doch auch die durchgeführte Preisaufklärung erfüllt nicht vergaberechtlichen Anforderungen. Der Antragsgegner hat insoweit lediglich gefordert, dass die Bieter die Auskömmlichkeit ihrer Angebote bestätigen sollten.
Zunächst sei darauf hingewiesen, dass die Unauskömmlichkeit eines Angebots nicht zwingend einen unangemessen niedrigen Angebotspreis zur Folge hat oder - wie teilweise in der Fachliteratur und Judikatur geschehen - Unauskömmlichkeit und Unangemessenheit gleichzusetzen sind. So spricht der BGH in einer seiner maßgeblichen Entscheidung vom 31.01.2017 (X ZB 10/16) ausdrücklich und ausschließlich von "Unangemessenheit" bzw. "unangemessen niedrigen Preisen".
Dabei beschreiben beide Formulierungen, unauskömmlich einerseits und unangemessen niedrig andererseits, unterschiedliche Sachverhalte. So liegt ein Angebot mit einem unangemessen niedrigen Preis vor, wenn es preislich - wie vorstehend aufgezeigt - deutlich vom ermittelten marktüblichen Preisniveau abweicht. Auf der anderen Seite ist ein Angebot unauskömmlich, wenn der betreffende Bieter - verkürzt gesagt - damit keinen Gewinn erzielt. Ein solches Angebot muss aber nicht zwingend erheblich vom ermittelten marktüblichen Preisniveau abweichen - bereits eine geringe Abweichung kann dazu führen, dass ein Gewinn ausbleibt und damit das Angebot insgesamt unauskömmlich, nicht aber unangemessen niedrig ist.
Eingedenk dieser Überlegungen vermag die Abfrage der Auskömmlichkeitsbestätigung die Anforderungen an eine Preisaufklärung im Sinne des § 16d Absatz 1 Nummer 2 EU VOB/A nicht zu erfüllen. Für den Antragsgegner war es anhand der mitgeteilten Information, das jeweilige Angebot sei auskömmlich oder nicht auskömmlich, nicht möglich, die Angebotspreise auf Unangemessenheit zu prüfen. Nicht nur hätte er sich, wie vorstehend ausgeführt, Gedanken darübermachen müssen, auf Grund welcher Preispositionen die jeweiligen Angebote möglicherweise unangemessen niedrig sein könnten. Er hätte im Folgenden dann auch dezidiert seine Zweifel darlegen und um Aufklärung bitten müssen. Der Antragsgegner lässt sich insoweit nicht eine Preispositionen erörtern, sondern geht schlicht von der unzutreffenden Annahme aus, dass eine erklärte Unauskömmlichkeit einer Unangemessenheit entsprechenden würde.
Unbeachtlich ist insoweit auch, als dass die Antragstellerin ihre Auskömmlichkeit nicht erklärt hat. Insbesondere kann dem Antragsgegner nicht dahingehend gefolgt werden, dass deswegen eine weitere vertiefte Prüfung nicht hätte stattfinden müssen, sondern auf Grund der erklärten Unauskömmlichkeit die Preisprüfung abgeschlossen sei mit dem Ergebnis, dass ein unangemessen niedriger Preis vorliegen würde. Dabei verkennt der Antragsgegner nicht nur, dass wie ausgeführt ein unauskömmliches Angebot nicht zwingend auch ein unangemessen niedriges Angebot sein muss. Auch hätten Bieter, die Sichtweise des Antragsgegners als zutreffend unterstellt, nach Angebotsabgabe und während der festgelegten Bindefrist jederzeit die Möglichkeit, sich durch die Mitteilung der Unauskömmlichkeit ihres Angebots von diesem zu lösen. Dies widerspricht allerdings dem vergaberechtlichen Grundsatz, dass nur bis zum Ablauf der Angebotsfrist Angebote zurückgezogen werden können (vgl. § 10a Absatz 7 EU VOB/A).
Auch kann man die Abfrage der Auskömmlichkeitsbestätigung nicht dahingehend auslegen, als das der Antragsgegner von den Bietern die Bestätigung abverlangt, dass ihre Angebote nicht unangemessen niedrig sind. Denn für die Prüfung der Unangemessenheit muss das maßgeblich Angebot immer in Relation zu einem festgelegten Preisniveau, seien es andere Angebote oder die vom Auftraggeber erstellte Kostenschätzung, gesetzt werden. Dies war der Antragstellerin und den anderen Bietern mangels Kenntnis schlicht unmöglich und obliegt zudem ausschließlich dem Antragsgegner als öffentlichen Auftraggeber.
Der guten Ordnung halber sei erwähnt, dass dem Antragsgegner auf Grund der Informationen, die der Kammer vorliegen, kein missbräuchliches Handeln vorzuwerfen ist. Vielmehr dürfte sich beim Antragsgegner auf Grund eines Vergaberechtsartikels der unzutreffende Eindruck gefestigt haben, vorliegend eine Auskömmlichkeitsabfrage durchzuführen bzw. durchführen zu müssen, so dass bei einer negativen Antwort ein Ausschluss zwingend sei.
c.) Schlussendlich bürdet der Antragsgegner der Antragstellerin ein ungewöhnliches Wagnis auf und verletzt somit das bieterschützende Gebot gemäß § 7 Absatz 1 Nummer 3 EU VOB/A.
Ausweislich dieser Vorschrift darf dem Auftragnehmer kein ungewöhnliches Wagnis aufgebürdet werden für Umstände und Ereignisse, auf die er keinen Einfluss hat und deren Einwirkung auf die Preise und Fristen er nicht im Voraus abschätzen kann.
Anders als in der VgV ist dieses Verbot weiterhin ausdrücklich in der EU VOB/A normiert. Zwar bedeutet dies nicht, dass dem Auftragnehmer gar kein Wagnis auferlegt werden darf. Gewöhnliche Wagnisse, wie etwa die Beschaffenheit und Finanzierbarkeit von Materialien oder Preis- und Kalkulationsrisiken, die dem Bieter in einem jeweiligen Marktsegment typischerweise obliegen, vertragstypisch und dem Rechtsverkehr nicht fremd sind, gehören gerade zum Wesen der Privatautonomie und fallen nicht in den Anwendungsbereich des § 7 Absatz 1 Nummer 3 EU VOB/A (vgl. etwa OLG Düsseldorf, Urteil vom 19.10.2011, 27 W 1/11).
Erst dann, wenn das aufgebürdete Wagnis über die üblichen Risiken hinausgeht, sich nicht abschätzen lässt und demzufolge eine Kalkulation unmöglich macht, kann gegen das Gebot des § 7 Absatz 1 Nummer 3 EU VOB/A verstoßen werden (vgl. statt vieler und jüngst: OLG Düsseldorf, Beschluss vom 21.04.2021, Verg 1/20). Unzumutbar ist eine kaufmännisch vernünftige Kalkulation, wenn Preis- und Kalkulationsrisiken über das Maß, das Bietern typischerweise obliegt, hinausgehen (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 21.04.2021, Verg 1/20 sowie Beschluss vom 07.09.2003, Verg 26/03 m.w.N.). Unbeachtlich ist insoweit, ob das Wagnis vom Auftraggeber selbst oder weder von ihm noch dem Auftragnehmer beherrschbar ist (vgl. VK Brandenburg, Beschluss vom 30.09.2008, VK 30/08).
Der Antragsgegner irrt insoweit, als dass er vorträgt, dass sich das ungewöhnliche Wagnis nur in der Leistungsbeschreibung manifestieren dürfe. Die Regelung des § 7 Absatz 1 Nummer 3 EU VOB/A gilt gerade nicht nur für die Leistungsbeschreibung, sondern auch allgemein für die Vertragsverhandlungen und den Vertragsabschluss. Damit sind auch Risiken erfasst, die erst nach Zuschlagserteilung im Rahmen der Leistungserbringung entstehen können, in den Vergabeunterlagen jedoch schon begründet sind (vgl. von dem Knesebeck, in Gabriel/Mertens/Prieß/Stein (Hrsg.), Beck'scher Online-Kommentar, § 7 EU VOB/A, Rn. 19).
Denn die Regelung dient dem Schutz des Auftragnehmers vor unangemessenen Vertragsbedingungen (vgl. VK Hamburg, Beschluss vom 25.07.2002, VgK FB 1/02). Entsprechend diesem Normzweck ist die Vorschrift nicht eng, sondern eher weit auszulegen (vgl. VK Bund, Beschluss vom 19.7.2002, VK 1-37/02 sowie Bund, Beschluss vom 13.07.2005, VK 2-69/05 und Beschluss vom 19.3.2002, VK 2-06/02). Ob eine kaufmännisch vernünftige Kalkulation gemessen an diesen Maßstäben unzumutbar ist, bestimmt sich nach dem Ergebnis einer Abwägung aller Interessen der Bieter bzw. Auftragnehmer und des öffentlichen Auftraggebers im Einzelfall (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 21.04.2021, Verg 1/20 m. w. N.).
Ausgehend von den genannten Grundsätzen führt eine Abwägung der beteiligten Interessen zu dem Ergebnis, dass der Antragstellerin eine kaufmännisch vernünftige Kalkulation nicht zumutbar war. Der fehlende kalkulatorische Ausgleich belastet die Antragstellerin mit Kalkulationsrisiken, die über das typischerweise einem Bieter obliegenden Maß hinausgehen.
Im Falle der Zuschlagserteilung müsste die Antragstellerin das Risiko von erheblichen Preissteigerungen in Folge der Kampfhandlungen zwischen der russischen Föderation und der Ukraine tragen, deren Umfang bei Angebotsabgabe nicht zu ermitteln waren.
Zwar ist dem Antragsgegner und der Beigeladenen insoweit zuzustimmen, als dass zwischen Beginn der Kampfhandlungen und der Angebotsabgabe etwas weniger als 6 volle Arbeitstage lagen. Allerdings ist bereits fraglich, ob nicht bereits auf Grund der neu eingetretenen Situation eine Verlängerung der Angebotsfrist notwendig gewesen wäre. So müssen gemäß § 10 Absatz 1 EU VOB/A Angebotsfristen so angemessen sein, als dass die Zeit für die Ausarbeitung der Angebote ausreichend ist. Dies bedarf aber keiner abschließenden Entscheidung.
Denn auch innerhalb der Zeit zwischen dem Beginn der Kampfhandlungen und dem Ende der Angebotsfrist konnte die Antragstellerin nicht vernünftigerweise kalkulieren. Hierfür streitet bereits der Umstand, dass die Preise für Baustoffe nicht unmittelbar mit dem Ausbruch der Kampfhandlungen "sprunghaft" und "einmalig" stiegen, sondern in Folge der in mehreren Stufen verabschiedeten Sanktionspakete und des Andauerns der Kampfhandlungen zwischen der russischen Föderation und der Ukraine insgesamt stetig und in erheblichen Umfang anstiegen. Vor diesem Hintergrund spricht auch der Erlass, der am 25.03.2022 - also mehr als 2 Wochen nach Angebotsfrist - veröffentlicht wurde davon, dass
"[a]ufgrund der Kriegsereignisse in der Ukraine und in der Folge verhängten weltweiten Sanktionen gegen Russland (...) die Preise vieler Baustoffe zum Teil extrem gestiegen [sind]. (...) Auch die Kosten für Energie und Kraftstoffe sind erheblich gestiegen."
Zudem erreichten die Preise in der Zeit zwischen Ausbruch der Kampfhandlungen und Angebotsabgabe kein Plateau, sondern erzielten in den folgenden Wochen kontinuierlich neue "Höchstmarken". Vor diesem Hintergrund erlaubt der Erlass, auch für Vorhaben, die innerhalb eines Monats zwischen Angebotsabgabe und Lieferung bzw. Fertigstellung abgeschlossen sind, die Vereinbarung von Stoffpreisgleitklauseln. Auch dieser Umstand zeigt, dass mit erheblichen, nicht vorhersehbaren Preissteigerungen "auf Monatsbasis" gerechnet wird.
Deswegen sieht der Erlass vor, dass bei Vergabeverfahren, in denen bereits die Angebotsöffnung erfolgte, diese in den Stand vor Angebotsabgabe zurückversetzt und mit einer Stoffgleitpreisklausel versehen werden. Zwar entfaltet wie vorstehend ausgeführt dieser Aspekt kein vergaberechtliches und nachprüfbares Gebot. Jedoch streitet die Intention dahinter für das Vorliegend eines ungewöhnlichen Wagnisses.
Darüber hinaus zeigt auch das Ergebnis der zweiten Kostenschätzung, dass in der Zeit zwischen dem Ausbruch der Kampfhandlungen und dem Ende der Angebotsfrist keine kaufmännisch vertretbaren Angebote, die die Preissteigerungen prognostizierten, erstellt werden konnten.
So heißt es im Vergabevermerk,
"(...) dass die Materialverfügbarkeit sich verknappen und somit eine weitere Verteuerung zu erwarten sei."
Damit gibt auch der Antragsgegner zu erkennen, dass die Preissteigerungen nicht nur kurzfristig und von singulärer Natur, sondern längerfristig und stetig ausfallend sind. Der Antragsgegner hat einige Zeit nach Beginn der Kampfhandlungen eine weitere Kostenschätzung durchgeführt, die erheblich höher ausgefallen ist als die Kostenschätzung im November 2021. Auch dieser Umstand verdeutlicht die erhebliche Preissteigerung infolge der Kampfhandlungen und Sanktionen, die nicht einmalig, sondern sprunghaft verläuft.
Eingedenk der vorstehenden Erwägungen und unter Berücksichtigung sowohl der Aussage des Erlasses als auch der Feststellungen des Antragsgegners im Vergabevermerk steht für die Kammer fest, dass die Risiken auf Grund der im Zeitpunkt der Angebotsabgabe ausgebrochenen Kampfhandlungen im Rahmen der Preiskalkulation nicht mehr den typischen Wagnissen einer Angebotskalkulation im Vergabeverfahren entsprechen.
Das Interesse des Antragsgegners, an seinen Vergabeunterlagen festzuhalten und keinen kalkulatorischen Ausgleich zu schaffen, tritt hinter dem Interesse der Antragstellerin an einer realistischen Angebotskalkulation zurück. Insbesondere ist es dem Antragsgegner möglich und zumutbar, dem Interesse der Antragstellerin an einer dem typischen Risiko unterliegenden Angebotskalkulation etwa durch die Vereinbarung von Stoffpreisgleitklauseln Rechnung zu tragen.
Dagegen kann auch nicht eingewendet werden, dass - jedenfalls für die Implementierung von Stoffpreisgleitklauseln - das zu verwenden Formular 225 nicht praxistauglich und von den Bietern nicht handhabbar sei. Ein "sperriges" Formular kann grundsätzlich keine Übertragung eines ungewöhnlichen Wagnisses rechtfertigen. Vielmehr wird sich ein interessiertes Unternehmen bei Verwendung des Formulars 225 nicht mehr auf einen Verstoß gegen § 7 Absatz Nummer 3 EU VOB/A berufen und oder infolge der Preislichen Verwerfungen eine Anpassung des Vertrages entsprechend § 313 BGB verlangen können.
III.
Die Antragstellerin ist gemäß § 160 Abs. 1 GWB auch in ihren Rechten verletzt. Denn der Angebotsausschluss wegen eines vermeintlich ungewöhnlich niedrigen Angebotspreises führt dazu, dass sie den Zuschlag nicht erhält.
Gemäß § 168 Absatz 1 GWB trifft die Vergabekammer die geeigneten Maßnahmen, um eine Rechtsverletzung zu beseitigen und eine Schädigung der betroffenen Interessen zu verhindern. Sie ist dabei an die Anträge nicht gebunden und kann auch unabhängig davon auf die Rechtmäßigkeit des Vergabeverfahrens einwirken. Die Anträge haben keine den Streitgegenstand umgrenzende Funktion (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 07.01.2019, Verg 30/18). Unter mehreren möglichen Maßnahmen zur Beseitigung muss sich die Vergabekammer für diejenige entscheiden, die die Interessen der Beteiligten am wenigsten beeinträchtigen (vgl. statt vieler: OLG Düsseldorf, Beschluss vom 16.10.2019, Verg 13/19).
Aufgrund der festgestellten Vergaberechtsverstöße war es erforderlich, den Antragsgegner zu verpflichten, das Vergabeverfahren in das Stadium vor Aufforderung zur Angebotsabgabe zurückzuversetzen, die beteiligten Bieter des Vergabeverfahrens erneut zur Angebotsabgabe aufzufordern und dabei die aus den Gründen ersichtliche Rechtsauffassung der Vergabekammer zu beachten.
Entgegen der Ansicht der Beigeladenen stellt die Rückversetzung des Vergabeverfahrens und die Möglichkeit, neue Angebote abzugeben, auch kein Verstoß gegen §15 Absatz 3 EU VOB/A dar. So sanktioniert § 15 Absatz 3 EU VOB/A die Verhandlung über bestehende Angebote. Vorliegend haben die Bieter die Möglichkeit, gänzlich neue Angebote abzugeben, über die dann freilich nicht mehr verhandelt werden darf.
IV.
Gemäß § 182 Abs. 1 GWB werden für Amtshandlungen der Vergabekammer Kosten (Gebühren und Auslagen) zur Deckung des Verwaltungsaufwandes erhoben. Das Verwaltungskostengesetz vom 23. Juni 1970 (BGBl. I. S. 821) in der am 14. August 2013 geltenden Fassung ist anzuwenden.
Die Gebühr beträgt gemäß § 182 Absatz 2 GWB mindestens 2.500 Euro; dieser Betrag kann aus Gründen der Billigkeit bis auf ein Zehntel ermäßigt werden. Die Gebühr soll den Betrag von 50.000 Euro nicht überschreiten; sie kann im Einzelfall, wenn der Aufwand oder die wirtschaftliche Bedeutung außergewöhnlich hoch ist, bis zu einem Betrag von 100.000 Euro erhöht werden. Soweit ein Beteiligter im Verfahren unterliegt, hat er gemäß § 182 Absatz 3 GWB die Kosten zu tragen.
Die Kammer setzt vorliegend eine Gebühr in Höhe von ### Euro fest. Für die Berechnung der Verfahrensgebühr zieht die Kammer die Gebührentabelle der Vergabekammern des Bundes und der Länder heran (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 06.01.2005, Verg 30/05). Maßgeblich für die Berechnung der Gebühr ist grundsätzliche die streitbefangene Auftragssumme (vgl. BGH, Beschluss vom 25.10.2011, X ZB 5/10). Maßgeblich ist das Angebot der Antragstellerin. Die Verfahrensgebühr ist dem Antragsgegner und der Beigeladenen aufzuerlegen.
Soweit ein Beteiligter im Verfahren unterliegt, hat er gemäß § 182 Absatz 4 GWB die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen des Antragsgegners zu tragen. Die Hinzuziehung von Verfahrensbevollmächtigten durch die Antragstellerin zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung war notwendig, da die Verfahrensführung in einem Nachprüfungsverfahren für rechtliche Laien häufig unübersichtlich ist und schnell zu Fehlentscheidungen führt. Insbesondere waren vorliegend schwierige und komplexe vergaberechtliche Fragen streitentscheidend. Insbesondere der in diesem Verfahren maßgebliche Aspekt, inwieweit ein ungewöhnliches Wagnis übertragen wird, stellt eine komplexe vergaberechtliche Frage dar. Daneben ist das Nachprüfungsverfahren gerichtsähnlich konzipiert, so dass auch prozessuale Kenntnisse erforderlich sind, um eigene Rechte wirksam wahren zu können.
Die notwendigen Aufwendungen zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung der Antragstellerin werden dem Antragsgegner und der Beigeladenen jeweils zur Hälfte auferlegt.
(...)
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Wann muss der Auftraggeber das Leistungsversprechen des Bieters verifizieren?
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"Abgeschichtetes" Verhandlungsverfahren ist keine elektronische Auktion!
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Verbundene Unternehmen müssen Zweifel an Unabhängigkeit der Angebote ausräumen!
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Muss die Preisbewertungsformel bekannt gegeben werden?
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Leistungsansatz als Wertungskriterium: Kein Ausschluss wegen fehlender Auskömmlichkeit!
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