VK Bund
Beschluss
vom 18.11.2022
VK 1-87/22
1. Erscheint der Angebotspreis ungewöhnlich niedrig, klärt der Auftraggeber die kalkulatorischen Grundlagen des Angebots auf (das Angebot bleibt unverändert). Der Auftraggeber ist hierbei frei darin, solange aufzuklären, bis er die zweckentsprechenden Informationen zur Prüfung des Ausschlussgrunds eines ungewöhnlich niedrigen Angebots erhalten hat.
2. Eine Aufklärung über die Angebote darf im offenen Verfahren mündlich geschehen.
3. Kann die mündliche Kommunikation mit Bietern Einfluss auf Inhalt und Bewertung von deren Angebot haben, hat der öffentliche Auftraggeber darauf zu achten, dass in hinreichendem Umfang und in geeigneter Weise dokumentiert wird.
In dem Nachprüfungsverfahren
[...]
wegen der Vergabe "Räumen und Streuen im Winterdienst - Strecke und Grasmäharbeiten", Referenznummer der Bekanntmachung: [...], EU-Bekanntmachung [...],
hat die 1. Vergabekammer des Bundes durch den Vorsitzenden Direktor beim Bundeskartellamt Behrens, die hauptamtliche Beisitzerin Leitende Regierungsdirektorin Brauer und den ehrenamtlichen Beisitzer Dr. Jamrath aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 10. November 2022 am 18. November 2022
beschlossen:
1. Der Nachprüfungsantrag wird zurückgewiesen.
2. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Nachprüfungsverfahrens (Gebühren und Auslagen) sowie die zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Antragsgegnerin und der Beigeladenen.
3. Die Hinzuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten durch die Antragsgegnerin war notwendig.
Gründe:
I.
1. Die Antragsgegnerin führt derzeit europaweit ein offenes Verfahren zur Vergabe "Räumen und Streuen im Winterdienst - Strecke und Grasmäharbeiten" durch.
In der im Laufe des Verfahrens geänderten Ausführungsbeschreibung (aktuell Stand Juli 2022) waren in Teil 1 (Räumen und Streuen im Winterdienst) unter Ziffer 2.2 zwei Fahrzeuge für Räum- und Streueinsätze bereitzustellen, davon Fahrzeug 1 mit der technischen Anforderung für den Schneepflug: "Mindesträumbreite/32°: 6,70 m (Front-/Seitenpflug)". Weiter heißt es:
"Die Fahrzeuge sind in der Winterdienstperiode jeden Tag von 00:00 Uhr bis 24:00 Uhr in einem betriebs- und verkehrssicheren Zustand vorzuhalten. Die Bereitstellung des Bedienpersonals gemäß Arbeitszeitgesetz in diesem Zeitraum ist bei der Kalkulation mit zu berücksichtigen."
Nach Ziffer 2.8 (Fahrpersonal) wird für die Leistungspositionen "Streuen" und "Fahrten durchführen" lediglich der Fahrer des Fahrzeugs zur Leistungserbringung benötigt. Beim Räumeinsatz ist zusätzlich ein Beifahrer zur Bedienung des Seitenräumpfluges erforderlich. Nach Ziffer 2.1 (Technische Anforderungen) müssen die bereitgestellten Fahrzeuge hinsichtlich der Achslasten und des Gesamtgewichts so konfiguriert sein, dass einschließlich der Winterdienstgeräte in jedem Beladungszustand die zulässigen Achslasten und das zulässige Gesamtgewicht gemäß StVZO eingehalten werden.
Unter Teil 2 (Grasmäharbeiten) war unter Ziffer 5.1.3 (Weitere mögliche Leistungen) der ursprünglich veröffentlichten Ausführungsbeschreibung ausgeführt:
"Stellung eines Geräteträgers und/oder eines Mobilbaggers".
Aufgrund der Bieterfrage Nr. 6 zu Größe, Gewicht oder Reichweite des Mobilbaggers änderte die Antragsgegnerin die Anforderungen und teilte in ihrer Antwort mit:
"Die Reichweite des Mobilbaggers soll mindestens 14 m betragen (siehe Änderungspaket Nr. 1)".
In Ziffer 5.1.3 der Ausführungsbeschreibung hieß es nun (Stand Juli 2022):
"Stellung eines Geräteträgers und/oder eines Mobilbaggers (Reichweite des Auslegers bis 14,0 m)".
Leistungsverzeichnis Ziffer 2.3.5 lautete nun:
"Einsatz eines Mobilbaggers (Ausleger-Reichweite bis 14,0 m) einschließlich Bedienpersonal für zusätzliche Grün- bzw. Gehölzpflegearbeiten (...)".
Das Mähgut, das Verunreinigungen (z.B. Reiseabfälle, Glas, Kleinmetalle) enthalten kann, soll nach Ziffer 5.1.1 der Ausführungsbeschreibung "einer fachgerechten Verwertung" zugeführt werden. Weiter heißt es:
"Die fachgerechte Verwertung ist vom AN nachzuweisen."
Nach Ziffer 7.1.1 soll das Zugfahrzeug für den Warnleitanhänger für Autobahnen ein zulässiges Gesamtgewicht von mindestens 25 t aufweisen.
Die Antragsgegnerin hat für den Winterdienst die Möglichkeit des "zusätzlichen Personaleinsatzes bei Anforderung des AG im besonderen Fall" (Schichtdienst Spät- und Nachschicht bei Personalausfall des AG, vgl. Ziffer 1.1, letzter Spiegelstrich der Ausführungsbedingungen) vorgesehen. Für die Mäharbeiten hat sie die "Bereitstellung von bis zu drei Mitarbeitern des AN [...], welche bei Bedarf des AG vom AN angefordert werden" (jeweils vor der Grasmahd, vgl. Ziffer 5.1.3, letzter Spiegelstrich) geregelt.
Die Antragstellerin und die Beigeladene haben jeweils bis zum Angebotsschlusstermin am 2. August 2022 ein Angebot abgegeben. Mit Bieterinformationsschreiben vom 26. August 2022 teilte die Antragsgegnerin gemäß § 134 GWB der Antragstellerin mit, dass der Zuschlag nicht auf ihr Angebot erteilt werden könne, da es nicht das wirtschaftlichste sei. Für den Zuschlag sei das Angebot der Beigeladenen vorgesehen.
Die Antragstellerin rügte mit Schreiben vom 30. August 2022 die geplante Zuschlagserteilung. Die Antragsgegnerin teilte am 12. September 2022 mit neuem Informationsschreiben gemäß § 134 GWB mit, dass die Zuschlagserteilung weiterhin auf das Angebot der Beigeladenen vorgesehen sei. Am selben Tag teilte die Antragsgegnerin schriftlich mit, dass sie der Rüge der Antragstellerin nicht abhelfe; sie halte an ihrer Entscheidung und den bereits mitgeteilten Gründen der Nichtberücksichtigung fest. Eine weitere Rüge der Antragstellerin vom 14. September 2022 wies die Antragsgegnerin mit Schreiben vom 16. September ebenfalls zurück.
2. Die Antragstellerin beantragte am 21. September 2022 mit Schreiben ihrer Verfahrensbevollmächtigten bei der Vergabekammer des Bundes die Einleitung eines Nachprüfungsverfahrens. Die Vergabekammer hat den Nachprüfungsantrag am selben Tag an die Antragsgegnerin übermittelt.
Im Anschluss an die Einleitung des Nachprüfungsverfahrens hat die Antragsgegnerin mit Schreiben vom 23. September 2022 die Aufklärung einzelner Angebotspreise nach § 60 Abs. 2 VgV bei Antragstellerin und Beigeladener angefordert. Bei der Antragstellerin betraf dies alle Positionen (Mäh- und Winterdienst), bei der Beigeladenen nur bestimmte Positionen zum Winterdienst. Die eingegangenen Unterlagen hat sie der Vergabekammer mit Schriftsatz ihres Verfahrensbevollmächtigten vom 30. September 2022 vorgelegt. Mit weiterem Schreiben vom 17. Oktober 2022 bat die Antragsgegnerin um eine ergänzende Aufklärung für die weiteren - bis dahin noch nicht aufgeklärten - Positionen des Leistungsverzeichnisses. In einem Telefonat am 21. Oktober 2022 hat sie zu den Positionen 1.2.5, 1.2.6, 1.4.5 und 1.4.6 zur Überprüfung der Winterdienstgeräte Fahrzeug 1 und 2 mündlich aufgeklärt und dies in einem Vermerk vom 24. Oktober 2022 niedergelegt.
a) Der Nachprüfungsantrag ist nach Auffassung der Antragstellerin zulässig und begründet. Ihr Vortrag genüge im Hinblick auf den begrenzten Einblick in den Ablauf des Vergabeverfahrens dem notwendigen Mindestmaß an Substantiierung.
Das Angebot der Beigeladenen sei wegen Nichterfüllung der Anforderungen an den Schneepflug des Fahrzeugs 1 auszuschließen. Sie verfüge laut Webseite nicht über den für die Mindesträumbreite von 6,70 m notwendigen Seitenpflug. Es gebe nur zwei Anbieter, die den notwendigen Seitenpflug als teuren Sonderbau anbieten würden. Diese Hersteller seien von keiner anderen Firma als der Antragstellerin angefragt worden. Ein weiterer Anbieter in der Schweiz vertreibe nicht in Deutschland, so dass eine rechtzeitige Reparatur oder ein Vorhalten von Ersatzteilen nicht sichergestellt sei. Mit einem Seitenwinkel von 32° könne nicht geräumt werden, da der Schnee seitlich nicht abfließe. Es sei unklar, welcher Pflug welchen Winkel haben müsse (dies habe sie am 14. September 2022 gerügt). Falls die Beigeladene aber einen Seitenschneepflug mit einem Winkel von 45° anbiete, entspreche dies nicht den Vorgaben der Vergabeunterlagen. Die Antragstellerin habe zudem erfahren, dass sich die Unterauftragnehmerin am 10. Oktober 2022 in der für den streitgegenständlichen Auftrag zuständigen Autobahnmeisterei einen Seitenpflug ausgeliehen habe. Die Antragstellerin bezweifelt zudem, dass das angebotene Fahrzeug einschließlich der angebotenen Winterdienstgeräte in jedem Beladungszustand die zulässigen Achslasten und das zulässige Gesamtgewicht nach StVZO einhält. Damit sei die Beigeladene wegen fehlender Eignung gemäß § 57 Abs. 1 Satz 1 VgV sowie wegen Änderung an den Vergabeunterlagen (§ 57 Abs. 1 Nr. 4 VgV) auszuschließen.
Ferner sei das Angebot wegen Nichterfüllung der Anforderungen an den Mobilbagger auszuschließen. Der im Fuhrpark der Beigeladenen aufgeführte Bagger "Sennebogen 718" weise nach Herstellerangaben nur eine Ausleger-Reichweite von 13 m auf. Es komme auch nicht auf die Länge inklusive Anbaugerät an, sondern auf die Länge des Auslegers. Sie tritt der Aussage entgegen, die Vorgabe der Ausleger-Reichweite sei nicht als eindeutige Mindestanforderung bezeichnet.
Ferner müsse angesichts der Vorgaben der Ausführungsbedingungen bei Bedarf Personal des Auftragnehmers für den Auftraggeber zur Verfügung gestellt werden; dieses Personal müsse durch den Auftraggeber in die Nutzung von dessen Geräten eingewiesen werden. Hierin liege eine Arbeitnehmerüberlassung. Diese bedürfe einer Erlaubnis, § 1 Abs. 1 AÜG. Eine solche sei wegen der notwendigen Bearbeitungsdauer nicht rechtzeitig zum Leistungsbeginn am 1. November 2022 zu erlangen.
Das Angebot sei zudem wegen unzureichendem Personal auszuschließen. Die Antragstellerin bezweifelt, dass die Beigeladene über die in der Eignungserklärung anzugebenden technischen Fachkräfte verfügt und jeweils Funktion und berufliche Qualifikation angegeben habe. Nach den Ausschreibungsbedingungen müssten im Winterdienst 9 Personen angeboten werden (Fahrzeug 1 mit zwei Personen, Fahrzeug 2 mit einer Person, jeweils à drei Schichten). Der für den Winterdienst benannte Unterauftragnehmer habe aber nur vier Personen benannt. Die Annahme, die Beigeladene würde dem Unterauftragnehmer ihr Personal zur Verfügung stellen, sei eine Fiktion oder eine unstatthafte nachträgliche Änderung des Angebotes (und zudem eine erlaubnispflichtige Arbeitnehmerüberlassung).
Die Antragstellerin bezweifelt, dass die Beigeladene über die gemäß §§ 53, 54 KrWG benötigte Erlaubnis zum Abtransport und zur fachgerechten Verwertung verfüge. Die vorgelegte Meldung datiere vom 31. August 2022, also erst nach Versand der § 134 GWB-Information vom 26. August 2022. Es sei nicht davon auszugehen, dass die Eingangsbestätigung rechtzeitig bis zum Leistungsbeginn am 1. November 2022 vorliegen werde.
Sie bezweifelt, dass die Beigeladene alle Erklärungen im Hinblick auf den beabsichtigten Einsatz anderer Unternehmen vorgelegt habe. Für den Fall, dass die Beigeladene die [...] als Unterauftragnehmerin vorsehe, sei zu vermuten, dass diese als in einem reinen Wohngebiet angesiedeltes Fuhrunternehmen nicht über die für ihren Betriebsstützpunkt notwendige Genehmigung verfüge. Ein Verstoß gegen § 3 BauNVO sei wahrscheinlich.
Die Antragsgegnerin sei zu einer Preisprüfung gemäß § 60 VgV verpflichtet. Das Preisaufklärungsersuchen vom 23. September 2022 sei unzureichend. Es betreffe nicht die wichtige - Fixkosten betreffende - Vorhaltepauschale im Winterdienst und nicht die Positionen für Mäharbeiten/Grünpflege mit Verkehrssicherung, die einen signifikanten Preisabstand aufwiesen. Die Beigeladene habe unzureichend an den Preisaufklärungen mitgewirkt. Die mit der weiteren Preisaufklärung am 18. Oktober 2022 eingereichten Excel-Tabellen mit Kommentaren stellten keine schriftliche detaillierte Erläuterung dar. Bestimmte Positionen (1.2.5, 1.2.6, 1.4.5, 1.4.6) seien von der Beigeladenen offenbar nicht aufgeklärt worden. Dies gelte auch laut Vergabeakte für die Position 2.3.3. Sogenannte preistreibende Faktoren seien nicht geprüft worden. Am 21. Oktober 2022 sei eine unzulässige mündliche, zudem nachträgliche Aufklärung erfolgt. Dies sei gemäß § 9 VgV vergaberechtswidrig. Die Antragsgegnerin hätte die unzureichenden Antworten bei ihrer Prognoseentscheidung berücksichtigen müssen und nicht weiter aufklären dürfen. Die Preisaufklärung sei auch inhaltlich unzureichend. Die Antragstellerin führt dazu weiter (u.a. Zeitansätze bei Kalibrierung und Montagen, berücksichtigungsfähige Kosten bei der Kalkulation der KFZ und Geräte) aus. Die Erwägungen der Antragsgegnerin bei der Überprüfung der Kalkulation seien sachfremd und willkürlich.
Die Kostenschätzung der Antragsgegnerin lasse kein wirklichkeitsnahes Schätzergebnis erwarten. Die Antragsgegnerin habe sich mit den unterschiedlichen Leistungsgegenständen der Ausschreibung nicht hinreichend auseinandergesetzt. Die Kostenschätzung sei nicht geeignet den Angebotspreis der Beigeladenen zu validieren.
Der Hilfsantrag sei zulässig und begründet. Die Vergabeunterlagen böten nicht die Gewähr dafür, dass alle Bieter sie im gleichen Sinne (bezogen auf das zulässige Gesamtgewicht des Sicherungsfahrzeugs für die Mäharbeiten sowie Anforderung einer "Mindesträumbreite/32°: 6,70 m") verstanden haben und die Angebote vergleichbar seien.
Die Antragstellerin beantragt über ihre Verfahrensbevollmächtigten:
1. Der Antragsgegnerin wird untersagt, den Zuschlag auf das Angebot des Bieters [...] zu erteilen.
2. Die Antragsgegnerin wird verpflichtet, bei fortbestehender Vergabeabsicht die Wertung der Angebote unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung der Vergabekammer zu wiederholen.
3. Hilfsweise: Die Antragsgegnerin wird verpflichtet, das Vergabeverfahren in den Stand vor Versendung der Auftragsbekanntmachung zurückzuversetzen und bei fortbestehender Vergabeabsicht unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung der Vergabekammer zu wiederholen.
4. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen der
Antragstellerin.
5. Die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten durch die Antragstellerin wird für notwendig erklärt.
6. Der Antragstellerin wird die Einsichtnahme in die Vergabeakte gewährt, sobald diese bei der Vergabekammer eingegangen ist.
b) Die Antragsgegnerin beantragt über ihren Verfahrensbevollmächtigten:
1. Der Nachprüfungsantrag der Antragstellerin vom 21.09.2022 wird als unzulässig verworfen, jedenfalls aber als unbegründet zurückgewiesen.
2. Die Antragstellerin hat die Kosten des Verfahrens einschließlich der zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung der Antragstellerin entstandenen Aufwendungen zu tragen.
3. Die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten durch die Antragstellerin [gemeint: Antragsgegnerin] wird für erforderlich erklärt.
Nach Auffassung der Antragsgegnerin ist der Nachprüfungsantrag teilweise unzulässig. Die Antragstellerin beanstande eine Vielzahl von Defiziten des Angebots der Beigeladenen mit ins Blaue hinein aufgestellten Behauptungen. Dies betreffe die Schneepflugbreite, die Reichweite des Mobilbaggers, Beanstandungen bezüglich Bereitstellung der Fahrzeuge und des Fahrpersonals.
Der Antrag sei unbegründet. Die Antragstellerin gehe zu Unrecht davon aus, dass der von der Beigeladenen angebotene Schneepflug zu Nr. 2.2 der Ausführungsbeschreibung (Ziffer 1.1 des Leistungsverzeichnisses) die Mindesträumbreite von 6,70 m nicht aufweise. Der Frontpflug sei mit einer Räumbreite von 5,91 m bei 32 Grad und einem Seitenpflug von 3,60 m Räumbreite bei 32 Grad ausgestattet. Es bestünden keine konkreten Anhaltspunkte, die Zweifel an der Richtigkeit der Angaben begründeten.
Auch die Anforderungen an den Mobilbagger würden erfüllt. Nach einer entsprechenden Aufklärung der Antragsgegnerin mit Schreiben vom 6. September 2022 (unter Ziffer 2.27) sei mitgeteilt worden, dass der sich im Eigentum der Beigeladenen befindliche Sennebogen-Mobilbagger eine Reichweite von mehr als 14 m aufweise. Anhaltspunkte, die eine weitergehende Verifizierung beim Hersteller notwendig machten, lägen nicht vor. Im Übrigen ergebe sich aus der Antwort zu Frage Nr. 6, das die Vorgabe über die Reichweite nicht als eindeutige Mindestanforderung bezeichnet werden, sondern nur als "Soll"-Anforderung.
Die Beigeladene habe sich auf die Kapazität anderer Unternehmen gestützt. Sie habe die Verpflichtungserklärung des hierfür vorgesehenen Unterauftragnehmers vorgelegt.
Zur behaupteten Notwendigkeit der Arbeitnehmerüberlassung führt die Antragsgegnerin aus, dass die Beigeladene nach in ihrer Eigenerklärung und zusätzlichen Angaben über eine ausreichende Anzahl an Personen verfüge, die zur Leistungserbringung herangezogen werden könnten. Einer (blanko-)Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung bedürfe es nicht. Die Personen, die für die Ausführung der Leistung zur Verfügung stünden, seien zudem namentlich benannt. Zugleich stehe auch das Personal des für den Winterdienst benannten Unterauftragnehmers mit weiteren vier Personen zur Verfügung. Das Personal sei hinreichend qualifiziert. Erlaubnisse nach Kreislaufwirtschaftsgesetz seien nach Aufklärungsschreiben von der Beigeladenen durch Vorlage der Meldung und vorangehender Anzeige vorgelegt worden. Ein Ausschlusstatbestand im Hinblick auf eine angebliche baurechtswidrige Nutzung eines Betriebsstützpunktes bestehe nicht. Die Nutzung eines Betriebsstützpunkts begründe keine schwere Verfehlung. Eine bestandskräftige Untersagung der Nutzung liege nicht vor.
Die Entscheidung der Antragsgegnerin dahingehend, dass die von der Beigeladenen erteilte Preisaufklärung gemäß § 60 Abs. 3 VgV zufriedenstellend war, sei auf der Grundlage eines vollständig ermittelten Sachverhalts beurteilungsfehlerfrei getroffen worden. Die Beigeladene habe mit Schreiben vom 27. September und 18. Oktober 2022 geantwortet und die Preise schlüssig und nachvollziehbar erläutert. Die in den Dateien der Beigeladenen hinterlegten Funktionen stellten eine ausreichende Erläuterung der aufgeklärten Preise dar. Eine Preisaufklärung stelle keine inhaltliche Nachbesserung des Angebots dar. § 60 VgV schreibe keine bestimmte Form vor. Auch die in einer Datei hinterlegten und für den Empfänger erkennbaren und nachvollziehbaren Funktionen könnten eine ausreichende Erläuterung der aufgeklärten Preise darstellen. Zwar habe eine Abweichung zwischen den Angebotspreisen der Bieter in der Position 2.3.3 nicht ausreichend aufgeklärt werden. Der Preisunterschied resultiere hier in erster Linie aus dem hohen Angebotspreis der Antragstellerin. Die Kosten aus dieser Stillstands-Position seien im Vergleich zu den zu erwartenden Gesamtkosten aus dem Vertrag gering. Die Plausibilität der Preisaufklärung trotz Unaufklärbarkeit sei noch gewahrt. Auch die Positionen 1.2.5, 1.2.6, 1.4.5 und 1.4.6 hätten keine Anhaltspunkte dafür aufgewiesen, dass die Beigeladene den ausgeschriebenen Auftrag nicht entsprechend der Leistungsvorgaben ausführen könne. Von preistreibenden Faktoren könne hier nicht gesprochen werden. Denn die Einheitspreise in diesen Positionen spielten für den Gesamtauftrag nur eine untergeordnete Rolle. Auch die Preisunterschiede in den Positionen 1.1.1, 1.1.6, 1.3.1, 1.4.6 und 2.1.1 bis 2.1.8 seien hinsichtlich der Preisunterschiede aus den verschiedenen Fahrzeug- und Personalkosten verständlich und nachvollziehbar dargelegt worden. Dies ergebe sich aus der Kalkulation mit Neufahrzeugen versus Gebrauchtfahrzeugen sowie unterschiedlicher Kosten für die Montage zum Auf- und Abbau von Winterdienstgeräten aufgrund der Bauart. Das Preisaufklärungsgespräch vom 21. Oktober 2022 sei zulässig gewesen. § 60 VgV begrenze die Kontaktaufnahme nicht, vielmehr könne der Auftraggeber sogar dazu verpflichtet sein "nachzufassen". Auch sei eine mündliche Kommunikation gemäß Artikel 22 Abs. 2 Satz 1 RL 2014/24/EU nicht ausgeschlossen, soweit keine wesentlichen Bestandteile des Vergabeverfahrens betroffen seien und der Inhalt ausreichend dokumentiert sei. Hier seien einzelne Aspekte noch nicht restlos aufgeklärter Kalkulationsmaßgaben zu untergeordneten Positionen betroffen gewesen. Die Dokumentation sei ausreichend und vergaberechtskonform. Die Annahme eines im Zuschlagsfalle ordnungsgemäßen Vertragsvollzugs sei gerechtfertigt. Die Beigeladene habe sich mit der Leistungsbeschreibung vertieft auseinandergesetzt. Eine positive Prognose sei möglich, dass der Auftrag ordnungsgemäß, ohne Nachträge, erfüllt werde. Die Beigeladene habe mit ihrem Angebot auch keine Veranlassung gegeben, dass sie die arbeitsrechtlichen Vorgaben nicht einhalten werde. Dem Leistungsversprechen dürfe die Antragsgegnerin vertrauen. Kein Beurteilungsfehler ergebe sich daraus, dass die Antragsgegnerin sich auch auf die Schätzung ihres Auftragswerts stütze, wenn sie insoweit feststellt, dass ein Vergleich des Angebotspreises der Beigeladenen mit dem geschätzten Auftragswert die für eine obligatorische Preisprüfung relevante Schwelle nicht erreiche. Die Schätzung sei eine valide Grundlage für die Entscheidung über die Preisprüfung.
Der Hilfsantrag auf Aufhebung der Ausschreibung sei unbegründet. Eine Aufhebung stehe gemäß § 63 VgV im Ermessen der Vergabestelle. Hier bestünden keine Anhaltspunkte dafür, dass die Vergabeunterlagen von den Bietern in unterschiedlichem Sinne verstanden worden sein könnten. Die Antragstellerin zeige auch nicht auf, inwieweit sie durch eine eventuelle Widersprüchlichkeit in ihren Rechten verletzt worden sein solle. Die Beigeladene habe ein Fahrzeug mit einem Gesamtgewicht von 27 Tonnen angeboten. Die angeblichen Unklarheiten würden von der Antragstellerin nunmehr nachträglich vorgebracht, während sie während des Vergabeverfahrens keine Veranlassung dafür gesehen habe, entsprechende Fragen zu stellen.
c) Mit Beschluss vom 22. September 2022 wurde die Beigeladene zum Verfahren hinzugezogen. Sie hat zu den gegen ihr Angebot gerichteten Ausführungen im Nachprüfungsverfahren Stellung genommen. Sie erfülle sämtliche in der Ausschreibung und in den Nachforderungsschreiben geforderten Bedingungen, Auflagen, Nachweise und Genehmigungen. Diese seien vorhanden, würden eingehalten und entsprechend beigebracht bzw. stünden, soweit nicht schon gefordert, zur Einsicht bereit.
Sie habe für das Fahrzeug 1 eine Pflugkombination wie vorgegeben angeboten. Sie verweist auf die Wiegeprotokolle, die Berechnung der Räumbreite sowie die Ausnahmegenehmigung der zuständigen Behörde. Der Hersteller gebe an, dass eine Räumung bei einem Schwenkwinkel von 45° effektiver sei. Mit diesem höheren Schwenkwinkel könne man bei der angegebenen Pflugkombination, bei ausreichender Überlappung ohne Weiteres eine Räumbreite von 6,70m erreichen. Die Antragstellerin hätte im Rahmen einer Bieterfrage klären können, wenn sie die Vorgaben für unzureichend halte. Ihr Mobilbagger erfülle die Reichweite des Auslegers von 14 m mit den notwendigen Anbaugeräten. Sie führt dazu aus. Eine Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung sei nicht notwendig.
Die Angaben im Angebot wiesen ausreichend Personal innerhalb eines 24-StundenBetriebes auf.
Eine Transportgenehmigung beziehungsweise Meldung gem. § 53 KrWG mit amtlicher Bestätigung und aktualisierter Meldung lägen vor. Das aktuelle Zertifikat zum Entsorgungsfachbetrieb der Entsorgungsanlage sei auf Nachforderung ebenfalls übersandt worden. Die Beigeladene und ihr Unterauftragnehmer könnten entsprechende Genehmigungen für die Betriebsstandort beziehungsweise gemietete Lagerflächen für Einsatzfahrzeuge vorlegen.
Sie habe alle Positionen des Leistungsverzeichnisses positionsbezogen und auskömmlich kalkuliert. Bei der Preisprüfung gemäß § 60 VgV habe sie mitgewirkt.
Die Vergabekammer hat der Antragstellerin nach vorheriger Zustimmung der Antragsgegnerin Einsicht in die Vergabeakten gewährt, soweit keine geheimhaltungsbedürftigen Aktenbestandteile betroffen waren. Die Antragstellerin hat ergänzende Akteneinsicht in die Antwort der Beigeladenen auf das spätere Aufklärungsersuchen, die Dokumentation der Preisprüfung und das EFB-Zertifikat der für die Entsorgung vorgesehenen Firma beantragt.
In der mündlichen Verhandlung am 10. November 2022 hatten die Beteiligten Gelegenheit, ihre Standpunkte darzulegen und mit der Vergabekammer umfassend zu erörtern. Mit nicht nachgelassenem Schriftsatz vom 14. November 2022 hat die Antragstellerin sich im Nachgang zur mündlichen Verhandlung unter Wiederholung ihres bisherigen Sachvortrags geäußert. Die Ausführungen sind gemäß § 167 Abs. 2 S. 2 GWB als verspätet zurückzuweisen und wurden von der Vergabekammer nicht berücksichtigt.
Durch Verfügung des Vorsitzenden vom 25. Oktober 2022 wurde die Entscheidungsfrist bis zum 18. November 2022 einschließlich verlängert.
Auf die ausgetauschten Schriftsätze, die Verfahrensakten der Vergabekammer sowie auf die Vergabeakten, soweit sie der Vergabekammer vorgelegt wurden, wird ergänzend Bezug genommen.
II.
Der Nachprüfungsantrag ist teilweise zulässig, im Übrigen unbegründet.
1. Der Nachprüfungsantrag ist teilweise zulässig.
a) Die Antragstellerin hat die geltend gemachten Vergaberechtsverstöße rechtzeitig im Sinne von § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GWB gerügt.
Die Rügeschreiben vom 30. August und 14. September 2022 genügen den an eine ordnungsgemäße Rüge zu stellenden Anforderungen. Da ein Bieter regelmäßig nur begrenzten Einblick in den Ablauf des Vergabeverfahrens hat, darf er - etwa wenn es um Vergaberechtsverstöße geht, die sich ausschließlich in der Sphäre der Vergabestelle bewegen oder das Angebot eines Mitbewerbers betreffen - im Rahmen der Rüge vortragen, was er auf Grundlage seines Informationsstands redlicherweise für wahrscheinlich oder möglich halten darf. Insoweit ist jedoch ein Mindestmaß an Substantiierung einzuhalten. In der Rüge müssen zumindest Anknüpfungstatsachen oder Indizien vorgetragen werden, die einen hinreichenden Verdacht auf einen bestimmten Vergaberechtsverstoß begründen. Der Antragsteller ist gehalten, Erkenntnisquellen auszuschöpfen, die ihm ohne großen Aufwand zur Verfügung stehen. Zudem muss er, um eine Überprüfung zu ermöglichen, angeben, woher seine Erkenntnisse stammen (vgl. zuletzt OLG Düsseldorf, Beschluss vom 29. März 2021, Verg 9/21 m.w.N.). Die Rügen der Antragstellerin genügen diesen Anforderungen. Es handelt sich bei den geltend gemachten Vergabeverstößen ausschließlich um solche, die interne Prüfungsschritte der Antragsgegnerin (Eignungsprüfung, Einhaltung der Vorgaben der Leistungsbeschreibung) sowie die - der Antragstellerin nicht bekannte - Kalkulation der Beigeladenen (Prüfung der Auskömmlichkeit des Angebotspreises durch die Antragsgegnerin) betreffen.
b) Das für die Antragsbefugnis nach § 160 Abs. 2 GWB erforderliche Interesse am Auftrag hat die Antragstellerin durch die Abgabe eines Angebots hinreichend dokumentiert. Ihr droht ein Schaden im Sinne des § 160 Abs. 2 GWB, weil im Falle eines Ausschlusses des Angebots der Beigeladenen ihr Angebot als zweitplatziertes Angebot für den Zuschlag in Frage kommt.
Die Antragstellerin fehlt es allerdings im Hinblick auf die geltend gemachten Verstöße gegen Bauordnungsrecht durch den Nachunternehmer der Beigeladenen, gegen das Gesetz zur Regelung der Arbeitnehmerüberlassung (AÜG), das Kreislaufwirtschaftsgesetz (KrWG) sowie die Straßenverkehrszulassungsordnung (StVZO) an der Antragsbefugnis. Hierzu müsste sie sich auf eine Verletzung ihres subjektiven Rechts auf Einhaltung der Bestimmungen über das Vergabeverfahren nach § 156 Abs. 2 iVm § 97 Abs. 6 GWB berufen. Denn der vor der Vergabekammer geltend zu machende Rechtsanspruch setzt voraus, dass es sich bei den in Rede stehenden Vorschriften um originär vergaberechtliche Normen handelt oder zumindest sonstige Ansprüche geltend gemacht werden, die auf die Vornahme oder das Unterlassen einer Handlung in einem Vergabeverfahren gerichtet sind (s. § 156 Abs. 2 GWB). Erforderlich ist hierfür eine hinreichend bestimmte Regelung über eine Verhaltenspflicht des öffentlichen Auftraggebers gegenüber dem einzelnen Mitbewerber. Normen, die etwa nur die Durchführung öffentlicher Aufträge, nicht aber das Vergabeverfahren selbst betreffen, gehören nicht zu den Bestimmungen, deren Einhaltung der Bieter gemäß § 156 Abs. 2 iVm § 97 Abs. 6 GWB verlangen kann (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 9. April 2003, Verg 43/02). Eine allgemeine Rechtmäßigkeitskontrolle durch die Nachprüfungsinstanzen erfolgt nicht (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 15. Juni 2005, Verg 5/05). Die von der Antragstellerin angeführten, von ihr vermuteten Verstöße der Beigeladenen gegen Bauordnungsrecht, KrWG, AÜG sowie die StVZO betreffen im Sinne der genannten Rechtsprechung primär die Ausführung des öffentlichen Auftrags. Eine Relevanz im Hinblick auf Bestimmungen des Vergabeverfahrens kann ihnen nur dann zukommen, wenn eine vergaberechtliche Anknüpfungsnorm einen Verstoß sanktioniert. In Betracht kommt hier ein Ausschlusstatbestand nach § 124 Abs. 1 GWB. Ein Ausschlussgrund wäre danach tatbestandlich gegeben, wenn ein Unternehmen gemäß § 124 Abs. 1 Nr. 1 GWB bei der Ausführung öffentlicher Aufträge nachweislich gegen geltende umwelt-, sozial- oder arbeitsrechtliche Verpflichtungen verstoßen hat. Oder wenn das Unternehmen gemäß § 124 Abs. 1 Nr. 3 GWB im Rahmen der beruflichen Tätigkeit nachweislich eine schwere Verfehlung begangen hat, durch die die Integrität des Unternehmens infrage gestellt ist. Voraussetzung für das Vorliegen des - fakultativen - Ausschlusstatbestands ist allerdings das Vorliegen einer gesicherten Kenntnis des Auftraggebers. Ein Ausschluss setzt daher voraus, dass der öffentliche Auftraggeber einen Verstoß gegen entsprechende Verpflichtungen nachweisen kann. Vermutungen oder Anhaltspunkte reichen hierfür ebenso wenig aus, wie laufende Ermittlungs- oder Verwaltungsverfahren oder dringende Verdachtsmomente. Unbelegte Behauptungen anderer Bieter genügen nicht. Eine rechtskräftige oder bestandskräftige Feststellung der Pflichtverletzung reicht hingegen regelmäßig aus, ist aber nicht zwingend erforderlich (vgl. Stolz in Ziekow/Völlink, Vergaberecht, 4. Auflage 2020, § 124 Rn. 9).
Vorliegend fehlt es im Hinblick auf Verstöße gegen Normen des Bauordnungsrechts (durch den Nachunternehmer), gegen KrWG, AÜG sowie die Vorschriften zum zulässigen Gesamtgewicht eines Kraftfahrzeugs nach StVZO an den notwendigen gesicherten Erkenntnissen über etwaige Verstöße. Nach Angaben der Antragstellerin gibt es im Hinblick auf einen möglichen Verstoß gegen die Baunutzungsverordnung keine behördliche Verfügung gegenüber der Nachunternehmerin der Beigeladenen. Auch im Übrigen vermutet die Antragstellerin allenfalls Verstöße gegen Normen des KrWG, AÜG sowie StVZO, ohne dass hier bestandskräftige oder zumindest bewiesene Feststellungen über Verstöße vorliegen würden (zum Erfordernis eines Vollbeweises im Sinne von § 286 ZPO soweit die Tatbestände des §124 Abs. 1 GWB "nachweisliche" Verstöße erfordern siehe OLG Düsseldorf, Beschluss vom 22. Juni 2022, Verg 36/21). Darüber hinaus ist bei den geltend gemachten Verstößen auch in materieller Hinsicht zweifelhaft, ob sie die Tatbestandsvoraussetzungen erfüllen (dazu unten, Ziffer 2. lit. f).
Hinsichtlich der übrigen Rügepunkte liegt die Antragsbefugnis vor.
2. Der Nachprüfungsantrag ist unbegründet. Das Angebot der Beigeladenen ist nicht gemäß § 57 Abs. 1 Nr. 4 VgV wegen Änderung der Vergabeunterlagen im Hinblick auf die Anforderungen an die Schneepflüge (dazu unter lit. a), an die Reichweite des Mobilbaggers (unter lit. b), an das angebotene Sicherungsfahrzeug für die Mäharbeiten (lit. c) auszuschließen. Die Beigeladene hat die geforderten Erklärungen zum Einsatz eines Unterauftragnehmers vorgelegt (lit. d). Das Angebot der Beigeladenen ist nicht wegen Änderung der Vergabeunterlagen im Hinblick auf das einzusetzende Personal im Winterdienst auszuschließen (lit. e). Es spricht zudem vieles dafür, dass die geltend gemachten Verstöße gegen Normen des KrWG, AÜG sowie StVZO schon tatbestandlich nicht vorliegen (lit. f). Die Entscheidung der Antragsgegnerin, das Angebot der Beigeladenen nicht wegen eines ungewöhnlich niedrigen Angebots gemäß § 60 Abs. 3 GWB auszuschließen, bewegt sich im Rahmen ihres Beurteilungsspielraums (lit. g). Eine Teilaufhebung und Zurückversetzung des Vergabeverfahrens in den Stand vor Versendung der Auftragsbekanntmachung, von der Antragstellerin hilfsweise geltend gemacht, kommt nicht in Betracht (lit. h).
a) Das Angebot der Beigeladenen ist nicht gemäß § 57 Abs. 1 Nr. 4 VgV wegen Änderung der Vergabeunterlagen im Hinblick auf die Anforderungen an die Schneepflüge des Fahrzeugs 1 von der Wertung auszuschließen. Die Prüfung der Antragsgegnerin ist nicht zu beanstanden.
Der von der Beigeladenen angebotene Schneepflug weist mit Front- und Seitenpflug die in der Ausführungsbeschreibung unter Ziffer 2.2 für das Fahrzeug 1 geforderte "Mindesträumbreite/32°" von 6,70 m auf. Der Frontpflug nimmt bei einem Schwenkwinkel von 32° eine Breite von 5,91 m ein, hinzu kommt der Seitenflügel, der mit einer Überlappung und einem entsprechenden Schwenkwinkel von 32° die vorgeschriebene Mindesträumbreite erreicht. Aufgrund der Breite der beiden Schneepflüge ist nach den Angaben der Beigeladenen (und durch die vorgelegte Skizze des Herstellers bestätigt, siehe Anlage 1b des Schriftsatzes vom 11. Oktober 2022) das Erreichen der Mindesträumbreite von 6,70 m auch bei einem Schwenkwinkel von 45° gewährleistet.
Ob letzteres - ein Räumen mit einem Winkel von 45° eine Abweichung von den Vergabeunterlagen darstellt, so die Antragstellerin - muss an dieser Stelle nicht entschieden werden. Die Antragstellerin trägt vor, dass mit einem Seitenpflug mit einem Seitenwinkel von 32° nicht geräumt werden könne, da der Schnee seitlich nicht abfließe.
Der geforderte Winkel sei nur mit dem Vorderpflug erreichbar, ein Seitenpflug habe einen Winkel von 42-50°. In ihrer Rüge vom 14. September 2022 (nach Erhalt des § 134 GWBSchreibens) hat die Antragstellerin bemängelt, es sei unklar, welcher Pflug welchen Winkel haben müsse. Falls die Beigeladene aber einen Seitenschneepflug mit einem Winkel von 45° angeboten habe, entspreche dies nicht den Vorgaben der Vergabeunterlagen. Abgesehen davon, dass eine Rüge dieses Umstands gemäß § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 GWB bis zum Angebotsabgabe hätte erfolgen müssen - von einer Erkennbarkeit ist bei einem fachkundigen Bieter, spätestens bei der Angebotskalkulation unter Beachtung der Vorgaben der Leistungsbeschreibung auszugehen -, ist der Vortrag jedoch widersprüchlich, als auch die Antragstellerin bei dem von ihr eingesetzten Seitenpflug ihrem eigenen Vortrag zufolge keinen Winkel von 32° anbieten kann. Sollte das Angebot der Beigeladenen deshalb nicht den Vorgaben der Vergabeunterlagen entsprechen, wäre dies auch beim Angebot der Antragstellerin der Fall. Der Zuschlag könnte auf keines der Angebote ergehen. Die Frage des korrekten Schwenkwinkels des Seitenpflugs kann jedoch letztlich offen bleiben, denn es ist davon auszugehen, dass beide Bieter die von der Antragsgegnerin gestellten - und vor Angebotsabgabe von keinem Bewerber gerügten - Anforderungen der Vergabeunterlagen einer Mindesträumbreite von 6,70 m auch bei einem höheren Schwenkwinkel des Seitenpflugs einhalten.
Ein Abweichen von der Leistungsbeschreibung ist auch nicht deshalb anzunehmen, weil eine rechtzeitige Reparatur und Ersatzteilversorgung bei der von der Beigeladenen angebotenen Pflugkombination nicht sichergestellt sein könnte. Abgesehen davon, dass die Beigeladene eine Pflugkombination angeboten hat, die der Leistungsbeschreibung entspricht, schuldet sie eine vertragskonforme Leistung. Die Antragstellerin hat hier zur Plausibilisierung der Abweichung von den Vergabeunterlagen lediglich darauf verwiesen, dass der schweizerische Hersteller - soweit dieser von der Beigeladenen angeboten worden sei - keinen Vertrieb über deutsche Händler aufweise. Reparaturen (möglicherweise in einer Werkstatt des Auftragnehmers) oder eine rechtzeitige Ersatzteilversorgung aus der Schweiz erscheinen aus Sicht der Vergabekammer aber nicht ausgeschlossen. Hierzu fehlt ein substantiierter Vortrag. Ob der Nachunternehmer - wie die Antragstellerin zuletzt vorgetragen hat - von der hier betroffenen Autobahnmeisterei einen Seitenpflug geliehen hat, kann gleichfalls nicht zur Herleitung eines Abweichens von der Leistungsbeschreibung dienen. Selbst wenn man unterstellt, die Information wäre korrekt, wäre insoweit der konkrete Bezug zum vorliegenden Vergabeverfahren offen, denn die Nachunternehmerin könnte durchaus auch andere Aufträge für andere Auftraggeber ausführen und hierfür einen Seitenpflug benötigen. Sie führt aus Sicht der Vergabekammer jedenfalls ohne weitere belastbare Tatsachen hier nicht zu einem Ausschlussgrund wegen Abweichens von der Leistungsbeschreibung.
b) Das Angebot der Beigeladenen ist nicht gemäß § 57 Abs. 1 Nr. 4 VgV wegen Änderung der Vergabeunterlagen im Hinblick auf die Anforderungen an die Reichweite des Mobilbaggers von der Wertung auszuschließen. Die Prüfung der Antragsgegnerin ist nicht zu beanstanden.
Der von der Beigeladenen angebotene Mobilbagger erfüllt die Anforderungen der Ausführungsbedingungen in Teil 2 (Grasmäharbeiten) unter Ziffer 5.1.3 (Weitere mögliche Leistungen). Danach ist die Stellung eines Geräteträgers und/oder eines Mobilbaggers mit einer "Reichweite des Auslegers bis 14,0 m" gefordert. Im Leistungsverzeichnis heißt es in Ziffer 2.3.5: "Einsatz eines Mobilbaggers (Ausleger-Reichweite bis 14,0 m) einschließlich Bedienpersonal für zusätzliche Grün- bzw. Gehölzpflegearbeiten". In der Antwort auf Bieterfrage Nr. 6 teilte die Antragsgegnerin mit: "Die Reichweite des Mobilbaggers soll mindestens 14 m betragen (siehe Änderungspaket Nr. 1)". Nach einer entsprechenden Aufforderung der Antragsgegnerin zur Aufklärung mit Schreiben vom 2. September 2022 (vgl. Ziffer 2.27) hat die Beigeladene mit Schreiben vom 6. September 2022 bestätigt, dass der in ihrem Eigentum befindliche Mobilbagger Sennebogen "718E" eine Reichweite von mehr als 14 m habe und dies schriftsätzlich im Nachprüfungsverfahren unter Hinweis auf die Anbaugeräte, mit denen die Gehölzarbeiten vorgenommen werden, wiederholt. Laut Broschüre des Herstellers weist der Fällbagger unter "Technische Daten, Ausstattung / Arbeitsausrüstung" eine Reichweite von bis zu 15 m mit Anbaugerät auf (siehe Seite 20, auffindbar unter www.sennebogen.com/produkte). Der reine Ausleger ohne Anbaugeräte hat bei der Angabe der Traglastwerte auf Seite 22 der Broschüre eine Reichweite von 13 m in der Waagrechten bis zum sog. Stielende. In der Senkrechten weist er eine Länge bis zum Stielende über 14 m und mit Anbaugerät von nahezu 16 m auf. Entgegen der Auffassung der Antragstellerin ist allerdings nicht allein auf das Stielende des waagrechten Auslegers ohne Anbaugeräte abzustellen. Die Frage, welcher Erklärungswert den maßgeblichen Teilen der Vergabeunterlagen zukommt, ist nach den für die Auslegung von Willenserklärungen geltenden Grundsätzen (§§ 133, 157 BGB) zu entscheiden. Dabei ist im Rahmen einer normativen Auslegung auf den objektiven Empfängerhorizont der potenziellen Bieter beziehungsweise Bewerber, also einen abstrakten Adressatenkreis, abzustellen (vgl. BGH, Beschluss vom 7. Januar 2014, X ZB 15/13). Es kommt darauf an, wie der durchschnittliche Bewerber des angesprochenen Bewerberkreises die Unterlagen verstehen musste oder konnte. Entscheidend ist die Verständnismöglichkeit aus der Perspektive eines verständigen und mit der ausgeschriebenen Leistung vertrauten Unternehmens, das über das für eine Angebotsabgabe oder die Abgabe eines Teilnahmeantrags erforderliche Fachwissen verfügt (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 8. Juni 2022, VII-Verg 19/22). Aus der Perspektive eines verständigen Bieters ist - unter Berücksichtigung der Antwort auf die Bieterfrage Nr. 6 - auf die "Reichweite des Mobilbaggers" als Arbeitsgerät und nicht allein auf die reine Stiellänge des Auslegers abzustellen. Hierfür entscheidend ist der Einsatzzweck des Baggers. Nach der Ausführungsbeschreibung (Ziffer 5.1.3, 1. Spiegelstrich) sind für das Freihalten bestimmter Anlagen im Außenbereich von Gras- und Gehölzbewuchs Anbaugeräte zu verwenden, deren Einsatz auch zur Bearbeitung von Gräsern, Ästen und Strauchwerk geeignet ist. Es spricht daher einiges dafür, bei der Anforderung der Antragsgegnerin die Reichweite des arbeitsfähigen Baggers einschließlich Anbaugerät zu berücksichtigen. Mit Anbaugeräten erfüllt der von der Beigeladenen angebotene Mobilbagger die Anforderung einer Reichweite von 14 m auch in der Waagrechten. Für diese Auslegung sprechen insbesondere auch die Angaben des Herstellers in der Produktbroschüre ("Reichweite bis zu 15 m", Seite 1 und 20). Die zeichnerische Darstellung der Radien auf Seite 22 der Broschüre dient hingegen laut "Anmerkungen" des Herstellers zur Festlegung der Traglastwerte. Dabei wird auf das Stielende des Auslegers ohne Anbaugeräte abgestellt. In einer Länge von 13 m darf nach der Zeichnung bei entsprechend tragfähigem Untergrund eine Belastung von 1,69 t aufnehmen. Aufgrund der technischen Vorgaben zur Festlegung der zulässigen Traglast am Stielende ist nicht gleichzeitig auf die Reichweite des Baggers im Arbeitseinsatz zu folgern. Vielmehr ist davon auszugehen, dass die Vorgabe der Antragsgegnerin einer Reichweite von 14 m nicht technisch, sondern praktisch mit Bezug zur Arbeitsleistung anzusehen ist. Auch die Beigeladene hat insoweit bestätigt, dass der Fällbagger mit den hier benötigten Anbaugeräten die Reichweite erreicht. Nur das Arbeitsgerät Freischneider sei mit 0,5 m kürzer, so dass der Bagger dann nur eine Reichweite von 13,5 m aufweise. Wenn aber die vorliegend im Wesentlichen einzusetzenden Anbaugeräte, etwa der benötigte Woodcracker, die Reichweite von 14 m erreichen, sind die Anforderungen der Ausschreibung erfüllt.
c) Das Angebot der Beigeladenen ist nicht gemäß § 57 Abs. 1 Nr. 4 VgV wegen Änderung der Vergabeunterlagen im Hinblick auf die Anforderungen an das angebotene Sicherungsfahrzeug für die Mäharbeiten von der Wertung auszuschließen. Das von der Beigeladenen angebotene Fahrzeug für die Fahrbahnsicherung hält nach der vorgelegten Eigenerklärung die zulässige Achslast von 25 t ein.
d) Die Beigeladene stützt sich im Hinblick auf Teile des Winterdiensts nach Nr. 2 der Ausführungsbeschreibung auf die Kapazität eines anderen Unternehmens. Sie hat in dem entsprechenden Formblatt "Verzeichnis der Leistungen von Unterauftragnehmern" mit Angebotsabgabe die betreffenden Angebotsteile ordnungsgemäß benannt und die Verpflichtungserklärung des vorgesehenen Unternehmens vorgelegt.
e) Das Angebot der Beigeladenen ist nicht wegen Änderung der Vergabeunterlagen im Hinblick auf die Anforderungen an das einzusetzende Personal im Winterdienst auszuschließen. Aufgrund der Vorgaben der Ausführungsbedingungen sind die Fahrzeuge in der Winterdienstperiode jeden Tag von 00:00 Uhr bis 24:00 Uhr in einem betriebs- und verkehrssicheren Zustand vorzuhalten. Die Bereitstellung des Bedienpersonals gemäß Arbeitszeitgesetz in diesem Zeitraum ist bei der Kalkulation mit zu berücksichtigen. Dies bedeutet, dass nach Arbeitszeitgesetz innerhalb eines Dauereinsatzes bei Schneefall in 24 Stunden ein Drei-Schicht-Betrieb gewährleistet sein muss. Beim Räumeinsatz wird nach Ziffer 2.8 der Ausführungsbedingungen zur Leistungserbringung neben dem Fahrer des Fahrzeugs zusätzlich ein Beifahrer zur Bedienung des Seitenräumpfluges benötigt. Daher sind in der Winterperiode für den Fall des Räumeinsatzes in drei Schichten insgesamt 9 Personen (Fahrzeug 1 mit 6 Personen, Fahrzeug 2 mit 3 Personen) einzusetzen. Die Beigeladene erfüllt diese Anforderungen selbst und unter Inanspruchnahme der Kapazitäten ihres Nachunternehmers (für Teile des Winterdienstes) mit den in der Eignungserklärung angegebenen technischen Fachkräften (siehe "Anlagen zum Angebot" zum Formblatt Eigenerklärung der Beigeladenen sowie "vorläufiger Personaleinsatzplan" des Nachunternehmers). Bestätigt wird der geforderte Personaleinsatz auch durch die Kalkulationsunterlagen "Winterdienst" (siehe hier: Stundensätze).
f) Darüber hinaus spricht bei den geltend gemachten Verstößen gegen Normen des KrWG, AÜG sowie StVZO neben der bereits oben festgestellten fehlenden Antragsbefugnis auch in materieller Hinsicht viel dafür, dass die Tatbestandsvoraussetzungen der von der Antragstellerin geltend gemachten Normen und die damit einhergehenden Verstöße nicht vorliegen. Es ist davon auszugehen, dass nach den Vergabeunterlagen keine gefährlichen Abfälle nach § 54 KrWG zu verwerten sind. Die Ausführungsbeschreibung sieht in 5.1.1 vor, dass das Mähgut, insbesondere aus den "Intensivbereichen" Verunreinigungen wie Reiseabfälle, Glas, Kleinmetalle enthalten kann. Die fachgerechte Verwertung ist vom Auftragnehmer während der Auftragsausführung nachzuweisen. Einer Erlaubnis nach § 54 KrWG bedarf es daher nicht, sondern lediglich einer Anzeige nach § 53 Abs. 1 KrWG. Letztere ist in einer aktualisierten Fassung (Änderungsanzeige) von der Beigeladenen vorgelegt worden.
Ebenfalls zweifelhaft ist nach der Konzeption der Ausschreibung das Erfordernis einer Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung nach AÜG. Zum einen ist die Vorlage einer Erlaubnis nach den Ausführungsbedingungen nicht explizit gefordert. Zum anderen bestehen Zweifel daran, ob ein Erlaubnistatbestand überhaupt besteht. Eine Arbeitnehmerüberlassung liegt gemäß § 1 Abs. 1 Satz 2 AÜG nur vor, wenn Arbeitnehmer in die Arbeitsorganisation des Entleihers eingegliedert werden und seinen Weisungen unterliegen. Hierfür gibt es schon nach den Ausführungsbedingungen keine Anhaltspunkte: Eine Eingliederung ist dort nicht vorgesehen, lediglich ein Einsatz "im besonderen Fall", z.B. bei Personalausfall der Antragsgegnerin (vgl. Ziffer 1.1, letzter Spiegelstrich der Ausführungsbedingungen). Bei den Mäharbeiten hat die Antragsgegnerin die Bereitstellung von bis zu drei Mitarbeitern geregelt, die bei Bedarf der Antragsgegnerin angefordert werden können (jeweils vor der Grasmahd, vgl. Ziffer 5.1.3, letzter Spiegelstrich). Jedenfalls fehlt es aber an einer Anwendbarkeit des AÜG gemäß § 1 Abs. 3 Ziffer 2a AÜG, denn die Überlassung ist nach den gerade dargestellten Bedingungen nur "gelegentlich" und die Mitarbeiter der Beigeladenen - so auch in der mündlichen Verhandlung bestätigt - werden nicht zum Zweck der Überlassung eingestellt und beschäftigt.
Auch hinsichtlich des zulässigen Gesamtgewichts des Räum- und Streufahrzeugs (Fahrzeug 1) nach StVZO liegen keine gesicherten Anhaltspunkte für einen Verstoß vor. Vielmehr hat die Beigeladene eine aktuelle Ausnahmegenehmigung gemäß § 70 StVZO der [...] für das Winterdienstfahrzeug ihres Nachunternehmers mit einem erhöhten zulässigen Gesamtgewicht vorgelegt.
g) Die Antragsgegnerin ist ihrer Pflicht zur Aufklärung der Preise nach § 60 Abs. 1 VgV nachgekommen. Die vorgenommene Aufklärung der Preise / Kosten des Angebots der Beigeladenen begegnet keinen Bedenken. Die Entscheidung der Antragsgegnerin, das Angebot der Beigeladenen nicht wegen eines ungewöhnlich niedrigen Angebots gemäß § 60 Abs. 3 GWB auszuschließen, bewegt sich im Rahmen ihres Beurteilungsspielraums.
aa) Vorliegend bestand aufgrund des Erreichens der nach ständiger Rechtsprechung bestehenden Aufgreifschwelle eine Pflicht zur Aufklärung der Preise nach § 60 Abs. 1 VgV, denn der Abstand des Angebots der Beigeladenen zum Angebot der Antragstellerin liegt bei mehr als 20%. Eine Preisprüfung ist bei Erreichen einer Aufgreifschwelle eines Preisunterschieds von 20 % zum nächsthöheren zwingend durchzuführen (vgl. BGH, Beschluss vom 31.01.2017, X ZB 10/16; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 3. April 2019, Verg 49/18). Inwieweit eine geringere Abweichung von einer qualifizierten Kostenschätzung der Antragsgegnerin vorliegt, muss hier nicht weiter geprüft werden, da zwei Angebote vorliegen (vgl. grundsätzlich EuGH, Urteil vom 15. September 2022, C-669/20).
Der Prüfpflicht ist die Antragsgegnerin während des laufenden Nachprüfungsverfahrens zunächst durch das Aufklärungsersuchen vom 23. September 2022 nachgekommen. Hier hat die Antragsgegnerin die Aufklärung einzelner Angebotspreise nach § 60 Abs. 2 VgV bei Antragstellerin und Beigeladener angefordert. Bei der Antragstellerin betraf dies alle Positionen (Mäh- und Winterdienst), bei der Beigeladenen einzelne Positionen des Winterdienstes. Mit weiterem Aufklärungsschreiben vom 17. Oktober 2022 bat die Antragsgegnerin um eine ergänzende Aufklärung für die weiteren - bis dahin noch nicht aufgeklärten - Positionen des Leistungsverzeichnisses der Beigeladenen.
(1) Die Beigeladene ist beiden Aufklärungsersuchen ordnungsgemäß nachgekommen. Sie hat der Antragsgegnerin ihre vollständige Kalkulation in Form von schriftlichen Erläuterungen (per PDF) und Excel-Dateien (einschließlich Nutzung der Kommentarfunktion mit weiteren Erläuterungen) durch Hochladen auf der elektronischen Vergabeplattform zur Verfügung gestellt. Die Verwendung elektronischer Dateien (hier insbesondere Excel und die dort zur Verfügung stehende Kommentarfunktion) ist im Rahmen der Aufklärung im elektronischen Vergabeverfahren gemäß § 9 Abs. 1 VgV sachgerecht. Danach verwenden öffentliche Auftraggeber und die Unternehmen für das Senden, Empfangen, Weiterleiten und Speichern von Daten in einem Vergabeverfahren grundsätzlich Geräte und Programme für die elektronische Datenübermittlung. Die Beigeladene ist ihrer Mitwirkungsobliegenheit dementsprechend ordnungsgemäß nachgekommen.
(2) Entgegen der Auffassung der Antragstellerin durfte die Antragsgegnerin ihre zu Beginn unvollständige Aufklärung der Preise der Beigeladenen durch weitere Preisaufklärung präzisieren und ergänzen. Die Antragsgegnerin ist bei der Preisaufklärung nicht auf eine einmalige Aufforderung zur Aufklärung reduziert. Sind die Antworten des Bieters - bedingt möglicherweise auch durch ungenaue oder unzureichende Fragen des Auftraggebers - diffus oder nicht hinreichend, kann der Auftraggeber beispielsweise verpflichtet sein, "nachzufassen" und unter Fristsetzung eine weitere Begründung anzufordern. Andererseits muss sich der Auftraggeber angesichts des Beschleunigungsgebots im Allgemeinen nicht auf eine mehr als einmalige Nachforderung einlassen (vgl. Dicks in Röwekamp/Kus/Marx/Portz/Prieß, Kommentar zur VgV, 2. Auflage 2022, § 60 Rn. 18). Die Antragsgegnerin durfte daher hier weiter aufklären, insbesondere auch vor dem Hintergrund, dass inhaltlich nicht vollständig aufklärt worden war.
Entgegen der Auffassung der Antragstellerin ist die Aufklärung der Preise grundsätzlich nicht vergleichbar mit der Nachforderung von Unterlagen gemäß § 56 Abs. 2 VgV. Danach kann der öffentliche Auftraggeber den Bewerber oder Bieter zur Nachreichung, Vervollständigung oder Korrektur fehlender, unvollständiger oder fehlerhafter unternehmensbezogener Unterlagen sowie zur Nachreichung oder Vervollständigung fehlender oder unvollständiger leistungsbezogener Unterlagen auffordern. In einem solchen Fall ist ein Angebot bei unvollständiger Einreichung der nachgeforderten Unterlagen nach § 57 Abs. 1 Nr. 2 VgV von der Wertung auszuschließen. Eine weitere Nachforderung ist nicht zulässig (so auch 1. Vergabekammer des Bundes, Beschluss vom 11. März 2022, VK 1-23/22). Die Nachreichung von Unterlagen nach § 56 Abs. 2 VgV ist aber mit der Aufklärung der Preise gemäß § 60 VgV nicht gleichzusetzen. Hier klärt der Auftraggeber die kalkulatorischen Grundlagen des Angebots auf (das Angebot bleibt insofern unverändert). Der Auftraggeber ist hierbei frei darin, solange aufzuklären bis er die zweckentsprechenden Informationen zur Prüfung des Ausschlussgrunds eines ungewöhnlich niedrigen Angebots nach § 60 Abs. 3 VgV erhalten hat.
(3) Die weitere Aufklärung der Positionen 1.2.5, 1.2.6, 1.4.5 und 1.4.6 (Überprüfung der Winterdienstgeräte Fahrzeuge 1 und 2) durch Telefonat mit der Beigeladenen am 21. Oktober 2022 war statthaft.
Eine Aufklärung über die Angebote darf im offenen Verfahren nach § 15 Abs. 5 Satz 1 VgV im Rahmen des § 9 Abs. 2 GWB mündlich geschehen (vgl. Wichmann in Ziekow/Völlink, Vergaberecht, § 9 Rn. 9). Änderungen der Angebote oder Preise sind nach § 15 Abs. 5 Satz 2 VgV unzulässig. § 9 Abs. 2 VgV untersagt in diesem Zusammenhang nicht die mündliche Kommunikation in einem Vergabeverfahren, solange sie lediglich in der Aufklärung des Angebots besteht. Dies ergibt sich aus einer Auslegung der Norm. Bei einer Gesetzesauslegung ist über den Wortlaut hinaus neben Systematik sowie Sinn und Zweck der Norm gerade auch der Wille des Gesetzgebers zu berücksichtigen. Nach der Gesetzesbegründung der Verordnung zur Modernisierung des Vergaberechts ist nach § 9 Abs. 2 VgV eine mündliche Kommunikation über die Angebote gerade nicht ausgeschlossen (vgl. BT-Drucksache 18/7318 vom 20. Januar 2016, zu § 9 Abs. 2, S. 153). So setzt die Regelung Artikel 22 Absatz 2 der Richtlinie 2014/24/EU über die öffentliche Auftragsvergabe vom 26. Februar 2014 um. In Art. 22 Abs. 2 der Richtlinie 2014/24/EU heißt es ausdrücklich, dass "die mündliche Kommunikation mit Bietern, die einen wesentlichen Einfluss auf den Inhalt und die Bewertung des Angebots haben könnte, in hinreichendem Umfang und in geeigneter Weise dokumentiert werden" muss. Hieraus ergibt sich, dass der EU-Richtliniengeber die Berücksichtigung einer mündlichen Kommunikation auch im Rahmen der Angebotswertung als zulässig erachtet. Diese Zulässigkeit wird vom innerstaatlichen Gesetzgeber in der Begründung zur VgV ohne Einschränkung aufgegriffen, indem es dort in der Begründung zu § 9 Abs. 2 heißt:
"Bei der Dokumentation der mündlichen Kommunikation mit Bietern, die einen Einfluss auf Inhalt und Bewertung von deren Angebot haben könnte, ist in besonderem Maße darauf zu achten, dass in hinreichendem Umfang und in geeigneter Weise dokumentiert wird."
Grundsätzlich kann daher sogar die fachlich-inhaltliche Vorstellung des Angebots sowie des einzusetzenden Personals in Form einer mündlichen Präsentation vorgenommen und entsprechend bewertet werden (vgl. 1. Vergabekammer des Bundes, Beschluss vom 13. November 2019, VK 1 - 83/19; OLG München, Beschluss vom 2. November 2011, Verg 26/12). Erst recht muss dies für die mündliche Aufklärung von schriftlichen Angebotsinhalten und die Preisaufklärung gelten. Die Antragstellerin hat hier entsprechend die Preise in bestimmten Positionen des Winterdienstes aufgeklärt und dies in einem Vermerk vom 24. Oktober 2022 ausreichend und in geeigneter Weise dokumentiert. Vor dem Hintergrund des Beschleunigungsgebots war eine mündliche Nachfrage mit entsprechender Dokumentation der Antworten nach § 9 Abs. 2 VgV statthaft.
bb) Die Entscheidung der Antragsgegnerin, den Zuschlag nicht wegen eines ungewöhnlich niedrigen Angebots gemäß § 60 Abs. 3 Satz 1 GWB abzulehnen, bewegt sich im Rahmen ihres Beurteilungsspielraums. Eine Ablehnung des Zuschlags kann gemäß § 60 Abs. 3 VgV nur bei nicht zufriedenstellender Aufklärung des angebotenen Preises oder der angebotenen Kosten erfolgen. Die Antragsgegnerin ist beurteilungsfehlerfrei zu dem Ergebnis gelangt, dass sie die Höhe des Angebotspreises zufriedenstellend aufklären konnte und keine Zweifel an der Auskömmlichkeit des Angebots der Beigeladenen bestehen.
Eine Aufklärung ist zufriedenstellend, wenn sie eine gesicherte Tatsachengrundlage für die Feststellung bietet, das Angebot sei angemessen und der Bieter sei in der Lage, den Vertrag ordnungsgemäß durchzuführen. Dadurch soll im Interesse des öffentlichen Auftraggebers vermieden werden, dass Bieter den Zuschlag erhalten, die wegen des niedrig kalkulierten Preises nicht in der Lage sind, den Vertrag zu Ende zu führen. Die Notwendigkeit der Begründung eines ungewöhnlich niedrigen Preises zielt im Kern darauf ab, Zweifel an der vertragskonformen Leistungserfüllung des Bieters auszuräumen. Aus diesem Grund betrifft die Aufklärung neben rechnerischen Unklarheiten auch alle preisrelevanten inhaltlichen Aspekte des Angebots (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 29. Mai 2020, Verg 26/19). Auch auf Unterkostenangebote kann der öffentliche Auftraggeber den Zuschlag erteilen, wenn der Bieter mit ihm wettbewerbskonforme Ziele verfolgt und er nachweisen kann, trotz Unauskömmlichkeit den Auftrag zu erfüllen. Die Entscheidung darüber prognostiziert der öffentliche Auftraggeber aufgrund gesicherter tatsächlicher Erkenntnisse, wobei ihm ein dem Beurteilungsspielraum rechtsähnlicher Wertungsspielraum zukommt, der von den Vergabenachprüfungsinstanzen nur dahin überprüfbar ist, ob der Auftraggeber seiner Entscheidung einen zutreffenden Sachverhalt zugrunde gelegt hat und aufgrund sachgemäßer und sachlich nachvollziehbarer Erwägungen zu dem Ergebnis gelangt ist, dass der Bieter nicht zuverlässig wird leisten können.
Die Antragsgegnerin ist fehlerfrei zu der Einschätzung gelangt, dass die Beigeladene den Anschein der Unauskömmlichkeit ihres Angebots ausgeräumt hat und den Auftrag zuverlässig ausführen kann. Der Sachverhalt ist von der Antragsgegnerin mit der nachgeholten Preisaufklärung vollständig aufgeklärt worden. Die Beigeladene hat die Kalkulationsgrundlagen für sämtliche Positionen des Leistungsverzeichnisses mitgeteilt und hierbei ausführliche Erläuterungen zur Kalkulation im Winterdienst (siehe Aufklärung vom 23. September 2022) und zu den Vorhaltepositionen 1.1.1 und 1.3.1 im Winterdienst sowie den Mäharbeiten (Aufklärung vom 17. Oktober 2022 einschließlich Telefonat am 21. Oktober 2022) abgegeben. Die Antragsgegnerin hat in ihrem aktualisierten Vergabevermerk vom 24. Oktober 2022 insoweit festgestellt, dass die Prüfung der vorliegenden Bieterunterlagen und die mündliche Aufklärung bestätigten, dass die Preise auskömmlich seien, eine ordnungsgemäße Leistung im gesamten Vertragszeitraum erbracht werden könne und etwaige Nachtragsansprüche ausgeschlossen werden könnten. Die mündliche Aufklärung der Positionen 1.2.5, 1.2.6, 1.4.5 und 1.4.6 (Überprüfung der Winterdienstfahrzeuge 1 und 2) habe diese als auskömmlich bestätigt. Im Übrigen seien im Winterdienst schwerpunktmäßig die Angebotspreise der Bereitstellungspauschalen und die Einsatzstunden der Winterdienstfahrzeuge 1 und 2 von Bedeutung, während die Positionen 1.2.5, 1.2.6, 1.4.5 und 1.4.6 nur eine untergeordnete Rolle spielten. Die Antragsgegnerin hat sich zusätzlich alle Positionen angesehen, bei denen eine signifikante Abweichung zwischen den Bietern feststellbar war (1.1.1, 1.2.6, 1.3.1, 1.4.6, 2.1.1 bis 2.1.8 und 2.3.3). Preisunterschiede seien aus den verschiedenen Fahrzeug- und Personalkosten als Kalkulationsgrundlage verständlich und nachvollziehbar dargelegt worden. Sie kommt zu dem Ergebnis, die Bieterunterlagen zu den Preisermittlungen beider Bieter seien "im Gros zufriedenstellend" (Vermerk vom 20. Oktober 2022). Die Überlegungen korrespondieren mit den von der Beigeladenen angegebenen Erläuterungen ihrer Kalkulationsgrundlagen. Es erscheint aus Sicht der Vergabekammer möglich, dass die Beigeladene mit den angegebenen Preisen sowohl den Winterdienst als auch die Mäharbeiten bestreiten kann. Alle Positionen sind ausgeführt. Anhaltspunkte für die Kalkulation zu niedriger Löhne sind nicht ersichtlich. Die Detail-Erläuterungen der Beigeladenen zu einzelnen Kostenansätzen sind in sich plausibel. Dies gilt für die Kalkulation der Winterpauschalen, in denen aus Sicht der Vergabekammer die Kosten für die Winterfahrzeuge vollständig (Anschaffungskosten, Restwert, Nutzungsdauer, Verzinsung, Betriebsstunden, Reparaturkosten einschließlich Verschleiß, Abschreibung, Versicherung, Steuer) kalkuliert sind. Auch die Angabe zu den Stundensätzen für das Personal sind nachvollziehbar. Aufgrund der Erfahrungen mit Voraufträgen ist davon auszugehen, dass die Antragsgegnerin die Überprüfung der Kalkulation der Beigeladenen im Hinblick auf die vertragsgerechte Ausführung des Auftrags während des gesamten Vertragszeitraums einschätzen kann. Nachtragsansprüche sind aufgrund der Gestaltung des Leistungsverzeichnisses unwahrscheinlich. Die Antragsgegnerin bewegt sich bei ihrer Prognose in dem ihr zukommenden Beurteilungsspielraum. Dass sie in einer einzelnen Position wie der Position 2.3.3 (Stillstand Mähen) eine fehlende Aufklärbarkeit feststellt, ändert nichts an dem Gesamtergebnis. Die Antragsgegnerin verweist insoweit zu Recht darauf, dass aufgrund der Vorgaben des Leistungsverzeichnis bestimmte Positionen (wie etwa die Vorhaltepauschalen im Winterdienst) aufgrund ihres Volumens wichtiger sind als andere Positionen. Daher ist eine fehlende Aufklärbarkeit nachrangiger Positionen ohne Relevanz für das Gesamtergebnis der Auskömmlichkeitsprüfung.
bb) Eine Pflicht zum Ausschluss des Angebots der Beigeladenen nach § 60 Abs. 3 Satz 2 bei Nichteinhaltung arbeitsrechtlicher, umweltrechtlicher Verpflichtungen, die sich auf die Kalkulation auswirken, ist nicht gegeben. Es liegen keine Anhaltspunkte vor, dass solche Normen etwa arbeitsrechtliche Vorgaben im Hinblick auf §§ 3 und 6 Arbeitszeitgesetz nicht eingehalten werden (vgl. dazu auch oben unter lit. f).
h) Eine Teilaufhebung und Zurückversetzung des Vergabeverfahrens in den Stand vor Versendung der Auftragsbekanntmachung, die die Antragstellerin hilfsweise geltend macht, kommt nicht in Betracht.
Soweit die Antragstellerin der Auffassung ist, die Bewerber hätten die Vergabeunterlagen im Hinblick auf das geforderte Gesamtgewicht des Sicherungsfahrzeugs von 25 t sowie die Mindesträumbreite der Pflugkombination nicht im gleichen Sinn verstanden, so dass die Angebote nicht vergleichbar seien, muss hierüber nicht entschieden werden. Es ist kein Schaden zu Lasten der Bieter erkennbar, der durch eine etwaige Unklarheit entstanden sein könnte. Beide Bieter erfüllen mit ihren Angeboten die Anforderungen sowohl an das Gewicht des Sicherungsfahrzeugs als auch die Mindestbreite des Schneepflugs (dazu bereits unter lit. a). Zudem dürfte dieser Vortrag auch im Hinblick auf eine Rügepräklusion nach § 160 Abs. 3 Nr. 3 GWB nicht weiter verfolgbar sein. Die Antragstellerin hätte diese aus den Vergabeunterlagen erkennbaren Anforderungen als verständige Bieterin vor Angebotsabgabe als missverständlich rügen müssen.
3. Der Antrag der Antragstellerin auf weitergehende Akteneinsicht in die Antwort der Beigeladenen auf das spätere Aufklärungsersuchen, die Dokumentation der Preisprüfung und das Zertifikat der für die Entsorgung vorgesehenen Firma ist abzulehnen. Da die Antwort der Beigeladenen auf das Aufklärungsersuchen, die Dokumentation der Preisprüfung zwangsläufig Rückschlüsse auf die Kalkulation ihres Angebots gestattet, kommt eine ergänzende Akteneinsicht nicht in Betracht. Die Amtsermittlungspflicht, aufgrund der die Vergabekammer auch Umstände berücksichtigen kann, deren Offenlegung mit Rücksicht auf Geheimhaltungsinteressen abzulehnen ist, stellt das vergaberechtliche Instrument dar, die Rechte und Interessen eines Antragstellers im Nachprüfungsverfahren gegenüber den Rechten eines als Beigeladener hinzugezogenen Unternehmens hinreichend zu wahren (vgl. hierzu OLG Düsseldorf, Beschluss vom 27. April 2022, Verg 25/21 m.z.N.). Das gilt auch hinsichtlich des Zertifikats der für die Entsorgung vorgesehenen Firma.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 182 Abs. 1, Abs. 3 Satz 1, Abs. 4 Satz 1, 2, 4 GWB i.V.m. § 80 Abs. 2, Abs. 3 Satz 2 VwVfG.
Die Kosten des Verfahrens (Gebühren und Auslagen) sind der Antragstellerin aufzuerlegen, da sie im Verfahren unterlegen ist.
Die Antragstellerin hat sich mit ihrem Nachprüfungsantrag ausdrücklich, bewusst und gewollt in einen Interessengegensatz zur Beigeladenen gestellt, da sie ihren Antrag darauf stützt, dass das Angebot der Beigeladenen auszuschließen sei. Diese hat sich aktiv durch eigenen Sachvortrag am Nachprüfungsverfahren beteiligt und damit ein Kostenrisiko auf sich genommen hat (vgl. nur OLG Düsseldorf, Beschluss vom 23. Juni 2014, Verg 41/13). In einem solchen Fall entspricht es der Billigkeit im Sinne des § 182 Abs. 4 Satz 2 GWB, der unterliegenden Antragstellerin die zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendigen Auslagen der Beigeladenen aufzuerlegen.
Die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten durch die Antragsgegnerin war notwendig. In dem Nachprüfungsverfahren stellten sich komplexe Sach- und Rechtsfragen u.a. zum Thema Abweichung von den Vergabeunterlagen sowie zur Prüfung der Kalkulation im Hinblick auf ein mögliches Unterkostenangebot, so dass eine anwaltliche Vertretung notwendig gewesen ist (vgl. BGH, Beschluss vom 26. September 2006, X ZB 14/06). Zudem wurde so die erforderliche "Waffengleichheit" gegenüber der anwaltlich vertretenen Antragstellerin hergestellt (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 29. Mai 2019, Verg 55/18).
IV.
(...)
Aktuelle Entscheidungen
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VK Bund
Beschluss
vom 19.10.2022
VK 1-85/22
1. Nachdem es bei der Vergabe von Lieferleistungen kein allgemeines Verbot für öffentliche Auftraggeber mehr gibt, den Bietern ungewöhnliche Wagnisse aufzubürden, ist eine Preisanpassungsklausel nur dann anzuordnen, wenn den Bietern eine vernünftige kaufmännische Kalkulation unzumutbar ist (hier verneint).
2. Dass der öffentliche Auftraggeber bei Preisgleichstand von Angeboten über den Zuschlag durch Los entscheiden will, ist nicht vergaberechtswidrig.
In dem Nachprüfungsverfahren
[
]
wegen der Vergabe "[
] Rahmenvereinbarung über die Lieferung von Klebebändern", Lose 1 bis 3, EU-Bekanntmachung [
],
hat die 1. Vergabekammer des Bundes durch den Vorsitzenden Direktor beim Bundeskartellamt Behrens, die hauptamtliche Beisitzerin Leitende Regierungsdirektorin Dr. Dittmann und den ehrenamtlichen Beisitzer Dr. Filter aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 14. Oktober 2022 am 19. Oktober 2022
beschlossen:
1. Der Nachprüfungsantrag wird zurückgewiesen.
2. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Nachprüfungsverfahrens (Gebühren und Auslagen) sowie die zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Antragsgegnerin.
Gründe:
I.
1. Die Antragsgegnerin führt derzeit europaweit ein offenes Verfahren zur Vergabe einer Rahmenvereinbarung über die Lieferung von Klebebändern durch. Die Leistung ist in drei Fachlose aufgeteilt. Das Los 3 umfasst selbstklebende Folienbänder (Pos. 1080 bis 1360 des Leistungsverzeichnisses (LV)) sowie nichtklebende Folienbänder (Pos. 1370 bis 1390 des LV), wobei die erstgenannten Folienbänder die Anforderungen der Technischen Lieferbedingungen (TL) der Antragsgegnerin [
] erfüllen müssen.
Der ausgeschriebene Vertrag soll drei Jahre laufen und kann um weitere 12 Monate verlängert werden. Gemäß § 16 Abs. 1 des Vertragsentwurfs kann
"jede Partei (
) den Vertrag (
) jeweils zum Ablauf eines Kalenderjahres unter Einhaltung einer Frist von 3 Monaten - erstmalig zum 31.12.2023 - kündigen."
Alleiniges Zuschlagskriterium ist der Preis. Sofern mehrere Bieter zu einem Los denselben Gesamtpreis (Menge x Einzelpreis) anbieten, soll das Los über den Zuschlag entscheiden (sogenannter Stichentscheid) (s. Aufforderung zur Angebotsabgabe unter "Sonstiges", Ziffer 2). Die Preise gelten für die gesamte Laufzeit des Vertrags (s. Aufforderung zur Angebotsabgabe, ebenda). Des Weiteren ist in der Angebotsaufforderung vorgesehen, dass für einige der ausgeschriebenen Leistungspositionen Muster zur technischen Prüfung durch das antragsgegnereigene [
] Institut für [
] einzureichen sind. Im Los 3 betrifft dies zwei selbstklebende Folienbänder (Pos. 1270 und 1360 des LV). Nach mehreren Verlängerungen endet die Angebotsabgabefrist derzeit am 19. Oktober 2022, 13 Uhr.
Die Antragstellerin ist in der verfahrensgegenständlichen Branche tätig. Aufgrund mehrerer Rahmenverträge seit 2011 hatte sie die Antragsgegnerin mit Klebebändern der ausgeschriebenen Art beliefert, seit einigen Jahren beschafft die Antragsgegnerin solche Waren im Rahmen von Kleinstbeschaffungen zu Listenpreisen bei der Antragstellerin und anderen Unternehmen. Nach ihren eigenen Angaben in ihrem Nachprüfungsantrag sowie auf ihrer Homepage ist die Antragstellerin spezialisiert u.a. auf die Herstellung und den Vertrieb von Selbstklebebändern, Elektroklebebändern, Industrieklebebändern, Verpackungsklebebändern sowie doppelseitigen Klebebändern, die sie ggf. entsprechend dem jeweiligen Wunsch eines Kunden fertigt (sog. Converting) und unterhält ein eigenes Labor zur Prüfung von Klebebändern. Am 2. Juni sowie am 13. September 2022 rügte die Antragstellerin mehrere der ausgeschriebenen Vorgaben als vergaberechtswidrig. In den weiterhin streitgegenständlichen Punkten half die Antragsgegnerin diesen Rügen nicht ab.
2. Die Antragstellerin beantragte über ihre Verfahrensbevollmächtigten die Einleitung eines Nachprüfungsverfahrens (vollständiger Eingang bei der Vergabekammer des Bundes am 14. September 2022). Der Antrag wurde der Antragsgegnerin am 14. September 2022 übermittelt.
a) Die Antragstellerin meint, das Vergabeverfahren sei aus mehreren Gründen vergabefehlerhaft.
So sei es ihr mangels Preisanpassungsklausel unmöglich, ein kaufmännisch kalkuliertes Angebot abgeben. Dadurch dass die Antragsgegnerin ein Angebot mit Festpreisen über die mögliche Vertragslaufzeit von vier Jahren verlange, bürde sie der Antragstellerin ein unzumutbares Kalkulationsrisiko auf. Die Antragstellerin trägt vor, dass die Rohstoff-, Energie- und Transportpreise aufgrund des Ukraine-Kriegs und dessen Folgen (z.B. weltweit verhängte Sanktionen gegen Russland) teilweise extrem gestiegen seien. Außerdem verzögerten sich aus denselben Gründen die Lieferketten und die Währungen schwankten erheblich (EUR vs. US-Dollar). Einige Hersteller der von ihr benötigten Materialien und Waren gäben daher schon jetzt keine verbindlichen Preislisten mehr heraus und ihre Lieferanten hätten ihre Preise in den letzten Wochen je nach Produkt um bis zu ca. [
]% erhöht. Zum Beleg legt die Antragstellerin mehrere Preisänderungsmitteilungen ihrer Lieferanten vor. Die weitere Preisentwicklung sei derzeit nicht einmal für wenige Wochen vorhersehbar. Da die Kalkulationsrisiken hier weit über das bei Rahmenvereinbarungen Typische hinausgingen, sei die Antragsgegnerin verpflichtet, die Kalkulationsrisiken der Bieter zu minimieren. Ohne eine Preisanpassungsklausel müsse die Antragstellerin massive Risikoaufschläge vornehmen, wobei auch dann nicht sicher wäre, dass diese die möglichen Preissteigerungen auffangen würden. Da die weiteren Preisveränderungen nicht absehbar seien und keine entsprechenden Erfahrungswerte bestünden, müsse jeder Bieter willkürliche Risikoaufschläge nehmen, so dass die Angebote nicht vergleichbar seien. Ergänzend verweist die Antragstellerin auf die Erlasse des Bundesministeriums für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen (BMWSB) vom 25. März 2022 und des Bundesministeriums für Digitales und Verkehr (BMDV) vom 22. Juni 2022, in denen die Aufnahme von Stoffpreisgleitklauseln in laufende Vergabeverfahren aufgrund des Ukraine-Kriegs ausdrücklich erwähnt werde. Auch aus dem Erlass des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) vom 24. Juni 2022 folge die klare Handlungsanweisung an öffentliche Auftraggeber, bei jeder Vergabe zu prüfen, ob die zu beschaffenden Produkte besonders von den volatilen Preisentwicklungen betroffen seien. Zudem bejahe das BMWK in seinem Erlass erhebliche Preissteigerungen insbesondere bei Erdölprodukten. Obwohl die Antragsgegnerin wisse, dass Klebebänder und Folien der ausgeschriebenen Art erdölbasiert seien, habe sie ihr Ermessen, ob sie Preisgleitklauseln in den ausgeschriebenen Vertrag aufnehme, überhaupt nicht ausgeübt. Des Weiteren führt die Antragstellerin näher aus, dass eine Anpassung der Preise über § 313 BGB und § 132 GWB nicht möglich sei. § 313 BGB scheitere vor allem daran, dass die massiven Preissteigerungen wegen des Ukraine-Konflikts bereits jetzt bekannt und daher nicht unvorhersehbar seien i.S.d. Vorschrift.
In der mündlichen Verhandlung trägt die Antragstellerin zur Erforderlichkeit einer Preisanpassungsklausel ergänzend den Sachverhalt vor, dass ihre Lieferanten sie gegebenenfalls auch gar nicht mehr beliefern (könnten). Nachdem sie sich hinsichtlich der Kalkulationsunsicherheiten bisher nur auf die mindestens dreijährige Laufzeit des Vertrages berufen hatte, macht die Antragstellerin auf den Vorhalt der Vergabekammer in der mündlichen Verhandlung, dass die Verträge jeweils jährlich gekündigt werden könnten, geltend, die Antragsgegnerin würde im Fall der Kündigung zum Jahresablauf zeitgleich aus dem Rahmenvertrag sehr viele Produkte abrufen. Wenn die Antragstellerin diese Einzelabrufe trotz steigender Kosten bediene und damit ihren vertraglichen Verpflichtungen nachkomme, drohe ihr die Insolvenz.
Ein weiterer Vergabefehler besteht nach Auffassung der Antragstellerin darin, dass die Antragsgegnerin im Los 3 die selbstklebenden Folienbänder i.S.d. Pos. 1080 bis 1360 der LV und die nichtklebenden Folienbänder (Pos. 1370 bis 1390 des LV) in einem einzigen Los zusammengefasst und kein separates Los für die selbstklebenden Folienbänder gebildet habe. Anders als die Antragsgegnerin vortrage, sei die Antragstellerin insoweit antragsbefugt, weil die vergaberechtswidrige Losaufteilung die Möglichkeiten der Antragstellerin beeinträchtige, ein zuschlagsfähiges Angebot zu unterbreiten; bei einer sachgerechten Losaufteilung könne die Antragstellerin "besser kalkulieren. Zudem sei ihre Zuschlagschance für das gesamte Los 3 beeinträchtigt, wenn sie die Prüfung des [
], die allein Muster der selbstklebenden Folienbänder beträfen, zu Recht oder zu Unrecht nicht bestehe. Die Antragstellerin führt näher aus, dass für die selbstklebenden Folienbänder gemäß der TL [
] erhöhte Anforderungen z.B. bzgl. Reißkraft, Klebkraft und Brennbarkeit gälten. Es handele sich hierbei um Spezialbänder, die nur von Unternehmen geliefert werden könnten, die Klebebänder für den speziellen Einsatz bei der Antragsgegnerin gemäß der TL [
] aufbereiteten und ein spezielles Prüflabor unterhielten. Demgegenüber stellten die übrigen von Los 3 erfassten nichtklebenden nachleuchtenden Folienbänder, die für Absperrungen, zur Markierung oder zur Kenntlichmachung benötigt würden, eine völlig andere Produktgruppe dar und würden von zahlreichen Unternehmen als Standardprodukte angeboten werden. Bei ihrer eigenen Suche nach Lieferanten für die selbstklebenden Folienbänder habe die Antragstellerin "wenig Erfolg gehabt". Sofern sie im Rahmen des Loses 3 mit der Belieferung der speziellen selbstklebenden Folienbänder beauftragt werden sollte, würde sie wie bereits bisher sog. "Logrollen" beziehen, also deutlich breitere Bänder, die sie selbst mit ihren Fertigungsmaschinen für den besonderen Bedarf der Antragsgegnerin auf die geforderten Breiten zuschneide. Sog. Convertierer wie die Antragstellerin könnten die im Los 3 ausgeschriebenen Produkte anbieten, weil sie sich auf solche Nischenprodukte spezialisiert hätten. Demgegenüber stehe ein "erheblich relevanter Kreis potentieller Marktteilnehmer" im Wettbewerb außen vor, nämlich alle Unternehmen, die solche Folienbänder nicht selbst produzierten bzw. keine Bezugsquellen für sich eröffnen könnten.
Des Weiteren meint die Antragstellerin, der von der Antragsgegnerin vorgesehene Losentscheid, der dann durchgeführt werden solle, wenn mehrere Bieter denselben Netto-Gesamtpreis anböten, verstoße gegen den vergaberechtlichen Wettbewerbsgrundsatz und das Willkürverbot. So verpflichte der Wettbewerbsgrundsatz (§ 97 Abs. 1 GWB) öffentliche Auftraggeber dazu, im Wettbewerb zu beschaffen - bei einem Losverfahren als Auswahlmechanismus für das wirtschaftlichste Angebot erfolge die Bieterauswahl jedoch nach Glück. Darüber hinaus sehe § 127 Abs. 1 S. 1 GWB vor, dass der Zuschlag auf das wirtschaftlichste Angebot zu erteilen sei und nicht per Zufall. Außerdem müssten Zuschlagskriterien gemäß § 127 Abs. 4 S. 1 GWB so festgelegt und bestimmt sein, dass sie ein hinreichendes Differenzierungspotential aufwiesen - solange die Antragsgegnerin dieses Differenzierungspotential nicht ausgeschöpft habe, sei das Losverfahren nicht gerechtfertigt. Die Antragstellerin schlägt vor, die Antragsgegnerin könne bei Preisgleichheit demjenigen Bieter den Vorzug geben, der bei den Artikeln mit der höchsten geschätzten Bestellmenge den geringeren Preis angeboten habe.
Ferner sei es vergaberechtswidrig, dass die Antragsgegnerin bei den vor Zuschlagserteilung vorgesehenen Prüfungen durch das [
] über die in den einschlägigen Normen angegebenen Fertigungstoleranzen hinaus keine Messtoleranzen berücksichtigen wolle. Dies stehe den Realitäten bei der Prüfung von Werkstoffen, die wie hier aus natürlichen Materialien bestünden, entgegen, sei sachlich nicht nachvollziehbar und daher unverhältnismäßig. Denn Produktprüfungen/Messungen würden überwiegend händisch von Menschen und nicht computergesteuert durchgeführt. Solche Prüfverfahren seien daher fehleranfällig, was durch entsprechende Messtoleranzen berücksichtigt werden müsse.
Einige der zunächst mit ihrem Nachprüfungsantrag geltend gemachten Beanstandungen erklärt die Antragstellerin in ihren Schriftsätzen vom 6. und 17. Oktober 2022 nach entsprechender Korrektur oder Klarstellung durch die Antragsgegnerin für erledigt bzw. nimmt diese zurück (der Zeitraum, auf den sich die von der Antragsgegnerin im Leistungsverzeichnis prognostizierten Schätzmengen bezögen, sei intransparent; der Auftragsgegenstand des Loses 1 sei nicht eindeutig beschrieben; das Verhältnis zwischen den Regelungen des Leistungsverzeichnisses einerseits und der TL [
] andererseits sei unklar; mehrere Einzelpositionen des LV seien nicht eindeutig und nicht erschöpfend beschrieben; die für die Pos. 160 des LV einschlägigen Qualitätssicherungsanforderungen seien unklar; die Anforderungen der TL [
] bzgl. des Brennverhaltens könnten von gar keinem Unternehmen erfüllt werden).
Die Antragstellerin beantragt über ihre Verfahrensbevollmächtigten:
1. Das Nachprüfungsverfahren gemäß § 160 Abs. 1 GWB einzuleiten;
2. den Nachprüfungsantrag gemäß § 163 Abs. 2 S. 3 GWB an die Antragsgegnerin zu übermitteln;
3. das Vergabeverfahren in den Stand vor Versendung der Vergabeunterlagen zurückzuversetzen und der Antragsgegnerin aufzugeben, bei fortbestehender Beschaffungsabsicht den Bietern unter Beachtung der Rechtsauffassung der Vergabekammer überarbeitete Vergabeunterlagen zur neuen Angebotslegung bereit zu stellen;
4. hilfsweise sonstige geeignete Maßnahmen gemäß § 168 Abs. 1 GWB zu treffen, um die Rechtsverletzung zu beseitigen und eine Schädigung der betroffenen Interessen zu verhindern;
5. der Antragstellerin gemäß § 165 Abs. 1 GWB Einsichtnahme in die Vergabeakten zu gewähren;
6. der Antragsgegnerin die Kosten des Verfahrens einschließlich der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen der Antragstellerin aufzuerlegen;
7. festzustellen, dass die Hinzuziehung der Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin notwendig war.
Nach Erhalt der Akteneinsicht beantragt die Antragstellerin
eine erweiterte Akteneinsicht in bestimmte von der Antragsgegnerin vorgelegte Unterlagen dazu, ob und inwieweit die von anderen Anbietern in einer 2020 erfolglos durchgeführten Vorgängerausschreibung für die Lieferung ähnlicher Klebebänder die Musterprüfung des [
] nach der TL [
] bestanden hätten. Diese Unterlagen seien relevant für die Frage, ob es einen Markt für "Komplettanbieter" gebe, die das gesamte Los 3 so wie ausgeschrieben bedienen könnten.
b) Die Antragsgegnerin beantragt:
1. Der Nachprüfungsantrag wird kostenpflichtig zurückgewiesen;
2. der Antragstellerin wird nur eingeschränkt Akteneinsicht gewährt.
Die Antragsgegnerin meint, dass der Nachprüfungsantrag teilweise bereits unzulässig, jedenfalls aber unbegründet sei.
Sie sei nicht verpflichtet, eine Preisanpassungsklausel zu vereinbaren. Der Gesetzgeber wolle, dass Preisgleitklauseln regelmäßig zurückhaltend vereinbart würden. Nach der vertragstypischen Risikoverteilung sei es vielmehr Sache der Bieter, für Kostensteigerungen Vorsorge zu treffen und einen entsprechenden Wagniszuschlag in ihrer Preiskalkulation zu berücksichtigen. Dies treffe hier alle Bieter gleichermaßen. Die ministeriellen Erlasse, die die Antragstellerin diesbezüglich zitiere, seien hier nicht einschlägig. So gälten die Erlasse des BMWSB und des BMDV nur für den Bundeshochbau und den Bundesverkehrswegebau. Der Erlass des BMWK, der Lieferleistungen betreffe, spreche sich demgegenüber dafür aus, Preisgleitklauseln grundsätzlich zurückhaltend vorzusehen. Danach könne der Ukrainekrieg zwar ein außergewöhnliches Ereignis sein, aber jede Vergabestelle müsse im Einzelfall eigenverantwortlich prüfen, ob sie Preisgleitklauseln vereinbare. Im vorliegenden Fall komme dies nicht in Betracht. Zudem fehle es an einem konkreten Vortrag der Antragstellerin etwa zum Zusammenhang zwischen den Preissteigerungen der hiesigen Produkte und dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine. Die Antragstellerin müsse darlegen, in welcher Art und Weise sich welches Zulieferprodukt genau auf welches von ihr im hiesigen Vergabeverfahren anzubietende Endprodukt und dessen Angebotspreis auswirke. Die von der Antragstellerin unter Vorlage von Schreiben ihrer Lieferanten genannten Preissteigerungen bewegten sich in der Größenordnung der derzeitigen Inflation und seien nicht schlechterdings unkalkulierbar. Die zweifellos derzeit höheren Risikoaufschläge müssten alle Bieter gleichermaßen kalkulieren und einpreisen. Dass sich andere Unternehmen, die sich am laufenden Vergabeverfahren aktiv beteiligten, die Kalkulation ihrer Angebote offenbar weiterhin für möglich und zumutbar hielten, dürfe ein tatsächliches Indiz dafür sein, dass die Angebotskalkulation objektiv möglich und zumutbar sei. Unabsehbare Vertragsrisiken könnten durch § 313 BGB aufgefangen werden, ohne dass dem § 132 GWB entgegenstehe. Demgegenüber verlagere eine Preisgleitklausel und der darin liegende Automatismus die Risiken vollständig auf die Antragsgegnerin.
Zur angeblich fehlerhaften Losbildung trägt die Antragsgegnerin vor, der Nachprüfungsantrag sei bereits unzulässig, weil die Antragstellerin nicht vorbringe, durch den Loszuschnitt in ihren eigenen Rechten verletzt zu sein. Wie die Antragsgegnerin näher ausführt, sei der Nachprüfungsantrag insoweit zudem unbegründet.
Soweit sich die Antragstellerin gegen den bei Preisgleichheit vorgesehenen Losentscheid wende, sei ihr Nachprüfungsantrag ebenfalls bereits unzulässig. Die Antragstellerin sei jetzt noch nicht beschwert, sondern begehre unzulässigerweise vorbeugenden Rechtsschutz. Darüber hinaus sei der Nachprüfungsantrag insoweit unbegründet, da ein Stichentscheid in dem praktisch extrem unwahrscheinlichen Fall eines vollständigem Preisgleichstands ultima ratio sei. Denn die Angebotswertung erfolge hier ausschließlich anhand des Preises, andere Kriterien seien nicht ersichtlich. Es wäre gleichermaßen willkürlich, bei einem Preisgleichstand eine bestimmte Leistungsposition als zuschlagsentscheidend heranzuziehen, da es hierfür keine sachlichen Gründe gebe. Die Antragsgegnerin habe hier alles getan, was zur Ausdifferenzierung der Angebote nach dem Preis möglich sei. Die Alternative, das Vergabeverfahren bei einem Preisgleichstand aufzuheben, sei demgegenüber unzumutbar bzw. mit unverhältnismäßigem Aufwand verbunden.
Zum Fehlen von Messtoleranzen führt die Antragsgegnerin aus, sie fordere von den Bietern keine "Exaktheit", die nicht zu den ausgeschriebenen Produkten passe. Ihre Qualitätsansprüche seien vielmehr legitim und von ihrem Leistungsbestimmungsrecht gedeckt. In Wahrheit gehe es der Antragstellerin um Fertigungstoleranzen, denen gegenüber die Messunsicherheiten im hochspezialisierten Labor des [
] nicht ins Gewicht fielen. Toleranzbereiche oder Schwellenwerte, die mindestens zu erreichen seien, seien in der einschlägigen TL [
] bereits enthalten. Es sei nicht unüblich, sondern eine gängige Vorgehensweise, dass bei der Angabe solcher Wertebereiche keine zusätzlichen Toleranzen bei der Messung eingeräumt würden. Für die Messverfahren gebe es zudem DIN-Normen, auf die in den Vergabeunterlagen Bezug genommen werde, die die Vorgehensweise bei den Messungen und Prüfungen detailliert regelten. Über diese DINNormen hinaus müsse die Antragsgegnerin keine Toleranzen einräumen.
Die Vergabekammer hat der Antragstellerin nach vorheriger Zustimmung der Antragsgegnerin Einsicht in die Vergabeakten gewährt, soweit keine geheimhaltungsbedürftigen Aktenbestandteile betroffen waren.
In der mündlichen Verhandlung am 14. Oktober 2022 hatten die Beteiligten Gelegenheit, ihre Standpunkte darzulegen und mit der Vergabekammer umfassend zu erörtern.
Auf die ausgetauschten Schriftsätze, die Verfahrensakten der Vergabekammer sowie auf die Vergabeakten, soweit sie der Vergabekammer vorgelegt wurden, wird ergänzend Bezug genommen.
II.
Der Nachprüfungsantrag ist teilweise bereits unzulässig, im Übrigen unbegründet (dazu unter 1. und 2.). Der Antrag der Antragstellerin auf weitergehende Akteinsicht ist abzulehnen (dazu unter 3.).
1. Soweit die Antragstellerin meint, das Los 3 sei fehlerhaft gebildet worden, ist ihr Nachprüfungsantrag bereits unzulässig, weil sie nicht antragsbefugt ist (§ 160 Abs. 2 GWB). Die Antragstellerin legt nämlich nicht dar, dass sie aufgrund der fehlenden Aufteilung der Produkte des Loses 3 in ein weiteres, separates Los für die selbstklebenden Folienbänder (Pos. 1080 bis 1360 des LV) an der Vergabe des aktuell ausgeschriebenen Loses nicht teilnehmen könne und somit in ihren Zuschlagschancen beeinträchtigt ist. Sie führt lediglich aus, bei einer anderen Aufteilung der Leistungen in selbstklebende Folienbänder einerseits und nichtklebende Folienbänder andererseits "besser kalkulieren" zu können (s. Nachprüfungsantrag (NPA), S. 37, und Schriftsatz der Antragstellerin vom 6. Oktober 2022, S. 2), und dass sie wie bereits bisher geschehen sog. Logrollen beziehen und entsprechend der ausgeschriebenen Anforderungen der Antragsgegnerin zuschneiden würde, sofern sie mit der Belieferung der selbstklebenden Folienbänder nach dem aktuellen Zuschnitt des Loses 3 beauftragt werden sollte (s. Schriftsatz vom 6. Oktober 2022, S. 3). Zudem hat die Antragstellerin ausgeführt, dass Unternehmen, die das Converting betrieben, also Klebebänder für den speziellen Einsatz bei der Antragsgegnerin gemäß der TL [
] aufbereiteten, und ein spezielles Prüflabor unterhielten, das Los 3 bedienen könnten (Schriftsatz vom 6. Oktober 2022, S. 27). Auch dies trifft auf die Antragstellerin selbst zu. Denn auch wenn ihr "Schwerpunkt" tatsächlich "im Handel und nicht in der Weiterverarbeitung" liegen sollte (so die Antragstellerin in ihrem Schriftsatz vom 6. Oktober 2022, S. 10), ist sie laut ihrem Nachprüfungsantrag "spezialisiert auf die Herstellung und den Vertrieb von Selbstklebebändern" und verfügt über ein eigenes Labor zur Prüfung von Klebebändern (NPA, S. 4), auf ihrer Homepage wirbt die Antragstellerin damit, auf Kundenwunsch "Klebebänder in sämtlichen Breiten und Längen" zu liefern (sog. Converting). Damit droht der Antragstellerin selbst unter dem gebotenen weiten Begriffsverständnis kein "Schaden" i.S.d. § 160 Abs. 2 S. 2 GWB. Denn das vergaberechtliche Nachprüfungsverfahren ist in allererster Linie auf Primärrechtsschutz ausgerichtet, d.h. geschützt sind die Zuschlagschancen eines Bieters. Wenn jedoch ein Unternehmen durch den beanstandeten Vergaberechtsverstoß in seiner Möglichkeit, den Zuschlag zu erhalten, (nicht einmal) beeinträchtigt ist - wie hier: die Antragstellerin kann auch den angeblich fehlerhaften Loszuschnitt komplett bedienen -, ist der Vergaberechtsschutz mangels Antragsbefugnis nicht eröffnet. Rein wirtschaftliche Interessen wie die Antragstellerin sie hier geltend macht (ohne die angebliche fehlerhafte Losaufteilung wirtschaftlicher und besser kalkulieren zu können) sind von § 160 Abs. 2 S. 2 GWB nicht erfasst (vgl. hierzu OLG Düsseldorf, Beschluss vom 1. Dezember 2021 - Verg 55/20).
Sollte die Antragstellerin wie sie befürchtet im Los 3 deshalb den Zuschlag nicht erhalten, weil die Musterklebebänder zu Recht oder zu Unrecht nicht die Prüfungen des [
] bestehen, ist dies nicht auf den (nach Auffassung der Antragstellerin fehlerhaften) Loszuschnitt der Antragsgegnerin zurückzuführen, sondern auf die Qualität ihrer Produktmuster bzw. die Prüfung des [
]. Auch mit diesem Argument ist die Antragsbefugnis der Antragstellerin hinsichtlich des Loszuschnitts daher nicht zu bejahen. Dass ein "erheblich relevanter Kreis" anderer Unternehmen möglicherweise kein Angebot auf das Los 3 abgeben kann, führt ebenfalls nicht zur Antragsbefugnis der Antragstellerin. Denn die Antragsbefugnis i.S.d. § 160 Abs. 2 GWB ist nur dann zu bejahen, wenn ein Antragsteller eine Verletzung in "seinen", also eigenen, Rechten geltend macht und nicht die Rechte Dritter.
Ob die Antragstellerin ebenfalls bezüglich der Frage nicht antragsbefugt ist, ob bei einem Preisgleichstand mehrerer Angebote ein Losentscheid durchgeführt werden darf, weil ein solcher Stichentscheid derzeit noch nicht drohe und die Antragstellerin unzulässiger Weise vorbeugenden Rechtsschutz begehre (so die Antragsgegnerin), braucht nicht entschieden zu werden. Denn insoweit ist der Nachprüfungsantrag jedenfalls unbegründet (s. dazu unten unter 2c)).
Im Übrigen bestehen gegen die Zulässigkeit des Nachprüfungsantrags keine Bedenken.
2. Soweit er nicht bereits unzulässig ist, ist der Nachprüfungsantrag unbegründet.
a) Die Antragstellerin hat keinen Anspruch auf eine Preisanpassungsklausel.
Nachdem es bei der Vergabe von Lieferleistungen kein allgemeines Verbot für öffentliche Auftraggeber mehr gibt, den Bietern ungewöhnliche Wagnisse aufzubürden, wäre eine Preisanpassungsklausel nur dann anzuordnen, wenn den Bietern eine vernünftige kaufmännische Kalkulation unzumutbar wäre (std. Rspr., s. nur OLG Düsseldorf, Beschluss vom 21. Dezember 2020 - Verg 36/20 m.w.N.). Die diesbezüglich hohen rechtlichen Anforderungen sind hier nicht erfüllt. Zwar weist die Antragstellerin zu Recht auf die besondere aktuelle Wirtschaftslage hin (die aktuellen Kriegsereignisse in der Ukraine, große Preissteigerungen bei vielen Produkten (insbesondere Gas und Rohöl), Lieferverzögerungen etc.). Dass die Preise ihrer eigenen Zulieferer in den letzten Monaten mehrfach erheblich gestiegen sind, hat die Antragstellerin anhand entsprechender Preiserhöhungsverlangen belegt. Da die Angebotsfrist derzeit noch läuft, braucht die Antragstellerin jedoch keine Preisanpassungsklausel, um diese Situation kalkulatorisch "abzufangen": Vielmehr kann sie die jüngsten Preissteigerungen bereits jetzt bei der Kalkulation ihres Angebotspreises berücksichtigen. Hinzu kommt ein weiterer erheblicher Umstand, der dazu führt, dass der Antragstellerin eine kaufmännisch vernünftige Kalkulation ihres Angebots im o.g. Sinne nicht unzumutbar ist: Anders als die Antragstellerin vorträgt, ist sie mit den fix anzubietenden Preisen nicht für die gesamte Vertragslaufzeit von drei Jahren (mit einem weiteren Jahr als Verlängerungsoption) gebunden. Sollte sie während der Vertragslaufzeit feststellen, dass das Festhalten an ihren Preisen unwirtschaftlich ist, kann sie den Vertrag vielmehr gemäß § 16 Abs. 1 des ausgeschriebenen Vertrags zum Ablauf eines jeden Kalenderjahrs (mit einer Frist von drei Monaten) kündigen. Eine solche Kündigung ist ohne Weiteres, also insbesondere ohne irgendwelche inhaltlichen Anforderungen, zulässig. Sollte sich die wirtschaftliche Situation dennoch so dramatisch verschlechtern, wie es die Antragstellerin befürchtet, erscheint eine Preisanpassung gemäß § 313 BGB jedenfalls nicht ausgeschlossen. Denn auch wenn ausweislich der von der Antragstellerin zitierten Erlasse u.a. des BMWSB bereits heute aufgrund des Ukraine-Kriegs erhebliche Preissteigerungen bestehen und auch weiter zu erwarten sind, dürfte die Anwendbarkeit des § 313 BGB nicht generell mit dem Argument ausgeschlossen sein, alle zukünftigen negativen (welt-)wirtschaftlichen Entwicklungen seien angesichts der heutigen Erkenntnisse nicht unvorhersehbar i.S.d. § 313 BGB. Gerade was die weitere Preisentwicklung angeht, betont die Antragstellerin selbst, dass diese derzeit von niemandem und nicht einmal für wenige Wochen im Voraus abgeschätzt werden könne. Auch das von der Antragstellerin in der mündlichen Verhandlung angesprochene Szenario, einer oder mehrerer ihrer Lieferanten würden sie nicht mehr beliefern (können) und sie könne deshalb die Einzelabrufe der Antragsgegnerin aus dem Rahmenvertrag nicht vertragsgemäß bedienen, spricht hier nicht für die Erforderlichkeit einer Preisanpassungsklausel. Denn erstens ist nicht erkennbar, inwieweit eine Anpassung des Angebotspreises das von der Antragstellerin dargestellte Problem, dass ihre Vorlieferanten ausfallen, lösen könnte. Zweitens werden solche Vertragsstörungen ggf. von § 17 Abs. 1 des ausgeschriebenen Vertrags i.V.m. § 5 Nr. 1 und Nr. 2 VOL/B erfasst und berechtigen die Antragstellerin ggf. zu einer Verlängerung der Ausführungsfristen, zur Kündigung oder zum Rücktritt vom Vertrag. Ähnliches gilt für das weitere tatsächliche Szenario, das die Antragstellerin in ihrem nicht nachgelassenen Schriftsatz vom 17. Oktober 2022 vorträgt: Im Fall einer vorzeitigen Vertragskündigung durch die Antragstellerin nach § 16 Abs. 1 des Vertrags würde die Antragsgegnerin bis zur maximalen Grenze des Rahmenvertrags umfangreiche Vorratskäufe zu den vereinbarten Konditionen tätigen, um nicht mit noch höheren Preisen nach einer Folgebeschaffung konfrontiert zu werden. Egal, wie "unbestreitbar" ein solches Szenario sein mag (so die Antragstellerin), ist nicht nachvollziehbar, inwiefern eine Preisanpassungsklausel ein geeignetes Instrument wäre, um etwaigen Lieferschwierigkeiten der Antragstellerin abzuhelfen.
Wenn die Antragstellerin so wie voraussichtlich die weiteren Bieter auch, die denselben wirtschaftlichen Umständen ausgesetzt sind, Risikoaufschläge kalkuliert, um etwaige Preissteigerungen auch ohne die Möglichkeit einer späteren Preisanpassung zu berücksichtigen, führt dies - anders als die Antragstellerin meint - auch nicht dazu, dass die Angebote in vergaberechtlich bedenklicher Weise nicht vergleichbar wären. Denn wie die Bieter ihre Preise kalkulieren, beruht auf deren Kalkulationsfreiheit. Unterschiedliche Risikoannahmen der einzelnen Unternehmen sind daher nicht auf ein möglicherweise vergaberechtswidriges Verhalten der Antragsgegnerin zurückzuführen, sondern auf die unternehmerische Freiheit der Bieter.
Die weiteren Vorschläge der Antragstellerin, wie die Antragsgegnerin ihr eine kaufmännisch belastbare Kalkulation ermöglichen könne, wenn die Vergabekammer keine Preisanpassungsregelung anordne (u.a. ein unterjähriges Kündigungsrecht, Verkürzung der Bindefrist, Regelungen zu höchstens abrufbaren Mengen), sind von der Vergabekammer nicht in rechtlicher Hinsicht zu prüfen. Der entsprechende Sachvortrag erfolgte erst in einem nicht nachgelassenen Schriftsatz nach der mündlichen Verhandlung und zwei Tage vor Ablauf der 5-wöchigen Entscheidungsfrist der Vergabekammer. Ein solches Vorbringen ist im Hinblick auf die den Beteiligten obliegende Verfahrensförderungspflicht, § 167 Abs. 2 GWB, verspätet und bleibt bei der Entscheidungsfindung unbeachtet (vgl. OLG Düsseldorf, Beschlüsse vom 19. November 2003 - Verg 22/03, und vom 28. Juni 2006 - Verg 18/06). Denn es ist der Antragsgegnerin nicht mehr möglich, hierauf schon in der mündlichen Verhandlung, aufgrund der die Entscheidung der Vergabekammer ergeht (§ 166 Abs. 1 S. 1 GWB), oder zumindest bis zum Ablauf der Entscheidungsfrist unter zumutbaren Bedingungen zu erwidern, so dass ein solcher Sachvortrag allein schon aus verfassungsrechtlichen Gründen bei der Entscheidungsfindung unberücksichtigt bleiben muss (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 19. November 2003, a.a.O.).
b) Die Antragsgegnerin ist ebenfalls nicht verpflichtet, im Rahmen der vorgesehenen Prüfungen einzelner Angebotsmuster durch ihr Institut [
] Messtoleranzen einzuräumen.
Welches Produkt er beschafft und damit auch die Qualitätsanforderungen, die die zu liefernden Produkte erfüllen müssen, bestimmt der Auftraggeber nämlich grundsätzlich selbst - das Vergaberecht regelt nicht, was der öffentliche Auftraggeber beschafft, sondern nur die Art und Weise der Beschaffung. Die Grenzen ihres Leistungsbestimmungsrechts hätte die Antragsgegnerin nur dann überschritten, wenn die Bestimmung nicht nachvollziehbar und objektiv durch den Auftragsgegenstand sachlich gerechtfertigt wäre oder andere Wirtschaftsteilnehmer diskriminiert (std. Rspr., vgl. nur OLG Düsseldorf, Beschluss vom 3. August 2018 - Verg 30/18, m.z.N.).
Diese Grenzen hat die Antragsgegnerin hier eingehalten. Der objektive und nachvollziehbare Auftragsbezug ist vorliegend darin zu sehen, dass es beim Verzicht auf Messtoleranzen bei der Prüfung der Qualität der Produktmuster im Ergebnis darum geht, ob der betreffende Bieter im Falle des Vertragsschlusses ausschreibungskonform liefern kann. Wie die Antragstellerin selbst einräumt, sind insbesondere in der TL [
] bereits einige Fertigungstoleranzen enthalten. Über diese Toleranzen hinaus möchte die Antragsgegnerin keine (weiteren) Toleranzen bei der technischen Prüfung durch das [
] einräumen, weil sie meint, dass sie sonst qualitativ schlechtere Waren geliefert bekäme als sie möchte und benötigt. Eine Diskriminierung einzelner Bieter, insbesondere der Antragstellerin, ist in diesem Wunsch weder zu sehen noch in der Praxis zu befürchten. Denn wie die Antragsgegnerin durch die Vorlage einzelner DIN-Normen, nach denen sich ausweislich der TL [
] die einzelnen Prüfungen und Messungen richten, belegt hat, enthalten diese von entsprechend fachkundigen und erfahrenen Personen einheitlich erstellten Normen u.a. detaillierte Vorgaben zu der Durchführung dieser Prüfungen und Messungen (zur Anzahl der Proben, Vorbereitung/Vorbehandlung der Proben, Beschaffenheit der Prüfeinrichtung, Versuchsdurchführung im Einzelnen, Prüftemperatur, Vorgehen bei der Feststellung des Prüfergebnisses etc. und wie häufig die Messungen unter gleichen Bedingungen zu wiederholen sind). Dies gilt insbesondere für die DIN 4102-1, die die Prüfung des von der Antragstellerin mehrfach in diesem Zusammenhang angesprochenen Brennverhaltens der ausgeschriebenen Folienbänder regelt (s. z.B. Ziffer 5.1.3, 6.2.3 bis 6.2.6 der DIN 4102-1). Diese Normen wurden gerade dazu geschaffen, die "menschlichen Fehler", die die Antragstellerin befürchtet, wenn keine Messtoleranzen berücksichtigt werden, zu nivellieren. Damit ist eine gleichbleibende Messqualität hinreichend sichergestellt, so dass es der Einräumung zusätzlicher Messtoleranzen nicht bedarf. Soweit die Antragstellerin meint, im konkreten Fall sei dennoch fehlerhaft geprüft worden und sie sei deshalb zu Unrecht aus dem Vergabeverfahren ausgeschlossen worden, könnte sie dies in einem Nachprüfungsverfahren überprüfen lassen.
c) Dass die Antragsgegnerin bei Preisgleichstand von Angeboten über den Zuschlag durch Los entscheiden will, ist nicht vergaberechtswidrig.
Da sich der wertungserhebliche Preis eines Angebots hier aus der Summe der Preise zahlreicher Einzelpositionen des Leistungsverzeichnisses ergibt, ist die Durchführung eines solchen Losentscheids zunächst bereits sehr unwahrscheinlich. Sollte es dennoch zu einem Losentscheid kommen, ist dies nicht vergaberechtswidrig, vor allem widerspricht diese Vorgehensweise nicht den rechtlichen Vorgaben an Zuschlagskriterien nach § 127 Abs. 1 S. 1, Abs. 4 S. 1 GWB oder dem Wettbewerbsgrundsatz i.S.d. § 97 Abs. 1 GWB. Denn das wirtschaftlichste Angebot i.S.d. § 127 Abs. 1 GWB hat die Antragsgegnerin im Fall des Gleichstands bereits anhand ihres Zuschlagskriteriums "Preis" ermittelt. Auch der Angebotswettbewerb i.S.d. § 97 Abs. 1 und § 127 Abs. 4 S. 1 GWB hat zu diesem Zeitpunkt bereits stattgefunden. Hier allerdings mit der Folge, dass sich im Wettbewerb nicht nur ein "wirtschaftlichstes" Angebot ergeben hat, sondern mehrere, die gleichermaßen wirtschaftlich sind und sich unter denselben Bedingungen im Wettbewerb untereinander behaupten konnten. Dies ist wie eingangs gesagt, in der Praxis regelmäßig unwahrscheinlich, gerade wenn es nur den Preis als einziges Zuschlagskriterium gibt. Theoretisch ist diese Situation jedoch denkbar. Wie § 127 Abs. 1 S. 4 GWB zeigt, ist es dennoch nicht vergaberechtswidrig, den Zuschlag nur aufgrund des Preises oder der Kosten der ausgeschriebenen Leistungen zu erteilen. Die Antragsgegnerin hat also bereits alle einschlägigen vergaberechtlichen Vorschriften beachtet, um das wirtschaftlichste Angebot im Wettbewerb zu ermitteln - führt dies wie im Fall des Preisgleichstands nicht zum Erfolg (weil nicht "das" wirtschaftlichste Angebot ermittelt wurde), kommt praktisch kein anderes Kriterium in Betracht, das ebenso eine hinreichende Objektivität, Transparenz, Diskriminierungsfreiheit gewährleistet und Manipulationsmöglichkeiten ausschaltet, wie der Losentscheid (vgl. auch OLG Hamburg, Beschluss vom 20. März 2020, 1 Verg 1/19 m.w.N.).
Da eine Vergabe allein anhand des Preises vergaberechtlich zulässig und der Auftraggeber grundsätzlich in seiner Entscheidung frei ist, anhand welcher Kriterien er über den Zuschlag entscheidet, kann von der Antragsgegnerin auch nicht verlangt werden, allein für den (noch dazu praktisch unwahrscheinlichen, s.o.) Fall des Preisgleichstands weitere Zuschlagkriterien vorzusehen (so auch OLG Hamburg, Beschluss vom 20. März 2020, a.a.O.). Das gilt erst recht in Fällen wie hier, in denen die Qualität der ausgeschriebenen Produkte durch Technische Lieferbedingungen bereits umfassend beschrieben und vorgegeben ist. Ebenso untauglich, erst recht aber einem öffentlichen Auftraggeber unzumutbar erscheint die Alternative, ein Vergabeverfahren im Falle des Preisgleichstands aufzuheben und erneut auszuschreiben bis ein einziges wirtschaftlichstes Angebot erfolgreich ermittelt wurde.
3. Der Antrag der Antragstellerin auf weitergehende Akteneinsicht ist abzulehnen, da die betreffenden Unterlagen, in die sie Einsicht begehrt, nicht entscheidungserheblich sind (vgl. nur OLG Düsseldorf, Beschluss vom 29. Juni 2017 - Verg 7/17). Denn da sie insoweit bereits nicht antragsbefugt ist, kommt es auf die Frage, ob die Antragsgegnerin für die selbstklebenden Folienbänder ein separates Los hätte bilden müssen, weil es keine
"Komplettanbieter" gibt, die das gesamte Los 3 in seiner jetzigen Fassung bedienen könnten, für die Entscheidung nicht an.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 182 Abs. 1, Abs. 3 S. 1 GWB.
Zwar hat die Antragstellerin einige der von ihr zunächst beanstandeten Aspekte im Nachprüfungsverfahren für erledigt erklärt, weil die Antragsgegnerin diese korrigiert habe, und einige Beanstandungen zurückgenommen. Ob die Reaktion der Antragsgegnerin auf den Vortrag der Antragstellerin wie eine (Teil-)Abhilfe kostenmäßig zugunsten der Antragstellerin zu würdigen sein könnte, braucht indes nicht entschieden zu werden. Denn selbst wenn dies zu bejahen wäre, käme dies einem Obsiegen der Antragstellerin in einem so geringen Umfang gleich, dass dies bei Anwendung der sich aus § 92 Abs. 2 ZPO ergebenden Grundsätze eine (teilweise) Kostenbelastung der Antragsgegnerin nicht rechtfertigt. Denn die Antragstellerin hat ihr Rechtsschutzziel, das Vergabeverfahren zurückzuversetzen und überarbeiten zu lassen, nicht erreicht (vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 26. September 2006, X ZB 14/06; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 11. April 2022 - Verg 5/22).
IV.
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Zuschlagskriterien können nachträglich präzisiert werden!
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VK Bund
Beschluss
vom 07.12.2022
VK 2-96/22
1. Zuschlagskriterien müssen so festgelegt und bestimmt sein, dass die Möglichkeit eines wirksamen Wettbewerbs gewährleistet wird, der Zuschlag nicht willkürlich erteilt werden kann und eine wirksame Überprüfung möglich ist, ob und inwieweit die Angebote die Zuschlagskriterien erfüllen.
2. Die Zuschlagskriterien und deren Gewichtung müssen in der Auftragsbekanntmachung oder in den Vergabeunterlagen aufgeführt werden müssen. Das gilt grundsätzlich sowohl für die Zuschlags(haupt)kriterien als auch für die Unterkriterien.
3. Der öffentliche Auftraggeber ist aber nicht daran gehindert, nachträglich - auch erst nach dem Ablauf der Angebotsfrist - eine Präzisierung der bekannt gemachten Zuschlagskriterien vorzunehmen.
4. Hinsichtlich der Entscheidung, in welcher Form ein Nachteilsausgleich zu gewähren ist, wenn ein Bieter im Vergabeverfahren mit unvorhersehbaren und nicht zu vertretenen Erschwernissen belastet wird, steht dem Auftraggeber ein Beurteilungs- und Ermessensspielraum zu.
In dem Nachprüfungsverfahren der
[...]
wegen der Vergabe [...]
hat die 2. Vergabekammer des Bundes durch die Vorsitzende Direktorin beim Bundeskartellamt Dr. Herlemann, den hauptamtlichen Beisitzer Regierungsdirektor Brune und die ehrenamtliche Beisitzerin Bachmann auf die mündliche Verhandlung vom 29. November 2022 am 7. Dezember 2022
beschlossen:
1. Der Nachprüfungsantrag wird zurückgewiesen.
2. Der Antrag auf weitergehende Akteneinsicht wird zurückgewiesen.
3. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens sowie die zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Antragsgegnerin.
Gründe:
I.
1. Die Antragsgegnerin (Ag) machte am [...] die oben genannte Vergabe im Rahmen eines nichtoffenen Verfahrens im Supplement zum Amtsblatt der EU [...] unionsweit bekannt. Als geschätzter Auftragswert wurde ein Betrag von [...] Mio. Euro (brutto) angegeben (Ziffer II.1.4 der Bekanntmachung). Als Zuschlagskriterium wurde ausgeführt: "das wirtschaftlich günstigste Angebot in Bezug auf die Kriterien, die in den [Vergabeunterlagen] aufgeführt sind" (Ziffer II.2.1 der Bekanntmachung).
Die Vergabeunterlagen enthielten ein Dokument "Hinweise für dieses Verfahren und besondere Bewerbungsbedingungen" ("Hinweise BBB") sowie ein Dokument "Fragen der Angebotspräsentation zur Bewertung der Angebote" ("Kriterienkatalog Leistung"). Der Kriterienkatalog Leistung umfasste zunächst nur 5 Seiten.
Gemäß Ziffer 3.9.2 der Hinweise BBB sollte das wirtschaftlichste Angebots anhand der erweiterten Richtwertmethode aufgrund der im Kriterienkatalog Leistung geforderten Nachweise und Erklärungen ermittelt werden (siehe dort Ziffer 2). Dort hieß es:
"Bei der Auswertung der schriftlichen Angebote werden die mit "B" gekennzeichneten Kriterien des Kriterienkataloges bewertet und für jedes B-Kriterium 0 bis 10 Wertungspunkte vergeben. Diese werden entsprechend den angegebenen Gewichtungspunkten gewichtet und fließen so in die Bewertung ein.
Die Bewertung der einzelnen Kriterien erfolgt nach dem folgenden Prinzip, die Abstufung erfolgt wie in der unten aufgeführten Tabelle dargestellt. [...]"
"Wertungspunkt / Definition
0: Die Anforderungen der Vergabestelle sind nicht erfüllt.
2,5: Die Anforderungen der Vergabestelle sind kaum erfüllt.
5: Die Anforderungen der Vergabestelle sind teilweise erfüllt.
7,5: Die Anforderungen der Vergabestelle sind überwiegend erfüllt.
10: Die Anforderungen der Vergabestelle sind vollständig erfüllt"
Zentraler Bestandteil der qualitativen Angebotswertung war die Beantwortung einer in neun Stunden zu erstellenden Testaufgabe (nachfolgend "9-Stunden-Aufgabe" bzw. "Testaufgabe"), bestehend aus insgesamt 6 Arbeitspaketen.
In den Hinweisen BBB hieß es hierzu unter Ziffer 3.10:
"Nach Prüfung und Wertung der Angebote lädt die Auftraggeberin die Bieter, deren Angebote nicht aus formellen Gründen ausgeschlossen wurden, zur Teilnahme an einer 9 Stunden-Aufgabe ein. Die Auftraggeberin versendet die Einladungen einschließlich einer Aufgabenstellung. Die Aufgabenstellung muss dann von den Bietern innerhalb von 9 Stunden bearbeitet werden. Zum Ende der Bearbeitungsfrist sind die Ergebnisse inkl. der Eigenerklärung über die Teamzusammensetzung (siehe Ziffer 3 der Anlage "Kriterienkatalog Leistung") der Vergabestelle über die Nachrichtenfunktion eVergabePlattform zu übermitteln. Die Ergebnisse werden im Anschluss von der Vergabestelle bewertet. Die Bewertung fließt in die Ermittlung des wirtschaftlichsten Angebots ein. Der voraussichtliche Termin für die Versendung der Aufgabenstellungen wird mit der Angebotsaufforderung bekanntgegeben. Die Versendung erfolgt an dem dafür vorgesehenen Tag um 09:00 Uhr."
Im Kriterienkatalog Leistung wurde einleitend (unter Ziffer 1) ausgeführt:
"Nachfolgend sind als Fragen und Forderungen die Leistungskriterien tabellarisch zusammengestellt, deren Beantwortung die Grundlage der Bewertung der Angebote durch die Vergabestelle ist.
Die Leistungskriterien, welche als Bewertungskriterium (B) gekennzeichnet sind, haben einen Bewertungsraum von 0 bis 10 Punkten. Die Punkte werden entsprechend dem Erfüllungsgrad der Anforderung vergeben. Selbst wenn ein Einzelkriterium lediglich "0" Punkte erreicht, wird das Angebot nicht automatisch ausgeschlossen. Die Bewertungskriterien sind, je nach Wichtigkeit entsprechend, mit einem Gewichtungsfaktor versehen, der in einer Spalte angegeben wird. Bitte formulieren Sie Ihre Antworten frei."
Als weiterer Hinweis wird für die Arbeitspakete AP 1 bis AP6 eine Begrenzung der einzureichenden Antworten auf 500 Wörter (AP 1 bis AP4 und AP6) bzw. 1.000 Wörter (AP 5) vorgegeben.
Nach Ziffer 3 des Kriterienkatalogs Leistung ("Teamzusammenstellung) waren mit dem Angebot mindestens 30 bis maximal 40 Personalprofile einzureichen, denen jeweils verschiedene Rollen ("Spezialist", "Berater" und "Assistenz") zuzuweisen waren. Für die Bearbeitung der Testaufgabe waren vier von diesen Personalprofilen zu benennen (drei "Berater" und eine "Assistenz"). Um dem Risiko des Ausfalls einzelner Personen am Tag der Testaufgabe vorzubeugen, konnte eine entsprechende Anzahl an Ersatzprofilen benannt werden.
Unter Ziffer 4 des Kriterienkatalogs Leistung (Seite 5) hieß es:
"Schriftliche Angebotspräsentation - 9h-Aufgabe: Fiktives Beispielprojekt
Nähere Informationen hierzu finden Sie unter Ziffer 3.10 der Anlage "Hinweise BBB"."
Weitere Informationen wurden zunächst nicht gegeben.
Mehrere Bieter stellten Fragen (u.a.) zu den in den Vergabeunterlagen nicht genannten Bewertungskriterien und Gewichtungsfaktoren die Testaufgabe betreffend.
Die Ag beantwortete die Bieterfrage Nr. 34 eines dritten Bieters wie folgt:
"Bei den genannten B-Kriterien handelt es sich um die Arbeitspakete (AP) der 9-Stunden-Aufgabe, die Ihnen erst bei Versendung der schriftlichen Angebotspräsentation zukommen gelassen werden. Ansonsten sind in diesem Verfahren keine weiteren B-Kriterien vorhanden."
Die Antragstellerin (ASt) stellte folgende Bieterfrage Nr. 41 am 28. April 2022:
"Bei der Auswertung der schriftlichen Angebote werden die mit "B" gekennzeichneten Kriterien des Kriterienkataloges bewertet und für jedes B-Kriterium 0 bis 10 Wertungspunkte vergeben".
Der Kriterienkatalog enthält keine Kriterien mit der Kennzeichnung "B". Können Sie uns mitteilen, an welcher Stelle der Vergabeunterlagen die genannten B-Kriterien zu finden sind?" Hierauf antwortete die Ag:
"Siehe Antwort zu Bieterfrage Nr. 34. Der Aufgabenstellung kann auch die Gewichtung entnommen werden."
Diese Bieterfragen und Antworten wurden an alle Bieter übermittelt.
Nachdem die ASt und die Beigeladene (Bg) erfolgreich das Verfahrensstadium des Teilnahmewettbewerbs durchlaufen hatten, gaben beide jeweils fristgerecht zum 31. Mai 2022 ein Angebot ab.
Am 14. Juni 2022 wurde den Bietern die Aufgabenstellung zur "9 Stunden-Aufgabe" um 9:00 Uhr über die E-Vergabeplattform mit der Maßgabe übermittelt, die "Lösungen bis spätestens 18:00 Uhr desselben Tages auf gleichem Weg" einzureichen. Diese Aufforderung enthielt einen ergänzten Kriterienkatalog Leistung, der anstatt fünf nun neun Seiten umfasste. Die ersten vier Seiten blieben unverändert. Auf Seite 5 wurde die Aufgabenstellung eingefügt.
Diese versetzte die Bieter in die Rolle als zuständiger "Rahmenvertragspartner für das Thema "Beratung zu Informationssicherheitsmanagementsystemen und IT-Sicherheitskonzepten", der "eine Bundesbehörde mit 40 Mitarbeitern zu einem Sicherheitskonzept beraten und dieses maßgeblich miterstellt" habe. "Den ersten Entwurf für eine Maßnahmenplanung [habe] der Informationssicherheitsbeauftragte (ISB) der Behörde ohne Ihre bisherige Beteiligung erstellt." Zu diesem ersten Entwurf werden eine Reihe von Eckdaten konkret benannt (erforderliches Gesamtbudget für technische Maßnahmen und Infrastrukturmaßnahmen sowie sonstige Maßnahmen; zuzüglich erforderlicher Personentage für die Umsetzung von organisatorischen und personellen Maßnahmen (z. B. Teilnahme an Schulungen). Das allein für die Umsetzung der Basisanforderungen nach IT-Grundschutz erforderliche Budget nebst Personentagen wird benannt und auf zusätzliche bislang noch nicht berücksichtigte "Kosten und Aufwände für die Aufrechterhaltung des Betriebs [z.B. Protokollierungsserver] " hingewiesen.
Die Bieter in der Rolle als zukünftige Rahmenvertragspartner sollten im Rahmen eines "Workshop zur Abstimmung der Meilensteinplanung (Umsetzungsplanung bzw. Festlegung der Umsetzungsreihenfolge der Maßnahmen)" aufgrund einer Vorlage des Informationssicherheitsbeauftragten (ISB) mit den genannten Eckdaten und einer von der Behördenleitung vorgegebenen Budgetrestriktion auf rund 56% des eigentlich als erforderlich veranschlagten Budgets "Kriterien für die Priorisierung [...] finden, aus denen sich die Umsetzungsreihenfolge" ergäbe.
Hierzu wurde die Erwartungshaltung ausgeführt, dass die Behördenleitung vom Rahmenvertragspartner und dem ISB erwarte, "im Nachgang des Workshops eine optimale Reihenfolge für die Umsetzung der Maßnahmen aus diesen Kriterien" abzuleiten und das vorhandene Budget "so sinnvoll wie möglich" zu investieren. Zusätzlich äußern weitere, namentlich benannte Workshop-Teilnehmer (Akteure wie der ISB, Firewalladministrator, IT-Leiter, Verfahrensverantwortliche, Datenschutz- und Geheimschutzbeauftragte der zu beratenden Behörde) konkrete Anforderungen zur Priorisierung bestimmter Themen oder Maßnahmen (u.a. zu Stichworten wie schnell umsetzbarer Maßnahmen ("Quick Wins"), "IT-Grundschutz", Schutz besonders wichtiger Anwendungen ("Kronjuwelen"), "IT-Notfallvorsorge", "Mindeststandards des [...]", "Verschlusssachenanweisung" zum Geheimschutz und "Protokollierungsrichtline Bund").
Zusammenfassend heißt es hierzu:
"Wie gehen Sie vor, um nach dem Workshop eine Empfehlung für eine optimale Maßnahmenplanung erarbeiten zu können? Beantworten Sie diese Frage anhand der nachfolgenden Aufgaben in den Arbeitspaketen AP 1 bis AP 6. Stellen Sie sich vor, die Fragen in den AP 1 bis AP 4 würden Ihnen von den Workshop-Teilnehmern gestellt und die Behördenleitung und der ISB bäten Sie, die Fragen zu beantworten. Mit den Fragen zu AP 5 haben Sie Gelegenheit, eigene Impulse zu setzen. Bitte beachten Sie, dass AP 5 die größte Gewichtung besitzt. Es werden sowohl fachliche Kompetenz als auch Beratungskompetenz bewertet."
Anschließend wurden die Arbeitspakete AP 1 und 6 in tabellarischer Form mit Beschreibung der Aufgabenstellung, Gewichtung und Ausführungen zum Erwartungshorizont aufgeführt. Als "Art" der Kriterien wurde "B" vermerkt.
Im AP 1 (Gewichtungsfaktor 100) "Übliche Vorgehensweise und bisherige Vorarbeiten" wurde u.a. eine Beschreibung verlangt, "welche Vorgehensweise für die Findung einer optimalen Maßnahmenplanung üblich ist." Hierzu sollte auf "Zusammenhänge" eingegangen werden, "z.B. Rolle der Informationssicherheitsleitlinie, der Schutzbedarfsfeststellung und der Risikoanalyse".
Zum Erwartungshorizont heißt es u.a.:
"Es werden nachvollziehbare Praxisbeispiele aufgezeigt, bei denen ein unzureichendes Budget zu berücksichtigen war (mindestens 3). [...] werden die für die Bundesverwaltung einschlägigen Standards und Vorgaben berücksichtigt [...], werden die Vorgehensweise und Zusammenhänge der einzelnen Bestandteile des IT-Sicherheitskonzepts anhand der genannten Standards und Vorgaben aufgezeigt und wird auf die anwendbaren Vorgehensweisen nach IT-Grundschutz eingegangen, die Unterschiede dieser Vorgehensweisen kurz beschrieben und ein begründeter Vorschlag für die hier zu beratende Behörde gemacht."
Im AP 2 (Gewichtungsfaktor 100) waren die Wortbeiträge der Teilnehmer des fiktiven Workshops zu bewerten und zu den Kriterien für die Priorisierung Stellung zu nehmen. Es war u.a. aufzuzeigen, "auf welchen Feldern die bisherige Argumentation so nicht tragfähig ist" und es waren die für Bundesbehörden geltenden Standards und Vorgaben bei Empfehlungen zu berücksichtigen.
Im AP3 (Gewichtungsfaktor 50) war die Erläuterung eines Beispielszenarios gefordert, anhand dessen die Findung einer Umsetzungsreihenfolge anhand von zwei Maßnahmen exemplarisch zur erläutern war und anhand von Kriterien gegeneinander abzuwägen war. Dabei wurde erwartet, dass Abhängigkeiten vollständig und nachvollziehbare Konsequenzen der Entscheidung dargestellt werden.
Im AP 4 (Gewichtungsfaktor 200) war der "Zusammenhang zwischen Maßnahmenplanung und Risikoanalyse" bezogen auf das Gesamtrisiko zu erklären und es wurde erwartet, dass diese mit den von Bundesbehörden anzuwendenden Standards nachvollziehbar übereinstimmen.
Im AP 5 ("Nächste Schritte" - Gewichtungsfaktor 500) war ein Vorschlag für das weitere Vorgehen zu erstellen und Empfehlungen an Behördenleitung und ISB zu begründen und ausführen, wie sichergestellt werden könne, dass die zu entwickelnde Maßnahmenplanung optimal sei und akzeptiert werde. Erwartet wurden nachvollziehbare Ausführungen zu anfallenden Aufwänden, verfügbaren Ressourcen, zum verbliebenen Klärungsbedarf, zur "Frage, ob und, wenn ja, in welchem Umfang Maßnahmen zur Mitigation vorgeschlagen werden" sowie zu den Empfehlungen.
Im AP 6 (Gewichtungsfaktor 50) sollte ein nachvollziehbares und vollständiges Ergebnisprotokoll der Workshop-Sitzung mit den wesentlichen Problemen und Festlegungen unter Berücksichtigung der vorherigen Beiträge in AP 1 bis 5 erstellt werden.
Die ASt reichte ihre Testaufgabe am 14. Juni 2022 fristgerecht bis 18:00 Uhr ein.
Die Räumlichkeiten der Bg wurden an diesem Tag gegen 13:25 Uhr auf polizeiliche Anordnung - wegen einer Bombendrohung das Nachbargebäude betreffend - evakuiert. Nach Aufhebung der polizeilichen Maßnahmen gegen 14:00 Uhr erfolgte die Rückführung der evakuierten Personen ausweislich einer Bescheinigung der Hausverwaltung der Bg bis gegen 14:30 Uhr.
Aufgrund dieses Sachverhalts beantragte die Bg telefonisch und schriftlich eine Fristverlängerung um eine Stunde und legte die Bescheinigung der Hausverwaltung vor. Die Ag gewährte die Fristverlängerung und die Bg reichte ihre Lösung der Testaufgabe um 18:36 Uhr ein.
Mit der fachlichen Bewertung der Testaufgaben der Bieter betraute die Ag das [...] und dieses erstellte in der Folge einen 26-seitigen Prüfungsvermerk mit der Bewertungsentscheidung, der vom 27. September 2022 datiert. In der im Vergabevermerk dokumentierten Gesamtwertung wurde das Angebot der Bg auf dem ersten Rang und das Angebot der ASt auf dem dritten Rang platziert.
Mit Schreiben vom 5. Oktober 2022 teilte die Ag der ASt gem. § 134 GWB mit, dass sie deren Angebot nicht berücksichtigen könne, weil dieses nicht das wirtschaftlichste sei. Beabsichtigt sei, den Zuschlag frühestens am 17. Oktober 2022 auf das Angebot der Bg zu erteilen.
Hierzu wurden zu jedem Arbeitspaket AP 1 bis 6 die vergebenen Wertungspunkte (jeweils zwischen 5 und 7,5 Punkten) genannt und die Wertungsentscheidung anhand des Prüfvermerks des [...] begründet.
Dazu wurden konkrete Defizite in der Testaufgabe der ASt benannt (u.a. nicht einschlägiges Praxisbeispiel, fehlende Bezüge zur konkreten Situation, Empfehlungen und Vorgehensweisen sowie einer Stellungnahme zu Priorisierungskriterien und der Abwägung von Grundschutzmaßnahmen) und erklärt, dass Erläuterungen "lediglich in allgemeiner Form" und stichwortartig vorgenommen worden seien. Auf die Rollen der Akteure bzw. deren Wortbeiträge im Beispielszenario werde nicht genügend eingegangen bzw. deren Aussagen nicht hinreichend problematisiert. Die Darstellung wirke nicht ausreichend konkret und ein Vorschlag für eine Reihenfolge von Maßnahmen auf Basis von Kriterien sei nicht erkennbar. Es würden unklare oder sachliche falsche Begriffe verwendet, das Protokoll hätte präziser, strukturierter ausfallen können und es fehlten konkrete Anforderungen an die Akteure.
Die Verfahrensbevollmächtigten der ASt rügten mit Schreiben vom 11. Oktober 2022 die Wertungsentscheidung, die fehlende Bekanntmachung von Unterkriterien und deren Gewichtung als vergaberechtswidrig. Die Begründungen der Wertungsentscheidung seien nicht nachvollziehbar, fachtechnisch falsch und von sachwidrigen Erwägungen geleitet.
Hierzu wurde der der Ag eine Frist zur Beantwortung bis zum 13. Oktober 2022 gesetzt.
Die Ag teilte den Verfahrensbevollmächtigten der ASt mit Schreiben vom 12. Oktober 2022 mit, dass sie für die Prüfung und Beantwortung der Rüge voraussichtlich bis zum 19. Oktober 2022 Zeit benötige. Die Ag sicherte zu, den Zuschlag nicht vor dem 24. Oktober 2022 zu erteilen.
Mit Schreiben vom 13. Oktober 2022 rügten die Verfahrensbevollmächtigten der ASt das Vorgehen der Ag. Ein Auftraggeber könne den Lauf der Frist gemäß § 134 GWB nicht verlängern. Die Ag wurde aufgefordert, das Schreiben gem. § 134 GWB vom 5. Oktober 2022 zurücknehmen und als gegenstandslos anzusehen.
Die Ag teilte den Verfahrensbevollmächtigten der ASt mit Schreiben vom 13. Oktober 2022 mit, dass sie das Schreiben gem. § 134 GWB vom 5. Oktober 2022 nicht zurückziehe und nach Prüfung der Rüge voraussichtlich am 19. Oktober 2022 eine Rückmeldung geben werde. Die Ag sicherte zu, den Zuschlag nicht vor dem 31. Oktober 2022 zu erteilen.
Mit Schreiben vom 19. Oktober 2022 lehnte es die Ag ab, der Rüge abzuhelfen.
Mit Schreiben vom 21. Oktober 2022 forderte die ASt weitere Informationen zur Leistungs- und Preiskennzahl und erhielt diese von der Ag mit Schreiben vom 24. Oktober 2022.
2. Mit Schreiben ihrer Verfahrensbevollmächtigten vom 28. Oktober 2022 beantragte die ASt bei der Vergabekammer des Bundes die Einleitung eines Nachprüfungsverfahrens. Die Vergabekammer hat den Nachprüfungsantrag am selben Tag an die Ag übermittelt.
a) Mit ihrem Nachprüfungsantrag macht die ASt geltend:
Die ASt habe ihrer Rügeobliegenheit am 11. Oktober 2022 gem. § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GWB genügt. Eine Präklusion gem. § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 GWB komme hinsichtlich der nicht rechtzeitig bekannt gegebenen Unterkriterien mit Gewichtungskoeffizienten nicht in Betracht. Der Verstoß gegen das Transparenzgebot sei für einen durchschnittlichen Bieter nicht erkennbar gewesen. Daran ändere auch die Bieterfrage Nr. 41 der ASt nichts.
Die Bekanntgabe der Bewertungs(Unter-)Kriterien ("B") zu den einzelnem Arbeitspakten mit Gewichtung am Tag der Testaufgabe durch Ergänzung des Kriterienkatalogs Leistung verstoße gegen § 127 Abs. 5 GWB und den Transparenzgrundsatz gem. § 97 Abs. 1 GWB. Es handele sich hierbei um Zuschlags- bzw. Unterkriterien und diese seien zu Beginn des Verfahrens in der Bekanntmachung oder den Vergabeunterlagen aufzuführen. Dies wäre auch erforderlich gewesen, da bereits mit der Angebotsabgabe zum 31. Mai 2022 Personalprofile für diejenigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter anzugeben waren, die mit der Testaufgabe betraut werden sollten. Die Bieter seien so daran gehindert worden, die Angebote in Kenntnis der Bewertungskriterien taktisch auszurichten.
Auch die Wertungsentscheidung selbst sei vergaberechtswidrig, fachtechnisch unzutreffend, beurteilungsfehlerhaft und basiere auf unzutreffendem Sachverhalt. Wertungen müssten im Quervergleich stimmig sein. Ein solcher Quervergleich sei von der Ag vergaberechtswidrig unterlassen worden. Soweit die Ag die Aufgabenlösung der ASt wegen Erläuterungen allgemeiner Art abgewertet habe, sei es wegen der Beschränkung der Beantwortung nach der vorgegebenen Anzahl der Wörter ausgeschlossen, dass andere Bieter hierzu umfangreicher vortragen konnten. Zu den Bewertungen in den einzelnen Arbeitspaketen AP 1 bis 6 wird u.a. Folgendes beanstandet:
Im AP 1 sei die Abwertung fachtechnisch unzutreffend. Auch das dritte Praxisbeispiel sei als einschlägig zu bewerten, weil auch im Rahmen einer Umsetzung eines Sicherungskonzepts regelmäßig Sicherheitskonzepte als Maßnahmen erstellt, aktualisiert oder überarbeitet würden. Die Abwertung wegen lediglich "allgemeiner Form" der Antwort der ASt sei sachwidrig, weil im Kriterienkatalog kein Detailierungsgrad vorgegeben und kein Bezug zur konkreten Situation gefordert worden sei. Nicht nachvollziehbar sei die bemängelte fehlende Stellungnahme zu Priorisierungskriterien. Solche seien nicht gefordert gewesen. Das Fallbeispiel lege vielmehr die Erstellung (nicht die Umsetzung) eines Sicherheitskonzepts nahe.
Im AP 2 sei eine Abwertung wegen unzureichender Berücksichtigung des [...]Mindeststandards nicht nachvollziehbar und beurteilungsfehlerhaft, weil das Sicherheitskonzept für eine Bundesbehörde erstellt werde, so dass "denknotwendig davon ausgegangen werden [müsse], dass alle Anforderungen der Erfüllung der Fachaufgaben dienen." Daher lasse sich nicht ohne weitere Informationen ableiten, inwieweit sich die Verbindlichkeit der Mindeststandards von denen des Datenschutzes, des Geheimschutzes oder der Umsetzung der [...]-Standards unterscheide. Dementsprechend ergebe sich hieraus kein Einfluss auf die Maßnahmenpriorisierung. Geheimschutz sei richtigerweise kein Teil der Informationssicherheit und die Erwartung der Ag von diesbezüglichen Hinweisen ergäbe sich nicht aus der Aufgabenstellung. Unzutreffend sei auch, dass die ASt nicht auf die "Protokollierungsrichtlinie Bund" eingegangen sei.
Die Abwertung im AP 3 aufgrund nur allgemeiner Beschreibung ohne konkrete Erläuterung von Beispielen für Kriterien, Faktoren und Abhängigkeiten sei nicht plausibel. Hiermit überschreite die Ag den vorgegebenen Erwartungshorizont. Die zwei geforderten Maßnahmen seien ausgewiesen und aufgabengemäß gegeneinander abgewogen worden.
Die Bewertung im AP 4 und AP 5 seien vergaberechtswidrig. Die Ausführungen der ASt seien fachtechnisch korrekt. Im AP 5 sei lediglich ein Vorschlag zum weiteren Vorgehen gefordert gewesen. Weitergehende Anforderungen zum Detaillierungs/Konkretisierungsgrad der Antworten - etwa ob eine Basis-, Kern- oder Standardabsicherung angestrebt werden solle oder konkrete Erläuterungen zum Budget -, ergäben sich nicht aus dem Kriterienkatalog Leistung. Die ASt habe mehrfach konkrete Vorschläge aufgeführt und auch das ursprünglich veranschlagte Budget genannt. Sofern die Ag die Aussage der ASt, dass "die Umsetzung technischer Maßnahmen auch ggf. durch organisatorische Maßnahmen mitigiert werden" als falsch bewertet habe, sei die Wertung fachtechnisch nicht korrekt. Diese Aussage sei nicht zu beanstanden.
Hinsichtlich des AP 6 sei die Wertung vergaberechtswidrig, weil unzutreffender Sachverhalt zugrunde gelegt worden sei. Zu Unrecht habe die Ag Aspekte (u.a. unzureichendes Eingehen auf die besondere Rolle bzw. die Anforderungen an die die Behördenleitung sowie fehlende konkrete Schritte außer den Verweis auf künftige Workshops) bemängelt. Diese seien in der Aufgabenstellung nicht gefordert worden. Vielmehr hätten nur die wesentlichen Ergebnisse des Workshops protokolliert werden sollen. Zudem sollten diese Aspekte den Teilnehmern im Fallbeispiel hinreichend bekannt sein.
Nach Akteneinsicht wird beanstandet, dass die Aufgabenstellung der Testaufgabe zum Zeitpunkt der Bekanntmachung der Ausschreibung noch nicht endabgestimmt gewesen sei. Dies ergebe sich aus der Vergabedokumentation (Bl. 1448-1450), da in dieser als Anlage auf eine korrigierte Fassung der Testaufgabe verwiesen werde Offenbar habe das [...] der Ag erst einen Tag vor dem 14. Juni 2022 die Aufgabenstellung übermittelt. Dies verstoße gegen vergaberechtliche Grundsätze, denn die Ag habe so die Testaufgabe in Ansehung des Angebotsinhalts - insbesondere des angebotenen Personals - erstellen können.
Die Verlängerung der Abgabefrist der Testaufgabe um 60 Minuten ausschließlich zugunsten der Bg infolge der angeblichen Bombendrohung habe dieser überdies vergaberechtswidrig einen erheblichen Vorteil gewährt. Die Durchführung der Testaufgabe hätte abgebrochen werden müssen, eine neue Testaufgabe hätte zu einem späteren Zeitpunkt gestellt werden müssen.
Die ASt beantragt:
1. gegen die Ag ein Vergabenachprüfungsverfahren gem. § 160 Abs. 1 GWB einzuleiten und die Ag unverzüglich in Textform darüber zu informieren Fax-Nr.: [...]
2. der Ag die beabsichtigte Zuschlagserteilung zu untersagen und ihr aufzugeben, das Vergabeverfahren zurückzuversetzen und das Verfahren vergaberechtskonform nach Maßgabe der Rechtsauffassung der Vergabekammer zu wiederholen;
3. hilfsweise geeignete Maßnahmen zu treffen, um die von der Vergabekammer festgestellten Rechtsverletzungen der ASt zu beseitigen;
4. der ASt gem. § 165 Abs. 1 GWB die Einsichtnahme in die Vergabeakte zu gestatten;
5. der Ag die Kosten des Verfahrens einschließlich der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen der ASt aufzuerlegen;
6. festzustellen, dass die Hinzuziehung der Bevollmächtigten der ASt notwendig war.
b) Die Ag beantragt:
1. Der Nachprüfungsantrag wird zurückgewiesen.
2. Der ASt werden die Kosten des Verfahrens auferlegt.
Die Ag macht geltend, dass der Nachprüfungsantrag unzulässig und im Übrigen unbegründet sei:
Der Antrag sei wegen Verstoßes gegen § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 und 3 GWB präkludiert. Ausweislich der Bieterfrage Nr. 41 habe die ASt bereits im April Kenntnis von der Nichtveröffentlichung der Aufgabenstellung und der Gewichtung der Arbeitspakete gehabt. Die ASt hätte dies jedenfalls bis zum Ablauf der Angebotsfrist im Mai 2022 rügen müssen.
Der Antrag sei auch unbegründet. Ein Verstoß gegen § 127 Abs. 5 GWB und den Transparenzgrundsatz liege nicht vor. Es handele sich bei der Testaufgabe nicht um Unterkriterien im vergaberechtlichen Sinn. Nach der Rechtsprechung bestehe keine Pflicht zur Bekanntgabe der Bewertungsmethode. Vergabestellen müssten die Möglichkeit haben, Bieter im Dienstleistungsbereich nach unter Zeitdruck zu bearbeitenden Lösungen zu bewerten. Dies erfordere, dass die Aufgabenstellung nicht vorab veröffentlicht werde.
Die Wertungsentscheidung sei nicht zu beanstanden und überschreite nicht den Beurteilungsspielraum des öffentlichen Auftraggebers, was hinsichtlich der Arbeitspakete AP 1 bis AP 6 im Einzelnen ausgeführt wird. Soweit die ASt einen mangelnden Quervergleich der Angebote moniere, habe die Ag die einheitliche Anwendung des Erwartungshorizonts noch einmal überprüft und reiche eine ergänzende Dokumentation hierzu ein.
Die Verlängerung der Frist zur Abgabe der Testaufgabe zugunsten der Bg sei als Nachteilsausgleich gerechtfertigt. Der der Ag zustehende Ermessensspielraum, auf ein außergewöhnliches und nicht zu verhinderndes Ereignis (Räumung wegen einer Bombendrohung) zu reagieren, sei nicht überschritten worden. Eine Wiederholung der Testaufgabe hätte eine Verzögerung um mehrere Monate bewirkt und das Risiko von Schadensersatzforderungen begründet.
Die Aufgabenstellung zur Testaufgabe habe bereits zum Zeitpunkt der Bekanntgabe des Teilnahmewettbewerbs im November 2021 festgestanden. Dies werde durch die Vergabedokumentation belegt (Bl. 29ff. und 1939ff. der Vergabeakte). Danach seien nur noch minimale redaktionelle Änderungen vorgenommen worden.
c) Die mit Beschluss vom 31. Oktober 2022 zum Verfahren hinzugezogene Bg hat keine Anträge gestellt und nicht schriftsätzlich vorgetragen, sich allerdings an der mündlichen Verhandlung beteiligt.
3. Die Vergabekammer hat der ASt am 8. November 2022 Einsicht in die Vergabeakten gewährt, soweit keine geheimhaltungsbedürftigen Aktenbestandteile betroffen waren. Mit Schriftsatz vom 16. November 2022 hat die ASt ergänzende Akteneinsicht beantragt in die Dokumentation der Ag im Zusammenhang mit der Bombendrohung, die Dokumentation der Ag im Zusammenhang mit der internen Feststellung und Endredaktion der Testaufgabe, die Aufgabenlösung der Bg nebst deren Angebotswertung. Der ASt wurde daraufhin die von der Bg vorgelegte Bescheinigung der Hausverwaltung übermittelt. Die Ag hat weitere Vergabedokumentation im Zusammenhang mit der Konzeption der Aufgabenstellung der Testaufgabe vorgelegt und ist dem Antrag auf weitergehende Akteneinsicht der ASt im Übrigen entgegengetreten.
4. In der mündlichen Verhandlung am 29. November 2022 hatten die Beteiligten Gelegenheit, ihre Standpunkte darzulegen und mit der Vergabekammer umfassend zu erörtern. Die Bg erläuterte die Situation der polizeilich angeordneten Räumung der Geschäftsräume der Bg infolge einer Bombendrohung am 14. Juni 2022 und stellte klar, dass die Fristverlängerung schriftlich über die Vergabeplattform beantragt wurde. Die Ag erklärte, dass die Aufgabenstellung der Testaufgabe bereits vor Bekanntmachung der Ausschreibung fertig gestellt worden sei, verwies hierzu auf die Vergabedokumentation und stellte klar, dass vor dem Testtermin nur noch redaktionelle Mängel korrigiert wurden.
Mit Verfügung der Vorsitzenden der Vergabekammer vom 2. Dezember 2022 wurde die Entscheidungsfrist bis 13. Dezember 2022 verlängert. Auf die ausgetauschten Schriftsätze, die Verfahrensakte der Vergabekammer sowie auf die Vergabeakten, soweit sie der Vergabekammer vorgelegt wurden, wird ergänzend Bezug genommen.
II.
Der Nachprüfungsantrag ist zulässig, aber unbegründet.
1. Der Nachprüfungsantrag ist zulässig.
a) Das für die Antragsbefugnis nach § 160 Abs. 2 GWB erforderliche Interesse am Auftrag hat die Antragstellerin durch die Abgabe eines Angebots hinreichend dokumentiert. Ungeachtet ihrer Platzierung im Wettbewerb auf dem dritten Rang droht ihr ein Schaden im Sinne des § 160 Abs. 2 GWB, weil es prima facie vorliegend nicht ausgeschlossen ist, dass sie im Falle grundlegender Verfahrensfehler oder einer beurteilungsfehlerhaften Angebotswertung gegebenenfalls im Rahmen einer Zurückversetzung des Vergabeverfahrens eine bessere Bewertung bzw. eine erneute Auftragschance erhalten könnte. Mit der Ungleichbehandlung hinsichtlich der Abgabefrist der Testaufgabe, der nachträglichen Festlegung der Testaufgabe und der beanstandeten Angebotswertung macht die ASt solche Fehler konkret geltend.
b) Soweit die ASt die verspätete Bekanntgabe der Aufgabenstellung und der Gewichtung der Arbeitspakete der Testaufgabe selbst angreift, bestehen zwar Anhaltspunkte dahingehend, dass der angebliche Vergaberechtsverstoß in tatsächlicher wie in rechtlicher Hinsicht für einen durchschnittlichen fachkundigen Bieter des mit dem Vergabeverfahren angesprochenen Bieterkreises vorab gem. § 160 Abs. 3 S. 1 Nr. 3 GWB erkennbar gewesen sein könnte. Das Wertungssystem ist in den Vergabeunterlagen detailliert beschrieben (vgl. Ziffer 3.9.2 und 3.10 der Hinweise BBB sowie die Anlage Kriterienkatalog Leistung). Dies umfasste eine Erläuterung der erweiterten Richtwertmethode und der Vergabe der Leistungspunkte anhand von "Bewertungskriterien (B)" mit den einzelnen Notenstufen. Auch die Tatsache, dass Grundlage der qualitativen Angebotswertung eine schriftliche Angebotspräsentation in Form einer 9-Stunden-Aufgabe anhand eines fiktiven Beispielsprojekts am 14. Juni 2022 sein würde, wurde den Bietern von vorneherein im Kriterienkatalog Leistung bekannt gegeben.
Unklarheiten bestanden allerdings dahingehend, wie diese 9-Stunden-Aufgabe konkret beurteilt werden würde. Dass es sich bei dem ursprünglich fünfseitigen Kriterienkatalog Leistung um eine gekürzte Fassung eines vollständig neunseitigen Dokuments handelte, war für die Bieter nicht erkennbar. Dass insoweit vorab keine Informationen gegeben wurden, war der ASt allerdings auch schon im April 2022 ausweislich der Bieterfrage Nr. 41 aufgefallen, und dass diese bewusst von der Ag bis zur Bekanntgabe der Aufgabenstellung am Morgen des 14. Juni 2022 vorenthalten bleiben sollten, wurde mit den veröffentlichten Bieterfragen und - antworten Nr. 34 und Nr. 41 seitens der Ag auch unmissverständlich klargestellt. Dass die Ag vorab keine weiteren Informationen zur Testaufgabe nebst Bewertungsmaßstäben geben würde, war somit in tatsächlicher Hinsicht vollumfänglich klar und damit erkennbar.
Allerdings ist im Rahmen der Erkennbarkeit im Sinne des § 160 Abs. 3 S. 1 Nr. 3 GWB auch erforderlich, dass der jeweilige Antragsteller die im Nachprüfungsantrag geltend gemachte Rechtswidrigkeit auch in rechtlicher Hinsicht im Sinne einer Parallelwertung in der Laiensphäre erkennen konnte. Die ASt qualifiziert die Arbeitspakete als Unterkriterien. Es ist zwar fraglich, ob die Arbeitspakete, welche die Inhalte der zu bearbeitenden Testaufgabe darstellen, als Unterkriterien zu bezeichnen sind; deren Bearbeitung durch die Bieter ist vielmehr Grundlage für die Bewertung. Der ASt ist allerdings zugute zu halten, dass die Stellung einer Testaufgabe als Basis für eine Bewertung nicht dem Regelfall in Vergabeverfahren entspricht. Gesetzte und etablierte Regeln oder Rechtsprechung gibt es daher insoweit nicht. Auch abgesehen davon ist die Frage, was an Unterkriterien und Erwartungshorizont durch einen Auftraggeber z.B. bei Konzeptwettbewerben vorab bekannt zu geben ist, vornehmlich durch Rechtsprechung geprägt und konkretisiert. Vom fachkundigen Bieter, der nicht selbst Adressat des Vergaberechts ist, kann keine vergaberechtliche Einschätzung dieser Fragen erwartet werden. Eine Präklusion nach § 160 Abs. 3 S. 1 Nr. 3 GWB in Bezug auf die Grundlagen des Vergabeverfahrens ist daher nicht gegeben.
Für das Vorliegen einer positiven Kenntnis der Vergaberechtswidrigkeit i.S.d. § 160 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 GWB fehlt es indes an konkreten Anhaltspunkten. [...]
Im Ergebnis hat die ASt den Anforderungen an eine rechtzeitige Rüge im Sinne von § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GWB genügt.
2. Der Nachprüfungsantrag ist jedoch unbegründet.
Die Bekanntgabe der Aufgabenstellung der Testaufgabe am 14. Juni 2022 nebst Bewertungskriterien und Gewichtung ist vergaberechtlich nicht zu beanstanden (dazu unter lit. a). Gleiches gilt für die Endabstimmung der Testaufgabe im Vorfeld der Testaufgabe (lit. b). Die Verlängerung der Abgabefrist der Testaufgabe um 60 Minuten war als Nachteilsausgleich zugunsten der Bg statthaft und verhältnismäßig (lit. c). Auch die Wertung der Testaufgabe bewegte sich im Rahmen des Beurteilungsspielraums der Ag und ist nicht zu beanstanden (lit. d). Ein weitergehender Anspruch auf Akteneinsicht besteht nicht (lit. e).
a) Die Bekanntgabe der Aufgabenstellung der Testaufgabe am 14. Juni 2022 nebst Bewertungskriterien und Gewichtung verstößt weder gegen § 127 Abs. 5 GWB noch den Transparenzgrundsatz (§ 97 Abs. 1 GWB).
Am Morgen des 14. Juni 2022 wurde - wie vorab transparent angekündigt - das fiktive Beispielszenario mit der Aufgabenstellung in den Arbeitspaketen AP 1 bis 6, deren Gewichtungsfaktoren sowie Ausführungen zum Erwartungshorizont an alle Bieter übermittelt. Diese Aufgabe war unter Zeitdruck innerhalb von neun Stunden zu lösen. Das Beispielszenario bezog sich auf eine konkrete Beratungssituation im IT-Bereich. Die ASt macht nicht geltend, dass diese Beratungssituation im Hinblick auf den ausgeschriebenen Auftragsgegenstand irgendwie ungewöhnlich, überraschend oder nicht lösbar gewesen wäre. Dies ist auch nicht ersichtlich, denn ausgeschrieben wurde eine Rahmenvereinbarung über Beratungen zu Informationssicherheitsmanagementsystemen und IT-Sicherheitskonzepten. Dies umfasst die Beratungssituation der fiktiven Testaufgabe, in der die typisierte Umsetzung eines Sicherheitskonzeptes unter der Erschwernis einer Budgetrestriktion zum Gegenstand gemacht wurde. Am Morgen des 14. Juni 2022 bestanden mithin für alle Bieter im Ausgangspunkt die gleichen Bedingungen. Die verbleibende Unsicherheit wie die Aufgabenlösungen bewertet werden würden, liegt in der Natur der Sache, die mit jeglicher Prüfungssituation - zumal unter Zeitbegrenzung -verbunden ist. Ein Verstoß gegen grundlegende Transparenzanforderungen im Wettbewerb ist in dieser Sachverhaltskonstellation nicht ersichtlich.
Diese Art der Aufgabenstellung unter Zeitdruck verstößt auch nicht gegen § 127 Abs. 5 GWB, weil es sich beim fiktiven Beispielszenario, den einzelnen Arbeitspaketen AP 1 bis 6, deren Gewichtung sowie den Ausführungen zum Erwartungshorizont der Ag nicht um Zuschlagskriterien bzw. Unterkriterien i.S.d. § 127 GWB handelt.
Zuschlagskriterien müssen so festgelegt und bestimmt sein, dass die Möglichkeit eines wirksamen Wettbewerbs gewährleistet wird, der Zuschlag nicht willkürlich erteilt werden kann und eine wirksame Überprüfung möglich ist, ob und inwieweit die Angebote die Zuschlagskriterien erfüllen (§ 127 Abs. 4 Satz 1 GWB). Die Zuschlagskriterien spiegeln dementsprechend wider, wie der Auftraggeber im jeweiligen Vergabeverfahren das Preis-Leistungs-Verhältnis bewerten möchte, wenn sich bei den Angebotspreisen einerseits und der Qualität des Angebots andererseits unterschiedliche Rangfolgen ergeben. Hierfür ist ihm ein weiter Beurteilungs- und Handlungsspielraum eröffnet. § 127 Abs. 5 GWB schreibt vor, dass die Zuschlagskriterien und deren Gewichtung in der Auftragsbekanntmachung oder in den Vergabeunterlagen aufgeführt werden müssen. Das gilt grundsätzlich sowohl für die Zuschlags(haupt)kriterien als auch für die Unterkriterien (BGH, Beschluss vom 4. April 2017 - X ZB 3/17; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 29. Mai 2020 - Verg 26/19; OLG Celle, Beschluss vom 25. März 2021 - 13 Verg 1/21; s.a. EuGH, Urteil vom 14. Juli 2016 - Rs. C-6/15).
Dies hindert den Auftraggeber aber nicht daran, nachträglich - auch erst nach dem Ablauf der Angebotsfrist - eine Präzisierung der bekannt gemachten Zuschlagskriterien vorzunehmen. Dies hat der EuGH ausdrücklich für Gewichtungskoeffizienten der Unterkriterien klargestellt. Voraussetzung hierfür ist allerdings, dass die nachträglichen Änderungen bzw. Präzisierungen "im Wesentlichen den Kriterien entsprechen, die den Bietern vorher zur Kenntnis gebracht wurden" (EuGH, Urteil vom 14. Juli 2016 - Rs. C-6/15, Rn. 26). Hierdurch dürfen die bekannt gemachten Zuschlagskriterien nicht derart verändert werden, dass dies die Vorbereitung der Bieter beeinflussen oder diese diskriminieren könnte. Zusätzlich hat der Auftraggeber nachträglich den Bietern das Wertungssystem zur Kenntnis zu bringen.
Dies entspricht auch der Rechtsprechung, die eine Methode der Qualitätsbewertung billigt, bei der konkretisierenden Angaben, wovon die jeweils in den Unterkriterien erreichbare Punktzahl in einem Konzeptwettbewerb konkret abhängen soll (BGH, Beschluss vom 4. April 2017 - X ZB 3/17; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 29. Mai 2020 - Verg 26/19; OLG Celle, Beschluss vom 25. März 2021 - 13 Verg 1/21).
Nach den Grundsätzen dieser Rechtsprechung beinhaltete der am Morgen des 14. Juni 2022 den Bietern übermittelte, nun auf neun Seiten erweiterte Kriterienkatalog Leistung keine zusätzlichen Unterkriterien oder Gewichtungen, die eine wesentliche Veränderung der bereits bekannten Zuschlagskriterien bewirken konnten.
Im vorliegenden Fall gab es nur ein Zuschlagskriterium im Qualitätswettbewerb, die mit der Lösung der Testaufgabe zu erreichende Gesamtleistungspunktzahl, die nach der erweiterten Richtwertmethode in Bezug zum Angebotspreis als weiterem Zuschlagskriterium gesetzt wurde. Eine Veränderung der Gesamtbewertung von Leistung und Preis nach der erweiterten Richtwertmethode erfolgte hierdurch nicht. Die zusätzlichen Informationen (Aufgabenstellung, Einzelfragen der Arbeitspakete, Gewichtungsfaktoren und Erläuterungen zum Erwartungshorizont) sollten lediglich Ausgangspunkt, Anforderungen und Erwartungen in der befristeten Prüfungssituation klarstellen und dienten somit allein der Hilfestellung der Bieter zur Ermöglichung eines transparenten Wettbewerbs. Auch die bekannt gegebene Notenskala wurde hierdurch nicht tangiert. Hierdurch wurde auch die Vorbereitung der Bieter nicht vergaberechtswidrig beeinflusst. Im Gegenteil sollte durch diese Form der Aufgabenstellung gerade eine für alle Bieter vergleichbare Prüfungssituation geschaffen werden, in der diese ihre Fach- und Beratungskompetenzen in einem auftragsbezogenen Beispielsszenario ohne spezifische Vorbereitungszeit im Wettbewerb untereinander anbieten sollten. Wenn diese Informationen vorab bekannt gegeben worden wären, wäre der bekannt gemachte Qualitätswettbewerb so nicht mehr durchführbar gewesen. Denn es liegt in der Natur von Test- und Prüfungsaufgaben, dass der Inhalt des Tests bzw. der Prüfung den Bearbeitern nicht vorab bekannt gegeben werden, ansonsten wäre eine Prüfung sinnlos. Das Vergaberecht schränkt indes den Beurteilungs- und Handlungsspielraum des Auftraggebers nicht ein, konkrete auftragsspezifische Wettbewerbssituationen zu schaffen, wenn wie hier eine Beeinträchtigung der Grundsätze von Gleichbehandlung, Transparenz und Wettbewerb ausgeschlossen ist.
Hinzu kommt, dass mit den konkreten Aufgabenstellungen in den Arbeitspaketen, deren Gewichtung und den Erläuterungen zum Erwartungshorizont vorliegend sogar ein erhöhtes Maß an Information zum Wertungsprogramm zu Beginn der Prüfungssituation gewährt wurde, die über die o.g. Anforderungen der Rechtsprechung an einen Konzeptwettbewerb sogar deutlich hinaus reicht.
b) Soweit die ASt beanstandet, dass die Ag die Testaufgabe vor dem 14. Juni 2022 noch einmal endabgestimmt und eine korrigierte Fassung verteilt habe, begründet dies keinen Verfahrensfehler. Es bestehen keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass diese Endabstimmung in Ansehung der mit den Angeboten eingereichten Personalprofile erfolgte und die ASt hierdurch eine Beeinträchtigung der Zuschlagschancen erfahren haben könnte. Vielmehr ergibt sich aus dem Vergabevermerk, dass bereits am 14. Oktober 2021 eine Fassung der Aufgabenstellung vorlag (Bl.1939 der Vergabeakte). Die Ag hat weiterhin eine auf den 16. September 2021 datierte Entwurfsfassung des neunseitigen Kriterienkatalog Leistung mit Schriftsatz vom 24. November 2022 nachgereicht, die im Vergleich zur finalen Fassung bereits weitgehend finalisiert erscheint. Die Ag hat in der mündlichen Verhandlung diesen Ablauf bestätigt. Selbst wenn man unterstellt, dass eine Endabstimmung der Testaufgabe noch einmal im Zeitraum seit dem Angebotsabgabetermin im Vorfeld des 14. Juni 2022 erfolgte, begründet dies keinen Vergaberechtsfehler, denn eine Präzisierung des Wertungssystems und der Zuschlagskriterien ist nach der bereits genannten Rechtsprechung zulässig. Dies gilt erst recht für die Korrektur redaktioneller Fehler.
Aufgrund der inhaltlichen Festlegung der Aufgabenstellung bereits im Vorfeld des Teilnahmewettbewerbs im November 2021 ist es ausgeschlossen, dass Änderungen in Ansehung der Ende Mai 2022 eingereichten Personalprofile zum Nachteil der ASt vorgenommen wurden.
c) Die Verlängerung der Abgabefrist der Testaufgabe um 60 Minuten war als Nachteilsausgleich zugunsten der Bg statthaft und verhältnismäßig. Die Tatsache, dass (u.a.) die Geschäftsräume der Bg am 14. Juni 2022 aufgrund polizeilicher Anordnung nach einer Bombendrohung in unmittelbarer Nähe für einen Zeitraum von rund einer Stunde geräumt werden mussten, hat die Bg durch Vorlage einer Bescheinigung ihrer Hausverwaltung belegt. Diese Tatsache wurde nach Erörterung in der mündlichen Verhandlung auch von der ASt nicht mehr bestritten. Aufgrund dieses unvorhersehbaren Ereignisses hat die Ag noch am 14. Juni 2022 die Abgabefrist um eine Stunde verlängert. Diese Frist hat die Bg nicht ausgeschöpft, sondern nach 36 Minuten die Aufgabenlösung übermittelt.
Hinsichtlich der Entscheidung, in welcher Form ein Nachteilsausgleich zu gewähren ist, wenn ein Bieter im Vergabeverfahren mit unvorhersehbaren und nicht zu vertretenen Erschwernissen belastet wird, die wie vorliegend der Kategorie der "höheren Gewalt" zuzuordnen sind, steht dem Auftraggeber ein im Vergabenachprüfungsverfahren nur eingeschränkt überprüfbarer Beurteilungs- und Ermessensspielraum zu. Bei der Ausübung desselben hat sich der Auftraggeber an den vergaberechtlichen Grundsätzen des § 97 Abs. 1 und 2 GWB zu orientieren. Hierzu gehören sowohl das Gleichbehandlungsgebot als auch das Verhältnismäßigkeitsprinzip.
Vorliegend ist es nicht zu beanstanden, dass sich die Ag gegen eine Wiederholung der Prüfung und für eine Fortsetzung des Verfahrens mit einem Nachteilsausgleich zugunsten der Bg entschieden hat. Eine Wiederholung der Testaufgabe hätte einen erheblichen Zeitverzug bedeutet und die Konzeption einer neuen Aufgabenstellung erfordert. Auch eine Wiederholung hätte aber keine sichere Gewähr dafür gegeben, dass es nicht zukünftig wieder zu unvorhersehbaren Erschwernissen gekommen wäre. Daher ist grundsätzlich das Interesse des Auftraggebers anzuerkennen, Auswirkungen externer Störungen auf ein effizientes Vergabeverfahren zu minimieren. Vergaberechtlich ist der Fall einer unverschuldeten Fristversäumung in anderem Zusammenhang, nämlich bei verspäteter Angebotseinreichung, ebenfalls dahin geregelt, dass die Verfristung dem betroffenen Bieter nicht zum Nachteil gereichen darf, vgl. z.B. § 57 Abs. 1 Nr. 1 VgV.
Soweit ein Nachteilsausgleich gewährt wird, muss dieser verhältnismäßig sein und darf den erlittenen Nachteil nicht überkompensieren. Vorliegend entspricht die gewährte Fristverlängerung dem Zeitraum der eingetretenen Störung. Selbst wenn man unterstellt, dass die Vertreter sich auch während des Zeitraums der Störung gedanklich weiter mit der Aufgabenstellung hätten befassen können, ist die Unterbrechung der selbstbestimmten Arbeitsabläufe unbestreitbar eine erhebliche Erschwernis in einer zeitlich begrenzten Prüfungssituation. Es entspricht auch allgemeiner Lebenserfahrung, dass eine solche erzwungene Unterbrechung des Arbeitsflusses durchaus auch noch Nachwirkungen über den Zeitraum einer Störung hinaus haben kann. Hinzu kam vorliegend für die Bg die Notwendigkeit, die Störung gegenüber der Ag zu kommunizieren, die Fristverlängerung zu beantragen, eine Bescheinigung einzuholen und die zumindest zeitweise Unsicherheit, ob eine Fristverlängerung überhaupt gewährt werde.
Vor diesem Hintergrund war die Entscheidung der Ag zur Fristverlängerung verhältnismäßig und vergaberechtlich nicht zu beanstanden.
Hinzu tritt der Umstand, dass das Risiko einer etwaigen graduellen Benachteiligung der weiteren Bieter faktisch auch dadurch reduziert wurde, dass die Bg diese Fristverlängerung nicht einmal ausgeschöpft hat.
d) Die Wertung der Testaufgabe ist nicht zu beanstanden.
Die Ag verwendet im vorliegenden Verfahren ein Wertungssystem, welches die Lösung von Testaufgaben, die im Kontext einer fiktiven Beratungssituation gestellt werden anhand qualitativer Kriterien in einem fünfstufigen Wertungssystem bewertet. Einem solchen Wertungssystem ist immanent, dass, abhängig von der konkreten Person des Beurteilendens, trotz vergaberechtskonformer Wertungsschritte unterschiedliche Wertungsentscheidungen fallen können, die jeweils für sich genommen als richtig hinzunehmen sind. Der Vergabestelle kommt bei der Bewertung ein Beurteilungsspielraum zu, der von den Nachprüfungsinstanzen nur darauf überprüft werden kann, ob das vorgeschriebene Verfahren eingehalten wurde, von einem zutreffenden und vollständig ermittelten Sachverhalt ausgegangen wurde, keine sachwidrigen Erwägungen für die Entscheidung herangezogen wurden und nicht gegen allgemein gültige Bewertungsansätze verstoßen wurde (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 16. August 2019 - Verg 56/18). Die Vergabenachprüfungsinstanzen überprüfen die Bewertung des Angebotes der Antragstellerin als solche und in Relation zu den übrigen Angeboten, insbesondere zu dem des Zuschlagsprätendenten (BGH, Beschluss vom 4. April 2017 - X ZB 3/17).
Bei Zugrundelegung dieses Maßstabes ist die Wertungsentscheidung, die für die Ag durch die [...] erstellt wurde, nicht zu beanstanden. Die Aufgabenlösungen der ASt wurden in den Arbeitspaketen AP 1 bis AP 6 mit 5 bis 7,5 Punkten bewertet. Dies entspricht einer Abwertung von 1 bis 2 Notenstufen gegenüber der Bestnote (10 Punkte).
Soweit die ASt beanstandet, dass der vorgegebene Kriterienkatalog keinen vorgegebenen Detaillierungs- oder Konkretisierungsgrad enthalte, ist diese Argumentation - ungeachtet der tatsächlich vorliegenden detaillierten Vorgaben - schon im Ansatz ungeeignet einen Beurteilungsfehler nach den Grundsätzen der Rechtsprechung zu belegen. Wie bei einem Konzeptwettbewerb ist es auch bei der vorliegenden, offen formulierten Aufgabenstellung in einer fiktiven Beratungssituation systemimmanent, dass der öffentliche Auftraggeber nicht gezwungen ist, einen Detaillierungs- oder Konkretisierungsgrad vorzugeben, sondern einen offenen Wettbewerb eröffnen darf, in dem die Lösungen anhand der bekannt gegebenen Bewertungskriterien und des formulierten Erwartungshorizonts im Quervergleich ausgewertet werden. Was der Auftraggeber erwarten kann, ergibt sich hierbei nicht allein aus den zur Hilfestellung explizit genannten Kriterien, sondern aus einer Gesamtschau der Vergabeunterlagen mit Blick auf die ausgeschriebene Leistung.
Diesbezüglich macht die ASt nicht geltend, dass die Erwartungen der Ag Ausführungen zu bestimmten Themen zu erhalten, die nicht durch den Gegenstand der Ausschreibung gedeckt seien. Vielmehr erscheint es naheliegend und zumindest beurteilungsfrei vertretbar, wenn im zu bearbeitenden fiktiven Beratungsszenario Stichwörter ausdrücklich genannt werden, hierzu auch zulässigerweise Ausführungen erwartet werden. Dies gilt nicht unter dem Gesichtspunkt, dass zu einzelnen Aspekten überhaupt Ausführungen gemacht werden, sondern auch hinsichtlich der Darstellungstiefe und konkretheit. In diesem Wertungssystem ist es auch nicht zu beanstanden, wenn allgemeinere Ausführungen mit weniger Details schlechter beurteilt werden als konkretere, detailreichere Erläuterungen.
Dies gilt erst recht, wenn - wie hier - Ausgangspunkt der Aufgabenstellung ein fiktives Beratungsszenario mit typisiertem Rollenspiel-Elementen ist. Es ist nachvollziehbar, dass ein Auftraggeber ein solches Szenario entwirft, um die Bieter zu veranlassen, sich möglichst spezifisch mit dem Sachverhalt und den verschiedenen Rollen auseinanderzusetzen und generische Ausführungen mit weniger konkretem Bezug schlechter bewertet.
Soweit die ASt konkrete weitere Gesichtspunkte der Bewertung bezüglich der einzelnen Arbeitspakete AP 1 bis 6 beanstandet, sind die von der Bg angegebenen Begründungen zur Abwertung nachvollziehbar und im vorliegenden Wertungssystem beurteilungsfehlerfrei vertretbar.
Die Abwertung im AP 1aufgrund der unbestrittenen Tatsache, dass das von der ASt benannte dritte Praxisbeispiel die Erstellung eines Sicherheitskonzepts und nicht - wie im Beispielszenario - dessen Umsetzung betraf, ist vertretbar und nachvollziehbar. Dass Gegenstand des Beratungsszenario die Umsetzung und nicht die Erstkonzeption eines Sicherheitskonzepts war, ergibt sich ausdrücklich aus dem Sachverhalt der Testaufgabe. Mit der Aufgabenstellung sollte augenscheinlich abgeprüft werden, ob die Bieter in der Lage waren, den vorgegebenen Sachverhalt praxisgerecht zu erfassen. Die Argumentation der ASt, dass sich auch bei der Umsetzung von Sicherheitskonzepten die Notwendigkeit ergeben könne, Konzeptionen teilweise zu überarbeiteen oder auf anderen Ebenen Sicherheitskonzepte neu zu erstellen, widerspricht nicht der Feststellung der Ag, dass das Praxisbeispiel nicht dem vorgegebenen Szenario entspricht, und rechtfertigt eine Abwertung. Die Behauptung der ASt, dass eine Stellungnahme zu Priorisierungskriterien nicht gefordert gewesen sei, ist nicht nachvollziehbar. Zum einen wurde dies im Sachverhalt der Testaufgabe ausdrücklich gefordert ("Ziel des Workshops solle nun sein, Kriterien für die Priorisierung zu finden, aus denen sich die Umsetzungsreihenfolge finden, aus denen sich die Umsetzungsreihenfolge") und zum anderen zielt das AP 1 explizit darauf ab, Vorgehensweisen zur optimalen Maßnahmenplanung innerhalb des begrenzten Budgets vorzuschlagen und den entsprechenden Beratungsvorgang zur zu simulieren.
Im AP 2 ist die Abwertung wegen unzureichender Berücksichtigung der im Beratungsszenario genannten verschiedenen stichwortartigen Anforderungen der Workshop-Teilnehmer (z.B. Mindeststandards, Geheim- und Datenschutz) nachvollziehbar. Die Aufgabenstellung umfasste ausdrücklich, aufzuzeigen, auf welchen Feldern die Argumentation der Teilnehmer "so nicht tragfähig ist" und es waren die "geltenden Standards und Vorgaben bei Empfehlungen zu berücksichtigen". Dies erforderte augenscheinlich eine kritische Auseinandersetzung mit der Argumentation der Workshop-Teilnehmer. Wenn die ASt in ihrer Antwort davon ausgeht, dass "denknotwendig [...] alle Anforderungen der Erfüllung der Fachaufgaben dienen" und sich aus diesen kein Einfluss auf die Maßnahmenpriorisierung ergäbe, weil sich diese in ihrer Verbindlichkeit nicht unterschieden, dann kann die Höchstpunktzahl in dieser Aufgabe schon deshalb nicht beansprucht werden, weil offensichtlich auf die Aufgabenstellung im Beratungsszenario nicht differenzierend eingegangen wurde. Dieses war gerade dadurch geprägt, dass diese Anforderungen grundsätzlich alle im Mindestmaß zu erfüllen waren, aber nicht ausreichend Budget zur Umsetzung aller ursprünglich eingeplanten Maßnahmen zur Verfügung stand. Für die Vertretbarkeit der Abwertung von der Höchstpunktzahl ist es auch unerheblich, ob die einzelnen Aussagen in der Lösung der ASt fachtechnisch korrekt waren, denn korrekte Ausführungen sind gemeinhin zwar eine erforderliche, aber keine hinreichende Bedingung für eine Bestbewertung.
Gleiches gilt im AP 3 und AP4, soweit die ASt geltend macht, die zwei geforderten Maßnahmen ausgewiesen und gegeneinander abgewogen zu haben und eine Abwertung aufgrund nur allgemeiner Beschreibung den vorgegebenen Erwartungshorizont überschreite. Es ist gerade das Wesen der vorgegebenen Aufgabenstellung im Beratungsszenario, dass eine möglichst konkrete Auseinandersetzung gefordert wurde, nach der auch im Rahmen der Bewertung differenziert werden muss. Im AP 3 war zudem ausdrücklich eine vollständige Darstellung der Abhängigkeiten und der nachvollziehbaren Konsequenzen der abzuwägenden Entscheidungen gefordert.
Im AP5 wurde neben der unzureichenden Konkretisierung auch die Verwendung unpräziser Begriffe moniert. Es ist beurteilungsfehlerfrei vertretbar auch hierfür Punktabzüge von der Höchstbewertung vorzunehmen. Gerade von Fachberatern in schriftlichen Ausarbeitungen kann die Verwendung präziser Begriffe erwartet werden, um Missverständnissen vorzubeugen. Selbst wenn man zugunsten der ASt unterstellt, ein fachtechnisch vertretbares Konzept mit einem missverständlichen Begriff dargestellt zu haben, würde dies einen Punktabzug rechtfertigen.
Darüber hinaus ist es vertretbar, einen Punktabzug wegen nicht hinreichend konkretem Bezug auf die Budgetrestriktion und mangels einer konkreten Entscheidung zum Grundschutzvorgehen bei der Maßnahmenpriorisierung vorzunehmen. Dieser Bezug und die daraus resultierenden Konsequenzen waren nun gerade der Kernbestandteil des Beratungsszenarios. Zudem wurde im AP 5 explizit gefordert, konkrete Schritte vorzuschlagen und Empfehlungen auszusprechen. Die Nennung des ursprünglichen Budgets ohne weitere konkrete Ausführungen, dass es tatsächlich nicht zur Verfügung stand, lässt es vertretbar erscheinen, diesbezüglich einen Abzug wegen nicht hinreichend konkretem Bezug zur Aufgabenstellung vorzunehmen.
Die Bewertung im AP 6 erscheint plausibel, weil ausdrücklich ein nachvollziehbares und vollständiges Protokoll unter Einbeziehung wesentlicher Probleme und Feststellungen gefordert war. Soweit die ASt behauptet, dass kein Eingehen auf die Rollen gefordert wurde und diese Aspekte im Übrigen den Teilnehmern des Fallbeispiels hinreichend bekannt gewesen seien, vermag dies keinen Beurteilungsfehler oder die Berücksichtigung unzutreffenden Sachverhalts zu belegen. Vielmehr ist die Erwartungshaltung nachvollziehbar, dass die im Beratungsszenario vorgestellten Rollen, Anforderungen und die resultierenden Vorschläge/Empfehlungen sich auch konkret in dem im AP6 zu erstellendem Protokoll widerspiegeln sollten und auf diese Weise eine behördentypische Arbeitsweise (Verfahrensdokumentation) geprüft werden sollte.
Bei der Qualitätsbewertung ist zudem ein maßstabswahrender, konsistenter Quervergleich der von den Bietern eingereichten Lösungen oder Konzepte vorzunehmen. Allerdings ist es nicht zu beanstanden, wenn zunächst eine absolute Bewertung jeder Lösung anhand des festgelegten Wertungssystems erfolgt und in einem zweiten Schritt ein Quervergleich zur Plausibilisierung der gleichmäßigen Anwendung des Wertungssystems erfolgt. Die Ag vorgetragen, dass sie diesen Quervergleich noch einmal wiederholt hat.
Insbesondere im Abgleich mit der Aufgabenlösung der Bg und deren Bewertung konnte sich die Vergabekammer davon überzeugen, dass das Konzept der Bg in den betreffenden Kriterien in qualitativer Hinsicht für die Vergabekammer durchaus nachvollziehbar besser als das Konzept der ASt bewertet wurde; Beurteilungsfehler der Ag sind insoweit nicht feststellbar. In diesem Quervergleich zeigt sich, dass die Ag sachlich begründet zwischen den Angeboten differenziert und dabei einen einheitlichen Wertungsmaßstab angewandt hat. Die insofern vorgenommene Differenzierung bewegt sich innerhalb des Beurteilungsspielraums, der der Ag zusteht.
e) Der ASt steht kein Recht auf weitergehende Akteneinsicht zu.
Nach ständiger Rechtsprechung des Senats hat der Anspruch auf Akteneinsicht im Nachprüfungsverfahren eine rein dienende, zum zulässigen Verfahrensgegenstand akzessorische Funktion. Die Beschleunigungsbedürftigkeit von Vergabenachprüfungsverfahren steht einem gänzlich voraussetzungslosen Akteneinsichtsanspruch aus § 165 Abs. 1 GWB entgegen. Ein Anspruch auf Akteneinsicht setzt vielmehr über den Wortlaut von § 165 Abs. 1 GWB hinaus einen das Akteneinsichtsgesuch begründenden beachtlichen und entscheidungserheblichen Sachvortrag voraus (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 29. März 2021 - Verg 9/21; Beschluss vom 9. Januar 2020 - Verg 10/18 m.w.N.). Ferner steht einem Verfahrensbeteiligten zwecks Wahrung von Geschäftsgeheimnissen des Konkurrenten kein Anspruch zu auf Einsicht in die auftraggeberseitig vorgenommene Bewertung von dessen Konzepten (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 27. April 2022 - Verg 25/21).
Soweit der ASt Einblick in die Dokumentation im Zusammenhang mit der Bombenbedrohung bei der Bg und der internen Fertigstellung und Endredaktion der Testaufgabe begehrte, wurde diesem Begehren durch die Vorlage weiterer Dokumente entsprochen.
Soweit weitergehend Einsicht in die Aufgabenlösung der Bg und deren Bewertung begehrt wird, steht diesem nicht nur das Geheimhaltungsinteresse der Bg zum Schutz ihrer Geschäftsgeheimnisse im Konzeptwettbewerb entgegen.
Zusätzlich ist zu berücksichtigen, dass die ASt aufgrund der Bewertung ihrer Aufgabenlösung insgesamt im vorliegenden Wettbewerb nur auf dem dritten Rang und damit auch nachrangig zur qualitativen Bewertung eines weiteren Bieters geführt wird.
Ein Anspruch auf Einsichtnahme in die Aufgabenlösung und die Bewertung der Bg ist daher von vorneherein allenfalls zur Überprüfung der gleichmäßigen Anwendung des Wertungssystems im Quervergleichs relevant. Eine Zuschlagschance würde sich nur dann für die ASt ergeben, wenn deren Aufgabenlösung unabhängig von der Wertung der Bg insgesamt besser im Vergleich zu mehreren Bietern bewertet werden müsste, so dass eine Erstplatzierung im Gesamtwettbewerb erreichbar wäre. In einer solchen Sachverhaltskonstellation, in der es entscheidungserheblich nicht auf die Bewertung eines Konkurrenten, sondern im Grunde auf eine umfängliche Überprüfung der Wertungspraxis im Quervergleich insgesamt ankommt, müssten schon erhebliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass tatsächlich Inkonsistenzen im Wertungsprozess zum Nachteil der ASt bestehen, denn nur dann könnte das Informationsinteresse der ASt gegenüber den Geheimhaltungsinteressen der übrigen Bieter überwiegen.
Zu solchen Anhaltspunkten wurde hier allerdings nichts konkret vorgetragen. Solche Anhaltspunkte sind auch für die Vergabekammer nach Überprüfung der Bewertung der Aufgabenlösung weder in absoluter Hinsicht noch in relativ quervergleichender Hinsicht ersichtlich. Daher muss das Informationsinteresse der ASt an der Offenlegung der Angebotsbestandteile der konkurrierenden Bieter und deren Bewertungen vorliegend zurücktreten.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 182 Abs. 1, Abs. 3 Satz 1, Abs. 4 Satz 1 und 2 GWB.
Die Kosten des Verfahrens und die zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Ag sind der ASt aufzuerlegen, da sie im Verfahren unterliegt. Die Bg hat ihre Aufwendungen selbst zu tragen, da sie sich außer durch Teilnahme an der mündlichen Verhandlung nicht aktiv am Verfahren beteiligt hat, insbesondere nicht schriftsätzlich vorgetragen, keine Anträge gestellt und kein Kostenrisiko übernommen hat.
IV.
(...)
Was ist ein "Gesamtprojektleiter"?
Was ist ein "Gesamtprojektleiter"?
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OLG Koblenz
Beschluss
vom 22.06.2022
Verg 1/22
1. Unter dem des "Gesamtprojektleiters" ist die Person gemeint, der die Federführung hinsichtlich des gesamten Projekts - und damit letztlich auch hinsichtlich der entsprechenden Teilprojekte - innehat. Auf eine gesetzliche Definition oder auf eine solche in den anerkannten Regeln der Technik kommt es nicht an.
2. Die Verwendung des Begriffs "Gesamtprojektleiter" führt nicht dazu, dass die Vergabeunterlagen - zu Lasten des öffentlichen Auftraggebers - unklar sind.
vorhergehend:
VK Rheinland-Pfalz, 10.02.2022 - VK 2-15/21
Tenor
Die gegen den Beschluss der zweiten Vergabekammer Rheinland-Pfalz vom 10. Februar 2022 - VK 2-15/21 - gerichtete sofortige Beschwerde der Beigeladenen wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens - einschließlich etwaiger insoweit zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendiger Aufwendungen der übrigen Verfahrensbeteiligten - hat die Beigeladene zu tragen.
Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf "bis [...] Euro" festgesetzt.
Gründe
I.
Die Antragsgegnerin veröffentlichte im Supplement zum EU-Amtsblatt vom [...] eine Auftragsbekanntmachung zur Vergabe von Planungsleistungen zur "Gewässerrenaturierung, Gewässerentwicklung [...] mit einem Bachbegleit- weg/Rad-Fußweg" in [...] im offenen Verfahren. Ausweislich der Vergabebekanntmachung sowie der Vergabeunterlagen ist der Preis nicht das einzige Wertungskriterium. Insoweit sind insgesamt maximal 100 Wertungspunkte zu erreichen, wobei der Bieter mit der höchsten Punktzahl den Zuschlag erhalten soll. Bei gleicher Punktzahl ist ein Losentscheid vorgesehen. Die einzelnen Zuschlagskriterien und ihre Gewichtung sind in den Vergabeunterlagen wie folgt dargestellt:
"Zuschlagskriterien / Max. Punkte
A. Honorar (günstigstes Angebot): 40
B. Berufserfahrung: 10
1. des Projetleiters/der Projetleiterin: 5
2. des stellvertretenden Projetleiters/der stellvertretenden Projetleiterin: 5
C. Referenzprojekt Gewässerentwicklungsmaßnahme / Gewässerrenaturierung des/der für das Projekt vorgesehenen Projektleiter*in (mit Funktion als Gesamtprojektleiter: 25
1. Aktualität: 10
2. Übertragbarkeit und Qualität: 15
D. Referenzprojekt Gewässerentwicklungsmaßnahme / Gewässerrenaturierung des/der für das Projekt vorgesehenen stellvertretenden Projektleiter*in (mit Funktion als Gesamtprojektleiter: 25
1. Aktualität: 10
2. Übertragbarkeit und Qualität: 15
Maximale Gesamtpunktzahl: 100"
Hinsichtlich der Zuschlagskriterien C. und D. ist zudem - neben verschiedenen formalen Anforderungen - vorgegeben, dass nur solche Projekte als Referenz gewertet werden, "bei denen mindestens die Leistungsphase 4 (oder vergleichbarer Planungsstand) abgeschlossen ist. Bei fehlenden oder widersprüchlichen / unklaren Angaben bzgl. einzelner Zuschlagskriterien führt dies zu einer Bewertung mit 0 Punkten beim jeweiligen Zuschlagskriterium." Des Weiteren heißt es in den Vergabeunterlagen unter anderem:
"Wir bitten um die Angaben zu Gebietsgröße bzw. Länge des Projekts und zur Bausumme zum Zeitpunkt der Fertigstellung. Weiterhin bitten wir um Angabe des von der betreffenden Person ausgeführten Leistungsumfangs. Sollten Sie Leistungen in Arbeitsgemeinschaft erbracht haben, bitten wir entsprechend um genaue Differenzierung, welche Teilleistungen von der genannten Person erbracht wurden.
Allgemeine Angaben:
- Titel der Gewässerentwicklungsmaßnahme/ Gewässerrenaturierungsmaßnahme
- Bearbeitungszeitraum und Zeitpunkt der Abnahme bzw. Zeitpunkt von Abschluss der LP 4
- Auftraggeber mit Ansprechpartner
- Aufgabenstellung
- Leistungsumfang und Leistungsbausteine
Bitte stellen Sie die Anlagen so zusammen, dass die von uns nachfolgend dargestellten Wertungskriterien anhand der Referenzblätter beurteilt werden können.
1. Aktualität der Referenz (10 Punkte)
Maßgeblich ist der Zeitpunkt des Abschlusses (erfolgte Abnahme) der Referenz der Projektleitung / der stellvertretenden Projektleitung bzw. bei noch nicht abgeschlossenen Projekten mindestens der Abschluss der Leistungsphase 4 nach der HOAI 2013 (oder vergleichbarer Projektstand). Maßgeblicher zeitlicher Bezugspunkt ist der Tag der Veröffentlichung der Ausschreibung.
Abgeschlossene Projekte:
10 Punkte Abschluss Leistungsphase 4 (oder vergleichbarer Projektstand) oder Projektabschluss in den letzten 3 Jahren
7 Punkte Abschluss Leistungsphase 4 (oder vergleichbarer Projektstand) oder Projektabschluss vor > 3 bis 6 Jahren
3 Punkte Abschluss Leistungsphase 4 (oder vergleichbarer Projektstand) oder Projektabschluss vor > 6 bis 10 Jahren
0 Punkte Abschluss Leistungsphase 4 (oder vergleichbarer Projektstand) oder Projektabschluss vor mehr als 10 Jahren
2. Übertragbarkeit und Qualität der Referenz (15 Punkte)
[...]
c) Leistungsumfang bzw. erbrachte Leistungsphasen (oder vergleichbarer Leistungsstand), maximal 3 Punkte):
3 Punkte LP 1 - 8 erbracht
2 Punkte LP 1 - 4 erbracht oder Kombinationen von Leistungsphasen bei den LP 3 oder LP 4 enthalten sind
1 Punkt LP 5 - 8 erbracht sowie alle übrigen Leistungsphasenkombinationen ab LP 5
0 Punkte nur LP 1 - 2 erbracht oder nur eine andere Leistungsphase
[...]
d) Bachbegleitweg (maximal 2 Punkte):
2 Punkte als kombinierter Rad- und Fußweg
1 Punkt nur Bachbegleitweg
Wird keine der Wegearten nachgewiesen, so werden hier 0 Punkte vergeben."
Die Antragstellerin wie auch die Beigeladene gaben fristgemäß jeweils ein Angebot ab. Nach Prüfung und Wertung der Angebote durch die Antragsgegnerin belegt die Beigeladene mit insgesamt 96 Punkten der ersten und die Antragstellerin mit 95 Punkten den zweiten Rang. Bei der diesem Ergebnis zugrundeliegenden Angebotswertung hatte die Beigeladene hinsichtlich des Zuschlagskriteriums C. die maximal zu erreichende Punktzahl erzielt.
Dem entsprechend informierte die Antragsgegnerin die Antragstellerin mit Schreiben vom 22. April 2021 darüber, dass sie beabsichtige, der Beigeladenen den ausgeschriebenen Auftrag zu erteilen. Unter anderem seien bei der Wertung des antragstellerseits abgegebenen Angebots Punktabschläge bei den Zuschlagskriterien C. und D. 1. veranlasst gewesen.
Unter dem 27. April 2021 rügte die Antragstellerin schriftlich die antragsgegnerseits vorgenommene Wertung ihres Angebots. Diese Rüge wies die Antragsgegnerin mit einem der Antragstellerin am 3. Mai 2021 zugegangenen Schreiben vom 29. April 2021 zurück.
Unter dem 5. Mai 2021 rügte die Antragstellerin dann - ebenfalls schriftlich - ergänzend die Wertung des seitens der Beigeladenen abgegebenen Angebots als vergaberechtswidrig. Zur Begründung dieser Rüge führte sie unter anderem aus, aufgrund ihrer Branchenkenntnisse müsse sie annehmen, dass die Beigeladene einen Herrn [...] als vorgesehenen Projektleiter benannt und insoweit das Projekt "[...]" als Referenz gemäß C. der Zuschlagskriterien angegeben habe. Dieses Projekt habe indes keine Gewässerentwicklungsmaßnahmen/Gewässerrenaturierung zum Gegenstand gehabt, weshalb es mit 0 Punkten hätte bewertet werden müssen. Jedenfalls aber hätte die Beigeladene insoweit für die "Aktualität der Referenz" lediglich 3 statt 10 Punkten erhalten dürfen, da der Abschluss der Leistungsphase 4 schon im Jahr 2011 erfolgt sei. Dies könne den im Internet frei abrufbaren Genehmigungsunterlagen entnommen werden. Außerdem hätte die Beigeladene zu C. der Wertungskriterien für den "Leistungsumfang bzw. erbrachte Leistungsphasen" nur 2 statt 3 Punkten erhalten dürfen, da Herr [...] dieses Projekt lediglich hinsichtlich der Leistungsphasen 1 bis 4 als Projektleiter bearbeitet habe. Die Leistungsphasen 5 bis 7 - und bei zwei der drei Baulosen zusätzlich noch die Leistungsphase 8 - seien vielmehr von dem nunmehr bei ihr - der Antragstellerin - angestellten Herrn Dipl.-Ing. [...] als Gesamtprojektleiter bearbeitet worden. Da es bei dem Projekt zudem keinen Bachbegleitweg gebe, sei für die entsprechende Unterwertung kein Punkt zu vergeben gewesen.
Mit Schreiben vom 7. Mai 2021 wies die Antragsgegnerin auch diese Rüge zurück. Zur Begründung führte sie unter anderem aus, sie habe die seitens der Beigeladenen angegebenen Referenzen eingehend geprüft und insoweit mit den genannten Ansprechpartnern Kontakt aufgenommen. Diese hätten die Angaben der Beigeladenen bestätigt.
Die Antragstellerin hat daraufhin am 18. Mai 2021 bei der Vergabekammer einen Nachprüfungsantrag gestellt. Mit diesem wiederholt und vertieft sie ihr Rügevorbringen.
Die Vergabekammer hat dem Nachprüfungsantrag mit Beschluss vom 10. Februar 2022 stattgegeben. Insoweit hat sie der Antragsgegnerin untersagt, auf der Grundlage ihrer bisherigen Wertung den Zuschlag auf das Angebot der Beigeladenen zu erteilen. Des Weiteren hat sie die Antragsgegnerin verpflichtet, das Vergabeverfahren zurückzuversetzen und bei fortbestehender Vergabeabsicht die Wertung des Angebots der Beigeladenen unter Beachtung ihrer - der Vergabekammer - Rechtsauffassung zu wiederholen. Wegen der Einzelheiten insoweit wird auf den Tenor der Entscheidung Bezug genommen.
Zur Begründung hat die Vergabekammer im Wesentlichen ausgeführt, die Antragsgegnerin sei bei der Wertung des Angebots der Beigeladenen von einem unzutreffenden Sachverhalt ausgegangen. Denn der beigeladenenseits als Gesamtprojektleiter des hier ausgeschriebenen Auftrags vorgesehene Dipl.-Ing. [...] sei - dies habe die Antragsgegnerin verkannt - nicht Gesamtprojektleiter der Leitungsphasen 5 bis 9 des Referenzprojektes "[...]" gewesen. Tatsächlich habe nämlich der Geschäftsführer der [...], Herr Dipl.-Ing [...], diese Position innegehabt. Die Bewertung der beigeladenenseits vorgelegten Referenz des Herrn Dipl.-ing. [...] könne daher hinsichtlich der Wertungskriterien C.1. (Aktualität der Referenz) und C.2.c) (Leistungsumfang bzw. erbrachte Leistungsphasen) keinen Bestand haben. Im Übrigen wird ergänzend auf die Gründe der angefochtenen Entscheidung Bezug genommen.
Gegen diesen ihr am 12. Februar 2022 zugestellten Beschluss wendet sich die Beigeladene mit ihrer am 24. Februar 2022 beim Oberlandesgericht eingegangenen sofortigen Beschwerde. Mit dieser begehrt sie die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung sowie die Zurückweisung des Nachprüfungsantrags.
Die Beigeladene ist im Wesentlichen der Ansicht, ihre hier in Rede stehende Referenz habe sich auf die Rolle bezogen, die Herr Dipl.-Ing. [...] seinerzeit bei dem ARGE-Gesellschafter [...] eingenommen habe, und nicht auf die gesamte ARGE. Die ihr erteilte Referenzbestätigung des Regierungspräsidiums [...] vom 24. Januar 2022 belege ihre Angaben insoweit. Vorliegend sei seitens der Vergabestelle in diesem Projekt für die persönliche Referenz indes gerade nicht gefordert worden, dass der Nachweis einer Gesamt-Projektleitung innerhalb einer ARGE erbracht werde.
Im Übrigen sei der in den Vergabeunterlagen verwendete Begriff des Gesamtprojektleiters nicht hinreichend verständlich. Die Vergabeunterlagen seien insoweit unklar, was zu Lasten der Antragsgegnerin gehe.
Zudem hätte die Vergabekammer aufgrund ihrer eigenen Feststellungen und Tatsachenermittlung die Antragstellerin aus dem streitgegenständlichen Vergabeverfahren selbst ausschließen müssen oder zumindest die Antragsgegnerin verpflichten müssen, die Antragstellerin auszuschließen. Denn insoweit liege ein Ausschlussgrund nach § 124 Abs. 1 Nr. 8, Nr. 9 a) bis c) GWB vor. Die Antragstellerin habe nämlich in ihrer Rüge vom 5. Mai 2021 und im Nachprüfungsantrag bewusst unwahr behauptet, dass Herr Dipl.-Ing. [...] Gesamtprojektleiter des hier in Rede stehenden Referenzprojektes gewesen sei.
Die Beigeladene beantragt,
unter Aufhebung des Beschlusses der 2. Vergabekammer des Landes Rheinland-Pfalz vom 10.02.2022 - VK 2-15/21 - den Antrag der Antragstellerin auf vergaberechtlichen Nachprüfung als unbegründet zurückzuweisen.
Die Antragstellerin beantragt,
die sofortige Beschwerde zurückzuweisen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
die sofortige Beschwerde zurückzuweisen.
Antragstellerin und Antragsgegnerin verteidigen die angefochtene Entscheidung. Sie sind der Auffassung, die sofortige Beschwerde sei unbegründet.
Ergänzend wird auf den gesamten Inhalt der Akten des Verfahrens vor der Vergabekammer einschließlich der dort vorgelegten Vergabeakten sowie auf die vorliegenden Gerichtsakten im Übrigen Bezug genommen.
II.
Die zulässige - insbesondere statthafte (§ 171 Abs. 1 Satz 1 GWB), der gesetzlichen Form (§ 172 Abs. 3 GWB) und Frist (§ 172 Abs. 1 GWB) gemäß eingelegte sowie form- und fristgerecht begründete (§ 172 Abs. 2 GWB) - sofortige Beschwerde der Beigeladenen ist unbegründet. Die Vergabekammer hat zu Recht dem Nachprüfungsantrag vom 18. Mai 2021 stattgegeben und die Erteilung des Zuschlags auf Grundlage der bisherigen Wertung untersagt sowie die Antragsgegnerin verpflichtet, das Vergabeverfahren zurückzuversetzen und bei fortbestehender Vergabeabsicht die Wertung des Angebots der Beigeladenen unter Beachtung ihrer - der Vergabekammer - Rechtsauffassung zu wiederholen. Denn der Antrag ist zulässig und begründet.
A.
Der Antrag war und ist zulässig.
Insbesondere fehlte und fehlt es weder an einer hinreichenden und rechtzeitigen Rüge noch an der Antragsbefugnis der Antragstellerin.
Die Antragstellerin hatte ihre Antragsbefugnis hinreichend dargetan. Auch insoweit hatte sie ihren Nachprüfungsantrag hinreichend begründet.
Nach § 160 Abs. 2 GWB ist nur solch ein Unternehmen antragsbefugt, welches ein Interesse an dem öffentlichen Auftrag oder der Konzession hat und eine Verletzung in seinen Rechten nach § 97 Abs. 6 GWB durch Nichtbeachtung von Vergabevorschriften geltend macht (§ 160 Abs. 2 Satz 1 GWB). Dabei ist darzulegen, dass dem Unternehmen durch die behauptete Verletzung der Vergabevorschriften ein Schaden entstanden ist oder zu entstehen droht (§ 160 Abs. 2 Satz 2 GWB).
Für den Schaden ist der Antragsteller darlegungspflichtig. Die bloße Behauptung genügt insoweit nicht. Er muss vielmehr die Tatsachen vortragen, aus denen sich schlüssig ergibt, dass er im Fall eines ordnungsgemäßen Vergabeverfahrens bessere Chancen auf den Zuschlag haben könnte als in dem beanstandeten Verfahren (vgl. zu allem Vorstehenden Heiermann/Zeiss/Summa-Summa, jurisPK-Vergaberecht, 5. Aufl. 2016, Stand: 212. Juni 2021, § 160 GWB, Rdnr. 100, m.w.N.). Der Antragsteller hat auch nicht generell, sondern vielmehr ganz konkret für jeden einzelnen behaupteten Rechtsverstoß schlüssig und nachvollziehbar darzulegen, dass gerade dieser Fehler des Auftraggebers seine Aussichten auf den Zuschlag tatsächlich beeinträchtigt hat oder dass die Zuschlagschancen zumindest verschlechtert worden sein könnten (vgl. Heiermann/Zeiss/Summa-Summa, a.a.O., Rdnr. 102, m.w.N.).
Dem hatte die Antragstellerin vorliegend Genüge getan. Denn sie hatte konkrete Tatsachen dargetan, nach welchen - das Antragsvorbringen als zutreffend unterstellt - das seitens der Beigeladenen abgegebene Angebot auf Basis der Vergabeunterlagen um zumindest zwei Punkte überbewertet wäre. In Anbetracht des Umstandes, dass die Beigeladene nach Prüfung und Wertung der Angebote durch die Antragsgegnerin mit insgesamt 96 Punkten den ersten und die Antragstellerin mit 95 Punkten - also nur mit einem Punkt Abstand - den zweiten Rang belegt, liegt es damit auf der Hand, dass die Antragstellerin im Fall eines ordnungsgemäßen Vergabeverfahrens im Sinne einer ordnungsgemäßen Wertung des Angebots der Beigeladenen bessere Chancen auf den Zuschlag haben könnte als in dem beanstandeten Verfahren.
Der Antrag ist auch - sowohl hinsichtlich der Antragsbefugnis als auch im Übrigen - hinreichend begründet worden. Gemäß § 161 Abs. 1 Satz 1 GWB ist ein Nachprüfungsantrag - unverzüglich - zu begründen. Die Begründung muss nach § 161 Abs. 2 Hs. 1 GWB unter anderem eine Beschreibung der behaupteten Rechtsverletzung mit Sachverhaltsdarstellung enthalten. Diesem Erfordernis ist genügt, wenn mit dem Nachprüfungsantrag eine Verletzung vergaberechtlicher Vorschriften schlüssig vorgetragen wird (vgl. BGH, NZBau 2004, 457, 458; MünchKomm-Jaeger, Wettbewerbsrecht, 4. Aufl. 2022, § 161 GWB, Rdnr. 11, m.w.N.; Heiermann/Zeiss/Summa-Summa, a.a.O., § 161 GWB, Rdnr. 34). Obwohl insoweit die Anforderungen nicht überspannt werden dürfen, genügt es dabei dennoch nicht, wenn ein Bieter mit pauschalen und unsubstantiierten Behauptungen einen Nachprüfungsantrag "ins Blaue hinein" in der Erwartung stellt, die Vergabekammer werde den Sachverhalt umfassend von Amts wegen ermitteln (vgl. KG, Beschluss vom 29. Februar 2012 - Verg 8/11 -, BeckRS 2012, 7248; OLG Düsseldorf, ZfBR 2011, 508, 511, m.w.N.; BeckOK Gabriel/Mertens/Prieß/Stein-Fett, Vergaberecht, 24. Edition, Stand: 30. April 2022, § 161 GWB, Rdnr. 11; Pünder/Schellenberg-Nowak, Vergaberecht, 3. Aufl. 2019, § 161 GWB, Rdnr. 19, m.w.N.; Burgi/Dreher-Horn/Hofmann, Beck'scher Vergaberechtskommentar, 3. Aufl. 2017, § 161 GWB, Rdnr. 17, m.w.N.; Heiermann/Zeiss/Summa-Summa, a.a.O., Rdnr. 38, m.w.N.). Vielmehr muss der Antragsteller zumindest tatsächliche Anknüpfungstatsachen oder Indizien vortragen, die einen hinreichenden Verdacht auf einen bestimmten Vergaberechtsverstoß begründen (vgl. Senat, NZBau 2000, 534, 536; OLG Brandenburg, Beschluss vom 16. Februar 2012 - Verg W 1/12 -, BeckRS 2012, 5195; OLG Frankfurt, Beschluss vom 4. Juni 2010 - 11 Verg 4/10 -; Pünder/Schellenberg-Nowak, a.a.O., Rdnr. 18, m.w.N.). Ein Mindestmaß an Substantiierung ist einzuhalten; reine Vermutungen zu eventuellen Vergabeverstößen reichen nicht aus (vgl. OLG Brandenburg, a.a.O., m.w.N.; OLG Düsseldorf, ZfBR 2011, 508, 511, m.w.N.; OLG Frankfurt, a.a.O., m.w.N.; Pünder/Schellenberg-Nowak, a.a.O., Rdnr. 19, m.w.N.).
Dem ist das Antragsvorbringen hier gerecht geworden. Der antragstellerseits geschilderte Sachverhalt begründete einen hinreichenden Verdacht auf einen bestimmten Vergaberechtsverstoß; die hinreichende Möglichkeit einer bereits eingetretenen Rechtsverletzung war und ist dem Antragsvorbringen zu entnehmen. Die Antragsbegründung erschöpfte sich insoweit nicht in reinen Vermutungen.
Zwar ist zutreffend, dass die Antragstellerin den Inhalt des Angebots der Beigeladenen bei Einleitung des Nachprüfungsverfahrens nicht gekannt hat. Eine Behauptung "ins Blaue hinein" lag aber bereits deswegen nicht vor, weil die Antragstellerin ausdrücklich unter Hinweis auf ihre Branchenkenntnisse und damit unter Bezugnahme auf konkrete Umstände das Wertungsergebnis der Antragsgegnerin angezweifelt hat (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 13. April 2011 - Verg 58/10 -). Damit hatte sie hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte aufgezeigt, die sie zu dem Schluss bewogen haben, dass die Antragsgegnerin das Angebot der Beigeladenen unzutreffend bewertet hat (vgl. insoweit auch OLG Düsseldorf, a.a.O.). Dies gilt im Streitfall umso mehr, als Antragstellerin und Beigeladene unstreitig in einem sehr überschaubaren und engen Markt mit insgesamt nur wenigen potentiellen Mitbewerbern agieren.
Die weiter - zumindest erkennbar - erfolgte Berufung auf die Kenntnisse des nunmehr bei ihr beschäftigten Mitarbeiters Herrn Dipl.-Ing. [...] und das Verhalten der Antragsgegnerin im vorliegenden Vergabenachprüfungsverfahren wäre nach alledem schon nicht mehr erforderlich gewesen. Sie war mithin überhaupt nicht entscheidungserheblich.
Nur der Vollständigkeit halber ist nach alledem darauf hinzuweisen, dass es rechtsstaatlichen Grundsätzen widerspräche, der Antragstellerin vorzuwerfen, ihre Beanstandungen hätten auf überwiegend spekulativem Vortrag beruht, weshalb der Vergabenachprüfungsantrag unzulässig sei. Denn gerade durch die bis dahin nicht gewährte Akteneinsicht war die Antragstellerin geradezu gezwungen, sich zumindest teilweise auf Mutmaßungen zu beschränken. Je weniger Informationen über Inhalt und Ablauf des Vergabeverfahrens einem Antragsteller von der Vergabestelle oder der Vergabenachprüfungsinstanz zugänglich gemacht werden, desto geringer müssen naturgemäß die Anforderungen an die Substantiierung seines Vortrages im Vergabenachprüfungsverfahren zu Vorgängen des Vergabeverfahrens sein (vgl. zu allem Vorstehenden KG, Beschluss vom 10. Februar 2020 - Verg 06/19 -).
Aus den gleichen Gründen handelt es sich auch bei den Rügen der Antragstellerin vom 5. Mai 2021 und vom 26. Juli 2021 nicht um solche "ins Blaue hinein". Zudem sind die vorbezeichneten Rügen nicht verspätet erfolgt.
Die - hier allein in Betracht kommende - Frist des § 160 Abs. 3 Nr. 1 GWB beginnt nämlich erst dann zu laufen, wenn der Antragsteller eine feststellbare volle (nicht nur zu vermutende) positive Kenntnis unter anderem von den einen Vergaberechtsverstoß begründenden tatsächlichen Umständen hat (vgl. BGH, NZBau 2006, 800, 803, Rdnr. 35; MünchKomm-Jaeger, Wettbewerbsrecht, 4. Aufl. 2022, § 160 GWB, Rdnr. 56; Immenga/Mestmäcker-Dreher, Wettbewerbsrecht, 6. Aufl. 2021, § 160 GWB, Rdnr. 67; BeckOK Gabriel/Mertens/ Prieß/Stein-Gabriel/Mertens, Vergaberecht, 24. Edition, Stand: 31. Januar 2021, § 160 GWB, Rdnr. 142, m.w.N.; Ziekow/Völlink-Dicks, Vergaberecht, 4. Aufl. 2020, § 160 GWB, Rdnr. 40, m.w.N.; Burgi/Dreher-Horn/Hofmann, Beck'scher Vergaberechtskommentar, 3. Aufl. 2017, § 160 GWB, Rdnr. 44, m.w.N.). Auf bloßen Verdacht oder auf eine schlichte Vermutung hin muss keine Rüge ausgebracht werden (vgl. Immenga/Mestmäcker-Dreher, a.a.O., m.w.N.; BeckOK Gabriel/Mertens/Prieß/Stein-Gabriel/Mertens, a.a.O., Rdnr. 148, m.w.N.; Ziekow/Völlink-Dicks, a.a.O.).
Damit bestand vorliegend - hinsichtlich des hier maßgeblichen Vergaberechtsverstoßes - keine Rügeverpflichtung der Antragstellerin. Denn dass diese von dem Inhalt des Angebots der Beigeladenen und damit von den hier in Rede stehenden wertungsrelevanten Umständen keine positive Kenntnis hatte, ist unstreitig.
B.
Der Nachprüfungsauftrag ist auch begründet.
Insoweit hat die Vergabekammer zu Recht festgestellt, dass die Antragsgegnerin bei Wertung des Angebots der Beigeladenen von einem unzutreffenden Sachverhalt ausgegangen ist. Denn die Antragsgegnerin ist - den Angaben der Beigeladenen in deren Angebot entsprechend - davon ausgegangen, dass der beigeladenenseits als Gesamtprojektleiter des hier ausgeschriebenen Auftrags vorgesehene Dipl.-Ing. [...] auch Gesamtprojektleiter der Leitungsphasen 5 bis 9 des Referenzprojektes "[...]" war. Tatsächlich hatte jedoch der Geschäftsführer der [...] - einer der Gesellschafterinnen der Beigeladenen - Dipl.-Ing [...] diese Position inne. Dies gilt selbst nach dem Verständnis der Beigeladenen von der Begrifflichkeit des Gesamtprojektleiters.
Insoweit kann letztendlich offen bleiben, ob Bezugspunkt der Gesamtprojektleitung lediglich das Gesamtprojekt "[...]" oder - wie die Beigeladene meint - lediglich dessen hier als Referenzprojekt in Rede stehendes Teilprojekt "[...]" sein muss. Denn selbst bei isolierter Betrachtung nur des Projektes "[...]" ist festzustellen, dass (auch) insoweit Herr Dipl.-Ing. [...] - und nicht Herr Dipl.-Ing. [...] - Gesamtprojektleiter war.
Die Vergabekammer hat zutreffend ausgeführt, dass die Begrifflichkeit des Gesamtprojektleiters - generell wie auch speziell in den hier maßgeblichen Vergabeunterlagen der Antragsgegnerin - bei verständiger Würdigung ohne weiteres eindeutig dahingehend auszulegen ist (§§ 133, 157 BGB), dass mit ihr die Person desjenigen gemeint ist, der die Federführung hinsichtlich des gesamten Projekts - und damit letztlich auch hinsichtlich der entsprechenden Teilprojekte - innehat. Dies folgt schon klar und eindeutig aus dem Wortsinn des Begriffs "Gesamtprojektleiter". Auf eine gesetzliche Definition des Begriffs "Gesamtprojektleiter" oder auf eine solche in allgemein anerkannten Regeln der Technik kommt es daher nicht an. Im Übrigen nimmt der Senat ergänzend auf die entsprechenden Ausführungen der Vergabekammer in den Gründen der angefochtenen Entscheidung (dort Rdnr. 21) Bezug; diesen ist nichts weiter hinzuzufügen. Die Verwendung der Begrifflichkeit "Gesamtprojektleiter" bedingte mithin keine - zu Lasten des öffentlichen Auftraggebers gehende - nicht durch Auslegung zu beseitigende (vgl. insoweit BGH, Urteil vom 12. September 2013 - VII ZR 227/11 -; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 28. März 2018 - Verg 52/17 -; OLG Schleswig, Beschluss vom 30. April 2015 - 1 Verg 7/14 -; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 25. Juli 2014 - 15 Verg 5/14 -, BeckRS 2014, 120996, Rdnr. 27, m.w.N.; MünchKomm-Pauka/Krüger, Wettbewerbsrecht, 4. Aufl. 2022, § 121 GWB, Rdnr. 14 f.; Ziekow/Völlink-Trutzel, Vergaberecht, 4. Aufl. 2020, § 121 GWB, Rdnr. 7, m.w.N.; Reidt/Stickler/Glahs-Kadenbach, Vergaberecht, 4. Aufl. 2018, § 121 GWB, Rdnr. 17; Heiermann/Zeiss/Summa-Zimmermann, jurisPK-Vergaberecht, 5. Aufl. 2016, Stand: 1. Oktober 2016, § 121 GWB, Rdnr. 29) Unklarheit in den hier maßgeblichen Vergabeunterlagen.
Gesamtprojektleiter der damals den Auftrag ausführenden ARGE bezüglich des von dieser zu bearbeitenden Gesamtprojekts "[...]" war - dies hat die Beigeladene mit Schriftsatz vom 13. Dezember 2021 selbst mitgeteilt - Herr Dipl.-Ing. [...]. Damit stand er - dies liegt auf der Hand - auch hinsichtlich der entsprechenden Teilprojekte und damit auch hinsichtlich des hier in Rede stehenden Referenzprojekts "[...]" an der Spitze aller Projektleitungen; er hatte auch insoweit die Federführung inne.
Dies hat Herr Dipl.-Ing. [...] so auch der Vergabekammer gegenüber ausdrücklich bestätigt. Denn er hat im dortigen Termin vom 25. Januar 2022 angegeben, für die technische Durchführung des Projekts der ARGE zuständig gewesen zu sein. Dem entsprechend sei er auch im ARGE-Vertrag als "zuständige Person für die technische Federführung des Projekts" aufgeführt gewesen. Er sei auch in dem seinerzeit abgegebenen Angebot vom [...] als technischer Projektleiter benannt worden, "der auch die Leistungsphase 9 (Bauoberleitung BOL) verantwortlich vertreten" werde. Die technische Federführung - so Herr Dipl.-Ing. [...] weiter - habe bis zum Abschluss des Projekts bei ihm gelegen. Er sei auch Ansprechpartner des Auftraggebers hinsichtlich etwaiger (Planungs-)Leistungsdefizite gewesen. Dass sich seine federführende Position nicht auf das Teilprojekt "[...]" bezogen hätte, hat Herr Dipl.-Ing. [...] nicht angegeben. Eine derartige Einschränkung seines Tätigkeitsbereichs liegt in Anbetracht der vorstehend zusammengefassten Angaben auch schlichtweg fern.
Von alledem ausgehend war Herr Dipl.-Ing. [...] selbst nach dem Verständnis der Beigeladenen Gesamtprojektleiter (auch) des hier in Rede stehenden Referenzprojekts. Denn die Beigeladene hat mit Schriftsatz vom 13. Dezember 2021 ausgeführt, die Besetzung der Rolle eines Projektleiters sei eine interne Entscheidung des jeweiligen Unternehmens und habe nichts damit zu tun, ob die Leistung in eigener Person ausgeführt werde. Ein Projektleiter übernehme koordinative Aufgaben und sei die Schnittstelle zum Auftraggeber, der bei Problemen in der Umsetzung aufgrund von beispielsweise Planungsfehlern oder örtlichen Zwängen die Koordination regele und die Kommunikation herstelle.
Selbst nach diesem Verständnis war Herr Dipl.-Ing. [...] Gesamtprojektleiter (auch) des streitgegenständlichen Projekts "[...]". Denn Herr Dipl.-Ing. [...] war nach seinen eigenen Angaben - wie bereits erwähnt - seitens der den entsprechenden Auftrag ausführenden ARGE als Gesamtprojektleiter bestimmt und benannt worden. Des Weiteren war gerade Herr Dipl.-Ing. [...] Ansprechpartner des Auftraggebers hinsichtlich etwaiger (Planungs-)Leistungsdefizite.
Nach alledem kommt es auf die seitens der Beigeladenen im Nachprüfungsverfahren vor der Vergabekammer vorgelegte Referenzbestätigung des Regierungspräsidiums [...] vom 24. Januar 2022 nicht weiter an. Dieser ist in Anbetracht der vorstehenden Ausführungen kein erheblicher eigenständiger Beweiswert beizumessen.
Die Antragsgegnerin hat die Angaben der Beigeladenen zur Person des Gesamtprojektleiters auch nicht hinreichend - zum Beispiel durch telefonische Nachfrage bei dem Referenzauftraggeber - überprüft. Zwar hat die Antragsgegnerin einen entsprechenden Versuch unternommen; dieser führte jedoch zu keinerlei aussagekräftigen Erkenntnissen. Dies hat schon die Vergabekammer in nicht zu beanstandender Art und Weise konstatiert (Rdnr. 27 der angefochtenen Entscheidung). Auf die entsprechenden Ausführungen der Vergabekammer nimmt der Senat - zur Vermeidung unnötiger Wiederholungen - Bezug.
Anders als die Beigeladene meint, musste die Vergabekammer auch weder die Antragstellerin aus dem streitgegenständlichen Vergabeverfahren selbst ausschließen noch die Antragsgegnerin verpflichten, die Antragstellerin auszuschließen. Gleiches gilt hinsichtlich einer Verpflichtung der Antragstellerin, über einen Ausschluss des Angebots der Antragstellerin nach § 124 Abs. 1 Nr. 8 sowie Nr. 9 a), b) und c) GWB in pflichtgemäßer Ausübung des ihr insoweit zustehenden Ermessens zu entscheiden. Zu einem entsprechenden Ausspruch war die Vergabekammer schon nicht befugt.
Die Vergabekammer ist im Nachprüfungsverfahren zwar nicht an die antragstellerseits gestellten Anträge gebunden (§ 168 Abs. 1 Satz 2 GWB). Die damit verbundene Gestaltungsfreiheit der Vergabekammer bezieht sich jedoch allein auf die Entscheidung, wie eine Verletzung der Rechte des Antragstellers und der zugrunde liegenden Interessen verhindert beziehungsweise beseitigt werden kann (vgl. § 168 Abs. 1 Satz 1 GWB; MünchKomm-Fett, Wettbewerbsrecht, 4. Aufl. 2022, § 168 GWB, Rdnr. 34; Burgi/Dreher-Antweiler, Beck'scher Vergaberechtskommentar, 3. Aufl. 2017, § 168 GWB, Rdnr. 47, m.w.N.). § 168 Abs. 1 GWB ermächtigt die Vergabekammer deshalb nicht zu einer allgemeinen Rechtmäßigkeitskontrolle (vgl. Senat, ZfBR 2009, 292, 294; OLG Frankfurt, ZfBR 2013, 815, 816; OLG München, Beschluss vom 10. Dezember 2009 - Verg 16/09 -, BeckRS 2010, 2617; MünchKomm-Fett, a.a.O., m.w.N.; BeckOK Gabriel/Mertens/Prieß/Stein-Prell, Vergaberecht, 23. Edition, Stand: 31. Januar 2022, § 168 GWB, Rdnr. 39; Reidt/Stickler/Glahs- Reidt, Vergaberecht, 4. Aufl. 2018, § 168 GWB, Rdnr. 18; Burgi/Dreher-Antweiler, a.a.O., m.w.N.). Die Vergabekammer ist hinsichtlich ihrer Entscheidungsmöglichkeiten vielmehr - wie sich § 168 Abs. 1 Satz 1 GWB entnehmen lässt - stets an die Rechtsverletzung des Antragstellers gebunden (vgl. MünchKomm-Fett, a.a.O.; Immenga/Mestmäcker-Dreher, Wettbewerbsrecht, 6. Aufl. 2021, § 168 GWB, Rdnr. 21; Reidt/Stickler/Glahs-Reidt, a.a.O., Rdnr. 15; Burgi/Dreher-Antweiler, a.a.O., m.w.N.). Sie ist hingegen nicht befugt, unabhängig von einer Rechtsverletzung des Antragstellers auf die Rechtmäßigkeit des Vergabeverfahrens einzuwirken (vgl. MünchKomm-Fett, a.a.O., Rdnr. 21, m.w.N.; Ziekow/Völlink-Steck, Vergaberecht, 4. Aufl. 2020, § 168 GWB, Rdnr. 9; Burgi/Dreher-Antweiler, a.a.O., m.w.N.). Im Hinblick darauf darf die Vergabekammer nur über solche Verstöße entscheiden, die den Antragsteller belasten (vgl. Burgi/Dreher-Antweiler, a.a.O.). Stellt die Vergabekammer hingegen eine Verletzung von Rechten anderer Bieter fest, darf sie diese mithin - in dem vorliegenden Nachprüfungsverfahren - nicht zum Anlass nehmen, Maßnahmen zu treffen (vgl. MünchKomm-Fett, Wettbewerbsrecht, 4. Aufl. 2022, § 168 GWB, Rdnr. 34; BeckOK Gabriel/Mertens/Prieß/Stein-Prell, Vergaberecht, 23. Edition, Stand: 31. Januar 2022, § 168 GWB, Rdnr. 39; Reidt/Stickler/Glahs-Reidt, Vergaberecht, 4. Aufl. 2018, § 168 GWB, Rdnr. 18; Burgi/Dreher-Antweiler, a.a.O., m.w.N.).
Nach alledem kommt ein Ausschluss der Antragstellerin im vorliegenden Verfahren ebenso wenig in Betracht wie eine Verpflichtung der Antragsgegnerin zu einem solchen Ausschluss. Gleiches gilt hinsichtlich einer Verpflichtung der Antragstellerin, über einen Ausschluss des Angebots der Antragstellerin nach § 124 Abs. 1 Nr. 8 sowie Nr. 9 a), b) und c) GWB in pflichtgemäßer Ausübung des ihr insoweit zustehenden Ermessens zu entscheiden. Denn sämtliche dieser Maßnahmen würden die Antragstellerin belasten statt begünstigen. Sie beruhten jedenfalls nicht auf einer Verletzung von Rechten der Antragstellerin, sondern - wenn überhaupt - allenfalls auf einer Verletzung der Rechte anderer Bieter oder allgemeinen Rechtmäßigkeitserwägungen.
Der Nachprüfungsantrag der Antragstellerin ist auch nicht deswegen unbegründet, weil es an einer durch den festgestellten Vergaberechtsverstoß bedingten mindestens nicht ausschließbaren Beeinträchtigung ihrer Auftragschancen fehlt (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 15. Juni 2010 - Verg 10/10 -; BeckOK Gabriel/Mertens/Prieß/Stein- Prell, Vergaberecht, 23. Edition, Stand: 31. Januar 2022, § 168 GWB, Rdnr. 27). Zwar wäre dies der Fall, wenn die Antragstellerin - wie die Beigeladene meint - im vorliegenden Vergabeverfahren trotz des seitens der Vergabekammer festgestellten Verstoßes deswegen keine Chance auf den Zuschlag hätte, weil sie mit ihrem Angebot ohnehin gemäß § 124 Abs. 1 Nr. 8 sowie Nr. 9 a), b) und c) GWB auszuschließen wäre (vgl. insoweit OLG Düsseldorf, Beschluss vom 20. Dezember 2019 - Verg 18/19 -; Pünder/Schellenberg-Nowak, Vergaberecht, 3. Aufl. 2019, § 160 GWB, Rdnr. 46 a.E.). Dies vermag der Senat indes nicht festzustellen.
Anders als bei den in § 123 GWB normierten Fällen eines zwingenden Ausschlusses kommt dem Auftraggeber im Anwendungsbereich des § 124 GWB bei Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen ein Ermessensspielraum bei der Entscheidung über den Ausschluss des Bieters zu (vgl. OLG Düsseldorf, ZfBR 2019, 510, 514; MünchKomm-Pauka/Krüger, Wettbewerbsrecht, 4. Aufl. 2022, § 124 GWB, Rdnr. 1; Ziekow/Völlink-Stolz, Vergaberecht, 4. Aufl. 2020, § 124 GWB, Rdnr. 2, m.w.N.; Reidt/Stickler/Glahs-Ley, Vergaberecht, 4. Aufl. 2018, § 124 GWB, Rdnr. 196). Er hat unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit eine Prognoseentscheidung dahingehend zu treffen, ob der Bieter trotz des Ausschlussgrundes den öffentlichen Auftrag ordnungsgemäß erfüllen wird (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 20. Dezember 2019 - Verg 18/19 -; OLG Naumburg, Beschluss vom 9. August 2019 - 7 Verg 1/19 -; OLG Celle, Beschluss vom 13. Mai 2019 - 13 Verg 2/19 -; MünchKomm-Pauka/Krüger, a.a.O., Rdnr. 3; Ziekow/Völlink-Stolz, a.a.O.; Reidt/Stickler/Glahs-Ley, a.a.O.).
Diese Ermessensentscheidung dürfen die Nachprüfungsinstanzen grundsätzlich nicht ersetzen, ihre eigenen Erwägungen insoweit nicht an die Stelle derjenigen des Auftraggebers setzen (vgl. Ziekow/Völlink-Steck, a.a.O., § 168, Rdnr. 12). Die Abweisung eines Nachprüfungsantrages mangels eines aufgrund der Rechtsverletzung zumindest drohenden Schadens setzt daher voraus, dass der Ausschluss des Angebots der Antragstellerin die einzig richtige Entscheidung ist, mithin ein Fall der sogenannten Ermessensreduzierung "auf Null" vorliegt (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 20. Dezember 2019 - Verg 18/19 -). Denn anderenfalls ist nicht sicher auszuschließen, dass sich der festgestellte Vergaberechtsverstoß auf die Auftragschancen des Antragstellers ausgewirkt haben kann (vgl. insoweit auch OLG Naumburg, Beschluss vom 12. April 2012 - 2 Verg 1/12 -, BeckRS 10195, m.w.N.; MünchKomm-Fett, Wettbewerbsrecht, 4. Aufl. 2022, § 168 GWB, Rdnr. 12).
Eine derartige Ermessenreduktion "auf Null" liegt hier nicht vor. Die Beigeladene leitet die Tatbestandsvoraussetzungen der hier in Rede stehenden fakultativen Ausschlussgründe lediglich aus dem im vorliegenden Nachprüfungsverfahren hinsichtlich des Angebots der Beigeladenen gehaltenen falschen Vorbringen ab. Denn die Antragstellerin hatte vorgetragen, nicht Herr Dipl.-Ing. [...] sondern Herr Dipl.-Ing. [...] sei Gesamtprojektleiter hinsichtlich der Leistungsphasen 5 bis 9 bei dem - oben bereits erwähnten - Referenzprojekt der Beigeladenen "[...]" gewesen. Tatsächlich hatte die Funktion des Gesamtprojektleiters insoweit jedoch Herr Dipl.-Ing. [...] innegehabt (s.o.).
Insoweit gilt es im Hinblick auf die hier in Rede stehenden Ausschlussgründe zweierlei zu beachten:
Zum einen erfolgte das entsprechende Vorbringen erst mit der Rüge vom 5. Mai 2021 und damit im Hinblick auf ein mögliches Nachprüfungsverfahren. In einem solchen wie auch in einer zuvor erforderlichen Rüge steht es der Antragstellerin grundsätzlich frei, für Ihre Rechte einzutreten und im Hinblick auf Angebote anderer Bieter - wenn auch natürlich nicht wissentlich unwahr - vorzutragen.
Zum anderen waren Kern und Zielrichtung des entsprechenden Vortrags der Antragstellerin im Nachprüfungsverfahren nicht in erster Linie die korrekte Benennung des in Rede stehenden Gesamtprojektleiters, sondern der Umstand, dass jedenfalls Herr Dipl.-Ing. [...] diese Funktion - anders als beigeladenenseits behauptet - nicht innehatte. Allein dies war und ist entscheidungserheblich. Dass Herr Dipl.-Ing. [...] nicht Gesamtprojektleiter hinsichtlich der Leistungsphasen 5 bis 9 bei dem vorliegend maßgeblichen Referenzprojekt der Beigeladenen war, ist jedoch gerade zutreffend. Insoweit wird - zur Vermeidung unnötiger Wiederholungen - auf die entsprechenden obigen Ausführungen verwiesen.
Jedenfalls in der Gesamtschau dieser Aspekte liegt hier keinesfalls eine Situation vor, aufgrund welcher eindeutig und ausschließlich der Schluss gerechtfertigt wäre, dass die Antragstellerin den hier in Rede stehenden öffentlichen Auftrag nicht ordnungsgemäß erfüllen würde. Eine Ermessensreduktion "auf Null" hinsichtlich eines Ausschlusses der Antragstellerin nach § 124 Abs. 1 Nr. 8 sowie Nr. 9 a), b) und c) GWB ist mithin nicht festzustellen.
Im Übrigen sieht der Senat keine Veranlassung, auf die weiteren im Beschwerdeverfahren vorgebrachten Einwände der Beigeladenen einzugehen. Denn sie betreffen keine seitens der Vergabekammer festgestellten Vergaberechtsverstöße. Die Vergabekammer hat insoweit vielmehr lediglich - ihre Entscheidung nicht tragend - für das weitere Verfahren darauf hingewiesen, dass hinsichtlich bestimmter Aspekte des Vergabeverfahrens seitens der Antragsgegnerin Veranlassung zu einer weiteren Prüfung bestehe. Das Ergebnis eines solchen Prüfung hat die Vergabekammer weder vorgegeben noch intendiert. Dass eine ergebnisoffene Prüfung relevanter Aspekte des Vergabeverfahrens stattzufinden hat, versteht sich indes von selbst. Eine Beschwer der Beigeladenen vermag dies nicht zu begründen.
Die das Beschwerdeverfahren betreffende Kostenentscheidung folgt aus §§ 175 Abs. 2, 71 Satz 2 GWB. Die Erstattungsfähigkeit der antragstellerischen Rechtsanwaltskosten für den Beschwerderechtszug bedarf dabei keiner Tenorierung; sie folgt unmittelbar kraft Gesetzes aus § 175 Abs. 1 Satz 1 GWB (vgl. Senat, Beschluss vom 27. Januar 2021 - Verg 1/19 -, BeckRS 2021, 10061, Rdnr. 77; OLG Celle, Beschluss vom 5. Oktober 2020 - 13 Verg 5/20 -; OLG Rostock, Beschluss vom 9. Dezember 2020 - 17 Verg 4/20 -).
Die Kosten des Verfahrens nach § 173 Abs. 1 Satz 3 - einschließlich der insoweit zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen der Verfahrensbeteiligten - stellen Kosten des Beschwerdeverfahrens dar (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 8. Juli 2016 - 13 Verg 2/16 -; OLG Saarbrücken, Beschluss vom 18. Mai 2016 - 1 Verg 1/16 -; OLG Frankfurt, Beschluss vom 20. Januar 2016 - 11 Verg 8/15 -; OLG München, Beschluss vom 6. November 2006 - Verg 17/06 -, BeckRS 2006, 13073; OLG Schleswig, Beschluss vom 11. August 2006 - 1 Verg 1/06 -, BeckRS 2006, 9504; MünchKomm-von Werder, Wettbewerbsrecht, 4. Aufl. 2022, § 173 GWB, Rdnr. 71; Heiermann/Zeiss/Summa-Summa, jurisPK-Vergaberecht, 5. Aufl. 2016, Stand: 20. April 2020, § 173 GWB, Rdnr. 9; Burgi/Dreher-Vavra, Beck'scher Vergaberechtskommentar, 3. Aufl. 2017, § 173 GWB, Rdnr. 34, m.w.N.). Eine gesonderte Entscheidung über die Kosten des Verfahrens nach § 173 Abs. 1 Satz 3 GWB ist mithin ebenfalls nicht veranlasst.
Die Festsetzung des Streitwertes folgt aus § 50 Abs. 2 GKG.
Danach beträgt der Streitwert im Verfahren über die Beschwerde gegen eine Entscheidung der Vergabekammer 5 % der Bruttoauftragssumme als pauschalierte Gewinnerwartung des Antragstellers bzw. Beschwerdeführers (vgl. BeckOK Dörndorfer/Wendtland/Gerlach/Diehn- Toussaint, Kostenrecht, 37. Edition, Stand: 1. April 2022, § 50 GKG, Rdnr. 26), hier also derjenigen der Beigeladenen. Diese entspricht grundsätzlich dem Preis, den der Bieter für seine Leistung vom Auftraggeber als Gegenleistung fordert, und ist daher im Regelfall - wie auch hier - dem Angebot des Antragstellers bzw. Beschwerdeführers (hier: der Beigeladenen) zu entnehmen (vgl. BGH, NZBau 2014, 452, 453, Rdnr. 7; OLG Naumburg, Beschluss vom 30. Dezember 2002 - 1 Verg 11/02 -; BeckOK Dörndorfer/Wendtland/ Gerlach/Diehn-Toussaint, a.a.O., Rdnr. 24; Schneider/Volpert/Fölsch-Fölsch, Gesamtes Kostenrecht, 3. Aufl. 2021, § 50 GKG, Rdnr. 33).
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OLG Koblenz
Beschluss
vom 12.12.2022
Verg 3/22
Bei der der Ausschreibung einer Rahmenvereinbarung sind in der (Auftrags-)Bekanntmachung und/oder in den Vergabeunterlagen sowohl die Schätzmenge und/oder der Schätzwert als auch eine Höchstmenge und/oder ein Höchstwert der zu erbringenden Dienstleistungen bzw. der zu liefernden Waren anzugeben. Außerdem ist anzugeben, dass die Rahmenvereinbarung ihre Wirkung verliert, wenn die Höchstmenge oder der Höchstwert erreicht ist.
vorhergehend:
OLG Koblenz, 07.09.2022 - Verg 3/22
VK Rheinland-Pfalz, 12.08.2022 - VK 1-6/22
Tenor
Auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss der 1. Vergabekammer Rheinland-Pfalz vom 12. August 2022 (VK 1-6/22) aufgehoben.
Das Vergabeverfahren "(...)" wird in den Stand vor der Auftragsbekanntmachung zurückversetzt und die Antragsgegnerin verpflichtet, das Vergabeverfahren - bei fortbestehender Beschaffungsabsicht - unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats zu wiederholen.
Die gegen den zur Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten durch die Antragsgegnerin erfolgten Ausspruch der 1. Vergabekammer Rheinland-Pfalz vom 12. August 2022 (VK 1-6/22) gerichtete sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin wird zurückgewiesen.
Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens - einschließlich derjenigen des Verfahrens nach § 173 Abs. 1 Satz 3 GWB - sowie die Kosten des Nachprüfungsverfahrens vor der Vergabekammer einschließlich der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen der Antragstellerin zu tragen. Die Beigeladene trägt ihre Kosten des Verfahrens in beiden Nachprüfungsinstanzen selbst.
Die Hinzuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten im Verfahren vor der Vergabekammer war antragstellerseits notwendig.
Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf ... Euro festgesetzt.
Gründe
I.
Die Antragsgegnerin veröffentlichte im Supplement zum EU-Amtsblatt vom ... 2022 eine Auftragsbekanntmachung zur Vergabe einer Rahmenvereinbarung bezüglich Dienstleistungen "(...)" im offenen Verfahren. Der Gesamtwert des Auftrags war antragsgegnerseits zuvor auf ... Euro (netto) geschätzt worden.
In den Vergabeunterlagen ist das maximale Auftragsvolumen der Rahmenvereinbarung mit ... Euro (netto) angegeben. Bei den Vergabeunterlagen befindet sich zudem ein Entwurf der abzuschließenden Rahmenvereinbarung. Dieser sieht in Ziffer 2.4 folgende Klausel vor:
"Die Rahmenvereinbarung kann vom Auftraggeber jederzeit vor Ablauf der Vertragslaufzeit mit einer Frist von fünf (5) Tagen in Schriftform gekündigt werden, wenn das genehmigte Budget des Auftraggebers in Höhe von (...) EUR (netto) aufgrund bereits erteilter Aufträge ausgeschöpft ist."
Unter anderem die Antragstellerin sowie die Beigeladene beteiligten sich mit fristgerecht eingereichten Angeboten an der Ausschreibung. Am 10. Mai 2022 schloss die Antragsgegnerin das Angebot der Antragstellerin nach § 57 Abs. 1 Nr. 5 VgV aus, weil darin fehlerhafte Preise enthalten seien und somit das Angebot nicht die (echten) erforderlichen Preisangaben enthalte. Die Preisblattanpassung stelle eine nachträgliche Änderung der Angebotspreise dar, die gemäß § 15 Abs. 5 Satz 2 VgV nach Ablauf der Angebotsfrist aus Gründen der Gleichbehandlung aller Bieter im Rahmen der Wertung unbeachtlich zu bleiben habe. Mit Vorabinformationsschreiben vom 10. Mai 2022 teilte die Antragsgegnerin der Antragstellerin den Angebotsausschluss sowie die Absicht mit, der Beigeladenen den Zuschlag zu erteilen.
Mit Schreiben ihrer Verfahrensbevollmächtigten vom 16. Mai 2022 rügte die Antragstellerin diese Absicht. Sie rügte unter anderem, dass weder in der Bekanntmachung noch in den Vergabeunterlagen eine Höchstabnahmemenge angegeben sei, ab deren Erreichung die ausgeschriebene Rahmenvereinbarung ende. Dies stelle einen Verstoß gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung und der Nichtdiskriminierung und damit einen schweren Vergaberechtsverstoß dar. Ohne die Angabe von Höchstmengen sei die Kalkulation kaum zu bewerkstelligen gewesen. Sie - die Antragstellerin - habe die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zur Angabe von Schätz- und Höchstmengen bei Rahmenvereinbarungen nicht gekannt, sei sich ihrer eigenen Leistungsfähigkeit nicht vollständig gewahr gewesen und habe dennoch ein Angebot unter Zeitdruck abgegeben.
Am 19. Mai 2022 wies die Antragsgegnerin die Rüge zurück. Dies nahm die Antragstellerin zum Anlass, am 20. Mai 2022 einen Nachprüfungsantrag zu stellen.
Diesen hat die Vergabekammer mit Beschluss vom 12. August 2022 als unzulässig verworfen. Zur Begründung hat sie im Wesentlichen ausgeführt, die Antragstellerin sei bereits nicht antragsbefugt, denn sie habe nicht hinreichend dargelegt, dass ihr durch die gerügten Vergaberechtsverstöße ein Schaden zumindest zu entstehen drohe. Denn das Angebot der Antragstellerin sei vorliegend aufgrund fehlerhafter Preisangaben ausgeschlossen worden. Hiergegen habe die Antragstellerin auch keine Rüge erhoben, weshalb von einem vergaberechtskonformen Ausschluss auszugehen sei. Damit habe die Antragstellerin - ungeachtet etwaiger der Antragsgegnerin unterlaufener Vergaberechtsverstöße - keine Chance mehr, den ausgeschriebenen Auftrag zu erhalten.
Eine derartige (zweite) Chance und damit die Antragsbefugnis der Antragstellerin folge auch nicht daraus, dass entweder das Vergabeverfahren in das Stadium vor Angebotsabgabe zurückversetzt oder dass nach Aufhebung gar neu ausgeschrieben werden müsse.
So sei die Beigeladene - bei deren Angebot es sich um das einzige in der Wertung verbliebene handele - nicht wegen fehlender Eignung zwingend vom Vergabeverfahren auszuschließen. Ein entsprechender Ausschlussgrund liege nicht vor.
Zudem ergebe sich auch vor dem Hintergrund der Rüge, die Antragsgegnerin habe vergaberechtswidrig keine Höchstabnahmemenge der abzuschließenden Rahmenvereinbarung bekannt gemacht, ab deren Erreichen die Rahmenvereinbarung unmittelbar ihre Wirkung verliere, kein Anspruch auf eine "zweite Chance" der Antragstellerin. In Ziffer 5.1 der Vergabeunterlagen finde sich nämlich die Angabe, dass das "maximale Auftragsvolumen dieser Rahmenvereinbarung" ... Euro betrage. Diese Aussage sei von den Verfahrensbeteiligten übereinstimmend so verstanden worden, dass dies der veranschlagte maximale Gesamtwert über die Gesamtlaufzeit der Rahmenvereinbarung sei. Es sei auch ausreichend, wenn die Höchstmenge der Rahmenvereinbarung in den Vergabeunterlagen mitgeteilt werde, für welche der Auftraggeber in der Auftragsbekanntmachung einen Link gemäß § 41 Abs. 1 VgV angebe.
Mithin sei ein entsprechender Vergaberechtsverstoß nicht erkennbar. Aus Ziffer 2.4. Rahmenvereinbarung, wonach der Auftraggeber die Rahmenvereinbarung kündigen könne, wenn das genehmigte Budget des Auftraggebers in Höhe von ... Euro (netto) aufgrund bereits erteilter Aufträge ausgeschöpft sei, ergebe sich nichts Gegenteiliges. Denn nach der einschlägigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs könne sich der öffentliche Auftraggeber nur bis zur angegebenen Höchstmenge bzw. zum angegebenen Höchstwert verpflichten. Die Rahmenvereinbarung verliere ihre Wirkung bei Erreichen dieser Menge bzw. dieses Wertes. Die Angabe einer Höchstmenge stelle mithin eine der Rahmenvereinbarung immanente Mengenbegrenzung dar; sei sie erreicht, sei der Beschaffungszweck der Rahmenvereinbarung erfüllt. Verliere die Rahmenvereinbarung mit Erreichen der Höchstmenge/des Höchstwertes ihre Wirkung beziehungsweise sei die Rahmenvereinbarung durch Erfüllung erloschen, bestünden nachfolgend keine weiteren Leistungspflichten des Auftragnehmers aus dieser Rahmenvereinbarung. Auf das in Ziffer 2.4 der Rahmenvereinbarung enthaltene Kündigungsrecht des Auftraggebers komme es mithin nicht an. Dieses Recht des Antragsgegners laufe vielmehr ins Leere, da mit Erreichen der Höchstabnahmemenge die Rahmenvereinbarung ohnehin ihre Wirkung verliere und folglich keine Leistungspflichten des Auftragnehmers bestünden, die mit Wirkung für die Zukunft durch eine wirksame Kündigung noch entfallen könnten. Folglich ergebe sich auch hinsichtlich der Höchstmenge aus der Rahmenvereinbarung keine Notwendigkeit, der Antragsgegnerin den Zuschlag zu untersagen.
Gegen diese ihren Verfahrensbevollmächtigten am 12. August 2022 zugestellte Entscheidung wendet sich die Antragstellerin mit ihrer sofortigen Beschwerde. Diese hat sie mittels eines - auf elektronischem Wege - am 26. August 2022 beim erkennenden Oberlandesgericht eingegangenen und mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehenen Schriftsatzes eingelegt sowie begründet.
Sie beantragt,
1. den Beschluss der Vergabekammer Rheinland-Pfalz insoweit aufzuheben, wie der Nachprüfungsantrag zurückgewiesen wurde - Nr. 1 des Tenors des Beschlusses vom 12. August 2022, Az. VK 1-6/22;
2. der Antragsgegnerin zu untersagen, das Vergabeverfahren "(...)", bekannt gemacht im EU-Abl. ..., abgesandt am ... 2022, veröffentlicht am ... 2022 durch Zuschlagserteilung abzuschließen;
3. der Antragsgegnerin bei fortbestehender Vergabeabsicht aufzugeben, ein ordnungsgemäßes Vergabeverfahren betreffend "(...)" gemäß dem Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen und gemäß der Vergabeverordnung nach Maßgabe der Rechtsauffassung des Beschwerdesenates durchzuführen;
4. das im Antrag zu 3. bezeichnete Vergabeverfahren bei fortbestehender Beschaffungsabsicht auf den Zeitpunkt vor Auftragsbekanntmachung zurückzuversetzen;
hilfsweise:
unabhängig vom Hauptantrag zu 5. auf die Rechtmäßigkeit des Vergabeverfahrens hinzuwirken (vgl. § 168 Abs. 1 S. 2 GWB).
Die Antragsgegnerin beantragt,
die gegen den Beschluss der 1. Vergabekammer Rheinland-Pfalz vom 12. August 2021 - VK 1-6/22 - gerichtete sofortige Beschwerde der Antragstellerin zurückzuweisen.
Mit ihrem Beschluss vom 12. August 2022 hat die Vergabekammer zudem ausgesprochen, dass die Hinzuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten antragsgegnerseits nicht notwendig war. Hiergegen wendet sich die Antragsgegnerin mit ihrer sofortigen Beschwerde, die sie mittels eines - aus einem besonderem elektronischem Anwaltspostfach heraus auf elektronischem Weg übermittelten - am 26. August 2022 beim erkennenden Oberlandesgericht eingegangenen Schriftsatzes eingelegt sowie begründet hat.
Insoweit beantragt die Antragsgegnerin,
Ziffer 3 des Beschlusstenors der Vergabekammer vom 12. August 2022, Az. VK 1-6/22, dahingehend zu ändern, dass die Hinzuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten durch sie notwendig war.
Die Antragstellerin beantragt,
die gegen den Beschluss der 1. Vergabekammer Rheinland-Pfalz vom 12. August 2022, Az. VK 1-6/22 - gerichtete sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin zurückzuweisen.
Der Senat hat mit Beschluss vom 7. September 2022 die aufschiebende Wirkung der gegen den Beschluss der 1. Vergabekammer Rheinland-Pfalz vom 12. August 2022 (VK 1-6/22) gerichteten sofortigen Beschwerde der Antragstellerin bis zur Entscheidung über diese sofortige Beschwerde verlängert. Die Beigeladene hat sich am Beschwerdeverfahren nicht beteiligt.
Ergänzend wird auf den gesamten Inhalt der Akten des Verfahrens vor der Vergabekammer einschließlich der dort vorgelegten Vergabeakten sowie auf die vorliegenden Gerichtsakten im Übrigen Bezug genommen.
II.
Die zulässige - insbesondere statthafte (§ 171 Abs. 1 Satz 1 GWB), der gesetzlichen Form (§ 172 Abs. 3, 175 Abs. 2, 72 Nr. 2 GWB, 130d Satz 1, 130a Absätze 1 bis 3 ZPO) und Frist (§§ 172 Abs. 1, 175 Abs. 2, 72 Nr. 2 GWB, 130a Abs. 5 Satz 1 ZPO) gemäß eingelegte sowie form- und fristgerecht begründete (§ 172 Abs. 2, 175 Abs. 2, 72 Nr. 2 GWB, 130d Satz 1, 130a Absätze 1 bis 3 ZPO) - sofortige Beschwerde der Antragstellerin ist begründet. Denn die Vergabekammer hat dem verfahrensgegenständlichen Nachprüfungsantrag zu Unrecht jeden Erfolg versagt. Dieser ist nämlich ebenfalls in vollem Umfang zulässig und begründet.
Der Nachprüfungsantrag ist zulässig.
Insbesondere fehlt es der Antragstellerin nicht an der gemäß § 160 Abs. 2 GWB erforderlichen Antragsbefugnis.
Im vorliegenden Beschwerdeverfahren macht die Antragstellerin einen auf den Vergabeunterlagen gründenden Verstoß der Antragsgegnerin gegen die Grundsätze der Gleichbehandlung (§ 97 Abs. 2 GWB) und der Transparenz (§ 97 Abs. 1 Satz 1 GWB) geltend. Das verfahrensgegenständliche Rechtsschutzbegehren richtet sich mithin auf die Beseitigung eines mit nicht heilbaren Fehlern behafteten Verfahrens mit der Konsequenz einer Neuausschreibung und der damit eröffneten Chance, an dem neuen Verfahren unter Bedingungen, die die Chancengleichheit gewährleisten, teilzunehmen (vgl. insoweit auch BVerfG, NZBau 2004, 564, 566). In einem solchen Fall liegt auch ohne weitere Darlegung auf der Hand, dass als Folge der stattdessen gewählten oder beabsichtigten vergaberechtswidrigen Vorgehensweise des öffentlichen Auftraggebers dem Bieter ein Schaden zu entstehen droht (vgl. BGH, Beschluss vom 10. November 2009 - X ZB 8/09 -; Beschluss vom 26. September 2006 - X ZB 14/06 -; OLG Frankfurt, Beschluss vom 30. März 2021 - 11 Verg 18/20 -; OLG Rostock, Beschluss vom 17. Juli 2019 - 17 Verg 1/19 m.w.N.; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 2. Mai 2018 - Verg 3/18 -; BeckOK Gabriel/Mertens/Prieß/Stein-Gabriel/Mertens, Vergaberecht, 26. Edition, Stand: 31. Oktober 2022, § 160 GWB, Rdnr. 106, m.w.N.; Burgi/Dreher/Opitz- Horn/Hofmann, Beck'scher Vergaberechtskommentar, 4. Aufl. 2022, § 160 GWB, Rdnr. 35).
Ein Schaden droht nämlich bereits dann, wenn die Aussichten des antragstellenden Bieters auf die Erteilung des Auftrags zumindest verschlechtert worden sein können. Das ist nicht nur der Fall, wenn dies für den Zuschlag in dem eingeleiteten und zur Nachprüfung gestellten Vergabeverfahren zutrifft. Denn es ist die tatsächliche Erteilung des Auftrags, welche die Vermögenslage von Bietern beeinflusst, nicht der Umstand, in welchem Vergabeverfahren sie erfolgt. § 160 Abs. 2 GWB lässt auch nicht erkennen, dass für die Antragsbefugnis allein auf die Möglichkeit abzustellen sein könnte, den ausgeschriebenen Auftrag gerade in dem eingeleiteten und zur Nachprüfung gestellten Vergabeverfahren zu erhalten. Nach seinem Wortlaut muss vielmehr ganz allgemein ein (drohender) Schaden dargelegt werden, für den die behauptete Verletzung von Vergabevorschriften kausal ist. Es genügt deshalb, wenn es nach dem Vorbringen des das Nachprüfungsverfahren betreibenden Bieters möglich erscheint, dass er ohne den behaupteten Vergaberechtsverstoß den Bedarf, dessentwegen die Ausschreibung erfolgt ist, gegen Entgelt befriedigen kann. Das ist regelmäßig auch der Fall, wenn das eingeleitete Vergabeverfahren nicht ohne Weiteres durch Zuschlag beendet werden darf, und zur Bedarfsdeckung eine Neuausschreibung in Betracht kommt. Dass im Voraus nicht abzusehen ist, ob die darin liegende Chance eine realistische Aussicht darstellt, den Auftrag zu erhalten, und sich eine solche Chance keinesfalls zwangsläufig für den betreffenden Bieter auftun muss, ist angesichts der oben zitierten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts unerheblich. Denn hiernach reicht schon die Möglichkeit einer Verschlechterung der Aussichten des den Nachprüfungsantrag stellenden Bieters infolge der Nichtbeachtung von Vergabevorschriften aus (vgl. zu allem Vorstehenden BGH, Beschluss vom 10. November 2009 - X ZB 8/09 m.w.N.; Burgi/Dreher/Opitz- Horn/Hofmann, a.a.O.).
Danach ist die Antragsbefugnis der Antragstellerin nicht zu verneinen. Denn sie macht vorliegend einen auf den Vergabeunterlagen gründenden Verstoß der Antragsgegnerin gegen die Grundsätze der Gleichbehandlung (§ 97 Abs. 2 GWB) und der Transparenz (§ 97 Abs. 1 Satz 1 GWB) geltend und behauptet überdies, dieser habe sich auf ihre Preisgestaltung ausgewirkt, weil sie sich in der Phase des Angebotsentwurfs ihrer Leistungsfähigkeit nicht vollständig gewahr gewesen sei. Träfe dies zu, wäre das Vergabeverfahren in das Stadium vor der Auftragsbekanntmachung zurückzuversetzen. Die Antragstellerin hätte dann die Möglichkeit, ein neues Angebot abzugeben und auf dieses den Zuschlag zu erhalten.
Die antragsgegnerseits zitierten Ausführungen des Oberlandesgerichts Celle in dessen Beschluss vom 7. Juli 2022 - 13 Verg 4/22 - ändern an alledem nichts. Sie geben auch zu einer Divergenzvorlage des Senats nach § 179 Abs. 2 Satz 1 GWB keine Veranlassung.
Dies folgt bereits aus dem Umstand, dass der Senat die Antragsbefugnis vorliegend allein unter dem Gesichtspunkt der Gewährung einer sogenannten zweiten Chance für solche Rügen bejaht, deren Behebung eine (teilweise) Aufhebung des bisherigen Vergabeverfahrens oder die Untersagung der Zuschlagserteilung erfordern und damit der Antragstellerin die Möglichkeit eröffnen, sich - im Fall fortbestehender Beschaffungsabsicht der Antragsgegnerin - durch ein neues Angebot am Vergabeverfahren zu beteiligen. Die insoweit zur Anwendung gebrachten Rechtsgrundsätze beruhen - wie den obigen Ausführungen unschwer entnommen werden kann - auf gefestigter Rechtsprechung gerade auch des Bundesgerichtshofs. Danach sind im - hier vorliegenden - auf die Beseitigung eines mit nicht heilbaren Fehlern behafteten Vergabeverfahrens (mit der Konsequenz einer Neuausschreibung und der damit eröffneten Chance, an dem neuen Verfahren unter Bedingungen, die die Chancengleichheit gewährleisten, teilzunehmen) gerichteten Nachprüfungsverfahrens weitere Darlegungen des Antragstellers dazu, dass ihm als Folge der stattdessen gewählten oder beabsichtigten vergaberechtswidrigen Vorgehensweise des öffentlichen Auftraggebers ein Schaden zu entstehen droht, gerade nicht erforderlich (vgl. BGH, Beschluss vom 10. November 2009 - X ZB 8/09 -; Beschluss vom 26. September 2006 - X ZB 14/06 -).
Diesen Gesichtspunkt hat das Oberlandesgericht Celle in seinen im hier maßgeblichen Zusammenhang zitierten Ausführungen vom 7. Juli 2022 zwar nicht - jedenfalls nicht in erkennbarer Art und Weise - zur Anwendung gebracht. Dies nötigt den der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs folgenden Senat im Streitfall indes nicht zu einer Divergenzvorlage (vgl. Senat, Beschluss vom 3. Dezember 2014 - Verg 8/14 m.w.N.; BGH, NJW 1959, 1450, 1451 - zu § 121 Abs. 2 GVG; OLG Dresden, Beschluss vom 10. Juli 2003 - WVerg 16/02 m.w.N.; Feilcke in: Karlsruher Kommentar zur StPO, 8. Aufl. 2019, § 121 GVG, Rdnr. 26, m.w.N.; Reidt/Stickler/Glahs-Stickler, Vergaberecht, 4. Aufl. 2018, § 179 GWB, Rdnr. 13). Anderenfalls müssten die Oberlandesgerichte alle Sachen auch dann immer wieder dem Bundesgerichtshof vorlegen, wenn sie sich dessen Ansicht anschließen wollten, nur weil einmal eine abweichende oberlandesgerichtliche Entscheidung ergangen ist (vgl. BGH, a.a.O.). Dies ist zur Sicherung der Rechtseinheit und damit zur Wahrung des § 179 Abs. 2 Satz 1 GWB nicht erforderlich (vgl. BGH, a.a.O.).
Im Übrigen tritt vorliegend der Umstand hinzu, dass das Oberlandesgericht Celle in seinen im hier maßgeblichen Zusammenhang zitierten Ausführungen vom 7. Juli 2022 entscheidend darauf abgestellt hat, dass die dortige Antragstellerin unstreitig in der Lage gewesen war, ihr Angebot zu kalkulieren. So liegt der Fall hier indes gerade nicht. Vorliegend hat die Antragstellerin vielmehr behauptet, der in Rede stehende - vermeintliche - Vergaberechtsverstoß habe sich auf ihre Preisgestaltung ausgewirkt, weil sie sich in der Phase des Angebotsentwurfs ihrer Leistungsfähigkeit nicht vollständig gewahr gewesen sei.
Der Nachprüfungsantrag ist auch nicht deshalb unzulässig, weil der antragstellerseits gerügte Vergaberechtsverstoß nicht rechtzeitig gerügt worden ist. Die Antragstellerin ist mit ihrer hier maßgeblichen Rüge nicht präkludiert.
Insbesondere bestand keine Obliegenheit der Antragstellerin zu einer entsprechenden Rüge binnen der Angebotsfrist. Eine solche folgt auch nicht aus § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 und Nr. 3 GWB.
Zwar sind nach § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 und Nr. 3 GWB Vergaberechtsverstöße, die aufgrund der Auftragsbekanntmachung oder in den Vergabeunterlagen erkennbar sind, spätestens bis zum Ablauf der Frist zur Bewerbung oder zur Angebotsabgabe gegenüber dem Auftraggeber zu rügen. Hinsichtlich der Erkennbarkeit ist jedoch auf den - objektiven - Maßstab eines durchschnittlich fachkundigen Bieters abzustellen, der die übliche Sorgfalt anwendet (vgl. Senat, Beschluss vom 23. Mai 2022 - Verg 2/22 -; EuGH, NZBau 2015, 306, 311, Rdnr. 55; OLG Schleswig, Beschluss vom 12. November 2020 - 54 Verg 2/20 -; OLG Düsseldorf, NZBau 2019, 742, 744, Rdnr. 25; KG, Beschluss vom 15. Februar 2019 - Verg 9/17 -; OLG Rostock, Beschluss vom 21. Januar 2019 - 17 Verg 8/18 -, BeckRS 2019, 28975, Rdnr. 15; OLG Naumburg, Beschluss vom 16. Dezember 2016 - 7 Verg 6/16 -; BeckOK Gabriel/Mertens/Prieß/Stein-Gabriel/ Mertens, 26. Edition, Stand: 31. Oktober 2022, § 160, Rdnr. 162 f.; Heiermann/Zeiss/Sum- ma-Summa, jurisPK-Vergaberecht, 5. Aufl. 2016, Stand: 21. Juni 2021, § 160 GWB, Rdnr. 267; Ziekow/Völlink-Dicks, Vergaberecht, 4. Aufl. 2020, § 160, Rdnr. 50). Auf die Erkenntnisse beziehungsweise Erkenntnismöglichkeiten des konkreten Unternehmens - hier diejenigen der Antragstellerin - kommt es insoweit nicht an (vgl. OLG Naumburg, a.a.O., m.w.N.; MünchKomm-Jaeger, Wettbewerbsrecht, 4. Aufl. 2022, § 160 GWB, Rdnr. 81). Das Tatbestandsmerkmal der Erkennbarkeit in § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 und Nr. 3 GWB bezieht sich zudem nicht ausschließlich auf die den Vergabeverstoß begründenden Tatsachen, sondern zudem auf deren rechtliche Bewertung als Vergaberechtsverstöße (vgl. Senat, a.a.O.; OLG Düsseldorf, a.a.O.; KG, a.a.O.; OLG Frankfurt am Main, NZBau 2017, 569, 571, Rdnr. 46; MünchKomm-Jaeger, Wettbewerbsrecht, 4. Aufl. 2022, § 160 GWB, Rdnr. 81, m.w.N.; Ziekow/Völlink-Dicks, a.a.O., Rdnr. 48; Burgi/Dreher/Opitz-Horn/Hofmann, Beck'scher Vergaberechtskommentar, 4. Aufl. 2022, § 160 GWB, Rdnr. 50). Erkennbar in diesem Sinne sind nur solche Verstöße, die laienhaft und ohne Anwendung juristischen Sachverstands ins Auge fallen (vgl. OLG Frankfurt am Main, a.a.O.; OLG Naumburg, Beschluss vom 16. Dezember 2016 - 7 Verg 6/16 -; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 3. August 2011 - Verg 30/11 -, BeckRS 2011, 21699). Dabei ist zu beachten, dass ein Durchschnittsbieter im oben dargestellten Sinne weder umfassend die vergaberechtlichen Literatur und Rechtsprechung noch im Einzelnen die Rechtsprechung zur Auslegung der maßgeblichen Bestimmungen kennen muss (vgl. OLG Schleswig, Beschluss vom 28. Oktober 2021 - 54 Verg 5/21 -; OLG Frankfurt, a.a.O.; OLG Naumburg, a.a.O., m.w.N.).
Danach war der hier in Rede stehende Vergaberechtsverstoß nicht erkennbar im Sinne von § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 und Nr. 3 GWB. Denn er gründet gerade auf der vergaberechtlichen Rechtsprechung zur Auslegung der das Gleichheits- und des Transparenzgebot normierenden europarechtlichen Vorschriften. Gegenstand der hier verfahrensgegenständlichen Rüge der Antragstellerin ist nämlich ausschließlich die (Rechts-)Behauptung, die Vergabeunterlagen genügten nicht den seitens des Europäischen Gerichtshofs mit Urteil vom 17. Juni 2021 - C-23/20 - postulierten - vergaberechtlichen Normen bei deren bloßer Lektüre nicht ohne Weiteres zu entnehmenden - Anforderungen. Ohne vorherige anwaltliche Beratung konnte ein durchschnittlich fachkundiger Bieter die hier in Rede stehende Vergaberechtswidrigkeit der verlinkten Vergabeunterlagen in rechtlicher Hinsicht mithin nicht erkennen (vgl. insoweit auch VK Bund, Beschluss vom 26. Oktober 2021 - VK 1-108/21 -).
Eine positive Kenntnis des Vergaberechtsverstoßes durch die Antragstellerin im Sinne eines Erkennens gemäß § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GWB ist ebenfalls nicht feststellbar. Die dem Rügeschreiben vom 16. Mai 2022 beigefügte Vollmacht spricht vielmehr dafür, dass sich die Antragstellerin erst am 13. Mai 2022 hatte anwaltlich beraten zu lassen. Eine frühere Rechtsberatung hat auch die Antragsgegnerin nicht behauptet. Hierfür bestehen auch sonst keine - greifbaren - Anhaltspunkte.
Im Übrigen lag das Rügeschreiben - ausweislich der Vergabeakten - der Antragsgegnerin jedenfalls schon am 17. Mai 2022 vor. In diesem war auch - unter anderem - gerügt worden, dass in den Vergabeunterlagen keine Höchstabnahmemenge angegeben worden sei, "ab deren Erreichen die ausgeschriebene Rahmenvereinbarung endet" (Hervorhebung durch den Senat). Es war also gerade nicht lediglich das Fehlen der Angabe einer Höchstabnahmemenge gerügt worden.
Dass die Antragstellerin schon früher - jedenfalls vor Ablauf der Angebotsfrist - ein Kalkulationsrisiko und Unsicherheiten bei der Beurteilung ihrer Leistungsfähigkeit bemerkt hatte, ändert an alledem nichts. Denn allein die Existenz derartiger Risiken und Unsicherheiten begründet keinen Vergaberechtsverstoß (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 6. September 2017 - Verg 9/17 m.w.N.; Beschluss vom 18. April 2012 - Verg 93/11 -). Dies gilt insbesondere im - hier vorliegenden - Falle der Ausschreibung einer Rahmenvereinbarung (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 18. April 2012 - Verg 93/11 -). Die Vergaberechtswidrigkeit folgt daher erst aus den oben wiedergegebenen seitens des Europäischen Gerichtshofs entwickelten Erwägungen rechtlicher Art. Entscheidend sowohl für die Erkennbarkeit im Sinne von § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 und Nr. 3 GWB (vgl. insoweit Senat, a.a.O.; OLG Düsseldorf, a.a.O.; KG, a.a.O.; OLG Frankfurt am Main, NZBau 2017, 569, 571, Rdnr. 46; MünchKomm-Jaeger, Wettbewerbsrecht, 4. Aufl. 2022, § 160 GWB, Rdnr. 81, m.w.N.; Ziekow/Völlink-Dicks, a.a.O., Rdnr. 48; Burgi/Dreher/Opitz-Horn/Hofmann, Beck'scher Vergaberechtskommentar, 4. Aufl. 2022, § 160 GWB, Rdnr. 50) als auch für die Kenntnis im Sinne von § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GWB (vgl. insoweit BGH, Beschluss vom 26. September 2006 - X ZB 14/06 -; MünchKomm-Jaeger, a.a.O., Rdnr. 56; Burgi/Dreher/Opitz-Horn/Hofmann, a.a.O., Rdnr. 44, m.w.N.) kommt es - auch - auf die rechtliche Wertung an, dass eine Missachtung von Bestimmungen über das Vergabeverfahren vorliegt.
Der Nachprüfungsantrag ist auch begründet. Denn die Antragsgegnerin hat mit den für das hier in Rede stehende Verfahren maßgeblichen Vergabeunterlagen gegen die Grundsätze der Gleichbehandlung (§ 97 Abs. 2 GWB) und der Transparenz (§ 97 Abs. 1 Satz 1 GWB) verstoßen und damit die Antragstellerin in ihren aus den vorzitierten Normen folgenden Rechten verletzt.
Nach § 97 Abs. 2 GWB sind alle Teilnehmer an einem Vergabeverfahren gleich zu behandeln, es sei denn, eine Ungleichbehandlung ist aufgrund dieses Gesetzes ausdrücklich geboten oder gestattet. Zudem ist das Vergabeverfahren nach § 97 Abs. 1 Satz 1 GWB transparent zu gestalten. Beiden Verfahrensmaximen - Gleichbehandlungsgrundsatz und Transparenzgebot - kommt bieterschützender Charakter zu (vgl. BGH, NZBau 2005, 290, 295; Gabriel/Krohn/Neun-Freytag, Handbuch Vergaberecht, 3. Aufl. 2021, § 38, Rdnr. 62, m.w.N., Ziekow/Völlink-Ziekow, Vergaberecht, 4. Aufl. 2020, § 97, Rdnr. 22 und Rdnr. 43; Pünder/Schellenberg-Fehling, Vergaberecht, 3. Aufl. 2019, § 97, Rdnr. 158, m.w.N.).
Sie gebieten unter anderem, dass im Falle der Ausschreibung einer Rahmenvereinbarung in der entsprechenden (Auftrags-)Bekanntmachung und/oder in den Vergabeunterlagen sowohl die Schätzmenge und/oder der Schätzwert als auch eine Höchstmenge und/oder ein Höchstwert der gemäß der Rahmenvereinbarung zu erbringenden Dienstleistungen beziehungsweise der zu liefernden Waren anzugeben sind, und dass die Rahmenvereinbarung ihre Wirkung verliert, wenn diese Menge oder dieser Wert erreicht ist (vgl. EuGH, Urteil vom 17. Juni 2021 - Rs. C-23/20 -, Tenor Ziffer 1. und Rdnr. 61, Rdnr. 68 sowie Rdnr. 71). Dass der öffentliche Auftraggeber die Schätzmenge und/oder den Schätzwert sowie eine Höchstmenge und/oder einen Höchstwert der gemäß einer Rahmenvereinbarung zu erbringenden Dienstleistungen beziehungsweise der zu liefernden Waren angibt, ist für den Bieter von erheblicher Bedeutung, da er auf der Grundlage dieser Schätzung seine Leistungsfähigkeit zur Erfüllung der Verpflichtungen aus der Rahmenvereinbarung beurteilen kann (vgl. EuGH, a.a.O., Rdnr. 63). Wäre der Höchstwert oder die Höchstmenge der Rahmenvereinbarung nicht angegeben oder die Angabe nicht rechtlich verbindlich, könnten sich öffentliche Auftraggeber zudem über diese Höchstmenge hinwegsetzen (vgl. EuGH, a.a.O., Rdnr. 64). Dann könnten Zuschlagsempfänger wegen Nichterfüllung der Rahmenvereinbarung vertraglich haftbar gemacht werden, wenn sie die von den öffentlichen Auftraggebern geforderten Mengen nicht leisten könnten, selbst wenn diese Mengen die Höchstmenge in der Bekanntmachung und/oder den Vergabeunterlagen überschreiten (vgl. EuGH, a.a.O.).
Diesen Anforderungen sind die hier maßgeblichen Vergabeunterlagen nicht gerecht geworden. Denn ihre Auslegung ergibt eindeutig, dass eine Überschreitung des Höchstwerts der zu erbringenden Dienstleistungen nach der ausgeschriebenen Rahmenvereinbarung gerade nicht ohne Weiteres zu einem Erlöschen der Leistungspflicht des Auftragnehmers führen soll. Vielmehr wird dem öffentlichen Auftraggeber - der Antragsgegnerin - die Möglichkeit eröffnet sich über die "Höchstmenge" der Dienstleistungen hinwegzusetzen.
Dabei verkennt der Senat nicht, dass in der Regel allein die Angabe einer Höchstmenge und/oder eines Höchstwerts der gemäß der ausgeschriebenen Rahmenvereinbarung zu erbringenden Dienstleistungen beziehungsweise der zu liefernden Waren dazu führt, dass sich der öffentliche Auftraggeber nur bis zu dieser Höchstmenge und/oder des Höchstwerts verpflichten kann und die Rahmenvereinbarung damit ohne Weiteres ihre Wirkung verliert, wenn die Menge oder der Wert erreicht ist (vgl. EuGH, Urteil vom 14. Juli 2022 - Rs. C-274/21 und Rs. C-275/21 -, Rdnr. 66, m.w.N.). Hier bestehen aber tatsächliche Besonderheiten des vorliegenden Einzelfalls, die zu der Feststellung führen, dass mit der ausgeschriebenen Rahmenvereinbarung eine von dieser Regel abweichende Ausnahme vereinbart werden sollte.
Die Frage, welcher Erklärungswert den maßgeblichen Teilen der Vergabeunterlagen zukommt, ist nämlich nach den für die Auslegung von Willenserklärungen geltenden Grundsätzen (§§ 133, 157 BGB) zu entscheiden (vgl. BGH, NZBau 2014, 185, 188, Rdnr. 31; 2013, 180, 181, Rdnr. 9; 2008, 592, 592, Rdnr. 10; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 8. Juni 2022 - Verg 19/22 -, Rdnr. 36; NZBau 2018, 563, 565, Rdnr. 31; 242, 245, Rdnr. 41; OLG Celle, Beschluss vom 18. November 2021 - 13 Verg 6/21 -; OLG Rostock, Beschluss vom 30. September 2021 - 17 Verg 3/21 - OLG Dresden, Beschluss vom 5. Februar 2021 - Verg 4/20 -). Dabei ist im Rahmen einer normativen Auslegung auf den objektiven Empfängerhorizont der potenziellen Bieter beziehungsweise Bewerber, also einen abstrakten Adressatenkreis, abzustellen (BGH, a.a.O.; NZBau 2012, 513, 514, Rdnr. 10; NJW-RR 1993, 1109, 1110; OLG Düsseldorf, a.a.O.; OLG Rostock, a.a.O.). Es kommt nicht darauf an, wie die Antragstellerin als einzelne Bieterin die Unterlagen verstanden hat, sondern wie der durchschnittliche Bieter des angesprochenen Bewerberkreises sie verstehen musste oder konnte (vgl. BGH, NJW-RR 1993, 1109, 1110; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 8. Juni 2022 - Verg 19/22 -; NZBau 2018, 563, 565, Rdnr. 31; 242, 245, Rdnr. 41). Entscheidend ist die Verständnismöglichkeit aus der Perspektive eines verständigen und mit der ausgeschriebenen Leistung vertrauten Unternehmens, das über das für eine Angebotsabgabe oder die Abgabe eines Teilnahmeantrags erforderliche Fachwissen verfügt (vgl. OLG Düsseldorf, a.a.O., m.w.N.).
Von diesen Grundsätzen ausgehend sind die hier maßgeblichen Vergabeunterlagen im oben genannten Sinne auszulegen. Denn Ziffer 2.4 des bei den Vergabeunterlagen befindlichen Entwurfs der abzuschließenden Rahmenvereinbarung sieht ein Kündigungsrecht des Auftraggebers für den Fall vor, dass das diesem genehmigte Budget in Höhe von ... Euro (netto) aufgrund bereits erteilter Aufträge ausgeschöpft ist. Zudem entspricht dieses genehmigte Budget seiner Höhe nach gerade dem in den Vergabeunterlagen als solches bezeichneten und ebenfalls mit ... Euro (netto) bezifferten maximalen Auftragsvolumen der ausgeschriebenen Rahmenvereinbarung. Die Regelung des Kündigungsrechts in Ziffer 2.4 der Rahmenvereinbarung hätte folglich keinerlei Sinn, wenn eine Überschreitung des Höchstwerts der zu erbringenden Dienstleistungen von ... Euro ohne Weiteres zu einem Erlöschen der Leistungspflicht des Auftragnehmers führen sollte. Eines Kündigungsrechts bedürfte es dann schlichtweg nicht.
Ein entsprechendes Erfordernis folgt auch - anders als die Antragsgegnerin meint - nicht aus der Gefahr einer Doppelausschreibung. Denn ohne ein entsprechendes Kündigungsrecht würde die Rahmenvereinbarung - wie oben bereits dargestellt - ohne Weiteres mit Erreichen der angegebenen Höchstmenge und/oder des Höchstwerts der zu erbringenden Dienstleistungen beziehungsweise der zu liefernden Waren "automatisch" ihre Wirkung verlieren (vgl. EuGH, Urteil vom 14. Juli 2022 - Rs. C-274/21 und Rs. C-275/21 -, Rdnr. 66, m.w.N.). Die Gefahr, bei einem sich überschneidenden Leistungszeitraum zwei Rahmenvereinbarungen abzuschließen, hätte damit auch bei einem Verzicht auf das hier in Rede stehende Kündigungsrecht nicht bestanden.
Dieses war auch nicht erforderlich, um der Antragsgegnerin die Möglichkeit einer Auftragsänderung während der Vertragslaufzeit (§ 132 GWB) offen zu halten. Denn eine entsprechende Änderungsmöglichkeit besteht gerade auch dann, wenn kein Kündigungsrecht wie das hier in Rede stehende vereinbart ist und die Rahmenvereinbarung ohne Weiteres mit Erreichen der angegebenen Höchstmenge und/oder des Höchstwerts der zu erbringenden Dienstleistungen beziehungsweise der zu liefernden Waren ihre Wirkung verliert (vgl. EuGH, a.a.O., Rdnr. 67, m.w.N.).
In diesem Zusammenhang verkennt der Senat auch nicht, dass im Rahmen eines formalisierten Vergabeverfahrens abgegebene Erklärungen des Auftraggebers regelmäßig so zu verstehen sind, dass sie im Einklang mit den vergaberechtlichen Bestimmungen stehen (vgl. BGH, Urteil vom 25. November 2010 - VII ZR 201/08 -; Urteil vom 10. September 2009 - VII ZR 152/08 -). Dies gilt jedoch nur "im Zweifel" (vgl. BGH, Urteil vom 6. September 2012 - VII ZR 193/10 -), also im Falle eines ansonsten nicht eindeutigen Auslegungsergebnisses. Ein solches liegt hier indes - wie sich den vorstehenden Ausführungen entnehmen lässt - gerade nicht vor.
Der nach alledem vorliegende Verfahrensfehler hat die Antragstellerin auch in ihren Rechten verletzt (§ 168 Abs. 1 Satz 1 GWB). Die Feststellung einer subjektiven Rechtsverletzung setzt nicht die Feststellung voraus, dass die Antragstellerin bei Einhaltung der Vergabevorschriften den Zuschlag erhalten hätte (vgl. OLG München, Beschluss vom 21. September 2018 - Verg 04/18 -). Es reicht vielmehr aus, dass nicht oder nicht zuverlässig beurteilt werden kann, ob die Antragstellerin bei vergaberechtskonformer Korrektur des Verfahrens in der Wertung den ersten Platz erringen kann (vgl. OLG München, a.a.O.). So liegt der Fall hier. Es ist nämlich nicht auszuschließen, dass im Falle einer Neuausschreibung mit den seitens des Europäischen Gerichtshofs mit Urteil vom 17. Juni 2021 - C-23/20 - postulierten Anforderungen entsprechenden Vergabeunterlagen die Antragstellerin eventuell den Zuschlag erhalten kann (vgl. insoweit auch OLG München, Beschluss vom 21. Mai 2010 - Verg 2/10 -, BeckRS 13748; BeckOK Gabriel/Mertens/Prieß/Stein-Prell, 26. Edition, Stand: 31. Oktober 2022, § 168, Rdnr. 27).
Nach alledem ist das Vergabeverfahren nach § 168 Abs. 1 Satz 1 GWB analog (vgl. OLG Schleswig, Beschluss vom 19. September 2022 - 54 Verg 3/22 -; Ziekow/Völlink-Steck, Vergaberecht, 4. Aufl. 2020, § 178 GWB, Rdnr. 11) in den Stand vor der Auftragsbekanntmachung zurückzuversetzen. Denn die Antragsgegnerin hat - eine fortbestehende Beschaffungsabsicht vorausgesetzt - die Vergabeunterlagen der Rechtsauffassung des Senats entsprechend zu überarbeiten und den Bietern erneut Gelegenheit zur Abgabe eines Angebots zu geben. Die Vergabeunterlagen waren den Bietern indes bereits mit der Auftragsbekanntmachung über einen in diese aufgenommenen Internet-Link zur Verfügung gestellt worden.
Soweit der Senat vorliegend eine Auslegung des relevanten Europarechts vorgenommen hat, bedurfte es auch eines Vorabentscheidungsersuchens an den Europäischen Gerichtshof nach Art. 267 Abs. 3 AEUV - anders als die Antragsgegnerin meint - nicht. Denn die seitens des Senats zur Anwendung gebrachten europarechtlichen Grundsätze sind - wie sich den entsprechenden obigen Zitaten entnehmen lässt - allesamt bereits seitens des Europäischen Gerichtshofs geklärt. Im Übrigen hat der Senat diese Grundsätze lediglich auf den vorliegend als Entscheidungsgrundlage zur Verfügung stehenden Sachverhalt angewandt.
Das antragsgegnerseits eingelegte Rechtsmittel ist zwar ebenfalls zulässig - insbesondere statthaft (§ 171 Abs. 1 Satz 1 GWB), der gesetzlichen Form (§ 172 Abs. 3, 175 Abs. 2, 72 Nr. 2 GWB, 130d Satz 1, 130a Absätze 1 bis 3, Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 ZPO) und Frist (§§ 172 Abs. 1, 175 Abs. 2, 72 Nr. 2 GWB, 130a Abs. 5 Satz 1 ZPO) gemäß eingelegt sowie form- und fristgerecht begründet (§ 172 Abs. 2, 175 Abs. 2, 72 Nr. 2 GWB, 130d Satz 1, 130a Absätze 1 bis 3, Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 ZPO) worden - aber unbegründet. Aufgrund des Erfolgs der antragstellerseits eingelegten Beschwerde und damit des verfahrensgegenständlichen Nachprüfungsantrags sowie der entsprechenden Kostenfolge (§§ 182 Abs. 3 Satz 1, Abs. 4 Satz 1 GWB) sind die antragsgegnerseits im Verfahren vor der Vergabekammer aufgewandten Gebühren und Auslagen ihrer Verfahrensbevollmächtigten nicht erstattungsfähig. Ein Ausspruch über die Notwendigkeit der antragsgegnerseits erfolgten Hinzuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten im Verfahren vor der Vergabekammer - wie seitens der Antragsgegnerin mit ihrem Rechtsmittel begehrt - ist damit nicht veranlasst.
Die das Beschwerdeverfahren betreffende Kostenentscheidung folgt aus §§ 175 Abs. 2, 71 Sätze 1 und 2 GWB. Es entspricht der Billigkeit, der Antragsgegnerin die durch das begründete Rechtsmittel der Antragstellerin sowie die durch ihr eigenes unbegründetes Rechtsmittel entstandenen Kosten aufzuerlegen. Ebenfalls aus Gründen der Billigkeit trägt die Beigeladene, die im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Senat keinen Antrag gestellt und sich auch sonst nicht in einem nennenswerten Umfang am Beschwerdeverfahren beteiligt hat, ihre Kosten selbst (vgl. insoweit auch OLG Düsseldorf, Beschluss vom 15. Juli 2020 - Verg 40/19 -).
Die das Verfahren vor der Vergabekammer betreffende Kostenentscheidung beruht auf den §§ 182 Abs. 3 Satz 1, Abs. 4 Satz 1 GWB.
Der Ausspruch über die Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten im Verfahren vor der Vergabekammer folgt aus § 182 Abs. 4 Satz 4 GWB i.V.m. §§ 1 Abs. 1 LVwVfG Rh.-Pf., 19 Abs. 2 AGVwGO Rh.-Pf. Die Erstattungsfähigkeit der antragstellerischen Rechtsanwaltskosten für den Beschwerderechtszug bedurfte keiner Tenorierung; sie folgt unmittelbar kraft Gesetzes aus § 175 Abs. 1 Satz 1 GWB (vgl. OLG Rostock, Beschluss vom 9. Dezember 2020 - 17 Verg 4/20 -).
Die Festsetzung des Streitwertes folgt aus §§ 50 Abs. 2, 45 Abs. 2, Abs. 1 Satz 1 GKG, 3 ZPO analog.
Insoweit entfallen ... Euro auf den Streitwert der antragstellerseits eingelegten Beschwerde. Dies folgt aus § 50 Abs. 2 GKG
Danach beträgt der Streitwert im Verfahren über die Beschwerde gegen eine Entscheidung der Vergabekammer 5 % der Bruttoauftragssumme als pauschalierte Gewinnerwartung des Antragstellers bzw. Beschwerdeführers (vgl. BeckOK Dörndorfer/Wendtland/Gerlach/Diehn- Toussaint, Kostenrecht, 39. Edition, Stand: 1. Oktober 2022, § 50 GKG, Rdnr. 26), hier also derjenigen der Antragstellerin. Diese entspricht grundsätzlich dem Preis, den der Bieter für seine Leistung vom Auftraggeber als Gegenleistung fordert, und ist daher im Regelfall - wie auch hier - dem Angebot des Antragstellers bzw. Beschwerdeführers (hier: der Antragstellerin) zu entnehmen (vgl. BGH, NZBau 2014, 452, 453, Rdnr. 7; OLG Naumburg, Beschluss vom 30. Dezember 2002 - 1 Verg 11/02 -; BeckOK Dörndorfer/Wendtland/ Gerlach/Diehn-Toussaint, a.a.O., Rdnr. 24; Schneider/Volpert/Fölsch-Fölsch, Gesamtes Kostenrecht, 3. Aufl. 2021, § 50 GKG, Rdnr. 33). Insoweit war hinsichtlich der optional möglichen Zeiträume etwaiger Vertragsverlängerungen allerdings ein Abschlag von 50 % vorzunehmen (vgl. BGH, NZBau 2014, 452, 454, Rdnr. 10 bis Rdnr. 13).
Auf den Streitwert des Rechtsmittels der Antragsgegnerin entfallen weitere ... Euro. Dies beruht auf § 3 ZPO analog.
Richtet sich ein Rechtsmittel nämlich - wie hier - nur gegen die Kostenentscheidung der Vergabekammer (oder einen Teil davon), findet § 50 Abs. 2 GKG keine Anwendung. Der Gegenstandswert ist vielmehr in entsprechender Anwendung von § 3 ZPO nach freiem Ermessen festzusetzen; es kommt in Wesentlichen darauf an, welches finanzielle Interesse der Rechtsmittelführer mit seinem Bestreben nach Abänderung der angefochtenen Entscheidung verfolgt (vgl. zu allem Vorstehenden Senat, Beschluss vom 17. Juni 2020 - Verg 1/20 -; Beschluss vom 16. Januar 2017 - Verg 5/16 -; OLG Brandenburg, Beschluss vom 21. Mai 2012 - Verg W 1/12 -; OLG Dresden, Beschluss vom 10. Juni 2010 - WVerg 0004/10 -).
Der hier in Rede stehende Wert ist folglich entsprechend der streitigen Verfahrenskosten zu bemessen. Diese bestehen aus den antragsgegnerseits im Verfahren vor der Vergabekammer aufgewandten Gebühren und Auslagen ihrer Verfahrensbevollmächtigten. Denn mit ihrem Rechtsmittel verfolgt die Antragsgegnerin das Ziel, deren Erstattungsfähigkeit herbeizuführen.
Die entsprechenden Gebühren der Verfahrensbevollmächtigten der Antragsgegnerin sind - ausgehend von einem Gegenstandswert in Höhe von ... Euro (s.o.) und der Angemessenheit einer 2,0-fachen Gebühr (vgl. insoweit Senat, a.a.O., Rdnr. 27; OLG München, Beschluss vom 27. August 2009 - Verg 4/09 -, BeckRS 2009, 27006; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 22. Juli 2005 - Verg 83/04 -; Ziekow/Völlink-Losch, Vergaberecht, 4. Aufl. 2020, § 182 GWB, Rdnr. 68, jew. m.w.N.) - hier wie folgt in Ansatz zu bringen: ...
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KG
Beschluss
vom 09.03.2022
Verg 3/18
1. Die Entscheidung, wer nach einer Erledigung des Nachprüfungsverfahrens in der Hauptsache durch Antragsrücknahme die Kosten zu tragen hat, erfolgt nach billigem Ermessen.
2. Billigem Ermessen entspricht grundsätzlich eine Verteilung der Kosten nach Maßgabe des voraussichtlichen Erfolgs des Nachprüfungsantrags, wobei es nur einer summarischen Prüfung der Erfolgsaussichten nach dem Sach- und Streitstand zum Zeitpunkt der Erledigung bedarf.
3. Neben den Erfolgsaussichten können auch weitere Umstände bei der Billigkeitsentscheidung zu berücksichtigen sein, insbesondere der Gesichtspunkt, inwieweit die Beteiligten die Entstehung der Kosten und die Führung des Nachprüfungsverfahrens veranlasst haben.
4. Es erscheint widersprüchlich und rechtsmissbräuchlich, wenn der Antragsgegner sein Konzeptverfahren wie ein kartellvergaberechtliches Verfahren durch öffentliche europaweite Bekanntmachung ausgeschrieben hat, zugleich aber in der Ausschreibung und auch sonst zu erkennen gegeben hat, dass er das kartellvergaberechtliche Verfahren nicht für statthaft hält.
5. Ein öffentlicher Auftraggeber kann nicht offenlassen, ob ein von ihm betriebenes Konzeptverfahren als Vergabeverfahren ausschreibungspflichtig ist oder nicht.
vorhergehend:
VK Berlin, 19.02.2018 - VK B 2-27/17
Tenor
Auf die sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin zu 1) wird der Beschluss der Vergabekammer des Landes Berlin, 2. Beschlussabteilung, vom 19. Februar 2018 - VK B 2-27/17 - dahin abgeändert, dass die Verfahrensgebühr auf 6.900 Euro festgesetzt wird, und klargestellt, dass die Antragsgegnerin zu 1) die Verfahrensgebühr, von deren Zahlung der Antragsgegner zu 2) befreit ist, zur Hälfte zu tragen hat.
Im Übrigen werden die sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin zu 1) zurückgewiesen und die sofortige Beschwerde des Antragsgegners zu 2) als unzulässig verworfen.
Die gerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens sowie die außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin haben die Antragsgegner je zur Hälfte zu tragen; im Übrigen sind Kosten nicht zu erstatten.
Der Streitwert des Beschwerdeverfahrens wird auf 8.025 Euro festgesetzt.
Gründe:
A.
Die B. GmbH (B.) führte im Auftrag der Antragsgegner ein Konzeptverfahren durch, das die Veräußerung von Grundstücken unter Bindung des Erwerbers an städtebauliche Vorgaben durch Verpflichtungen zur Bebauung und bei der Nutzung der Grundstücke zum Gegenstand hatte. Dieses Konzeptverfahren gab die B. als ein kartellvergaberechtliches Vergabeverfahren in Form eines Teilnahmewettbewerbs mit anschließendem Verhandlungsverfahren mit europaweiter Ausschreibung vom 16. März 2016 bekannt. In der Bekanntmachung wies sie darauf hin, dass keine förmliche Ausschreibungspflicht bestehe und der Rechtsweg zur Vergabekammer nicht eröffnet sei.
Nachdem die B. der Antragstellerin mitgeteilt hatte, dass ihr Angebot nicht berücksichtigt werden könne, weil es nicht das wirtschaftlichste sei, und die Antragstellerin erfolglos die Angebotswertung gerügt hatte, hat sie bei der Vergabekammer einen Nachprüfungsantrag gestellt.
In der mündlichen Verhandlung vor der Vergabekammer haben die Antragsgegner erklärt, das Konzeptverfahren in den Stand vor Abgabe der finalen Angebote zurückzuversetzen, alle vorhandenen Bieter erneut zur Abgabe von Angeboten aufzufordern und die notwendigen Aufwendungen der Antragstellerin in dem Nachprüfungsverfahren vor der Vergabekammer zu übernehmen. Die Antragstellerin hat daraufhin ihren Nachprüfungsantrag zurückgenommen.
Mit Beschluss vom 19. Februar 2018 hat die Vergabekammer die Kosten ihres Verfahrens und die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen der Antragstellerin den Antragsgegnern auferlegt. Dies entspreche billigem Ermessen, weil sich die Antragsgegner durch die Rückversetzung des Verfahrens freiwillig in die Rolle der Unterlegenen begeben hätten. Die Verfahrensgebühr hat die Vergabekammer auf 8.025 Euro festgesetzt, wobei sie von einem Auftragswert von 20 Millionen Euro ausgegangen ist. Hierbei hat sie den von dem Erwerber zu zahlenden Mindestkaufpreis zuzüglich seiner voraussichtlichen Investitionen sowie der Kosten aus der vorgegebenen Nutzung zugrunde gelegt.
Mit ihren sofortigen Beschwerden wenden sich die Antragsgegner gegen die Auferlegung der Kosten des Verfahrens vor der Vergabekammer und hilfsweise gegen die Höhe der Verfahrensgebühr.
Im Einzelnen stellen sie folgende Anträge:
1. beide Antragsgegner, den Beschluss der Vergabekammer aufzuheben, soweit ihnen die Kosten des Verfahrens vor der Vergabekammer auferlegt werden und die Verfahrensgebühren auf 8.025 Euro festgesetzt worden sind;
2. nur der Antragsgegner zu 2) hilfsweise, den angefochtenen Beschluss insoweit aufzuheben, als dieser für ihn eine Kostentragungslast ausspricht;
3. die Antragsgegnerin zu 1) hilfsweise und der Antragsgegner zu 2) äußerst hilfsweise, den angefochtenen Beschluss hinsichtlich der Höhe der Verfahrensgebühr aufzuheben und diese neu festzusetzen.
Die Antragstellerin beantragt,
die sofortige Beschwerde zurückzuweisen.
Die Beigeladene hat sich im Beschwerdeverfahren nicht geäußert und keinen Antrag gestellt.
B.
Über die sofortigen Beschwerden der Antragsgegner war gemäß § 186 Abs. 2 GWB noch nach dem bis zum 18. April 2016 geltenden Kartellvergaberecht zu entscheiden, weil das Vergabeverfahren vor diesem Zeitpunkt begonnen hat, nämlich mit der Bekanntmachung des Konzeptverfahrens durch die B. im Supplement zum Amtsblatt der Europäischen Union vom 16. März 2016. Hierbei konnte der Senat abweichend von dem über die Verweisung des § 120 Abs. 2 GWB a.F. (entspricht § 175 Abs. 2 GWB ) nur für die Hauptsacheentscheidung geltenden § 69 Abs. 1 GWB a.F. (jetzt § 65 Abs. 1 GWB ) von einer mündlichen Verhandlung absehen (vgl. OLG Jena, Beschluss vom 4. April 2003 - 6 Verg 4/03 -; Frister in: Ziekow/Völlink, Vergaberecht, 4. Auflage 2020, § 175 Rn. 5).
C.
Die sofortigen Beschwerden der Antragsgegner bleiben weitgehend ohne Erfolg.
I.
Die sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin zu 1) gegen die Kostenentscheidung der Vergabekammer vom 19. Februar 2018 ist zulässig, hinsichtlich des Hauptantrags jedoch insgesamt unbegründet und hinsichtlich des Hilfsantrags zu 3. teilweise begründet, im Übrigen unbegründet.
1. Die von der Antragsgegnerin zu 1) isoliert gegen die Kostenentscheidung der Vergabekammer erhobene sofortige Beschwerde ist nach § 116 Abs. 1 S. 1 GWB a.F. (§ 171 Abs. 1 S. 1 GWB ) statthaft und auch sonst zulässig, insbesondere nach Maßgabe von § 117 GWB a.F. (§ 172 GWB ) form- und fristgerecht eingelegt. Schon nach dem Wortlaut des § 116 Abs. 1 S. 1 GWB a.F. ist der Rechtsbehelf allgemein gegen "Entscheidungen der Vergabekammer" eröffnet, mithin auch isoliert gegen ihre Kostenentscheidung oder eine selbständige Entscheidung darstellende Teile der Kostenentscheidung, wie hier die Entscheidung über die Verteilung der Verwaltungskosten und die Höhe der Verfahrensgebühr; dies folgt im Übrigen auch aus § 128 Abs. 2 S. 2 GWB a.F. (§ 182 Abs. 1 S. 2 GWB ) in Verbindung mit § 22 Abs. 1 VwKostG , der ausdrücklich die isolierte Anfechtung der Entscheidung über die Verwaltungskosten zulässt (BGH, Beschluss vom 25. Oktober 2011 - X ZB 5/10 -).
2. Die sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin zu 1) ist mit dem gegen ihre Kostentragung gerichteten Hauptantrag unbegründet und wegen der hilfsweise beanstandeten Verfahrensgebühr teilweise begründet, im Übrigen unbegründet.
a) Die Vergabekammer hat den Antragsgegnern die Kosten des Nachprüfungsverfahrens im Ergebnis zu Recht auferlegt.
aa) Nach § 128 Abs. 3 S. 5 GWB a.F. (§ 182 Abs. 3 S. 5 GWB ) erfolgt die Entscheidung, wer die Kosten zu tragen hat, nach einer Erledigung des Nachprüfungsverfahrens in der Hauptsache durch Antragsrücknahme nach billigem Ermessen. Billigem Ermessen entspricht grundsätzlich eine Verteilung der Kosten nach Maßgabe des voraussichtlichen Erfolges des Nachprüfungsantrages (BGH, Beschluss vom 25. Januar 2012 - X ZB 3/11 -; Damaske in: Müller-Wrede, GWB Vergaberecht, 1. Auflage 2016, § 182 Rn. 79 m.w.N.), wobei es nur einer summarischen Prüfung der Erfolgsaussichten nach dem Sach- und Streitstand zum Zeitpunkt der Erledigung bedarf (OLG Frankfurt, Beschluss vom 4. März 2015 - 11 Verg 10/14 -; Summa in: Heiermann/Zeiss/Summa, jurisPK-Vergaberecht, 5. Auflage 2016, Stand 18. Mai 2021, § 175 GWB Rn. 72). Neben den Erfolgsaussichten können auch weitere Umstände bei der Billigkeitsentscheidung zu berücksichtigen sein, insbesondere der Gesichtspunkt, inwieweit die Beteiligten die Entstehung der Kosten und die Führung des Nachprüfungsverfahrens veranlasst haben (vgl. BGH, Beschluss vom 25. Januar 2012 - X ZB 3/11 -). Im Beschwerdeverfahren über die Kostenentscheidung der Vergabekammer hat der Vergabesenat die Entscheidung der Vergabekammer wegen des ihr eingeräumten Ermessensspielraums bei der Billigkeitsentscheidung über die Kosten nur auf Ermessensfehler zu überprüfen und ist bei Feststellung solcher Fehler zu einer eigenen Ermessensausübung berufen (vgl. Damaske, a.a.O., § 182 Rn. 50 f. m.w.N. für die entsprechende Lage bei der Gebührenfestsetzung).
bb) Nach diesen Grundsätzen hat die Entscheidung der Vergabekammer, den Antragsgegnern die Kosten des bei ihr geführten Verfahrens aufzuerlegen, nur im Ergebnis Bestand.
(1) Die Entscheidung der Vergabekammer zur Kostentragung weist Ermessensfehler auf. Mit den von ihr angestellten Erwägungen konnte sie den Antragsgegnern vorliegend nicht die Kosten auferlegen, weil sie der Rückversetzung des Vergabeverfahrens durch die Antragsgegner eine unzutreffende Bedeutung zugemessen und für die Kostenverteilung wesentliche Gesichtspunkte nicht gewürdigt hat. So haben die Antragsgegner mit der Rückversetzung des Verfahrens zwar den von der Antragstellerin erhobenen Rügen abgeholfen und lässt dies den Schluss zu, dass die Rügen begründet waren. Daraus folgte hier aber gerade nicht, dass sich die Antragsgegner "freiwillig in die Rolle der Unterlegenen begeben haben", wie die Vergabekammer meint. Denn es war zwischen den Beteiligten streitig, ob das Nachprüfungsverfahren überhaupt statthaft war. Dass sich die Antragsgegner die von der Vergabekammer geteilte Auffassung der Antragstellerin zueigen gemacht hätten, das Nachprüfungsverfahren sei statthaft, kann weder dem Protokoll der mündlichen Verhandlung vor der Vergabekammer noch sonstigen Äußerungen der Antragsgegner entnommen werden noch finden sich entsprechende Feststellungen in dem angefochtenen Beschluss. Dass die Antragsgegner die außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin übernommen haben, ist insoweit unergiebig, weil sie die Kosten gerade nicht vollständig übernommen haben, was bei einem vollen Eingeständnis des Unterliegens naheliegend gewesen wäre. Den danach für die Kostentragung grundsätzlich erheblichen Umstand, ob der Nachprüfungsantrag überhaupt statthaft war, hat die Vergabekammer bei ihrer Entscheidung über die Verteilung der Kosten ebensowenig berücksichtigt wie weitere Gesichtspunkte, die im Rahmen der Billigkeitsentscheidung ersichtlich bedeutsam waren, insbesondere dass die für die Antragsgegner tätige B. eine kartellvergaberechtliche Ausschreibung mit dem offen erklärten Vorbehalt durchgeführt hat, es handele sich um kein ausschreibungspflichtiges Vergabeverfahren.
(2) Auch wenn sich die Entscheidung der Vergabekammer über die Kostentragung danach als ermessensfehlerhaft erweist, kommt der Senat aufgrund der von ihm vorgenommenen Würdigung zu demselben Ergebnis wie die Vergabekammer, nämlich dass es vorliegend billigem Ermessen entspricht, den Antragsgegnern nach § 128 Abs. 3 S. 5 GWB a.F. (§ 182 Abs. 3 S. 5 GWB ) die Verwaltungskosten des Verfahrens vor der Vergabekammer aufzuerlegen.
(a) Hierbei ist mit der Vergabekammer mangels abweichender Anhaltspunkte davon auszugehen, dass die Antragsgegner die ihnen von der Antragstellerin zur Last gelegten Mängel bei der Angebotswertung eingeräumt und deswegen ihr Konzeptverfahren zurückversetzt haben. Mithin kann auch angenommen werden, dass sie voraussichtlich in dem Vergabenachprüfungsverfahren ohne Erledigung ihres Antrags durch die Abhilfe der erhobenen Rügen unterlegen gewesen wären, wenn das Verfahren statthaft gewesen sein sollte. Dann hätten sie gemäß § 128 Abs. 3 S. 1 GWB a.F. (§ 182 Abs. 3 S. 1 GWB) als Unterlegene die Kosten zu tragen gehabt. Dies und nicht die von der Vergabekammer für maßgeblich gehaltene angebliche Unterwerfung ist der maßgebliche Gesichtspunkt, warum eine Kostenauferlegung nach Erledigung des Nachprüfungsverfahrens in der Hauptsache dann billigem Ermessen entsprochen hätte.
(b) Indes war hier gerade nicht klar, ob die Antragstellerin mit ihrem Nachprüfungsantrag Erfolg gehabt hätte, weil dessen Statthaftigkeit zweifelhaft war.
(aa) Insbesondere war zwischen den Beteiligten streitig, ob es sich bei dem von den Antragsgegnern angestrebten Grundstücksverkauf im Hinblick auf die von dem Erwerber zu übernehmenden Bauverpflichtungen um einen dem Kartellvergaberecht unterfallenden Bauauftrag im Sinne des § 99 Abs. 3 GWB a.F. (§ 103 Abs. 3 GWB) handelte. Dafür, dass dies nicht der Fall war, sprechen gewichtige Umstände. In der Regel ist die Veräußerung von im kommunalen oder staatlichen Eigentum stehenden Grundstücken nicht als öffentlicher Bauauftrag im Sinne des § 99 Abs. 3 GWB a.F. (§ 103 Abs. 1 GWB ) zu qualifizieren, weil dem Kartellvergaberecht lediglich Beschaffungsvorgänge öffentlicher Auftraggeber unterliegen, nicht aber Veräußerungsgeschäfte (BGH, Urteil vom 22. Februar 2008 - V ZR 56/07 -; Ziekow in: Ziekow/Völlink, Vergaberecht, 4. Auflage 2020, § 103 GWB Rn. 51). Ausnahmsweise kann eine Grundstücksveräußerung aber dann ein öffentlicher Auftrag im Sinne des § 99 GWB a.F. (§ 103 GWB) sein, wenn sie der öffentliche Auftraggeber zur Verfolgung von Beschaffungszwecken nutzt (OLG Jena, Beschluss vom 15. März 2017 - 2 Verg 3/16 -; Ziekow, a.a.O., § 103 GWB Rn. 52). Maßgeblich ist, ob bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise das Veräußerungsgeschäft dem Einkauf einer Leistung gleichkommt (OLG Karlsruhe, Beschluss vom 16. November 2016 - 15 Verg 5/16 -). Dafür dürfte es aber nicht genügen, wenn der öffentliche Auftraggeber lediglich in dem Veräußerungsvertrag seine städtebaulichen Ziele durch allgemein gehaltene Bauverpflichtungen und Nutzungsbindungen durchzusetzen sucht, ohne dass der Erwerber, einem Bauvertrag entsprechend konkrete Bauleistungen zu erbringen haben soll (vgl. OLG Jena, Beschluss vom 15. März 2017 - 2 Verg 3/16 -).
(bb) Letztlich kann aber dahinstehen, ob das Konzeptverfahren der Antragsgegner nach den genannten Vorgaben einen Bauauftrag im Sinne des § 99 Abs. 3 GWB a.F. (§ 103 Abs. 3 GWB) zum Gegenstand hatte. Denn selbst dann, wenn das kartellvergaberechtliche Nachprüfungsverfahren nach den §§ 155 ff. GWB hier nicht statthaft gewesen sein sollte, entspricht es billigem Ermessen, den Antragsgegnern die Kosten des Verfahrens vor der Vergabekammer aufzuerlegen.
Die Antragsgegner, vertreten durch die B., tragen nämlich unabhängig von der Statthaftigkeit des Nachprüfungsverfahrens maßgeblich die Verantwortung dafür, dass die Antragstellerin überhaupt Rechtsverletzungen in dem Konzeptverfahren gerichtlich gegen sie geltend machen musste und dass sie dies in einem Nachprüfungsverfahren vor der Vergabekammer getan hat. Wenn die Antragstellerin ihr Rechtsschutzziel nicht in einem vergaberechtlichen Nachprüfungsverfahren hätte erreichen können, so doch im Zivilprozess (vgl. dazu eingehend Kammergericht, Urteil vom 28. Juni 2019 - 9 U 55/18 -). Hierbei wäre das Verfahren entsprechend § 17a GVG an das zuständige Gericht jedenfalls dann zu verweisen gewesen, wenn die Antragstellerin einen entsprechenden Antrag gestellt hätte (vgl. BGH, Beschluss vom 23. Januar 2012 - X ZB 5/11 -, Rn. 24; zuletzt wieder OLG Hamburg, Beschluss vom 16. April 2020 - 1 Verg 2/20 m.w.N.). Da die Wahl des möglicherweise nicht statthaften Rechtswegs hier, anders als bei einer Verweisung entsprechend § 17b Abs. 2 S. 2 GKG , keine von dem Antragsteller zu tragenden zusätzlichen Kosten verursacht hat, erscheint es auch insoweit nicht billig, der mit ihrem Rechtsschutzbegehren in der Sache erfolgreichen Antragstellerin insoweit Kosten aufzuerlegen.
(cc) Aber auch sonst wäre es nicht billig, wenn die Antragsgegner sich wegen der Kosten des Nachprüfungsverfahrens darauf berufen könnten, dass dieses nicht statthaft sei. Es erscheint widersprüchlich und rechtsmissbräuchlich, dass die Antragsgegner ihr Konzeptverfahren wie ein kartellvergaberechtliches Verfahren durch öffentliche europaweite Bekanntmachung ausgeschrieben haben, zugleich aber in der Ausschreibung und auch sonst zu erkennen gegeben haben, dass sie das kartellvergaberechtliche Verfahren nicht für statthaft hielten. Die öffentlichen Stellen können nicht offenlassen, ob ein von ihnen betriebenes Konzeptverfahren als Vergabeverfahren ausschreibungspflichtig ist oder nicht, wie es hier die B. für die Antragsgegner gehalten hat.
Grundsätze einer ordnungsgemäßen Verwaltung erfordern es, hier zu einer belastbaren rechtlichen Bewertung und entsprechenden Entscheidung über die Ausschreibungspflichtigkeit zu gelangen, gegebenenfalls unter Beiziehung rechtskundigen Rates. Ist danach eine Ausschreibungspflicht nicht gegeben, hat die Ausschreibung zu unterbleiben. Schreibt der öffentliche Auftraggeber dennoch aus, macht das zwar einen unstatthaften Nachprüfungsantrag nicht statthaft. Hat er wie hier auf die fehlende Statthaftigkeit hingewiesen, hat er auch keinen Rechtsschein eines statthaften Nachprüfungsverfahrens gesetzt, der es billig erscheinen ließe, ihn zur Kostentragung heranzuziehen (BGH, Beschluss vom 25. Januar 2012 - X ZB 3/11 -). Es erschiene jedoch wie ausgeführt rechtsmissbräuchlich und für die Kostenverteilung unbillig, wenn er sich auf sein widersprüchliches Verhalten berufen könnte.
b) Soweit die Antragsgegnerin zu 1) sich hilfsweise gegen die Höhe der von der Vergabekammer festgesetzten Verfahrensgebühr wendet, ist ihre sofortige Beschwerde teilweise begründet.
Die Vergabekammer konnte bei der Festsetzung der Verfahrensgebühr nach § 128 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 GWB a.F. (§ 182 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 GWB) zwar die von den Vergabekammern des Bundes verwendete auftragswertbezogene Gebührentabelle heranziehen. Indes überzeugt ihre Annahme, dass der Auftragswert sich auf 20 Millionen Euro belaufe und auf dieser Grundlage die Verfahrensgebühr festzusetzen sei, nicht. Sie ist für die Bemessung des Auftragswertes zwar zutreffend von dem Rechtsschutzbegehren der Antragstellerin ausgegangen, also von dem Wert des nach Auffassung der Antragstellerin ausgeschriebenen öffentlichen Bauauftrags. Dieser Auftragswert ist aber nach den entsprechend heranzuziehenden Vorgaben des § 3 Abs. 1 S. 1 VgV a.F. (§ 3 Abs. 1 S. 1 VgV) nach der geschätzten Gesamtvergütung für die vorgesehene Leistung zu bemessen. Hierbei hat die Vergabekammer zu Recht auf den Gesamtwert der aus der Sicht der Antragstellerin durch das Konzeptverfahren beschafften städtebaulichen Leistungen einschließlich des Gegenwertes für die befristeten sozial- und kulturpolitischen Nutzungs- und Mietpreisvorgaben abgestellt. Nicht zu berücksichtigen und daher von dem von der Vergabekammer ermittelten Auftragswert von 20 Millionen Euro abzuziehen war der sich im Mindestkaufpreis ausdrückende Wert der angebotenen Grundstücke. Denn insoweit handelt es sich wegen des diesen Wert ersetzenden Kaufpreises nicht um einen Teil der aus Sicht der Antragstellerin für die beschafften städtebaulichen Leistungen zu erbringenden Gesamtvergütung. Unter Abzug des sich im vorgesehenen Kaufpreis von 3.200.500 Euro ausdrückenden Grundstückswertes hätte sich der Auftragswert danach auf 16.850.000 Euro belaufen. Auf dieser Grundlage bemisst sich die Verfahrensgebühr nach der Gebührentabelle der Vergabekammern des Bundes auf rund 13.800 Euro, die aufgrund der Rücknahme des Nachprüfungsantrags gemäß § 128 Abs. 3 S. 4 GWB (§ 182 Abs. 3 S. 4 GWB) zu halbierende Gebühr also auf 6.900 Euro.
II.
Die sofortige Beschwerde des Antragsgegners zu 2) ist unzulässig, weil er nach § 128 Abs. 1 S. 2 GWB a.F. (§ 182 Abs. 1 S. 2 GWB ) in Verbindung mit § 8 VwKostG von der Kostentragung befreit ist und ihm deswegen das für jeglichen Rechtsbehelf erforderliche allgemeine Rechtsschutzbedürfnis fehlt (vgl. OLG Koblenz, Beschluss vom 26. August 2020 - Verg 5/20 -).
1. Hierbei trifft es zwar zu, dass die Vergabekammer fehlerhaft in ihrer Kostenentscheidung die Gebührenbefreiung des Antragsgegners zu 2) und die daraus folgende Haftungsbeschränkung der Antragsgegnerin zu 1) nicht ausgesprochen hat, was der Senat klarstellend von Amts wegen im Tenor des vorliegenden Beschlusses nachgeholt hat. Die Vergabekammer hat in ihrer Kostenentscheidung über die Festsetzung der Verfahrensgebühr (§ 128 Abs. 1 und 2 GWB a.F., § 182 Abs. 1 und 2 GWB ) und die Verteilung der Verwaltungskosten (§ 128 Abs. 3 GWB a.F., § 182 Abs. 3 GWB ) zu entscheiden, wozu auch die Entscheidung über eine Gebührenbefreiung nach § 128 Abs. 1 S. 2 GWB a.F. (§ 182 Abs. 1 S. 2 GWB ) in Verbindung mit § 8 VwKostG und bei mehreren Kostenschuldnern die Entscheidung über ihren Anteil an der Kostentragung gehören (OLG Brandenburg, Beschluss vom 12. Juli 2012 - Verg W 6/12 -; Summa in: Heiermann/Zeiss/Summa, jurisPK-Vergaberecht, 5. Auflage 2016, Stand 24. November 2020, § 182 GWB Rn. 57).
2. Dies bedeutet aber nicht, dass für einen kostenbefreiten Gebührenschuldner eine insoweit lücken- und fehlerhafte Kostenentscheidung der Vergabekammer in jedem Fall angreifbar wäre. Denn seine Inanspruchnahme für die Verfahrensgebühr scheidet aufgrund der unmittelbar gesetzlich vorgesehenen Gebührenbefreiung von Gesetzes wegen aus, wie auch § 2 Abs. 5 GKG und § 2 Abs. 3 GNotKG in ihren jeweiligen Anwendungsbereichen entnommen werden kann. Nach diesen für die Verfahrensgebühr des Nachprüfungsverfahrens vor der Vergabekammer entsprechend anwendbaren Vorschriften sind von kostenbefreiten Beteiligten, denen die Kosten auferlegt wurden, diese Kosten nicht zu erheben und bereits erhobene Kosten zurückzuzahlen. Danach fehlt einem allein mit der Verfahrensgebühr belasteten, nach § 8 VwKostG von den Kosten befreiten Kostenschuldner für eine sofortige Beschwerde gegen die Kostenentscheidung der Vergabekammer grundsätzlich die für ein Rechtsschutzbedürfnis erforderliche materielle Beschwer (OLG Frankfurt, Beschluss vom 12. Juli 2016 - 11 Verg 1/18 -; OLG Koblenz, Beschluss vom 26. August 2020 - Verg 5/20 -; Dicks in: Ziekow/Völlink, Vergaberecht, 4. Auflage 2020, § 171 GWB Rn. 11 m.w.N.).
Anders verhält es sich nur, soweit die Kostenbefreiung zweifelhaft erscheint. Dann kann ein berechtigtes Bedürfnis des Kostenschuldners bestehen, die von der Vergabekammer aus seiner Sicht fehlerhaft übersehene oder versagte Kostenbefreiung gegebenenfalls durch den Vergabesenat feststellen zu lassen, um einer unberechtigten Inanspruchnahme die Grundlage zu entziehen (vgl. etwa OLG Brandenburg, Beschluss vom 12. Juli 2012 - Verg W 6/12 -; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 14. September 2009 - Verg 20/09 -). So liegt er hier indes nicht. Es bestehen keinerlei Zweifel, dass der Antragsgegner zu 2) kostenbefreit ist.
Ein Rechtsschutzbedürfnis folgt auch nicht daraus, dass die Antragsgegnerin zu 1) in vollem Umfang auf den Ausgleich der Verfahrensgebühr in Anspruch genommen werden und dann Ausgleichsansprüche aus § 426 BGB gegen den Antragsgegner zu 2) geltend machen könnte. Denn die Kostenbefreiung bewirkt, auch wenn die Vergabekammer dies fehlerhaft nicht im Rahmen ihrer Kostenentscheidung angeordnet hat, dass die Verfahrensgebühr im Umfang der Kostenbefreiung abweichend von der in § 128 Abs. 3 S. 2 GWB a.F. (§ 128 Abs. 3 S. 2 GWB ) grundsätzlich vorgesehenen gesamtschuldnerischen Haftung für die Verwaltungskosten auch nicht von einem anderen Kostenschuldner erhoben werden darf (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 23. November 2004 - Verg 69/04 -).
D.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens waren gemäß § 120 Abs. 2 GWB a.F. in Verbindung mit § 78 S. 1 und 2 GWB a.F. (§ 175 Abs. 2 GWB in Verbindung mit § 71 S. 1 und 2 GWB ) den Antragsgegnern aufzuerlegen, weil sie mit ihrem mit dem Hauptantrag verfolgten zentralen Rechtsschutzziel, die Kostentragungslast von sich zu Lasten der Antragstellerin abzuwenden, unterlegen waren. Das geringfügige teilweise Obsiegen der Antragsgegnerin zu 1) bei dem Hilfsantrag zu 3. war schon deswegen nicht zu berücksichtigen, weil das Verfahren insoweit gebühren- und kostenfrei war (vgl. unten V.). Nicht von den Antragsgegnern zu erstatten sind allerdings etwaige außergerichtliche Kosten der Beigeladenen, weil sie sich nicht aktiv am Beschwerdeverfahren beteiligt hat und deswegen eine Kostenerstattung nicht billig wäre (vgl. Mockel in: Müller-Wrede, GWB Vergaberecht, 1. Auflage 2016, § 175 Rn. 76 ff. m.w.N.).
E.
Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren war gemäß § 48 Abs. 1 S. 1 GKG in Verbindung mit § 3 ZPO nach dem Wert der in erster Linie zwischen den Beteiligten streitigen Tragung der Verwaltungskosten festzusetzen (OLG Koblenz, Beschluss vom 26. August 2020 - Verg 5/20 m.w.N.), mithin auf den Wert der von der Vergabekammer mit 8.025 Euro angesetzten Verfahrensgebühr. Der für Beschwerdeverfahren in Vergabenachprüfungsverfahren grundsätzlich maßgebliche § 50 Abs. 2 GKG war nicht heranzuziehen, da Gegenstand des Beschwerdeverfahrens nicht die Auftragsvergabe und das Interesse am Erhalt des Auftrags war. Die von den Antragsgegnern gestellten Hilfsanträge zur Gebührenbefreiung und der Höhe der Verfahrensgebühr waren nicht streitwerterhöhend zu berücksichtigen, weil das Verfahren insoweit entsprechend § 66 Abs. 8 GKG gebühren- und kostenfrei war (vgl. BGH, Beschluss vom 25. Oktober 2011 - X ZB 5/10 -; OLG Brandenburg, Beschluss vom 12. Juli 2012 - Verg W 6/12 -; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 14. September 2009 - Verg 20/09 -).
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VK Bund
Beschluss
vom 24.11.2022
VK 2-94/22
1. Der öffentliche Auftraggeber verlangt vom Bieter Aufklärung, wenn der von ihm angebotene Preis im Verhältnis zu der zu erbringenden Leistung ungewöhnlich niedrig erscheint. Er hat für die Entscheidung der Frage, ob der Preis eines Angebots ungewöhnlich niedrig erscheint, einen Einschätzungs- bzw. Beurteilungsspielraum, der von ihm pflichtgemäß und fehlerfrei auszuüben ist.
2. Der Spielraum des Auftraggebers wird dahingehend begrenzt, dass er jedenfalls all diejenigen Merkmale des konkreten Auftragsgegenstands in den Blick nehmen muss, die eine Einschätzung ermöglichen können, ob der angebotene Preis im Verhältnis zu der zu erbringenden Leistung ungewöhnlich niedrig erscheint. Allein eine Betrachtung der im Wettbewerb abgegebenen Angebote genügt hierfür in der Regel nicht.
3. Um das Verhältnis zwischen dem angebotenen Preis und der zu erbringenden Leistung sachgemäß einschätzen zu können, sind alle für die Angebotskalkulation relevanten Merkmale geboten, sofern der öffentliche Auftraggeber solche ausdrücklich in den Vergabeunterlagen vorgegeben hat.
In dem Nachprüfungsverfahren
[...]
wegen der Vergabe [...],
hat die 2. Vergabekammer des Bundes durch den stellvertretenden Vorsitzenden Leitender Regierungsdirektor Dr. Brauser-Jung, den hauptamtlichen Beisitzer Oberregierungsrat Dr. Schier und den ehrenamtlichen Beisitzer Bogenrieder auf die mündliche Verhandlung vom 15. November 2022 am 24. November 2022
beschlossen:
1. Der Nachprüfungsantrag wird zurückgewiesen.
2. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Nachprüfungsverfahrens (Gebühren und Auslagen) sowie die zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Antragsgegnerin.
3. Die Hinzuziehung der Verfahrensbevollmächtigten der Antragsgegnerin wird nicht für notwendig erklärt.
Gründe:
I.
1. Die Antragsgegnerin (Ag) veröffentlichte am [...] eine unionsweite Auftragsbekanntmachung im Rahmen eines offenen Verfahrens im Supplement zum Amtsblatt der EU [...] zur Beschaffung von Leistungen zur Durchführung der Bewachung [...].
Art und Umfang der zu beschaffenden Leistungen werden in [...] der Leistungsbeschreibung näher beschrieben, so in [...] für den Pfortendienst und [...] für Innen- und Außenrevierkontrollen. [...] betrifft den optionalen Einsatz von [...] für den Pfortendienst in Fällen der Vertretung des Eigenpersonals der Ag, [...] betrifft Zusatzaufgaben, die "anlassbezogen [...] anfallen können.
Als einziges Zuschlagskriterium bestimmte die Ag den Preis gem. [...] der Bewerbungsbedingungen:
- Gesamtpreis für die [...] Liegenschaften der Ag gemäß Preisblatt für ein Jahr, gewichtet mit 80%;
- Stundenverrechnungssatz für Zusatzdienste (Vertretung)
- [...] Pfortendienst gem. [...] der Leistungsbeschreibung, gewichtet mit 10%;
- Stundenverrechnungssatz für Zusatzdienste (Vertretung)
- [...] Innen- und Außenrevierkontrollen gem. [...] der Leistungsbeschreibung, gewichtet mit 10%.
In der Leistungsbeschreibung gab die Ag unter [...] die vom späteren Auftragnehmer einzuhaltenden "generellen Voraussetzungen" vor, so u.a.:
"Der Auftragnehmer verpflichtet sich, dass...
- [...]
- die einschlägigen tariflichen Vorschriften, insbesondere die Einhaltung des Mindestlohnes, verbindlich eingehalten werden.
- ..."
Das von den Bietern auszufüllende Preisblatt ([...] der Leistungsbeschreibung) gab für die einzelnen Positionen 1 bis 4, die die zu bewachenden Liegenschaften der Ag betrafen, jeweils vor, dass "Grundlage der Kalkulation der aktuelle Lohntarifvertrag [...] ist. Zu Position 5, betreffend eine weitere zu bewachende Liegenschaft der Ag, enthielt das Preisblatt die Vorgabe "Lohngruppe [...]."
In ihrer Antwort auf die Bieterfrage 6 bestätigte die Ag allen Bietern, dass bei Angebotsabgabe mit dem Tariflohn nach dem [...] zu kalkulieren sei. In ihrer Antwort auf Bieterfrage 3 bestätigte die Ag allen Bietern, dass für die anzubietende Dienstleistung im Pfortendienst [...] mit dem aktuellen Stundengrundlohn von [...] und für den Revierdienst die [...] mit dem Stundengrundlohn [...] zu kalkulieren sei.
[...] der Leistungsbeschreibung enthielt Vorgaben zur Bewertung der Angebote. Danach sei das Angebot mit der höchsten Gesamtpunktzahl das zu bezuschlagende wirtschaftlichste Angebot.
ASt und Beigeladene (Bg) gaben jeweils fristgemäß Angebote ab. Die ASt erreichte beim Zuschlagskriterium des Gesamtpreises nur den dritten Rang hinter der insofern zweitrangigen Bg und einem insofern erstrangigen weiteren Bieter. Bei den beiden weiteren Zuschlagskriterien der Stundenverrechnungssätze erreichte die ASt den ersten Rang. Insgesamt erreichte die ASt nach der in der Vergabeakte dokumentierten Wertungsübersicht "Gesamtpunktzahl" ([...] zur Unterlage [...] den dritten Rang, hinter einem auf dem zweiten Rang liegenden weiteren Bieter und der erstplatzierten Bg.
Mit ihrem Angebot gab die Bg u.a. die formularmäßig von der Ag vorgegebene "Eigenerklärung zum Mindestlohn" (Anlage [...] der Leistungsbeschreibung) ab, worauf sie mit "ja" ankreuzte, dass sie erkläre, den Beschäftigten bei Ausführung des Auftrags wenigstens die gesetzlich bzw. tarifvertraglich vorgesehenen Mindestarbeitsbedingungen zu gewähren. Ferner bestätigte die Bg eine von der Ag formularmäßig vorgegebene "Eigenerklärung zum Nichtvorliegen von Ausschlussgründen" nach §§ 124, 124 GWB (Anlage [...] der Leistungsbeschreibung). Des Weiteren unterzeichnete die Bg das bei den Vergabeunterlagen befindliche Formular zur "Anerkennung der Vergabebedingungen" (Anlage [...] der Leistungsbeschreibung).
Mit Schreiben vom 13. Oktober 2022 informierte die Ag die ASt nach § 134 GWB, sie beabsichtige, der Bg den Zuschlag zu erteilen. Das Angebot der ASt stelle nicht das wirtschaftlichste dar.
Mit Schreiben vom 17. Oktober 2022 rügte die ASt die beabsichtigte Zuschlagserteilung an die Bg gegenüber der Ag. Die ASt bemängelte einen Verstoß gegen § 60 VgV. Die ASt könne keine Prüfung der Angemessenheit der Preise veranlasst haben. Die ASt habe knapp kalkuliert, was ihr als bisheriger Auftragnehmerin möglich sei, da sie über das für die Auftragsdurchführung erforderliche Personal sowie die Ausstattung und Organisation verfüge. Auch verfüge sie über einen jährlichen Fördermittelbestand [...], den sie teilweise in die Kalkulation habe einfließen lassen.
Mit Schreiben vom 20. Oktober 2022 wies die Ag die Rüge der ASt vom 17. Oktober 2022 zurück und half dieser nicht ab.
Im Vergabevermerk vom [...] hielt die Ag zur Prüfung und Wertung der Angebote [...] fest, es sei keine Aufklärung erforderlich gewesen, da schon die von der Rechtsprechung angesetzte "niedrigste Aufgreifschwelle nicht erreicht wurde und es auch ansonsten keine Auffälligkeiten gab".
2. Mit Schreiben ihrer Verfahrensbevollmächtigten vom 21. Oktober 2022, eingegangen bei der Vergabekammer und übermittelt an die Ag am gleichen Tage, beantragte die ASt die Einleitung eines Nachprüfungsverfahrens. Im Übermittlungsschreiben hat die Vergabekammer der Ag eine Frist gesetzt, um zur Antragsbegründung Stellung zu nehmen und unter Hinweis auf die den Verfahrensbeteiligten obliegenden Verpflichtung, den raschen Abschluss des Verfahrens durch Aufklärung des Sachverhalts zu fördern, aufgegeben, den Sachverhalt innerhalb dieser Frist umfassend darzulegen.
a) Zur Begründung ihres Antrags führt die ASt folgendermaßen aus:
Die ASt hält ihren Nachprüfungsantrag für zulässig. Die ASt habe nicht ins Blaue hinein gerügt, sondern in ihrer Rüge konkrete Umstände dargelegt, nach denen sich für die ASt der behauptete Verstoß gegen § 60 VgV ergebe. Die ASt habe in ihrer Rüge konkret dargelegt, bei ihrer Kalkulation der Stundenverrechnungssätze habe sie die ihr [...] gewährte jährliche [...] berücksichtigt und daher einen unterhalb der maßgeblichen Stundenverrechnungssätze liegenden Preis und damit günstiger als die Bg kalkulieren können. Zudem verfüge sie als bisherige Auftragnehmerin der Ag über kalkulatorische Vorteile, so dass davon auszugehen sei, dass die Bg bei ihrer Kalkulation die geltenden tarif- und arbeitsrechtlichen Vorgaben nicht beachtet haben könne. Es sei ausgeschlossen, dass ein Angebot, das unterhalb der von der ASt so kalkulierten Stundensätze liege, die vorgegebenen Lohngruppen berücksichtigt habe. Dies folge auch daraus, dass die ausgeschriebenen Leistungen maßgeblich durch Personalkosten, d.h. den Arbeitskosten des eingesetzten Personals, geprägt seien. Diese Zusammenhänge seien von der Ag zu prüfen gewesen, was aber nicht erfolgt sein könne. Die Ag habe von den Bietern keinen Kalkulationsnachweis zur Ermittlung des Stundenverrechnungssatzes gefordert, was zur Plausibilisierung der Stundenverrechnungssätze allerdings geboten sei. Auch sei aus dem kurzen Zeitraum zwischen Angebotsöffnung und Absendung des Vorabinformationsschreibens nach § 134 GWB von nur sieben Tagen zu schließen, dass die Bg nicht in entsprechender Weise aufgefordert worden sei könne.
Die ASt sei auch antragsbefugt nach § 160 Abs. 2 GWB. Entgegen des von der Ag in der Antragserwiderung angeführten Umstands, wonach die ASt drittplatziert sei, entfalle dadurch nicht der der ASt infolge des von ihr behaupteten Vergaberechtsverstoßes gegen § 60 VgV dargelegte drohende Schaden. Die Zuschlagschance der ASt drohe dadurch zu entfallen, dass die Ag gerade keine vergaberechtsgemäße Prüfung nach § 60 VgV durchgeführt habe, sondern maßgeblich unterlassen habe, die Angebote auf Plausibilität der von ihr nach § 128 Abs. 2 GWB vorgegebenen Tariflöhne und Lohngruppen zu prüfen. Das schließe aus, dass die vorrangig platzierten Angebote zuschlagsfähig seien. Auch sei dementsprechend nicht geprüft worden, ob die Bg die im Preisblatt vorgegebenen Bedingungen des einschlägigen aktuellen Lohntarifvertrags einhalte.
In der Sache ist die ASt der Ansicht, das Angebot der Bg sei nach § 60 Abs. 3 S. 2 VgV i.V.m. § 60 Abs. 2 S. 2 Nr. 4 VgV, § 128 Abs. 1 GWB auszuschließen. Die Ag habe gegen die Prüfpflicht nach § 60 VgV verstoßen. Es sei davon auszugehen, dass die Ag die Vorgaben des § 60 Abs. 2 VgV, § 128 Abs. 1 GWB nicht geprüft habe. Dies folge daraus, dass für die zu erbringenden Leistungen der Positionen 1 bis 5 des Preisblattes der zeitliche Umfang und die einzusetzende Lohngruppe vorgegeben sei. Die Ag habe zudem in ihren Antworten auf die Bieterfragen 3, 6 und 8 die zu kalkulierenden Stundengrundlöhne nach dem neuen Lohntarifvertrag [...] bestätigt. Dies sei daher von der Ag zwingend zu prüfen, um die Auskömmlichkeit der Angebotspreise bestätigen zu können; dies sei unterblieben. Soweit die Ag in ihrer Rügeerwiderung ausgeführt habe, sie sei nach den eingereichten Angeboten nicht zu einer Prüfung nach § 60 VgV verpflichtet gewesen, sei dies unzutreffend. Es komme im hiesigen Zusammenhang nicht auf eine starre Aufgreifschwelle an, sondern auf Auffälligkeiten bei den Arbeitskosten im Angebot der Bg. Danach sei klärungsbedürftig, ob die Bg den für die Leistungserbringung einzusetzenden Mitarbeitern den erforderlichen Mindeststundenlohn zahle, was nicht aus einem Vergleich der Angebotspreise hervorgehe. Es komme daher nicht auf die von der Ag herangezogene Aufgreifschwelle zwischen dem Bestbieterangebot und nachfolgenden Angeboten an. Vielmehr sei im Hinblick auf § 128 Abs. 2 GWB und die gemachten verbindlichen Vorgaben die Zusammensetzung der Stundenverrechnungssätze genau nachzuprüfen, da im hiesigen Fall sonst keine fehlerfreie Prüfung nach § 60 Abs. 1 VgV erfolgen könne. Soweit die Ag für ihre Prüfung auf einen Vergleich mit ihrer Angebotsschätzung abstelle, gehe dieser Ansatz fehl. Diese Schätzung berücksichtige Erfahrungen aus dem Vorauftrag mit der ASt nur zum Teil, nämlich nur hinsichtlich der im Jahr 2021 an die ASt gezahlten Monatspauschale, nicht aber die ebenfalls gezahlten Vergütungen für geleistete Sonderdienste, die auch nach dem neu ausgeschriebenen Vertrag anfallen könnten. Danach sei die Auftragswertschätzung zu niedrig ausgefallen, so dass der von der Ag gezogene Vergleich auf die höher liegenden tatsächlich eingegangenen Angebote nicht tragen könne. Die Ag habe es daher versäumt, die Plausibilität der angebotenen Preise fehlerfrei nach § 60 VgV zu prüfen. Ob die Kalkulation die Vorgaben der Leistungsbeschreibung hinreichend widerspiegele, sei daher nicht gewährleistet. Die Ag habe für ihre Prüfung nach § 60 VgV insbesondere auf die Empfehlungen der Bundesfinanzdirektion West (Zoll) zur Kalkulation eines hinreichenden Stundenverrechnungssatzes zurückgreifen und die Kalkulation der zuschlagsfähigen Angebote jeweils im Hinblick auf den vom Zoll für sachgerecht erachteten Kalkulationszuschlag in Höhe von 70% überprüfen müssen, was fehlerhaft unterblieben sei. Es sei nach allem möglich, dass das Angebot der Bg auch nach § 57 Abs. 1 Nr. 4 VgV auszuschließen sei, weil die im Preisblatt vorgegebenen Grundlagen der Kalkulation nach dem aktuellen Lohntarifvertrag nicht eingehalten seien.
Die ASt habe zudem Anspruch auf Akteneinsicht und in diesem Rahmen auch auf Einsicht in die Unterlagen der Preisprüfung, soweit die Bg nicht plausibel aufzeigen könne, inwieweit die Kenntnis der ASt von insoweit relevanten Informationen in der Vergabeakte die Stellung der Bg im künftigen Wettbewerb außerhalb des Nachprüfungsverfahrens beeinträchtigen könne.
Die ASt beantragt:
1. Ein Nachprüfungsverfahren gem. § 160 Abs. 1 GWB wegen Verstoßes gegen Vergabevorschriften bei der Ausschreibung der Ag zur Vergabe des streitgegenständlichen Auftrags einzuleiten,
2. der Ag zu untersagen, den Zuschlag auf das Angebot der Bg zu erteilen,
3. der Ag aufzugeben, das Angebot der Bg vom weiteren Vergabeverfahren auszuschließen und
4. die Angebotswertung zur Ermittlung des wirtschaftlichsten Angebotes erneut durchzuführen,
5. der ASt Akteneinsicht zu gewähren,
6. der Ag die Kosten des Verfahrens einschließlich der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung erforderlichen Aufwendungen der ASt aufzuerlegen,
7. die Hinzuziehung des Verfahrensbevollmächtigten der ASt für notwendig zu erklären.
b) Die Ag stellt keine konkreten Anträge.
Sie hält den Nachprüfungsantrag für unzulässig, jedenfalls aber für unbegründet.
Der Nachprüfungsantrag sei mangels ausreichender Begründung lediglich eine Rüge ins Blaue hinein und daher unzulässig. Die Ag meint, die ASt habe in ihrer Rüge schon keine hinreichend substantiierten Tatsachen vorgetragen, aus denen sich ein Verstoß gegen § 60 VgV ableiten lasse. Sofern die ASt vorbringe, sie habe selbst knapp kalkuliert, so dass andere Angebote, insbesondere das der Bg die rechtlichen Vorgaben nicht einhalten könnten, werde dies nicht belegt bzw. durch entsprechenden Indizienvortrag untermauert.
Ferner fehle es der ASt nach Ansicht der Ag an einem drohenden Schaden, weshalb der ASt die Antragsbefugnis im Hinblick auf § 160 Abs. 2 S. 2 GWB fehle. Das Angebot der ASt sei lediglich drittplatziert, so dass die ASt auch bei einem Ausschluss der Bg nicht zum Zuge kommen könne, da ein vorrangig platziertes Angebot heranzuziehen sei, das somit offensichtlich bessere Zuschlagschancen als die ASt habe.
Jedenfalls, so die Ag, sei der Nachprüfungsantrag der ASt unbegründet. Schon ein Verstoß gegen die Prüfpflicht der Ag nach § 60 VgV liege nicht vor. Die in der Rechtsprechung insofern entwickelte Aufgreifschwelle eines mindestens 20%-igen Abstands zwischen dem günstigsten Gesamtpreis der ASt und dem nachfolgenden Angebot seien bereits nicht erreicht. Vielmehr lägen alle Angebote im preislichen Ergebnis sehr eng beieinander, die ASt sei bei einzelnen Positionen sogar günstiger als die Bg, wenn auch nicht im maßgeblichen Gesamtpreis. Derartige Preisunterschiede seien Ausdruck des Vergabewettbewerbs. Auch andere Anhaltspunkte für eine Preisprüfung bestünden nicht. Die Ag habe insofern ihre Kostenschätzung vor Auftragsbekanntmachung berücksichtigt. Diese liege noch unterhalb des preisgünstigsten Angebots der Bg, so dass auch vor diesem Hintergrund keine Zweifel an der Auskömmlichkeit des Angebots der Bg bestünden.
Die Ag hat auf Verfügung der Vergabekammer vom [...] einen Vermerk der Ag [...] vom [...] zur Vergabeakte nachgereicht, in dem zur Schätzung des Auftragswertes dokumentiert war:
"Der o.g. Auftragswert für den Vertragszeitraum von [...] Jahren wurde anhand der aktuellen Monatszahlungen sowie unter Berücksichtigung der derzeitigen Preissteigerungen ermittelt."
Auf Verfügung der Vergabekammer vom [...] hat die Ag die Schätzung des Auftragswertes erläutert. Danach habe die Ag hierfür die im Schreiben näher konkretisierten durchschnittlichen monatlichen Zahlungen der Ag an die ASt im Jahr 2021 zugrunde gelegt. Aufgrund zu erwartender Preissteigerungen, die die Ag in dem Schreiben konkret beziffert hat, für die darauffolgenden [...] Jahre sei dann der geschätzte Auftragswert hochgerechnet worden. Der berücksichtigte prozentuale Satz der Preissteigerung habe sich aufgrund von Erfahrungswerten vergangener Ausschreibungen und der aktuell einzuhaltenden gesetzlichen Tarifbestimmungen ergeben.
c) Die mit Beschluss vom 25. Oktober 2022 förmlich zum Nachprüfungsverfahren hinzugezogene Bg stellt keine konkreten Anträge.
Sie wendet sich [...] gegen den Nachprüfungsantrag und hält diesen danach für unzulässig bzw. unbegründet. Die ASt bezwecke, die wettbewerbskonforme Vergabe des Auftrags an die Bg zu verhindern. Die Bg hält es ferner für vergaberechtlich bedenklich, dass die ASt bei der Kalkulation ihres Angebotes Fördermittel der Bundesagentur der Arbeit berücksichtigt habe. Die Bg habe die ihr obliegenden rechtlichen Verpflichtungen eingehalten bzw. werde diese im Falle der Auftragsdurchführung einhalten.
Ferner sei der Akteneinsichtsantrag der ASt unbegründet, soweit dieser darauf gerichtet sei, Einsicht in Unterlagen bzw. Dokumentationen zu erhalten, aus denen der Kalkulationsprozess der Bg hervorgehe. Dem stünden die Geschäftsgeheimnisse der Bg entgegen.
3. Die Vergabekammer hat der ASt nach Anhörung der Ag Einsicht in die Vergabeakte erteilt, soweit Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse nach Abs. 165 Abs. 2 GWB nicht betroffen waren. Auf die ausgetauschten Schriftsätze, die Vergabeakte, soweit sie der Vergabekammer vorgelegen hat, sowie auf die Verfahrensakte der Vergabekammer wird Bezug genommen.
Die mündliche Verhandlung hat am 14. November 2022 stattgefunden. Die Ag hat in der mündlichen Verhandlung auf Nachfrage der Vergabekammer ausgeführt, wie sie im Hinblick auf die Prüfung nach § 60 Abs. 1 VgV vorgegangen ist. In diesem Zusammenhang hat sie in der mündlichen Verhandlung erstmals ausgeführt, sie habe den von den Bietern angebotenen pauschalen Gesamtpreis nach den Positionen 1 bis 5 des Preisblattes der Bg einer Plausibilitätsprüfung unterzogen. Diese Vorgehensweise sei aber nicht in der Vergabeakte dokumentiert; es gebe hierzu nur eine interne E-Mail zwischen der Ag und ihrem Verfahrensbevollmächtigten. Die Vergabekammer hat der Ag darauf hin nach Beratung aufgegeben, ihre Plausibilisierungserwägungen gegenüber der Vergabekammer darzulegen. Auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung wird Bezug genommen.
Mit Schriftsatz ihres Verfahrensbevollmächtigten vom 17. November 2022 hat die Ag der Vergabekammer fristgemäß eine Darlegung ihrer Plausibilitätserwägungen übermittelt. Die Ag habe danach für ihre Prüfung nach § 60 Abs. 1 VgV festgestellt, dass die in der Rechtsprechung anerkannte Aufgreifschwelle von 20% hinsichtlich des Angebotes der Bg nicht überschritten gewesen sei. Hinsichtlich der Positionen 6 und 7 des Preisblattes habe eine Sichtprüfung ergeben, dass die ausgewiesenen Stundenverrechnungssätze aller Bieter nicht auffällig gewesen seien, insbesondere die der Bg schon auf den ersten Blick über den anzuwendenden Tariflöhnen gelegen hätten. Ferner hätten alle Bieter eine Erklärung zur Anerkennung der Vergabebedingungen abgegeben. Die Ag habe sodann die Plausibilität der Angaben der Bg zusätzlich überprüft. Sie habe dazu ermittelt, wie viele Stunden im Zeitraum [...] von einem Auftragnehmer pro Position des Preisblattes zu leisten seien. Diese Stunden seien durch [...] Monate geteilt worden. So habe die Ag einen durchschnittlichen Monatswert ermittelt. Die von der Bg pro Position angebotenen Monatspauschalen der Positionen 1 bis 5 seien durch diesen Durchschnittswert dividiert worden, um einen durchschnittlichen monatlichen Stundenverrechnungssatz ersehen zu können. Sodann sei festgestellt worden, dass die Werte des Angebots der Bg zu den Positionen 1 bis 5 des Preisblattes wie bereits die zu den Positionen 6 und 7 weit über dem zu beachtenden Tariflohn lägen und hinsichtlich der Bg die Werte zu den Positionen 1 bis 5 auch über denen anderer Bieter zu den Positionen 6 und 7 des Preisblattes. Danach habe die Ag keine Anhaltspunkte für die Nichteinhaltung von Tarifverträgen oder unauskömmliche Angebote gehabt, der Abstand der Stundenverrechnungssätze zu den Tariflöhnen habe sogar eine Gewinnmarge möglich erscheinen lassen. Die errechneten Angaben zum Angebot der Bg hat die Ag unter Hinweis auf die Schutzbedürftigkeit dieser Angaben gegenüber der ASt nach § 165 Abs. 2 GWB in ihrem Schriftsatz im Einzelnen dargelegt.
Die Vergabekammer hat den Schriftsatz der Ag vom 17. November 2022 allen Verfahrensbeteiligten übermittelt, der ASt insoweit, als die von der Ag gekennzeichneten Geschäftsgeheimnisse der Bg im Hinblick auf § 165 Abs. 2 GWB geschwärzt worden sind. Soweit die ASt mit ihrem Akteneinsichtsantrag auch die Einsicht in Unterlagen der Preisprüfung des Angebots der Bg begehrt hat, wurde ihr Anspruch auf Akteneinsicht damit erfüllt. Eine Offenlegung der gegenüber der ASt geschwärzten von der Ag gemittelten Stundenverrechnungssätze der Bg kommt zum Schutz der Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse der Bg nach § 165 Abs. 2 GWB nicht in Betracht.
Die Vergabekammer hat allen Verfahrensbeteiligten mit Schreiben vom 18. November 2022 einen rechtlichen Hinweis erteilt, in dem sie mitgeteilt hat, dass sie den Nachprüfungsantrag unter Berücksichtigung der Darlegungen der Ag vom 17. November 2022 für zulässig, aber unbegründet hält. Hierzu haben ASt und Bg Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten. Hiervon hat die ASt mit Schriftsatz ihres Verfahrensbevollmächtigten vom 23. November 2022 Gebrauch gemacht und vorgetragen, sie habe einen Anspruch nach § 60 Abs. 1 VgV bzw. § 128 Abs. 2 GWB, dass die Ag ordnungsgemäß prüfe, ob das Angebot der Bg den von der Ag gemachten Tarifvorgaben schlüssig entspreche. Das könne anhand der mit Schriftsatz der Ag vom 17. November 2022 dargelegten Plausibilitätserwägungen nicht nachvollzogen werden. Die ASt hat daraufhin angeregt, die Vergabekammer möge im Wege der Amtsermittlung feststellen, ob die von der Bg angebotenen gemittelten Stundenverrechnungssätze auch insoweit den Vorgaben der Ag entsprechen, als sie nicht nur den reinen Tariflohn, sondern auch die weiteren lohngebundenen Kosten sowie die Soziallöhne, zuzüglich der üblichen unternehmensbezogenen Kosten berücksichtigen, und das Ergebnis der ASt mitzuteilen. Die ASt hat weiterhin mitgeteilt, dass sie eine weitere mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält.
II.
Der Nachprüfungsantrag ist zulässig (1.), aber unbegründet (2.).
1. Der Nachprüfungsantrag ist zulässig.
a) Der Nachprüfungsantrag betrifft die Vergabe eines öffentlichen Dienstleistungsauftrags gemäß § 103 Abs. 4 GWB durch einen dem Bund zuzurechnenden öffentlichen Auftraggeber nach § 99 Nr. 2 GWB. Der öffentliche Dienstleistungsauftrag liegt oberhalb des hier relevanten Schwellenwertes von 750.000 Euro nach § 106 Abs. 2 Nr. 1 GWB i.V.m. Art. 4 lit. d) und Anhang XIV [...] der Richtlinie 2014/24/EU. Dies folgt aus der in jedem Fall deutlich oberhalb dieses Schwellenwertes liegenden Auftragswertschätzung gem. Ziff. [...] des Vergabevermerks [...]. Das Nachprüfungsverfahren ist somit statthaft gemäß §§ 155 ff. GWB, die angerufene Vergabekammer des Bundes nach § 159 Nr. 2 GWB zuständig.
b) Die ASt ist auch antragsbefugt nach § 160 Abs. 2 GWB. Das nach § 160 Abs. 2 S. 1 GWB erforderliche Interesse am ausgeschriebenen Auftrag hat sie hinreichend durch ihr abgegebenes Angebot sowie die hierzu erhobene Rüge bzw. ihren Nachprüfungsantrag belegt. Die ASt hat auch einen Verstoß gegen die nach § 97 Abs. 6 GWB bieterschützende Vergaberechtsvorschrift des § 60 VgV geltend gemacht, § 160 Abs. 2 S. 1 GWB (zum bieterschützenden Charakter des § 60 VgV vgl. grundlegend BGH, Beschluss vom 31. Januar 2017, X ZB 10/16).
Die ASt hat zudem nach § 160 Abs. 2 S. 2 GWB einen ihr durch den von ihr maßgeblich behaupteten Verstoß gegen § 60 VgV drohenden Schaden dargelegt. Die ASt geht nach ihrem Vortrag davon aus, dass die Ag die ihr nach § 60 VgV obliegende Prüfung der Preise der Bg und des zweitplatzierten Angebots vergaberechtswidrig unterlassen hat. Unterstellt, dies träfe zu, wäre eine unmittelbare Zuschlagschance der drittplatzierten ASt jedenfalls nicht auszuschließen, da auch die Auskömmlichkeit des zweitplatzierten Angebotes in diesem Fall nicht von vornherein unverrückbar feststünde und ebenfalls nicht ausgeschlossen ist, dass eine entsprechende Überprüfung dazu führen könnte, dass das Angebot der ASt bei nicht auszuschließender Unauskömmlichkeit der vorrangig platzierten Angebote für den Zuschlag in Betracht kommen könnte. Dies ist für die Antragsbefugnis nach § 160 Abs. 2 S. 2 GWB, an die im Interesse der effektiven vergaberechtlichen Primärrechtsschutzgarantie nach den §§ 155 ff., 160 ff. GWB in Verbindung mit den grundlegenden Maßgaben der vergaberechtlichen EU-Rechtsmittelrichtlinie 2007/66/EG, keine unangemessen hohen Anforderungen zu stellen sind, ausreichend.
c) Die ASt ist auch ihrer Rügeobliegenheit nach § 160 Abs. 3 S. 1 GWB rechtzeitig nachgekommen.
aa) Nach § 160 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 GWB ist ein Nachprüfungsantrag unzulässig, soweit der Antragsteller den geltend gemachten Vergaberechtsverstoß vor Einreichen des Nachprüfungsantrags erkannt und gegenüber dem Auftraggeber nicht innerhalb einer Frist von zehn Kalendertagen gerügt hat. Diesen Anforderungen wird das Rügevorbringen der ASt gerecht.
Die ASt hat erstmals aus dem Informationsschreiben der Ag nach § 134 GWB vom 13. Oktober 2022 vom beabsichtigten Zuschlag an die Bg erfahren. Sie hat daraufhin fristgemäß mit Schreiben vom 17. Oktober 2022 an die Ag einen Verstoß der Ag gegen die Grundsätze der Preisprüfung nach § 60 VgV gerügt. Dass die ASt dabei lediglich "ins Blaue hinein", mithin unsubstantiiert und damit im Ergebnis gar nicht gerügt habe, wie die Ag meint, ist nicht ersichtlich.
An Rügen ist im Hinblick auf § 160 Abs. 3 S. 1 GWB ein großzügiger Maßstab anzulegen. Das bedingt, dass ein rügender Bieter die von ihm behaupteten Vergaberechtsverstöße nicht auf bloße nicht durch Tatsachen bzw. Indizien untermauerte und damit gleichsam willkürliche Vermutungen stützen darf. Er hat auf der Grundlage seines Informationsstandes die entsprechenden Fakten bzw. Anknüpfungstatsachen darzulegen, die seiner Ansicht nach einen bestimmten Vergaberechtsverstoß begründen; dabei kann es ausreichen, die Auswahlentscheidung des Auftraggebers unter entsprechendem Hinweis auf die eigene Branchen- und Marktkenntnis anzuzweifeln (vgl. ausführlich OLG Düsseldorf, Beschluss vom 2. November 2022, Verg 7/22 m.w.N.). Diesen Anforderungen genügt das Rügevorbringen der ASt vom 17. Oktober 2022. Die ASt hat den von ihr behaupteten Vergaberechtsverstoß nicht allein - wie die Ag in ihrer Antragserwiderung vom 27. Oktober 2022 meint - darauf gestützt, sie habe an der Grenze des Möglichen kalkuliert und keines der günstigeren Angebote könne die rechtlichen Vorgaben einhalten. Die ASt hat vielmehr in ihrer Rüge die ihr verfügbaren Erkenntnismöglichkeiten ausgeschöpft, indem sie insbesondere ihre Erfahrung als bisherige Auftragnehmerin der Ag anführt und damit einhergehende kalkulatorische Vorteile und dazu ferner anführt, sie habe insbesondere den jährlichen Fördermittelbstand [...] teilweise in ihre Kalkulation einfließen lassen. Vor diesem Hintergrund hält es die ASt für zweifelhaft, ob die seitens der Ag im Preisblatt vorgegebenen tariflichen Kalkulationsgrundlagen durch die Bg eingehalten worden sein können. Dies untermauert die ASt noch mit dem Argument, der zeitliche Ablauf des Verfahrens zwischen Angebotsöffnung und Absendung des Informationsschreibens nach § 134 GWB sei mit nur sieben Tagen eher kurz gewesen und lasse es als ausgeschlossen erscheinen, dass in diesem Zeitraum eine Prüfung nach den Grundsätzen des § 60 VgV erfolgt sei.
Diese Argumentation der ASt lässt erkennen, dass sie den von ihr behaupteten Verstoß nicht nur auf eine willkürliche Vermutung stützt. Die ASt stützt ihre Argumentation - entgegen der in der mündlichen Verhandlung vom 14. November 2022 geäußerten Ansicht der Ag - vielmehr auf näher dargelegte nachprüfbare und damit tatsächliche Anhaltspunkte, bei denen es sich in der Sache um eine durch die ASt konkretisierte Branchen- und Marktkenntnis handelt, auf die sich die ASt als bisherige Auftragnehmerin der Ag plausibel stützt. Das ist für die Substantiierung der seitens der ASt ausgesprochenen Rüge hinreichend.
bb) Soweit die ASt im Nachprüfungsantrag vorbringt, das Angebot der Bg sei ggf. nach § 57 Abs. 1 Nr. 4 VgV auszuschließen, wenn es von den tarifvertraglichen Bindungen abweiche, die im Preisblatt vorgegeben seien, ist sie mit diesem Vortrag ebenfalls nicht nach § 160 Abs. 3 S. 1 GWB präkludiert. Aus dem Rügevortrag der ASt im Schreiben vom 17. Oktober 2022 geht hervor, dass die ASt sich gegen die Berücksichtigung des Angebots der Bg richtet, da die Ag ihrer Aufklärungspflicht nach § 60 VgV nicht nachgekommen sei. Das beinhaltet - entgegen der Auffassung der Ag in der mündlichen Verhandlung - aus der Perspektive eines verobjektivierten Empfängers auch die rügerelevanten Fakten für den vergaberechtlichen Schluss, das Angebot sei auszuschließen, wenn es die im Preisblatt vorgegebenen tariflichen Bindungen nicht einhalte. Daraus war für die Ag ohne Weiteres erkennbar, dass die Rüge der ASt ebenfalls beinhaltet, eine im Zuge der aus Sicht der ASt gebotenen Preisprüfung etwaig zu Tage tretende Nichteinhaltung der im Preisblatt vorgegebenen tarifvertraglichen Grundlagen ziehe einen Verstoß gegen § 57 Abs. 1 Nr. 4 VgV nach sich und eine entsprechende Prüfung bislang ebenfalls vergaberechtswidrig unterblieben sei. Auch diese Rüge ist damit rechtzeitig nach § 160 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 GWB erfolgt.
d) Die ASt hat ihren Nachprüfungsantrag am 21. Oktober 2022 bei der Vergabekammer des Bundes eingereicht und damit ohne Weiteres innerhalb der Frist des § 160 Abs. 3 S. 1 Nr. 4 GWB von 15 Kalendertagen nach Eingang der Nichtabhilfemitteilung der Ag vom 20. Oktober 2022.
2. Der Nachprüfungsantrag ist allerdings unbegründet.
Der von der ASt gerügte Verstoß gegen § 60 VgV liegt nicht vor, da die Ag bereits nach § 60 Abs. 1 VgV sachgemäß und damit fehlerfrei davon ausgegangen ist, dass der von der Bg angebotene Preis der Ag nicht ungewöhnlich niedrig erschienen ist.
Nach § 60 Abs. 1 VgV verlangt der öffentliche Auftraggeber vom Bieter Aufklärung, wenn der von ihm angebotene Preis im Verhältnis zu der zu erbringenden Leistung ungewöhnlich niedrig erscheint.
a) Der Auftraggeber hat für die Entscheidung der Frage, ob der Preis eines Angebotes ungewöhnlich niedrig erscheint, grundsätzlich einen Einschätzungs- bzw. Beurteilungsspielraum, der von ihm pflichtgemäß und damit fehlerfrei auszuüben ist. Im Nachprüfungsverfahren ist dieser Beurteilungsspielraum somit nur auf etwaige Beurteilungsfehler hin zu prüfen. Der Auftraggeber muss bei seiner Einschätzung nach § 60 Abs. 1 VgV somit insbesondere sachgemäß und willkürfrei vorgehen und den entscheidungsrelevanten Sachverhalt zugrunde legen. Dies dient dazu, entsprechend zweifelhafte Angebot zu identifizieren, um ggf. eine Prüfung nach § 60 Abs. 2 VgV einzuleiten.
Einzubeziehen sind in den Spielraum nach § 60 Abs. 1 VgV insbesondere vom Auftraggeber etwaig bekannt gemachte kalkulationsrelevante Vorgaben. Der Beurteilungsspielraum des Auftraggebers nach § 60 Abs. 1 VgV erstreckt sich zwar grundsätzlich auch auf die von ihm zur näheren Einschätzung herangezogenen Aspekte (vgl. EuGH, Urteil vom 15. September 2022, C-669/20, Rn. 35, im Hinblick auf die dem § 60 VgV zugrunde liegenden bzw. diesem entsprechenden Art. 69 der Richtlinie 2014/24/EU bzw. Art. 69 2009/81/EG). Der Spielraum des Auftraggebers wird aber dahingehend begrenzt, dass er zu diesem Zweck im Zuge des § 60 Abs. 1 VgV jedenfalls all diejenigen Merkmale des konkreten Auftragsgegenstandes in den Blick nehmen muss, die eine Einschätzung ermöglichen können, ob der angebotene Preis im Verhältnis zu der zu erbringenden Leistung ungewöhnlich niedrig erscheint (vgl. EuGH, a.a.O., Rn. 37). Allein eine Betrachtung der im Wettbewerb abgegebenen Angebote genügt hierfür im Regelfall nicht. Denn "so sehr ein Vergleich mit den übrigen konkurrierenden Angeboten in bestimmten Fällen zur Feststellung einer Ungewöhnlichkeit auch hilfreich sein mag, kann er doch nicht das einzige Kriterium darstellen, das der öffentliche Auftraggeber anwendet" (EuGH, a.a.O., Rn. 37).
Um nach § 60 Abs. 1 VgV das Verhältnis zwischen dem angebotenen Preis und der zu erbringenden Leistung sachgemäß einschätzen zu können, ist mithin die Berücksichtigung und damit eine grundsätzliche Betrachtung und Würdigung aller für die Angebotskalkulation relevanten Merkmale geboten, sofern der öffentliche Auftraggeber solche ausdrücklich in den Vergabeunterlagen vorgegeben hat. Gibt der Auftraggeber in seinen Vergabeunterlagen die Einhaltung von Grundlagen zur Kalkulation vor - wie hier im Preisblatt die Anwendung des aktuellen Lohntarifvertrages [...] als Grundlage der Kalkulation, die zudem konkretisiert wurde durch seine Antworten auf entsprechende Bieterfragen -, so kann dieses Merkmal für die Prüfung nach § 60 Abs. 1 VgV nicht außer Betracht bleiben, es ist mithin einzubeziehen bzw. in den Blick zu nehmen und damit entsprechend zu berücksichtigen. Ansonsten kann die Prüfung nach § 60 Abs. 1 VgV nicht fehlerfrei gelingen, da sie einen ohne Weiteres kalkulationsrelevanten Aspekt gemäß den Vorgaben des Auftraggebers ohne Grund ausblenden würde.
aa) Im streitgegenständlichen Vergabeverfahren hatte die Ag im Preisblatt entsprechende Vorgaben für die Grundlagen der Kalkulation gemacht, so dass diese von ihr bei ihrer Entscheidung nach § 60 Abs. 1 VgV zu berücksichtigen waren. Allerdings ergab sich weder aus dem Vergabevermerk [...] noch den Ausführungen der Ag in ihrer Antragserwiderung vom 27. Oktober 2022 oder ihrer Stellungnahme vom 7. November 2022, inwieweit sie bei ihrer Einschätzung nach § 60 Abs. 1 VgV die von ihr selbst auf dem Preisblatt explizit vorgegebenen tarifvertraglichen Kalkulationsgrundlagen sachgemäß in den Blick genommen hatte. Sich für die Einschätzung nach § 60 VgV maßgeblich auf das Nichtüberschreiten der Aufgreifschwelle oder auch die Eigenerklärungen der Beigeladenen zu verlassen, wie die Ag im Vergabevermerk bzw. ihren Stellungnahmen und in der mündlichen Verhandlung ausgeführt hat, genügte daher ersichtlich nicht. Soweit die Ag in der mündlichen Verhandlung und im Schriftsatz vom 17. November 2022 vorgetragen hat, die von ihr im Hinblick auf die zur Kalkulation der Angebote einzuhaltenden tarifvertraglichen Vorgaben durchgeführte Plausibilitätsprüfung hinsichtlich des Angebotspreises der Bg sei lediglich überobligatorisch und ohne vergaberechtlich dazu verpflichtet zu sein, durchgeführt und daher zunächst auch nicht dokumentiert worden, wird verkannt, dass die fehlerfreie Ausübung des ihr nach § 60 Abs. 1 VgV zustehenden Beurteilungsspielraums die Berücksichtigung dieser Vorgaben im konkreten Fall gerade erfordert.
Dies indiziert nicht zuletzt auch die von der Ag tatsächlich durchgeführte Plausibilitätsprüfung des Preises der Bg selbst. Diese zeigt gerade, dass die Ag es für nötig hielt, sich darüber Rechenschaft abzulegen, ob der Preis der Bg die tarifvertraglichen Vorgaben plausibel abdeckt.
bb) Erstmals in der mündlichen Verhandlung vom 15. November 2022 wies die Ag schließlich auf ihre sodann mit Schriftsatz vom 17. November 2022 nachdokumentierten Plausibilitätserwägungen hin, deren Berücksichtigung die Vergabekammer im Hinblick auf § 167 Abs. 2 GWB für geboten erachtet. Zwar war die Ag bereits mit Übermittlung des Nachprüfungsantrags im Hinblick auf § 167 Abs. 2 S.1 GWB angehalten worden, den Sachverhalt umfassend darzulegen, wozu ohne Weiteres auch die im Hinblick auf § 60 Abs. 1 VgV tatsächlich durchgeführten Plausibilitätserwägungen zum Angebotspreis der Bg gehört hätten. Die Antragserwiderung der Ag vom 27. Oktober 2022 enthielt zu diesen Plausibilitätserwägungen der Ag keine Darlegungen. Dass die Ag meinte, sie sei dazu und zu einer entsprechenden Dokumentation nicht verpflichtet gewesen, ist im Hinblick auf § 167 Abs. 2 GWB unerheblich. Denn die Nachprüfung und rechtliche Bewertung des Sachverhaltes obliegt im Nachprüfungsverfahren den Nachprüfungsinstanzen, wofür diese auf eine umfassende Sachverhaltskenntnis angewiesen sind, an dessen Aufklärung die Verfahrensbeteiligten nach § 167 Abs. 2 S. 1 GWB mitzuwirken haben. Die Berücksichtigung der von der Ag erst in der mündlichen Verhandlung vorgebrachten Erwägungen ist nach Ansicht der Vergabekammer allerdings im Hinblick auf § 167 Abs. 2 S. 2 GWB für eine sachgemäße Entscheidung geboten. Eine Verzögerung des Nachprüfungsverfahrens, die zu Lasten des Vergabeverfahrens der Ag selbst ginge, ist durch die Berücksichtigung der nachdokumentierten Plausibilitätserwägungen, auf die sich die Ag ohnehin auch in einem etwaigen nachgelagerten Beschwerdeverfahren berufen könnte, nicht zu befürchten. Die ASt hatte hierzu zudem bereits in der mündlichen Verhandlung vom 14. November 2022 unmittelbar die Möglichkeit des rechtlichen Gehörs.
b) Den Darlegungen der Plausibilitätserwägungen im Schriftsatz vom 17. November 2022 ist nunmehr nachvollziehbar zu entnehmen, wie die Ag bei der Prüfung nach § 60 Abs. 1 VgV hinsichtlich des von der Bg angebotenen Preises vorgegangen ist. Daraus ergibt sich, dass die Ag den ihr zustehenden Beurteilungsspielraum sachgemäß und damit fehlerfrei ausgeübt hat.
Die Ag erläutert darin schlüssig, dass sie zunächst den pauschalen Gesamtpreis der Bg betrachtet und hierzu einen durchschnittlichen Stundenverrechnungssatz gebildet hat. Auf dieser Grundlage hat sie zunächst für die Positionen 1 bis 5 des Preisblattes nachvollzogen, ob der Preis der Bg Anhaltspunkte dafür bot, ob der von der Ag als Grundlage der Kalkulation vorgegebene Tarifvertrag eingehalten wird oder nicht. Die von der Ag errechneten durchschnittlichen Stundenverrechnungssätze der Bg liegen deutlich oberhalb der für die [...] seitens der Ag auf die Bieterfragen bestätigten tarifvertraglichen Mindestlöhne. Das geht aus den Darlegungen der Ag im Schriftsatz vom 17. November 2022 hervor, die der Vergabekammer offen vorgelegen haben. Gegen diese Vorgehensweise ist nichts zu erinnern, sie berücksichtigt die kalkulatorischen Vorgaben der Ag auf eine durchaus noch sachgemäße Weise. Die Darlegungen lassen erkennen, dass die Ag zu einer nachvollziehbaren Einschätzung gelangt ist, dass die relevanten tarifvertraglichen Maßgaben eingehalten werden und auf dieser Grundlage auch ein Gewinn möglich ist.
Auch hinsichtlich der optionalen Preispositionen 6 und 7 auf dem Preisblatt der Bg hat die Ag nachvollziehbar und schlüssig dargelegt, dass ihr diese nicht ungewöhnlich niedrig erschienen sind. Dies erschließt sich ohne Weiteres aus ihrer dargelegten Vorgehensweise, die auf dem Preisblatt der Bg angebotenen Stundenverrechnungssätzen für diese Positionen der Zusatz/Vertretungsdienste mit dem relevanten Tarifvertrag abgeglichen zu haben. Diese liegen - für die Vergabekammer anhand der in der Vergabeakte dokumentierten Angebotsunterlagen der Bg ersichtlich - oberhalb der relevanten tariflichen Mindestsätze von [...] bzw. [...] und waren zudem - wie von der Ag dargelegt - im Vergleich mit anderen Angeboten keine Ausreißer. Vielmehr hatte die ASt die günstigsten Stundenverrechnungssätze zu den Positionen 6 und 7 angeboten.
Vor diesem Hintergrund erscheint es nachvollziehbar und sachgemäß und damit beurteilungsfehlerfrei, dass die Ag zu der Entscheidung gelangt ist, dass ihr der Preis der Bg nicht nach § 60 Abs. 1 VgV ungewöhnlich niedrig bzw. unauskömmlich erscheint. Vor diesem Hintergrund war eine nähere Prüfung der Auskömmlichkeit des Preises der Bg nach § 60 Abs. 2 VgV nicht erforderlich.
Auch das von der ASt im Hinblick auf § 57 Abs. 1 Nr. 4 VgV befürchtete Abweichen des Angebots der Bg von dem nach dem Preisblatt vorgegebenen Tarifvertrag liegt damit nicht vor.
c) Soweit aus dem Vorbringen der ASt zu entnehmen ist, die Ag habe im Hinblick auf § 60 Abs. 1 VgV die Stundenverrechnungssätze der Bg näher prüfen bzw. sich dabei an einer von der ASt erwähnten älteren Empfehlung der Bundesfinanzdirektion West (Zoll) aus dem Jahr 2014 zur auskömmlichen Höhe von Stundenverrechnungssätzen orientieren sollen, ist festzustellen, dass die Ag schon keine entsprechenden Vorgaben in den Vergabeunterlagen bekannt gegeben hat, an denen die Bieter sich für die Angebotskalkulation wie auch die Ag selbst sich im Rahmen des § 60 Abs. 1 VgV eindeutig hätten orientieren können. Überdies wären derartige Vorgaben auch nicht unkritisch zu sehen, da sie den Spielraum der Bieter für eine individuell auskömmliche betriebswirtschaftliche Kalkulation unangemessen einschränken können (vgl. OLG München, Beschluss vom 25. September 2014, Verg 10/14).
d) Die Ag konnte ihre Plausibilitätserwägungen im Schriftsatz vom 17. November 2022 zulässigerweise nachdokumentieren.
Ausweislich ihres Vortrags in der mündlichen Verhandlung hat sie die Erwägungen bereits im Rahmen ihrer Vergabeentscheidung getroffen und lediglich nicht förmlich dokumentiert. Dies wäre im Hinblick auf die obigen Erwägungen allerdings nach § 8 Abs. 1 Satz 1 VgV iVm dem Transparenzgrundsatz nach § 97 Abs. 1 GWB zur Begründung ihrer Entscheidung zu § 60 Abs. 1 VgV erforderlich gewesen. Denn es war - wie oben festgestellt - notwendig, dass die Ag die von ihr selbst gesetzten kalkulatorischen Rahmenbedingungen bei der Prüfung nach § 60 Abs. 1 VgV berücksichtigt. Dies ist durch die von ihr unternommene Plausibilitätsprüfung auch sachgemäß erfolgt. Um dies nachvollziehen zu können, waren diese Erwägungen entsprechend zu dokumentieren. Bereits der Umstand, dass die Ag eine entsprechende Plausibilitätsprüfung durchgeführt hat, indiziert, dass diese zur Begründung ihrer Entscheidung nach § 60 Abs. 1 VgV, ihr sei das Angebot der Beigeladenen nicht als ungewöhnlich niedrig erschienen, erforderlich im Sinne des § 8 Abs. 1 S. 1 VgV war.
Die mit dem Schriftsatz vom 17. November 2022 somit nachdokumentierte Plausibilitätsprüfung ist unter Berücksichtigung der in der Rechtsprechung herausgearbeiteten Grundsätze statthaft (vgl. BGH, Beschluss vom 8. Februar 2022, X ZB 4/10). Bedenken, dass durch die insoweit nachgeholte Dokumentation ein wettbewerbskonformes Vergabeverfahren gefährdet wäre, hat die Vergabekammer nicht.
3. Für eine von der ASt in ihrem Schriftsatz vom 23. November 2022 angeregte Überprüfung der Stundenverrechnungssätze von Amts wegen ist vor dem Hintergrund der oben getroffenen Feststellungen kein Raum; dies wäre ein unstatthafter Übergriff in den allein der Ag zustehenden Beurteilungsspielraum nach § 60 Abs. 1 VgV, den diese hier - wie festgestellt - fehlerfrei ausgeübt hat.
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 182 Abs. 1, 2 und 3 S. 1, Abs. 4 S. 1, 2 und 4 GWB i.V.m. § 80 Abs. 1, 2 und 3 Satz 2 VwVfG (Bund).
1.a) Die ASt trägt als unterliegende Verfahrensbeteiligte die Kosten des Nachprüfungsverfahrens (Gebühren und Auslagen) gemäß § 182 Abs. 3 S. 1 GWB sowie die zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Ag gemäß § 182 Abs. 4 Satz 1 GWB.
b) Die Aufwendungen der Bg werden der ASt nicht auferlegt und sind daher nicht erstattungsfähig, weil dies nicht der Billigkeit nach § 182 Abs. 4 S. 2 GWB entspricht. Die ASt hat sich zwar mit ihrem Nachprüfungsantrag bewusst und gewollt in einen Interessengegensatz zu Bg gestellt. Die nicht anwaltlich vertretene Bg hat allerdings im Nachprüfungsverfahren weder konkrete Anträge gestellt noch sich daran aktiv substantiell beteiligt, so dass sie kein Prozesskostenrisiko auf sich genommen hat, das es billig erscheinen ließe, ihre Aufwendungen der ASt aufzuerlegen.
2. Die Hinzuziehung der Verfahrensbevollmächtigten der Ag war nicht notwendig, § 182 Abs. 4 Satz 4 GWB, § 80 Abs. 1, 2 und 3 Satz 2 VwVfG (Bund).
Die Entscheidung über die Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Rechtsanwalts als Verfahrensbevollmächtigten im Nachprüfungsverfahren bedarf einer einzelfallgerechten Betrachtung, abstellend auf den Zeitpunkt der Hinzuziehung (vgl. BGH, Beschluss vom 26. September 2006, X ZB 14/06; vgl. ferner OLG Düsseldorf, Beschluss vom 28. September 2022, Verg 15/22). Die Notwendigkeit der Hinzuziehung hängt davon ab, ob der jeweilige Verfahrensbeteiligte nach den Umständen des Falles auch selbst in der Lage gewesen wäre, den Sachverhalt aufgrund der bekannten bzw. erkennbaren Tatsachen zu erfassen, der im Hinblick auf eine Missachtung von Bestimmungen über das Vergabeverfahren von Bedeutung ist, hieraus die für eine sinnvolle Rechtswahrung bzw. -verteidigung nötigen Schlüsse zu ziehen und das danach Gebotene gegenüber der Vergabekammer vorzubringen (BGH, a.a.O.; OLG Düsseldorf, a.a.O.). Maßgeblich ist bei der Abwägung, ob die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts notwendig war oder nicht, ob sich im Nachprüfungsverfahren für den Auftraggeber im Wesentlichen auftragsbezogene Sach- und Rechtsfragen einschließlich der dazugehörigen vergaberechtlichen Vorschriften gestellt haben. In diesem Fall ist es grundsätzlich nicht notwendig, dass er hierfür einen Rechtsanwalt zu Rate ziehen muss. Diese Angelegenheiten betreffen den originären Aufgabenkreis des öffentlichen Auftraggebers, für die er sich selbst die notwendigen Sach- und Rechtskenntnisse verschaffen muss, so dass es auch im Nachprüfungsverfahren nicht geboten ist, einen Rechtsanwalt als Bevollmächtigten hinzuzuziehen (OLG Düsseldorf, a.a.O.). Zu berücksichtigen ist ferner der Grad der Einfachheit oder Komplexität des Sachverhaltes, die Komplexität oder Überschaubarkeit der zu beurteilenden Rechtsfragen sowie persönliche Umstände wie u.a. die sachliche oder personelle Ausstattung des Verfahrensbeteiligten (BGH, a.a.O.; OLG Düsseldorf, a.a.O.). Die Hinzuziehung eines Rechtsanwalt kann daher insbesondere geboten sein, wenn sich im Nachprüfungsverfahren nicht einfachgelagerte Rechtsfragen stellen, insbesondere solcher verfahrensrechtlicher Natur oder solcher Art, die auf einer höheren Rechtsebene als der der Vergabeordnungen zu entscheiden sind (OLG Düsseldorf, a.a.O.).
Vor dem Hintergrund dieser Maßgaben kann die Hinzuziehung der Verfahrensbevollmächtigten der Ag nicht als notwendig anerkannt werden. Gemessen an den soeben festgestellten Maßstäben war die Ag zum Zeitpunkt der Zustellung des Nachprüfungsantrags, als sie über die Hinzuziehung ihrer Verfahrensbevollmächtigten zu entscheiden hatte, aufgrund der ihr bekannten und erkennbaren Tatsachen ohne Weiteres in der Lage, die für eine effektive Rechtsverteidigung nötigen Schlüsse selbst zu ziehen und gegenüber der Vergabekammer im Nachprüfungsverfahren vorzubringen. Die sich der Ag aus dem Nachprüfungsantrag darstellende Sach- und Rechtslage war nicht komplex, sondern umspannte lediglich auftragsbezogene Sach- und Rechtsfragen. Die ASt hat mit ihrem Nachprüfungsantrag den von ihr gerügten Verstoß gegen § 60 VgV geltend gemacht und sich ferner darauf berufen, die Ag habe die Einhaltung der vorgegebenen tarifvertraglichen Bindungen zu prüfen. Die Prüfung der Auskömmlichkeit der Preise der Bieter sowie ein etwaiges Abweichen der eingegangenen Angebote von dem in den Preisblättern für die Grundlagen der Kalkulation vorgegebenen Tarifvertrag gehört zum originären Aufgabenkreis der Ag als öffentlicher Auftraggeberin. Denn diese Prüfungen sind Voraussetzung für eine vergaberechtsgemäße Prüfung und Auswertung der eingegangenen Angebote. Ausweislich des Vergabevermerks [...] war die Ag sogar mit der vergaberechtlichen Rechtsprechung zur Anwendung des § 60 VgV vertraut, was der dortige Verweis auf die von der Rechtsprechung angesetzte niedrigste Aufgreifschwellen ergibt und auf eine solide Anwendungspraxis des § 60 VgV bei der Ag schließen lässt. Die von ihr durchgeführte Plausibilitätsprüfung des Preises der Bg belegt ferner, dass sie - nicht zuletzt aufgrund ihrer Vorerfahrungen insbesondere aus dem bisherigen Auftragsverhältnis mit der ASt - auch mit der Berücksichtigung der von ihr im Preisblatt vorgegebenen tarifvertraglichen Kalkulationsgrundlagen vertraut war.
Auch die Dokumentation ihrer Erwägungsgründe im Rahmen des § 60 Abs- 1 VgV gehört zum grundlegenden Rüstzeug der Ag als öffentlicher Auftraggeberin. Der Ag war hierzu mit Übermittlung des Nachprüfungsantrags ausdrücklich erläutert worden, dass sie zur Beschleunigung des Verfahrens den Sachverhalt umfassend darzulegen hat, wozu ohne Weiteres auch die faktisch von ihr durchgeführte Plausibilitätsprüfung des Preises der Bg gehörte. Da die Ag im Rahmen ihrer Erwägungen zu § 60 Abs. 1 VgV die Plausibilitätserwägungen tatsächlich durchgeführt hat, war sie ohne Weiteres in der Lage, der Vergabekammer gegenüber die entsprechende Auskunft zu geben, ohne dass hierfür die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts geboten war.
IV.
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