VK Sachsen-Anhalt
Beschluss
vom 07.04.2025
3 VK LSA 47-49/24
1. Die Antragsbefugnis fehlt, soweit der Antragsteller sich nur auf eine Absicht des Antragsgegners beruft, das Vergabeverfahren aufzuheben - insoweit ist weder ein Schaden bereits entstanden, noch droht ein solcher zu entstehen.*)
2. Für eine Rüge muss nach dem objektiven Empfängerhorizont dem betreffenden Vorbringen zweifelsfrei zu entnehmen sein, welcher Sachverhalt für vergaberechtswidrig gehalten und dass "Abhilfe" verlangt bzw. erwartet wird. Der Rügende muss eine ernsthafte, verbindliche und/oder konkrete vergaberechtliche "Beanstandung" zum Ausdruck bringen. Der Vergabestelle soll die Möglichkeit der Korrektur gegeben werden. Eine bloße Anmerkung oder die Äußerung einer Rechtsauffassung ist noch keine Rüge.*)
3. In den Fällen einer Präklusion aufgrund nicht erhobener Rüge ist auch das Vorbringen gegen einen Ausschluss wegen der nicht/nicht rechtzeitig gerügten Umstände ebenfalls präkludiert. Hier haben sich die vermeintlichen Vergaberechtsverstöße lediglich fortgesetzt.*)
VK Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 07.04.2025 - 3 VK LSA 47-49/24
Tenor:
1. Der Nachprüfungsantrag wird zurückgewiesen.
2. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens für die Amtshandlungen der Nachprüfungsbehörde.
3. Die Verfahrenskosten beziffern sich auf 750,00 Euro.
Gründe
I.
Die Antragsgegnerin schrieb im Wege der Öffentlichen Ausschreibung auf Grundlage der Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen Teil A (VOB/A) - Ausgabe 2019 das Vorhaben "Ausbau [...]" aus.
Die Schätzung des Gesamtauftragswertes belief sich auf einen Betrag in Höhe von [...] Euro netto.
Die öffentliche Bekanntmachung erfolgte u. a. am 17.07.2024 im eVergabe-Portal www.evergabeonline.de.
Die ausgeschriebene Leistung wurde in drei Lose aufgeteilt.
Der Bekanntmachung war unter Buchstabe w) hinsichtlich der Beurteilung der Eignung zu entnehmen:
"Präqualifizierte Unternehmen führen den Nachweis der Eignung durch den Eintrag in die Liste des Vereins für die Präqualifikation von Bauunternehmen e.V. (Präqualifikationsverzeichnis). Bei Einsatz von Nachunternehmen ist auf gesondertes Verlangen nachzuweisen, dass diese präqualifiziert sind oder die Voraussetzung für die Präqualifikation erfüllen.
[...]
Sind die Nachunternehmen präqualifiziert, reicht die Angabe der Nummer, unter der diese in der Liste des Vereins für die Präqualifikation von Bauunternehmen e.V. (Präqualifikationsverzeichnis) geführt werden. [...]
Darüber hinaus hat der Bieter zum Nachweis seiner Fachkunde folgende Angaben gemäß § 6a Abs.
3 VOB/A zu machen:
[...]
Auf gesondertes Verlangen sind vom Bestbieter und gegebenenfalls seinen Nachunternehmen für Bauleistungen sowie den Mitgliedern einer Bietergemeinschaft nachfolgende Nachweise und Erklärungen vorzulegen:
[...]
aktuell gültige Bescheinigung in Steuersachen / Finanzamt (falls nur im Original oder als beglaubigte Kopie gültig, Vorlage im Original oder beglaubigte Kopie)
[...]
Bei Vorlage eines gültigen Nachweises einer Präqualifikation bzw. Angabe einer gültigen Präqualifikationsnummer werden die bei der Präqualifizierungsstelle hinterlegten Nachweise und Erklärungen anerkannt.
Die auf gesondertes Verlangen vorzulegenden Nachweise, welche nur im Original oder als beglaubigte Kopie gültig sind, sind postalisch im Original oder als beglaubigte Kopie zu übermitteln. Alternativ können diese Nachweise im Original auch direkt in der Zentralen Vergabestelle abgegeben werden.
[...]
Die auf gesondertes Verlangen geforderten Nachweise und Erklärungen sind innerhalb von 5 Werktagen vorzulegen. Die Frist für die Nachreichung der geforderten Nachweise und Erklärungen kann im Ausnahmefall, gemäß § 8 (3) Satz 3 TVergG LSA, verlängert werden.
Werden uns die geforderten Nachweise und Erklärungen nicht fristgerecht vorgelegt, führt dies zwingend zum Ausschluss des Angebotes."
Aus dem Formblatt 211 einschließlich Anlage hierzu ergab sich, dass auf gesondertes Verlangen bestimmte Nachweise vom Bieter und ggf. seinen Nachunternehmern, so die aktuell gültige Bescheinigung in Steuersachen (falls nur im Original oder als beglaubigte Kopie gültig im Original oder als beglaubigte Kopie), vorzulegen waren.
Insgesamt gingen neun Angebote zur Angebotsfrist ein, wobei die Antragstellerin sich mit vier Hauptangeboten am Verfahren beteiligt hat.
Gegenstand des vorliegenden Verfahrens ist Hauptangebot 1 der Antragstellerin.
Mit E-Mail vom 26.09.2024 forderte die Antragsgegnerin sie auf, folgende Nachweise und Erklärungen bis zum 02.10.2024 nachzureichen:
"[...]
- aktuell gültige Bescheinigung in Steuersachen Finanzamt (falls die Bescheinigung nur im Original oder als beglaubigte Kopie gültig, Vorlage im Original oder als beglaubigte Kopie)
[...]
Von Ihrem Nachunternehmen für Bauleistungen ... sind folgende Nachweise nachzureichen:
[...]
- aktuell gültige Bescheinigung in Steuersachen Finanzamt (falls die Bescheinigung nur im Original oder als beglaubigte Kopie gültig, Vorlage im Original oder als beglaubigte Kopie)
[...]
Bei Vorlage eines gültigen Nachweises einer Präqualifikation bzw. Angabe einer gültigen Präqualifikationsnummer zur ausgeschriebenen Leistung werden die bei der Präqualifizierungsstelle hinterlegten Nachweise und Erklärungen anerkannt.
[...]
Erklärungen, welche nur im Original oder als beglaubigte Kopie gültig sind, sind postalisch im Original oder als beglaubigte Kopie ebenfalls bis zum 02.10.2024 an folgende Adresse zu übermitteln.
[...]"
Unter dem 30.09.2024 versicherte die Antragstellerin per E-Mail gegenüber der Antragsgegnerin, alle geforderten Bescheinigungen fristgerecht beibringen zu wollen. Für die Nachunternehmer teilte die Antragstellerin in diesem Zusammenhang ergänzend mit, dass alle geforderten Nachweise für sie bei der Präqualifizierungsstelle vorlägen oder anderweitig zur Verfügung gestellt würden. Einige im Original geforderte Unterlagen habe sie "sicherheitshalber" dem Antwortschreiben nochmal angehängt.
Ergänzend fügte die Antragstellerin der E-Mail folgende "Kurze Anmerkung" an:
"[...] Bei der PQ, der Präqualifizierung, wird die Eignung eines Unternehmens vollständig erfasst. Damit hat das Unternehmen die Sicherheit, nicht aus formellen Gründen, z. B. wegen fehlender Eignungsnachweise, aus einem Vergabeverfahren ausgeschlossen zu werden. [...]"
Mit Datum vom 01.10.2024 bat die Antragsgegnerin die Antragstellerin um die noch ausstehende Übersendung von Nachweisen und Erklärungen, darunter die Bescheinigung in Steuersachen im Original der Nachunternehmer ... bis zum 02.10.2024.
Noch am selben Tag teilte die Antragstellerin gegenüber der Antragsgegnerin mit, die nachgeforderten Unterlagen der vorstehenden Nachunternehmer seien postalisch auf dem Weg. Mit E-Mail vom 02.10.2024 verlängerte die Antragsgegnerin die Frist zur Vorlage der fehlenden Unterlagen auf den 08.10.2024, 11.00 Uhr.
Die Antragstellerin legte am 08.10.2024 Kopien der Bescheinigungen in Steuersachen der Nachunternehmer ... vor. Am 10.10.2024 übergab die Antragstellerin der Antragsgegnerin die Bescheinigungen in Steuersachen für diese Nachunternehmer im Original.
Im Rahmen der Angebotswertung vermochte die Antragsgegnerin kein zuschlagsfähiges Angebot zu ermitteln.
Mit Schreiben vom 02.12.2024 informierte sie daher die Antragstellerin gemäß § 19 Abs. 1 Tariftreue- und Vergabegesetz Sachsen-Anhalt (TVergG LSA) über die beabsichtigte Aufhebung des Vergabeverfahrens sowie die Nichtberücksichtigung ihres Angebotes 1 mit der Begründung, dass die Bescheinigungen in Steuersachen im Original von den Nachunternehmern ... zum (bereits verlängerten) Fristende nicht vorgelegen hätten. Aus diesem Grund sei das Angebot gemäß § 16 Abs. 1 Nr. 4 VOB/A auszuschließen.
Daraufhin rügte die Antragstellerin mit Schreiben vom 04.12.2024 ihren Ausschluss sowie die beabsichtigte Aufhebung des Vergabeverfahrens. Zur Begründung trug sie vor, die Antragsgegnerin verkenne, dass die im Informationsschreiben benannten Nachunternehmer präqualifiziert seien. Für die Vorlage der Steuerbescheinigungen im Original habe keine Grundlage bestanden, was die Antragstellerin weiter ausführte. Der Ausschluss sei demnach vergaberechtswidrig erfolgt.
Die Antragsgegnerin half der Rüge nicht ab und teilte dies der Antragstellerin mit Schreiben vom 11.12.2024 mit. In der Bekanntmachung seien alle Nachweise und Erklärungen aufgeführt worden, die auf gesondertes Verlangen seitens des Bestbieters und ggf. seiner Nachunternehmer vorzulegen gewesen seien. Die fehlenden Bescheinigungen in Steuersachen im Original seien in der Bekanntmachung und den Vergabeunterlagen wirksam gefordert worden. Aufgrund der nicht fristgerechten Vorlage dieser Bescheinigungen von den Nachunternehmern ... sei das Angebot der Antragstellerin gemäß § 16 Abs. 1 Nr. 4 VOB/A sowie unter Anwendung von § 8 Abs. 2 Nr. 3 TVergG LSA von der Wertung auszuschließen gewesen. Ein Ermessensspielraum habe nicht bestanden. Die Antragsgegnerin teilte schließlich mit, mangels zuschlagsfähiger Angebote das Vergabeverfahren aufheben zu wollen.
Mit Schreiben vom 12.12.2024 wiederholte die Antragstellerin im Wesentlichen ihre Rüge. Auch liege für eine grundsätzlich mögliche Aufhebung des Vergabeverfahrens kein Aufhebungsgrund nach § 17 VOB/A vor.
Mit Schreiben vom 16.12.2024 stellte die Antragsgegnerin darauf ab, dass gemäß § 12 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. w VOB/A in der Bekanntmachung festzulegen sei, auf welche Art und Weise Eignungskriterien und Nachweise für eine Eignungsprüfung herangezogen würden. Von diesen Vorgaben habe die Antragsgegnerin nicht einseitig abweichen können. Ein Verzicht auf die geforderten Nachweise stelle einen groben Verstoß gegen die Chancengleichheit und das Transparenzgebot dar. Aber selbst wenn die Forderung zur Vorlage der Bescheinigung in Steuersachen im Original vergaberechtswidrig gewesen wäre, sei die Antragstellerin mit diesem Vortrag präkludiert.
Daraufhin beantragte die Antragstellerin unter dem 23.12.2024 bei der 3. Vergabekammer die Nachprüfung des streitgegenständlichen Verfahrens. Die Kammer informierte die Antragsgegnerin hierüber mit Schreiben vom 27.12.2024.
Nach dem Vortrag der Antragstellerin richte sich der Nachprüfungsantrag gegen sämtliche der drei ausgeschriebenen Lose. Der Angebotsausschluss sei rechtswidrig erfolgt, da der Antragsgegnerin Präqualifikationsnachweise der betreffenden Unternehmen vorgelegen hätten. Die Antragstellerin habe die durch die Antragsgegnerin erst am 26.09.2024 vorgenommene Nachforderung der Eignungsunterlagen (im Original) für präqualifizierte Unternehmen mit E-Mail vom 30.09.2024 gerügt. Sämtliche präqualifizierte Unternehmen hätten ihre Eignung bereits nachgewiesen. Die Antragstellerin habe gleichwohl versucht, "ausdrücklich 'sicherheitshalber', d. h. ohne die Hoffnung auf eine Abhilfe der Rüge aufgegeben zu haben - unter erheblichen Anstrengungen, die geforderten Nachweise ... beizubringen." Insbesondere habe sie die Verletzung in ihren Rechten rechtzeitig gerügt. Es sei unschädlich, dass sie mit der E-Mail vom 30.09.2024 zugleich und ausdrücklich sicherheitshalber versucht habe, die nachgeforderten Unterlagen beizubringen. Die ordnungsgemäße Rüge setze eine Beanstandung voraus, die den gerügten Verstoß hinreichend konkret benenne und mit einer vollständigen und nachvollziehbaren Sachverhaltsdarstellung verbinde. Die Antragstellerin habe klar zu erkennen gegeben, dass sie die Anforderung für rechtswidrig erachte. Entsprechende Gründe habe sie dazu ebenfalls vorgetragen, wobei inhaltlich ein großzügiger Maßstab an eine ordnungsgemäße Rüge anzulegen sei. Die Äußerung der Antragstellerin könne nur dahingehend verstanden werden, dass sie die Antragsgegnerin zu einer Änderung habe veranlassen wollen. Darüber hinaus habe die Antragstellerin erstmals mit dem Schreiben vom 02.12.2024 von der Entscheidung der Antragsgegnerin Kenntnis erlangt, welches sie sodann mit Schreiben vom 04.12.2024 rechtzeitig gerügt habe. Auch die beabsichtigte Aufhebung habe die Antragstellerin nach Kenntnisnahme am 11.12.2024 mit Schreiben vom 12.12.2024 rechtzeitig gerügt.
Zur Begründung des Antrages äußerte die Antragstellerin im Weiteren die Ansicht, die Antragsgegnerin habe sie nicht ausschließen dürfen. Daneben trug sie etwa noch vor, dass bei objektiver Auslegung der Bekanntmachung, die insoweit keine eindeutige Festlegung enthalte, die Antragsgegnerin die Vorlage von Originalbescheinigungen lediglich von den Bietern verlangt habe, die zuvor ihre Eignung mit Einzelnachweisen und über Eigenerklärungen nachgewiesen haben.
Die Antragstellerin habe einen Anspruch auf ein rechtsfehlerfreies Verfahren. Daher sei die Antragsgegnerin dazu gehalten, ihren erkannten Fehler zu korrigieren. Eine rechtswidrige Nachforderung rechtfertige keinen rechtswidrigen Ausschluss.
Die erkennende Kammer hat die Antragstellerin mit Schreiben vom 14.02.2025 angehört und mitgeteilt, dass nach vorläufiger Prüfung der Nachprüfungsantrag als unzulässig zurückzuweisen sei. Die Antragstellerin habe den vermeintlichen Vergaberechtsverstoß spätestens mit dem Erhalt des Nachforderungsschreibens der Antragsgegnerin vom 26.09.2024 im Sinne des § 19 Abs. 4 Nr. 1 TVergG LSA erkannt, jedoch nicht rechtzeitig gegenüber der Antragsgegnerin gerügt. Bei der E-Mail seitens der Antragstellerin vom 30.09.2024 an die Antragsgegnerin handele es sich eben nicht um eine Rüge, so dass die Antragstellerin mit der Geltendmachung der streitgegenständlichen Vergaberechtsverstöße in dem Rügeschreiben vom 04.12.2024 bzw. im Nachprüfungsantrag präkludiert sei. Darüberhinausgehende Vergaberechtsverstöße habe die Antragstellerin weder vorgetragen, noch seien diese ersichtlich. Im Übrigen fehle es hinsichtlich der beantragten Fortführung des Vergabeverfahrens bei fortbestehender Beschaffungsabsicht - wegen der von der Antragsgegnerin nur mitgeteilten Absicht zur Aufhebung des Vergabeverfahrens - an der Antragsbefugnis.
Hierzu erwiderte die Antragstellerin mit Schreiben vom 21.02.2024, dass sie der Ansicht der Vergabekammer nicht folge. Die Antragstellerin bekräftigte, dass sie die Nachforderung der Unterlagen mit E-Mail vom 30.09.2024 rechtzeitig gerügt habe. Diese habe den Anforderungen an eine Rüge genügt. Der E-Mail sei eindeutig zu entnehmen, dass die Antragstellerin von einem Nachweis der Eignung durch die Präqualifizierung ausgehe und die Anforderung von weiteren Eignungsnachweisen für nicht zulässig erachte. Dennoch habe sie versucht, die Nachweise vorzulegen, um keinen Rechtsverlust zu erleiden. Dies werde dadurch untermauert, dass die Antragstellerin die Unterlagen nur "sicherheitshalber" vorgelegt bzw. um Mitteilung gebeten habe, wenn "trotz ihres Hinweises auf die Präqualifizierung" die Antragsgegnerin weiterhin von fehlenden Unterlagen ausgehe. Daraus sei ersichtlich, dass die Antragstellerin mit dem Vorgehen der Antragsgegnerin nicht einverstanden gewesen sei und eine Korrektur des Fehlers habe erreichen wollen.
Außerdem habe die Antragstellerin zwei unabhängige Entscheidungen der Antragsgegnerin gerügt. Maßgeblich sei hier nicht die Nachforderung, sondern die Ausschlussentscheidung. Selbst bei Annahme der Rügepräklusion sei nach Ansicht der Antragstellerin der Ausschluss von der Reichweite dieser Präklusion nicht erfasst. Etwas anderes könne nur dann angenommen werden, wenn der Ausschluss die zwangsläufige Folge der vorherigen rechtswidrigen Entscheidung gewesen wäre. Sei jedoch eine erneute Entscheidung notwendig und sei die Antragsgegnerin insoweit nicht gebunden, so handele es sich um einen eigenständigen Verstoß, der separat gerügt werden könne und müsse.
Insoweit bezog die Antragstellerin die Rechtsprechung des EuGH (Urteil vom 11.10.2007, Rs. C 241/06) in ihre Argumentation ein.
Im Übrigen verbleibe neben dem Angebot der Antragstellerin kein wertbares Angebot, sodass sich vorliegend die Annahme einer Rügepräklusion verfahrenshemmend statt (grundsätzlich) -beschleunigend auswirke. Hierzu führte die Antragstellerin ebenfalls Rechtsprechung an.
Die Antragstellerin beantragt daher sinngemäß,
1. bei fortbestehender Beschaffungsabsicht das Vergabeverfahren nach Maßgabe der Rechtsauffassung der Vergabekammer fortzuführen,
2. bei fortbestehender Beschaffungsabsicht das Vergabeverfahren auf den Zeitpunkt vor Angebotswertung zurückzuversetzen und diese unter Beachtung der Rechtsauffassung der Vergabekammer zu wiederholen,
3. ihr Akteneinsicht zu gewähren, insbesondere im Hinblick auf die Dokumentation der Nachforderung und des Ausschlusses,
4. die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten durch die Antragstellerin für notwendig zu erklären,
5. der Antragsgegnerin die Kosten des Verfahrens einschließlich der Kosten der zweckentsprechenden Rechtsverfolgung durch die Antragstellerin aufzuerlegen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Nachprüfungsantrag der Antragstellerin zurückzuweisen.
Die Antragsgegnerin hat ihren Vortrag mit Schreiben an die Vergabekammer vom 10.01.2025 im Wesentlichen wiederholt, aber auch vertieft.
So seien nicht nur in der Bekanntmachung, sondern auch im Formblatt 211 bzw. der Anlage hierzu alle geforderten Nachweise und Erklärungen aufgeführt gewesen.
Die Antragstellerin habe also nicht erst mit dem Nachforderungsschreiben vom 26.09.2024 von der Notwendigkeit der Vorlage der Bescheinigungen im Original erfahren.
Innerhalb der Angebotsfrist habe sie die Eignungskriterien nicht gerügt. Die Nachricht der Antragstellerin vom 30.09.2024 sei keine Rüge gewesen, sondern nur ein Hinweis.
In diesem Zusammenhang sei auch festzustellen, dass die Antragstellerin innerhalb eines Zeitraumes von 65 Kalendertagen, zwischen der "Rüge" und der Versendung des Informationsschreibens nach § 19 Abs. 1 TVergG LSA kein Nachprüfungsverfahren oder sonstige rechtliche Schritte eingeleitet habe. Die Möglichkeit von Rücksprachen zur Klarstellung habe die Antragstellerin nicht genutzt.
Im Weiteren stellte die Antragsgegnerin - zum Teil wiederholend und unter Bezugnahme auf Rechtsprechung - ihre Auffassung zur Nachweisführung von präqualifizierten Bietern dar.
II.
Der Nachprüfungsantrag der Antragstellerin ist unzulässig.
Die Antragsgegnerin ist öffentlicher Auftraggeber gemäß § 2 Abs. 1 TVergG LSA.
Die 3. Vergabekammer des Landes Sachsen-Anhalt ist gemäß den §§ 19 Abs. 2, 24 TVergG LSA i. V. m. der Gemeinsamen Geschäftsordnung der Vergabekammern (Bek. des MW vom 17.04.2013 - 41-32570-17, veröffentlicht im MBl. LSA Nr. 14/2013) für die Nachprüfung des vorliegenden Vergabeverfahrens örtlich und sachlich zuständig.
Die Antragstellerin ist überwiegend antragsbefugt gemäß § 23 TVergG LSA i. V. m. § 160 Abs. 2 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB).
Sie hat durch die Abgabe eines Angebotes ihr Interesse am Auftrag dokumentiert und dargelegt, dass ihr durch die vermeintlich unzulässige Nachforderung der Bescheinigung in Steuersachen im Original für präqualifizierte (Nach-)Unternehmer - mit der Folge des Angebotsausschlusses - ein Schaden zu entstehen droht.
Der Antragstellerin fehlt die Antragsbefugnis allerdings insoweit, als sie sich auf die (bloße) Absicht der Antragsgegnerin beruft, das Vergabeverfahrens aufheben zu wollen. Insoweit ist der Antragstellerin durch die behauptete Verletzung von Vergabevorschriften weder ein Schaden im Sinne des § 23 TVergG LSA i. V. m. § 160 Abs. 2 S. 2 GWB bereits entstanden, noch droht ein solcher zu entstehen.
Die Antragstellerin ist jedoch - entgegen ihrem Vorbringen - ihrer Rügeobliegenheit nicht nachgekommen. Sie ist mithin mit ihrem Vorbringen gemäß § 19 Abs. 4 Nr. 1 TVergG LSA präkludiert.
Danach ist ein Nachprüfungsantrag unzulässig, soweit der Antragsteller den geltend gemachten Verstoß gegen Vergabevorschriften vor Einreichen des Nachprüfungsantrages erkannt und gegenüber dem öffentlichen Auftraggeber nicht innerhalb einer Frist von zehn Werktagen schriftlich oder elektronisch gerügt hat.
Von einem positiven Erkennen bzw. einer positiven Kenntnis wird im Allgemeinen (erst) dann gesprochen, wenn dem Antragsteller zum einen die den Verstoß begründenden Tatsachen bekannt sind (Tatsachenkenntnis) und wenn er zum anderen zumindest i. S. einer "Parallelwertung in der Laiensphäre" erkennt, dass diese Tatsachen einen Verstoß gegen Vergabevorschriften darstellen bzw. den Schluss auf eine Verletzung vergaberechtlicher Bestimmungen rechtfertigen (Kenntnis der Rechtsfehlerhaftigkeit), (vgl. Carsten Nowak in Pünder/Schellenberg, Vergaberecht, GWB § 160 Rn. 67; ähnlich - zu den Voraussetzungen für die Kenntniserlangung - auch Dicks/Schnabel in Ziekow/Völlink, 5. Aufl. 2024 GWB § 160 Rn. 43).
Diese Anforderungen in Bezug auf § 160 Abs. 3 Nr. 1 GWB können auf den wortlautgleichen § 19 Abs. 4 Nr. 1 TVergG LSA übertragen werden.
Dabei kann es dahinstehen, ob für die Antragstellerin der in Rede stehende Vergaberechtsverstoß bereits in der Bekanntmachung oder aus den Vergabeunterlagen zu erkennen war, denn spätestens mit dem Erhalt des Nachforderungsschreibens vom 26.09.2024 hatte sie positive Kenntnis von diesem Verstoß i. S. des § 19 Abs. 4 Nr. 1 TVergG LSA.
Dazu im Einzelnen:
Mit der E-Mail der Antragstellerin an die Antragsgegnerin vom 30.09.2024 hat sie zum einen klar zum Ausdruck gebracht, dass sie (spätestens) zu diesem Zeitpunkt von der Tatsache Kenntnis erlangt hatte, dass die Antragsgegnerin auch von präqualifizierten Unternehmen weitere Nachweise bzw. Bescheinigungen, hier insbesondere die streitgegenständliche Bescheinigung in Steuersachen im Original, fordert. Zum anderen war der Antragstellerin bewusst, welche Rechtsfolgen bzw. relevanten Fragestellungen sich aus dieser Forderung der Antragsgegnerin ergeben würden, zumal sie selbst darauf hingewiesen hat, dass ein präqualifiziertes Unternehmen nicht aufgrund fehlender Eignungsnachweise aus einem Vergabeverfahren ausgeschlossen werden könne, da bereits im Rahmen der Präqualifizierung die Eignung eines Unternehmens vollständig erfasst werde.
Schließlich hat die Antragstellerin ihre eigene E-Mail vom 30.09.2024 im Nachprüfungsantrag selbst als "Rüge" bezeichnet und damit ihr inneres Bewusstsein über das Vorliegen eines Vergaberechtsverstoßes offenbart.
Aus den genannten Gründen ist es auch unerheblich, dass nach Ansicht der Antragstellerin die Bekanntmachung oder die Vergabeunterlagen hinsichtlich der Eignungsanforderungen nicht eindeutig gewesen seien.
Trotz dieses Bewusstseins hat die Antragstellerin den vermeintlichen Verstoß gegen Vergabevorschriften jedoch nicht - so wie sie meint - gegenüber der Antragsgegnerin gerügt.
Die E-Mail der Antragstellerin vom 30.09.2024 erfüllt nach Ansicht der erkennenden Kammer gerade nicht die an eine Rüge zu stellenden Anforderungen.
Generell wird bei einer Rüge vor allem verlangt, dass die Vergabestelle dem Schreiben durch Auslegung nach dem objektiven Empfängerhorizont (zweifelsfrei) entnehmen kann, welchen Sachverhalt der Rügende für vergaberechtswidrig hält und dass er "Abhilfe" verlangt bzw. erwartet oder die Beseitigung des angesprochenen Vergaberechtsfehlers fordert bzw. eine ernsthafte, verbindliche und/oder konkrete vergaberechtliche "Beanstandung" zum Ausdruck bringt. Es muss sich ergeben, dass der Rügende die Vergabestelle insoweit nicht lediglich zur Optimierung eines Vergabeverfahrens anregen will, sondern ihr hiermit die Möglichkeit gibt, den vorgetragenen Vergaberechtsverstoß zu korrigieren (vgl. Pünder/Schellenberg, a. a. O., Rn. 59).
Es ist zwar richtig, dass nicht zu hohe Anforderungen an eine Rüge zu stellen sind, aber die in diesem Zusammenhang bestehenden Mindestanforderungen wurden nicht erfüllt.
Auf welchen Sachverhalt die Antragstellerin abstellen will, ist der "Anmerkung" in der E-Mail vom 30.09.2024 zwar noch zu entnehmen, jedoch mangelt es hier an einer Rüge in dem vorgenannten Sinne. Die Antragstellerin hat nicht zum Ausdruck gebracht, dass sie von der Antragsgegnerin eine Abkehr von der Nachforderung bzw. eine Korrektur des Nachforderungsschreibens erwartet. Das Gegenteil ist sogar der Fall, indem die Antragstellerin der Antragsgegnerin erklärt hat, "Wenn dennoch unvollständige Unterlagen vorliegen, [...] diese dann natürlich sofort vervollständigen." zu wollen.
Auch aus dem Hinweis der Antragstellerin, dass ein präqualifiziertes Unternehmen die Sicherheit habe, "nicht aus formellen Gründen, z. B. wegen fehlender Eignungsnachweise, aus einem Vergabeverfahren ausgeschlossen zu werden", lässt sich eine Rüge gegenüber der Antragsgegnerin nicht ableiten. Insoweit handelt es sich lediglich um die Mitteilung einer Rechtsauffassung oder eben nur um eine kurze "Anmerkung".
Eine Rüge kann auch nicht aus der von der Antragstellerin zusammenhanglos verwendeten Formulierung mit "sicherheitshalber" hergeleitet werden. Die seitens der Antragstellerin hier vorgenommene Interpretation, die Unterlagen seien nur "sicherheitshalber" beigebracht worden, "d. h. ohne die Hoffnung auf eine Abhilfe ihrer Rüge aufgegeben zu haben", teilt die Vergabekammer hier nicht. Die Antragstellerin hat lediglich zum Ausdruck gebracht, dass sie die Anhänge "sicherheitshalber" nochmals beigefügt habe. Ein Abhilfebegehren war der E-Mail der Antragstellerin vom 30.09.2024 einschließlich der "Anmerkung" nicht zu entnehmen.
Insofern wurde - entgegen der Argumentation der Antragstellerin - nicht hinreichend deutlich, dass sie der Antragsgegnerin durch diese E-Mail Gelegenheit zu einer Korrektur ihres Verhaltens gegeben hat.
Im Ergebnis bleibt festzustellen, dass die Antragstellerin den streitgegenständlichen Verstoß gegen Vergabevorschriften zwar spätestens mit Erhalt des Nachforderungsschreibens am 26.09.2024 erkannt, jedoch nicht gerügt hat. Darüberhinausgehende Vergaberechtsverstöße hat sie ebenso weder vorgetragen, noch sind diese sonst ersichtlich.
Selbst für den Fall, dass eine rechtzeitige und ordnungsgemäße Rüge erfolgt wäre, dürfte aus Sicht der Vergabekammer die Antragsgegnerin berechtigt gewesen sein, die in Rede stehenden Bescheinigungen nachzufordern. Hierauf war jedoch wegen der Unzulässigkeit des Nachprüfungsantrags nicht einzugehen.
Auch gegen den Angebotsausschluss kann sich die Antragstellerin nicht mit Erfolg wehren.
Entgegen ihrer Auffassung ist das dahingehende Vorbringen ebenfalls präkludiert.
Bei dieser Entscheidung der Antragsgegnerin haben sich die vermeintlichen Vergaberechtsverstöße lediglich fortgesetzt, die die Antragstellerin ungerügt gelassen hat.
Denn Folge der Rügepräklusion ist im Grundsatz neben der Unzulässigkeit des Antrags hinsichtlich der präkludierten Rüge selbst, dass der Antragsteller auch mit der Geltendmachung anderer (späterer) Vergaberechtsfehler ausgeschlossen ist, die sich als reine Folgefehler des nicht oder verspätet gerügten, mit diesem untrennbar zusammenhängenden Fehlers darstellen, d. h., in denen sich der präkludierte Fehler nur fortsetzt (vgl. hierzu OLG Rostock, Beschluss vom 30.09.2021, Az.: 17 Verg 3/21; OLG Naumburg, Beschluss vom 23.07.2001, Az.: 1 Verg 3/01; Ziekow/Völlink, a. a. O., Rn. 38).
So erstreckt sich die Präklusionswirkung mittelbar grundsätzlich auch auf andere (vermeintliche) Verstöße in demselben Verfahren, die nicht selbstständig geprüft werden können, ohne den nicht gerügten Sachverhalt aufzugreifen.
Die Antragstellerin hat die nachgeforderten Bescheinigungen nicht fristgerecht vorgelegt und im Nachhinein nach Ausschluss des Angebotes (wegen nicht fristgerechter Vorlage) geltend gemacht, es sei überhaupt nicht zulässig gewesen, die betreffenden Bescheinigungen im Original von einem präqualifizierten Unternehmen zu fordern.
Dieser Einwand ist der Antragstellerin jedoch verwehrt.
Aufgrund des Erkennens vor Einreichen des Nachprüfungsantrages hätte dieser Umstand gegenüber der Antragsgegnerin innerhalb einer Frist von zehn Werktagen schriftlich oder elektronisch gerügt werden müssen. Eine solche Rüge hätte der Antragsgegnerin Gelegenheit gegeben, den vermeintlichen Verstoß zu prüfen und gegebenenfalls etwaige Fehler zu korrigieren.
Unterbleibt die Rüge bis dahin, kann ein in einer möglicherweise unzulässigen Forderung von Nachweisen oder Erklärungen liegender Vergaberechtsverstoß nicht mehr mit Erfolg vor der erkennenden Kammer geltend gemacht werden, wenn der Antragsgegner das Angebot wegen nicht fristgerechter Vorlage von Nachweisen oder Erklärungen (nach § 16 Abs. 1 Nr. 4 VOB/A) ausschließt.
Die Auffassung der erkennenden Kammer wird auch nicht durch die seitens der Antragstellerin angeführte Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes (EuGH, Urteil v. 11.10.2007 - Rs. C-241/06) erschüttert.
Nach dieser EuGH-Entscheidung laufe es den Rechtsmittelrichtlinien zuwider, wenn eine Ausschlussregelung, die Rechtsbehelfe gegen die Wahl des Vergabeverfahrens oder die Schätzung des Auftragswerts betrifft, so angewandt wird, dass der Bieter dadurch auch mit Rechtsschutz gegen Entscheidungen, die die Vergabestelle erst nach Ablauf der versäumten Frist getroffen hat, ausgeschlossen ist (siehe auch Immenga/Mestmäcker/Dreher, 6. Aufl. 2021, GWB § 160 Rn. 48).
Nach Auffassung der Vergabekammer kann das genannte EuGH-Urteil auf den vorliegenden Sachverhalt nicht übertragen werden.
Entgegen dem Vortrag der Antragstellerin in ihrem Schreiben vom 21.02.2025 stehen - anders als in dem vom EuGH entschiedenen Fall - die seitens der Antragsgegnerin vorgenommene Nachforderung und der daran anschließende Ausschluss aufgrund nicht fristgerechter Vorlage der nachgeforderten Eignungsnachweise (als reiner Folgefehler) in einem untrennbaren Zusammenhang miteinander. Der Angebotsausschluss war hier zwangsläufig; auch bestand noch ein zeitlicher Zusammenhang mit der erfolglosen Nachforderung.
Hier ist auch entscheidend, dass entgegen der Ansicht der Antragstellerin der Antragsgegnerin hinsichtlich des vorgenommenen Ausschlusses kein Ermessen zustand.
Aufgrund nicht vollständig vorgelegter Nachweise war das Angebot der Antragstellerin gemäß § 16 Abs. 1 Nr. 4 VOB/A - i. V. m. § 8 Abs. 4 S. 1 TVergG LSA - zwingend durch die Antragsgegnerin auszuschließen.
Soweit die Antragstellerin pauschal meint, es könne vorliegend ohnehin nicht von einer Präklusion von Folgefehlern bei Vorhandensein nur eines einzigen Angebotes ausgegangen werden, geht sie fehl. Auch teilt die Vergabekammer hier nicht die Ansicht, dass diese Behauptung dadurch verstärkt werde, dass eine Präklusion ausschließlich prozessuale, nicht aber materielle Wirkung hat.
Das Unterlassen einer Rüge trotz bestehender Rügeobliegenheit hat keinen materiellen Anspruchsverlust - hier gegebenenfalls einen Schadensersatzanspruch vor den ordentlichen Gerichten - zur Folge, sondern führt lediglich dazu, dass der Antragsteller den nicht gerügten Vergabefehler im vergaberechtlichen Nachprüfungsverfahren nicht mehr geltend machen kann, sein Antrag insoweit also unzulässig ist (vgl. u. a. Burgi/Dreher/Opitz/Horn/Hofmann, 4. Aufl. 2022, GWB § 160 Rn. 83).
Die Auffassung der Antragstellerin, dass den Präklusionsvorschriften dem Grunde nach eine Beschleunigungsfunktion zukommt, ist zwar zutreffend. Dies hat jedoch im Umkehrschluss nicht automatisch zur Folge, dass im Einzelfall nicht auch eine gegenteilige Wirkung eintreten kann.
Nach alledem hätte die Antragstellerin unter Beachtung einer Frist von zehn Werktagen den geltend gemachten Vergaberechtsverstoß spätestens bis zum 09.10.2024 rügen müssen. Dies hat sie aber aus den oben genannten Gründen nicht getan.
Der Nachprüfungsantrag ist danach als unzulässig zurückzuweisen.
Dem Antrag auf Akteneinsicht konnte aus den oben dargestellten Erwägungen heraus nicht entsprochen werden. Die Antragstellerin hat über alle Unterlagen verfügt, die notwendig waren, um die fallentscheidenden Rechtsfragen hinsichtlich der Zulässigkeit zu beurteilen. Die Freigabe weiterer Unterlagen hätte dem Willen des Gesetzgebers widersprochen, die Gewährung der Akteneinsicht nicht zum Mittel weiterer Ausforschung des Auftraggeberverhaltens werden zu lassen.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 19 Abs. 5 S. 1 - 3 TVergG LSA.
Danach werden gemäß § 19 Abs. 5 S. 1 TVergG LSA nur vom Antragsteller für Amtshandlungen der Nachprüfungsbehörde Kosten zur Deckung des Verwaltungsaufwandes erhoben, wobei sich die Höhe der Gebühren nach dem personellen und sachlichen Aufwand der Nachprüfungsbehörde unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Bedeutung des Gegenstandes der Nachprüfung bestimmt. Im Falle eines erfolgreichen Antrages werden keine Kosten erhoben (§ 19 Abs. 5 S. 4 TVergG LSA).
Unabhängig vom Erfolg des Nachprüfungsantrages wären die seitens der Antragstellerin ergänzend vor der 3. Vergabekammer gestellten Kostenanträge ohnehin abzulehnen, da es an einer gesetzlichen Grundlage hierfür fehlt.
Nach § 23 TVergG LSA werden von den Vorschriften des GWB ergänzend ausdrücklich nur diejenigen "des Teils 4 Kapitel 2 Abschnitt 2" entsprechend angewendet.
Dies sind ausschließlich die §§ 160 bis 170 GWB und schon von daher nicht § 182 GWB, welcher (in Abs. 3 und 4) die Erstattung der Kosten und Aufwendungen der Beteiligten regelt. Auf die Beurteilung der notwendigen Hinzuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten kommt es danach vorliegend auch nicht darauf an.
Damit besteht in unterschwelligen Nachprüfungsverfahren keine Möglichkeit, dem Antragsgegner die angefallenen Kosten des Antragstellers aufzuerlegen bzw. von ihm die Erstattung von Aufwendungen zu verlangen.
Die Antragstellerin hat vorliegend die Kosten des Verfahrens zu tragen, da das Nachprüfungsverfahren im Ergebnis keinen Erfolg i. S. v. § 19 Abs. 5 S. 4 TVergG LSA hatte und die Antragstellerin zu der Amtshandlung Anlass gegeben hat (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 Verwaltungskostengesetz des Landes Sachsen-Anhalt - VwKostG LSA).
Die Kostenregelung des § 19 Abs. 5 TVergG LSA ist abschließend.
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VK Mecklenburg-Vorpommern
Beschluss
vom 14.04.2025
3 VK 12/24
1. Eine die Integrität in Frage stellende schwere Verfehlung kommt bei der Verletzung vertraglicher Pflichten (z.B. auch bei der Verletzung der Auftragsausführungsbedingungen bei früheren öffentlichen Aufträgen) in Betracht, wenn diese eine solche Intensität und Schwere aufweisen, dass der öffentliche Auftraggeber berechtigterweise an der Integrität des Unternehmens zweifeln darf.
2. In der Regel setzt eine schwere Verfehlung eine schuldhafte Pflichtverletzung mit nicht nur unerheblichen Auswirkungen voraus; sie muss jedoch nicht notwendig den zwingenden Ausschlussgründen nahekommen.
3. Liegt eine nachweislich schwere Verfehlung vor, ist eine darüber hinaus gehende, auf den konkreten Auftrag bezogene Prognose, ob das Unternehmen den Auftrag zuverlässig erfüllen wird, nicht mehr zu fordern. Der Auftraggeber trifft - unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes - nur noch die Ermessensentscheidung über den Ausschluss.
4. Der Ausschluss kann sich aber als unverhältnismäßig darstellen, wenn das Unternehmen zwischenzeitlich Maßnahmen der "Selbstreinigung" ergriffen hat.
VK Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 14.04.2025 - 3 VK 12/24
Tenor:
1. Der Nachprüfungsantrag wird zurückgewiesen.
2. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Die Gebühr wird auf ... Euro festgesetzt.
Gründe:
I.
Die Antragstellerin führte für den Antragsgegner in der Vergangenheit die streitgegenständlichen Postdienstleistungen durch (Beförderung und Zustellung von ca. 500.000 Brief- und Paketsendungen im Jahr). Dieses Auftragsverhältnis wurde durch den Antragsgegner im Januar 2024 ordentlich und fristgemäß zum 31. Juli 2024 gekündigt. Am 28. Mai 2024 schrieb der Antragsgegner die Leistungen "Brief- und Paketversand für die Finanzämter in ... (EU-Amtsblattbekanntmachung vom ..., Veröffentlichungsnummer: ...; Vergabenummer: ...) als Offenes Verfahren nach der VgV aus. Als einziges Zuschlagskriterium war der günstigste Preis formuliert. Die Antragstellerin gab am 27. Juni 2024 fristgerecht ein Angebot ab.
Am 30. September 2024 hat der Antragsgegner die Antragstellerin nach § 124 Abs. 1 Nr. 3 GWB ausgeschlossen mit der Begründung, es bestünden hinreichende Zweifel an der Eignung der Antragstellerin zur Auftragsdurchführung. Vorausgegangen war ein Schriftwechsel mit widerstreitenden Darstellungen zu bisherigen Pflichtverletzungen der Antragstellerin. Daraufhin rügte die Antragstellerin am 9. Oktober 2024 den Ausschluss und die Nichtberücksichtigung ihres Angebotes. Der Antragsgegner hat hierauf am 20. November 2024 geantwortet und den Rügen nicht abgeholfen. Ein weiteres Rügeschreiben folgte am 29. November 2024, worauf der Antragsteller bis zum Eingang des Antrags nicht geantwortet hat.
Sie beantragt,
1. der Antragsgegnerin aufzugeben, in dem Vergabeverfahren "Brief- und Paketversand für die Finanzämter in ..." (EU- Amtsblattbekanntmachung vom 28.05.2024, Veröffentlichungsnummer: ... Vergabenummer: ...) die Antragstellerin und ihr Angebot vom 27.06.2024 nicht auf Grundlage der Mitteilung vom 30.09.2024 auszuschließen und das Verfahren in den Stand vor den Ausschluss der Antragstellerin und vor Prüfung und Bewertung der Angebote zurückzuversetzen;
2. die Antragsgegnerin bei fortbestehender Beschaffungsabsicht zu verpflichten, in dem Vergabeverfahren "Brief- und Paketversand für die Finanzämter in Mecklenburg-Vorpommern" (EU-Amtsblattbekanntmachung vom ... Veröffentlichungsnummer: ...; Vergabenummer:...), die Eignungsprüfung der Bieter und die Prüfung und Wertung der Angebote - unter Berücksichtigung der Antragstellerin und ihres Angebots vom 27.06.2024 - erneut vorzunehmen;
3. die Hinzuziehung von Verfahrensbevollmächtigten seitens der Antragstellerin vor der Vergabekammer für erforderlich zu erklären;
4. der Antragsgegnerin die Kosten des Verfahrens sowie die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen der Antragstellerin aufzuerlegen.
Ferner beantragt sie Akteneinsicht gemäß § 165 GWB in die Akten des Antragsgegners.
Hierzu trägt sie vor:
Der Antragsgegner habe vergaberechtswidrig von einer Zuschlagserteilung abgesehen. Die Bedarfsstelle habe ohne substantiierte Begründung der Vergabestelle den Ausschluss aufgegeben und habe auch die Stellungnahme des Antragsgegners im Rahmen des Ermessens nicht gewürdigt.
Der Ausschlussgrund sei willkürlich gewechselt worden. Nachdem ein Ausschluss nicht auf § 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB habe gestützt werden können, habe man sich ohne erneutes Ermessen für einen Ausschluss nach § 124 Abs. 1 Nr. 3 GWB entschieden.
Der Ausschlussgrund nach § 124 Abs. 1 Nr. 3 GWB sei nicht erfüllt. Es läge keine nachweislich schwere Verfehlung im Rahmen der beruflichen Tätigkeit vor, durch welche die Integrität des Unternehmens in Frage gestellt würde.
Der Ausschluss des Unternehmens der Antragstellerin mit Schreiben des Antragsgegners vom 30. September 2024 sei vergaberechtswidrig, beurteilungs- und ermessensfehlerhaft und unverhältnismäßig. Trotz der Einreichung eines vollständigen Angebots, in dem sämtliche transparent geforderten Eignungsnachweise gemäß der bekanntgegebenen Eignungskriterien enthalten seien (insbesondere auch die Eigenerklärung zum Nichtvorliegen von Ausschlussgründen), habe der Antragsgegner mitgeteilt, dass das Angebot der Antragstellerin nicht berücksichtigt werden könne und das Unternehmen vom weiteren Vergabeverfahren ausgeschlossen werden müsse, da begründete Zweifel an der Eignung des Unternehmens zur Auftragsdurchführung bestünden.
Die Antragstellerin bestreitet
- die Verletzung von Zustellfristen,
- eine Verletzung des Post- und Steuergeheimnisses,
- die Verletzung einer Pflicht zur ordnungsgemäßen Frankierung und Rechnungslegung,
- und die Verletzung von Rücksendefristen,
und bestreitet den vom Antragsgegner hierzu vorgetragenen Sachverhalt.
Die vorgebrachten vereinzelten Vertragsverletzungen würden sich in Anbetracht der Gesamtsendungsmenge im Promillebereich bewegen. Die Antragstellerin habe für den Antragsgegner im Jahr 2024 insgesamt ... Sendungen befördert und zugestellt. Gemessen an dieser Gesamtmenge würde die Reklamationsquote 0,0235% betragen. Die Antragstellerin würde nicht substantiiert vortragen, dass die vermeintliche schwere Verfehlung der Antragstellerin die Integrität bzw. Zuverlässigkeit des Unternehmens selbst in Frage stellen würde. Selbst bei einer unterstellten Richtigkeit der angeführten Pflichtverletzungen seien die Voraussetzungen des § 124 Abs. 1 Nr. 3 nicht erfüllt.
Die Antragstellerin bestreitet die Verletzung von Laufzeitvorgaben. Unter Bezugnahme auf den Bieterfragenkatalog trägt sie weiter vor, die in § 5 Abs. 3 der Rahmenvereinbarung festgelegten Sendungslaufzeiten hätten im Rahmen des Vergabeverfahrens eine Anpassung erhalten. Die Vergabestelle habe insoweit im Hinblick auf eine diesbezügliche Bieterfrage ausdrücklich bestätigt, dass die tatsächlichen Sendungslaufzeiten sich lediglich an den gesetzlichen Bekanntgabefiktionen (zu jener Zeit am dritten Tag nach Aufgabe zur Post) orientieren müssten, nur darauf sei es dem Antragsgegner angekommen. Seit dem 01.01.2025 würde § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO n. F. eine Bekanntgabefiktion erst am vierten Tag nach der Aufgabe zur Post vorsehen.
In dem Ausschlussschreiben zur Rechtfertigung des Angebotsausschlusses habe der Antragsgegner gemäß § 124 Abs. 1 Nr. 3 GWB neue vermeintliche Pflichtverletzungen vorgetragen, zu denen die Antragstellerin zuvor nicht angehört worden sei und zu denen diese vor dem Angebotsausschluss keine Stellungnahme habe abgeben können.
Des Weiteren habe sie das Post- und Steuergeheimnis nicht verletzt. Ein fast drei Jahre zurückliegender Vorfall vom 6. Mai 2022 war zum Zeitpunkt des Ausschlusses bereits aufgeklärt worden. Mit einem Foto von vermeintlich hinterlassenen Behältern mit Post auf einem Hinterhof in ... sei in Wirklichkeit ein Umladevorgang aufgenommen worden. Die Mitarbeiter der Antragstellerin seien zwar nicht auf dem Foto, wohl aber in Sichtweite gewesen.
Vereinzelte Fehlfrankierungen und Rechnungskorrekturen könnten eine erhebliche oder dauerhafte mangelhafte Erfüllung der vertraglichen Pflichten nicht begründen. Der beweisbelastete Antragsgegner habe hinsichtlich der von der Antragstellerin bestrittenen Fehlfrankierungen und Rechnungskorrekturen auch nicht belegen können, dass und in welchem Umfang diese erfolgt seien. Der Antragsgegner könne auch eine Verletzung von Rücksendefristen nicht nachweisen.
§ 124 Abs. 1 Nr.3 GWB sei lediglich ein Auffangtatbestand. Ein Verhalten, das nach spezielleren Regelung nur unter bestimmten Bedingungen einen Ausschluss nach sich ziehen könne, könne nicht zugleich eine schwere Verfehlung darstellen.
Der Antragsgegner hält den Ausschluss für rechtmäßig und nimmt wie folgt Stellung:
Im Rahmen der fachtechnischen Wertung hat die Bedarfsstelle mit Schreiben vom 12. Juli und 23. Juli 2024 einen Ausschluss der Antragstellerin in Bezug auf die ausgeschriebene Leistung angeregt. Der Antragsgegner hat die Antragstellerin mit Anhörungsschreiben vom 26. Juli 2024 zum beabsichtigten Ausschluss im nunmehr streitigen Vergabeverfahren angehört. In der Anhörung hat der Antragsgegner keine Rechtsnorm für den streitigen Ausschluss angegeben und der Antragstellerin die Möglichkeit zur Stellungnahme eingeräumt. Mit Schreiben vom 14. August 2024 hat die Antragstellerin im Wesentlichen erwidert, den Altauftrag ordnungsgemäß erfüllt zu haben und die von ihr ergriffenen Maßnahmen zur Selbstreinigung dargestellt.
Mit Schreiben vom 11. September 2024 habe die Bedarfsstelle die von der Antragstellerin vorgetragenen technischen, organisatorischen und personellen Maßnahmen bewertet sowie weitere Vertragsverletzungen im Zeitraum Dezember 2023 bis Juli 2024 aufgezeigt und diese als Anknüpfungstatbestand für eine negative Prognose im Hinblick auf eine ordnungsgemäße Erfüllung des nunmehr ausgeschriebenen Auftrags angeführt. Daraufhin habe der Antragsgegner die Antragstellerin mit Schreiben vom 30. September 2024 vom streitbefangenen Verfahren ausgeschlossen sowie die Selbstreinigungsmaßnahmen der Antragstellerin als ungeeignet bewertet und dies begründet.
Der Ausschluss sei aufgrund des § 124 Abs. 1 Nr. 3 GWB erfolgt. Dieser sei vorliegend anwendbar, soweit bei der Frage, was im Sinne des § 124 Abs. 1 Nr. 3 GWB eine "schwere Verfehlung" ist, die Wertungen des § 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB berücksichtigt werden (vgl. Burgi/Dreher/Opitz, Beck'scher Vergaberechtskommentar, Bd. 1 4. Auflage 2022 zu § 124 Rn. 23). Der öffentliche Auftraggeber hat unter Berücksichtigung des ihm eingeräumten Ermessens und unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit das Angebot der Antragstellerin von der weiteren Teilnahme an dem nunmehr zur Überprüfung gestellten Vergabeverfahren ausgeschlossen, weil die Antragstellerin im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeit nachweislich eine schwere Verfehlung begangen hat, durch die ihre Integrität infrage gestellt ist.
Streitbefangen war des Weiteren ein Schreiben der Antragstellerin vom 6. Dezember 2023 an das Finanzamt ... (Datei beginnend mit der Nr. 161, Anlage 1 Seite 46). wonach gemäß eigener Auskunft der Antragstellerin keine tägliche Zustellung erfolge, obwohl diese vertraglich zugesichert worden sei. (Nach § 5 Abs. 3 des Entwurfes der Rahmenvereinbarung, der mit den Auftragsunterlagen versandt worden war, erfolgt die Zustellung an Werktagen (einschließlich samstags), sofern nicht ein gesetzlicher Feiertag auf diesen Tag fällt.) Hierzu ist die Antragstellerin auch am 26. Juli 2024 angehört worden. Die Inhalte des Schreibens bestreitet sie mit Stellungnahme vom 14. August 2024. Der Ausschluss vom 30. September 2024 ist u. a. hierauf gestützt worden. Am 1. April 2025 hat sie eine Erklärung ihres Prokuristen beigefügt, der zufolge die Antragstellerin innerhalb ihres Zustellgebietes montags bis samstags zustellt.
In der Vergabeakte befindet sich eine Datei mit einer Dokumentation der Reklamationen. Des Weiteren wurde ein Testbriefverfahren durchgeführt, dessen Ergebnisse der Antragstellerin bekannt waren. Danach (Datei 161, Anlage 1 Seite 12) sind zwischen 15,98% und 25,26% der Testbriefe nicht innerhalb von drei Tagen angekommen, das ist ein Durchschnitt von 20,39%. Nach der Rechtslage ab 1. Januar 2025 wären immer noch durchschnittlich 11,04% der Briefe nicht fristgerecht angekommen (Subtraktion der Ergebnisse aus der vierten Spalte der genannten Tabelle und den Endergebnissen und Ziehung des Durchschnitts zwischen diesen drei Werten). 11 von 618 Briefen sind überhaupt nicht eingegangen, das entspricht 1,8%.
Zum weiteren Vorbringen wird auf die gewechselten Schriftsätze der Beteiligten verwiesen. Der Akteneinsichtsbeschluss datiert vom 11. März 2025. Die mündliche Verhandlung fand am 2. April 2025 statt.
II.
Der zulässige Antrag ist unbegründet. Der Antragsgegner durfte die Antragstellerin nach § 124 Abs. 1 Nr. 3 GWB vom Verfahren ausschließen. Aus der Funktion dieser Vorschrift als Auffangtatbestand ergeben sich Abgrenzungsprobleme zu anderen Regelungen in dieser Vorschrift, in diesem Fall zu § 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB, der bei einer Kündigung wegen Verletzung der Vertragsausführungsbedingungen gilt. § 124 Abs. 1 Nr. 3 GWB ist jedoch anwendbar, soweit bei der Frage, was eine "schwere Verfehlung" ist, die Wertungen des § 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB berücksichtigt werden (vgl. Opitz in: Beck'scher Vergaberechtskommentar § 124 Rz. 23). Der fakultative Ausschlussgrund nach Nummer 3 hat auch nach der Gesetzesbegründung eine Bedeutung als Auffangtatbestand, der neben den anderen fakultativen oder zwingenden Ausschlussgründen anwendbar sein kann, wenn deren Voraussetzungen nicht oder nur teilweise vorliegen (BT-Drucksache 18/6281, S. 105).
Über den Ausschluss eines Bewerbers oder Bieters vom Vergabeverfahren entscheidet nach § 124 GWB der Auftraggeber. Ihm steht ein Beurteilungsspielraum im Hinblick auf die Voraussetzungen des Angebotsausschlusses zu. Der Beurteilungsspielraum des Auftraggebers bei den unbestimmten Rechtsbegriffen des § 124 Abs. 1 GWB unterliegt auch einer eingeschränkten Kontrolle durch die Nachprüfungsinstanzen (Beck'scher Vergaberechtskommentar § 124 GWB Rz. 16). Nach den getroffenen Feststellungen war es zulässig, eine schwere Verfehlung im Sinne des Gesetzes anzunehmen.
Wenn § 124 Abs. 1 Nr. 3 GWB den Begriff der "Integrität des Unternehmens" aus dem Gemeinschaftsrecht übernimmt und ihn an die Stelle des bislang in den Vergabeordnungen verwendeten Begriffs der Zuverlässigkeit setzt, bedeutet dies nicht eine Verletzung rechtlicher Verpflichtungen. Die Verletzung muss nicht unbedingt Normen des Straf- oder Ordnungswidrigkeitenrechts betreffen (vgl. Beck'scher Vergaberechtskommentar § 124 Rz. 39). Nach der Gesetzesbegründung sollen auch Verstöße gegen besondere Bedingungen für die Ausführung eines Auftrags im Sinne von § 128 Abs. 2 GWB eine Verfehlung im Sinne von § 124 Abs. 1 Nr. 3 GWB begründen können (Opitz in: Beck'scher Vergaberechtskommentar § 124 GWB Rz. 42). Eine die Integrität in Frage stellende schwere Verfehlung kommt bei der Verletzung vertraglicher Pflichten (z.B. auch bei der Verletzung der Auftragsausführungsbedingungen bei früheren öffentlichen Aufträgen) in Betracht, wenn diese eine solche Intensität und Schwere aufweisen, dass der öffentliche Auftraggeber berechtigterweise an der Integrität des Unternehmens zweifeln darf. Das ist in aller Regel nicht der Fall, wenn es sich um "normale" vertragliche Beanstandungen handelt. Der Ausschluss darf keine Sanktion für alltägliche Probleme in der Vertragsabwicklung sein (vgl. Röwekamp/Kus/Portz/ Prieß § 124 GWB Rz. 38).
Die Integrität eines Unternehmens kann nur bei Pflichtverletzungen in Frage gestellt sein, die ein erhebliches Gewicht besitzen. Zum Teil wird vertreten, dass eine schwere Verfehlung den zwingenden Ausschlussgründen nahekommen muss. Dem ist aber schon deshalb nicht zu folgen, weil der Katalog der Straftaten, die zum zwingenden Ausschluss führen, selbst sehr unterschiedlich schwere Straftaten umfasst. In der Regel setzt eine schwere Verfehlung aber eine schuldhafte Pflichtverletzung mit nicht nur unerheblichen Auswirkungen voraus (Opitz in: Beck'scher Vergaberechtskommentar § 124 GWB Rz. 43). Entgegen der Annahme der Antragstellerin liegt in der Feststellung einer schweren Verfehlung, dass bestimmte Briefe nicht befördert wurden, falsch befördert wurden oder verspätet bei dem Adressaten eingetroffen sind, obwohl erhebliche Rechtsfolgen daraus resultieren, keine Verletzung des Beurteilungsspielraums.
Es kann dahinstehen, warum die Antragstellerin am 6. Dezember 2023 dem Finanzamt ... geschrieben hat, eine werktägliche Zustellung erfolge nicht und dies später dementierte. Auch wenn nur eine werktägliche Zustellung den Vertragsbedingungen entsprach, kann dieser Streitpunkt bei der Bewertung des Nachprüfungsantrags außer Acht gelassen werden. Denn auch die übrigen aktenkundigen Feststellungen rechtfertigen einen Ausschluss. Aus der Vergabeakte ist eine Vielzahl von Reklamationen ersichtlich, die nicht nur verspätete oder nicht erfolgte Sendung betrafen. Wegen der zu dieser Zeit geltenden Zustellungsfiktion der Abgabenordnung (AO), welche drei Tage betrug, wurden den betroffenen Steuerpflichtigen die Möglichkeiten, die Einlegung von Rechtsmitteln zu prüfen, verkürzt. Briefe eines Finanzamtes wurden mit dem Klischee einer gesetzlichen Krankenversicherung bedruckt. Ein Angehöriger der steuerberatenden Berufe fand die Post auf einem Fensterbrett im Außenbereich. Nennenswerte Rückläufe aufgrund mangelnder Zustellbarkeit und einiges mehr wurden dokumentiert. Die Beanstandungen von Betroffenen werden als real und glaubwürdig eingestuft. Es ist nicht lebensnah, dass eine Vielzahl von Menschen, die sich nicht kennen, sich auf gleichförmige Vorwürfe einigen.
Die Antragstellerin sieht die Vertragsverletzungen unter Bezugnahme auf die gesamte Beförderung quantitativ im Bagatellbereich und legt hierzu eine Zahl vor (Seite 12 des Schriftsatzes vom 1. April 2025: 0,0235% Reklamationsquote). Ihre Fehlerquoten seien tolerabel, da sie mit ihrem Leistungsniveau deutlich über dem Leistungsniveau anderer Anbieter liegen würden. Zudem würde die AO seit dem 1. Januar 2025 eine neue Zustellungsfiktion vorsehen, die nunmehr vier Tage nach der Aufgabe zur Post beträgt. Nach dem Testbriefverfahren von Oktober bis Dezember 2023, dessen Ergebnisse der Antragstellerin mitgeteilt worden sind, waren 20,39% der Briefe in den ausgewählten Bezirken nicht innerhalb von drei Tagen zugestellt worden. 1,8% sind nicht angekommen. Das ist eine Quote von einer Erheblichkeit über der Bagatellgrenze.
Dem Antragsgegner stand nach dem Wortlaut des Gesetzes ("können unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit", vgl. § 124 Abs. 1 Satz 1 GWB) auf der Rechtsfolgenseite ein Ermessen zu. Hierbei ist ihm kein Ermessensfehler, weder in Form eines Ermessensfehlgebrauchs noch in der Form eines Ermessensnichtgebrauchs unterlaufen. Eine Abwägung der Verhältnismäßigkeit muss auch die Zunahme der elektronischen Post berücksichtigen, wodurch immer weniger Papier-Post in immer größeren Arealen verteilt werden muss. Hieraus resultierende Schwierigkeiten auch bei anderen Anbietern sind den Mitgliedern der Kammer bekannt. Entscheidend für die Bewertung der Ermessensausübung durch den Antragsgegner war letztlich die Sensibilität der Sendungen. Die versandte Post eines Finanzamtes enthält Steuergeheimnisse und die Zustellungsfiktion setzt Rechtsmittelfristen in Gang mit der Folge, dass die Rechtsmittelfristen für die Betroffenen verkürzt sind. Dies sind alles Sachverhalte, die für einen Steuerpflichtigen im Falle eines Verstoßes sehr belastend sind. Bestimmend für die Reklamationsquote ist auch das jeweilige Temperament des betroffenen Bürgers oder Steuerberaters. Die Quote von Benachteiligten, die sich nicht beschweren, ist im Testbriefverfahren objektiver ermittelt.
Anders als von der Antragstellerin dargelegt, hat der Antragsgegner die Entscheidungsbefugnisse auch nicht in unzulässiger Form delegiert. Die vom Antragsteller zitierte Entscheidung des Oberlandesgerichts Frankfurt a.M. vom 17. Februar 2022, Az.: 11 Verg 8/21) betraf die Ausschreibung eines Rahmenvertrags, durch den sich ein privater Dienstleister gegenüber dem öffentlichen Auftraggeber verpflichtet, eine Vermittlungszentrale für hoheitlich veranlasste Abschleppdienstleistungen zu betreiben. Diese verstößt gegen § 97 I GWB, wenn der private Dienstleister ein Vermittlungsregister für Abschleppunternehmen führen soll und wenn er insoweit Auswahlentscheidungen treffen muss (u. darf), die ausschließlich dem öffentlichen Auftraggeber obliegen. Zur Entscheidung stand daher eine andere Sachverhaltskonstellation. Behörden und Einrichtungen des Landes MV (Bedarfsstellen) sind grundsätzlich zur zentralen Beschaffung über das LAiV verpflichtet, soweit ein in der Beschaffungsrichtlinie festgelegter Auftragswert überschritten wird. Gleichwohl sind Stellungnahmen von Bedarfsstellen einzuholen. Selbst in dem Fall, in dem eine Bedarfsstelle im Einzelfall durch ihre Formulierungen Argumente vorbringt, die thematisch zur Ermessensausübung gehören, ist dies unschädlich, so lange die Vergabestelle ihr Ermessen selbst ausübt. Dies war hier der Fall, wie sich aus dem Ausschlussschreiben vom 30. September 2024 ergibt.
Eine Anhörung zu den Tatsachen, auf die der Ausschluss gestützt wird, ist im Gesetz nicht angeordnet. Entgegen der Auffassung der Antragstellerin darf der Antragsgegner sein Ermessen auch auf neue oder später bekannt gewordene Tatsachen stützen (Opitz in: Beck'scher Vergaberechtskommentar § 124 GWB Rz. 22).
Liegt eine nachweislich schwere Verfehlung vor, ist eine darüber hinaus gehende, auf den konkreten Auftrag bezogene Prognose, ob das Unternehmen den Auftrag zuverlässig erfüllen wird, nicht mehr zu fordern. Der Auftraggeber trifft - unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes - nur noch die Ermessensentscheidung über den Ausschluss (Opitz in: Beck'scher Vergaberechtskommentar § 124 GWB Rz. 44). Der Ausschluss kann sich aber als unverhältnismäßig darstellen, wenn das Unternehmen zwischenzeitlich Maßnahmen der "Selbstreinigung" ergriffen hat. Hierbei gelten die Maßstäbe des § 125 GWB, die Ausprägungen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes sind (Opitz in: Beck'scher Vergaberechtskommentar § 124 GWB Rz. 20). Nach der Vergabeakte hat es umfangreiche Gespräche zwischen Antragstellerin und Antragsgegner sowie der Bedarfsstelle gegeben. In der Folge hat die Antragstellerin nach eigenen Angaben umfangreiche technische, organisatorische und personelle Maßnahmen ergriffen (Schreiben der Antragstellerin vom 14. August 2024). Diese haben jedoch nicht gegriffen (Schreiben der Bedarfsstelle vom 11. September 2024).
Die zum Zeitpunkt des Ausschlusses bereits beschlossene Änderung der AO, nach der die Zustellungsfiktion ab 1. Januar 2025 nicht mehr drei, sondern vier Tage betragen würde, spielt bei der Ermessensentscheidung im Rahmen von Verhältnismäßigkeitserwägungen eine besondere Rolle. Ein Ausschluss kann sich als unverhältnismäßig darstellen, wenn das Unternehmen Maßstäbe einhält, die - vom Tag des Ausschlusses aus gesehen - innerhalb eines überschaubaren Zeitrahmens als Gesetz in Kraft treten. Nach den Ergebnissen des Testbriefverfahrens wären selbst bei Zugrundelegung einer Zustellungsfiktion von vier Tagen ab Einlieferung der Post noch 11,04% der Sendungen nicht fristgerecht angekommen. Dies ist mit Blick auf die dargestellten Folgen für die betroffenen Steuerpflichtigen ebenfalls eine signifikante Größe außerhalb des Bagatellbereichs.
III.
Die Antragstellerin hat als unterlegene Partei die Kosten zu tragen. Für die Amtshandlungen der Vergabekammern werden nach § 182 Abs. 1 S. 1 GWB grundsätzlich Kosten (Gebühren und Auslagen) zur Deckung des Verwaltungsaufwandes erhoben. Nach § 182 Abs. 1 S. 2 GWB ist das Verwaltungskostengesetz - VwKostG - vom 23. Juni 1970 (BGBl. I S. 821) in der am 14. August 2013 geltenden Fassung anzuwenden. Es handelt sich hierbei um eine statische Verweisung auf eine Vorschrift in einer Fassung, die zwischenzeitlich außer Kraft getreten ist (Ziekow/Völlink § 182 GWB Rz. 4). Die Höhe der Gebühren wird in Anwendung der Gebührentabelle der Vergabekammern des Bundes auf Euro festgesetzt, weil die Angebotssumme zwischen 1.000.000,00 Euro und 2.000.000,00 Euro betrug.
Kosten für einen Verfahrensbevollmächtigten sind bei dem Antragsgegner nicht entstanden. Allgemeine Personalkosten, die einem Beteiligten entstanden sind, sind nicht erstattungsfähig. Für den Verlust an Zeit für die Abfassung und Begründung von Schreiben im Zusammenhang mit dem Verfahren kann ein Beteiligter keinen Ersatz verlangen, weil die allgemeinen Personalkosten für einen Mitarbeiter keinen konkreten Bezug zu einem bestimmten Nachprüfungsverfahren haben (Röwekamp/ Kus/Portz/Prieß § 182 GWB Rz. 40).
IV.
Gegen diese Entscheidung der Vergabekammer ist die sofortige Beschwerde zulässig. Sie ist schriftlich innerhalb einer Frist von zwei Wochen, die mit der Zustellung der Entscheidung beginnt, beim Oberlandesgericht Rostock, Wall straße 3, 1..8055 Rostock, einzulegen. Die sofortige Beschwerde ist zugleich mit ihrer Einlegung zu begründen. Die Beschwerdebegründung muss die Erklärung enthalten, inwieweit die Entscheidung der Vergabekammer angefochten und eine abweichende Entscheidung beantragt wird und die Tatsachen und Beweismittel angeben, auf die sich die Beschwerde stützt. Die Beschwerdeschrift muss von einem Rechtsanwalt unterschrieben sein. Das gilt nicht für Beschwerden juristischer Personen des öffentlichen Rechts.
Die sofortige Beschwerde hat aufschiebende Wirkung gegenüber der Entscheidung der Vergabekammer. Die aufschiebende Wirkung entfällt zwei Wochen nach Ablauf der Beschwerdefrist.
(VK Mecklenburg-Vorpommern Beschl. v. 14.4.2025 - 3 VK 12/24, BeckRS 2025, 28383 Rn. 38, beck-online)
Indikatives Angebot muss Mindestanforderungen einhalten!
Indikatives Angebot muss Mindestanforderungen einhalten!
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VK Mecklenburg-Vorpommern
Beschlus
vom 05.11.2025
3 VK 14/24
1. Ein indikatives Angebot kann je nach Ausschreibungsmodus verbindliche und unverbindliche Angaben enthalten. Soweit der Auftraggeber allerdings zwingende Anforderungen an die Angebote aufstellt, sind diese Anforderungen - dies gilt auch für indikative Angebote - zwingend zu beachten.
2. Maßgeblicher Beurteilungszeitpunkt für die Frage, ob ein Angebot von den Vergabeunterlagen abweicht, ist die Fassung des Angebots bei Ablauf der Abgabefrist. Bei Verhandlungsverfahren gilt dies wegen der Möglichkeit regelmäßig erst für das letztverbindliche Angebot, es sei denn, es handelt sich um zwingende Mindestanforderungen, die bereits im indikativen Angebot zu beachten sind.
3. Aus dem Umstand, dass der Inhalt der Angebote im Verhandlungsverfahren verhandelbar ist, folgt nicht, dass der Angebotsinhalt erst im Rahmen der Verhandlungen vom Bieter festgelegt werden kann.
VK Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 05.11.2025 - 3 VK 14/24
Tenor:
1. Der Antragsgegner wird verpflichtet, das Vergabeverfahren bei fortbestehender Beschaffungsabsicht unter Beachtung der Rechtsauffassung der Vergabekammer in den Stand vor Ausschluss des Angebots der Antragstellerin zurückzuversetzen und unter Einbeziehung der Antragstellerin fortzuführen.
2. Der Antragsgegner ist von den Gebühren befreit. Er trägt die Aufwendungen der Antragstellerin. Die Hinzuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten auf Seiten der Antragstellerin war notwendig.
Gründe:
I.
Der Antragsgegner schrieb am
im Wege des Verhandlungsverfahrens mit Teilnahmewettbewerb sechs Streifenboote See aus. Nach weiteren Verfahrensschritten hat die Antragstellerin am 28. August 2024 fristgerecht das streitbefangene Angebot abgegeben. Mit dem Angebot hat die Antragstellerin unter anderem die ausgefüllte Leistungsbeschreibung eingereicht. Nach Seite 4 der Bewerbungsbedingungen sollte mit dem Angebot ein unverbindlicher Generalplan eingereicht werden.
Mit Nachricht über das elektronische Vergabeportal vom 24. September 2024 bat der Antragsgegner um Aufklärung. Die Antragstellerin antwortete hierauf am 30. September 2024. Nachdem der Antragsgegner am 28. Oktober 2024 gemäß § 134 GWB mitgeteilt hatte, die Antragstellerin nach § 57 Abs. 1 Nr. 4 VgV ausgeschlossen zu haben, rügte die Antragstellerin dies mit Schreiben vom 30. Oktober 2024. Am 9. Dezember 2024 teilte der Antragsgegner mit, der Rüge nicht abhelfen zu wollen.
Mit Schriftsatz an die Vergabekammer vom 23. Dezember 2024 beantragt die Antragstellerin:
1.den Antragsgegner zu verpflichten, das Vergabeverfahren bei fortbestehender Beschaffungsabsicht unter Beachtung der Rechtsauffassung der Vergabekammer in den Stand vor Ausschluss des Angebots des Antragstellers zurückzuversetzen und unter seiner Einbeziehung fortzuführen,
2.der Antragstellerin Einsicht in die Vergabeakten zu gewähren,
3.die Hinzuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten auf Seiten der Antragstellerin für notwendig zu erklären und
4.dem Antragsgegner die Kosten des Verfahrens einschließlich der Kosten der zweckentsprechenden Rechtsverfolgung der Antragstellerin aufzuerlegen.
Hierzu trägt sie vor:
Der Ausschluss der Antragstellerin vom Vergabeverfahren sei rechtswidrig. Sie habe nicht nach § 57 Abs. 1 Nr. 4 VgV ausgeschlossen werden dürfen, weil sie die zu beschaffende Leistung angeboten habe. Insbesondere habe sie kein in sich widersprüchliches Angebot abgegeben.
Zum Frischwassertank:
Nach dem Leistungsverzeichnis war ein Frischwassertank mit einem Fassungsvermögen von 150 Litern vorgesehen. Im Angebot habe die Antragstellerin bei einer mit "A" gekennzeichneten Position, folglich einem Ausschlusskriterium, "Ja" angekreuzt. Die Antragstellerin habe somit die erforderliche Erklärung abgegeben und sie zudem eindeutig beantwortet. Die Erklärung könne nur so verstanden werden, dass die Antragstellerin bei den zu beschaffenden Booten einen Frischwassertank mit dem geforderten Volumen anbieten würde. Zwar habe sie einen Generalplan mit 200 Litern Fassungsvermögen für Frischwasser eingereicht. Der Generalplan sei aber veränderbar, der abschließende Generalplan sei erst nach erfolgter Auftragsvergabe vorzulegen.
Auf Nachfrage des Antragsgegners vom 24. September 2024 habe sie am 30. September 2024 geantwortet:
"Es ist ein Tank mit einem Bruttofassungsvermögen von 200 l vorgesehen. Die Sensoren können so eingestellt werden, dass der Maximum Level Alarm bei 150 l auslöst. Auf Wunsch kann der Kunststofftank aber auch baulich auf ein Volumen von 150 l brutto verkleinert werden."
Zum Fahrerstand:
Auch wegen ihres Angebotsinhaltes zum Fahrerstand hätte die Antragstellerin ihrer Ansicht nach nicht ausgeschlossen werden dürfen.
Nach dem Ausschlusskriterium A 5.3.5.2.1.1 sei der Fahrerstand wie folgt anzuordnen:
- Bb.-Seite großes Fahrpult für Fahrer,
- Stb.-Seite kleines Pult für Beifahrer.
Die Antragstellerin habe an dieser Stelle "Ja" angekreuzt. Damit bestätigte die Antragstellerin, dass diese Anforderung erfüllt werde. Dies sei - wie beim Tank - eine eindeutige Antwort, die nur so verstanden werden könne, dass die Antragstellerin bei den zu beschaffenden Booten den Fahrstand wie verlangt anbieten werde. Diese Angaben seien durch den Antragsgegner in unzulässiger Weise relativiert worden. Zwar sei das Fahrpult im Generalplan tatsächlich mittschiffs angeordnet. Auch im Hinblick auf den Fahrstand sollte der einzureichende Generalplan unverbindlich sein und könne deshalb nicht als Widerspruch zum verbindlichen Angebotsinhalt eingestuft werden.
Der Antragsgegner beantragt,
1.den Nachprüfungsantrag der Antragstellerin zurückzuweisen,
2.der Antragstellerin die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.
Hierzu trägt er vor:
Der Nachprüfungsantrag sei zulässig, aber unbegründet. Der Ausschluss des Angebotes der Antragstellerin sei rechtmäßig.
Zum Frischwassertank:
Die Vorgaben zum Frischwassertank seien in den Ausschreibungsunterlagen klar und unmissverständlich formuliert. Beide Beteiligten gingen davon aus, dass mit dem Fassungsvermögen eines Tanks der Bruttoinhalt (Überlaufvolumen) angegeben würde. Entgegen den Ausführungen in der Antragsschrift sei für den Antragsgegner nicht zweifelsfrei ersichtlich, welches Fassungsvermögen der von der Antragstellerin angebotene Frischwassertank tatsächlich habe. Die Angaben der Antragstellerin unter A.1.3.2.; A.1.3.2.1. und A.2.3.8.1. seien widersprüchlich. Der Widerspruch ließe sich auch nicht durch Auslegung aufklären oder auflösen. Da es sich bei diesem Kriterium um ein Ausschlusskriterium handeln würde, sei unklar, ob das Angebot der Antragstellerin vom 28. August 2024 die Voraussetzungen des Ausschlusskriteriums erfüllen würde.
Auch wenn es sich in diesem Fall um ein Verhandlungsverfahren handeln würde, war die nachweisliche Erfüllung aller Ausschlusskriterien bereits mit dem Erstangebot erforderlich, weil der Antragsgegner sich die Bezuschlagung auf das Erstangebot in den Vergabeunterlagen explizit vorbehalten habe. Zudem bedürfe die Aussage der Antragstellerin vom 30. September 2024 auf Nachfrage des Antragsgegners vom 24. September 2024 "Auf Wunsch kann der Kunststofftank auch baulich auf ein Volumen von 150 l brutto verkleinert werden." einer Rückäußerung durch den Auftraggeber. Eine solche Rückäußerung sei hier ausgeschlossen, da es sich um ein Ausschlusskriterium handele, welches bereits mit dem Angebot selbst zwingend erfüllt sein müsse. Es sei nicht klar gewesen, welches Fassungsvermögen der angebotene Frischwassertank gehabt habe. Dieser Widerspruch ließe sich auch nicht durch Aufklärung aufklären oder auflösen. Auf Nachfrage des Antragsgegners habe die Antragstellerin am 30. September 2024 hierzu geschrieben: "Auf Wunsch kann der Kunststofftank aber auch baulich auf ein Volumen von 150 l brutto verkleinert werden." Der Zusatz "auf Wunsch" beinhalte die Notwendigkeit einer Rückäußerung durch den Antragsgegner. Dies sei kein Angebot, dass mit einem "Ja" angenommen werden könne. Die von der Antragstellerin angebotene Leistung weiche deshalb hinsichtlich des Fassungsvermögens des Frischwassertanks von der Vorgabe des Ausschlusskriteriums ab.
Zum Fahrerstand:
Zulässigerweise habe der Antragsgegner in den Ausschreibungsunterlagen durch sein Leistungsbestimmungsrecht vorgegeben, dass das große Fahrpult für den Fahrer backbordseitig und das kleine Pult für den Beifahrer steuerbordseitig angeordnet werden müsse. Auch wenn es hier um ein Verhandlungsverfahren gehe, sei die nachweisliche Erfüllung aller Ausschlusskriterien bereits mit dem Erstangebot erforderlich. Dies begründe sich insbesondere dadurch, dass in den Vergabeunterlagen die Bezuschlagung auf das Erstangebot explizit vorbehalten worden sei. Das Angebot der Antragstellerin sei hinsichtlich der Anordnung des Fahrerstandes nicht eindeutig, sondern widersprüchlich. Es gebe Abweichungen zum Leistungsverzeichnis im Generalplan ausgeführte und im Konzept B 5 nach Nr. A.5.3.5.1.1 der Leistungsbeschreibung. Dieser Widerspruch ließe sich nicht aufklären oder auflösen. Mit Schreiben vom 24. September 2024 sei die Antragstellerin deshalb aufgefordert worden, anzugeben, wo das Fahrpult für den Fahrer und das Pult für den Beifahrer im Angebot angeordnet seien. In ihrer Antwort vom 30. September 2024 habe die Antragstellerin auf einen aktualisierten Generalplan verwiesen, bei dem der Stand für den Fahrer mittig angeordnet gewesen sei. Die Antragstellerin habe nicht eine geringfügige geänderte Anordnung vorgeschlagen, sondern eine zwingende Vorgabe missachtet.
Der Akteneinsichtsbeschluss datiert vom 15. Januar 2025. Der Antragsgegner hat mit Schriftsatz vom 6. Dezember 2024 auf eine mündliche Verhandlung verzichtet. Die Antragstellerin hat mit Schriftsatz vom 21. Januar 2025 erklärt, auf eine mündliche Verhandlung verzichten zu wollen, wenn sie auf einen Hinweis der Vergabekammer Gelegenheit zur Stellungnahme erhalte. Nach zwei Hinweisen der Vergabekammer, vom 27. Januar 2025 und ergänzend vom 7. Februar 2025 hat die Antragstellerin mit Schriftsatz vom 12. Februar 2025 weiter vorgetragen:
Zum Frischwassertank und zum Fahrerstand habe die Antragstellerin im Angebot eindeutig "Ja" angekreuzt. Dies könne nicht umgedeutet werden. Nach OLG Düsseldorf, Beschluss vom 29.06.2017 - VII Verg 7/17, NZBau 2017, 619 sei hier dann auf den Zeitpunkt des indikativen Angebots abzustellen, wenn der Auftraggeber eindeutig und unmissverständlich zwingende Mindestanforderungen aufgestellt habe. Dabei müsse sich zugleich aus den Vergabeunterlagen ergeben, dass die Mindestanforderungen bereits mit dem indikativen Angebot erfüllt sein müssen.
Der Antragsgegner hat daraufhin am 19. Februar 2025 vorgetragen:
Entgegen den Ausführungen der Antragstellerin in ihrem Schriftsatz vom 12. Februar 2025 genüge es hier nicht, mit dem Angebot jeweils ein Leistungsversprechen durch Ankreuzen von "Ja" unter A.1.3.2 und A.2.8.3.1, sowie A.5.3.5.2.1.1 der Leistungsbeschreibung abzugeben. Dies genüge deshalb nicht, weil wie aufgezeigt in den weiteren Teilen des Angebotes entgegenstehende Offerten enthalten seien, sowohl was das Fassungsvermögen des Frischwassertanks als auch die Anordnung der Pulte für den Fahrer und für den Beifahrer betreffe. Das Angebot sei insoweit nicht eindeutig und enthielte widersprechende sich gegenseitig ausschließende Offerten. Derartige Widersprüchlichkeiten bzw. Uneindeutigkeiten des Angebotes seien im Verhandlungsverfahren grundsätzlich folgenlos, weil hierüber noch regelmäßig Verhandlungen stattfinden, in denen dann die Widersprüchlichkeiten aufgelöst würden. Etwas Anderes gelte hier jedoch bezogen auf das Fassungsvermögen des Frischwassertanks als auch die Anordnung der Pulte für den Fahrer und für den Beifahrer, weil es sich um Mindestanforderungen bzw. Ausschlusskriterien handele. Diesbezüglich müsse hier das Erstangebot eindeutig sein und die Erfüllung der Mindestanforderungen bzw. Ausschlusskriterien zweifelsfrei aufzeigen und anbieten. Dies sei im Angebot der Antragstellerin vom 28. August 2024 nicht der Fall gewesen.
Weitere Einzelheiten zum Sachverhalt können den gewechselten Schriftsätzen entnommen werden.
II.
Der zulässige Antrag ist begründet. Die Antragstellerin hätte nicht nach § 57 Abs. 1 Nr. 4 VgV ausgeschlossen werden dürfen.
Der öffentliche Auftraggeber kann Aufträge im Verhandlungsverfahren mit Teilnahmewettbewerb oder im wettbewerblichen Dialog vergeben, wenn die Bedürfnisse des öffentlichen Auftraggebers nicht ohne die Anpassung bereits verfügbarer Lösungen erfüllt werden können (§ 14 Abs. 3 Nr. 1 VgV). Der Antragsgegner hat diese Verfahrensart gewählt. Es war zum Erstangebot ein Mindeststandard zu erklären. Dieser wurde erfüllt. Ein indikatives Angebot kann je nach Ausschreibungsmodus verbindliche und unverbindliche Angaben enthalten. Soweit der Auftraggeber allerdings zwingende Anforderungen an die Angebote aufstellt, sind diese Anforderungen - dies gilt auch für indikative Angebote (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 29. Juni 2017 Verg 7/17- ZfBR 2018, 89) - zwingend zu beachten.
Voraussetzung hierfür ist, dass die Mindestanforderungen - wie für alle Bereiche der Vergabeunterlagen erforderlich - eindeutig und unmissverständlich aufgestellt wurden (vgl. auch OLG Düsseldorf, Beschluss vom 3.3.2010 - VII-Verg 46/09, BeckRS 2016, 19890).
Dies war hier der Fall. Die Antragstellerin hat zwingende Mindestvoraussetzungen für ein ordnungsgemäßes Erstangebot erfüllt. Der Antragsgegner hat in seinen Bewerbungsbedingungen damit einen Mindeststandard festgelegt, den die Antragstellerin erfüllt hat. Die Antragstellerin hat in ihrem Erstangebot angeboten, was zwingend erforderlich war. In den Bewerbungsbedingungen heißt es zu Phase 2: "Die in der Leistungsbeschreibung festgelegten Mindestanforderungen (Ausschlusskriterien) und die im Leistungsverzeichnis aufgeführten Zuschlagskriterien sind nicht verhandelbar." Dort heißt es weiter: "Der Auftraggeber behält sich vor, den Zuschlag auf Basis der Erstangebote zu erteilen."
Ob das Angebot eines Bieters von den Vergabeunterlagen abweicht und diese damit »ändert«, ist durch Auslegung des Angebots gemäß §§ 133 und 157 BGB einschließlich sämtlicher Anlagen und Erläuterungen, etwaigen Datenblättern oder Konzepten etc. zu beurteilen. Maßgeblicher Beurteilungszeitpunkt ist die Fassung des Angebots bei Ablauf der Abgabefrist, da das Angebot bis zu diesem Termin noch zurückgezogen werden kann und der Bieter somit erst ab diesem Zeitpunkt gemäß § 145 BGB an sein Angebot gebunden ist. Bei Verhandlungsverfahren gilt dies wegen der Möglichkeit, den Angebotsinhalt in den nächsten Verhandlungsrunden noch zu verändern (§ 119 Abs. 5 GWB), regelmäßig erst für das letztverbindliche sog. »final offer«, es sei denn, es handelt sich - wie hier - um zwingende Mindestanforderungen, die bereits im indikativen Angebot zu beachten sind (vgl. Röwekamp/Kus/Marx/Portz/Prieß Kommentar zur VgV § 57 VgV Rz. 55).
Nach der Legende zur Leistungsbeschreibung bedeutet "A" = Ausschlusskriterium. "E" bedeutet Entscheidungsantwort und wird wie folgt erläutert: "Die Antwort muss entweder "Ja" oder "Nein" lauten. Mit einen "Ja" bestätigt der Bieter, dass die Anforderung erfüllt wird." Aus dem Umstand, dass der Inhalt der Angebote im Verhandlungsverfahren verhandelbar ist, folgt nicht, dass der Angebotsinhalt erst im Rahmen der Verhandlungen vom Bieter festgelegt werden kann (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 3. März 2010 - VII-Verg 46/09, BeckRS 2016, 19890).
Ob die Ausschreibungsunterlagen unklar waren, mit der Folge, dass Unklarheiten zu Lasten des Auftraggebers gehen, musste nicht mehr entschieden werden.
Der Bundesgerichtshof (BGH) hat für den Fall eines öffentlichen Bauauftrags entschieden, dass eine unklare Leistungsbeschreibung grundsätzlich nicht zu Lasten des Auftragnehmers geht (Urteil vom 12.09.2013, VII ZR 227/11). Nach dem OLG München (Urteil vom 30. November 2020, Verg 6/29) dürfen Bieter die Vergabeunterlagen auslegen, um den Willen des Auftraggebers zu ergründen. Verbleiben auch dann noch Unklarheiten und Widersprüche, so gehen diese zu Lasten des Auftraggebers. Noch nicht einmal dies ist für diesen Fall anzunehmen, weil die Mindestanforderungen hinreichend klar gekennzeichnet waren.
Zum Frischwassertank:
Mit der ausgefüllten Leistungsbeschreibung (Dateiname: 04_0_LB-Leistungsbeschreibung V2) hat die Antragstellerin an mehreren Stellen, unter A.1.3.2. und unter A.2.8.3.1 zugesagt, die Ausschlusskriterien zu erfüllen. Im Zweifelsfall gilt diese Erklärung. Alle anderen Erklärungen in dem Verfahren zum Frischwassertank waren nicht verbindlich. Die Darstellung im Generalplan war sowohl nach den Bewerbungsbedingungen (vgl. Seite 4 der Bewerbungsbedingungen, Version 2) als auch nach Nr. A.1.11.1 der Leistungsbeschreibung, der zu Folge ein abschließender Generalplan nach erfolgter Auftragsvergabe einzureichen ist, nicht verbindlich.
Zum Fahrerstand:
Darüber hinaus bestätigte die Antragstellerin im Angebot vom 28. August 2024 zwar durch Ankreuzen von "Ja" unter A.5.3.5.2.1.1 der Leistungsbeschreibung, dass das große Fahrpult für den Fahrer backbordseitig und das kleine Pult für den Beifahrer steuerbordseitig angeordnet wird. Dem Wortlaut des Leistungsverzeichnisses war deutlich zu entnehmen, dass auf dem Fahrstand auf der Backbord-Seite ein großes Fahrpult für den Fahrer und auf der Steuerbordseite ein kleines Fahrpult für den Beifahrer angeordnet werden soll. Die Anordnung des Fahrstandes war mit dem Buchstaben "A" gekennzeichnet. Dies bedeutet, dass es ein Ausschlusskriterium ist. Der Fahrstand war im Generalplan abweichend angeordnet. Danach befindet sich das große Fahrerpult für den Fahrer mittschiffs. Der Generalplan ist veränderbar und erst am Ende der Verhandlungen einzureichen (vgl. Seite 14 des Leistungsverzeichnisses, Referenz A.1.11.1., zur Unverbindlichkeit des Generalplans siehe auch Seite 4 der Bewerbungsbedingungen). In dem mit dem Angebot eingereichten Konzept B5 zur Referenz A.5.3.5.1.1 (Datei 05_Anlage 5 zur Leistungsbeschreibung _Beantwortung Fragenkatalog - ausgefüllt-) wird die Abweichung ebenso dargestellt, mit einem großen Fahrpult mittschiffs für den Fahrer.
Der Antragsgegner schildert zwar zutreffend, auf seine Nachfrage habe es keine klare Antwort der Antragstellerin gegeben, der zufolge Generalplan und das Konzept B5 an den Inhalt der Ausschlusskriterien angepasst würden. Ein Angebot ist eine empfangsbedürftige Willenserklärung, in der alle essentialia negotii so bestimmt oder zumindest bestimmbar sind, dass die Annahme durch ein schlichtes "Ja" möglich ist (Mansel in: Jauernig, § 145 BGB, Rz. 2). Zu den essenziellen Konsensfragen gehörten aber die durch den Antragsgegner bestimmten und als solche in der Leistungsbeschreibung gekennzeichneten Ausschlusskriterien. Dies kann sich nicht durch weitere Nachfragen des Auftraggebers im Laufe des Verfahrens ändern.
III.
Der Antragsgegner hat als unterlegene Partei nach § 182 Abs. 3 Satz 1 GWB die Kosten zu tragen. Für die Amtshandlungen der Vergabekammern werden nach § 182 Abs. 1 S. 1 GWB grundsätzlich Kosten (Gebühren und Auslagen) zur Deckung des Verwaltungsaufwandes erhoben. Nach § 182 Abs. 1 S. 2 GWB ist das Verwaltungskostengesetz - VwKostG - vom 23. Juni 1970 (BGBl. I S. 821) in der am 14. August 2013 geltenden Fassung anzuwenden. Für den Antragsgegner besteht eine Gebührenbefreiung nach § 8 Abs. 1 Nr. 2 Verwaltungskostengesetz.
Nach § 182 Abs. 4 Satz 1 GWB hat der Antragsgegner die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Antragstellerin zu erstatten. Die Hinzuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten durch die Antragstellerin war notwendig. Die Notwendigkeit dieser Hinzuziehung ist jeweils nach den individuellen Umständen des einzelnen Nachprüfungsverfahrens zu beurteilen. Grundsätzlich ist hierbei zunächst auf die spezifischen Besonderheiten des Vergabenachprüfungsverfahrens abzustellen. Es handelt sich um eine immer noch nicht zum (weder juristischen noch unternehmerischen) Allgemeingut zählende, auch aufgrund vielfältiger europarechtlicher Überlagerungen wenig übersichtliche und zudem steten Veränderungen unterworfene Rechtsmaterie, die wegen des gerichtsähnlich ausgestalteten Verfahrens bei der Vergabekammer bereits dort prozessrechtliche Kenntnisse verlangt (Krohn in: Burgi/Dreher Beckscher Vergaberechtskommentar § 182 GWB Rz. 45 m. w. N.). Eine Ausnahme kann vorliegen, sofern sich die zu behandelnde Materie auf einen einfach gelagerten Sachverhalt beschränkt (vgl. Röwekamp/Kus/Portz/Prieß § 182 GWB Rz. 36). Die Hinzuziehung ist im Regelfall als notwendig anzuerkennen (Röwekamp/Kus/Portz /Prieß § 182 GWB Rz. 36). Die hier zu behandelnden Rechtsfragen waren jedenfalls nicht ganz einfach gelagert, so dass die Hinzuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten notwendig war.
IV.
Gegen diese Entscheidung der Vergabekammer ist die sofortige Beschwerde zulässig. Sie ist schriftlich innerhalb einer Frist von zwei Wochen, die mit der Zustellung der Entscheidung beginnt, beim Oberlandesgericht Rostock, Wall straße 3, 1
8055 Rostock, einzulegen. Die sofortige Beschwerde ist zugleich mit ihrer Einlegung zu begründen. Die Beschwerdebegründung muss die Erklärung enthalten, inwieweit die Entscheidung der Vergabekammer angefochten und eine abweichende Entscheidung beantragt wird und die Tatsachen und Beweismittel angeben, auf die sich die Beschwerde stützt. Die Beschwerdeschrift muss von einem Rechtsanwalt unterschrieben sein. Das gilt nicht für Beschwerden juristischer Personen des öffentlichen Rechts.
Die sofortige Beschwerde hat aufschiebende Wirkung gegenüber der Entscheidung der Vergabekammer. Die aufschiebende Wirkung entfällt zwei Wochen nach Ablauf der Beschwerdefrist.
(VK Mecklenburg-Vorpommern Beschl. v. 25.2.2025 - 3 VK 14/24, BeckRS 2025, 28384 Rn. 36, beck-online)
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OLG Celle
Beschluss
vom 19.09.2025
13 Verg 7/25
1. Wenn in einem Oberschwellen-Vergabeverfahren für Postdienstleistungen, bei dem nach den Vergabeunterlagen eine Brutto-Angebotssumme unter Angabe der enthaltenen Umsatzsteuern anzubieten war, ein Bieter ein Angebot abgibt, bei dem er sich - anders als konkurrierende Bieter - auf seine Umsatzsteuerfreiheit für einen Teil der ausgeschriebenen Briefbeförderungsleistungen beruft, obliegt es der Vergabestelle im Rahmen der Angebotsprüfung (§ 56 VgV) festzustellen, ob die gesetzlichen Voraussetzungen der Umsatzsteuerfreiheit vorliegen.*)
2. Sind die Postdienstleistungen als Ende-zu-Ende-Briefbeförderung ausgeschrieben, dürfte es sich bei der Briefbeförderung auch dann umsatzsteuerrechtlich um eine einheitliche Leistung handeln, wenn ein Bieter die angebotene Briefbeförderung in der Weise ausführen will, dass er die Briefe vorsortiert bei einem Post-Universaldienstleister einliefert und diesen als Subunternehmer mit dem weiteren bundesweiten oder regionalen Versand - als Teilleistung gemäß § 54 Abs. 1 PostG - beauftragt.*)
3. Besteht zwischen einem Post-Universaldienstleister und einem Tochterunternehmen eine Organschaft gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG, können Post-Universaldienstleistungen, die das Tochterunternehmen im Auftrag seiner Kunden erbringt, indem sie diese von dem Universaldienstleister ausführen lässt, grundsätzlich der Umsatzsteuerfreiheit gemäß § 4 Nr. 11b UStG unterfallen.*)
4. Dabei ist für die Prüfung der Ausschlusstatbestände des § 4 Nr. 11b Satz 3 UstG auf das Auftragsverhältnis zwischen dem Tochterunternehmen und ihrem Auftraggeber abzustellen. Mithin kommt es darauf an, ob das Tochterunternehmen die Leistungen zu den durch die Bundesnetzagentur genehmigten Entgelten erbringt. Gewährt das Tochterunternehmen für Teilleistungen im Sinne des § 54 Abs. 1 PostG einen Mengenrabatt, müssen die hierfür nach der Entgeltgenehmigung erforderlichen Einlieferungsmengen durch die von dem jeweiligen Kunden versandten Briefe erreicht werden. Es genügt nicht, dass das Tochterunternehmen nach einer Konsolidierung mit den Briefen anderer Kunden insgesamt die jeweiligen Mindestmengen erreicht.*)
OLG Celle, Beschluss vom 19.09.2025 - 13 Verg 7/25
Tenor:
Es wird darauf hingewiesen, dass die sofortige Beschwerde und der Nachprüfungsantrag der Antragstellerin begründet sein dürften.
Die Antragsgegnerin mag - zur schnellen Erledigung des Nachprüfungsverfahrens und zur Vermeidung weiterer Kosten - erwägen, das Verfahren in den Stand vor der Angebotsprüfung zurückzuversetzen.
Gründe:
I.
Die Antragsgegnerin betreibt ein Vergabeverfahren für Postdienstleistungen. Die Antragstellerin wendet sich mit ihrem Nachprüfungsantrag gegen die beabsichtigte Zuschlagserteilung zu Gunsten der Beigeladenen, einer Tochtergesellschaft der Deutschen Post AG.
Für ihr Angebot trug die Beigeladene im elektronischen Preisblatt für jede ausgeschriebene Briefart jeweils unterschiedliche Umsatzsteuersätze von unter 19% ein. In einer Anlage zu ihrem Angebot erläuterte die Beigeladene, sie dürfe näher bezeichnete Teilleistungen der ausgeschriebenen Ende-zu-Ende-Briefbeförderung umsatzsteuerfrei erbringen, weil sie als Konsolidierungsunternehmen alle Sendungen zur Zustellung bei der Deutschen Post AG einliefere und Teil des Unternehmens Deutsche Post AG gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG sei. Demgegenüber unterlägen nur die postvorbereitenden Leistungen wie Abholung, Sortierung und ggf. Frankierung der Umsatzsteuer. In einer beigefügten Tabelle hatte die Beigeladene für jede Briefart die "Preisbestandteile ohne Umsatzsteuer für die Standardleistungen 'Teilleistungen' der Deutschen Post AG, entspricht dem Porto" mit einem Umsatzsteuersatz von 0%, die Preisbestanteile für ihre eigenen Dienstleistungen mit einem Umsatzsteuersatz von 19% sowie die daraus resultierenden "Stückpreise in Euro" mit jeweils unterschiedlichen Prozentsätzen für die "effektive Umsatzsteuer" angegeben. Im vorliegenden Beschwerdeverfahren hat die Beigeladene hierzu erklärt, sie habe die Teilleistungen auf Basis der von der Bundesnetzagentur genehmigten allgemeinen Tarife der Deutsche Post AG kalkuliert und angeboten. Zwar habe sie die Preise nicht direkt aus der genehmigten Preisliste entnommen. Es handele sich aber um das DPAG-Porto, das auf Basis ihres konkreten Leistungskonzepts anfalle. Das von der Deutschen Post AG erhobene Porto hänge davon ab, welche Rabatte diese der Beigeladenen im Einzelfall nach den jeweiligen Umständen (Einlieferung beim Briefzentrum Abgang oder Eingang, Sendungsmenge) gewähre. Die Beigeladene habe auf dieser Basis einen Mischpreis ermittelt. Nach ihrem Geschäftsmodell gebe sie die Rabatte, die sie für die von ihr gebündelten Sendungsmengen aller Kunden erziele, unvermindert weiter, auf die individuellen Sendungsmengen einzelner Kunden komme es dabei nicht an.
II.
Der Nachprüfungsantrag ist zulässig (§ 160 GWB), insbesondere ist die Antragstellerin mit ihrer Rüge - jedenfalls mit deren Kernpunkt - weder gemäß § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GWB noch gemäß § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 GWB präkludiert.
1. Die Vergabekammer ist insoweit zu Recht davon ausgegangen, dass die Antwort zur Bieterfrage Nr. 10 (der Beigeladenen) nur die formelle Zulässigkeit eines Angebots betrifft, bei dem Teilleistungen umsatzsteuerfrei angeboten werden sollen und das Angebot somit keinen einheitlichen Steuersatz von 19% aufweist. Die Antwort betrifft lediglich die Frage, wie das Angebot formell zu gestalten ist, wenn ein Bieter der Auffassung ist, Teilleistungen umsatzsteuerfrei erbringen zu dürfen. Weil das elektronische Vergabeblatt lediglich vorsieht, die Leistung zu einem einheitlichen Steuersatz anzubieten, hat die Antragsgegnerin gestattet, dass Bieter, die sich auf eine Umsatzsteuerfreiheit von Teilleistungen berufen wollen, dies mit Hilfe einer gesonderten Erläuterung darstellen.
Die Antragstellerin hat mit ihrer Beschwerdebegründung klargestellt, dass dieser formelle Aspekt nicht Gegenstand ihrer Rüge ist. Sie hat erklärt, Gegenstand ihrer Rüge sei nicht die Angebotsgestaltung mit Hilfe eines Beiblatts und dessen grundsätzliche Akzeptanz.
2. Die Rüge der Antragstellerin richtet sich dagegen, dass die Beigeladene sich zu Unrecht auf eine teilweise Umsatzsteuerfreiheit der angebotenen Postdienstleistungen berufe, ihr Angebot deshalb nicht - wie gefordert - den vollständigen Bruttopreis aufweise und daher von der Antragsgegnerin hätte ausgeschlossen werden müssen.
Insoweit ist die Antragstellerin nicht präkludiert, weil diese inhaltliche Prüfung der - erst noch einzureichenden - Angebote nicht Gegenstand der Antwort auf die Bieterfrage Nr. 10 war. Aus der maßgeblichen Sicht der Bieter hat die Antragsgegnerin mit ihrer Antwort nicht darüber entschieden, dass die Beigeladene umsatzsteuerrechtlich berechtigt sei, bestimmte Teilleistungen umsatzsteuerfrei zu erbringen. Es liegt aus Sicht der Bieter auf der Hand, dass die Antragsgegnerin sich nicht vorab festlegen wollte, inwiefern für die Beigeladene in Bezug auf bestimmte Teilleistungen ihres noch einzureichenden Angebotes tatsächlich eine Umsatzsteuerfreiheit bestehen könnte. Die inhaltliche Prüfung der eingereichten Angebote erfolgte erst in einer nachfolgenden Phase des Vergabeverfahrens. Mit der Antwort zur formellen Angebotsgestaltung war noch kein Präjudiz für die Annahme einer teilweisen Umsatzsteuersteuerfreiheit gemäß § 4 Nr. 11b UStG verbunden. Zudem muss ein bloß mögliches künftiges vergaberechtswidriges Verhalten nicht vorsorglich gerügt werden (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 30. Juni 2011 - VII-Verg 25/11). Daher war insoweit auch keine Rüge in Bezug auf die Antwort zu der Bieterfrage veranlasst.
III.
Der Nachprüfungsantrag dürfte auch begründet sein.
Die Vergabestelle hat bei der Angebotsprüfung - entgegen § 56 VgV - nicht geprüft, ob die Berechnung der anfallenden Umsatzsteuern im Angebot der Beigeladenen zutreffend ist und sich die Beigeladene zu Recht auf die teilweise Umsatzsteuerfreiheit der angebotenen Leistungen beruft.
1. Nach dem Leistungsverzeichnis war eine Brutto-Angebotssumme anzubieten, die sich aus der Summe der Nettopreise der einzelnen Positionen des Leistungsverzeichnisses zuzüglich der Umsatzsteuer ergibt, die sich aus dem bei den einzelnen Positionen jeweils einzutragenden Umsatzsteuersatz errechnet.
Dabei liegt aus der für die Auslegung der Vergabeunterlagen maßgeblichen Sicht der angesprochenen Bieter auf der Hand, dass der im Angebot enthaltene Umsatzsteuerbetrag den gesetzlichen Bestimmungen entsprechen muss (vgl. § 128 Abs. 1 GWB), damit sich kein Bieter durch eine gesetzeswidrige Verkürzung der Umsatzsteuern einen Wettbewerbsvorteil verschafft.
Insoweit kann dahingestellt bleiben, ob im Fall der Bezuschlagung eines Angebots mit zu niedrigen Umsatzsteuern der dann rechnerisch zu niedrige Bruttobetrag vertraglich maßgeblich wäre oder eine Auslegung des Vertrages unter Umständen ergeben könnte, dass der angebotene Nettopreis zzgl. der tatsächlich abzuführenden Umsatzsteuern maßgeblich wäre.
2. Es war daher von der Antragsgegnerin im Rahmen ihrer Angebotsprüfung gemäß § 56 VgV festzustellen, ob der ausgewiesene Umsatzsteuerbetrag zutreffend ermittelt worden ist. Ist dies nicht der Fall, ist das betreffende Angebot zwingend auszuschließen (§ 57 Abs. 1 Nr. 4 und 5 VgV), weil der Bieter die Vorgabe, seine Leistung mit der gesetzlichen Umsatzsteuer anzubieten, nicht eingehalten hat.
a) Der Begriff der "Änderung" der Vergabeunterlagen i.S.d. § 57 Abs. 1 Nr. 4 VgV ist weit auszulegen. Betroffen sind Abweichungen sowohl hinsichtlich der Leistungsinhalte (Änderung des Leistungsverzeichnisses bzw. der Leistungsbeschreibung) als auch in Bezug auf die Vertragsbedingungen. Es dürfen also weder in rechtlicher noch in technischer oder zeitlicher Hinsicht Abweichungen von den vorgegebenen Kalkulationsgrundlagen im Angebot enthalten sein (Gabriel/Krohn/Neun VergabeR-HdB/Haupt, 4. Aufl. 2024, § 29 Rn. 26, beck-online).
Das Angebot der Beigeladenen hätte insoweit besonderer Überprüfung bedurft, weil sie in das elektronische Preisblatt nicht den gesetzlichen Umsatzsteuersatz von 19% eingetragen hatte, sondern niedrigere, von ihr errechnete "effektive Steuersätze". Eine eingehende Prüfung war insbesondere im Hinblick auf den Grundsatz der Gleichbehandlung (§ 97 Abs. 2 GWB) geboten, weil die von der Antragstellerin angebotene Netto-Angebotssumme niedriger und das Angebot der Beigeladenen nur deshalb preisgünstiger war, weil sie bei der Bildung des für die Wertung maßgeblichen Bruttopreises von einer teilweisen Umsatzsteuerfreiheit ihrer Leistungen ausging.
Dabei sind die gesetzlichen Voraussetzungen der von der Beigeladenen geltend gemachten Umsatzsteuerfreiheit von der Vergabestelle vollständig zu prüfen. Entgegen der von der Vergabekammer des Bundes vertretenen Auffassung (vgl. Beschluss der 2. Vergabekammer des Bundes vom 16.06.2025 - VK 2 - 39/25) erstreckt sich diese Prüfung auch auf den Ausschlusstatbestand des § 4 Nr. 11b Satz 3 UStG. Die Vergabekammer des Bundes hat in diesem Zusammenhang ausgeführt, der öffentliche Auftraggeber dürfe sich auf die Bescheinigung des Bundeszentralamtes für Steuern verlassen. Diese Bescheinigung gemäß § 4 Nr. 11b Satz 2 UstG betrifft jedoch nicht die Frage, ob für die einzelnen Leistungen die Voraussetzungen des Ausschlusstatbestandes vorliegen. Dass die spätere Umsatzsteueranmeldung von den Finanzämtern geprüft werden wird, entbindet die Antragsgegnerin - jedenfalls nach den hier vorliegenden Vergabebedingungen - ebenfalls nicht von der Prüfung der Frage, ob ein gesetzeskonformes Angebot vorliegt.
3. Die erforderliche Angebotsprüfung hat die Antragsgegnerin nicht vorgenommen.
a) Zwar hat die Antragsgegnerin zu Recht nicht schon aus formellen Gründen beanstandet, dass die Beigeladene die nach ihrer Auffassung umsatzsteuerfreien Bestandteile der angebotenen Leistung in einer Anlage zum Angebot gesondert auswies und für die angebotenen Positionen des Leistungsverzeichnisses - entgegen der ursprünglichen Intention der Antragsgegnerin - einen "effektiven Steuersatz" errechnete, den sie in das elektronische Preisblatt eintrug.
Wenn die Auffassung der Beigeladenen zur teilweisen Umsatzsteuerfreiheit der angebotenen Leistung zuträfe, war dies in dem Angebot zu berücksichtigen, wie sich auch aus der Antwort der Antragsgegnerin auf die Bieterfrage Nr. 10 ergibt. Wegen der Beschränkungen des elektronischen Preisblatts, bei dem die Steuerfreiheit von Teilleistungen nicht vorgesehen war, konnte die Beigeladene dies nur durch die Eintragung eines - fiktiven - "effektiven Steuersatzes" umsetzen, der sich aus dem Verhältnis der für den umsatzsteuerbefreiten Leistungsteils anfallenden Umsatzsteuern zu dem angebotenen Netto-Einzelpreis ergibt.
b) Die Antragsgegnerin hat aber - unter Verstoß gegen § 56 VgV - keine inhaltliche Prüfung der geltend gemachten teilweisen Umsatzsteuerfreiheit gemäß § 4 Nr. 11b UStG vorgenommen.
c) Die fehlende Prüfung kann sich selbst dann auf das Vergabeverfahren ausgewirkt haben, wenn man mit der Beigeladenen davon ausginge, dass eine teilweise Umsatzsteuerfreiheit der angebotenen Leistungen grundsätzlich in Betracht käme. Denn auf der Grundlage der von der Beigeladenen insoweit vertretenen Rechtsauffassung wäre ihr Angebot jedenfalls nicht prüffähig.
Die von der Beigeladenen als umsatzsteuerfreie Preisbestandteile angegebenen Preise für Teilleistungen der Deutschen Post AG entsprechen nicht den Preisen, die in den Beschlüssen der Bundesnetzagentur zur Genehmigung von Entgelten der Deutschen Post AG vom 11. Dezember 2024 (Anlage A 11, Bl. 272 ff. VergK-A) und vom 29. April 2025 für die Teilleistungen Basis bzw. ID, bundesweiter und regionaler Versand, aufgeführt sind. In dem Angebot der Beigeladenen wird nicht erläutert, woraus sich die von ihr angegebenen Teilleistungspreise ergeben. Nach ihrem Vorbringen im vorliegenden Nachprüfungsverfahren hat die Beigeladene aus den genehmigten Teilleistungsentgelten für bundesweiten und regionalen Versand eigene "Mischpreise" gebildet. Von welchen Anteilen für bundesweit bzw. regional zuzustellende Briefe sie dabei ausgegangen ist und welche Sendungsmengen sie jeweils angenommen hat, ergibt sich nicht aus der dem Angebot beigefügten Aufstellung.
4. Gemäß § 178 Satz 2, § 168 Abs. 1 GWB wird der Antragsgegnerin daher antragsgemäß zu untersagen sein, den Zuschlag auf das Angebot der Beigeladenen zu erteilen. Das Verfahren wird bei fortbestehender Beschaffungsabsicht in den Stand vor Prüfung der Angebote zurückzuversetzen sein.
5. Unabhängig von der Frage, ob die Beigeladene die für eine Prüfung der Umsatzsteuerfreiheit - auf der Grundlage ihrer Rechtsauffassung - erforderlichen Angaben (s.o. Nr. 3. c)) noch nachholen könnte, dürfte ihr Angebot auszuschließen sein, weil die gesetzlichen Voraussetzungen für eine teilweise Umsatzsteuerfreiheit der angebotenen Leistungen nicht vorliegen dürften.
a) Bei der insoweit maßgeblichen Regelung des § 4 Nr. 11b UStG ist es durch das Postrechtsmodernisierungsgesetz indirekt zu einer Änderung gekommen. Bislang waren die von Konsolidierern an die Deutsche Post AG zu zahlenden Entgelte aufgrund der diesen gewährten Rabatte (günstigere Preise als die genehmigten Entgelte für Standardbriefe) nicht umsatzsteuerfrei. Weil diese Teilleistungen (§ 54 Abs. 1 PostG) aber nun zu den Universaldienstleistungen zählen (§ 16 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 PostG), gibt es jetzt auch für diese Teilleistungen von der Bundesnetzagentur genehmigte Entgelte (s. Beschlüsse der Bundesnetzagentur zur Genehmigung von Entgelten der Deutschen Post AG vom 11. Dezember 2024 und vom 29. April 2025). Wenn diese nicht unterschritten werden und kein anderer Ausschlusstatbestand eingreift, besteht nun auch für diese Teilleistungen der Deutschen Post AG Umsatzsteuerfreiheit.
In der Literatur wird in Frage gestellt, ob diese Neuregelung zur Steuerfreiheit von Teilleistungen, die den besonderen Interessen bestimmter Wirtschaftsteilnehmer dienen, mit Art. 132 Abs. 1 a) der Mehrwertsteuer-System-RL vereinbar ist, wonach von öffentlichen Posteinrichtungen erbrachte Dienstleistungen und dazugehörende Lieferungen von Gegenständen als "dem Gemeinwohl dienende Tätigkeiten" (Kapitelüberschrift) von der Umsatzsteuer zu befreien sind (vgl. Sölch/Ringleb/Schüler-Täsch, 104. EL Juni 2025, UStG § 4 Nr. 11b Rn. 8, beck-online; Ulmenstein, MwStR 2024,588).
Diese Frage kann im Streitfall aber dahingestellt bleiben, wenn auch nach nationalem Recht keine Umsatzsteuerfreiheit besteht.
b) Fraglich ist schon, ob sich die Beigeladene auf eine teilweise Umsatzsteuerfreiheit berufen kann, soweit sie zur Ausführung des Auftrags Teilleistungen bei der Deutschen Post AG beauftragt. Dies kommt nur in Betracht, wenn die jeweilige Teilleistung umsatzsteuerrechtlich eine eigenständige Leistung im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG darstellt.
aa) Grundsätzlich ist jede Leistung als eigenständige Leistung zu behandeln. Werden einem Leistungsempfänger von einem Unternehmer mehrere Lieferungen und/oder sonstige Leistungen erbracht, sind diese daher umsatzsteuerlich getrennt als mehrere selbstständige Leistungen zu behandeln. Andererseits dürfen einheitliche Leistungsvorgänge eines Unternehmers umsatzsteuerrechtlich nicht künstlich aufgespalten werden, wenn sie wirtschaftlich zusammengehören und ein einheitliches Ganzes bilden, weil die einzelnen Leistungselemente so eng miteinander verbunden sind, dass sie objektiv eine einzige untrennbare wirtschaftliche Leistung bilden, deren Aufspaltung wirklichkeitsfremd wäre (BeckOK UStG/Peltner, 45. Ed. 30.6.2025, UStG § 1 Rn. 52, 53, m.w.N. zur EuGH-Rspr.). Für die Beurteilung ist auf die Sicht des Durchschnittsverbrauchers abzustellen (Nr. 3.10 Umsatzsteuer-Anwendungserlass (UStAE)).
Der Bundesfinanzhof hat im Fall eines Spar-Menüs entschieden, dass es sich bei der Ausgabe von Speisen und Getränken um zwei selbständige Lieferungen handele (BFH, Urteil vom 22. Januar 2025 - XI R 19/23 -, Rn. 27). Dies ergebe sich bei der erforderlichen Gesamtbetrachtung schon daraus, dass der Kunde die Wahl habe, entweder nur eine Speise oder nur ein Getränk oder eine Kombination aus beiden als Menü zu erwerben. Jeder der Bestandteile hat danach für ihn einen eigenen Zweck und ist daher keine Nebenleistung. Daraus ergebe sich, dass beide Bestandteile nicht so eng miteinander verbunden seien, dass objektiv eine einzige untrennbare wirtschaftliche Leistung vorliegt (BFH aaO).
bb) Im Streitfall dürfte es sich danach bei der angebotenen Briefbeförderung um eine einheitliche Leistung im Sinne des Umsatzsteuerrechts handeln.
Aus der maßgeblichen Sicht der Antragsgegnerin kommt es allein auf die ausgeschriebene Ende-zu-Ende-Briefbeförderung an. Für sie ist ohne Belang, inwiefern die Bieter - je nach Geschäftsmodell - alle Bestandteile der Leistung selbst erbringen oder Teile davon durch Subunternehmer ausführen lassen. Wirtschaftlich kommt es der Antragsgegnerin auf die - auch so einheitlich ausgeschriebene - vollständige Leistungserbringung an; die einzelnen Bestandteile als solche sind für sie nicht von Interesse. Anders als bei der o.g. Sparmenü-Entscheidung des Bundesfinanzhofs bietet die Beigeladene auch nicht die Möglichkeit an, einzelne Leistungsbestandteile separat zu erbringen. Die Konsolidierungsleistungen dienen der Beigeladenen nur dazu, die eigentliche Briefbeförderung - gebündelt mit den Briefen ihrer anderen Kunden - durch die Deutsche Post AG als Subunternehmerin zu deren rabattierten Entgelten erbringen zu lassen. Dies betrifft aber nur Interna der Beigeladenen bei der Auftragserfüllung. Eine Aufspaltung in Einzelleistungen ist nicht Gegenstand des Auftrags, der einheitlich nach den von der Antragsgegnerin vorgegebenen Vertragsbedingungen zu erbringen ist.
c) Selbst wenn die weitere Briefbeförderung ab Einlieferung bei der Deutschen Post AG als gesonderte Leistung im Sinne von § 1 UStG anzusehen wäre, lägen insoweit aber jedenfalls die Voraussetzungen der Umsatzsteuerfreiheit nicht vor.
aa) Zwischen der Beigeladenen und der Deutschen Post AG besteht zwar eine Organschaft gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG. Beide sind deshalb umsatzsteuerrechtlich als ein Unternehmen zu behandeln. Die von der Beigeladenen bei der Deutschen Post AG im eigenen Namen beauftragten Teilleistungen (§ 16 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 54 Abs. 1 PostG) unterfallen daher als Universaldienstleistungen der Umsatzsteuerfreiheit gemäß § 4 Nr. 11b UStG, soweit es sich um separate Leistungen handelt und kein Ausschlusstatbestand gemäß § 4 Nr. 11b Satz 3 UstG eingreift, sodass die Beigeladene sie ihren Kunden umsatzsteuerfrei in Rechnung stellen dürfte.
bb) Im Streitfall ist die Umsatzsteuerfreiheit jedoch gemäß § 4 Nr. 11b Satz 3 UStG ausgeschlossen. Im Ergebnis gilt die Umsatzsteuerfreiheit nicht, wenn die Universaldienstleistungen zu von den AGB der Deutschen Post AG abweichenden Qualitätsbedingungen oder zu günstigeren als den genehmigten Entgelten angeboten werden. Dies ist hier der Fall.
(1) Die Einhaltung dieser Voraussetzungen ist in Bezug auf die von der Beigeladenen gegenüber der Antragsgegnerin angebotenen Leistungen zu prüfen. Dies sind die Leistungen, deren Umsatzsteuerfreiheit festzustellen ist. Zu welchen Preisen die Deutsche Post AG im Innenverhältnis gegenüber der Beigeladenen abrechnet, ist aufgrund der Organschaft umsatzsteuerrechtlich ohne Belang.
Mithin kommt es - entgegen der Auffassung der Beigeladenen - darauf an, ob sie der Antragsgegnerin die Teilleistungen zu den genehmigten Entgelten anbietet. Das ist schon deshalb nicht der Fall, weil die Antragsgegnerin nach den Ausschreibungsbedingungen - bei Weitem - nicht die für eine Rabattgewährung nach der Entgeltgenehmigung erforderlichen Einlieferungsmengen erreicht.
Es ist nichts dafür ersichtlich, dass der Gesetzgeber eine Umsatzsteuerfreiheit auch dann gewähren wollte, wenn ein Konzernunternehmen der Deutschen Post AG von Kunden mit Briefbeförderungen beauftragt wird, die die nach der Entgeltgenehmigung für eine Rabattgewährung erforderlichen Sendungsmengen nicht erreichen. Dies entspräche weder dem Wortlaut der Regelung noch der gesetzlichen Systematik bei einer Organschaft. Aufgrund der Organschaft sind die Beigeladene und die Deutsche Post AG umsatzsteuerrechtlich als Einheit anzusehen. Es kann daher bei der Beurteilung der Umsatzsteuerpflichtigkeit einer Leistung nur auf diejenige Leistung ankommen, die zwischen den Parteien der Leistungsbeziehung vereinbart ist. Hingegen ist insoweit ohne Belang, nach welchen Bedingungen sich die Beigeladene - innerhalb der Organschaft - der Deutschen Post als Subunternehmerin bedient. Es gilt insoweit nichts anderes, als wenn die Deutsche Post AG diese Leistungen selbst gegenüber der Antragsgegnerin erbrächte; auch dort käme es nur darauf an, welche Sendungsmengen die Antragsgegnerin befördern ließe.
Darüber hinaus sind die Vertragsbedingungen des Angebots der Beigeladenen - unter Berücksichtigung der nach den Vergabeunterlagen maßgeblichen Leistungsbeschreibung und der AGB der Antragsgegnerin - in einer Vielzahl von Punkten hinsichtlich der Qualitätsbedingungen nicht identisch mit den AGB der Deutschen Post AG, zu denen diese ihre Teilleistungen gegenüber der Beigeladenen erbringt. Dies betrifft insbesondere auch das von der Antragsgegnern geforderte Qualitätsmanagement mit einem Nachweisverfahren / einer Dokumentation (Nr. 7 der Leistungsbeschreibung) sowie die geforderte gesetzliche Haftung (Nr. 5 g), die in den AGB der Post teilweise abbedungen ist.
(2) Auch dann, wenn man - zu Unrecht - darauf abstellte, dass die Beigeladene ihren Kunden die rabattierten Entgelte, die ihr die Deutsche Post AG berechnet, umsatzsteuerfrei weiterberechnen darf, obwohl die Kunden selbst die Mindestmengen nicht erreichen, würden die Preise aufgrund der Mischkalkulation der Beigeladenen von den genehmigten Entgelten abweichen.
Anders als es die genehmigten Teilleistungsentgelte der Deutschen Post AG vorsehen, die zwischen der regionalen und der bundesweiten Briefbeförderung unterscheiden, bietet die Beigeladene - auf der Grundlage einer eigenen Mischkalkulation für beide Briefarten - einen einheitlichen Preis je Brief an, der unter dem Preis liegt, den sie selbst der Deutschen Post AG für die bundesweite Zustellung zu zahlen hat. Die in dem Angebot enthaltene Teilleistung Zustellung ist aufgrund dieser Mischkalkulation für einen bundesweiten Brief auch dann günstiger als das genehmigte Teilleistungsentgelt, wenn man auf die erhöhte Briefmenge abstellt, die die Beigeladene bei der Deutschen Post AG einliefert.
Es kommt hinzu, dass die Antragsgegnerin im Rahmen der Ausschreibung keine Zusagen gemacht hat, dass ein bestimmter Mindestanteil der Briefe regional zuzustellen ist. Es ist daher nicht auszuschließen, dass der Anteil der bundesweit zuzustellenden Briefe höher ausfallen kann, als die Beigeladene in ihrer nicht offen gelegten Kalkulation unterstellt hat.
(3) Die vom Finanzamt ... erteilte Auskunft vom 5. Dezember 2024 (Anlage Bgl 2) steht dieser Beurteilung nicht entgegen. Sie ist von der Beigeladenen schon nicht wirksam in das Verfahren eingeführt worden, weil sie - auch auf Hinweis des Senats auf den nicht gegebenen Geheimnisschutz - daran festgehalten hat, dass die Unterlage der Antragstellerin nicht bekannt gegeben werden dürfe. Darüber hinaus betrifft die Auskunft, die vor der maßgeblichen Entgeltgenehmigung der Bundesnetzagentur erteilt wurde, nicht den Sachverhalt des Streitfalls und sie enthält keine eigenen inhaltlichen Ausführungen. Es ist daher auch fraglich, inwiefern die pauschale Bestätigung des Finanzamts sich auf die konkrete Problematik des Streitfalls erstrecken würde. Darüber hinaus dürfte die Auskunft ohnehin keine Rechtsbindung bewirken.
(4) Hinsichtlich der angebotenen Einwurf-Einschreiben hat die Beigeladene auf Nachfrage des Senats eingeräumt, dass sie einen Preis angeboten hat, den sie - anders als verlangt - nur auf der Grundlage des genehmigten Entgelts für die "Zusatzleistung" Einschreiben kalkuliert hat, ohne das daneben immer anfallende Beförderungsentgelt für den Brief zu berücksichtigen.
Insoweit kann sich die Beigeladene nicht auf die Umsatzsteuerfreiheit für genehmigte Entgelte berufen, weil sie für die Gesamtleistung ein günstigeres Entgelt anbietet als genehmigt. Ob die Beigeladene ihr Angebot insoweit nach Maßgabe des § 57 Nr. 5 VgV berichtigen könnte, kann dahingestellt bleiben, wenn das Angebot schon aus den vorstehend aufgeführten Gründen auszuschließen ist.
Gleiches gilt für die Frage, ob - wie die Beigeladene meint - die in der Genehmigung der Bundesnetzagentur aufgeführte Entgeltermäßigung von 1% für Absenderfreistempelung bzw. DV-Freimachung auch in Bezug auf die Zusatzleistung Einschreiben gilt oder - was aus Sicht des Senats näher liegen dürfte - nur für das Entgelt für die Briefbeförderung.
(7) Ergänzend wird vorsorglich darauf hingewiesen, dass unklar erscheint, was die Beigeladene für den Fall anbieten wollte, dass es bei der für sie als Subunternehmerin tätigen Deutschen Post AG zu Entgelterhöhungen kommt.
Es dürfte sich hierbei nicht um "gesetzliche oder andere formale Gegebenheiten" handeln, bei denen nach der Antwort der Antragsgegnerin auf die Bieterfrage der Beigeladenen eine nachträgliche Preisanpassung möglich sein sollte. Vielmehr handelt es sich um eine Kostenänderung, die - wie auch bei anderen Bietern in Bezug auf deren Subunternehmer - in den Risikobereich des jeweiligen Bieters fällt. Eine einseitige Bevorzugung des Geschäftsmodells der Beigeladenen durch ein spezielles Preisanpassungsrecht würde nicht dem Gleichbehandlungsgrundsatz entsprechen. Wie andere Bieter muss die Beigeladene eine mögliche Erhöhung ihrer Kosten bereits bei der Angebotskalkulation berücksichtigen.
Wenn somit nicht von einem Preisanpassungsrecht bei Entgelterhöhungen der Deutschen Post AG auszugehen ist, dürfte das Angebot der Beigeladenen dahin auszulegen sein, dass sie sich - ausschreibungskonform - kein solches Preisanpassungsrecht vorbehalten wollte. Selbst unterstellt, die umsatzsteuerfrei angebotenen Teilleistungspreise entsprächen initial den genehmigten Preisen, würden sie bei einer genehmigten Preiserhöhung der Deutschen Post AG deren dann geltende Teilleistungsentgelte unterschreiten, sodass die Beigeladene auch aus diesem Grund nicht für die gesamte Vertragslaufzeit eine Umsatzsteuerfreiheit in Bezug auf die ausgewiesenen Teilleistungspreise anbieten kann.
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VK Mecklenburg-Vorpommern
Beschluss
vom 07.11.2024
3 VK 9/24
1. Das Unterbleiben einer angekündigten Änderungsbekanntmachung stellt (hier) keinen Vergabeverstoß dar.
2. Bieter haben keinen vergaberechtlichen Anspruch auf "Verschärfung" festgelegter Eignungskriterien.
3. Eigenerklärungen sind vom Bieter nur dann eigenhändig zu unterzeichnen, wenn der öffentliche Auftraggeber dies (vergaberechtskonform) fordert.
4. Zur Wahrung der Textform genügt bei juristischen Personen deren Bezeichnung. Die Angabe auch des Namens einer natürlichen Person ist nicht erforderlich.
VK Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 07.11.2024 - 3 VK 9/24
Tenor:
1. Der Antrag wird zurückgewiesen.
2. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens. Sie trägt die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Antragsgegnerin. Die Hinzuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten durch die Antragsgegnerin war notwendig.
3. Die Gebühr der Vergabekammer wird auf Euro festgesetzt.
Gründe:
I.
Mit Bekanntmachung vom schrieb die Antragsgegnerin eine Rahmenvereinbarung über eine Prozessunterstützung im Kundenservice mit einem Höchstwert von Euro aus. Die Antragsgegnerin hat sich mit Angebot vom 18. Juli 2024 am Verfahren beteiligt. Am 6. August 2024 unterrichtete die Antragsgegnerin die Antragstellerin nach § 134 Abs. 1 GWB über ihre Absicht, den Zuschlag auf das Angebot der Beigeladenen zu erteilen, und zwar am 19. August 2024. Zur Begründung wurde angeführt:
"Ihr Angebot soll aus folgenden Gründen nicht berücksichtigt werden:
Auf Ihr Angebot kann der Zuschlag nicht erteilt werden, weil Sie nicht das wirtschaftlichste Angebot abgegeben haben (§ 58 Abs. 1 VgV).
Es liegt ein wirtschaftlicheres Hauptangebot vor.
Hierfür sind im Einzelnen folgende der in der Bekanntmachung oder den Vergabeunterlagen genannten Kriterien maßgebend:
- Preis
- Qualität (Konzept)
Erläuterungen: Es liegt ein niedrigeres Hauptangebot vor."
Am 12. August 2024 hat die Antragstellerin folgende Vergaberechtsfehler gerügt:
(1.) Bei Rahmenvereinbarungen habe der Auftraggeber in der Bekanntmachung die Schätzmenge/ den Schätzwert sowie die Höchstmenge/ den Höchstwert der zu liefernden Waren bzw. der zu erbringenden Dienstleistungen anzugeben. Hier erfolgten zwar Angaben zum Höchstwert, nicht jedoch zum geschätzten Auftragsumfang und zum Auftragsinhalt. Während des laufenden Vergabeverfahrens seien erhebliche Änderungen an den Vergabeunterlagen vorgenommen worden, die dann in der Version 2 hochgeladen wurden. Es sei der Hinweis erteilt worden, dass sich der Auftragswert um 30% erhöht habe; es sei eine Änderungsbekanntmachung in Aussicht gestellt worden. Diese sei dann jedoch nicht erfolgt.
(2.) Das Qualitätszuschlagskriterium "Vertragserfüllungskonzept" genüge nicht dem Transparenzgebot.
(3.) Der Mitbewerber sei von der Wertung auszuschließen gewesen, da er die mit dem Preisblatt geforderten Preise nicht angegeben hat. Seine tatsächlichen Preise habe er vielmehr im Rahmen einer Mischkalkulation auf andere Positionen umgelegt. Das Zuschlagskriterium Preis sei so aufgestellt worden, dass der Zuschlag nicht (oder allenfalls zufällig) auf das wirtschaftlichste Angebot erfolgen wird, weil bei der (Haupt-) Position 9 evident unrealistische Stunden zugrunde gelegt würden (in Wirklichkeit werden ca. 80fach so viele Stunden anfallen, als bei der Bewertung zu Grunde gelegt).
Der Antragstellerin sind am 13. August 2024 per E-Mail die von ihr erreichten Punkte mitgeteilt worden. Am 14. August 2024 wies die Antragsgegnerin die Rügen unter Angabe von Gründen zurück. Mit weiterem Rügeschreiben vom 16. August 2024 rügte die Antragstellerin
(4) Die Angaben auf Seite 8-10 der Verfahrensbedingungen seien unrichtig und intransparent, da mathematisch die dort dargestellte Punkteberechnung nicht aufgehen würde. Es würde nicht transparent dargestellt, nach welcher Formel die Punkte der Bieter ermittelt werden, die nicht den geringsten Preis angeboten haben.
(5) Nach § 122 GWB und § 42 Abs. 1 VgV habe der öffentliche Auftraggeber die Eignung der Bewerber bzw. Bieter anhand der nach § 122 GWB festgelegten Eignungskriterien und das Nichtvorliegen von Ausschlussgründen nach den §§ 123 und 124 GWB sowie etwaiger Selbstreinigungsmaßnahmen nach § 125 GWB zu überprüfen, vorliegend hätten die Vergabeunterlagen jedoch keine Eignungsanforderungen enthalten.
(6) Der vom Bestbieter angebotene Preis sei ungewöhnlich niedrig im Sinne des § 60 VgV. Aus der mitgeteilten Preis-Punktevergabe ergebe sich, dass der Bestbieter den vergaberechtlichen Mindestlohn nach TVg M-V nicht einhalten werde.
Auf die Rügen (4) - (6) sei bislang keine Antwort eingegangen. Nach der Akteneinsicht trägt sie mit Schriftsatz vom 23. Oktober 2024 weiter vor:
(7) Die Erklärung der Beigeladenen zum Mindestlohn, welche sie ihm Rahmen der Akteneinsicht (Akteneinsichtsbeschluss vom 26. September 2024) eingesehen habe, enthielte Formfehler, so dass diese auszuschließen sei.
Die Antragstellerin sei auch antragsbefugt. Insbesondere gebe es Ausnahmen von der Regel, dass die fehlende Zuschlagschance zu einer fehlenden Antragsbefugnis führe. Denn die Fehler seien so schwerwiegend, dass das Vergabeverfahren aufzuheben sei. Damit könne sie bei dieser Zurückversetzung des Verfahrens ein erfolgreiches Angebot abgeben und habe somit eine zweite Chance.
Die Antragstellerin trägt weiter vor, sie sei mit den Rügen nicht präkludiert. Denn die Vergaberechtsfehler müssten erkennbar gewesen sein. Dies seien sie nicht gewesen, weil die Feststellung von Erkenntnismöglichkeiten durch einen Durchschnittsbieter von einer Einzelfallwürdigung abhinge, die in diesem Fall zur Schlussfolgerung einer mangelnden Erkennbarkeit führen würde. Es habe der Antragstellerin zu jenem Zeitpunkt noch an juristischer Beratung gefehlt. Die Vergaberechtsfehler ergäben sich nicht durch Rechtsanwendung, sondern aus der Rechtsprechung, die aus dem Transparenzgrundsatz entwickelt worden sei.
Die Antragstellerin beantragt,
1.Das Vergabeverfahren aufzuheben,
2.der Antragstellerin Einsicht in die Vergabeakten zu gewähren
3.die Hinzuziehung von Verfahrensbevollmächtigten auf der Seite der Antragstellerin für notwendig zu erklären,
4.der Antragsgegnerin die Kosten des Verfahrens einschließlich der Kosten der zweckentsprechenden Rechtsverfolgung der Antragstellerin aufzuerlegen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
1.Den Nachprüfungsantrag zurückzuweisen,
2.den Antrag der Antragstellerin auf Akteneinsicht zurückzuweisen,
3.der Antragstellerin die Kosten des Nachprüfungsverfahrens, einschließlich der zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendigen Kosten der Antragsgegnerin aufzuerlegen,
4.die Hinzuziehung des Verfahrensbevollmächtigten der Antragsgegnerin für notwendig zu erklären.
Die Rügen, welche die Ausschreibungsunterlagen betreffen, hat sie als präkludiert zurückgewiesen und weiter ausgeführt, warum sie inhaltlich - auch bei mangelnder Präklusion - aus ihrer Sicht nicht greifen können.
Weiter trägt sie vor:
Für den Auftrag, dessen geschätzter Wert ... Euro betrug, war das Ende der Angebotsfrist für den 17. Juli 2024 bestimmt. Im Verfahren sei eine Vielzahl von Bieteranfragen gestellt worden. Diese seien zeitnah und fortlaufend über die Bieterkommunikation von Subreport ELViS beantwortet worden.
Aufgrund einzelner Fragen wurden
- Die Verfahrensbedingungen angepasst,
- ergänzend eine Servicestatistik eingestellt,
- und die Leistungsbeschreibung sowie das Preisblatt angepasst.
Dabei sei darauf hingewiesen worden, dass nur diese Versionen der Angebotskalkulation zu Grunde zu legen sind.
Es habe keine unzulässige Mischkalkulation gegeben. Insbesondere habe es keinen auffällig hohen Stundensatz bei der Position 9 (des Preisblattes) gegeben. Der Preis der Beigeladenen sei nach § 60 VgV aufgeklärt worden. Die Beigeladene habe auf weitere Nachfrage ihre Auskünfte präzisiert. Die Auswertung der Antworten habe ergeben, dass die Beigeladene die geforderte Vertragsleistung zu den angebotenen Preisen erfüllen könne. Die vertragsgemäße und zuverlässige Durchführung der Leistung durch die Beigeladene sei danach vollumfänglich gewährleistet gewesen und das Angebot sei auch nicht in Marktverdrängungsabsicht abgegeben worden. Die Antragstellerin habe in der Gesamtwertung Platz 7 erreicht.
Die mündliche Verhandlung in Präsenz hat am 28.10.2024 stattgefunden. Die Beigeladene hat keine Stellungnahme abgegeben und an der mündlichen Verhandlung nicht teilgenommen. Zum weiteren Sach- und Streitstand wird auf die gewechselten Schriftsätze verwiesen.
II.
A. Zulässigkeit
Das Vergabenachprüfungsverfahren ist zulässig, auch wenn die Antragstellerin mit einigen Rügen präkludiert ist (Die Nummerierung in Klammern ist die aus dem Tatbestand:unter I.).
Zu Rüge Nr (1.).
Nach § 160 Abs. 3 Nr. 2 und 3 GWB ist der Antrag unzulässig, soweit Verstöße gegen Vergabevorschriften, die aufgrund der Bekanntmachung oder die erst in den Vergabeunterlagen erkennbar sind, nicht spätestens bis zum Ablauf der in der Bekanntmachung benannten Frist zur Bewerbung oder zur Angebotsabgabe gegenüber dem Auftraggeber gerügt werden. Umstritten ist, welcher Maßstab für die Erkennbarkeit des Vergabefehlers heranzuziehen ist. Nach einer Auffassung ist auf die individuellen Verhältnisse des Antragstellers, mithin auf einen subjektivierten Maßstab abzustellen. Nach anderer Auffassung ist bei der Erkennbarkeit auf einen durchschnittlichen, verständigen Bewerber oder Bieter und die von ihm zu erwartende übliche Sorgfalt, also auf einen objektiven Maßstab abzustellen. Dabei wird hervorgehoben, dass ein durchschnittlicher Bieter insbesondere nicht die Rechtsprechung der Vergabesenate und Vergabekammern kennen muss. Die Frage, welcher Maßstab der richtige ist, dürfte jedoch in der Praxis kaum je entscheidungsrelevant sein, da beide Maßstäbe in der praktischen Anwendung regelmäßig zu übereinstimmenden Ergebnissen führen dürften: Die individuellen Verhältnisse des Antragstellers, auf die der subjektivierte Maßstab Bezug nimmt, werden - da es sich beim Antragsteller normalerweise um einen fachkundigen Interessenten handelt - deckungsgleich sein mit dem Kenntnishorizont eines durchschnittlichen, verständigen Bewerbers (Horn/Hofmann in: Beck'scher Vergaberechtskommentar § 160 Rz. 55).
Die Angabe des Höchstwertes in der streitgegenständlichen Bekanntmachung ist für einen juristischen Laien hinreichend transparent, auch was die Erkennbarkeit angeht. Nach EuGH Urteil vom 17.6. 2021 - C 23/20 sind Art. 49 RL 2014/24/EU des Europäischen Parlaments und des Rates v. 26.2.2014 über die öffentliche Auftragsvergabe und zur Aufhebung der RL 2004/18/EG sowie deren Anhang V Teil C Nr. 7, 8 u. 10 lit. a i.V.m. deren Art. 33 und den in Art. 18 Abs. 1 dieser RL genannten Grundsätzen der Gleichbehandlung und der Transparenz dahingehend auszulegen, dass in der Bekanntmachung sowohl die Schätzmenge und/oder der Schätzwert als auch eine Höchstmenge und/oder ein Höchstwert der gemäß der Rahmenvereinbarung zu liefernden Waren anzugeben sind und dass die Rahmenvereinbarung ihre Wirkung verliert, wenn diese Menge oder dieser Wert erreicht ist (Veröffentlichung in Beck-Online, MMR 2021, 783; vgl. Leitsatz Nr. 1, Hervorhebung durch die Vergabekammer). Dies ist im Leitsatz so formuliert. Aufgrund dieser Erwägungen ist die zu beschaffende Leistung in diesem Fall jedoch nicht erneut auszuschreiben. Denn der EuGH ist nach den Ausführungen in der Begründung seiner Entscheidung der Auffassung, dass Schätzwert und Höchstwert durchaus in einer Gesamtangabe aufgeführt werden können (EuGH a.a.O. Rz. 77) und begründet seine Entscheidung weiter wie folgt: "dass der öffentliche Auftraggeber seine Pflicht zur Angabe des Umfangs der Rahmenvereinbarung verletzt hat, ist in einem solchen Fall nämlich deutlich genug, so dass ein Wirtschaftsteilnehmer, der ein Angebot abgeben möchte, dies bemerken kann und somit als gewarnt anzusehen ist" (EuGH a.a.O. Rz. 89).
Indes kann ein Bearbeiter auf Bieterseite nicht unbedingt erkennen, welche juristischen Folgen eine angekündigte, aber nicht erfolgte Änderungsbekanntmachung hat.
Zu (2):
Ob die Anforderungen an ein Vertragserfüllungskonzept dem Transparenzgebot genügen, ist juristisch interpretationsfähig und damit für einen juristischen Laien nicht unbedingt erkennbar. Es ist denkbar, dass an diesem Punkt ein Bieter Verstöße gegen das Transparenzgebot nicht erkennt. Der überwiegende Teil der Rechtsprechung hält dabei an den geringen Anforderungen der Schadensdarlegung fest, sodass die Frage nach der tatsächlichen kausal verknüpften Auswirkung des Vergaberechtsverstoßes erst in der Begründetheit zu prüfen ist (u.a. OLG München BeckRS 2012, 23578; OLG Düsseldorf BeckRS 2012, 23822; Müller-Wrede GWB/Hofmann Rn. 31, Gabriel/Mertens, Beck'scher Online Kommentar § 160 Rz. 105).
Zu (3):
Mit der Behauptung, der Mitbewerber sei von der Wertung auszuschließen gewesen, da er die mit dem Preisblatt geforderten Preise nicht angegeben habe und die Behauptung, seine tatsächlichen Preise habe der Mitbewerber vielmehr im Rahmen einer Mischkalkulation auf andere Positionen umgelegt ist die Antragstellerin nicht präkludiert. Die Antragstellerin äußert die Vermutung die Beigeladene "wird für die Positionen 1, 6-8, 13-14 einen auffällig niedrigen Stundensatz angeboten haben, zur Position 9 jedoch einen auffällig hohen Stundensatz". Hierzu trägt sie vor, dass der fiktive Stundenaufwand von 25 Stunden bei der Position 9, so wortwörtlich im Schriftsatz: "evident unrealistisch" sei. Das ist zwar zur Substantiierung gerade noch ausreichend, um nicht auf das Geratewohl und ins Blaue hinein zu argumentieren. Zwar hätte es jedoch einem Branchenkenner bei der Lektüre der Unterlagen auffallen müssen, dass der Stundenaufwand bei einer Einzelposition unrealistisch ist. Auch die Formulierung des Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin im Schriftsatz "evident unrealistisch" spricht für eine Erkennbarkeit. Die Antragstellerin bringt jedoch vor, dass sie mit einer unrealistischen Angabe nicht zwangsläufig die Vorstellung einer unzulässigen Mischkalkulation verknüpft habe.
Zu Nr. (4):
Die Angaben auf Seite 8-10 der Verfahrensbedingungen seien unrichtig und intransparent, da mathematisch die dort dargestellte Punkteberechnung nicht aufgehen würde. Es würde nicht transparent dargestellt, nach welcher Formel die Punkte der Bieter ermittelt werden, die nicht den geringsten Preis angeboten haben.
Mit diesem Vorbringen ist die Antragstellerin präkludiert (vgl. § 160 Abs. 3 Nr. 3 GWB). Die vom Antragsteller benannten Auffälligkeiten beim Zusammenzählen der Punkte sind nicht juristischer Natur. Ein durchschnittlicher Bieter hätte das dargestellte Problem und dessen Auswirkungen (siehe zu Rüge Nr. (1)) erkennen können.
Es wird nach Auffassung der Antragstellerin nicht transparent dargestellt, nach welcher Formel die Punkte der Bieter ermittelt werden, die nicht den geringsten Preis angeboten haben. Die Vergabebedingungen enthalten auf Seite 9 unter 11.3. folgende Passagen:
"Die Bewertung der Zuschlagskriterien erfolgt mittels Punkten von (1) bis (10)."
Weiter heißt es:
"Hinsichtlich der Punktevergabe beim Zuschlagskriterium "Preis" erfolgt diese linear absteigend im Verhältnis zum günstigsten Preis. Der günstigste Preis erhält dabei 10 Punkte. Bei gleichen Preisen wir den betroffenen Bietern die gleiche Punktzahl vergeben."
Die Interpolationsmethode ergibt sich aus den Worten "linear absteigend". Lineare Interpolation bezeichnet eine Methode, bei der zwei gegebene Datenpunkte durch eine Strecke verbunden werden (Quelle: Wikipedia). Wegen der Erkennbarkeit eines möglichen Problems für einen Bearbeiter auf Bieterseite ist die Antragstellerin auch mit dieser Rüge nach § 160 Abs. 3 Nr. 3 GWB präkludiert. Ein Bearbeiter, welcher mit diesen Angaben nicht zurecht kommt, hätte unmittelbar auch ohne juristischen Rat erkennen müssen, dass er Nachfragen stellen muss.
Nr. (5):
Die Antragstellerin bringt weiter vor, nach § 122 GWB und § 42 Abs. 1 VgV habe der öffentliche Auftraggeber die Eignung der Bewerber bzw. Bieter anhand der nach § 122 GWB festgelegten Eignungskriterien und das Nichtvorliegen von Ausschlussgründen nach den §§ 123 und 124 GWB sowie etwaiger Selbstreinigungsmaßnahmen nach § 125 GWB zu überprüfen, vorliegend hätten die Vergabeunterlagen jedoch keine Eignungsanforderungen enthalten. Mit dieser Rüge ist die Antragstellerin nicht präkludiert. Die Bewertung dieses Sachverhaltes ist eine juristische Frage, die sich einem an fachlichen Inhalten interessierten Laien nicht aufdrängen muss.
Nr (6).
Der vom Bestbieter angebotene Preis sei ungewöhnlich niedrig im Sinne des § 60 VgV. Aus der mitgeteilten Preis-Punktevergabe ergebe sich, dass der Bestbieter den vergaberechtlichen Mindestlohn nach TVgG M-V nicht einhalten werde. Die Antragstellerin hat die Rüge fristgerecht nach der Mitteilung über die von ihr erreichten Punkte erhoben.
Nr. (7):
Zum Vorbringen in Bezug auf die mangelnde Unterschrift der Eigenerklärung nach TVgG M-V war ein Rügeverfahren nicht erforderlich.
B. Begründetheit
Der Nachprüfungsantrag ist hingegen nicht begründet.
Zur Rüge Nr. (1):
Der gerügte Sachverhalt, eine Änderungsbekanntmachung sei angekündigt worden und dann nicht erfolgt, stellt keinen Verstoß gegen das Vergaberecht dar. Bisweilen ergeben sich nach Veröffentlichung der Bekanntmachung auch noch inhaltliche Änderungen im Verfahren, die die bekanntgemachten Angaben betreffen. Aufgrund der Bindungswirkung der Bekanntmachung muss der Auftraggeber in diesem Fall eine Korrekturbekanntmachung veröffentlichen (Krohn in Beck'scher Vergaberechtskommentar § 37 VgV Rz. 87). Das in Aussicht genommene Auftragsvolumen ist gemäß § 21 Abs. 1 S. 2 VgV so genau wie möglich zu ermitteln und zu beschreiben. Der öffentliche Auftraggeber hat gemäß § 21 Abs. 1 S. 2 VgV keinen Ermessensspielraum, ob er das geschätzte Auftragsvolumen bekannt gibt. Zudem verlangen die vergaberechtlichen Grundsätze des Wettbewerbs, der Transparenz und der Gleichbehandlung zusätzlich die Angabe einer abrufbaren Höchstmenge, für die die Rahmenvereinbarung maximal ausgelegt sein soll und ab deren Erreichen die Rahmenvereinbarung ausgeschöpft bzw. erledigt ist und keine weiteren Abrufe erfolgen dürfen. Das Unterlassen einer Angabe ist daher vergaberechtswidrig (Röwekamp/ Kus/ Marx/ Portz/ Prieß § 21 VgV Rz. 15). Eine Korrekturbekanntmachung in Aussicht zu stellen, die dann aber unterbleibt, ist in diesem Fall aber rechtlich ohne Auswirkungen geblieben. Es fehlt eine Kausalität für einen möglichen Schaden, ein Schaden war auch nicht dargelegt. Durch die Bieterfragen und -antworten waren alle notwendigen Angaben für die Erstellung eines Angebotes bekannt. Der Schaden muss grundsätzlich auf die Zuschlagschance bezogen sein (Horn/Hoffmann in: Beck'scher Vergaberechtskommentar § 160 Rz. 33).
Zu Rüge Nr. (2):
Das Qualitätszuschlagskriterium "Vertragserfüllungskonzept" genügt dem Transparenzgebot. Die Antragsgegnerin hat ihre Vorstellungen zum Vertragserfüllungskonzept auf Seite 9 der Verfahrensbedingungen (Nr. 11.2) formuliert. Sie hat den Höchstumfang (10 DIN A4 Seiten dargelegt und unter Bezugnahme auf die Leistungsbeschreibung zu den Inhalten in vier Spiegelpunkten Mindestanforderungen aufgestellt. Auf Seite 10 der Leistungsbeschreibung ist schließlich eine Bewertungsmatrix für die Zuschlagskriterien aufgestellt, die den Anforderungen der Rechtsprechung genügt. Insbesondere hätten die Noten nicht weiter unterlegt werden müssen, denn dies hätte bedeutet, dass Lösungskomponenten vorgegeben werden müssen, welche die Spielräume bei der Konzepterarbeitung weiter einengen (vgl. BGH Beschluss vom 4. April 2017, X ZB 3/17, IBRRS, 2017, 1623, insbesondere Rz. 48). Dies war jedoch nach den Vorgaben in Nr. 11.2 ausdrücklich in dieser Detailtiefe nicht vorgesehen, was bereits an den Fragen beginnend mit den Worten "Was", "Wodurch" und "Wie" zu erkennen ist. Die Vergabestelle intendierte damit einen größeren Spielraum für die Konzepterarbeitung.
Zu Rüge Nr. (3):
Die Rüge, es habe eine unzulässige Mischkalkulation gegeben, ist ebenfalls nicht begründet. Es handelt sich um einen sog. Wertungspreis. Das Raster "25 Stunden" diente allein der Vergleichbarkeit der Angebote. Einer Vergabestelle steht grundsätzlich die Freiheit zu, auf welche Weise sie Vergleichswerte ermittelt. Die konkrete Wahl der Zuschlagskriterien ist ebenso wie die Wahl ihrer Gewichtung grundsätzlich dem Auftraggeber überlassen. Ihm steht nicht nur bei dem Wertungsvorgang, d.h. der Anwendung der Zuschlagskriterien ein Beurteilungsspielraum zu. Vergaberechtsfehlerhaft sind nur offensichtliche Beurteilungsfehler oder ein Ermessensfehlgebrauch (Opitz in: Beck'scher Vergaberechtskommentar § 127 GWB Rz. 33). Hierfür gibt es jedoch in diesem Fall keine Anhaltspunkte, weil diese Vorgehensweise keinen bestimmten Bieter bevorzugt. Die Erarbeitung einer Modellrechnung zu Vergleichszwecken ist gerade bei Rahmenverträgen, deren Umfang nicht genau vorhersagt werden kann, eine vertretbare Methode.
Zu Rüge Nr. (5):
Ebenfalls unbegründet ist das Vorbringen der Antragstellerin, die Vergabeunterlagen hätten keine Eignungsanforderungen enthalten. Es ist der Antragstellerin bekannt, dass eine Eigenerklärung zur Eignung nach dem Formblatt 124 LD VHB Bund 2017 (2019) abgefordert worden war. Es liegt am öffentlichen Auftraggeber zu bestimmen, welche Art und welches Niveau von Fachkunde und Leistungsfähigkeit für den jeweiligen Auftrag notwendig sind. Deshalb kann eine Verschärfung bzw. Anhebung vom Niveau der Eignungskriterien nicht über § 122 GWB durchgesetzt werden (Beck'scher Vergaberechtskommentar § 122 Rz. 54).
Nach § 122 Abs. 2 Satz 1 GWB ist ein Unternehmen geeignet, wenn es die durch den öffentlichen Auftraggeber im Einzelnen zur ordnungsgemäßen Ausführung des öffentlichen Auftrags festgelegten Kriterien (Eignungskriterien) erfüllt. Schon vom Wortlaut der Vorschrift her ist es nicht zwingend, dass Eignungskriterien festgelegt werden, sondern nur dass, wenn Eignungskriterien festgelegt werden, diese auch zu erfüllen sind. Eine Festlegung ist danach keineswegs erforderlich. Ferner müssen Eignungskriterien nach dem Wortlaut der Vorschrift mit der ordnungsgemäßen Ausführung des Auftrags in Verbindung stehen. Die Entscheidung der Vergabestelle, mit dem genannten Formblatt zu arbeiten, ist demnach nicht zu beanstanden. Es enthält unter anderem Angaben zu Referenzen, zu der Zahl der zur Aufgabenerfüllung erforderlichen Beschäftigten, zu Insolvenz und Liquidation und zum Nichtvorliegen von Ausschlussgründen.
Zur Rüge Nr. (6):
Zu dem Vorbringen, der vom Bestbieter angebotene Preis sei ungewöhnlich niedrig im Sinne des § 60 VgV und aus der mitgeteilten Preis-Punktevergabe ergebe sich, dass der Bestbieter den vergaberechtlichen Mindestlohn nach TVgG M-V nicht einhalten werde, hat die Vergabekammer die Dokumentation der Bearbeitung der Angebote durch die Vergabestelle eingehend geprüft und ist zu dem Ergebnis gelangt, dass sie alles zur Aufklärung der Preise erforderliche getan hat. Die Beigeladene ist aufgefordert worden, darzulegen und zu belegen, dass das Angebot auskömmlich ist, die ausgeschriebenen Leistungen mithin vertragsgerecht erbracht werden und damit die Wirtschaftlichkeit der Erbringung der Dienstleistungen gewährleistet ist.
Die Antragsgegnerin hat die Erklärungen der Beigeladenen hierzu geprüft und insbesondere Wert darauf gelegt, dass Anhebungen des Mindestlohns während der Vertragslaufzeit möglich sind. Sie kam zu dem Schluss, dass auch hierfür notwendige Puffer vorhanden sind. Anzeichen für eine Marktverdrängungsabsicht gab es nicht. Einzelne Preispositionen wurden mit 0,00 Euro bewertet, von den vierzehn Angeboten existieren aber nur drei Angebote, die keine 0,00 Euro Posten enthalten. Auffallende Preisunterschiede zwischen den Positionen konnten nicht festgestellt werden. Die Sorgfalt, mit der die Antragsgegnerin vorgegangen ist, gibt keinen Anlass, an den Ergebnissen der Aufklärung zu zweifeln. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (Urteil vom 31. Januar 2017, X ZB 10/16) - Rettungsdienst - kann die Entscheidung auf Aspekte gestützt werden, die aus Gründen des Geheimschutzes nicht allen Verfahrensbeteiligen bekannt gemacht worden sind.
Zu Nr (7).
Formfehler in der Erklärung der Beigeladenen zum Mindestlohn:
Entgegen dem Vorbringen der Antragstellerin, die Erklärung der Beigeladenen zum Mindestlohn sei nach den Anforderungen des § 126 b BGB zu unterzeichnen gewesen, woran es in diesem Fall gemangelt hätte, hat die Beigeladene die Erklärung zum Mindestlohn formgerecht abgegeben.
Nach OLG Düsseldorf, Beschluss vom 2. 5. 2007 - VII-Verg 1/07 ist die Unterzeichnung einer Eigenerklärung nach Maßgabe des § 126 b BGB nicht notwendig, es sei denn es hat eine ausdrückliche Vorgabe gegeben (vgl. Ziekow/Völlink § 48 VgV Rz. 7).
In der Eigenerklärung befindet sich noch die Anmerkung: "Textform ausreichend". Bei juristischen Personen genügt deren Bezeichnung; die Angabe auch des Namens der natürlichen Person, die die Erklärung verfasst hat bzw. die den Text unterschrieben hätte, wenn ihre Unterschrift nicht wegen der vom Gesetz aus Gründen der Vereinfachung erlaubten Textform entbehrlich wäre, ist nicht erforderlich (BGH NJW 2010, 2945 (2946); OLG Brandenburg MMR 2022, 970 (972), Wendtland in: Beck OK § 126 b BGB Rz. 6).
Die Frage nach der "zweiten Chance" für nachrangig platzierte Bieter war damit nicht mehr zu prüfen. Sie stellt sich nur, wenn das Verfahren bei einem Vergaberechtsverstoß in ein früheres Stadium versetzt werden muss, welches zudem vor der Angebotsabgabe liegt. Nur in diesem Fall wäre die Wahrscheinlichkeit für den Antragsteller, den Auftrag zu erhalten, wieder gegeben gewesen, auch wenn er bislang Platz 7 belegt hat.
III.
Die Antragstellerin hat als unterlegene Partei nach § 182 Abs. 3 Satz 1 GWB die Kosten zu tragen. Für die Amtshandlungen der Vergabekammern werden nach § 182 Abs. 1 S. 1 GWB grundsätzlich Kosten (Gebühren und Auslagen) zur Deckung des Verwaltungsaufwandes erhoben. Nach § 182 Abs. 1 S. 2 GWB ist das Verwaltungskostengesetz - VwKostG - vom 23. Juni 1970 (BGBl. I S. 821) in der am 14. August 2013 geltenden Fassung anzuwenden. Es handelt sich hierbei um eine statische Verweisung auf eine Vorschrift in einer Fassung, die zwischenzeitlich außer Kraft getreten ist (Losch in: Ziekow/Völlink § 182 GWB Rz. 4). Die Höhe der Gebühren beträgt in Anwendung der Gebührentabelle der Vergabekammern des Bundes ... Euro, weil die Angebotssumme zwischen ... Euro und ... Euro liegt.
Maßgeblich ist im Regelfall die Brutto-Angebotssumme des Antragstellers (Röwekamp/Kus/Portz/Prieß § 182 GWB Rz. 7; Krohn in: Beck'scher Vergaberechtskommentar § 182 Rz. 21). Da in diesem Fall aufgrund der Vorsteuerabzugsberechtigung der Antragsgegnerin nur Netto-Beträge angeboten wurden, wird hiervon ausgegangen. Aus Gründen der Billigkeit (vgl. § 182 Abs. 2 Satz 1 GWB) wird wegen der bei einer Rahmenvereinbarung zu erwartenden Unwägbarkeiten eine um 30% reduzierte Angebotssumme angenommen.
Nach § 182 Abs. 4 Satz 1 GWB hat die Antragstellerin auch die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Antragsgegnerin zu erstatten. Die Hinzuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten durch die Antragsgegnerin war notwendig. Die Notwendigkeit dieser Hinzuziehung ist jeweils nach den individuellen Umständen des einzelnen Nachprüfungsverfahrens zu beurteilen. Grundsätzlich ist hierbei zunächst auf die spezifischen Besonderheiten des Vergabenachprüfungsverfahrens abzustellen. Es handelt sich um eine immer noch nicht zum (weder juristischen noch unternehmerischen) Allgemeingut zählende, auch aufgrund vielfältiger europarechtlicher Überlagerungen wenig übersichtliche und zudem steten Veränderungen unterworfene Rechtsmaterie, die wegen des gerichtsähnlich ausgestalteten Verfahrens bei der Vergabekammer bereits dort prozessrechtliche Kenntnisse verlangt (Krohn in: Burgi/Dreher Beck'scher Vergaberechtskommentar § 182 GWB Rz. 45 m. w. N.). Eine Ausnahme kann vorliegen, sofern sich die zu behandelnde Materie auf einen einfach gelagerten Sachverhalt beschränkt (vgl. Röwekamp/Kus/Portz/Prieß § 182 GWB Rz. 36). Die Hinzuziehung ist im Regelfall als notwendig anzuerkennen (Röwekamp/Kus/Portz /Prieß § 182 GWB Rz. 36). Die hier zu behandelnden Rechtsfragen waren jedenfalls nicht ganz einfach gelagert, so dass die Hinzuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten notwendig war.
Für die Beigeladene sind keine Aufwendungen entstanden.
IV.
(Rechtsmittelbelehrung)
Preisaufklärung auch unterhalb der Aufgreifschwelle!
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VK Mecklenburg-Vorpommern
Beschluss
vom 13.06.2024
1 VK 2/24
1. Der öffentliche Auftraggeber kann auch dann in eine Preisprüfung eintreten, wenn zwar die sog. Aufgreifschwelle nicht erreicht ist, das Angebot aber aus anderen Gründen konkreten Anlass zur Preisprüfung gibt.
2. Bei einem hinsichtlich des Gesamtpreises unauffälligen Angebot darf der Auftraggeber Aufklärung zu Einzelpreisen verlangen darf, wenn diese von den Preisen der Konkurrenten exorbitant abweichen und diese Abweichungen weder durch einen höheren Leistungsumfang noch durch Marktgegebenheiten oder -besonderheiten zu erklären sind.
3. Das Aufklärungsverlangen muss dem Bieter die Möglichkeit einräumen, die Zweifel des Auftraggebers zu widerlegen und darzulegen, dass er in der Lage ist, seine Leistungen auftragsgerecht zu erbringen.
4. Bei der Entscheidung über den Angebotsausschluss steht dem Auftraggeber ein Ermessen zu. Der Bieter hat einen Anspruch auf ordnungsgemäße Ermessenausübung.
5. Ein unzureichend begründetes Informationsschreiben kann vor Vertragsschluss "geheilt" werden und löst für sich genommen die Unwirksamkeitsfolge des § 135 Abs. 1 Nr. 1 GWB nicht aus.
VK Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 13.06.2024 - 1 VK 2/24
Tenor:
1. Die Nachprüfungsverfahren Ostorf - Los 1 (Az.: 1 VK 2/24); LankowWeststadt - Los 3 (Az.:1 VK 4/24) und Dreesch Wüstmark - Los 4 (Az.: 1 VK 5/24) werden zwecks gemeinsamer Entscheidung verbunden. Das Verfahren Az.: 1 VK 2/24 führt.
2. Der Nachprüfungsantrag im führenden Verfahren (gegen Los 1) wird zurückgewiesen.
3. Das Nachprüfungsverfahren hinsichtlich der verbundenen Verfahren 1 VK 4/24 (Los 3) und 1 VK 5/24 (Los 4) wird eingestellt.
4. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens. Aufwendungen der Beigeladenen werden nicht erstattet.
5. Die Gebühr der Vergabekammer wird auf festgesetzt.
Gründe:
I.
Am 18.01.2024 veröffentlichte der Antragsgegner im Amtsblatt der EU die streitgegenständliche Ausschreibung von Bewachungsleistung im Stadtgebiet Schwerin in vier Losen betreffend verschiedener Stadtteile aus (Ostorf - Los 1; Werder straße Los 2; Lankow-Weststadt - Los 3 und Dreesch Wüstmark - Los 4). Zuschlagskriterium ist jeweils alleine der Preis. Verfahrensgegenständlich sind Los 1, 3 und 4.
Die Antragstellerin gab für das Los 1 das günstigste Angebot ab, nicht jedoch für Lose 3 und 4.
Hinsichtlich der Auskömmlichkeit der Bewachungs- und Sicherungsleistungen wurden je Liegenschaft/Objekt Angebotspreise in Form von monatlichen Pauschalen für die Bewachungs- und Sicherungsleistungen angeboten. Die Pauschalen setzen sich aus den jeweils zu leistenden monatlichen Dienststunden im Separatwachdienst, den Monatspauschalen für Revier-, Streifen und Schließdienst sowie den Aufschaltungs- und Überwachungsleistungen der Gefahrenmeldeanlagen zusammen. Je Liegenschaft und Nutzeranforderungen weichen die ausgeschriebenen Leistungen voneinander ab.
Am 26.02.2024 forderte die Antragsgegnerin die Antragstellerin bezüglich der Lose 1, 3 und 4 zur Aufklärung "der Auskömmlichkeit des ungewöhnlich niedrigen Stundenverrechnungssatzes" die Langkalkulationen DLV_BV_Anlage_4 Stundenverrechnungssatz zum Separatwachdienst an. Die Langkalkulationen DLV_BV_Anlage_4 Stundenverrechnungssatz zum Separatwachdienst wurde von der Antragstellerin am 28.02.2024 über die Vergabeplattform fristgerecht eingereicht. In dieser Anlage bestätigte die Antragstellerin dem Antragsgegner, "dass die Kalkulationen vollumfänglich auskömmlich kalkuliert wurden".
Mit Schreiben vom 05.03.2024 forderte der Antragsgegner die Antragstellerin zu einem Aufklärungsgespräch auf. In diesem Schreiben teilte der Antragsgegner mit, dass zur "Langkalkulation des Stundenverrechnungssatzes zum Separatwachdienst weiterer Aufklärungsbedarf" besteht. Zusätzlich forderte der Antragsgegner die Antragstellerin auf, folgende Punkte in einem vor Ort Termin darzustellen und offene Fragen im Bietergespräch zu klären:
- Darstellung - Standorte für den Interventionsdienst - Einsatzzeiten - Anzahl Einsatzwagen
- Machbarkeit/Auskömmlichkeit/Darstellung technische Ausrüstung zur Auftragserfüllung in den Liegenschaften:
- WE10115 Finanzamt Schließdienst mit Kontrollgang
- WE10381 Finanzamt RIA Schließdienst
- WE10381 LAKD Stelling Str. Schließdienst und Streifendienst
- WE10398 Landesbibliothek Schließdienst mit Kontrollgang und Streifendienst
- WE18556 Justizministerium Revierkontrolldienst
- WE10136 Schließdienst mit Kontrollgang
Dieses Aufklärungsgespräch fand schließlich am 14.03.2024 statt.
Am 18.03.2024 teilte die Antragstellerin dem Antragsgegner folgendes mit: "mit Bezug auf die Inhalte des Aufklärungsgespräches am 14.03.2024 in Ihrem Hause erklären wir, nach umfassender Prüfung aller Vergabeunterlagen und der Kalkulationsgrundlagen unseres Angebots, wie folgt.
1. Kalkulationsgrundlage/Preisfindung für unsere Angebote zu den Losen 1, 2, 3 und 4 sind sämtliche Vergabeunterlagen, insbesondere das jeweilige Leistungsverzeichnis und die Leistungsbeschreibung eines jeden Loses.
2. In den Kalkulationsgrundlagen für unsere Angebote wurden alle anzuwendenden gesetzlichen, tariflichen und sonstigen Regelungen vollumfänglich berücksichtigt. Der eingereichte "DLV_BV_Anlage_4_Kalkulation_Stundenverrechnungssatz" wurde am 14.03.2024 zufriedenstellend hinsichtlich der Auskömmlichkeit und Wirtschaftlichkeit ausreichend erklärt.
3. Alle Angebotspositionen wurden so kalkuliert und aufgestellt, dass die geforderten Leistungen korrekt und kostendeckend ausgeführt werden können.
4. Neben der unter 2. beschriebenen, vollumfänglichen Kostendeckung aus gesetzlichen, tariflichen und sonstigen Regelungen, tragen unsere Angebote ihren eigenen Anteil zur Deckung der unternehmensbezogenen Kosten bei und sind gewinnbringend kalkuliert.
5. Für die Kalkulationen der mobilen Sicherungsdienstleistungen (Revierkontroll-, Schließdienst etc.) wurden alle Vorgaben aus Leistungsverzeichnis und Leistungsbeschreibung berücksichtigt. Insbesondere die zeitliche Lage der Leistungen, ihre Frequenz, ggf. einzusetzende technische Geräte und Inhalte der einzelnen Leistungen am/im Objekt.
Aufgrund nicht vorgegebener Mindestleistungszeiten an/in den jeweiligen Objekten wurden für die Kalkulationen eigene, den ausgeschriebenen Leistungsvorgaben entsprechende, Rechercheergebnisse zugrunde gelegt. Diese umfassen: vorgenommene Objektbesichtigungen, bereits bestehende und umfassende Orts- und Objektkenntnisse, Auswertung von Satellitenmaterial inklusive der Nutzung von Objektvermessungs- und Geoportalen sowie die entsprechend objektive Einschätzung von Vor-Ort-Leistungszeiten als langjährig zertifiziertes Fachunternehmen der Sicherheitsbranche. Somit sind auch alle mobilen Sicherungsdienstleistungen (Revierkontroll-, Schließdienst etc.) vollumfänglich auskömmlich, bedarfsgerecht und durchhaltefähig kalkuliert worden.
6. Gemäß der Vergabeunterlagen ist die "Ausgestaltung der einzelnen Aufgaben im Revierkontroll-/Streifendienst in nutzerspezifischen Einzeldienstanweisungen ausformuliert, die dem Auftragnehmer nach Auftragserteilung übergeben werden". Sollten sich nach Auftragsübernahme hieraus vereinzelte Mehrbedarfe an/in einzelnen Objekten herausstellen, welche aus den Vergabeunterlagen nicht erkenn- und kalkulierbar gewesen sind, wird zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer eine realbedarfsgerechte Nachtragsvereinbarung geschlossen werden."
Zudem wurde unter Punkt 7. die Anzahl der Mitarbeitenden in Vollzeit/Teilzeit und Anzahl der Mitarbeitenden mit Pflicht zur Kranken-, Renten und Arbeitslosenversicherung sowie die Anzahl der auf Abruf bei Nachunternehmen einsatzbereiten Mitarbeitenden mitgeteilt".
"Zusammenfassend wurde bestätigt, dass für die ... vollumfängliche Eignung sowie technische und wirtschaftliche Leistungsfähigkeit für die von der SBL ausgeschrieben Leistungen der Lose 1, 2, 3 und 4 besteht."
- Nur Los 1 -
Unter dem 26.04.2024 erhielt die Antragstellerin bezüglich Los 1 die Mitteilung gem. § 134 GWB, wonach ihr Angebot nicht bezuschlagt werden könne, weil "begründete, nicht ausgeräumte Zweifel bestehen bezüglich eines ungewöhnlich niedrigen Preises/ungewöhnlich niedriger Lebenszykluskosten" bestünden. Als Erläuterung führt der Antragsgegner in dem Schreiben an: "Ihr Angebot weist auffallend niedrige Monatspauschalen für den Streifen-, Revier- und Schließdienst sowie einen ungewöhnlich niedrigen Stundenverrechnungssatz für den Separatwachdienst auf. Zur Aufklärung des Angebotsinhaltes wurde die Langkalkulation Stundenverrechnungssatz für den Separatwachdienst nachgefordert, die fristgerecht am 28.02.24 eingereicht wurde. Auf Grund der immer noch bestehenden Zweifel gab es am 14.03.2024 ein Aufklärungsgespräch. Die Zweifel bezüglich der ungewöhnlich niedrigen Preise für den Stundenverrechnungssatz sowie für die Monatspauschalen des Revier-, Kontroll- und Streifendienstes wurden dabei nicht ausgeräumt. Gemäß 16d EU Abs. 1 Nr. 1 VOB/A darf auf ein Angebot mit einem unangemessen hohen oder niedrigen Preis oder mit unangemessen hohen oder niedrigen Kosten der Zuschlag nicht erteilt werden."
- Nur Los 3 und 4 -
Unter dem 26.04.2024 erhielt die Antragstellerin bezüglich Los 3 und 4 die Mitteilung gem. § 134 GWB, dass auf Ihr Angebot der Zuschlag nicht erteilt werden kann, weil Sie nicht das wirtschaftlichste Angebot abgegeben hat.
- Los 1, 3 und 4 -
In ihren Nachprüfungsanträgen (hinsichtlich Los 1, 3 und 4) vom 06.05.2024 ist die Antragstellerin der Auffassung, dass in den Aufklärungsgesprächen sämtliche preisrelevante inhaltliche Aspekte ihres Angebots erläutert wurden. Dabei sei auf Einzelheiten ihrer Kalkulationen, sowohl der des Stundenverrechnungssatzes zum Separatwachdienst, ausführlich aber auch zu den Kalkulationen der mobilen Sicherheitsdienstleistungen der einzelnen Lose, eingegangen worden.
Dem Antragsgegner sei wiederholt, transparent und umfassend dargestellt worden, dass den Kalkulationen sämtliche einschlägige gesetzlichen, tariflichen und sonstigen Regelungen zugrunde liegen.
Darüber hinaus sei ausführlich erörtert worden, dass den Kalkulationen der mobilen Sicherheitsdienstleistungen alle Vorgaben Ihrer Ausschreibungsunterlagen (insbesondere die jeweiligen Leistungsverzeichnisse und Leistungsbeschreibungen je Los) zugrunde liegen. Hierbei sei insbesondere die zeitliche Lage der Leistungen, ihre Frequenz, ggf. einzusetzende technische Geräte und Inhalte der einzelnen Leistungen am/im Objekt vollständig berücksichtigt worden.
Aufgrund von, in den Leistungsverzeichnissen und Leistungsbeschreibungen je Los, nicht vorgegebenen Mindestleistungszeiten an/in den jeweiligen Objekten seien für die Kalkulationen eigene, den ausgeschriebenen Leistungsvorgaben entsprechende, Rechercheergebnisse zugrunde gelegt worden. Diese umfassten u.a. vorgenommene Objektbesichtigungen, bereits bestehende und umfassende Orts- und Objektkenntnisse, Auswertung von Satellitenmaterial inklusive der Nutzung von Objektvermessungs- und Geoportalen sowie die entsprechend objektive Einschätzung von Vor-Ort-Leistungszeiten als langjährig zertifiziertes Fachunternehmen der Sicherheitsbranche.
Dabei seien weitreichende Einblicke in am Einsatzort bereits bestehende Auftragserfüllungsstrukturen gegeben worden, aus welchen Synergieeffekte anwendbar werden würden. Ebenfalls seien die Wirtschaftlichkeit der vertragskonformen Erbringung der Dienstleistung am Einsatzort sowie die gewählten technischen Lösungen zur Kostenreduzierung präsentiert worden.
Aus den Darstellungen der Antragstellerin ginge zweifelsohne hervor, dass der niedrige Preis nicht ungewöhnlich niedrig ist, er in keinem Missverhältnis zur Leistung stünde, und sämtliche Leistungen für die gesamte Vertragslaufzeit vertragskonform, auskömmlich und gewinnbringend erbracht werden könnten.
Im Aufklärungsgespräch - ein diesbezügliches Protokoll liegt der Antragstellerin nicht vor - wurde vereinbart, dass die Antragstellerin zu markanten Gesprächspunkten eine weitere Erklärung an den Antragsgegner abgeben werde. Dem sei am 18.03.2024 per E-Mail nachgekommen worden.
Weitere Aufklärungsersuchen seitens des Antragsgegners wären nicht erfolgt, weshalb die Antragstellerin davon ausgehen müsste, dass sämtliche unbegründete Zweifel zu den Kalkulationen und den Leistungsausführungen ausgeräumt werden konnten. Insofern der Antragsgegner hier eigene Maßstäbe zugrunde lege und in seinem Ermessengebrauch zu anderen Einschätzungen komme, stelle dies Rechtsverletzungen dar.
Die Erläuterung/Begründung des Absageschreibens nach § 134 GWB sei rein pauschal und weder nachvollziehbar/überprüfbar noch substantiiert begründet. Inwiefern der Antragsgegner vermeintlich korrekt oder vielmehr fehlerhaft ermittelt/berechnet hat, dass unser Angebot "auffallend niedrige Monatspauschalen für den Streifen-, Revier- und Schließdienst sowie einen ungewöhnlich niedrigen Stundenverrechnungssatz für den Separatwachdienst aufweist" sei nicht nachvollziehbar.
Die fehlende Nachvollziehbarkeit werde insofern verstärkt, als dass unser Unternehmen im Los 1 und 2 mit vorgenannter Begründung ausgeschlossen wurde, bei gleichen Kalkulationen der Antragstellerin (Monatspauschalen für den Streifen-, Revier- und Schließdienst, und Stundenverrechnungssatz für den Separatwachdienst) der Zuschlag in Los 3 und Los 4 allerdings an einen anderen Bieter gehen soll. Somit müssten die dort vom Bestbieter angebotenen Preise niedriger als die vermeintlich "unangemessen niedrigen Preise" der Antragstellerin sein, gleichzeitig aber nicht als "auffallend, ungewöhnlich, unangemessen niedrig" identifiziert worden sein.
Die Antragstellerin beantragt in Ihrer Begleitemail zu den Nachprüfungsanträgen zu Los 1, 3 und 4:
"Rechtsschutz und Erteilung eines Zuschlagsverbots durch die Vergabekammer noch vor dem 08.05.2024. Folglich soll die vergaberechtswidrige Zuschlagsentscheidung überprüft und u.E. revidiert werden, der Zuschlag müsste infolgedessen an unser Unternehmen erfolgen."
In ihrem Schriftsatz der Nachprüfungsanträge beantragt die Antragstellerin zu Los 1,
"die Nachprüfung dieser fehlerhaften Vergabeentscheidung über den Aus schluss unseres Angebots sowie die beabsichtige Zuschlagserteilung auf das Angebot eines anderen Bieters, und fordern eine Vergabeverhinderung sowie eine korrekte Vergabeentscheidung."
In ihren Schriftsätzen der Nachprüfungsanträge zu den Losen 3 und 4 beantragt die Antragstellerin:
"Daher beantragen wir Rechtsschutz und Erteilung eines Zuschlagsverbots durch die Vergabekammer noch vor dem 08.05.2024. Folglich soll die vergaberechtswidrige Zuschlagsentscheidung überprüft und u.E. revidiert werden, der Zuschlag müsste infolgedessen an unser Unternehmen erfolgen."
Der Antragsgegner beantragt mit Schriftsatz vom 23.05.2024 zu den Losen 1, 3 und 4 jeweils, den Nachprüfungsantrag als unbegründet zurückzuweisen und der Antragstellerin die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen, hilfsweise festzustellen, dass die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten für eine zweckentsprechende Rechtsverfolgung nicht notwendig war.
- Los 1 -
Zur Begründung seines Zurückweisungsantrags bezüglich Los 1 trägt der Antragsgegner im Wesentlichen vor: Das Angebot der Antragstellerin liege ca. 13% unter der internen Kostenschätzung der Vergabestelle und ca. 9% unter dem Angebot der Beigeladenen als zweitplatzierte Bieterin. Auch wenn der Angebotspreis der Antragstellerin somit (noch) nicht die regelmäßige Aufgreifschwelle von 15 - 20% Abweichung zum Bieter auf Rang zwei erreicht hatte, liege die Abweichung von der eigenen Kostenschätzung der Vergabestelle knapp unter 15%. Weil auch Auffälligkeiten in Einzelpositionen des Angebots der Antragstellerin festgestellt wurden, sei eine Aufklärung des Angebotspreises durch die Vergabestelle erforderlich gewesen. Bei der Beurteilung der Angebotspreise nach § 16d EU Abs. 1 Nr. 1 VOB/A zwar auf das Gesamtangebot und nicht auf die Einzelpreise abzustellen sei. Bei bestimmten und in sich abgeschlossenen Teilen des Angebotes, in denen die Preise in unangemessenem Verhältnis zu der betreffenden Teilleistung stehen, kann jedoch hiervon abgewichen werden.
Bei einem hinsichtlich des Gesamtpreises unauffälligen Angebot dürfe der Auftraggeber Aufklärung zu Einzelpreisen verlangen, wenn diese von den Preisen der Konkurrenten exorbitant abweichen und diese Abweichungen weder durch einen höheren Leistungsumfang noch durch Marktgegebenheiten oder -besonderheiten zu erklären sind. Entsprechende Abweichungen lägen sowohl in der Kalkulation des SVS, als auch bei den Zeitansätzen des Revier-, Kontroll- und Streifendienstes vor.
Zur Kalkulation des Stundenverrechnungssatzes (SVS) trägt der Antragsgegner vor, dass gemäß einer Empfehlung der Bundesfinanzdirektion West regelmäßig ein Aufschlag von mindestens 70% auf den Produktivlohn notwendig sei, um die Leistung auskömmlich zu kalkulieren (siehe Empfehlung Bundesfinanzdirektion West Zoll zur Durchführung des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes (AEntG), Mindestlohn in der Gebäudereinigung ab 1. Januar 2012 vom 14.02.2012).
Das Angebot der Antragstellerin liege, wie aus der Anlage 4 des Vergabevermerks vom 26.04.2024 ersichtlich, bei einem deutlich geringeren Aufschlag. Auffällig dabei sei der minimale Anteil in der Pos. 3 (Sonstige Kosten). Mit Blick auf die im Rahmen der Leistungserbringung erforderlichen einheitlichen Bekleidung des einzusetzenden Personals, der erforderlichen Zertifizierungen des Personals, dem Einsatz von PKW erscheine der Kalkulationsansatz der Antragstellerin in den sonstigen Kosten als nicht auskömmlich.
Insbesondere sei nicht plausibel, wie ohne entsprechenden Kalkulationsansatz die Registrierung im Bewacherregister sichergestellt werden kann, da nur geeignete Personen im Sicherheitsdienst arbeiten dürfen. Neben den erforderlichen personenbezogenen Daten ist für jede Person nachzuweisen, dass die fachliche Eignung für die Tätigkeit im Sicherheitsdienst vorliegt. Dafür ist ein Qualifikationsnachweis der Ausbildung nach § 34a GewO erforderlich. Erst nach der erfolgreichen Prüfung durch das Ordnungsamt und dem Landeskriminalamt wird die angehende Sicherheitskraft im Bewacherregister freigegeben. Insofern entstünden zwingend Fortbildungskosten für das Sicherheitspersonal, die jedoch in der Kalkulation der Antragstellerin nicht ersichtlich sind. Eine "Schulung" durch internes Personal, das ehrenamtlich bei der IHK tätig ist, sei dafür nicht ausreichend. Vor dem Hintergrund, dass nach Mitteilung des Bundesverbandes der Sicherheitswirtschaft (BDSW) die Gebühren für die Überprüfungen der Zuverlässigkeit von Sicherheitsmitgliedern um mindestens 285% gestiegen sind, sei eine Auskömmlichkeit der Kalkulation nicht gegeben oder zumindest mehr als zweifelhaft.
Darüber hinaus seien auch Schulungen und Unterweisungen für die Mitarbeiter als Aufzugswärter zu berücksichtigen.
Die fehlende Auskömmlichkeit eines Angebotes könne auch auf eine Unterschreitung des Mindestlohnes hindeuten.
Auch wenn in der Gegenüberstellung des Stundenverrechnungssatzes Separatwachdienst aller Bieter zu erkennen ist, dass der Kalkulationszuschlag bei allen Bietern unter der o.g. Empfehlung der Bundesfinanzdirektion West liegt, liege der Kalkulationsansatz der Antragstellerin zu Pos. 3 gravierend unter den Kalkulationsansätzen aller anderen Bietern und somit auch der Kalkulation der Beigeladenen. Das Angebot der Beigeladenen nähere sich bezüglich der Kalkulation des Stundenverrechnungssatzes jedenfalls deutlich der Empfehlung Bundesfinanzdirektion, weshalb der Zuschlag auf dieses Angebot erteilt wurde.
Bezüglich der Zeitansätze des Revier-, Kontroll- und Streifendienstes ist der Antragsgegner der Auffassung, dass auch die Zweifel an der Angemessenheit der Zeitansätze des Revier-, Kontroll- und Streifendienstes nicht ausgeräumt werden konnten.
Bereits aus liegenschafts- und gebäuderelevanten Aspekten seien die Fußwege innerhalb eines zu begehenden Gebäudes oder die Außenbegehung nicht in der kalkulierten Zeit umsetzbar. Die sich durch die Monatspauschalen ergebenen rechnerischen Einsatzzeiten zur Durchführung der ausgeschriebenen Leistungen sind so gering, dass diese tatsächlich nicht zu erbringen sind.
Im Leistungsverzeichnis ist die Lage der Liegenschaften, die Grundstückgröße, die Anzahl der Etagen, die Mindestanzahl der Kontrollpunkte, die Einsatzzeiten, die Anzahl der Kontrollen und die Aufgaben der Kontrollen beschrieben.
Als Berechnungsbeispiel sei die Liegenschaft Finanzamt ... - WE 10115 zu Grunde gelegt worden: Es handelt sich dabei um ein zweigeschossiges Verwaltungsgebäude in Form eines Kastells, bestehend aus 3 großen Flügelbauten, durch Haupt- und Ecktürmen miteinander verbunden, mit einer Fläche von 22.406 qm Gelände. Hierfür wurde von der Antragstellerin für den Schließdienst für morgens und abends mit Kontrollgang, von Montag bis Freitag eine Monatspauschale angeboten. Durch den Antragsgegner seien 252 Arbeitstage pro Jahr angesetzt, das entspricht 21 Tagen/Monat.
Basierend auf den örtlichen Gegebenheiten (Größe und Kubatur des Objekts) sei ein Schließgang in der zu Grunde gelegten Kalkulation rein tatsächlich nicht umsetzbar. Ähnliche Ergebnisse errechnen sich für die Liegenschaften Finanzamt ... RIA - WE 10119, das Landesamt für Kultur u. Denkmalpflege - WE 10381 sowie die Landesbibliothek Schwerin - Sondermagazin - WE 10398.
Im Aufklärungsgespräch erläuterte die Antragstellerin, die Liegenschaften nicht vor Ort besichtigt, sondern die Gebäude per Google Maps angesehen zu haben, aber dennoch in der Lage sei, die Leistung zu den sich rechnerisch ergebenden Zeiten vollumfänglich erbringen zu können.
Im nachgereichten Anschreiben vom 18.03.2024 zum Aufklärungsgespräch, erklärt die Antragstellerin zur Auskömmlichkeit: "Für die Kalkulationen der mobilen Sicherungsdienstleistungen (Revierkontroll-, Schließdienst etc.) wurden alle Vorgaben aus Leistungsverzeichnis und Leistungsbeschreibung berücksichtigt. Insbesondere die zeitliche Lage der Leistungen, ihre Frequenz, ggf. einzusetzende technische Geräte und Inhalte der einzelnen Leistungen am/im Objekt. Aufgrund nicht vorgegebener Mindestleistungszeiten an/in den jeweiligen Objekten wurden für die Kalkulationen eigene, den ausgeschriebenen Leistungsvorgaben entsprechende, Rechercheergebnisse zugrunde gelegt. Diese umfassen: vorgenommene Objektbesichtigungen, bereits bestehende und umfassende Ortsund Objektkenntnisse, Auswertung von Satellitenmaterial inklusive der Nutzung von Objektvermessungsund Geoportalen sowie die entsprechend objektive Einschätzung von Vor-Ort-Leistungszeiten als langjährig zertifiziertes Fachunternehmen der Sicherheitsbranche. Somit sind auch alle mobilen Sicherungsdienstleistungen (Revierkontroll-, Schließdienst etc.) vollumfänglich auskömmlich, bedarfsgerecht und durchhaltefähig kalkuliert worden."
Die vorgelegte Kalkulation sei weder realistisch noch umsetzbar, so dass die Auskömmlichkeit der Kalkulation nicht gegeben ist.
Die Abweichungen zur Kostenschätzung für den Revier- und Schließdienst, welche auf den bisherigen Verträgen zzgl. Tarifanpassungen basiert und die Abweichungen zur Beigeladenen (Bieter Rang 2), liegen weit über der Aufgreifschwelle von 20%. Die Antragstellerin habe einen zu niedrigen und nicht vertretbaren Stundenlohn sowie zu gering kalkulierte Ausführungszeiten für die Bewachungsleistung zum Revierkontroll-/Streifendienst angegeben. Dies steht den rechtlichen Vorgaben aus dem Kontext des Vergabemindestlohnes des Landes M-V als auch den branchenüblichen Kennzahlen im Bewachungsgewerbe (Bundesfinanzdirektion West Zoll Durchführung des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes (AEntG), Mindestlohn in der Gebäudereinigung ab 1. Januar 2012 vom 14. Februar 2012) entgegen.
Die relativ geringe Differenz zwischen dem Angebot der Antragstellerin zum Angebot der Beigeladenen mit dem nächstgünstigsten Angebot auf die Gesamtsumme ist darauf zurückzuführen, dass die Monatspauschalen im Vergleich zu den kostenintensiven Separatwachdienstpositionen in anderen Liegenschaften nur einen geringen Anteil am Gesamtangebot ausmachen.
Wegen der verbliebenen Unklarheiten zur Angebotskalkulation hinsichtlich SVS und der Zeitanteile für den Schließdienst konnte gemäß § 16d EU Abs. 1 Nr. 1 VOB/A auf das Angebot der Antragstellerin wegen unangemessen niedrigem Preis bzw. wegen unangemessen niedrigen Kosten der Zuschlag nicht erteilt werden.
Hinsichtlich der Angemessenheit der Kalkulation der Beigeladenen meint der Antragsgegner, dass die Kalkulation der Beigeladenen auskömmlich sei. Bestehende Fragen zur Kalkulation konnten im Aufklärungsgespräch von der Beigeladenen erläutert und beantwortet werden. Insbesondere wurde die Langkalkulation des Stundenverrechnungssatzes umfänglich dargestellt und erläutert. Es wurde dargestellt, dass für die Kalkulation der ausgeschriebenen Leistungen die Liegenschaften besichtigt worden seien. Ebenfalls seien Probeläufe für den Revier- und Schließdienst in den Liegenschaften durchgeführt worden. Des Weiteren konnte die Beigeladene im Gespräch glaubhaft darlegen, dass die firmeninterne feste Pauschale kostendeckend für die auftragsbezogenen Kosten sind.
Die anzuwendenden Sozialversicherungsbeiträge der Rentenversicherung, der Arbeitslosenversicherung, der Pflegeversicherung und der Insolvenzgeldumlage liegen der Kalkulation der Beigeladenen vollumfänglich zugrunde (Protokoll Aufklärungsgespräch ... Notizen S. 2 Kalkulation Stundenverrechnungssatz vom 11.04.2024).
Die Verordnung über das Vergabeverfahren und das Verfahren zur Festlegung und Kontrolle von Mindestarbeitsbedingungen (Vergabe- und MindestarbeitsbedingungenVerfahrensverordnung - VgMinArbV M-V) vom 19.04.2024 ist am 14.05.2024 im Gesetz- und Verordnungsblatt Mecklenburg-Vorpommern verkündet worden.
Im Gesetz zur Modernisierung des Vergaberechts vom 18. Dezember 2023, im Artikel 1 Tariftreue- und Vergabegesetz Mecklenburg-Vorpommern (TVgG M-V) wurde unter § 19 Übergangsregelungen festgelegt "Für Vergabeverfahren, die begonnen wurden, bevor die aufgrund der Ermächtigungen nach § 4 und § 16 Absatz 5 Satz 4 zu erlassenden Rechtsverordnungen in Kraft getreten sind, sind unter Absatz 2 die Mindest-Stundenentgelt-Verordnung vom 7. September 2018 (GVOBl. M-V S. 358), die zuletzt durch die Verordnung vom 9. Januar 2023 (GVOBl. M-V S. 442) geändert worden ist, weiter anzuwenden." Maßgeblicher Zeitpunkt für den Beginn des Vergabeverfahrens sei der Tag, an dem die Auftragsbekanntmachung abgesendet oder das Vergabeverfahren auf sonstige Weise eingeleitet wurde.
Somit finde der Mindestvergabelohn von 13,50 Euro für dieses Vergabeverfahren keine Anwendung.
In dem Aufklärungsgespräch wären somit die bestehenden Fragen der Vergabestelle vollständig ausgeräumt worden. Insbesondere bestehen keine Zweifel an der Angemessenheit und Auskömmlichkeit des Angebotes der Beigeladenen.
- Nur Los 3 und 4 -
Hinsichtlich Los 3 ist der Antragsgegner der Auffassung, dass bestehende Fragen zur Kalkulation im Aufklärungsgespräch von der Beigeladenen erläutert und beantwortet werden konnten. Insbesondere sei die Langkalkulation des Stundenverrechnungssatzes umfänglich dargestellt und erläutert. Es sei dargestellt worden, dass für die Kalkulation der ausgeschriebenen Leistungen die Liegenschaften besichtigt worden seien. Ebenfalls seien Probeläufe für den Revier- und Schließdienst in den Liegenschaften durchgeführt worden. Des Weiteren hätte die Beigeladene im Gespräch glaubhaft dargelegt, dass die firmeninterne feste Pauschale kostendeckend für die auftragsbezogenen Kosten sind.
Die anzuwendenden Sozialversicherungsbeiträge der Krankenversicherung, der Rentenversicherung, der Arbeitslosenversicherung, der Pflegeversicherung und der Insolvenzgeldumlage lägen der Kalkulation der Beigeladenen vollumfänglich zugrunde.
Der Mindestvergabelohn von 13,50 Euro für dieses Vergabeverfahren fände keine Anwendung (siehe Argumentation zu Los 1).
In dem Aufklärungsgespräch hätten somit die bestehenden Fragen der Vergabestelle vollständig ausgeräumt werden können. Insbesondere bestünden keine Zweifel an der Angemessenheit und Auskömmlichkeit des Angebotes der Beigeladenen für Los 3.
- Los 1, 3 und 4 -
In Ihrer Replik vom 03.06.2024 trägt die Antragstellerin vor, dass weder Anlass zu der vorgenommenen Preisaufklärung bestand, noch die Voraussetzungen vorlägen, unter denen bei Prüfung der Angebotspreise nach § 16d EU Abs. 1 Nr. 1 VOB/A auf die Einzelpreise und nicht allein auf das Gesamtangebot abzustellen ist.
Weiterhin seien die Vergabeunterlagen mangelhaft, weil "Informationen zum Objekt, zur Größe des Geländes, sowie weitere Angaben zur Liegenschaft sich nur teilweise jeweils unter der ersten Ordnungsziffer zur jeweiligen Liegenschaft" finden ließen. Inwiefern die "Größe des Geländes" allerdings für die Kalkulation einer Revierkontroll/Schließdienstleistung als aussagekräftiges und eindeutig kalkulationsregelndes Kriterium herangezogen werden, könne der Antragsgegner nicht darstellen. Fachlich und kalkulatorisch sei diese Angabe ein kleiner zu berücksichtigender Teil in der Preisfindung. Tatsächlich ausschlaggebend seien allerdings die Angaben zu der Anzahl, Lage und Beschaffenheit der zu kontrollierenden Fenster, Türen und Tore der/des Gebäudes auf dem Gelände. Maßgeblich sei auch entsprechend die real vorzunehmende Handlung an/im Gebäude/Objekt. Diese Angaben bliebe der Antragsgegner in weiten Teilen der Vergabeunterlagen schuldig.
Darüber hinaus würden weitere Ausführungsinformationen vom Antragsgegner erst nach Auftragserteilung dem Auftragnehmer übergeben (Ausgestaltung der einzelnen Aufgaben in den nutzerspezifischen Einzeldienstanweisungen - siehe Muster, ungefüllt). Erst aus diesen nach Auftragserteilung zur Verfügung stehenden Einzeldienstanweisungen je Liegenschaft sowie der Auftragsimplementierung ergingen die realen Bedarfe der Schutzobjekte (Anzahl und Lage der zu kontrollierenden Fenster, Türen und Tore; real auszuführende Handlungen). Durch das Nichtvorliegen der Einzeldienstanweisungen in den Vergabeunterlagen ergebe sich für alle Bietenden gewisse unternehmerische Kalkulationsrisiken, die von den Unternehmen zu tragen wären. Es sei festzustellen, dass die "Probeläufe" als Argument in der Auskömmlichkeitsprüfung des Angebots der Beigeladenen durch die Antragsgegner positiv und wohlwollend bewertet wurden. Allein dies sei falsch, da ein solcher "Probelauf" aufgrund der o.g. fehlenden Einzeldienstanweisung (Erhalt erst nach Auftragserteilung) nicht hätte entsprechend des Realbedarfs der Schutzobjekte durchgeführt werden können. Sollte die Beigeladene allerdings über diese Unterlagen verfügen, Verfügbarmachung allein durch die Antragsgegner möglich, würde dies einen gravierenden Vergaberechtsverstoß darstellen, der zur Aufhebung der Vergabe führen müsste.
Die Einschätzung des Antragsgegners zur Kalkulation der Antragstellerin seien im Übrigen rein subjektiv.
Aus der Feinkalkulation sei ferner zu entnehmen, dass die Ansätze in Form von Zeit und Geld auf der Grundlage des LV bei der Preisfindung vollumfänglich berücksichtigt wurden. Es sei der Feinkalkulation zu entnehmen, dass in sehr auskömmlichen Größenordnungen auch Kosten für u.a. PKW-Fahrtkosten, Logistik und Tourenoptimierung, Dienstkleidung, Handy, OWKS/Deister und zusätzliche Sicherheitskleidung kalkuliert wurden. Die Erfahrungen der Antragstellerin resultierten insbesondere daraus, dass die Antragstellerin gegenwärtig der Dienstleister in Teilen der derzeitigen Lose 3 und 4 des Antragsgegners sind. In diesen Aufträgen befindet sich die Antragstellerin bereits im vierten Betriebsjahr, ohne jedwede Beanstandung seitens des Antragsgegner.
Die Antragstellerin habe nicht erklärt, dass von ihr die "aufgeführten Liegenschaften im Rahmen der Vergabe nicht besichtigt worden seien". Vertreter der Betriebs- und Einsatzleitung der Antragstellerin hätten sehr wohl Besichtigungen aller Objekte vorgenommen und somit auch auf diesem Weg ein Lagebild für die Angebotsabgabe eingeholt. Darüber hinaus bestünden teils umfassende Ortskenntnisse seitens der Antragstellerin, welche aus der derzeit laufenden Auftragsausführung in einigen Objekten aus Los 1 und Los 2 resultieren. Rein ergänzend wurden zur Aufstellung der auskömmlichen Kalkulation weitere Hilfsmittel hinzugezogen, wie die Auswertung von Satellitenmaterial inklusive der Nutzung von Objektvermessungs- und Geoportalen.
Der Antragstellerin läge auch kein Protokoll des Aufklärungsgesprächs vom 14.03.2024 vor, aus welchem auch der vorgenannte Punkt hätte hervorgehen können. Hätte der Antragsgegner der Antragstellerin ein Protokoll aus dem Aufklärungsgespräch zugestellt, hätte die Antragstellerin zu einer derartigen Notiz Stellung genommen und weiter aufgeklärt. Besonders fraglich sei das Nichtvorliegen eines Protokolls mit dem Wissen, dass der Beigeladenen (...) ein Protokoll ihres Aufklärungsgesprächs zur Verfügung gestellt wurde.
Für die branchenübliche und für den Einsatz notwendige Sach- und Fachkunde (gem. § 34 a GewO) fielen der Antragstellerin keine Kosten an, da alle zum Einsatz kommenden Mitarbeiter bereits über entsprechend erforderliche Qualifikation verfügen würden. Es fielen allerdings sehr wohl Kosten für interne Schulungen und Weiterbildungen an, welche ausreichend Berücksichtigung gefunden hätten.
Es liege offenkundig ein Missverständnis bei dem Antragsgegner vor. Der Betriebsleiter eines Sicherheitsunternehmens könne und dürfe keine Ausbildungen/eigenen Prüfungen zur brancheüblichen Sach- und Fachkunde (gem. § 34 a GewO) ausführen. Diese Sachkunde- und Unterrichtungsmaßnahmen obliegen ausschließlich der IHK.
Für die Separatbewachung keine PKW-Kosten anfallen, da es sich nicht um mobile Sicherheitsdienstleistungen handele.
Aus der beiliegenden, unternehmenseigenen Feinkalkulation (wurde von der Vergabestelle nicht zur Aufklärung abgefordert) ergebe sich die auskömmliche Berücksichtigung der vorgetragenen Themen wie einheitliche Dienstbekleidung, sowie Kosten für Anmeldungen/Registrierung im Bewacherregister, Ausbildungskosten etc.
Dass die Antragstellerin die korrekten und nicht "zu niedrigen und nicht vertretbaren" Stundenlöhne zur Anwendung gebracht hat, könne und müsse der Antragsgegner den eingereichten SVS/SVS lang entnehmen.
Die Antragstellerin geht davon aus, dass ein Aufklärungsfehler der Antragsgegner vorliegt. Es wurde der mit der Ausschreibung eingereichte und per Feinkalkulation abgeforderte SVS und SVS lang gesichtet. Dieser entspreche allerdings allein einem Basis-SVS aus der Feinkalkulation eines Objekts. Anhand des SVS und SVS lang lässt sich nicht die Preisfindung und Auskömmlichkeit der Pauschalpreise je Objekt und je Monat ergründen. Hier hätte die Antragsgegner einen SVS/SVS lang je Objekt abfordern müssen. Dies mache deutlich, wie in den Losen 3 und 4 die Vergabestelle mit zweierlei Maß messe und insofern nicht rein sachlich geprüft wurde. Auch aus diesen Gründen habe die Antragstellerin ebenfalls die Vergabeentscheidungen in den Losen 3 und 4 gerügt und in ein Nachprüfungsverfahren gegeben, da ein kausaler Zusammenhang aller 4 Lose in den Vergabeentscheidungen zu finden sei.
Eine tatsächliche Auskömmlichkeitsprüfung könne mithin ausschließlich am Kalkulationsweg der einzelnen Pauschalpreise je Monat je Objekt vorgenommen bzw. zurückgerechnet werden. Zurückgerechnet sodann durch die Zeit als Menge, mal den SVS zzgl. tariflicher Zuschläge. Somit hätte der Antragsgegner feststellen können und müssen, dass die realen Kalkulationszuschläge etwas über dem errechneten Prozentsatz des Antragsgegners liegen.
Unter dem 04.06.2024 hat die Kammer einen Hinweis zur vorläufigen Rechtsauffassung (insbesondere zum Prüfungsumfang der Kammer und zur Beweislastverteilung) gegeben, auf welchen hiermit vollumfänglich Bezug genommen wird.
Der Antragsgegner hat keine Stellungnahme abgegeben.
Die Antragstellerin hat mit Schriftsatz vom 11.06.2024 die Nachprüfungsanträge in den verbundenen Verfahren (Lose 3 und 4) zurückgenommen, da die Begründungen für die Nichtbezuschlagungen in den Losen 3 und 4 andere sind, als angenommen. An dem Nachprüfungsantrag zu Los 1 hält die Antragstellerin indes unter Wiederholung ihrer Argumentation fest, dass ihr Angebot von den der Konkurrenten nicht exorbitant abweiche und der Antragsgegner damit keine Aufklärungsmaßnahmen hätte einleiten dürfen. Sie hätte hinreichend und begründet vorgetragen, dass ihre niedrigen Preise nicht ungewöhnlich niedrig, sondern angemessen sowie auskömmlich kalkuliert wurden. Wenn der Antragsgegner ein Protokoll mit offenem Aufklärungsbedarf erstellt, und bereits hierin Tendenzen für fehlerhafte Ermessensausübung ersichtlich gewesen wären, wäre der Antragsgegner zur weiteren Aufklärung verpflichtet gewesen.
Die Antragstellerin beantragt im führenden Verfahren (Los 1) nunmehr:
"die Feststellung der Begründetheit des Nachprüfungsantrages, die Feststellung einer fehlerhaften Ermessensausübung durch die AG und die Aufhebung des Vergabeverfahrens. Hilfsweise wird die Rückversetzung in den Status der Angebotsprüfung beantragt."
Am 11.06.2024 hat sich für die Beigeladener ihr Verfahrensbevollmächtigte legitimiert und sich in seinem Schriftsatz dem Hinweis der Kammer angeschlossen.
Die Kammer konnte ohne mündliche Verhandlung entscheiden, weil die Parteien auf eine solche verzichtet haben.
Anträge auf Akteneinsicht wurden nicht gestellt.
Zu dem weiteren Sach- und Streitstand wird auf die Schriftsätze der Beteiligten verwiesen.
II.
A. Die Kammer hat die bei ihr anhängigen Verfahren Ostorf - Los 1 (Az.: 1 VK 2/24); Lankow-Weststadt - Los 3 (Az.:1 VK 4/24) und Dreesch Wüstmark - Los 4 (Az.: 1 VK 5/24) gem. § 147 ZPO analog zur gemeinsamen Entscheidung verbunden. § 147 ZPO ist mangels expliziter Vorschrift im 4. Teil des GWB im Vergabenachprüfungsverfahren analog anwendbar (OLG Naumburg, Beschl. V. 28.06.2204, Az.: 1 Verg 5/04). Nach dieser Vorschrift kann das Gericht die Verbindung mehrerer bei ihm anhängiger Prozesse derselben oder verschiedener Parteien zum Zwecke der gleichzeitigen Verhandlung und Entscheidung anordnen, wenn die Ansprüche, die den Gegenstand dieser Prozesse bilden, in rechtlichem Zusammenhang stehen oder in einer Klage hätten geltend gemacht werden können. So aber liegt es hier. Die Lose 1, 3 und 4 stellen zwar rechtlich selbstständige Vergaben dar, stehen aber dennoch im rechtlichen Zusammenhang des Vergabeverfahrens des Antragsgegners mit der Nummer 24EOO02 ("Bewachung Schwerin"), in welchem jeweils der Antragsteller ein Angebot abgeben hat. In Los 1, 3 und 4 handelt es sich zudem um die gleiche Beigeladene.
B. Der Nachprüfungsantrag hat - hinsichtlich der nur noch streitig zu entscheidenden führenden Verfahrens (Los 1) - in der Sache keinen Erfolg.
1. Bei verständiger Würdigung der Anträge der Antragstellerin, nachdem was der Interessenlage entspricht und demnach vernünftig und gewollt ist, ist das Begehren der Antragstellerin dahingehend auszulegen, dass eine Wiederholung der Wertung der Angebote angestrebt wird und sich gegen die Nichtberücksichtigung ihres Angebots gem. § 60 VgV wendet. Dies hat auch die Stellungnahme der Antragstellerin zum rechtlichen Hinweis der Kammer bestätigt, in dem sie die Feststellung einer fehlerhaften Ermessensausübung und die Aufhebung des Vergabeverfahrens sowie hilfsweise die Rückversetzung in den Status der Angebotsprüfung beantragt.
2. Der Antrag ist zulässig. Insbesondere ist die Frist des § 160 Abs. 3 S. 1 Nr. 4 GWB eingehalten.
Die Antragstellerin ist auch antragsbefugt. Die drittschützende Wirkung sowohl der Regelung über die Aufklärungspflicht als auch über die Vornahme der Prüfung durch den Auftraggeber ist mittlerweile anerkannt (Beck VergabeR/Lausen, 3. Aufl. 2019, VgV § 60 Rn. 19 m.w.N.).
3. Der Nachprüfungsantrag ist jedoch unbegründet.
Der Antragsgegner ist nicht zu einer Wiederholung seiner Wertungsentscheidung zu verpflichten, denn der Ausschluss der Antragstellerin war nicht vergaberechtswidrig.
a) Zunächst ist es rechtlich unschädlich, dass in der Mitteilung nach § 134 GWB der Antragsgegner auf § 16d VOB/A abstellt, obwohl es sich vorliegend nicht um eine Bauleistung handelt. Soweit es um den Umgang mit ungewöhnlich niedrigen Angeboten geht, ist § 16d EU Abs. 1 Nr. 1-4 VOB/A das Gegenstück zu § 60 VgV im Bereich der Bauvergaben (Ziekow/Völlink/Steck, 5. Aufl. 2024, VOB/A § 16dEU Rn. 2). Eine unterschiedliche Bedeutung der Vorschriften besteht nicht (BeckOK VergabeR/Queisner, 31. Ed. 1.2.2024, VgV § 60 Rn. 3).
Der Antragstellerin ist zuzugeben, dass die Begründung der Nichtberücksichtigung seines Angebots in der Mitteilung nach § 134 recht pauschal ist.
Die Unterrichtung eines Bieters darf sich nicht auf Leerformeln beschränken. Die Begründung muss den unterlegenen Bieter vielmehr in die Lage versetzen, seine Position im Vergabeverfahren zu erkennen und die Sinnhaftigkeit eines Nachprüfungsverfahrens zu prüfen. Es reicht dazu aber durchaus aus, wenn der öffentliche Auftraggeber z.B. die einzelnen Wertungskriterien aufgreift und mitteilt, dass beim Empfänger mit seinem Angebot in allen Wertungspunkten schlechtere Ergebnisse erzielt worden seien, als das für den Zuschlag vorgesehene Angebot oder die Zuschlagskriterien nebst Gewichtung benannt werden und erläutert wird, welchen Rang das jeweilige Angebot hat (MüKoEuWettbR/Fett, 4. Aufl. 2022, GWB § 134 Rn. 40).
Ob die Mitteilung die Anforderungen an § 134 Abs. 1 GWB erfüllt, kann jedoch dahinstehen denn, der Antragsgegner kann eine unzureichende Information heilen. Es kann vorliegend auch dahin gestellt bleiben, ob diese Heilung, da erst nach erfolgtem Zuschlag erfolgt, als verspätet anzusehen ist, denn ein unzureichend begründetes Informationsschreiben allein löst die Unwirksamkeitsfolge des § 135 Abs. 1 Nr. 1 GWB nicht aus. Denn es besteht unter Rechtsschutzgesichtspunkten hierfür kein Anlass, da der Bieter jedenfalls die Möglichkeit hat, sein subjektives Recht auf eine umfassende Information einzufordern und ggf. im Wege eines Nachprüfungsverfahrens zu erzwingen (VK Rheinland Beschluss vom 7.5.2019 - VK 12/19, BeckRS 2019, 32403, beckonline). Ohne Vertragsschluss kann eine "Heilung" noch im Nachprüfungsverfahren durchgeführt werden. Der effektive Rechtsschutz wird durch sie nicht beeinträchtigt (Burgi/Dreher/Opitz/Dreher/Hoffmann, 4. Aufl. 2022, GWB § 135 Rn. 27).
b) Erscheinen der Preis oder die Kosten eines Angebots im Verhältnis zu der zu erbringenden Leistung ungewöhnlich niedrig, verlangt der öffentliche Auftraggeber vom Bieter Aufklärung, § 60 Abs. 1 VgV. Der öffentliche Auftraggeber prüft die Zusammensetzung des Angebots und berücksichtigt die übermittelten Unterlagen. Die Prüfung kann insbesondere betreffen:
1.die Wirtschaftlichkeit des Fertigungsverfahrens einer Lieferleistung oder der Erbringung der Dienstleistung,
2.die gewählten technischen Lösungen oder die außergewöhnlich günstigen Bedingungen, über die das Unternehmen bei der Lieferung der Waren oder bei der Erbringung der Dienstleistung verfügt,
3.die Besonderheiten der angebotenen Liefer- oder Dienstleistung,
4.die Einhaltung der Verpflichtungen nach § 128 Absatz 1 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen, insbesondere der für das Unternehmen geltenden umwelt-, sozial- und arbeitsrechtlichen Vorschriften, oder
5.die etwaige Gewährung einer staatlichen Beihilfe an das Unternehmen, § 60 Abs. 2 VgV.
Kann der öffentliche Auftraggeber nach der Prüfung gemäß den vorgenannten Absätzen 1 und 2 die geringe Höhe des angebotenen Preises oder der angebotenen Kosten nicht zufriedenstellend aufklären, darf er den Zuschlag auf dieses Angebot ablehnen. Der öffentliche Auftraggeber lehnt das Angebot ab, wenn er festgestellt hat, dass der Preis oder die Kosten des Angebots ungewöhnlich niedrig sind, weil Verpflichtungen nach Absatz 2 Satz 2 Nummer 4 nicht eingehalten werden, § 60 Abs. 3 VgV.
Diese Vorgaben hat der Antragsgegner eingehalten.
Ziel der Aufklärung ist es herauszufinden, ob das Angebot auf technisch, wirtschaftlich oder rechtlich fragwürdigen Annahmen basiert. Der Begriff des ungewöhnlich niedrigen Angebots ist durch die Rechtsprechung zur Vorgängerregelung des § 19 EG Abs. 6 VOL/A konkretisiert worden. Erforderlich zur Beurteilung ist eine wertende Einzelfallbetrachtung. Es gibt insbesondere keinen festen Prozentsatz der Abweichung des Angebots von einem Markt- oder Durchschnittspreis oder zum nachfolgenden Angebot. Von einem ungewöhnlich niedrigen Preis ist jedenfalls dann auszugehen, wenn der angebotene (Gesamt-) Preis eklatant von dem an sich angemessenen Preis abweicht, sodass eine genauere Überprüfung nicht im Einzelnen erforderlich ist und die Ungewöhnlichkeit des Angebotspreises sofort ins Auge fällt. Allein ein beträchtlicher Preisabstand zwischen dem zu prüfenden und den nachfolgenden Angeboten ist allerdings kein hinreichendes Merkmal, vielmehr bedarf es weiterer Anhaltspunkte dafür, dass der Niedrigpreis wettbewerblich nicht begründet ist. Der Maßstab für die Ermittlung eines angemessenen Preises und damit für die Beurteilung, ob ein Preis unangemessen niedrig ist, können Angebote anderer Bieter, Daten aus anderen Ausschreibungen, für vergleichbare Leistungen vom Auftraggeber gezahlte oder ihm angebotene Preise, eigene Kostenschätzungen und Kalkulationen beratender Ingenieurbüros sein (MüKoEuWettbR/Pauka/Frischmuth, 4. Aufl. 2022, VgV § 60 Rn. 3 ff. m.w.N.).
Soweit in der Rechtsprechung der Vergabesenate bestimmte Prozentbeträge genannt werden, mit denen der Abstand des vom Ausschluss bedrohten Angebots zum nächsthöheren Angebot oder eines sonstigen Bezugspunktes bemessen wird, handelt es sich um die Festlegung einer Aufgreifschwelle, deren Erreichen dem Auftraggeber Veranlassung gibt, den Angebotspreis zu überprüfen. Die Rechtsprechung zu der Aufgreifschwelle ist nicht einheitlich. Immerhin ist eine Schwelle von 20% wiederholt anerkannt worden. Vereinzelt wurden auch Spannen zwischen 10% und weniger als 20% als Aufgreifschwelle für ausreichend erachtet. In seiner Entscheidung vom 31.1. 2017 hat der BGH dazu nunmehr festgestellt, dass jedenfalls eine Aufgreifschwelle von 30% ausreicht, um den Auftraggeber zu einer Angemessenheitsprüfung zu veranlassen. Der BGH hat nicht entschieden, ob eine Schwelle von 20% "als unverrückbare Untergrenze anzusehen ist" oder ob und wann besondere Umstände im Einzelfall Aufklärungsbedarf auch bei geringeren Abständen indizieren können. Damit wird klargestellt, dass es, jedenfalls unterhalb einer Aufgreifschwelle von 30%, keine allgemeingültige Regel gibt, sondern die konkreten Umstände des jeweiligen Falls zu würdigen sind (Beck VergabeR/Lausen, 3. Aufl. 2019, VgV § 60 Rn. 11 m.w.N.).
Das Angebot der Antragstellerin liegt ca. 13% unter der internen Kostenschätzung der Vergabestelle und ca. 9% unter dem Angebot der Beigeladenen als zweitplatzierte Bieterin. Auch wenn der Angebotspreis der Antragstellerin nicht die regelmäßige Aufgreifschwelle von 15 - 20% Abweichung zum Bieter auf Rang zwei erreicht hatte, liegt die Abweichung von der eigenen Kostenschätzung der Vergabestelle immerhin knapp unter 15%.
Zutreffend geht der Antragsgegner davon aus, dass bei einem hinsichtlich des Gesamtpreises unauffälligen Angebot der Auftraggeber Aufklärung zu Einzelpreisen verlangen darf, wenn diese von den Preisen der Konkurrenten exorbitant abweichen und diese Abweichungen weder durch einen höheren Leistungsumfang noch durch Marktgegebenheiten oder -besonderheiten zu erklären sind (OLG Koblenz, Urteil vom 04.01.2018, Verg 3/17). Ein geringerer Preisabstand führt nicht zu einer Prüfpflicht, der Auftraggeber hat im Bereich zwischen 10% und 20% einen Beurteilungsspielraum, ob er das Angebot als ungewöhnlich niedrig ansieht und in die Aufklärung der Preise eintritt. Bei einem Preisabstand von unter 10% zum nächsthöheren Angebot besteht regelmäßig kein Anlass für eine Aufklärung der Angemessenheit der Preise. Der öffentliche Auftraggeber kann aber auch dann in eine Preisprüfung eintreten, wenn zwar die sog. Aufgreifschwelle nicht erreicht ist, das Angebot aber aus anderen Gründen - etwa weil der Angebotspreis unangemessen niedrig erscheint und zugleich z.B. Anhaltspunkte für eine Mischkalkulation bestehen - konkreten Anlass zur Preisprüfung gibt. Lediglich wenn es überhaupt keinen nachvollziehbaren Anlass für eine Preisprüfung gibt, kann schon ein Aufklärungsverlangen des öffentlichen Auftraggebers rechtswidrig sein, dabei kommt es aber immer auf die Umstände des Einzelfalls an (Ziekow/Völlink/Steck, 5. Aufl. 2024, VgV § 60 Rn. 4b-c m.w.N.).
Entsprechende Auffälligkeiten sind in der Kalkulation des SVS, als auch bei den Zeitansätzen des Revier-Kontroll- und Streifendienstes zu erkennen. Die Abweichungen zur Kostenschätzung, welche auf den bisherigen Verträgen zzgl. Tarifanpassungen basiert und die Abweichungen zum Bieter Rang 2, für den Revier- und Schließdienst, liegen laut Vergabevermerk - l-OM1120 - 24E0002S Los 1 weit über der Aufgreifschwelle von 20%.
Demgemäß erscheint es nicht sachfremd. Dass der Antragsgegner hier Aufklärungsmaßnahmen ergriffen hat.
Das Aufklärungsverlangen muss dem Bieter die Möglichkeit einräumen, die Zweifel des Auftraggebers zu widerlegen und darzulegen, dass er in der Lage ist, seine Leistungen auftragsgerecht zu erbringen (MüKoEuWettbR/Pauka/Frischmuth, 4. Aufl. 2022, VgV § 60 Rn. 8 m.w.N.).
Kann der Bieter keine hinreichende Begründung für sein ungewöhnlich niedriges Angebot geben, so darf der öffentliche Auftraggeber nach § 60 VgV das Angebot ablehnen. Bei diesem Tatbestand handelt es sich um einen Ermessenstatbestand. Der Bieter hat daher einen Anspruch auf ordnungsgemäße Ermessenausübung (MüKoEuWettbR/Pauka/Frischmuth, 4. Aufl. 2022, VgV § 60 Rn. 9 m.w.N.). Nach der Aufforderung trifft den Bieter eine Mitwirkungsobliegenheit. Seine Erklärungen müssen in sich schlüssig, nachvollziehbar und anhand geeigneter Belege objektiv überprüfbar sein. Verweigert der Bieter eine Aufklärung, hält er von der Vergabestelle gesetzte zumutbare Fristen zur Beantwortung nicht ein oder gibt er lediglich formelhafte, inhaltsleere Erklärungen ab, hat die Vergabestelle dies im Rahmen ihrer Ermessensentscheidung gem. § 60 Abs. 3 S. 1 VgV über den Ausschluss des Angebots zu berücksichtigen. Hierbei ist dem Auftraggeber ein rechtlich gebundenes Ermessen eingeräumt: Die Ablehnung des Zuschlags ist grundsätzlich geboten, wenn der Auftraggeber aufgrund der unzureichenden Mitwirkungshandlung des Bieters verbleibende Ungewissheiten nicht zufriedenstellend aufklären kann. Führt der Auftraggeber in zulässiger Weise eine Aufklärung wegen ungewöhnlich niedrig erscheinender Preise durch und verlangt er die erforderlichen Informationen über die Preisbildung, muss nicht der Auftraggeber dem Bieter nachweisen, dass dessen Angebot unangemessen niedrig ist, vielmehr geht die Beweislast auf den Bieter über. Will dieser eine Entscheidung nach § 60 Abs. 3 S. 1 VgV über Ausschluss seines Angebots vermeiden, hat er Gründe darzulegen, die die geringe Höhe des angebotenen Preises oder der angebotenen Kosten zufriedenstellend aufklären (Ziekow/Völlink/Steck, 5. Aufl. 2024, VgV § 60 Rn. 8 m.w.N.). Beschränken sich bei einem ungewöhnlich niedrigen Angebot die Erklärungen des Bieters überwiegend auf generalisierende Aussagen (Organisation der Arbeitsabläufe sowie auf die Motivation und Leistungsbereitschaft der Mitarbeiter), kann das Angebot ausgeschlossen werden (VK Bund Beschluss v. 20.4.2005 - VK 1-23/05, IBRRS 2005, 1702, beck-online). Aus den Darstellungen der Antragstellerin im Rahmen der Aufklärung geht nicht hervor, dass der niedrige Preis nicht ungewöhnlich niedrig ist, er in keinem Missverhältnis zur Leistung stünde, und sämtliche Leistungen für die gesamte Vertragslaufzeit vertragskonform, auskömmlich und gewinnbringend erbracht werden könnten. In der Antwort auf das Aufforderungsschreiben des Antragsgegners zur Aufklärung der Langkalkulation, hat die Antragstellerin zwar reagiert, allerdings weicht der einkalkulierte Zuschlag auf den Produktivlohn deutlich von den Stundenverrechnungssätzen der anderen Bieter ab. Im Übrigen erschöpfen sich ihre Darlegungen in allgemeinen Darstellungen. So verwies sie im Aufklärungsverfahren im Wesentlichen auf die bisher eingereichten Unterlagen und auf ihre langjährigen Erfahrungen bzw. Vorgehensweise bei Aufträgen in der Branche. Weiter Aufklärungen hätte auch der Antragsgegner gerade nicht vornehmen müssen, sondern vielmehr die Antragstellerin, da sie darlegungs- und beweisbelastet ist. Insbesondere führen die in dem Aufklärungsgespräch festgehalten Mängel nicht zu einer weiteren Aufklärungspflicht der Antragstellerin, denn diese muss sich nicht auf langwierige Prozesse einlassen. Die einmalige Möglichkeit zur Aufklärung durch den Bieter genügt, zumal laut Protokoll des Aufklärungsgesprächs der Antragstellerin noch bis zum 20.03.2024 nachgelassen wurde, eine schriftliche Darstellung zu den besprochenen Punkten nachzureichen.
Soweit die Antragstellerin in ihrer Replik vom 03.06.2024 auf etwaige mangelhafte Vergabeunterlagen und ggf. verspäteten Ausführungsinformationen abstellt, so ist sie mit diesem Einwand gem. § 160 Abs. 3 S. 1 Nr. 3 GWB präkludiert, da dies bis zum Ablauf der Angebotsfrist hätte gerügt werden müssen.
Inwieweit der Antragstellerin durch die Möglichkeit von Probeläufen der Beigeladen ein Nachteil entstanden sein soll, ist nicht nachvollziehbar, da die Antragstellerin selbst vorträgt, die Räumlichkeiten bereits umfangreich zu kennen. Insoweit verfängt der Vortrag der Antragstellerin auch nicht, wenn sie darauf hinweist, dass sie entgegen der Darstellung des Antragsgegners die Objekte besichtigt habe, denn die Ortskenntnisse der Antragstellerin dürften unstreitig sein. Es geht bei der Aufklärung auch nicht um die konkreten Ortskenntnisse, sondern um die konkrete Kalkulation. Der Vergabeakte ist ferner nicht zu entnehmen, dass der Beigeladenen Einzeldienstanweisung zur Verfügung gestellt wurden. Die Beigeladene hat nach dem Protokoll vielmehr selbstständig die Besichtigung in den Losen 3 und 4 vorgenommen.
Sofern die Antragstellerin nun im Nachprüfungsverfahren Feinkalkulationen einreicht, so hätten diese, bereits im Vergabeverfahren dem Antragsgegner im Rahmen der Aufklärung vorgelegt werden müssen. Wie oben bereits dargelegt, ist die Antragstellerin zu diesem Zeitpunkt darlegungs- und beweispflichtig gewesen. Die Kammer überprüft nun nur noch die Entscheidung des Antragsgegners auf etwaige Ermessensfehler zum Zeitpunkt der Entscheidung der Vergabestelle über die Angemessenheit der Preise.
Ein etwaig nicht übersandtes Protokoll zum Aufklärungsgespräch kann den Nachprüfungsantrag der Antragstellerin nicht begründen. Zum einen hätte dies gem. § 160 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 GWB im März/April 2024 gerügt werden müssen. Zum anderen stellt das Nichtübersenden eines Protokolls keinen Vergaberechtsverstoß dar, zumal die Antragstellerin die Möglichkeit zur schriftlichen Stellungnahme hatte und davon auch Gebrauch gemacht hat. Im Übrigen hat ausweislich der Vergabeakte in Los 1 kein Aufklärungsgespräch mit der Beigeladen stattgefunden, sodass auch nicht aus etwaigen Gründen der "Waffengleichheit" die Übersendung des Protokolls erforderlich gewesen wäre. Den Erwiderungen des Antragsgegners ist auch nicht zu entnehmen, dass ein Protokoll der Beigeladenen übersandt wurde. Dies ist auch der Vergabeakte nicht zu entnehmen.
Die aus Sicht der Kammer berechtigten Zweifel an der Kalkulation der Ausbildungs- bzw. Qualifizierungskosten hat die Antragstellerin auch im Nachprüfungsverfahren wieder nur pauschal mit dem Hinweis begründet, dass diese in ihrer Kalkulation berücksichtigt seien. Es liegt auch kein Missverständnis bei dem Antragsgegner vor. Er hat nicht behauptet oder vorgetragen, dass der Betriebsleiter eines Sicherheitsunternehmens die Prüfung nach § 34a GewO vornehme.
Der Vortrag, das eine tatsächliche Auskömmlichkeitsprüfung ausschließlich am Kalkulationsweg der einzelnen Pauschalpreise je Monat je Objekt vorgenommen bzw. zurückgerechnet werden könne ist unerheblich, denn selbst mit dieser Methode lägen die realen Kalkulationszuschläge der Antragstellerin nach ihrem Vortrag nur leicht über denen, welche der Antragsgegner angenommen hat.
Welche SVS der Antragsgegner in welcher Form abfordert unterliegt grundsätzlich dem Beurteilungsspielraum der Vergabestelle. Sofern die Antragstellerin nun etwaige andere Möglichkeiten aufzeigt, wäre es ihre Obliegenheit gewesen diese innerhalb des Aufklärungsverfahrens vorzutragen.
Im Ergebnis sind somit die von der Antragstellerin abgegebenen Erklärungen im Rahmen des Aufklärungsgespräches zur Auskömmlichkeit der Leistungsmaße ihres Angebots nicht geeignet gewesen, die erheblichen Zweifel des Antragsgegners an der Auskömmlichkeit der dem Angebot zugrundeliegenden Leistungsmaße zu entkräften.
Der Antragsgegner hat somit im Rahmen des ihm zustehenden Beurteilungsspielraums das Angebot der Antragstellerin zu Los 1 zu Recht von der Wertung ausgeschlossen.
C. Hinsichtlich der zurückgenommenen Anträge bezüglich Lose 3 und 4 (verbundene Verfahren) war das Verfahren einzustellen.
III.
1. Die Antragstellerin hat im führenden Verfahren (Los 1) als unterlegene Partei nach § 182 Abs. 3 S. 1 GWB die Kosten zu tragen Für die Amtshandlungen der Vergabekammern werden nach § 182 Abs. 1 S. 1 GWB Kosten (Gebühren und Auslagen) zur Deckung des Verwaltungsaufwandes erhoben. Nach § 182 Abs. 1 S. 2 GWB ist das Verwaltungskostengesetz - VwKostG - vom 23. Juni 1970 (BGBl. I S. 821) in der am 14. August 2013 geltenden Fassung anzuwenden. Es handelt sich hierbei um eine statische Verweisung auf eine Vorschrift in einer Fassung, die zwischenzeitlich außer Kraft getreten ist (Ziekow/Völlink § 182 GWB Rz. 4).
2. Für den erledigten Teil (Los 3 und 4) erfolgt gemäß § 182 Absatz 3 Satz 5 GWB die Entscheidung, wer die Kosten zu tragen hat, nach billigem Ermessen. Für die Entscheidung nach billigem Ermessen ist grundsätzlich der voraussichtliche Verfahrensausgang bei summarischer Prüfung maßgeblich. Dass ein Antragsteller durch die Rücknahme stets auf seinen Rechtsschutz verzichtet und dadurch zum Ausdruck bringt, dass das verfolgte Rechtsschutzziel nicht mehr durchgesetzt werden soll, lässt sich nicht verallgemeinern. Davon kann nur dann ausgegangen werden, wenn der Grund für die Rücknahme darin liegt, dass die weitere Rechtsverfolgung als nicht mehr erfolgversprechend angesehen wird und eine Zurückweisung des Antrages vermieden werden soll. Dann führt bereits das Ergebnis der am voraussichtlichen Verfahrensausgang orientierten summarischen Prüfung zur Kostenlast des Antragstellers (Damaske in: Müller-Wrede, GWB-Kommentar, 1. Auflage, Datenbank VergabePortal, § 182, Rn. 79 f., m. w. N.). Die Antragstellerin hat die Anträge aufgrund des rechtlichen Hinweises der Kammer, wonach sie voraussichtlich unterlägen wäre, zurückgenommen. Mithin entspricht es der Billigkeit ihr auch für diesen Teil des Verfahrens die Kosten aufzuerlegen.
Erhoben wird eine einheitliche Gebühr, da durch die Verbindung der Verfahren ein einheitliches Nachprüfungsverfahren durchgeführt wird (OLG Naumburg, Beschl. V. 28.06.2204, Az.: 1 Verg 5/04).
Bei der Gebührenfestsetzung orientiert sich die Vergabekammer an der Gebührentabelle der Vergabekammern des Bundes. Maßgeblich ist im Regelfall die Angebotssumme des Antragstellers (Röwekamp/Kus/Portz/Prieß § 182 GWB Rz. 7). Richtet sich das Interesse des Antragstellers nicht auf den Gesamtauftrag, sondern zum Beispiel nur ein einzelnes Los, ist der Wert dieses Loses maßgeblich (Burgi/Dreher/Opitz/Krohn, 4. Aufl. 2022, GWB § 182 Rn. 21). Angesichts des addierten, von der Antragstellerin geschätzten, Gesamtwertes der Lose 1, 3 und 4 fällt grundsätzlich eine Gebühr von EUR an. Nach § 182 Absatz 3 Satz 4 GWB ist die Hälfte der Gebühr zu entrichten, wenn der Antrag sich vor Entscheidung der Vergabekammer durch Rücknahme oder anderweitig erledigt hat. Da Lose 3 und 4 (erledigter Teil) etwa 60 Prozent des Gesamtwertes ausmachen, ermäßigt sich für diesen Gebührenanteil die Gebühr um die Hälfte. Da auch keine mündliche Verhandlung erforderlich war, hält die Kammer insgesamt eine Gebühr von Euro für billig.
Nach § 182 Abs. 4 S. 1 GWB hat die Antragstellerin auch die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen des Antragsgegners zu erstatten. Aufwendungen in diesem Sinne sind dem Antragsgegner jedoch nicht entstanden, da er nicht durch einen Verfahrensbevollmächtigten vertreten war. Allgemeine Personalkosten sind nicht erstattungsfähig (Röwekamp/Kus/Portz/Prieß, § 182 GWB Rz. 40).
Die von der Antragstellerin geleisteten Vorschüsse jeweils in Höhe von 2.500 EUR werden mit der Gebühr verrechnet, die Differenz an die Antragstellerin ausgekehrt.
Nach § 182 Abs. 4 Satz 2 GWB sind die Aufwendungen eines Beigeladenen nur erstattungsfähig, soweit sie die Vergabekammer aus Billigkeit der unterlegenen Partei auferlegt. Bei der Billigkeitsprüfung ist zunächst die Zielsetzung der Beteiligten im Nachprüfungsverfahren zu berücksichtigen. Soweit sich der Antragsteller bewusst und gewollt in einen Interessengegensatz zum Beigeladenen gestellt hat, entspricht es grundsätzlich der Billigkeit, bei Unterliegen des Antragstellers dem Beigeladenen einen Kostenerstattungsanspruch für seine notwendigen Verteidigungsmaßnahmen zuzuerkennen. Entscheidend ist dabei, inwieweit sich der Beigeladene aktiv in das Verfahren eingebracht und dieses durch substantiellen Vortrag gefördert hat (Burgi/Dreher/Opitz/Krohn, 4. Aufl. 2022, GWB § 182 Rn. 49). Vorliegend hat sich der Verfahrensbevollmächtigte erst nach Erteilung des rechtlichen Hinweises der Kammer zum Verfahren gemeldet und keinen weiteren substantiellen Beitrag zum Verfahren geleistet, sodass es nicht der Billigkeit entspricht, dass der Antragsgegner die Aufwendungen der Beigeladen tragen muss.
IV.
(Rechtsmittelbelehrung)
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VK Mecklenburg-Vorpommern
Beschluss
vom 18.12.2024
3 VK 10/24
1. Beabsichtigt der öffentliche Auftraggeber eine Gesamtvergabe (hier: von Architekten- und Ingenieurleistungen), hat er eine umfassende Abwägung der widerstreitenden Belange vorzunehmen, als deren Ergebnis die für eine zusammenfassende Vergabe sprechenden wirtschaftlichen und technischen Gründe nicht nur anerkennenswert sein, sondern überwiegen müssen.
2. Eine unzureichende Berücksichtigung mittelständischer Interessen kann nicht durch die Einschaltung von Subplanern ausgeglichen werden.
3. Eine für die Zulässigkeit eines Fortsetzungsfeststellungsantrag hinreichende konkrete Wiederholungsgefahr besteht, wenn die Vergabestelle eine erneute Ausschreibung der gleichen Leistungen beabsichtigt und die gerügten Ausschreibungsbedingungen im Vergabenachprüfungsverfahren verteidigt hat.
VK Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 18.12.2024 - 3 VK 10/24
Tenor:
1. Das Nachprüfungsverfahren wird eingestellt.
2. Es wird festgestellt, dass das aufgehobene Vergabeverfahren "Dienstleistungen von Architektur-, Konstruktions- und Ingenieurbüros und Prüfstellen - Neubau Kindertagesstätte ..., Veröffentlichungsnummer der Bekanntmachung: ..., ABl. S - Nummer der Ausgabe: ... " vergabefehlerhaft war und die Antragstellerin in ihren Rechten verletzt hat.
3. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens. Sie ist von der Zahlung von Gebühren befreit.
4. Die Antragsgegnerin trägt die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Antragstellerin. Die Hinzuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten durch die Antragstellerin war notwendig.
5. Der von der Antragstellerin geleistete Kostenvorschuss ist an sie auszuzahlen.
Gründe:
I.
Die Antragsgegnerin hat am ...die Vergabe von Gesamtplanungsleistungen - Dienstleistungen von Architektur-, Konstruktions- und Ingenieurbüros und Prüfstellen zum Neubau einer Kindertagesstätte in ... bekannt gemacht. Ausweislich Ziffer 2.4 der Vergabeunterlage Bewerbungsbogen Kita ... _V1 2.4 Honorarangebot/Leistungsumfang waren folgende Planungsleistungen gemäß HOAI 201 zu erbringen:
- §§ 33 ff. HOAI 2021 Objektplanung Gebäude, Grundleistungen der LPH 3-8 (voll ständig),
- §§ 49 ff. HOAI 2021 Tragwerksplanung, Grundleistungen der LPH 1-6 (vollständig)
- §§ 55 ff. HOAI 2021 HLS-Planung/ Technische Ausrüstung, Grundleistungen der LPH 1-9 (vollständig) Anlagengruppen 1-5
- §§ 55 ff. HOAI 2021 Elektroplanung/ Technische Ausrüstung, Grundleistungen der LPH 1-8 (vollständig) Anlagengruppen 1-5I
- §§ 38 ff. HOAI 2021 Freianlagen, Grundleistungen der LPH 1-8 (vollständig).
Der Antragsteller hat mit Schreiben vom 12. August 2024 einen Verstoß gegen das Gebot der Losvergabe gerügt. Nach § 97 GWB, Pkt. 4 sei eine fachlosweise Vergabe zur Wahrung der mittelständischen Interessen vorgeschrieben. In diesem Fall würden unter Punkt 2.4 die Planungsleistungen für Objektplanung, Tragwerksplanung, HLS-Planung, Elektroplanung sowie die Planung für die Freianlagen in einem Los zusammengefasst. Durch die Zusammenfassung von 5 Fachbereichen in einer Ausschreibung würde der Mittelstand unverhältnismäßig benachteiligt. Mit Schreiben vom 16. August 2024 wurde der Rüge nicht abgeholfen. Hierzu schreibt die Antragsgegnerin wörtlich: "Die von Ihnen angeregten Vergabepunkte schließen mittelständische Unternehmen, entgegen Ihrer Ansichten, nicht ausinsbesondere, da Sie die Fachplanungen durch Hinzuziehung Dritter erfüllen können."
Am 30. August 2024 stellte die Antragstellerin einen Nachprüfungsantrag mit folgenden Einzelanträgen:
1. Ein Nachprüfungsverfahren gemäß § 160 Abs. 1 GWB wird in Bezug auf das Vergabeverfahren "Deutschland - Dienstleistungen von Architektur-, Konstruktions- und Ingenieurbüros und Prüfstellen - Neubau Kindertagesstätte ..., Veröffentlichungsnummer der Bekanntmachung: ..., ABl. S - Nummer der Ausgabe:..., vgl. Auftragsbekanntmachung - Anlage AST 2, eingeleitet.
2. Der Antragsgegnerin wird es untersagt, das im Antrag zu 1. bezeichnete Vergabeverfahren auf Grundlage der bisherigen Vergabe- und Vertragsunterlagen durch Zuschlagserteilung abzuschließen.
3. Der Antragsgegnerin wird bei fortbestehender Vergabeabsicht aufgegeben, ein ordnungsgemäßes Vergabeverfahren betreffend die Vergabe von Dienstleistungen von Architektur-, Konstruktions- und Ingenieurbüros und Prüfstellen - Neubau Kindertagesstätte ... gemäß dem Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen und gemäß der Vergabeverordnung nach Maßgabe der Rechtsauffassung der Vergabekammer durchzuführen.
4. Das im Antrag zu 1. bezeichnete Verfahren wird aufgehoben, hilfsweise:
auf den Zeitpunkt vor der Veröffentlichung der Auftragsbekanntmachung zu rückversetzt, äußerst hilfsweise:
Die Vergabekammer wirkt unabhängig vom Haupt- und Hilfsantrag zu 4. auf die Rechtmäßigkeit des Vergabeverfahrens hin (vgl.§ 168 Abs. 1 S. 2 GWB).
5. Die Vergabeakten der Antragsgegnerin werden beigezogen.
6. Dem Antragsteller wird Einsicht in die Vergabeakten der Antragsgegnerin gewährt.
7. Der Nachprüfungsantrag wird der Antragsgegnerin unverzüglich -notfalls per Telefaxzugestellt.
8. Die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten durch den Antragsteller wird gemäß § 182 Abs. 4 GWB für notwendig erklärt.
9. Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Verfahrens einschließlich der Kosten der zweckentsprechenden Rechtsverfolgung des Antragstellers zu tragen.
Hierzu trägt sie vor: Aufgrund des Verstoßes habe sich die Antragstellerin außerstande gesehen, ein Angebot abzugeben. § 97 Abs. 4 Satz 2 GWB war anzuwenden, es habe auch die Möglichkeit der Losaufteilung bestanden, insbesondere habe es keine technischen oder wirtschaftlichen Gründe für eine Gesamtvergabe gegeben.
Am 6. September 2024 teilte die Antragsgegnerin mit, sie habe das Vergabeverfahren aufgehoben. Es sei kein Gewinner ermittelt worden, es sei auch kein Zuschlag erteilt worden. Mit Schriftsatz vom 11. September 2024 erklärte die Antragstellerin auf die übermittelte Aufhebungsmitteilung vom 6. September 2024 den Nachprüfungsantrag für erledigt und stellte die Anträge zu 3., 8. und 9. aus dem Schriftsatz vom 30. August 2024.
Sie beantragt festzustellen,
dass das aufgehobene Vergabeverfahren "Deutschland - Dienstleistungen von Architektur-, Konstruktions- und Ingenieurbüros und Prüfstellen - Neubau Kindertagestätte ..., Veröffentlichungsnummer der Bekanntmachung: ..., ABl. S - Nummer der Ausgabe: ... " vergabefehlerhaft war und die Antragstellerin in ihren Rechten verletzt hat.
Hierzu trägt sie vor:
Sie habe ein Feststellungsinteresse. Ein solches Feststellungsinteresse sei insbesondere gegeben, wenn der Antrag der Vorbereitung einer Schadensersatzforderung dienen soll. In der Regel genüge es, dass der Antragsteller vorträgt, er beabsichtige, Schadensersatzansprüche gegen die Vergabestelle geltend zu machen und dass ein solcher Prozess nicht von vornherein aussichtslos erscheint. Beauftrage der Bieter für die Prüfung der Vergabeunterlagen einen Rechtsanwalt, sind die aus dessen Beauftragung resultierenden Kosten ein durch den Pflichtenverstoß adäquat kausal herbeigeführter Schaden. Dies gelte auch dann, wenn der Bieter sich hinsichtlich der Vergaberechtswidrigkeit nicht sicher ist, sondern lediglich Zweifel hegt. Entscheidend sei, dass die objektiv gegebene Vergaberechtswidrigkeit der Vergabeunterlagen den Bieter dazu veranlasst habe, anwaltliche Hilfe in Anspruch zu nehmen.
Die Antragstellerin macht außerdem eine Wiederholungsgefahr geltend. Der Auftraggeber habe keine Gründe für die Aufhebung genannt und sich auch von seiner bisher vertretenen Rechtsmeinung nicht distanziert. Daher sei die Gefahr begründet, dass der Antragsgegner die mit dem Nachprüfungsverfahren geltend gemachten Verstöße in einer neuen Ausschreibung wiederholt.
Die Antragsgegnerin hat nach ihrer Nachricht vom 6. September 2024 zum Verfahren nicht mehr weiter Stellung genommen.
II.
Der Fortsetzungsfeststellungsantrag ist zulässig. Eine wirksame Erledigung ist durch die Aufhebung der Ausschreibung gegeben. Die neuere Rechtsprechung geht davon aus, dass es für die Frage der Erledigung eines Nachprüfungsantrags nicht darauf ankommt, ob dieser ursprünglich zulässig und begründet war; vielmehr soll es ausreichen, dass der ursprüngliche Antrag gegenstandslos geworden ist (Antweiler in: Beck'scher Vergaberechtskommentar § 168 Rz. 63, 64).
Es besteht auch ein Feststellungsinteresse der Antragstellerin. Das Feststellungsinteresse als weitere Zulässigkeitsvoraussetzung kann jedes Interesse rechtlicher, wirtschaftlicher oder auch ideeller Art sein, wobei die beantragte Feststellung geeignet sein muss, die Rechtsposition des Antragstellers zu verbessern und eine Beeinträchtigung seiner Rechte auszugleichen oder wenigstens zu mildern (Antweiler a.a.O. Rz. 65). Ein solches Feststellungsinteresse liegt insbesondere dann vor, wenn der Feststellungsantrag der Vorbereitung eines Schadensersatzprozesses dient. Da mit § 168 Abs. 2 Satz 2 gerade erreicht werden soll, dass die im Nachprüfungsverfahren erarbeiteten Ergebnisse für einen späteren Schadenersatzprozess gesichert werden, genügt für die Zulässigkeit des Feststellungsantrags die nicht auszuschließende Möglichkeit eines Schadensersatzanspruches des Bieters gegen den Auftraggeber. Dabei reicht es bereits aus, dass der Antragsteller vorträgt, er beabsichtige, Schadensersatzansprüche gegen den Auftraggeber geltend zu machen (Antweiler a.a.O. Rz. 66). Ob das Feststellungsinteresse allein mit dem Kosteninteresse im Nachprüfungsverfahren begründet werden kann, ist hingegen streitig, wird aber verneint (Immenga/Mestmäker § 168 Rz. 55). Der Antragsteller hat nicht dargelegt, welcher Schaden ihm über die mit diesem Verfahren verbundenen Anwaltskosten hinaus entstanden ist.
Jedenfalls resultiert das Feststellungsinteresse aus einer drohenden Wiederholungsgefahr. Eine Wiederholungsgefahr besteht, wenn sich der Antragsteller auf Rechtsverletzungen berufen hat, "die ihrer Art nach eine gleichartige Wiederholung besorgen lassen". Das Risiko, dass der Auftraggeber bei gleicher Sachlage voraussichtlich dieselbe - beanstandete - Entscheidung erneut trifft, würde die Anforderungen an ein Feststellungsinteresse überspannen (vgl. Antweiler a.a.O. Rz. 67). Die Antragsgegnerin hat die Aufhebung des Ausschreibungsverfahrens nicht weiter begründet. Es besteht aber eine hinreichende konkrete Wiederholungsgefahr, wenn die Vergabestelle eine erneute Ausschreibung der gleichen Leistungen beabsichtigt und die gerügten Ausschreibungsbedingungen im Vergabenachprüfungsverfahren verteidigt hat (Fett in: Münchener Kommentar zum Wettbewerbsrecht § 168 GWB Rz. 65; OLG Celle v. 19.3.2019 - 13 Verg 7/18). Die Bewertung ist auf diesen Fall übertragbar, weil die Rügeantwort vom 16. August 2024 eine Bekräftigung der getroffenen Entscheidung enthielt und keine Anhaltspunkte für die Aufgabe der Beschaffungsabsicht durch die Antragsgegnerin bestehen. Nach der Argumentation der Vergabestelle wären die Interessen mittelständischer Unternehmen gewahrt, weil ein Auftragnehmer Subunternehmer beschäftigen könne. Hiermit hat sie die Auffassung vertreten, zu einer Gesamtvergabe berechtigt zu sein und diese Auffassung auch später nicht widerrufen.
III.
Der Fortsetzungsfeststellungsantrag ist auch begründet.
Die Antragsgegnerin hat gegen das Gebot der Losvergabe nach § 97 Abs. 4 Satz 1 GWB verstoßen. Ist eine Fachlosbildung möglich, weil für diese Leistungen ein eigener Markt besteht, kommt eine Gesamtvergabe nur ausnahmsweise in Betracht. Der gesetzliche Regelfall ist die losweise Vergabe, sie ist grundsätzlich vorrangig. Der öffentliche Auftraggeber hat sich daher, wenn ihm eine Ausnahme von dem Grundsatz der losweisen Vergabe aus wirtschaftlichen oder technischen Gründen erforderlich erscheint, mit dem Gebot einer Fachlosvergabe und den dagegensprechenden Gründen intensiv auseinanderzusetzen. Er hat eine umfassende Abwägung der widerstreitenden Belange vorzunehmen, als deren Ergebnis die für eine zusammenfassende Vergabe sprechenden Gründen nicht nur anerkennenswert sein, sondern überwiegen müssen (OLG Düsseldorf Beschluss vom 21. August 2024, Verg 7/24). Bei seiner Entscheidung hat der öffentliche Auftraggeber einen Beurteilungsspielraum. Der Kontrolle durch die Nachprüfungsinstanzen unterliegt insofern allein, ob die Entscheidung auf vollständiger und zutreffender Sachverhaltsermittlung und nicht auf einer Fehlbeurteilung, namentlich auf Willkür, beruht (OLG Düsseldorf Beschluss vom 21. August 2024; Verg 7/24).
Ob die dokumentierte Abwägung der Vergabestelle in diesem Fall ausreichend gewesen ist, muss nicht mehr entschieden werden. Denn in diesem Fall hat die Vergabestelle in ihrer Rügeantwort ausdrücklich eine falsche Rechtsauffassung mitgeteilt, mit der sie ihre Entscheidung auf eine Fehlbeurteilung stützt. Denn eine mangelnde Berücksichtigung mittelständischer Interessen kann nicht durch einen Auftraggeber mit der Einschaltung von Subunternehmern ausgeglichen werden. Die Einhaltung des Gebots der Losvergabe nach § 97 Abs. 4 Satz 1 GWB ist schon nach dem Gesetzestext eine Aufgabe der Vergabestelle. Auch nach der Kommentarliteratur begründet § 97 Abs. 4 GWB subjektive Rechte für Bieter gemäß § 97 Abs. 6 GWB und umgekehrt eine "justiziable Verpflichtung der Auftraggeber" (Antweiler in: Beck'scher Vergaberechtskommentar § 97 Abs. 4 Rz. 35). Sie kann diese Aufgabe nicht auf einen Auftragnehmer übertragen. Die Auftraggeber verpflichtet der Grundsatz, die Vergabevorschriften so anzuwenden, dass ein möglichst wirksamer Bieterwettbewerb um die Aufträge gewährleistet ist. Ausschreibungen oder Teilnahmebedingungen, die geeignet sind, den Wettbewerb zu umgehen, einzuschränken oder auszuschalten, sind grundsätzlich unzulässig (Dörr in: Beck'scher Vergaberechtskommentar, § 97 Abs. 1 Rz. 10). Gerade diese Möglichkeit war hier aber theoretisch gegeben. Durch ihre Wortwahl in der Rügeantwort räumte die Antragsgegnerin selbst ein, dass ein Bieter ein Angebot mit Subunternehmerleistungen abgeben kann, aber nicht muss.
IV.
Für die Amtshandlungen der Vergabekammern werden nach § 182 Abs. 1 S. 1 GWB grundsätzlich Kosten (Gebühren und Auslagen) zur Deckung des Verwaltungsaufwandes erhoben. Nach Satz 2 dieser Vorschrift ist das Verwaltungskostengesetz (VwKostG) vom 23. Juni 1970 (BGBl. I S. 821) der am 14. August 2023 geltenden Fassung anzuwenden. Soweit ein Beteiligter im Verfahren unterliegt, hat er die Kosten zu tragen, § 182 Abs. 3 S. 1 GWB. Die Antragsgegnerin hat damit als unterlegene Partei zwar die Kosten zu tragen; als Gemeinde ist die Antragsgegnerin nach § 8 Abs. 1 Nr. 3 VwKostG von der Zahlung der Gebühren für Amtshandlungen der Vergabekammer befreit.
Zu den Aufwendungen: Hat sich der Antrag durch Rücknahme oder anderweitig erledigt, erfolgt die Entscheidung, wer die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen anderer Beteiligter zu tragen hat, nach billigem Ermessen, vgl. § 182 Abs. 4 Satz 3 GWB. Demnach kommt es sowohl bei Antragsrücknahme als auch bei anderweitiger Erledigung in erster Linie darauf an, welcher Beteiligte im materiellen Sinne obsiegt hat bzw. bei einer Fortführung obsiegt hätte (Krohn in: Burgi/Dreher Beck'scher Vergaberechtskommentar § 182 Rz. 56).
Die Antragsgegnerin hat die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Antragstellerin zu tragen. Nach § 182 Abs. 4 Satz 1 GWB hat die Antragsgegnerin auch die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Antragstellerin zu erstatten. Die Hinzuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten durch die Antragstellerin war notwendig. Die Notwendigkeit dieser Hinzuziehung ist jeweils nach den individuellen Umständen des einzelnen Nachprüfungsverfahrens zu beurteilen. Grundsätzlich ist hierbei zunächst auf die spezifischen Besonderheiten des Vergabenachprüfungsverfahrens abzustellen. Es handelt sich um eine immer noch nicht zum (weder juristischen noch unternehmerischen) Allgemeingut zählende, auch aufgrund vielfältiger europarechtlicher Überlagerungen wenig übersichtliche und zudem steten Veränderungen unterworfene Rechtsmaterie, die wegen des gerichtsähnlich ausgestalteten Verfahrens bei der Vergabekammer bereits dort prozessrechtliche Kenntnisse verlangt (Krohn in: Burgi/Dreher Beck'scher Vergaberechtskommentar § 182 GWB Rz. 45 m. w. N.). Eine Ausnahme kann vorliegen, sofern sich die zu behandelnde Materie auf einen einfach gelagerten Sachverhalt beschränkt (vgl. Röwekamp/Kus/Portz/Prieß § 182 GWB Rz. 36). Die Hinzuziehung ist im Regelfall als notwendig anzuerkennen (Röwekamp/Kus/Portz /Prieß § 182 GWB Rz. 36). Die hier zu behandelnden Rechtsfragen waren jedenfalls nicht ganz einfach gelagert, so dass die Hinzuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten notwendig war.
V.
(Rechtsmittelbelehrung)
Änderung der Vergütungsmethode = Änderung des Gesamtcharakters?
Änderung der Vergütungsmethode = Änderung des Gesamtcharakters?
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| 1 | Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 72 Abs. 2 der Richtlinie 2014/24/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Februar 2014 über die öffentliche Auftragsvergabe und zur Aufhebung der Richtlinie 2004/18/EG (ABl. 2014, L 94, S. 65, berichtigt in ABl. 2022, L 192, S. 39). |
| 2 | Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Polismyndighet (Polizeibehörde, Schweden) und dem Konkurrensverk (Wettbewerbsbehörde, Schweden) über dessen Antrag, gegen die Polizeibehörde wegen der Änderung von Rahmenvereinbarungen über Abschleppdienstleistungen ohne Durchführung eines neuen Vergabeverfahrens eine Geldbuße zu verhängen. Rechtlicher Rahmen |
| 3 | Die Erwägungsgründe 107 und 109 der Richtlinie 2014/24 sind wie folgt gefasst: "(107) Es ist erforderlich, die Bedingungen näher zu bestimmen, unter denen Änderungen eines Auftrags während des Ausführungszeitraums ein neues Vergabeverfahren erfordern; dabei ist der einschlägigen Rechtsprechung des Gerichtshofs Rechnung zu tragen. Ein neues Vergabeverfahren ist erforderlich bei wesentlichen Änderungen des ursprünglichen Auftrags, insbesondere des Umfangs und der inhaltlichen Ausgestaltung der gegenseitigen Rechte und Pflichten der Parteien, einschließlich der Zuweisung der Rechte des geistigen Eigentums. Derartige Änderungen sind Ausdruck der Absicht der Parteien, wesentliche Bedingungen des betreffenden Auftrags neu zu verhandeln. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die geänderten Bedingungen, hätten sie bereits für das ursprüngliche Verfahren gegolten, dessen Ergebnis beeinflusst hätten. Änderungen des Auftrags, die zu einer geringfügigen Änderung des Auftragswerts bis zu einer bestimmten Höhe führen, sollten jederzeit möglich sein, ohne dass ein neues Vergabeverfahren durchgeführt werden muss. Zu diesem Zweck und um Rechtssicherheit zu gewährleisten, sollten in dieser Richtlinie Geringfügigkeitsgrenzen vorgesehen werden, unterhalb deren kein neues Vergabeverfahren erforderlich ist. Änderungen des Auftrags, die diese Schwellenwerte überschreiten, sollten ohne erneutes Vergabeverfahren möglich sein, soweit diese die in dieser Richtlinie festgelegten Bedingungen erfüllen. (109) Öffentliche Auftraggeber können sich mit externen Umständen konfrontiert sehen, die sie zum Zeitpunkt der Zuschlagserteilung nicht absehen konnten, insbesondere wenn sich die Ausführung des Auftrags über einen längeren Zeitraum erstreckt. In diesem Fall ist ein gewisses Maß an Flexibilität erforderlich, um den Auftrag an diese Gegebenheiten anzupassen, ohne ein neues Vergabeverfahren einleiten zu müssen. Der Begriff unvorhersehbare Umstände bezeichnet Umstände, die auch bei einer nach vernünftigem Ermessen sorgfältigen Vorbereitung der ursprünglichen Zuschlagserteilung durch den öffentlichen Auftraggeber unter Berücksichtigung der diesem zur Verfügung stehenden Mittel, der Art und Merkmale des spezifischen Projekts, der bewährten Praxis im betreffenden Bereich und der Notwendigkeit, ein angemessenes Verhältnis zwischen den bei der Vorbereitung der Zuschlagserteilung eingesetzten Ressourcen und dem absehbaren Nutzen zu gewährleisten, nicht hätten vorausgesagt werden können. Dies kann jedoch nicht für Fälle gelten, in denen sich mit einer Änderung das Wesen des gesamten Auftrags verändert - indem beispielsweise die zu beschaffenden Bauleistungen, Lieferungen oder Dienstleistungen durch andersartige Leistungen ersetzt werden oder indem sich die Art der Beschaffung grundlegend ändert -, da in einer derartigen Situation ein hypothetischer Einfluss auf das Ergebnis unterstellt werden kann." |
| 4 | Art. 72 der Richtlinie 2014/24 bestimmt: "(1) Aufträge und Rahmenvereinbarungen können in den folgenden Fällen ohne Durchführung eines neuen Vergabeverfahrens im Einklang mit dieser Richtlinie geändert werden: a) wenn die Änderungen, unabhängig von ihrem Geldwert, in den ursprünglichen Auftragsunterlagen in Form von klar, präzise und eindeutig formulierten Überprüfungsklauseln, die auch Preisüberprüfungsklauseln beinhalten können, oder Optionen vorgesehen sind. Entsprechende Klauseln müssen Angaben zu Umfang und Art möglicher Änderungen oder Optionen sowie zu den Bedingungen enthalten, unter denen sie zur Anwendung gelangen können. Sie dürfen keine Änderungen oder Optionen vorsehen, die den Gesamtcharakter des Auftrags oder der Rahmenvereinbarung verändern würden; c) wenn alle der folgenden Bedingungen erfüllt sind: i) Die Änderung wurde erforderlich aufgrund von Umständen, die ein seiner Sorgfaltspflicht nachkommender öffentlicher Auftraggeber nicht vorhersehen konnte; ii) der Gesamtcharakter des Auftrags verändert sich aufgrund der Änderung nicht; iii) eine etwaige Preiserhöhung beträgt nicht mehr als 50 % des Werts des ursprünglichen Auftrags oder der ursprünglichen Rahmenvereinbarung. Werden mehrere aufeinander folgende Änderungen vorgenommen, so gilt diese Beschränkung für den Wert jeder einzelnen Änderung. Solche aufeinander folgenden Änderungen dürfen nicht mit dem Ziel vorgenommen werden, diese Richtlinie zu umgehen; e) wenn die Änderungen, unabhängig von ihrem Wert, nicht wesentlich im Sinne des Absatzes 4 sind. (2) Darüber hinaus können Aufträge auch ohne Durchführung eines neuen Vergabeverfahrens im Einklang mit dieser Richtlinie geändert werden, ohne dass überprüft werden muss, ob die in Absatz 4 Buchstaben a bis d genannten Bedingungen erfüllt sind, wenn der Wert der Änderung die beiden folgenden Werte nicht übersteigt: i) die in Artikel 4 genannten Schwellenwerte und ii) 10 % des ursprünglichen Auftragswerts bei Liefer- und Dienstleistungsaufträgen und 15 % des ursprünglichen Auftragswerts bei Bauaufträgen. Der Gesamtcharakter des Auftrags oder der Rahmenvereinbarung darf sich allerdings aufgrund der Änderung nicht verändern. Im Falle mehrerer aufeinander folgender Änderungen wird deren Wert auf der Grundlage des kumulierten Nettowerts der aufeinander folgenden Änderungen bestimmt. (4) Eine Änderung eines Auftrags oder einer Rahmenvereinbarung während seiner beziehungsweise ihrer Laufzeit gilt als wesentlich im Sinne des Absatzes 1 Buchstabe e, wenn sie dazu führt, dass sich der Auftrag oder die Rahmenvereinbarung erheblich von dem ursprünglichen vergebenen Auftrag beziehungsweise der ursprünglich vergebenen Rahmenvereinbarung unterscheidet. Unbeschadet der Absätze 1 und 2 ist eine Änderung in jedem Fall als wesentlich anzusehen, wenn eine oder mehrere der folgenden Voraussetzungen erfüllt ist: a) Mit der Änderung werden Bedingungen eingeführt, die, wenn sie für das ursprüngliche Vergabeverfahren gegolten hätten, die Zulassung anderer als der ursprünglich ausgewählten Bewerber oder die Annahme eines anderen als des ursprünglich angenommenen Angebots ermöglicht hätten oder das Interesse weiterer Teilnehmer am Vergabeverfahren geweckt hätten; b) mit der Änderung wird das wirtschaftliche Gleichgewicht des Auftrags oder der Rahmenvereinbarung zugunsten des Auftragnehmers in einer Weise verschoben, die im ursprünglichen Auftrag beziehungsweise der ursprünglichen Rahmenvereinbarung nicht vorgesehen war; c) mit der Änderung wird der Umfang des Auftrags oder der Rahmenvereinbarung erheblich ausgeweitet; d) ein neuer Auftragnehmer ersetzt den Auftragnehmer, an den der öffentliche Auftraggeber den Auftrag ursprünglich vergeben hatte, in anderen als den in Absatz 1 Buchstabe d vorgesehenen Fällen. (5) Ein neues Vergabeverfahren im Einklang mit dieser Richtlinie ist erforderlich bei anderen als den in den Absätzen 1 und 2 vorgesehenen Änderungen der Bestimmungen eines öffentlichen Auftrags oder einer Rahmenvereinbarung während seiner beziehungsweise ihrer Laufzeit." Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefrage |
| 5 | Die Polizeibehörde leitete im Jahr 2020 eine Ausschreibung für Abschleppdienstleistungen ein, bei der die Angebotsbewertung auf Grundlage des Zuschlagskriteriums des niedrigsten angebotenen Preises vorgenommen werden sollte. Die Bieter sollten für Aufträge, bei denen der Abholort des Fahrzeugs in einem Radius von 10 km Entfernung von dem Ort lag, an den es danach gebracht werden sollte, einen Festpreis und für Transporte außerhalb dieses Radius für den verbleibenden Teil der Fahrtstrecke einen Zuschlag pro Kilometer angeben. Aus den betreffenden Auftragsunterlagen ging hervor, dass die Preise für die gesamte Laufzeit der Vereinbarung gelten sollten. |
| 6 | Die genannte Auftragsvergabe führte Anfang 2021 zum Abschluss von zwei Rahmenvereinbarungen, davon eine mit der Lidköpings Biltjänst Hyr AB. |
| 7 | Im Lauf des Jahres 2021 einigte sich die Polizeibehörde mit den beiden betreffenden Auftragnehmern darauf, die Vergütungsbedingungen in den beiden Rahmenvereinbarungen zu ändern, um eine gleichmäßigere Verteilung der Kosten auf die verschiedenen Polizeibezirke zu erzielen, ohne den Gesamtvertragswert dieser beiden Rahmenvereinbarungen zu erhöhen. Zum einen wurde der Radius der Leistungen, für die nur ein Festpreis geschuldet wurde, von 10 auf 50 km ausgedehnt. Zum anderen wurden die ursprünglich vereinbarten Preise geändert. Konkret wurde Lidköpings Biltjänst Hyr betreffend der Festpreis pro Auftrag von null auf 4 500 schwedische Kronen (SEK) (von 0 Euro auf etwa 400 Euro) sowie der Kilometerpreis für bestimmte Transporte von 185 auf 28 SEK (von etwa 16,5 Euro auf etwa 2,50 Euro) und für andere von 275 auf 55 SEK (von etwa 24,50 Euro auf etwa 5 Euro) geändert. Die Polizeibehörde kam zu dem Ergebnis, dass die Anwendung dieses neuen Vergütungsmodells zu einer geringfügigen Senkung der Gesamtvergütung von Lidköpings Biltjänst Hyr geführt habe, verglichen mit der, die nach dem ursprünglich vorgesehenen Vergütungsmodell gezahlt worden wäre. |
| 8 | Die Wettbewerbsbehörde beantragte beim Förvaltningsrätt i Stockholm (Verwaltungsgericht Stockholm), die Polizeibehörde wegen Änderung der Rahmenvereinbarungen über Abschleppdienstleistungen ohne Durchführung eines neuen Vergabeverfahrens zur Zahlung einer Geldbuße zu verpflichten. Das Gericht gab diesem Antrag statt und verpflichtete die Polizeibehörde zur Zahlung einer Geldbuße in Höhe von 1 200 000 SEK (etwa 106 650 Euro), da die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Änderungen, wenn sie in die ursprüngliche Ausschreibung aufgenommen worden wären, zur Teilnahme anderer Bieter oder zur Auswahl eines anderen Angebots hätten führen können, so dass die Änderungen als wesentlich anzusehen seien. Aus demselben Grund war das Gericht der Ansicht, dass die Änderungen den Gesamtcharakter der mit Lidköpings Biltjänst Hyr geschlossenen Rahmenvereinbarung veränderten. |
| 9 | Die Polizeibehörde legte gegen dieses Urteil beim Kammarrätt i Stockholm (Oberverwaltungsgericht Stockholm) Berufung ein. Dieses Gericht wies die Berufung zurück und bestätigte im Wesentlichen die Begründung des genannten Urteils. |
| 10 | Die Polizeibehörde legte beim Högsta förvaltningsdomstol (Oberstes Verwaltungsgericht, Schweden), dem vorlegenden Gericht, ein Rechtsmittel ein und machte u. a. geltend, dass das im Urteil des Kammarrätt i Stockholm (Oberverwaltungsgericht Stockholm) herangezogene Kriterium nicht geeignet sei, um zu beurteilen, ob eine Veränderung des Gesamtcharakters der mit Lidköpings Biltjänst Hyr geschlossenen Rahmenvereinbarung vorliege. |
| 11 | Das vorlegende Gericht stellt fest, dass nach der von der Polizeibehörde vorgenommenen Berechnung der Wert der Änderungen der Rahmenvereinbarung unter den in Art. 72 Abs. 2 der Richtlinie 2014/24 vorgesehenen Werten liege. Daher sei zu prüfen, ob die Änderungen als Veränderung des Gesamtcharakters der Rahmenvereinbarung angesehen werden könnten. |
| 12 | Das vorlegende Gericht ist der Ansicht, dass die Rechtsprechung des Gerichtshofs zwar Klarstellungen zum Begriff "wesentliche Änderung" eines Auftrags enthalte. Der Gerichtshof habe jedoch die in Art. 72 Abs. 2 der Richtlinie 2014/24 vorgesehene Regelung für Änderungen von geringem Wert, die ihren Ursprung nicht in dieser Rechtsprechung habe, noch nicht geprüft und sich insbesondere nicht zum Begriff der Veränderung des Gesamtcharakters eines Auftrags geäußert. |
| 13 | Unter diesen Umständen hat der Högsta förvaltningsdomstol (Oberstes Verwaltungsgericht) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen: Kann eine Änderung des Vergütungsmodells einer Rahmenvereinbarung, die ursprünglich anhand des Zuschlagskriteriums des niedrigsten angebotenen Preises vergeben wurde, durch die sich der Schwerpunkt zwischen fester und variabler Preisgestaltung ändert und zugleich die Preisniveaus so angepasst werden, dass sich der Gesamtauftragswert nur in geringem Umfang ändert, dazu führen, das der Gesamtcharakter der Rahmenvereinbarung als im Sinne von Art. 72 Abs. 2 der Richtlinie 2014/24 verändert anzusehen ist? Zur Vorlagefrage |
| 14 | Mit seiner Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 72 Abs. 2 der Richtlinie 2014/24 dahin auszulegen ist, dass die Änderung der in einer Rahmenvereinbarung, die anhand des Zuschlagskriteriums des niedrigsten Preises vergeben wurde, vorgesehenen Vergütungsmethode, durch die das Verhältnis zwischen fester und variabler Vergütung geändert und zugleich die Preise so angepasst werden, dass sich der Gesamtauftragswert nur geringfügig ändert, als Veränderung des Gesamtcharakters der Rahmenvereinbarung im Sinne dieser Bestimmung anzusehen ist. |
| 15 | Art. 72 Abs. 5 der Richtlinie 2014/24 sieht vor, dass bei anderen als den in Art. 72 Abs. 1 und 2 dieser Richtlinie vorgesehenen Änderungen der Bestimmungen einer Rahmenvereinbarung während ihrer Laufzeit ein neues Vergabeverfahren erforderlich ist. |
| 16 | Art. 72 Abs. 1 der Richtlinie 2014/24 zählt fünf Fälle auf, in denen Rahmenvereinbarungen ohne Durchführung eines neuen Vergabeverfahrens geändert werden können. Insbesondere erlaubt Art. 72 Abs. 1 Buchst. e der Richtlinie eine solche Änderung, wenn sie, unabhängig von ihrem Wert, nicht wesentlich im Sinne von Art. 72 Abs. 4 der Richtlinie ist. |
| 17 | Nach Art. 72 Abs. 2 der Richtlinie 2014/24 können Rahmenvereinbarungen auch ohne Durchführung eines neuen Vergabeverfahrens im Einklang mit dieser Richtlinie geändert werden, ohne dass überprüft werden muss, ob die in Art. 72 Abs. 4 Buchst. a bis d der Richtlinie genannten Bedingungen erfüllt sind, wenn der Wert der Änderung die beiden in Art. 72 Abs. 2 Ziff. i und ii definierten Werte nicht übersteigt. Art. 72 Abs. 2 Unterabs. 2 der Richtlinie stellt jedoch klar, dass sich der Gesamtcharakter der betreffenden Rahmenvereinbarung aufgrund der Änderung nicht verändern darf. |
| 18 | Um die Tragweite des Begriffs der Veränderung des Gesamtcharakters einer Rahmenvereinbarung im Sinne von Art. 72 Abs. 2 der Richtlinie 2014/24 zu bestimmen, ist diese Vorschrift nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs unter Berücksichtigung nicht nur ihres Wortlauts, sondern auch ihres Zusammenhangs und der Ziele auszulegen, die mit der Regelung, zu der sie gehört, verfolgt werden (vgl. Urteile vom 17. November 1983, Merck, 292/82, EU:C:1983:335, Rn. 12, und vom 1. August 2025, Tradeinn Retail Services, C‑76/24, EU:C:2025:593, Rn. 25). |
| 19 | Was zum Ersten den Wortlaut von Art. 72 Abs. 2 der Richtlinie 2014/24 betrifft, enthält dieser keine Definition des Begriffs der Veränderung des Gesamtcharakters einer Rahmenvereinbarung. |
| 20 | Da auch keine andere Bestimmung dieser Richtlinie eine solche Definition enthält, sind Bedeutung und Tragweite dieses Ausdrucks entsprechend seinem üblichen Sinn nach dem allgemeinen Sprachgebrauch zu bestimmen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 16. Juli 2020, AFMB u. a., C‑610/18, EU:C:2020:565, Rn. 52, sowie vom 19. Juni 2025, CeramTec, C‑17/24, EU:C:2025:455, Rn. 53). |
| 21 | Der Begriff "Gesamtcharakter" in seiner üblichen Bedeutung zeigt an, dass der Unionsgesetzgeber ausschließlich Änderungen von Rahmenvereinbarungen erfassen wollte, die so weitreichend sind, dass sie zu einer Veränderung des Auftrags oder der Rahmenvereinbarung insgesamt führen. |
| 22 | Außerdem stellt Art. 72 Abs. 2 der Richtlinie 2014/24 klar, dass bei Anwendung dieser Bestimmung nicht "überprüft werden muss, ob die in Absatz 4 Buchstaben a bis d genannten Bedingungen erfüllt sind". |
| 23 | Hierzu ist festzustellen, dass eine Änderung, die eine dieser Bedingungen erfüllt, gemäß Art. 72 Abs. 4 der Richtlinie als wesentlich anzusehen ist. Daher zeigt die Hinzufügung der in der vorstehenden Randnummer genannten Klarstellung in Art. 72 Abs. 2 der Richtlinie, dass der Unionsgesetzgeber der Ansicht war, dass die Frage, ob eine Änderung einer Rahmenvereinbarung wesentlich ist, für die Feststellung, ob diese Änderung den "Gesamtcharakter" dieser Rahmenvereinbarung im Sinne von Art. 72 Abs. 2 Unterabs. 2 verändert, nicht entscheidend ist. |
| 24 | Insbesondere hebt Art. 72 Abs. 4 Buchst. a der Richtlinie 2014/24 speziell auf Änderungen ab, mit denen Bedingungen eingeführt werden, die, wenn sie für das ursprüngliche Vergabeverfahren gegolten hätten, die Zulassung anderer als der ursprünglich ausgewählten Bewerber oder die Annahme eines anderen als des ursprünglich angenommenen Angebots ermöglicht hätten oder das Interesse weiterer Teilnehmer am Vergabeverfahren geweckt hätten. Daraus folgt zwangsläufig, dass der Umstand, dass eine Änderung solche Bedingungen in eine Rahmenvereinbarung einführt, der Durchführung dieser Änderung auf der Grundlage von Art. 72 Abs. 2 der Richtlinie nicht entgegensteht. |
| 25 | Was zum Zweiten den Zusammenhang betrifft, in den sich Art. 72 Abs. 2 der Richtlinie 2014/24 einfügt, ergibt sich aus Art. 72 Abs. 5 dieser Richtlinie, dass Art. 72 Abs. 2 eine Ausnahme von dem Grundsatz darstellt, dass eine Rahmenvereinbarung nicht ohne Durchführung eines neuen Vergabeverfahrens geändert werden darf, so dass die in Art. 72 Abs. 2 vorgesehene Änderungsbefugnis eng auszulegen ist (vgl. entsprechend Urteile vom 4. Juni 2009, Kommission/Griechenland, C‑250/07, EU:C:2009:338, Rn. 35, sowie vom 28. Oktober 2022, Generalstaatsanwaltschaft München [Auslieferung und ne bis in idem], C‑435/22 PPU, EU:C:2022:852, Rn. 120). |
| 26 | Zwar heißt es erstens im ersten Absatz des 107. Erwägungsgrundes der Richtlinie 2014/24, dass bei wesentlichen Änderungen des ursprünglichen Auftrags ein neues Vergabeverfahren erforderlich ist, insbesondere wenn mit den betreffenden Änderungen Bedingungen eingeführt werden, die, hätten sie bereits für das ursprüngliche Verfahren gegolten, dessen Ergebnis beeinflusst hätten. |
| 27 | Der Unionsgesetzgeber hat damit implizit auf eine Lösung Bezug genommen, die in der Rechtsprechung des Gerichtshofs zu Sachverhalten vor Geltung der Richtlinie 2014/24 entwickelt wurde und aus der sich ergab, dass der öffentliche Auftraggeber an den Bestimmungen eines Auftrags keine Änderungen vornehmen durfte, die dazu führten, dass diese Bestimmungen wesentlich andere Merkmale aufwiesen als der ursprüngliche Auftrag, was insbesondere der Fall war, wenn die beabsichtigten Änderungen die Auftragsvergabe in Frage stellten, in dem Sinne, dass, wenn sie in den Unterlagen des ursprünglichen Vergabeverfahrens enthalten gewesen wären, entweder ein anderes Angebot den Zuschlag erhalten hätte oder andere Bieter hätten zugelassen werden können (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 19. Juni 2008, pressetext Nachrichtenagentur, C‑454/06, EU:C:2008:351, Rn. 34 und 35, sowie vom 7. September 2016, Finn Frogne, C‑549/14, EU:C:2016:634, Rn. 28). |
| 28 | Aus dem ersten Absatz des 107. Erwägungsgrundes der Richtlinie 2014/24 geht zwar hervor, dass der Unionsgesetzgeber der Rechtsprechung des Gerichtshofs Rechnung tragen wollte, nicht aber, dass er beabsichtigt hätte, diese Rechtsprechung systematisch zu kodifizieren. |
| 29 | Der zweite Absatz dieses Erwägungsgrundes nuanciert denn auch seinen in Rn. 26 des vorliegenden Urteils wiedergegebenen ersten Absatz, indem er klarstellt, dass "Änderungen des Auftrags, die zu einer geringfügigen Änderung des Auftragswerts bis zu einer bestimmten Höhe führen,
jederzeit möglich sein [sollten], ohne dass ein neues Vergabeverfahren durchgeführt werden muss". |
| 30 | Der Unionsgesetzgeber hat somit seinen Willen zum Ausdruck gebracht, eine weitreichende Möglichkeit vorzusehen, in vereinfachter Weise Änderungen vorzunehmen, die normalerweise den Rückgriff auf ein solches neues Verfahren erfordern würden, sofern diese Änderungen unter bestimmten Wertschwellen liegen, obwohl sich eine solche Möglichkeit aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs zu Sachverhalten vor der Anwendung der Richtlinie 2014/24 nicht ergab. |
| 31 | Zweitens nennt der 109. Erwägungsgrund dieser Richtlinie, der die in Art. 72 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie geregelten Änderungen betrifft, die den Gesamtcharakter des betreffenden Auftrags oder der betreffenden Rahmenvereinbarung nicht verändern dürfen, als Beispiel für Änderungen, die "das Wesen des gesamten Auftrags veränder[n]", die Ersetzung der Bauleistungen, Lieferungen oder Dienstleistungen, die Gegenstand des Auftrags sind, durch andersartige Leistungen sowie eine grundlegende Änderung der Art der betreffenden Beschaffung. |
| 32 | Diese vom Unionsgesetzgeber angeführten Beispiele haben zwar keinen abschließenden Charakter, beziehen sich jedoch ausschließlich auf Änderungen, durch die der betreffende Auftrag verändert wird und deren Umfang somit über den der in Art. 72 Abs. 4 der Richtlinie 2014/24 genannten wesentlichen Änderungen hinausgeht. |
| 33 | Außerdem stellt der 109. Erwägungsgrund der Richtlinie diese Beispiele zwar als Fälle dar, in denen ein hypothetischer Einfluss der in Rede stehenden Änderung auf das Ergebnis des betreffenden Auftrags unterstellt werden kann, doch kann daraus nicht abgeleitet werden, dass jede Änderung, die eine solche Wirkung hat, als eine Veränderung des Gesamtcharakters dieses Auftrags anzusehen wäre. |
| 34 | Drittens ergibt sich aus dem Vergleich der Abs. 1, 2 und 4 von Art. 72 der Richtlinie 2014/24, dass sich der Unionsgesetzgeber dafür entschieden hat, unterschiedliche Formulierungen zu verwenden, um einerseits Änderungen, die den Gesamtcharakter einer Rahmenvereinbarung verändern, und andererseits wesentliche Änderungen dieser Vereinbarung zu erfassen. |
| 35 | Im Übrigen nähme im Hinblick auf die Struktur von Art. 72 der Richtlinie 2014/24 eine Auslegung dieser Bestimmung, die die Begriffe der wesentlichen Änderungen und der Änderungen, die den Gesamtcharakter des Auftrags oder der Rahmenvereinbarung verändern, gleichstellt, Art. 72 Abs. 1 Buchst. a und c sowie Abs. 2 jede praktische Wirksamkeit. |
| 36 | Zum einen geht nämlich aus Art. 72 Abs. 1 Buchst. e der Richtlinie 2014/24 hervor, dass nicht wesentliche Änderungen unabhängig von ihrem Wert vorgenommen werden können, ohne dass ein neues Vergabeverfahren durchgeführt werden muss. Zum anderen gelten Art. 72 Abs. 1 Buchst. a und c sowie Abs. 2 schon ihrem Wortlaut nach nicht für Änderungen, die den Gesamtcharakter des betreffenden Auftrags oder der betreffenden Rahmenvereinbarung verändern. Würde diese letztgenannte Bedingung daher so verstanden, dass die genannten Bestimmungen nur die Vornahme nicht wesentlicher Änderungen gestatten, dann würden sie ausschließlich Änderungen eines Auftrags oder einer Rahmenvereinbarung erlauben, die ohnehin nach Art. 72 Abs. 1 Buchst. e der Richtlinie vorgenommen werden könnten. |
| 37 | Eine solche Auslegung stünde umso weniger im Einklang mit der Struktur von Art. 72 der Richtlinie, als in Abs. 1 Buchst. a und c sowie in Abs. 2 dieses Artikels jeweils besondere Bedingungen neben dem Fehlen einer Veränderung des Gesamtcharakters des betreffenden Auftrags oder der betreffenden Rahmenvereinbarung aufgestellt werden, die ohne jeden Nutzen wären, wenn man dieser Auslegung folgte. |
| 38 | Was zum Dritten die Ziele der Richtlinie 2014/24 betrifft, ergibt sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs, dass Art. 72 dieser Richtlinie durch die Festlegung der Bedingungen, unter denen laufende Aufträge oder Rahmenvereinbarungen geändert werden können, die Einhaltung der Grundsätze der Gleichbehandlung und der Transparenz sicherstellen und gleichzeitig eine gewisse Flexibilität bei der Anwendung der Vorschriften über Aufträge und Rahmenvereinbarungen schaffen soll, damit die öffentlichen Auftraggeber pragmatisch auf Sachverhalte reagieren können, mit denen sie sich während der Ausführung von Aufträgen und Rahmenvereinbarungen konfrontiert sehen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 3. Februar 2022, Advania Sverige und Kammarkollegiet, C‑461/20, EU:C:2022:72, Rn. 32 und 37, sowie vom 7. Dezember 2023, Obshtina Razgrad, C‑441/22 und C‑443/22, EU:C:2023:970, Rn. 61). |
| 39 | Im Übrigen geht aus dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die öffentliche Auftragsvergabe vom 20. Dezember 2011 (KOM[2011] 896 endgültig), der zum Erlass der Richtlinie 2014/24 geführt hat, hervor, dass der Erlass der nunmehr in Art. 72 dieser Richtlinie enthaltenen Vorschriften u. a. darauf abzielte, "eine pragmatische Lösung für den Fall vor[zusehen], dass unvorhergesehene Umstände während des Durchführungszeitraums eine Anpassung eines öffentlichen Auftrags erfordern". |
| 40 | Wie der Generalanwalt in Nr. 28 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, sind die in Art. 72 Abs. 1 Buchst. a und c sowie Abs. 2 der Richtlinie 2014/24 genannten Fälle dadurch gekennzeichnet, dass sie besondere Situationen betreffen, in denen es weniger wahrscheinlich ist, dass die beabsichtigte Änderung die Einhaltung der Grundsätze der Gleichbehandlung und der Transparenz beeinträchtigt, so dass auf sie eine Regelung mit erhöhter Flexibilität angewandt werden kann. |
| 41 | Aus diesen Erwägungen ergibt sich, dass sich der Begriff der Veränderung des Gesamtcharakters einer Rahmenvereinbarung von dem ihrer wesentlichen Änderung unterscheidet und dass der erstgenannte Begriff nur die wichtigsten wesentlichen Änderungen erfasst, die eine grundlegende Änderung des Gegenstands oder der Art der betreffenden Rahmenvereinbarung oder eine grundlegende Verschiebung ihres Gleichgewichts mit sich bringen und deshalb als so weitreichend angesehen werden können, dass sie zu einer Veränderung der Rahmenvereinbarung insgesamt führen. |
| 42 | Daraus folgt, dass der bloße Umstand, dass eine Änderung sich auf das Ergebnis des ursprünglichen Vergabeverfahrens der betreffenden Rahmenvereinbarung ausgewirkt hätte, wenn sie in die Ausschreibungsunterlagen aufgenommen worden wäre - was der in Art. 72 Abs. 4 Buchst. a der Richtlinie 2014/24 genannten Voraussetzung entspricht -, für sich genommen nicht für den Nachweis ausreicht, dass die Änderung den Gesamtcharakter dieser Rahmenvereinbarung verändert. |
| 43 | Was speziell die Änderung der Vergütungsmethode einer Rahmenvereinbarung betrifft, sieht Art. 72 Abs. 1 Buchst. a und c der Richtlinie 2014/24 ausdrücklich die Möglichkeit vor, den Preis eines Auftrags oder einer Rahmenvereinbarung zu ändern, sofern dies den Gesamtcharakter des betreffenden Auftrags oder der betreffenden Rahmenvereinbarung nicht verändert. |
| 44 | Da diese Bestimmungen Preisänderungen, die zu einer Veränderung des Gesamtcharakters des betreffenden Auftrags oder der betreffenden Rahmenvereinbarung führen, ausdrücklich ausschließen, nähme die Annahme, dass eine begrenzte Änderung des Preises eines Auftrags oder einer Rahmenvereinbarung unter allen Umständen eine solche Veränderung darstellt, den vom Unionsgesetzgeber in diesen Bestimmungen ausdrücklich vorgesehenen Anpassungsmechanismen jede Wirksamkeit. |
| 45 | Im Übrigen erwähnt Art. 72 Abs. 2 der Richtlinie 2014/24 zwar nicht ausdrücklich die Möglichkeit, den Preis eines Auftrags oder einer Rahmenvereinbarung zu ändern, doch erlaubt diese Bestimmung nur Änderungen von begrenztem Wert, was es ermöglicht, die Auswirkungen einer Änderung des Preises auf das Gleichgewicht der betreffenden Rahmenvereinbarung zu begrenzen. |
| 46 | Eine Änderung der Vergütungsmethode einer Rahmenvereinbarung, die zu einer geringfügigen Änderung des Gesamtwerts dieser Rahmenvereinbarung führt, bedeutet aber jedenfalls keine grundlegende Änderung des Gegenstands dieser Rahmenvereinbarung oder grundsätzlich der Art der betreffenden Rahmenvereinbarung. |
| 47 | Dagegen ist nicht völlig auszuschließen, dass unter außergewöhnlichen Umständen eine Änderung der Vergütungsmethode, die zu einer geringfügigen Änderung des Gesamtwerts einer Rahmenvereinbarung führt, wie eine drastische Änderung des Verhältnisses zwischen fester und variabler Vergütung, zu einer grundlegenden Verschiebung des Gleichgewichts dieser Rahmenvereinbarung und damit zu einer Veränderung des Gesamtcharakters dieser Rahmenvereinbarung führen kann. |
| 48 | Dies ist der Fall, wenn die Änderung der Vergütungsmethode der betreffenden Rahmenvereinbarung eine völlige Umwälzung ihrer Systematik bedingt, die dazu führt, dass der oder die Zuschlagsempfänger der Rahmenvereinbarung in eine deutlich günstigere Lage versetzt werden, als sie sich aus der Anwendung der ursprünglich vereinbarten Vergütungsmethode ergeben hätte, was das vorlegende Gericht im Ausgangsverfahren unter Berücksichtigung aller relevanten Umstände zu prüfen hat. |
| 49 | Nach alledem ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass Art. 72 Abs. 2 der Richtlinie 2014/24 dahin auszulegen ist, dass die Änderung der in einer Rahmenvereinbarung, die anhand des Zuschlagskriteriums des niedrigsten Preises vergeben wurde, vorgesehenen Vergütungsmethode, durch die das Verhältnis zwischen fester und variabler Vergütung geändert und zugleich die Preise so angepasst werden, dass sich der Gesamtauftragswert nur geringfügig ändert, nicht als Veränderung des Gesamtcharakters der Rahmenvereinbarung im Sinne dieser Bestimmung anzusehen ist, es sei denn, die Änderung der Vergütungsmethode führt zu einer grundlegenden Verschiebung des Gleichgewichts der Rahmenvereinbarung. Kosten |
| 50 | Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren Teil des beim vorlegenden Gericht anhängigen Verfahrens; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig. Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Dritte Kammer) für Recht erkannt: Art. 72 Abs. 2 der Richtlinie 2014/24/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Februar 2014 über die öffentliche Auftragsvergabe und zur Aufhebung der Richtlinie 2004/18/EG ist dahin gehend auszulegen, dass die Änderung der in einer Rahmenvereinbarung, die anhand des Zuschlagskriteriums des niedrigsten Preises vergeben wurde, vorgesehenen Vergütungsmethode, durch die das Verhältnis zwischen fester und variabler Vergütung geändert und zugleich die Preise so angepasst werden, dass sich der Gesamtauftragswert nur geringfügig ändert, nicht als Veränderung des Gesamtcharakters der Rahmenvereinbarung im Sinne dieser Bestimmung anzusehen ist, es sei denn, die Änderung der Vergütungsmethode führt zu einer grundlegenden Verschiebung des Gleichgewichts der Rahmenvereinbarung. |
Wann sind Fremdreferenzen zurechenbar?
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